Post on 01-Mar-2016
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02 | Juni – August 2011
UNBEKANNTE WINZLINGE Nanotechnologie kommt ungeprüft zum Einsatz
PARADISE FORESTKampf für Indonesiens Urwälder
ENERGIEWENDE JETZT!Eine nukleare Katastrophe als Weckruf: Nach Fukushima ist die Welt eine andere. Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien.
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Liebe Leserinnen und Leser!Es ist wieder passiert. Die nukleare Katastrophe, die es in der Vorstellung der Atomlobby und ihrer Verbündeten ja gar nicht geben kann, ist wieder Realität geworden. Fukushima zeigt uns wie schon davor Tschernobyl, Three Mile Island, Sellafield, Kyschtym und viele andere die hässliche Fratze der Nuklearenergie.
Letztes Jahr hat uns die Explosion der Deepwater Horizon wieder in aller Deutlichkeit die dunkle Seite der Ölindustrie vor Augen gehalten. Auch diese Branche verbucht eine sehr lange Liste katastrophaler Umweltdesaster für sich: Exxon Valdez, Dalian, das Niger-Delta, der „Prestige“-Tankerunfall in Galicien – um nur eine winzige Auswahl zu treffen.
Die Kohleindustrie ist wie die Erdölindustrie nicht nur für schwere Umwelt-sünden und die Befeuerung des Klimawandels verantwortlich, sondern auch für unzählbar viele Unfälle im Kohlebergbau, der jedes Jahr Tausende tote Kumpels zur Folge hat.
Atom, Erdöl und Kohle – die „dreckigen Drei“ sind die Säulen unserer konventi-onellen Energieversorgung. Das ist die schaurige Bilanz unserer Vergangenheit und unserer Gegenwart. Soll das auch noch unsere Zukunft sein? Ist das die Welt, für die wir uns entscheiden? Und fällt uns wirklich nichts Besseres ein, als für diese Art der Energieversorgung unseren Planeten zu zerstören?
Nein! Es gibt Alternativen, Lösungen und Konzepte für eine saubere Energie-versorgung aus erneuerbaren Energien. In diesem
Nein! Es gibt Alternativen, Lösungen und Konzepte für eine saubere Energie-haben wir uns besonders
intensiv der Zukunft gewidmet: der Energiewende. Auf zehn Seiten finden Sie neben Kommentar, Interview, Grafik und Artikeln auch einen Statusbericht zur Lage der „Revolution im Anmarsch“.
Und diese Revolution wird kommen. Die Frage ist nur, wie schnell und wie umfassend der Umstieg vollzogen wird und wie lange sich die Bewahrer und die Profiteure des Status quo halten können – denn die Konflikte und die Vertei-lungskämpfe um die zukünftige Energieversorgung haben gerade erst begonnen.
Greenpeace setzt alle seine Kräfte für ein Ende der konventionellen Energie-versorgung und für den Umstieg auf saubere Energien ein. Unterstützen Sie uns dabei!
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Medieninhaber, Verleger und Herausgeber: Greenpeace in Zentral- und Osteuropa, Fernkorngasse 10, 1100 Wien; Tel. 01/54 54 580, www.greenpeace.at Spendenkonto: P.S.K. 7.707.100, www.greenpeace.at/spenden Redaktion: Birgit Bermann (Chefredak tion), Brigitte Bach, Lisa Begeré, Antje Helms, Robert Korbei, Bernhard Obermayr, Niklas Schinerl, Jurrien Westerhof E-Mail: act@greenpeace.at Bildredaktion: Georg Mayer Artdirektion: Karin Dreher Illustration: Karin Dreher Fotos: Greenpeace, Shutterstock Lektorat: Karin Flunger Anzeigen gestaltung: Florian Bolka Druck: Niederösterreichisches Pressehaus
erscheint viermal jährlich auf 100-%-Recyclingpapier. Ab einer Jahresspende von € 40 wird Ihnen gratis zugesandt. Die nächste Ausgabe erscheint im September 2011.
IMPRESSUM
Birgit Bermann, Chefredakteurin
Mit herzlichen Grüßen,
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04 In Aktion 06 SCHWERPUNKT ENERGIE: Eine Revolution im
Anmarsch 10 Die Atom-Renaissance passiert anderswo
11 Schmutziger Strom aus begrünten Steckdosen 12 Energie in Zahlen 14 Kommentar 15 Im Gespräch mit Erwin Mayer 16 Der Kampf um
den Paradise Forest 18 Erfolgsgeschichte mit großen Ausnahmen
20 Nach dem Schlamm 22 Fairer Tunfisch ohne Beifang
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EUropas KlimapolitiK: Es ist weit mehr als nur heiße luft gefordert!Während die EU-Umweltminister in Budapest Ende März zusammen-trafen, signalisierten Greenpeace-Aktivisten den nötigen gemeinsamen Schritt für eine konsequente Klimapolitik der Europäischen Union:minus 30 Prozent an Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2020! Die Botschaft wurde mithilfe eines Heißluftballons in den Himmel geschrieben und am Boden durch Banner verdeutlicht.
Coal FrEE FUtUrE toUr: Gemeinsam für eine Welt ohne schmutzige Kohleamerikas älteste kohlekraftwerke verschmutzen luft und Wasser, treiben die klimaerwärmung voran und rufen gesundheitliche schä-den hervor: Gründe genug, eine Zukunft ohne schmutzige kohle zu fordern. so war die „arctic sunrise“ einen Monat lang an der ostküste auf anti-kohle-kurs und ankerte unter anderem in Phila-delphia, new york und boston, um ihre Mission möglichst vielen Menschen näherzubringen. die „coal Free Future tour“ unterstützte auch die landesweite bewegung gegen die kohleindustrie, die be-troffene Gemeinden gemeinsam für das recht auf saubere luft und sauberes Wasser ins leben gerufen haben.
FUKUshima: mit Geigerzähler und strahlenanzug unverantwortliches schweigen brechenSelbst viele Wochen nach der Reaktorkatastrophe in Fukushi-ma betreibt die japanische Regierung eine äußerst mangelhaf-te Informationspolitik und klärt die Bevölkerung nur dürftig über die Ausmaße und Gefahren des atomaren Notstands auf. Deshalb handelte Greenpeace und schickte zwei Experten-teams in die Region, die Strahlenmessungen durchführten und Nahrungsmittel untersuchten. Auch die „Rainbow Warrior“ nahm Kurs auf die japanische Küste, um Wasserproben und Meeresalgen auf nukleare Verstrahlung zu testen. Mit diesen unabhängigen Analysen kann Greenpeace den betroffenen Bewohnern klare Verhaltensregeln zur Verfügung stellen und sofortige Schutzmaßnahmen einfordern, falls die Strahlenwer-te weiter steigen. Die von Greenpeace wochenlang geforderte Ausweitung der Evakuierungszone um die AKW-Ruine wurde von der japanischen Regierung erst viel zu spät von 20 auf noch immer nicht ausreichende 30 Kilometer ausgeweitet.
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NFACEBOOK: Mit einem Weltrekord saubere Energie einfordern
„Kommentieren und weiterleiten“ lauteten die Zau-berworte, die dafür sorgten, dass der „Raus aus der
Kohle“-Appell von Greenpeace an Facebook weltweit von so vielen Nutzern unterstützt wurde, dass der
Weltrekord – nämlich 50.000 Postings innerhalb von 24 Stunden – bereits nach zehn Stunden geschafft war:
Über 80.000 Kommentare waren es am Ende der Aktion. Diese Entschlossenheit sollte Facebook umso
mehr verdeutlichen, was sich die Netzwerker wünschen: keinen schmutzigen Strom aus Kohle- und Atomkraftwerken für den Betrieb der großen Daten-center des Unternehmens sowie die komplette Um-stellung von Facebook auf erneuerbare Energien bis
2021. Der Großprotest wurde weltweit mit vielen ein-zelnen Aktionen in verschiedenen Städten unterstützt.
ÖLFÖRDERUNG: Raub-bau am Ende der WeltSelbst nach der verheerenden Öl-katastrophe im Golf von Mexiko ist die Gier nach dem geldbringenden Rohstoff ungebrochen und macht vor keiner Region dieser Erde halt. Im jüngsten Fall trifft es East Cape, den östlichsten Punkt der Nordinsel Neuseelands, wo das brasilianische Mineralölunternehmen Petrobras mit Tiefseebohrungen begonnen hat. In einer mehrtägigen Aktion brachten Greenpeace-Aktivisten und Mitglieder des indigenen Maori-Stamms „te Wha-nau a Apanui“ das Ölbohrschiff „Orient Explorer“ vom Kurs ab und unterbra-chen damit Petrobras' Erkundungsar-beiten. Die Aktion richtete sich auch gegen die neuseeländische Regierung, die dem Ölmulti eine fünfjährige Ge-nehmigung für seine Aktivitäten in der Tiefsee zugesprochen hat.
DAS RECHT DER ZIVILGESELLSCHAFT: Friedlicher Protest wird zur StraftatAls gegen Ende des scheiternden Klimagipfels 2009 in Kopenhagen Greenpeace-Aktivisten friedlich gegen die Untätigkeit der inter-nationalen Spitzenpolitik protestierten und diese während eines königlichen Galadiners zum dringenden Handeln aufforderten, hatten sie wohl nicht geahnt, dass der Appell im Gefängnis und in weiterer Folge mit einer Anklage enden würde. Über ein Jahr nach der mutigen Aktion bezichtigt nun die dänische Staatsanwaltschaft elf Aktivisten aus acht Ländern des Hausfriedensbruchs, der Do-kumentenfälschung und der Majestätsbeleidigung. Angesichts der Friedfertigkeit des Protests ist das Vorgehen unverhältnismäßig und scheint darauf abzuzielen, Proteste künftig verhindern zu wollen. Greenpeace sieht im demokratischen Recht auf friedlichen zivilen Widerstand die Basis für Gerechtigkeit sowie verantwortliches po-litisches Handeln und steht den angeklagten Mitstreitern weiterhin mit allen Kräften zur Seite.
