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Unter Toten freigeworden Eine Untersuchung zu Röm. III-VIII Author(s): Walter Diezinger Source: Novum Testamentum, Vol. 5, Fasc. 4 (Nov., 1962), pp. 268-298 Published by: BRILL Stable URL: http://www.jstor.org/stable/1559952 . Accessed: 19/01/2014 12:28 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . BRILL is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Novum Testamentum. http://www.jstor.org This content downloaded from 139.57.125.60 on Sun, 19 Jan 2014 12:28:14 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions
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  • Unter Toten freigeworden Eine Untersuchung zu Rm. III-VIIIAuthor(s): Walter DiezingerSource: Novum Testamentum, Vol. 5, Fasc. 4 (Nov., 1962), pp. 268-298Published by: BRILLStable URL: http://www.jstor.org/stable/1559952 .Accessed: 19/01/2014 12:28

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  • UNTER TOTEN FREIGEWORDEN EINE UNTERSUCHUNG ZU ROM. III-VIII

    VON

    WALTER DIEZINGER S6chtenau (Bayern)

    ,,Das Folgende m6chte zu einem kleinen Teile daran erinnern, daB sich auch von der rabbinischen Literatur her noch immer manche Hilfe fur die Erforschung der Anfange unserer Religion, nicht zuletzt auch fur das Verstandnis des ehemaligen Rabbinenschiilers Saulus, gewinnen lassen wird."

    (G. KITTEL, aus dem Vorwort zu ,,Rabbinica", Leipzig 1920)

    I. ROM. VI-VII UND PSALM LXXXVII 5 [LXX] i. Paulus spricht in R6m. v von der Siinde, die sich im Menschen-

    geschlecht niedergelassen hat. Ehe er von der Freiheit von der Stinde handelt, redet er von ihrem Ursprung. Dann beschreibt er die Gnade, die mit Christus gekommen ist. Ihn stellt er als Heils- bringer dem Siindenbringer Adam gegeniiber (v 12 ff.). War die Siinde iiberreich, die Gnade kam noch iiberschwenglicher (v 20). Aus dieser Erkenntnis k6nnte sich eine Folgerung ergeben, die Paulus wahrnimmt, aber sogleich leidenschaftlich abwehrt: Dann ist es ja gar nicht iibel, in der Suinde zu bleiben und sie somit zu vermehren, wenn die Gnade dadurch noch reichlicher herbeigerufen werden kann. (Vgl. iii 7, 8). Einem solchen SchluB stellt Paulus sein scharfes [Jp3 y6votLo entgegen: ,,Niemals, Gott bewahre!" (vi, I). Warum er hier so sehr ablehnt, begriindet er in den Kapiteln vi und vii. Diese seine Darlegungen lassen sich kurz dahin zusammen- fassen: Fur den Christen ist die Siindenmacht und alles, was mit ihr zusammenhangt, griindlich erledigt. ,,Nicht herrsche die Siinde in eurem sterblichen Leib, daB ihr weiterhin den Begierden gehor- chet..." sagt er vi I2, und dieser Satz weist offenbar auf vi 2 zuriick: ,,Die wir der Siinde gestorben sind, wie werden wir noch weiter leben in ihr?" Die Siinde aber ist in ihrer Macht gebrochen, weil das Gesetz eine fiberwundene GroBe ist eine fur Paulus grundlegende Erkenntnis: ,,Denn die Siinde wird nicht mehr iiber euch herrschen; denn ihr seid nicht mehr unter dem Gesetz...

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  • UNTER TOTEN FREIGEWORDEN