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Die erneuerbaren Energien sind unsere Zukunft. Der Weg dorthin ist allerdings noch mit Hürden gepflastert. Eine Bestandsaufnahme über die friedliche Revolution der Energieversorgung.
VON JURRIEN WESTERHOF
EINE REVOLUTION IM ANMARSCH
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SCHWERPUNKT ENERGIEn Lagebericht zur Energiewende
n Atomkraft raus aus Europa
n Zertifikate-Schwindel mit schmutzigem Strom
n Grafik: Atomkraft versus erneuerbare Energien
n Kommentar: Fukushima muss die Wende sein!
n Interview: Blockierte Energie-wende in Österreich
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„Zuerst wirst du ignoriert. Dann wirst du ausgelacht. Dann be-kämpft man dich. Und dann hast du gewonnen.“ Das sagte Mahatma Gandhi über friedliche Revolutio-nen. Aber was hat das mit Energie zu tun?
Derzeit stellen Kohle, Erdöl und Erdgas etwa 80 Prozent der welt-weiten Energieversorgung bereit. Dazu kommen sechs Prozent aus Atomenergie. Erneuerbare Energi-en halten derzeit erst bei einem An-teil von 13 Prozent, wobei Brenn-holz weltweit gesehen der mit Ab-stand wichtigste erneuerbare Ener-gieträger ist – wichtiger als die Atomenergie. Seit 1900 ist der glo-bale Energieverbrauch jährlich um
rund 2,5 Prozent gestiegen, und die meisten Prognosen gehen von einer weiteren Zunahme von meh-reren Prozent pro Jahr aus. Ange-sichts dieser Zahlen kann man na-türlich fragen: Wo ist da die Revolu-tion?
Aufmerksame Fußballfreunde konnten während der Weltmeister-schaft in Südafrika im Sommer 2010 etwas Interessantes beobach-ten. Inmitten der üblichen Wer-bung von Sony, McDonald’s, Visa & Co. war direkt hinter dem Feld eine Werbetafel mit der Aufschrift „Ying-li Solar“ zu sehen. Eine kurze Re-cherche ergibt, dass Yingli eine chi-nesische Firma ist, die Photovolta-ikanlagen herstellt. Interessant ist
daran so einiges. Erstens: Ein Un-ternehmen, das Sonnenstrom-An-lagen produziert, kann sich teure Werbeflächen leisten. Zweitens: Diese Firma hat ihren Sitz in China. Drittens: Sie sehen anscheinend ei-nen weltweiten Markt für ihre Pro-dukte. „Yingli Solar“ bei der Fußball-WM bestätigt eine Entwicklung, die sich bereits seit Längerem stetig ih-ren Weg bahnt: Solarenergie, eine Technologie, die bis vor Kurzem noch von vielen als unwirtschaft-lich belächelt wurde, steht kurz vor dem Durchbruch. Dass der Solar-anlagenbauer eine chinesische Fir-ma ist, kann ebenfalls nicht überra-schen – das Land investiert massiv in erneuerbare Energien und hat
sich so beim Ökostrom-Ausbau den ersten Platz gesichert. Derzeit wird in China jede Stunde ein Windrad aufgestellt.
Doch auch in Europa gibt es au-ßergewöhnliche Entwicklungen. In Spanien wurde in den letzten Jah-ren so umfassend in Windenergie investiert, dass sich das Land vom Energieimporteur zum Energieex-porteur gewandelt hat. Gibt es ge-nug Wind, dann sind die Windparks der wichtigste Stromproduzent und decken mehr als die Hälfte des Be-darfs – zu geringeren Stromkosten, da der Rohstoff Wind ja gratis ist.
An sich eine sehr schöne Ge-schichte. Wer aber glaubt, dass sich jeder über diese Entwicklung freut,
Angesichts dieser Zahlen kann man fragen: Wo ist da die Revolution?
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der irrt: Die Betreiber von Atom- und Kohlekraftwerken haben Angst, aus dem Geschäft gedrängt zu werden, und fangen an, sich zu wehren. Die AKW-Betreiber verlan-gen zum Beispiel die Stilllegung von Windrädern, sobald genug Strom im Netz ist, damit ihre Kraftwerke unbeeinträchtigt weiterlaufen kön-nen. Die saubere Energie soll also der schmutzigen Energie den Vor-tritt lassen. Noch bunter treiben es die Kohlekraftwerke. Um ihre Pfründen zu verteidigen, wollen sie für Spanien einen verpflichtenden Anteil an Strom aus Kohle. Erneu-erbare Energien werden also nicht mehr belächelt, sondern bekämpft – was in der Gandhi-Lehre bedeu-tet, dass sie früher oder später ge-winnen werden.
Ignoranz in Österreich In Österreich sind wir noch nicht
so weit, hier werden die erneuerba-ren Energien leider erst ignoriert. Im selbst ernannten Umweltmus-terland rühmt man sich seit über 30 Jahren damit, ein Atomkraftwerk gebaut und anschließend nicht in Betrieb genommen zu haben. Diese Entscheidung (des Volkes, nicht der Volksvertreter) war natürlich gold-richtig. Aber seitdem hat die Ener-giepolitik keine Fortschritte ge-
macht. Ein Ziel ist kaum auszuma-chen – es gibt keinen Ausbau beim Ökostrom, Autobahnen werden ge-baut, als gäbe es für ewig genug Erd-öl, und beim jetzigen Tempo wird es ein ganzes Jahrhundert brauchen, bis das letzte Haus gedämmt ist. Dem mächtigsten Elektrizitätslob-byverband „Oesterreichs Energie“ fällt zur Stromzukunft nichts ande-res ein, als mehr Großwasserkraft-werke zu verlangen. Und wäre Zwentendorf damals in Betrieb ge-gangen, dann hätte Umweltminis-ter Berlakovich uns jetzt erklärt, dass es das sicherste Atomkraft-werk der Welt ist.
Wollen wir Österreicher dann kei-ne Energiewende? Doch! Dort, wo die Menschen selbst die Entschei-dungen treffen können, klappt es: Passivhäuser werden beim Hausbau allmählich zum Standard, es werden immer mehr Pelletsheizungen ge-kauft, und das Interesse an Solar-energie ist enorm hoch. Es ist die Po-litik, die es konsequent verabsäumt, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Problemfelder sind schnell aufgezählt: Eine unzuver-lässige Ökostrompolitik und eine mächtige Industrielobby mit Zugriff auf die Politik haben wirkliche Ände-rungen in der Energiepolitik bisher verhindert. Während in Bayern auf
jedem zweiten Stalldach Sonnen-strom erzeugt wird, ist in Österreich die Revolution in weiter Ferne.
Wo Deutschland nach der Katas-trophe von Fukushima deutlich in Richtung Energiewende aufbricht und damit neue Maßstäbe setzt, ist Österreich – noch – exemplarisch für die weltweite Situation: Wir wissen, dass eine Energiewende möglich ist. Wir wissen, wie die Umsetzung funktioniert. Aber es geht nur wenig weiter. Wo läuft da was schief?
Feinde der EnergiewendeWer Angst davor hat, in Bedräng-
nis zu kommen, der wehrt sich. Das gilt auch und ganz besonders für die beharrenden Kräfte rund um Öl, Uran und Steinkohle. Diese Kräfte dürfen nicht unterschätzt werden. Atomkraft zum Beispiel: Heute, 25 Jahre nach Tschernobyl und wäh-rend die Katastrophe in Fukushima nach wie vor andauert, hat die Atom-energie zwar ein ziemliches Image-problem – aber abschreiben kann man die Atomlobby noch lange nicht. In manchen Staaten, wie Frankreich oder Tschechien, ist der Glaube an Atomenergie wie eine Staatsreligion. Hier muss zuerst eine ganze Generation Politiker in Pensi-on gehen, damit sich neue Ideen durchsetzen können.
Auch die Ölindustrie hat keine Freude mit der Energiewende. Mehr als 60 Prozent des geförderten Öls werden im Verkehr verwendet, und in diesem Fall darf man ruhig sagen: verschwendet. Denn Verbrennungs-motoren haben in der Praxis einen Wirkungsgrad von kaum mehr als 25 Prozent. Von vier Litern Treib-stoff heizen also drei als nutzlose Ab-wärme die Atmosphäre auf. Aber so-wohl Öl- wie auch Autoindustrie ma-chen ein gutes Geschäft damit, und gemeinsam wehren sie sich gegen strengere Effizienznormen für Au-tos. Mit Erfolg, denn technisch wäre es schon längst möglich, 1- oder 2-Liter-Autos zu bauen. Aber die Au-toindustrie verdient mit kleineren Autos weniger als mit größeren, und die Ölindustrie will keinen Absatz-rückgang akzeptieren – also sind un-sere Straßen noch immer mit Sprit-fressern verstopft. Die Folgen für die Umwelt werden in den nächsten Jahren nur noch schlimmer werden.
Die herkömmlichen Ölfelder leeren sich allmählich, und so weicht die In-dustrie in immer sensiblere und schwer zugängliche Gebiete wie die Tiefsee oder die Arktis aus. Die Fol-gen einer Tiefsee-Ölkatastrophe ha-ben wir im Vorjahr im Golf von Me-xiko gesehen, und die nächste Katas-trophe findet vielleicht im Polarmeer statt, wenn die Ölindustrie nicht ge-stoppt wird.
Die „dreckigen Drei“ der konven-tionellen Energieversorgung Erdöl, Atomkraft und Steinkohle stecken tief in der Krise. Klimawandel, Um-weltverschmutzung, nukleare Katas-trophen – die Welt kann sich diese Energieversorgung schlicht nicht mehr leisten. Und trotzdem geht die Energiewende viel zu zaghaft über die Bühne. Dabei ist mittlerweile ziemlich genau bekannt, wie wir die Energierevolution schaffen können. Greenpeace hat für viele Staaten ausgerechnet, wie die Unabhängig-keit von Kernkraft, Erdöl und Stein-kohle funktioniert. Und egal ob für Österreich, die EU, Japan, die USA oder die ganze Welt – die Antwort ist immer gleich: Eine Energiewende ist möglich, und sie rettet nicht nur die Umwelt, sondern spart auch Geld. Wir wissen auch, wie die Um-setzung funktioniert. Energiever-schwendung und Umweltver-schmutzung müssen viel teurer wer-den als jetzt, und mit den Einnah-men muss der Ausbau von erneuer-baren Energien und Energiespar-maßnahmen finanziert werden. Tut man das konsequent, dann ist die Wende innerhalb einer Generation zu schaffen. Und die Energierevolu-tion ist gewonnen. ■
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„Start frei für die Energie-Revo-lution!“ – mit diesem Slogan und Nachbildungen von Windrädern forderten Aktivisten von Green-peace in Indien den Umstieg von schmutzigen auf erneuerbare Energien (gr. Bild l.). Die Lösungen für die Energiewende liegen bereits auf dem Tisch, nur die Umsetzung wird noch blockiert.
WAS TUN SIE FÜR DIE ENERGIEWENDE? Schreiben Sie uns entweder an act@greenpeace.at oder an: Greenpeace ,
Kennwort Energiewende, Fernkorn-gasse 10, 1100 Wien. Unter allen Einsendern verlosen wir 15 DVDs der sehenswerten Dokumentation „Die 4. Revolution – Energy Autonomy“.
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nung beträgt hier knapp 1.400 Atomkraftwerke weltweit. Das wür-de Dutzende Neubauten pro Jahr be-deuten – derzeit sind es weltweit zwei bis drei AKWs, die ans Netz ge-hen. Dieses Szenario allein ist schon vollkommen unrealistisch, wird aber gänzlich absurd, wenn man betrach-tet, wie viel Treibhausgasemissionen dieser massive Ausbau einsparen würde: gerade einmal sechs Prozent. Das wäre wohl die teuerste Art, um Emissionen einzusparen.
Atomkraft im SinkflugDer Anteil der Atomkraft am welt-
weiten Energiemix ist seit Jahren im Sinken begriffen. Nach Tschernobyl 1986 erlebte die Branche einen mas-siven Dämpfer, und durch Fukushi-ma wird der Ausbau der Atomener-gie noch weiter erschwert werden. In Ländern wie Deutschland, der Schweiz oder Italien wird es zu deut-lichen Verzögerungen kommen. Doch egal ob Atomkraft als Klima-schutzmaßnahme oder als Notwen-digkeit für die Wohlstandsentwick-lung der Dritten Welt – die PR-Ma-schinerie der Atomindustrie wird weiter alles versuchen, die Risiko-technologie als Sicherheit zu verkau-fen. Und in Ländern mit einem riesi-gen Energiehunger könnte sie dabei erfolgreich sein. n
Die Atom- RenAissAnce
pAssieRt AnDeRswo
Die PR-Strategen der Atomindustrie predigen seit Jahren die große Atom-Renaissance. Doch
bereits vor Fukushima blieb der propagierte AKW-Ausbau in Europa äußerst überschaubar.
Die Neubaupläne verlagern sich stattdessen immer mehr in die Entwicklungsländer.
Von Niklas schiNerl
Als kurz vor Ostern ein Anti-AKW-Aktivist in Indien von der Poli-zei erschossen wurde, markierte dies vorerst den traurigen Höhepunkt der immer heftigeren Proteste gegen ein geplantes Atomkraftwerk in Jai-tapur. Rund 400 Kilometer südlich von Mumbai soll noch in diesem Jahr mit dem Bau eines 9.900-Me-gawatt-Kraftwerks begonnen wer-den. Es wäre das größte Atomkraft-werk der Welt – der geplante Stand-ort liegt allerdings mitten in einer Erdbebenzone.
Nur logisch, dass die seit Jahren andauernden Auseinandersetzun-gen zwischen Anrainern und dem französischen Atomkonzern Areva nach den Ereignissen im japani-schen Fukushima erneut aufge-flammt sind. Die Angst der betroffe-nen Bewohner ist verständlich: 92 Erdbeben fanden zwischen 1985 und 2005 laut dem geologischen Dienst des Landes im Raum rund um Jaitapur statt. Zur Erinnerung: Beim aktuellen Reaktorunfall in Ja-pan führte ein Erdbeben und ein da-rauf folgender Tsunami zum Ausfall der Kühlsysteme in den Reaktoren 1–3 des AKW Fukushima und verur-sachte damit die größte atomare Ka-tastrophe seit Tschernobyl.
Die indische Regierung will den-noch nicht von dem atomaren Mam-
mutprojekt abrücken. Denn der volkswirtschaftliche Aufschwung, den Staaten wie Indien, China, Bra-silien oder Südafrika aktuell erleben, ist mit einem sprunghaften Anstieg ihres Energiehungers verbunden – und die europäische Atomindustrie rund um Areva und Westinghouse oder die russische Rosatom wollen diesen nur allzu gerne stillen.
Widerstand in EuropaDas Ausweichen in die Entwick-
lungsländer, um dort Atomkraftwer-ke zu bauen, gehörte in den letzten Jahren zur Kernstrategie der Ener-giekonzerne. Denn in Europa stößt die Atomindustrie nicht erst seit Fu-kushima in vielen Ländern auf mas-siven Widerstand. Von den vollmun-digen Ankündigungen einer Atom-Renaissance bleibt bei genauer Be-trachtung in Europa nicht viel übrig. Gerade mal vier Reaktoren sind am alten Kontinent tatsächlich im Bau. Zwei davon gehören zur neuen Ge-neration der europäischen Druck-wasserreaktoren, die als große Heils-versprechen der Atomindustrie an-gekündigt wurden. De facto stellen diese die Betreiber jedoch vor riesige Probleme. Die Standorte der neuen Reaktortypen im finnischen Olkilu-oto und im französischen Flaman-ville machen vorerst durch Verdop-
pelung der Baukosten, Verzögerun-gen und sicherheitsbedingte Bau-stopps von sich reden. Lediglich im slowakischen Mochovce wird fleißig an zwei Reaktoren weitergebaut – mit dem pikanten Nebenaspekt, dass sich hier die österreichische Baufirma Strabag AG federführend beteiligt. Andere europäische AKW-Projekte wie im rumänischen Cerna-voda oder im bulgarischen Belene scheitern trotz großer Ankündigun-gen wiederholt an der mangelnden Finanzierbarkeit. Denn die Atom-kraftwerke rentieren sich nur, wenn die Anfangsinvestitionen vom Staat mitgetragen werden. Aufgrund des heftigen Widerstands in vielen Staa-ten gegen Atomkraftwerke wagt es aber kaum ein Politiker, sich für sol-che Investitionen auszusprechen.
Europa ist also kein leichtes Pflas-ter für die Kernenergie – obwohl die Atomindustrie besonders hier inten-siv versucht hat, durch die Verknüp-fung mit dem Klimawandel wieder ins profitable Geschäft zu kommen. Dabei ist die Atomkraft als Waffe ge-gen den Klimakollaps nichts weiter als einer der übelsten PR-Tricks der Branche. Nuklearenergie leistet kei-nen Beitrag zum Klimaschutz. Die Leistung der Kernenergie müsste da-für in den kommenden Jahrzehnten vervierfacht werden, die Größenord-
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und Spanien, weil es dort keine EU-konforme Stromkennzeichnung gibt – und der Nachweis über die Herkunft des Stroms nicht benötigt wird.
Wer jetzt zu Recht denkt, dass die-se Stromwäsche eigentlich unlauter ist, wird vom Gesetzgeber allerdings im Stich gelassen. Die für die Über-wachung des österreichischen Strommarkts zuständige Regulie-rungsbehörde E-Control, die dem Wirtschaftsministerium eingeglie-
dert ist, nimmt die EVU in Schutz und bezeichnet die Verwendung von RECS-Zertifikaten als „Unterneh-mensgeheimnis“ – die interessierte Öffentlichkeit bleibt leider ausge-schlossen. Und die zuständige EU-Richtlinie, die besagt, dass „die Mit-gliedsstaaten dafür Sorge zu tragen haben, dass die Stromkennzeich-nung an die Konsumenten verläss-lich ist“, bleibt ebenfalls unerfüllt. Den Schaden haben wie so oft die Umwelt und die Konsumenten, die mit „Ökostrom“ aus atomaren und fossilen Quellen zum Narren gehal-ten werden. n
Schmutziger Strom auS begrünten SteckdoSenStrom aus atomaren und fossilen Quellen genießt keine hohen Sympathiewerte. Deshalb wird er gerne mit Zertifikaten zu „sauberem“ Ökostrom umetikettiert. Von Birgit Bermann
Strom kommt bekanntlich nicht aus der Steckdose. Seine ge-naue Herkunft zu ergründen kann aber zu einer detektivischen Meis-terleistung werden – besonders wenn man die österreichischen Energieversorgungsunternehmer (EVU) und ihren florierenden Han-del mit schmutzigem Atom- und Kohlestrom unter die Lupe nimmt. Zumindest in den Marketingabtei-lungen der EVU dürfte sich die Er-kenntnis, dass Strom aus atomaren
und fossilen Quellen nur äußerst ge-ringe Sympathiewerte einfährt, durchgesetzt haben. Folglich lassen die dort produzierten „Info“-Bro-schüren den Anteil an schmutzigem Strom im Energiemix der Unterneh-men auf wundersame Weise fast ver-schwinden.
Freilich geht das nur auf dem Pa-pier. Tatsache ist, dass durch Öster-reichs Stromnetz eine gewaltige Menge an Kohle- und Atomstrom fließt. Die Regulierungsbehörde E-Control weist für Österreich einen Atomstromanteil von sechs Prozent aus, Greenpeace kommt in seinen
Berechnungen mit 14 Prozent auf mehr als das Doppelte. Die Zahlen der EVU dagegen tendieren stark ge-gen null – Grünfärberei ist auch in der Strombranche ein gern genütz-tes Unternehmenskonzept. Auch bei der Nutzung fossiler Energien präsentieren sich die EVU sauberer, als sie tatsächlich sind: Ein einge-räumter Anteil von einem Viertel an schmutziger Energie steht einem tatsächlichen Anteil von einem Drit-tel gegenüber.