    (vi I4)". ,,Jetzt sind wir abgetan vom Gesetz (vi 6 a)". Das Gesetz des alten Bundes ist also eine erledigte Macht. Daraus k6nnte sich eine weitere falsche Folgerung anbahnen: ,,Was nun? Werden wir siindigen, weil wir nicht mehr unter dem Gesetz sind...? (vi I5)" Denn nach menschlicher Erfahrung begiinstigt ein gesetz- loser Zustand die Ziigellosigkeit, er laBt dem Siindigen ungehemm- ten Lauf, da weder Gebote noch Verbote weiter in Geltung sind. Besteht also, da die Bindungen an die Tora gel6st scheinen, jegliche Freiheit zur Siinde? Wieder weist Paulus ab: ,,[L yeVOvTo" (vi 15 b). Fur den Getauften ist das MaBgebende nicht der Zustand des Siindigens, sondern das ,,Fruchtbringen fur Gott" (vii 4 c). In vi 22 heiBt das: ,,Jetzt aber, befreit von der Siinde, jedoch versklavt fur Gott, bringt eure Frucht zur Heiligung. .". Fuir den Christen gilt die Realitat des neuen Lebens, das ihm geschenkt ist 1). In diesem neuen Seinzustand haben die Unheilsmachte ,,Siinde" und ,,Gesetz" nichts mehr zu sagen, ihr EinfluB ist gebrochen. Der neue Mensch ist diesem finsteren Machtbereich entrissen. Aber ihm bleibt die unabdingbare Verantwortung aufgegeben, gewissermaBen nach der Maxime ,,noblesse oblige", sein sittliches Leben diesem neuen, von Gott durch die Gnade geschenkten Zustand anzupassen. Und so kommt Paulus in R6m. vi auf die Taufe zu sprechen, welche dem Menschen, so wie er die Lage sieht, die Freiheit von den genannten Unheilsmachten gebracht hat. Er tut dies nun in Gedankengangen, welche gegeniiber anderen ntl. Stellen, die von der Taufe handeln, durchaus eigenstandig sind. Man denke etwa an Eph. v 26; I Petr. iii 21 und Hebr. x 22; jedesmal ist da die Taufe als Abwaschung vom Schmutz der Siinde gesehen. Von diesem Bild des Waschens sagt 0. Kuss, daB es ,,offenbar am

    1) Gut gesagt ist dies bei H. SCHWARZMANN, Zur Tauftheologie des HI. Paults in Rom vi (Heidelberg 1950) p. ii: ,,Nun k6nnte aber jemand auf den Gedanken kommen: also sind wir Christen iiberhaupt nicht mehr an ein Gesetz gebunden, wir sind in unserem Handeln aller Bindung ledig. Gegen solchen Libertinismus wendet sich der Apostel mit Entschiedenheit und stellt ihm gegeniiber das christliche Moralprinzip auf (vi 2 ff.). Das tut er aber nicht durch die Proklamation eines neuen, vom alttestamentlichen verschiedenen Gesetzes, sondern durch die Auswertung einer Tatsache, der Tatsache des Getauftseins. In ihr liegt nach Paulus die letzte und starkste Begriindung der spezifisch christlichen Sittlichkeit. 'Paulus bekampft also den religi6sen Verzicht auf die Sittlichkeit nicht mit sittlicher Ermahnung, sondern mit religi6ser Erinnerung: nicht mit einem 'du sollst', sondern mit einem 'du bist'. Die sittliche Frage ist gelost durch das, was mit den Christen schon geschehen ist . . .' (Althaus)".

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  • WALTER DIEZINGER

    Ursprung aller Taufbrauche steht, wo immer sie konstatierbar sind" 1). Im R6merbrief finden wir aber demgegeniiber ein durchaus eigenwilliges Taufverstandnis. Deutet doch Paulus hier das Ge- tauchtwerden als Begrabenwerden und bringt es so mit dem Tod und auch mit der Auferstehung Jesu in Beziehung 2), Das Freisein vom Anspruch der Siinde kommt dem Getauften deswegen zu, weil er- man mag davon zunachst befremdet sein - als Toter gilt (vi 7). Als Toter ist der Christ namlich frei von der anderen von Paulus hier primar ins Auge gefaBten Macht, vom mosaischen Gesetz, dem stets Siinden in praxi erzeugenden ,,Mechanismus", der den Menschen immer wieder als Fehlenden schuldig spricht und Gott dabei als den Heiligen erweist. Der Apostel sagt: ,,Also seid auch ihr, meine Briider, dem Gesetz durch den Leib des Christus get6tet worden..." (vii 4). Dieser Satz ware ohne die Darlegungen in R6m. vi nicht verstandlich.

    2. Nun fallt auf, daB der atl. Schriftbeweis, der in den voran- gehenden Kapiteln des Briefes eine so iiberaus groBe Rolle spielt und dort auch optisch im Text sehr viel Raum einnimmt, mit dem Ende des Kapitel 4 versiegt. Erst in viii 36 findet man wieder eine Stelle des AT f6rmlich zitiert (vii 7 ,,Du sollst nicht begehren" ist kein eigentlicher Schriftbeweis). Vom ix bis zum xv. Kapitel sind die atl. Zitate, die als Beweise herangeholt werden, wieder reichlich wie im ersten Teil des Briefes. Aber gerade fur die vom Apostel so eindringlich vorgetragene Behauptung: Ihr seid frei von Gesetz und Siinde, vermiBt man den Biblischen Beweis. Das ist bei einem in den exegetischen Mitteln seiner Zeit besonders geschulten und verhafteten Gelehrten immerhin auffallend. Verzichtet er demnach bei seinen so grundlegenden, ja ,,grundstiirzenden" 3) Darlegungen

    1) O. Kuss, Der R6merbrief I (Regensburg 1957) p. 311. 2) 0. Kuss, a.a.O. 309: ,,Wahrend in der vorpaulinischen Verkiindigung

    Taufe und Heilstod in gewisserweise nebeneinanderstehen, werden durch Paulus- oder wenn die Hypothese einer im wesentlichen von Paulus bezeugten Theologie der hellenistischen Gemeinden zutreffen sollte, von deren Theologie er dann weitgehend abhangig ware, in den hellenistischen Gemeinden - Wassertaufe und Heilstod zum ersten Mal spekulativ in Beziehung zueinander gesetzt ...: Der Taufling erleidet (im Untertauchen ?) den Tod mit Christus (und dieser Tod ist nicht ohne die Auferstehung zu denken), Getauftwerden heif3t mit Christus mitsterben (und auferweckt werden)." 310: ,,... die Symbolik des Auftauchens aber wird dabei vom Apostel anscheinend nicht ausgewertet".

    3) So nennt sie H. SCHWARZMANN, a.a.O. ii: Paulus ist ein Mann ,,der genau weiB, welche Bedeutung gerade diesem seinem Zeugnis im Zusammen-

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  • UNTER TOTEN FREIGEWORDEN

    in den Kapiteln vi und vii entgegen seiner rabbinischen Art darauf, seine Beweisfiihrung an seiner Bibel (eben der, die wir Altes Testa- ment nennen) ,,aufzuhangen"?

    Auf alle Falle wendet er einen bei jfidischen Gesetzeslehrern giiltigen Satz an, um seine Behauptung vom Mitgestorbensein mit Christus, welches die befreiende Wirkung entfaltet, zu unterbauen. Bei ihm hat dieser Satz folgenden Ausdruck bekommen: 6 v6toio xupLcuei 'rou av60po7ou, qP'oo0V XPp6vov T (R6m. vii i). Auf Grund welcher Uberlegungen oder Ankniipfungen an die Schrift diese Behauptung zustandekommt, bleibt bei ihm aber im Dunkel. Das von ihm im AnschluB daran gebotene Beispiel von der Ehefrau, die durch den Tod ihres Gatten frei wird, ist bereits Illustrierung dieses Grundsatzes, nicht etwa sein Ausgangspunkt. Diesen setzt er offenbar als bekannt voraus: ,,Ich rede zu solchen, die das Gesetz kennen" (yLvc0oxou(Tv yop v6o,ov XocAt). vii I). Damit ist aber auch angedeutet, daB dieser Satz, wiewohl er auch eine allgemein menschliche Wahrheit ausspricht, allem Anschein nach doch aus der Bibel (v6[oq) entwickelt wurde 1). Sonst ware die Berufung auf die Kenntnis des Nomos nicht notwendig. Diesen Satz, daB das Gesetz nur iiber Lebende Macht hat, beansprucht der Apostel nun - und das ist fur den Leser, zumal fur den heutigen, befremd- lich - fir die noch in dieser Welt lebenden Christen, die ja noch gar nicht den physischen Tod gestorben sind. Genauer gesagt: er beansprucht das Gelten dieses Satzes fur die Tatsache ihres Teilhabens am Tod Christi, dem sie in der Taufe iibereignet wurden. Mit Jesus sind sie ,,verwachsen" mittels der Taufe. ,,Das Gesetz herrscht iiber den Menschen solang er lebt", hat Paulus gesagt bzw. zitiert. Das ist die positiv gewendete Formulierung in seinem Brief. Die negativ auszudriickende Kehrseite davon ist aber fur ihn das Entscheidende: Tote sind frei von Gesetzeserfiillung. In vi 7 sagt er: wer gestorben ist, ist gerechtfertigt von der Siinde.

    hang seiner grundstiirzenden Ausfiihrungen iiber Gesetz und Gnade (Kap. v und vi) zukommt.