Atom- und Kohlestrom – spurlos verschwunden? Licht ins Stromdun-kel bringt ein Blick auf den Handel mit Stromzertifikaten und Her-kunftsnachweisen, wie zum Beispiel im Rahmen des Renewable Energy Certificate System, kurz RECS ge-nannt. RECS-Zertifikate werden für sauberen Strom aus erneuerbaren Quellen ausgegeben und sind frei handelbar – allerdings wird nur der Nachweis über den sauberen Strom gehandelt, nicht der Strom selbst. Wer Zertifikate erwirbt, kauft kei-nen sauberen Strom aus erneuerba-ren Energien, sondern nur den
Nachweis, dass irgendwo pro Zertifi-kat eine bestimmte Menge Strom aus regenerativen Quellen erzeugt worden ist.
In der Praxis kann es dann so aus-sehen: Ein Stromversorger kauft beim tschechischen Temelín-Betrei-ber CEZ eine bestimmte Menge Strom billig ein. Gleichzeitig werden z. B. bei einem schwedischen Was-serkraftbetreiber Zertifikate dazu-gekauft – ebenfalls billig, weil das Angebot der RECS die Nachfrage
deutlich übersteigt. Damit kann der tschechische Atomstrom legal und kostengünstig umetikettiert werden – aus schmutzigem Atomstrom wird sauberer, grüner Ökostrom. Diese legale Trickserei erklärt, warum die EVU viel mehr Wasserkraft auswei-sen können, als sie aus ihren eigenen und den Bezugsrechten aus anderen Kraftwerken beziehen.
Der wirkliche Erzeuger des saube-ren Stroms verliert mit dem Verkauf von RECS-Zertifikaten das Recht, seinen Strom als Ökostrom zu kenn-zeichnen. Die meisten Zertifikate stammen aus Schweden, Norwegen
Die Grünfärberei ist auch in der Strombranche ein oft und gern genütztes Unternehmenskonzept.
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ENERGIE IN ZAHLEN Ein Zahlenmix für die Grundorien-tierung im Energie-Dschungel.
Der Kontinent mit der geringsten Anzahl an Atomkraftwerken ist Aus-tralien: Hier steht kein Meiler. Knapp dahinter folgt Afrika mit einem AKW (zwei Reaktoren) in Südafrika.
Weltweit gibt es exakt null Endla-gerstätten für Atommüll. Langfristi-ge Lösungen sind jedoch dringend gefragt: Das in Brennelementen ver-wendete Plutonium-Isotop-239 hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jah-ren. Jedes der weltweit 443 AKWs produziert pro Jahr zwischen 30 und 40 Tonnen radioaktiven Müll. Seit Inbetriebnahme des ersten Atom-
kraftwerks 1954 (Obninsk in Russ-land, Leistung: 5 MW) sind rund 300.000 Tonnen verstrahlter Müll durch die Nutzung von Kernenergie entstanden.
Es geht aber auch sauberer: Das weltweit größte Gezeitenkraftwerk mit einer Kapazität von 150 MW entsteht an der Küste Südkoreas. Es kann den Strombedarf von 100.000 Haushalten decken. Neben Ebbe und Flut lassen sich auch Wellen und Meeresströmungen zur Energiege-winnung nutzen. Insgesamt schätzt man das Energiepotenzial des Mee-
res auf 1.100 GW – so viel, wie rund 1.000 Kernkraftwerke leisten.
Klein- und Großwasserkraft sind die weltweit am stärksten genutzten erneuerbaren Energieformen. Was-serkraft ist zwar emissionsfrei, je-doch mitunter ökologisch bedenk-lich, wie in China: Der Drei-Schluch-ten-Staudamm ist mit 3.035 Meter Länge und 185 Meter Höhe das größte Wasserkraftwerk der Welt, seine Leistung liegt bei 18,2 GW. Für den Bau des Megaprojekts wurden 1,3 Millionen Menschen umgesie-delt und ganze Landstriche geflutet.
Das leistungsstärkste Wasser-kraftwerk Österreichs, die Malta-Hauptstufe, liefert 730 MW. Neben großen Wasserkraftwerken produ-zieren in Österreich mehr als 2.600 Kleinwasserkraftwerke Strom.
Unschlagbar ist das Potenzial der Sonne: Die Gesamtleistung der auf die Erde einstrahlenden Sonne liegt bei 174 PW (ein Petawatt entspricht 1.000.000 Gigawatt, ein Gigawatt ei-ner Milliarde Watt). 80 MW Leistung erbringt die größte Photovoltaikan-lage der Welt im kanadischen Sarnia.
Das weltweit größte Windrad –
KANADA 15 %
FRANKREICH 15 %
RUSSLAND 18 %
GROSSBRITANNIEN 18 %
DEUTSCHLAND 29 %
UKRAINE 49 %
SCHWEDEN 37 %
SPANIEN 18 %
SÜDAFRIKA 5 %
BELGIEN 52 %
TSCHECHIEN 34 %
SLOWAKEI 54 %
BULGARIEN 36 %
FINNLAND 33 %
SCHWEIZ 40 %
RUMÄNIEN 21 %
NIEDERLANDE 4 %
ITALIEN 0 %
UNGARN 43 %
ARMENIEN 45 %
SLOWENIEN 38 %
LITAUEN 0 %
USA 20 %
MEXIKO 5 % ARGENTINIEN 7 %
BRASILIEN 7 %
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Energiemix weltweit (Anteil an Stromerzeugung im Jahr 2008)
Top 5 Windkraft
Legende
Erneuerbare Energien
Erneuerbare EnergienKapazität insgesamt weltweit1.226 GW (2008 -7 %) *
Nachstehende Länder im Vergleich (Stand 2009)
USA EU
China
Japan Indien
USA 35,1 GW +10 GW 2009
Wind 159 GW +38 GW 2009
Photovoltaik 21 GW +7 GW 2009
Biomasse 54 GW +2 GW 2009
Geothermie 11 GW +0,4 GW 2009
Solarthermie 0,7 GW +0,2 GW 2009
Gezeitenkraftwerke 0,3 GW
Wasser 980 GW +33 GW 2009
China 25,8 GW +13,8 GW 2009
Deutschland 25,8 GW +1,9 GW 2009
Spanien 19,2 GW +2,5 GW 2009
Indien 10,9 GW +1,3 GW 2009
Top 5 Photovoltaik Deutschland 9,8 GW +3,8 GW 2009
Spanien 3,4 GW +70 MW 2009
Japan 2,6 GW +480 MW 2009
USA1,2 GW +430 MW 2009
Italien 1,1 GW +710 MW 2009
EU-27 (Stand 2009), 235,3 GW insgesamt
127 GW
75 GW
16 GW16 GW
divers:0,8 GW Geothermie 0,2 GW Solarthermie0,3 GW Gezeiten
Indien (Stand 2009), 49,4 GW insgesamt
37 GW
10,9 GW1,5 GW
Japan (Stand 2009), 56,3 GW insgesamt
51 GW
2,1 GW2,6 GW
diverse:0,5 GW Geothermie 0,1 GW Biomasse
USA (Stand 2009), 144 GW insgesamt
95 GW
35,1 GW
9 GW1,2 GW
3,2 GW Geothermie0,5 GW Solarthermie
China (Stand 2009), 226,4 GW insgesamt
197 GW
25,8 GW
3,2 GW0,4 GW Photovoltaik
Nuklearenergie: 13 %
Fossile Energie: 69 %
Erneuerbare Energien: 18 %,
aufgeteilt in: Wasserkraft 15 %
und andere Erneuerbare 3 %
(Photovoltaik/Windkraft
Geothermie/Biomasse)
Wind
Wasser
Biomasse
Photovoltaik
AKW GEGEN EE Atomkraft und erneuerbare Energien (EE) – über keine anderen Formen der Energieerzeugung wird derzeit mehr geredet. Der weltweite Vergleich zeigt: Die Erneu-erbaren haben mit 18 Prozent Anteil an der globalen Stromerzeugung die Nase vorn. Kernkraft hält mit 443 Meilern bei 13 Prozent.
In der EU, den USA, Indien oder Japan setzt man stark auf den Ausbau erneuerbarer Energien. Derzeit stemmt in den genannten Ländern die Wasserkraft (inklusive Kleinwasserkraft) den überwiegenden Teil der erneuerbaren Stromerzeugung. China fährt eine doppelte Strategie, um seinen riesigen Energiehunger zu stillen: Zum einen wird die Atomkraft ausgebaut, zum anderen wird in erneuerbare Energien investiert. Das Land hat sich mit 226,4 GW zum weltweit zweitgrößten Erneuerbaren-Schauplatz gemausert. Den höchs-ten Anteil an der Stromerzeugung haben regenerative Energieformen in der EU-27 (235 GW).
Gesamthöhe: 198 Meter – dreht sich in Deutschland (Rheinland-Pfalz). Der Stahlbetonturm, auf dem das Windrad und die Turbine angebracht sind, wiegt 2.800 Tonnen und ist 131 Meter hoch. Die Windkraftanlage schafft eine Leis-tung von 7,5 MW.
Alles Bestreben um den Ausbau der Erneuerbaren nutzt jedoch nichts, wenn der Energieverbrauch nicht deut-lich reduziert wird. Schaffen die EU-Länder eine Energiewende samt Ener-gieeffizienz, könnten sie sich im Jahr 2050 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energieressourcen versorgen. ■
Jedes Quadrat entspricht einem Reaktor Stand 2011
JAPAN 29 %
SÜDKOREA 35 %
IN BETRIEB
AUSBAU GEPLANT
WIEDEREINSTIEG GEPLANT
AUSSTIEG VERSCHOBEN
STAGNIERT
WELTKARTE
ATOMKRAFT WELTWEIT
IN PLANUNG
% ENTSPRICHT DEM ANTEIL AN DER STROMERZEUNG
IN BAU
STILLGELEGT
INDIEN 2 %
CHINA 2 %
TAIWAN 21 %
PAKISTAN 3 %
IRAN 3 %
KASACHSTAN 0 %
Stand 2009, Quellen: Renewable Energy Policy Network for the 21st Century, IAEA, Eurostat, EREC
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Die Neue Welt Der eNergieN Nach Fukushima ist die Welt eine andere. Die nukleare Katastrophe muss den Wende-punkt für eine Neuausrichtung unseres Energiesystems markieren. Von Bernhard OBermayr
Fukushima darf nicht nur als Synonym für eine der größten Atomkatastrophen in die Geschichte eingehen. Es soll vor allem als Auslöser für eine Neuorientierung der Energiepolitik in Erinnerung bleiben. Deutschland und Rumänien, zwei völlig unterschiedliche europäische Länder, könnten bei entsprechendem politischen Willen hierfür beispielgebend sein.
Eigentlich hätte es ja nach Tschernobyl mit der Atomindustrie vorbei sein sollen. Und wirklich war jahrelang kein neues AKW irgendwo auf der Welt durchsetzbar. Doch getrieben von den hohen Profiten, die sich für die Atomindustrie auf Kosten der Allgemeinheit erzielen lassen, wurde erfolgreich zu einer zynischen Gegenoffensive ausgeholt: Wegen dem Klima brauchen wir angeblich Atom. Das ist Unsinn, in Wirklichkeit behindert Atom den Ausbau von Erneuerbaren. Politiker sprangen aber reihenweise auf diesen Zug auf und ließen sich von den Lobbys aus der Energiewirtschaft mit entsprechenden Studien und Materialien versorgen. Je näher diese Politiker der Energiewirtschaft standen – die sowohl Kohle als auch Atom im Angebot haben –, desto bereitwilliger wurden die falschen Argumente von Atomkraft für den Klimaschutz nachgebetet.
Und dann kam Fukushima!Plötzlich, von einem Tag auf den
anderen, war die Energiewelt doch wieder eine andere. Das atomare Risiko strahlte von Japan in die Regierungskanzleien vieler Länder. Insbesondere in Deutschland versuchen sogar die radikalsten Befürworter der Atomenergie, sich plötzlich in antiatomarer Rhetorik zu übertreffen. Auf einmal muss der gerade noch rückgängig gemachte Atomausstieg beschleunigt vollzogen werden. Noch
versucht die CDU/FDPRegierung zu tricksen und klare Festlegungen zu vermeiden, doch der Druck nimmt zu: Atomausstieg sofort und die Energielücke durch erneuerbare Energieträger und mehr Effizienz schließen, lautet das neue Credo. Das würde über Deutschland hinaus Bedeutung haben, denn damit wird gezeigt, dass ein hoch entwickeltes Industrieland die Energierevolution durchführen kann.
Vorbild rumänien Anders in Rumänien. Wie in vie
len Ländern wurde das Risiko der eigenen AKWs mit dem Verweis auf fehlende Tsunamis weggewischt, und die öffentliche Debatte hat nie die Größe und Emotionalität wie etwa in Deutschland erlangt. Und trotzdem kann Rumänien Energiegeschichte schreiben. Die geplanten neuen Atomreaktoren werden immer unrealistischer. Grund ist natürlich auch einiges an Widerstand – populär ist Atom auch dort nicht –, aber vielmehr die rasante Entwicklung alternativer Energieformen. Jeden Monat gibt es neue Rekordprojekte beim Ausbau von Wind und Solar, wie aktuell gerade bei Bistrita, wo demnächst die größte Solaranlage Südeuropas gebaut wird. Wer solche geografischen Bedingungen wie Rumänien hat, braucht keine Nuklearenergie. Eine Mischung aus politischen Rahmenbedingungen und Unterstützung für die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen (so ist das rumänische Leitungsnetz etwa heillos veraltet), und Rumänien kann ein Modell beim Umstieg von schmutziger zu sauberer Energie sein. Die meisten Investoren sehen das bereits, sie steigen aus dem Atomausbau aus und investieren lieber in Wind und Sonne.
Und genau so läuft die Entwicklung weltweit. Atom hatte nie die Ka
pazität, um global die Energieversorgung zu garantieren, und hat durch die jüngsten Ereignisse massiv an Unterstützung verloren. Kohle kann nicht die Antwort sein. Die Lösungen liegen mit den rasch wachsenden erneuerbaren Energien auf dem Tisch, und überall dort, wo sich die Politik aus der Geiselhaft der Atom und Kohlemafia befreien kann, werden sie erfolgreich ausgebaut.
Daher kann Fukushima ein Wendepunkt in der europäischen Energiepolitik sein. Je mehr Länder aus Atom aussteigen, desto stärker wird der Ausbau von Erneuerbaren vorangetrieben. Damit müssen auch die notwendigen Infrastrukturinvestitionen getätigt werden, um das volle Potenzial der sauberen Energien nützen zu können. Damit würden auch die Preise deutlich sinken. Dann sind wir an dem Punkt, wo die große Energierevolution machbar ist. Das ist alles andere als ScienceFiction, sondern bei entsprechenden politischen Weichenstellungen gelebte Verantwortung in diesem Jahrzehnt. Hoffentlich rasch genug, um nicht zu Tschernobyl und Fukushima einen dritten Namen in die Schreckensgeschichte der Atomkraft hinzufügen zu müssen. n
»Überall, wo sich die Politik aus der Geiselhaft der Atom- und Kohle- mafia befreien kann, werden erneuerbare Energien erfolgreich ausgebaut.«
Bernhard obermayr ist Kampagnen-direktor bei
Greenpeace CEE
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»Österreich spielt stets die rolle des Bremsers«Der ausbau der erneuerbaren stockt hierzulande. energie-experte erwin Mayer erklärt, wie das system der sozial- partnerschaft die energiewende in Österreich blockiert. IntervIew: Birgit Bermann
Wie erfolgreich ist Österreichs Anti-Atom-Politik? Es gibt einen großen poli-tischen Konsens, dass man gegen Atomenergie zu sein hat, und daran halten sich alle Parteien. Was aber kon-kret fehlt, ist, dass jene Prozesse in Eu-ropa angesprochen werden, die die Atomenergie und die fossile Energie unterstützen. Österreich hat ja eine Stimme und könnte auf die Energie-wende in Europa Einfluss nehmen. Aber das wird nicht nur nicht getan, sondern Österreich spielt hier stets die Rolle des Bremsers bei der Energiewen-de hin zu 100 % erneuerbaren Energien.
Was sind die Gründe dafür? Die Re-gierung ist ganz stark Spezialinteres-sen, Lobbys und Klientelen verpflich-tet, und in der Klima- und Energiepoli-tik spielt die Sozialpartnerschaft eine sehr zentrale und im Gegensatz zur Lohn- und Gehaltspolitik und bei klas-sischen Arbeitskonflikten eine sehr negative Rolle. Auf der einen Seite die Industriellenvereinigung und die Wirt-schaftskammer, die niedrige Energie-preise – und damit eben auch Atom-stromimporte – als Voraussetzung für Wachstum, Wohlstand, Beschäftigung und den Industriestandort Österreich sehen. Auf der anderen Seite sind Ar-beiterkammer und ÖGB, die historisch bedingt Sozialpolitik auch als eine Poli-tik der niedrigen Energiekosten verste-hen. Überspitzt gesagt, ist das Sozialpo-litik an der Tankstelle und am Strom-zähler. Diese beiden Interessen geben einen Konsens gegen die Energiewen-de, und der führt dazu, dass Österreich bei einem zwar historisch bedingt ho-
hen Niveau an erneuerbaren Energien keine aktuell klare Entwicklung nach oben aufzeigt. Wir sind jetzt dort, wo wir vor zwanzig Jahren waren.
Ruhen wir uns auf diesem hohen Ni-veau aus? Das ist der Punkt. Wir waren von der Natur begünstigt, deshalb ha-ben wir in Österreich immer erneuerba-re Energie wie Wasserkraft und Bio-masse genutzt. Das hatte aber nie et- was mit Umweltschutz und schon gar nichts mit Anti-Atom-Politik oder Kli-maschutz zu tun. Und heute wird das Nichtstun bei den Alternativenergien damit gerechtfertigt, dass wir im euro-päischen Vergleich punkto Anteil an er-neuerbaren Energien unter den ersten drei Ländern sind.
Wird die Energiewende in Öster-reich verhindert? Definitiv. Diese Kon-fliktlinie ist stark, da geht es um viel. Wenn man die Klimaziele erhöhen wür-de, dann würde man damit die CO2-Preise erhöhen. Das würde einen star-ken Anreiz geben, die Energiewende in Österreich voranzutreiben. Aber das soll verhindert werden, weil die Indust-rie sagt, dass dann der Standort gefähr-den ist und damit auch ein Verlust von Arbeitsplätzen droht. Und hier geht es wirklich zentral um die VOEST, denn die gestaltet ganz massiv die österrei-chische Klima- und Energiepolitik. Das Schlagwort heißt dann Entindustriali-sierung Europas. Dabei gäbe es bessere Antworten wie CO2-Grenzsteueraus-gleiche, die Stahl, Zement etc. mit dem gleichen CO2-Preis belegen wie in Euro-pa produzierte CO2-intensive Güter. Energiewende und Industrie in Europa wären vereinbar.
Was ist mit dem Rest der Wirtschaft, die von der Energiewende profitieren würde? Die Energiewende bringt der Wirtschaft mehr Vorteile als Nachteile. Aber in Österreich geht ein Klima-schutzziel oder ein CO2-Steuervor-schlag von der Regierung direkt an die Sozialpartnerschaft. Dort wird es an die Fachverbände weitergegeben und lan-det dann bei der CO2- und energieinten-
siven Industrie, denn am stärksten zählt die Stimme des am meisten negativ be-troffenen Fachverbands. Jene, die kaum oder sogar positiv betroffen sind, wer-den kaum gehört. Die Position des Ge-samtverbands bei höheren Klima-schutzzielen wird also bestimmt von VOEST, OMV und dem Verbund in „Ös-terreichs Energie“, vormals VEÖ. Das ist das Demokratieversagen innerhalb der Verbände, weil sie nicht repräsentativ für die Gesamtwirtschaft sind. Es gibt sowohl bei den Wirtschaftsverbänden als auch bei den Arbeitnehmerverbän-den zahlreiche ökologisch orientierte Personen und Teilorganisationen, die aber bislang nicht die Verbandsinteres-sen wesentlich beeinflussen konnten.
Wo bleibt das Interesse des Landes? Sie haben die Zwangsmitgliedschaft in den Kammern zur Verfügung, sind am Gesetzgebungsprozess beteiligt und fi-nanzieren im hohen Ausmaß die Partei-en. Damit ist gesichert, dass das Ver-bandsinteresse Österreichs Interesse ist. Das geht dann so weit, dass in inter-nationalen Gremien die Sozialpartner selber verhandeln. Bei den Verhandlun-gen für die CO2-Obergrenzen für die Automobilindustrie zum Beispiel saß ein Vertreter der Automobilindustrie für die Republik in Brüssel. Und das ist nicht mal ein Einzelfall.
Wie kann man das System aufkna-cken? Es braucht eine Reform der Sozi-alpartner, man müsste dort Urabstim-mungen durchführen. Und noch viel wichtiger: mehr Sachentscheidungen durch das Volk mittels Volksabstim-mungen auf österreichischer und euro-päischer Ebene treffen. Denn die Bevöl-kerung und große Teile der Wirtschaft sind in vielen Dingen schon sehr viel weiter, aber wenn alles in den Händen der Regierung bleibt, die so sehr ihren Lobbys verpflichtet ist, wird sich auf ab-sehbare Zeit nichts ändern. Dass die So-zialpartner die Klima- und Energiepoli-tik so beeinflussen können, ist sehr schlecht für Österreich, den Klima-schutz und die Anti-Atom-Politik. n
»energie-wende und
Industrie in europa
wären vereinbar.«
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erwin Mayer ist Klima- und energieexperte bei denkstatt, Unternehmens- beratung für nachhaltigkeit in wien.
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Der Kampf um Den paraDise forest
Für den Anbau von Palmöl rodet der Konzern Sinar Mas den indonesischen Urwald. Greenpeace macht dem mächtigen Unternehmen einen dicken Strich durch seine profitable Rechnung. Von Lisa Begeré
Die Inselketten Indonesiens sind von mangrovengesäumten Meeresbuchten um-geben und von tropischem Urwald bewach-sen. Dieser Dschungel ist Lebensraum von Tigern, Elefanten und den letzten Orang-Utans. Dort verbringen auch die Ureinwoh-ner Indonesiens ihr traditionelles Leben im Einklang mit der Natur.
Während Sie diesen Satz lesen, wird eine fußballfeldgroße Fläche dieses Urwalds für immer vernichtet. Alle zwei Sekunden, Tag für Tag. Urwälder haben sich über Millio-nen von Jahren entwickelt und stellen ei-nen der größten Reichtümer unserer Zeit dar. Zwei Drittel aller Tier- und Pflanzenar-ten sind in den Tropenwäldern dieser Erde zu Hause. Doch bereits 80 % der weltweiten Urwaldbestände wurden zerstört. Dieser Verlust in einem Teil der Welt ist auch in an-deren Teilen spürbar, denn die Wälder die-nen als CO2-Speicher, Klimastabilisator und Wasserreservoir. Intakte Waldsysteme sind unerlässlich für unseren Planeten.
Indonesien beheimatet einen dieser Schätze, den Paradise Forest. Neben dem Urwald im Kongo und dem Amazonasge-biet ist der Paradise Forest der letzte ur-sprüngliche Tropenwald der Welt. Doch der indonesische Konzern Sinar Mas und seine Tochterunternehmen – der Papiergigant Asia Pulp & Paper (APP) und das Palmölun-
ternehmen Golden Agri Resources (GAR) – dringen immer tiefer in den Urwald vor, um seine Ressourcen auszubeuten und Platz für Plantagen zu schaffen.
Durch die steigende Nachfrage nach Palmöl wird die Rodung des Paradise Forest für Sinar Mas noch profitabler. Das subtro-pische Klima Indonesiens bietet der Öl-palme optimale Anbaubedingungen, die Früchte gedeihen hier ganzjährig. Palmöl ist das günstigste Pflanzenöl auf dem Welt-markt und wird in der Produktion von Le-bensmitteln, Seifen oder Kosmetika einge-setzt und ist zudem auch der pflanzliche Energieträger Nummer eins für Kraftstoff-beimischungen.
Ödnis statt ParadiesBrandrodung des Regenwaldes ist der
einfachste Weg, schnell neue Plantagen zu erschließen. Was bleibt, ist eine Wüste von totem Wald ohne Tiere und Menschen, die darin leben können, denn Palmölplantagen sind Monokulturen. Im Gegensatz zu Sinar Mas profitieren die Einheimischen nicht von der Zerstörung ihrer Wälder. Sie verlie-ren ihr Land und können ihre Lebensweise nicht fortsetzen. Es fehlt ihnen an Nah-rungsmitteln, denn sie benötigen die Wäl-der, um ihren Lebensunterhalt zu bestrei-ten. Sie erhalten auch keine Entschädigung
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vom Staat, denn Indonesien erkennt die Rechte der indigenen Bevölkerung nicht an.
Illegale Rodungen von Torfland und hoch schützenswerten Waldgebieten gehö-ren für Sinar Mas zur Tagesordnung. Ge-meinsam mit den Ureinwohnern setzt sich Greenpeace daher aktiv für den Schutz des Tropenwaldes ein – indem wir nachfor-schen, dokumentieren und aufdecken. Über skrupellose und umweltfeindliche Vorgehensweisen des berüchtigten Groß-konzerns haben wir bereits mehrfach be-richtet. Das Verbreiten dieser Informatio-nen bildete die Grundlage, um bei Sinar Mas und seinen Geschäftspartnern eine Ände-rung ihrer Unternehmenspolitik zu bewir-ken. Gleichzeitig werden Konsumenten dazu motiviert, verstärkt urwaldschonen-de Produkte nachzufragen und eine Ände-rung der Produktionsweise einzufordern.
Öffentlicher Druck schützt Genau dies geschah letztes Jahr mithilfe
des öffentlichen Drucks unserer Unterstüt-zer. Internationale Konzerne wie Nestlé und Unilever haben daraufhin ihre Palmöl-beschaffung aus Indonesien überdacht. Je mehr Unternehmen ihre Verträge mit dem Lieferanten Sinar Mas kündigen oder auf Eis legen, umso mehr steigt der Druck auf das Unternehmen, seine Geschäftspolitik nachhaltig zu verändern.
Der öffentliche Druck zeigte seine ge-wünschte Wirkung. Im September letzten Jahres kritisierte auch der „Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl (RSPO)“ das Sinar-Mas-Palmölunternehmen GAR für seine mangelhaften Umwelt- und Sozialstan-dards. Im Februar veröffentlichte GAR dar-aufhin selbst einen Aktionsplan zum Schutz des Regenwaldes.
Nach vier Jahren Kampagnenarbeit für die Rettung des Paradise Forest geht es nun in die entscheidende Phase. Indonesiens berüchtigter Großkonzern Sinar Mas ist
scheinbar einsichtig. Wenn sein Palmölun-ternehmen GAR diesmal zu seinem Wort steht, sind große Flächen des Regenwaldes zukünftig geschützt. Doch muss Sinar Mas die Bedingung „Kein Palmöl aus Urwaldzer-störung in der Lieferkette“ erst erfüllen. Für Entwarnung ist es noch zu früh.
Greenpeace wird die Umsetzung des er-wirkten Aktionsplans genauestens beob-achten, denn so begrüßenswert die Ein-sicht auch ist, der Palmölproduzent ist nur ein Teil des riesigen Sinar-Mas-Konzerns. Die Papiersparte APP wird von dem neuen Waldschutzplan nicht erfasst. Auf der in-ternationalen Papierfachmesse „Paper-world“ haben Aktivisten dem Urwaldzer-störer deshalb kürzlich die Goldene Ketten-säge überreicht. Wir fordern weiterhin alle Abnehmer von Papier und Verpackungen auf, APP als Lieferanten auszuschließen. Endverbraucher werden parallel darin be-stärkt, beim Kauf von Holz- und Papierpro-dukten auf das FSC-Gütesiegel zu achten.
Den Fortschritt der Verhandlungen über den Paradise Forest verdanken wir auch un-seren Unterstützern. Was öffentlicher Druck Hunderttausender engagierter Menschen bewirken kann, zeigen auch die Erfolge unserer anderen Waldkampagnen. Der kanadische Great Bear Forest steht nach langjährigen Verhandlungen und in-tensiver Kampagnenarbeit bereits seit zehn Jahren unter Schutz, und in Finnland konnten 80.000 Hektar Urwald geschützt werden (siehe 01/11).
Diesen großartigen Erfolgen müssen sich weitere anschließen. Denn durch die Abholzung der einzigartigen Urwälder wird nicht nur der Lebensraum für Mensch und Tier vernichtet, wir zerstören damit auch die Lunge unseres Planeten. Deshalb plä-diert Greenpeace trotz der bereits erzielten Erfolge weiterhin für ein vollkommenes Ende der Abholzung von sensiblen Waldge-bieten ab spätestens 2020. n
Eines der letzten und wertvollsten Urwald-gebiete der Erde ist in Gefahr. Der Paradise
Forest in Indonesien wird für den Anbau von Palmöl zerstört (großes Bild, kl. Bild
r.).Seit vier Jahren steht Greenpeace beim Kampf um die Heimat der letzten Orang-
Utans (kl. Bild ganz r.) an vorderster Front. Seitdem wurden viele Teilerfolge erzielt, ein endgültiges Einlenken des Urwaldzerstörers
Sinar Mas kann erreicht werden.
18 act
ErfolgsgEschichtE mit grossEn AusnAhmEn
In der Nanotechnologie steckt viel Hoffnung. Autos sollen in Zukunft mit Batterien fahren, deren Energiedichte durch Nanotechnologie entscheidend er-höht wurde. Der Strom dafür soll aus Solar-zellen mit Nanobeschichtungen stammen. Materialien sollen fester und leichter wer-den, von Sportgeräten über Häuser bis hin zu Flugzeugen. Große Hoffnungen gibt es auch in der Medizin, wo die winzigen Teile
Medikamente zielgerichtet im Gewebe freisetzen sollen.
Das alles soll Nanotechnologie können – große Versprechungen für sehr, sehr winzi-ge Teile. Sehr viel Geld wird im Moment in die Erforschung der scheinbar unendlichen Anwendungsmöglichkeiten gesteckt. Und erste Konzerne machen auch schon satte Gewinne.
Ein Nanometer ist der millionste Teil ei- Foto
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Winzige teile erobern unser Alltagsleben. egal ob in sonnenschutzmitteln, elektronikartikeln oder Verpackungen – Nanotechnologie macht sich überall breit. Doch die Gefahren in der Anwendung sind kaum bekannt. Von RobeRt KoRbei
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nes Millimeters. Ein solch winziger Teil ei-nes Stoffes ist ein Nanopartikel. Und die Nanotechnologie als gezielte Anwendung wiederum verkleinert Materialien so stark, dass durch das veränderte Verhältnis von Oberfläche und Volumen andere physikali-sche Kräfte das Verhalten des Stoffes be-stimmen. Dadurch nehmen in der Nanodi-mension altbekannte Stoffe für sie voll-kommen neue Eigenschaften an – die Win-zigkeit wird also zur großen Unbekannten. Silber beispielsweise hat in Nanoform eine bakterientötende Eigenschaft. Kühl-schränke, Computer, Socken oder Haus-haltsgeschirr werden deshalb mit Silber-teilchen in Nanogröße beschichtet.
Mit den neuen, veränderten Eigen-schaften der Nanopartikel gehen die Prob-leme aber erst so richtig los. Bewährte Stoffe müssen vollkommen neu unter-sucht werden, um ihre Unbedenklichkeit
unter Beweis zu stellen. Denn die Anwen-dung von Nanotechnologie bleibt nicht auf die eingangs beschriebenen Anwen-dungsgebiete beschränkt, sondern erobert auch zunehmend sehr sensible Produkt-bereiche, in denen ein oft nur vermeintli-cher Nutzen größeren Risiken gegenüber-steht: Nahrungsmittel, deren Verpackung und Kosmetikprodukte.
Die Lebensmittelhersteller sind beson-ders an Nanotechnologie interessiert, weil durch den Einsatz der Winzlinge Produkte gezielt verändert werden können: Obst
und Gemüse bleiben länger haltbar, Ge-schmack kann beliebig eingestellt werden, die Verarbeitung wird einfacher, und sogar die Kennzeichnung für Produzenten und Händler soll revolutioniert werden.
Aber die Forschung hinkt der Nanotech-nologie-Praxis weit hinterher. Zentrale Fragen bleiben trotz breiter Anwendung von Nanotechnologie offen: Welche Aus-wirkungen hat Nanotechnologie auf die Gesundheit und auf die Umwelt?
Trotz einiger Bemühungen können wir KonsumentInnen uns nicht auf die Rege-lungen der EU verlassen. Bei einem Prü-fungsverfahren der EU werden die vorge-schriebenen Daten meist von den Produ-zenten der Produkte selbst zur Verfügung gestellt. Untersucht wird allerdings nur, was verlangt wird. Eine Unterscheidung nach Größe wird aber nicht verlangt. Bis heute hat sich die EU noch nicht einmal
auf eine Definition des Begriffs Nanotech-nologie geeinigt, eine Grundvorausset-zung, um mögliche Risiken einer Prüfung unterziehen zu können. Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz, denn wider besseres Wissen wird so getan, als ob das, was im Mikrometerbereich gut ist, bei Nano nicht schlecht sein kann.
Nano in Sonnencremen Zum Beispiel Titandioxid: Das wird un-
ter anderem in Sonnenschutzmitteln als UV-Filter benutzt, um eine Alternative zu den chemischen Filtern zu haben. Im Mik-rometerbereich ist Titandioxid ein zer-mahlenes Gestein, das als weißer Farb-stoff in Lebensmitteln seit vielen Jahren unbedenklich angewendet wird.
Im Nanometerbereich ist Titandioxid ein durchsichtiger Stoff, der unter UV-Strahlung freie Radikale erzeugt und in Zellen und Geweben oxidativen Stress und chronische Entzündungen auslöst. Das bedeutet, dass vor allem chronische Schäden und Langzeitfolgen untersucht werden müssten Darüber hinaus schädigt Titandioxid in Nanoform die Umwelt, vor allem Mikroorganismen und Algen in Ge-wässern.
So einen Stoff in Sonnenschutzmitteln einzusetzen ist an und für sich keine gute Idee. Die Produzenten berufen sich aber auf die Unbedenklichkeitserklärung durch die EU. Diese Untersuchungen beziehen sich aber eben noch auf die größeren Partikel.
Unser heutiger Wissensstand dazu ist folgender: Zwar haben viele Studien erge-
ben, dass die gesunde Haut eine ausreichen-de Barriere gegen das Eindringen der Nano-partikel von Titandioxid ist, aber wir wissen nicht gesichert, ob nicht über die Haut von Kindern oder verletzte Haut genügend Teil-chen eindringen können, um – vor allem langfristig – Gesundheitsschäden zu verur-sachen. Denn einmal im Körper, können diese Teilchen bis in die Zellen vordringen. Daher können wir den Kauf von Sonnen-schutzmitteln mit Nanopartikeln aus heuti-ger Sicht nicht empfehlen.
Kennzeichnung gefordertWenn sich die Produzenten schon nicht
überzeugen lassen, dass bei unsicherer Datenlage im Sinne der Menschen und der Umwelt auf diese Produkte verzichtet wer-den sollte, dann braucht es zumindest eine Kennzeichnung der Inhaltsstoffe. So-wohl für chemische Stoffe wie auch für
Nanopartikel muss klar sein, was drin ist und wie der Wissensstand dazu ist. Die derzeitige Produktinformation reicht dazu einfach nicht aus, auch hier hinken die gesetzlichen Vorschriften der Entwick-lung hinterher.
Als KonsumentInnen wollen wir zumin-dest wissen, welches Risiko wir eingehen. Greenpeace bietet auf marktcheck.at un-seren Wissensstand über einige Sonnen-schutzmittel an, den wir auch laufend ver-bessern. Greenpeace verlangt auch mehr Mittel für die unabhängige Forschung, um die offenen Fragen bezüglich der Risi-ken zu beantworten, nicht nur beim The-ma Nanotechnologie. Selbst die EU steckt nur wenige Prozent in die Förderung der Risikoforschung. Ganz zu schweigen von den Konzernen, die mit unserem Risiko ihre Profite machen.
Diesen Druck kann Greenpeace nur in Kooperation mit aufgeklärten und enga-gierten KonsumentInnen aufbauen, um damit unseren Forderungen zur Umset-zung zu verhelfen – und hier können auch Sie tätig werden. Zum einen geht es dar-um, im Freundeskreis und in den eigenen Netzwerken bekannt zu machen, dass Na-notechnologie nicht immer zu begrüßen ist. Und zum anderen kostet uns der Ein-satz für aufgeklärte KonsumentInnen na-türlich auch selbst viele Ressourcen. Da-her freuen wir uns auch über jede Spende. Mehr Information zu unserer aktuellen Nanotechnologie-Sonnencreme-Kampag-ne inklusive der Produkt-Datenbank fin-den Sie auf www.marktcheck.at. n
Die Forschung hinkt der Nanotechnologie-Praxis weit hinterher. Zentrale Fragen bleiben trotz breiter Anwendung offen.
Die Giftschlamm-Katastrophe in Ungarn hat die betroffene Region für immer verän-dert. Während der Weg in eine neue Normalität für die Menschen hart gepflastert ist, verursachte die verantwortliche Firma einen neuen Umweltskandal. VoN Birgit Bermann
Nach dem Schlamm
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Es waren Bilder, die um die Welt gingen: Eine leuchtend rote, giftige Schlammlawine aus dem geborste-nen Lagerbecken einer Aluminium-fabrik hatte letzten Herbst die un-garischen Dörfer Kolontar und De-vecser überrollt. Eine Million Ton-nen Rotschlamm ergoss sich über 40 Quadratkilometer Land – und begrub nicht nur Häuser, Autos, Parks, Straßen und Felder, sondern auch zehn Menschen unter sich.
Die Katastrophe ist längst aus den Schlagzeilen verschwunden. Vor Ort
ist sie allerdings keinen Moment zu übersehen und keine Sekunde zu vergessen. Die Menschen versuchen dennoch, zu einer Normalität zu-rückzufinden, die noch viele Jahre außer Reichweite sein wird.
Optimistisch sei die Stimmung im Ort, sagt eine junge Frau. Sie arbeitet in der Trafik in Devecser, die seit der Katastrophe in einem Container ne-ben der Ruine der alten Trafik unter-gebracht ist. Ihren Worten scheint sie selbst keinen Glauben zu schen-ken – sie relativiert ihre Aussage mit einem leisen Kopfschütteln und fra-gend hochgezogenen Augenbrauen.
Auch uns vermag ihre Einschät-zung nicht zu überzeugen. Zu allge-genwärtig sind die Spuren der Katas-trophe – rote Markierungen an den Hausmauern, an Bäumen, Sträu-chern, den Zäunen, und die Reste ro-ter Erde lassen erahnen, mit welcher Wucht die Schlammmassen ihre Spur der Verwüstung gezogen haben. Kinder laufen mit Mundschutz durch die Straßen, Lkws transportie-
ren Unmengen an kontaminiertem Erdreich ab, und Männer mit weißen Ganzkörper-Schutzanzügen versu-chen noch immer, den hartnäckigen Schlamm mit Hochdruckgeräten aus der Landschaft zu entfernen.
Vermittelt wird die Katastrophe aber auch durch das, was nicht mehr zu sehen ist. Hunderte Häuser sind in den letzten Monaten dem Erdbo-den gleichgemacht worden – zu groß war die Zerstörung und zu unmög-lich der Versuch einer Renovierung. Im Zentrum von Devecser, ein ehe-
mals dicht besiedeltes Gebiet, prangt jetzt brache Fläche. Und die Abriss-trupps haben ihre Arbeit längst noch nicht erledigt. In der provisorischen Einsatzzentrale hängt der Abriss-plan für das 5.000-Einwohner-Dorf: Fein säuberlich zeigt eine Zonenun-terteilung samt Datum an, wann welche Rotschlamm-Ruinen aus dem Blickfeld geräumt werden.
Noch immer in Trauer Das „Lacko Kucko Büfe“ direkt an
der Hauptstraße ist der Planierraupe bis dato entgangen – ein einsames Überbleibsel der Katastrophe inmit-ten bracher Fläche. Die rote Markie-rung steht hier bei rund einem Meter achtzig. An der Fassade sind die Wel-lenbewegungen der Giftlawine sicht-bar, auf der Veranda sind zerborstene Fensterscheiben, Gerümpel und aus-gebrannte Grablichter liegen geblie-ben. Ein Blick durch das Fenster of-fenbart noch mehr übrig gebliebene Verwüstung. Inmitten Dutzender ausgebrannter Kerzen ist eine ent-
zündet – jemand muss erst vor ein paar Stunden hier Andacht gehalten haben. Die Zeit der Trauer ist in De-vecser noch nicht vorbei.
Im Überbleibsel des Hauses von Nemet Imre ist die Trauer der Ver-zweiflung gewichen. Unter Tränen zeigt er die Überbleibsel seines alten Lebens – ein Auto, begraben unter Schlammmassen, sein Hab und Gut in Plastiksäcken verpackt und seine Matratze im Hinterzimmer seines Hauses, wo er seit der Katastrophe sein Schlafquartier bezogen hat.
So wie die Existenz von Nemet Imre wurden viele in Kolontar und Devecser zerstört. Der dringend be-nötigte Neuanfang, der vor der Apa-thie retten kann, ist allerdings noch nicht in Sicht. Von den zugesagten neuen Wohngebieten für die vom Schlamm Vertriebenen ist bislang nichts zu sehen. Früher lebte man in der Gegend vom Tourismus und der Landwirtschaft – beides wird für lan-ge Sicht keine Perspektive sein. Bis-her sind Einmalzahlungen in der Höhe von 180 bis 900 Euro bei den Betroffenen angekommen. Der gro-ße Rest der Entschädigungen hängt an der Klärung der Schuldfrage, in die das verantwortliche Unterneh-men MAL und die ungarische Regie-rung verstrickt sind.
Die juristische Auseinanderset-zung wird noch viele Gerichte be-schäftigen. Eine Naturkatastrophe, verursacht durch zu viel Regen, be-teuert die Betreiberfirma. Schlampe-rei und ein äußerst laxes Sicherheits-verständnis des Unternehmens, sagt
die Regierung. Die Behörden tragen Mitschuld, konstatiert die EU und beanstandet, dass gleich mehrere Umweltauflagen nicht ins ungari-sche Recht übertragen wurden.
Die Betroffenen haben abseits der juristischen Prozedur längst ihr Fa-zit gezogen: „Den Opfern menschli-cher Sorglosigkeit und Gier“, steht auf einer Gedenktafel in Kolontar geschrieben. Das Dorf lebt in Sicht-weite des gigantischen Beckens, des-sen Dammbruch die Katastrophe verursacht hatte. Das Werk läuft
schon wieder auf Hochtouren und produziert Massen an giftigem Rot-schlamm als Abfallprodukt der Alu-miniumproduktion.
Die Erwartung und die Verpflich-tung, dass die Betreiberfirma aus der Katastrophe gelernt hat und nun verantwortlicher agiert, hat sich nicht erfüllt. Bei einer Visite in der Region hat Greenpeace einen weite-ren Umweltskandal aufgedeckt und medienwirksam Alarm geschlagen. Die Fabrik leitete ihr hochgradig mit Aluminium und Arsen verseuchtes Abwasser ungeklärt in einen Fluss.
Bearing Witness, die Zeugen-schaft und Dokumentation, ist eine der Leitlinien von Greenpeace. Und in dieser Tradition werden wir auch weiterhin solchen Umweltverbre-chen nachspüren und die Verant-wortlichen zur Rede stellen. Denn wenn niemand mehr hinsieht, wer-den Katastrophen vergessen – und die Lehren, die man daraus zu ziehen hat, werden nicht ausreichend ver-standen. n
Szenerie einer Region, die von der Katastrophe getroffen wurde: Wäh-rend die Erde vom giftigen Schlamm verseucht wurde, schaffen es einige Pflanzen, dem übermächtigen Rot ihr Grün entgegenzusetzen (großes Bild l.). In den Häuserruinen finden sich noch die Überreste des vergangenen Alltags, der für die Menschen in Kolon-tar und Devecser am 4. Oktober 2010 jäh endete.
»Den Opfern menschlicher Sorglosigkeit und Gier«, steht auf einer Gedenktafel in Kolontar geschrieben.
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nach und kündigte bis 2014 seinen Umstieg auf Tunfisch aus nachhalti-ger Fischerei an. Dann soll der Tun-fisch entweder mit der Angel gefan-gen sein oder er stammt aus Ringwa-den-Fischereien, die auf den Einsatz von Fischsammlern verzichten. Die britische Zeitung „Independent“ sprach nach dem Princes-Erfolg sogar von „einer der erfolgreichsten Um-weltkampagnen der letzten Jahre“, die den Fang von Tunfisch bahnbre-chend verändern wird.
Der Markt denkt um Wie schnell dieser Wandel voran-
schreitet, kann man besonders gut in Großbritannien sehen. Seit Beginn der Greenpeace-Kampagne haben sich alle großen Supermärkte wie Asda, Waitrose, Sainsbury’s, Marks & Spencer, Tesco und zuletzt Morri-sons dazu entschlossen, ihren Tun-fisch nicht mehr aus dem Fang mit zerstörerischen Fangmethoden zu beziehen. 70 Prozent des britischen Marktes steigen damit in den nächs-ten Jahren auf nachhaltige Fangme-thoden um. Für Greenpeace ist die-ser Kampagnen-Erfolg in Großbri-tannien ein wichtiger Etappensieg,
80.000 Protestschreiben von empörten Kunden können sehr überzeugend sein. Genauso wie eine „Hai-Attacke“ auf die Firmenzentra-le durch Greenpeace-Aktivisten im Haikostüm. So erging es Anfang des Jahres der Firma Princes, einem der weltweit größten Tunfischdosen-hersteller und Mutterfirma des ös-terreichischen Marktführers „Vier Diamanten“.
Mit der Aktion in Liverpool warf Greenpeace dem britischen Lebens-mittelkonzern nicht zum ersten Mal vor, dass für seine Tunfischdosen jährlich Hunderttausende Haie, Ro-chen und Jungfische als Beifang ge-tötet werden, weil die Tunfischfän-ger „Fischsammler“ einsetzen. Diese schwimmenden Plattformen, ausge-stattet mit Sonar und Positionssen-dern und mit riesigen Ringwaden-Netzen, gehören zu den destruktivs-ten Fangmethoden überhaupt.
Nach über einem Jahr intensiver und internationaler Kampagnenar-beit Anfang März 2011 wurde es dem zum japanischen Mitsubishi-Kon-zern gehörenden Lebensmittelpro-duzenten dann zu viel: Er gab den anhaltenden Greenpeace-Protesten
schließlich ist die britische Insel der größte Absatzmarkt für Tunfischdo-sen in Europa und der zweitgrößte weltweit.
Auch aus Österreich gibt es Erfol-ge zu vermelden. Der österreichi-sche Marktführer „Vier Diamanten“ gab bereits im Sommer 2010 dem Greenpeace-Druck nach und führte als erster Anbieter mit Angel gefan-genen Skipjack-Dosentunfisch in Österreich ein. Damit kann sich der Princes-Konzern bei seiner Tochter-marke Vier Diamanten abschauen, wohin die Reise gehen muss.
Aber auch geangelter Skipjack-Tunfisch ist rar, es gibt nur wenige Länder mit Tunfischbeständen in ihren Küstengewässern, die diese Fangmethode für den internationa-len Markt anbieten – darunter die Malediven, die Seychellen oder Mauritius. 60 Prozent der jährlich vier Millionen Tonnen Tunfisch stammen aus der Ringwaden-Fi-scherei, doch nur 14 Prozent des Tunfisches weltweit werden mit der Angelrute gefangen – die selektivste, aber auch arbeitsintensivste Metho-de für den Tunfischfang. Gerade rechtzeitig stehen im Pazifik acht In-
selstaaten kurz davor, selbst in den nachhaltigen Tunfischfang einzu-steigen.
Zertifizierte Dosen Ab Juni soll eine neue Marke na-
mens „Pacifical“ den Weltmarkt er-obern – mit zertifiziert „Fischsamm-ler-frei“ oder mit der Angel gefange-nem Tunfisch in der Dose. Damit wollen die Pazifikinseln ihre reichen Fischvorkommen wieder selbst nut-zen, anstatt sie der Plünderung durch Fernflotten preiszugeben, und vor al-lem Arbeitsplätze für die Bevölke-rung im eigenen Land sichern. Dazu passt es gut, dass auch Princes sich auf Forderung von Greenpeace dazu bereit erklärt, keinen Tunfisch mehr aus jenen Hochseegebieten im Pazifik zu verarbeiten, die Greenpeace und die acht Pazifikinseln als dringend notwendige Meeresschutzgebiete vorschlagen, um den Tunfischbe-ständen im westlichen Zentralpazifik überlebenswichtige Rückzugsgebiete zu erkämpfen. Besonders guten Ap-petit wünschen wir all jenen, die uns bei dieser erfolgreichen Greenpeace-Kampagne so tatkräftig unterstützt haben. n
Der Greenpeace-Besuch beim Princes-Hauptquartier in Liverpool gab der Kampagne für fair gefangenen Tunfisch den nötigen Nachdruck. Bis 2014 wird einer der weltweit größten Tunfischdosen-Produzenten seine zerstörerischen Fangmethoden aufgeben und damit die Beifang-Menge deutlich reduzieren.
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Fairer TunFisch ohne BeiFang Greenpeace hat wieder eine wichtige Kampagne gewonnen. Princes, einer der weltweit größten Produzenten von tunfischdosen, steigt auf nachhaltige Produktion um – und könnte die gesamte Branche damit umkrempeln. Von Antje Helms
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