    1) DaB v6koq hier gar nicht die Tora, sondern das r6mische oder allgemein menschliches Recht bedeute, scheint mir wegen der sonstigen Redeweise Pauli: v6oLOS = Tora, recht unwahrscheinlich. 0. Kuss, a.a.O. II, 435: ,,Oder ist auch hier speziell an das jiidische Gesetz gedacht wie in dem ganzen Zusammenhang (ALTHAUS, BARDENHEWER, CORNELY, KURZINGER, LIETZ- MANN, SCHLATTER, ZAHN)? Das hat sehr viel fur sich, und man braucht dann fur V. i nicht eine doppelte Bedeutung des Wortes ,,Gesetz" anneh- men. . .

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  • WALTER DIEZINGER

    Dies ist zwar positiv ausgedriickt, iiberspringt aber ein fur ihn notwendiges Gedankenglied. Denn ehe von der Freiheit von der Siinde geredet werden kann- fur Paulus das Ziel seiner Dar- legungen - muB erst das Gesetz fur den Menschen als Norm ent- fernt sein. Das Gesetz ist namlich ,,die Kraft der Siinde" (I. Kor. xv 56), das Gesetz macht die Siinde iiberreich (R6m. v 20), durch das Gesetz wird dem Menschen die Siinde fiberhaupt zugerechnet (v I3). Bevor gesagt werden kann: wer gestorben ist, ist gerecht- fertigt von der Siinde (vi 7), muB nach paulinischer Denkweise gesagt sein: wer gestorben ist, ist vom Gesetz frei. Das letztere sagt Paulus aber nur im Bild der Gleichnisrede von der Ehefrau: wenn der Mann stirbt, ist sie frei vom Gesetz des Mannes" (vii 2). Nachdem er dieses Bild verlassen hat, sagt er: ,,So, meine Briider, seid auch ihr dem Gesetz get6tet worden durch den Leib Christi" (vii 4). ,,Dem Gesetz getotet" will aber ohne Zweifel besagen: durch Tod vom Gesetz frei geworden. Tote sind also frei von Gesetzes- erfiillung. Wo steht das aber in der atl. Bibel?

    DaB Paulus mit diesem Grundsatz arbeitet, ist in den Kommen- taren zur Stelle meistens erkannt. Die Schriftstellen jedoch, in deren Zusammenhang er im jiidischen Schrifttum aufscheint, finden kaum Beachtung. Eine davon ist z.B. Job iii I9: ,,Der Knecht ist frei von seinem Herrn' (namlich im Tod, wie der Zusammenhang bei Job ergibt). Dazu steht Pesiqta 20ob folgende Auslegung: ,, 'Und der Knecht frei von seinem Herrn, das geht auf die Israeliten; denn wenn ein Mensch gestorben ist, ist er frei hofsi geworden von den Gebotserfiillungen 1). Vor allem aber ist es Psalm lxxxviii 6 a (LXX 87, 5 c): ,,Mit den Toten frei" (bametim hofsi: iv vsxpo~ XzU60spoq) 2). Diesen Vers (besser: Versteil) erklart R. TANCHUM

    aus Nave - er ist wie fast alle im Talmud aufgefiihrten Autoritaten als Tradent schon langst iiblicher Auslegungen anzusehen -: ,,... denn sobald er (sc. der Mensch) gestorben ist, so existiert er nicht mehr fur die Gesetzeslehre und fiir die Gebote und der Heilige, gebenedeiet sei er, wird durch ihn nicht mehr gepriesen. Das ist es, was R. Jochanan3) gesagt hat: Was bedeutet der Schriftvers: Mit den Toten frei? - sobald der Mensch gestorben ist, ist er von

    1) STRACK-BILLERBECK, Kommrentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch III (Miinchen 1954), P. 234.

    2) Im folgenden stets nach der Septuaginta-Bibel zitiert. 3) R. JOCHANAN, 2. Amoraergeschlecht, gest. um 250 n. Chr., gilt gewisser-

    maBen als Verfasser des Talmud,

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  • UNTER TOTEN FREIGEWORDEN

    der Gesetzeslehre und von den Geboten frei" 1). DaB solche Uber- legungen, gestiitzt auf die genannten Bibelverse, schon zur Zeit Pauli vorlagen, bezeugt er selbst in R6m. vii I. Dieselbe Auslegung R. JOCHANANS wird iibrigens auch an anderen Stellen des Talmud festgehalten. So wird in Nidda IX, V die Frage behandelt, ob man ein Gewand, in welchem sich von der Tora verbotenes Mischgewebe befindet, einem Nichtjuden verkaufen darf, oder ob man daraus eine Eselsdecke fertigen darf. Beides wird verneint, ,,wohl aber darf man ein Totengewand daraus machen" (d.h. ein Toter, der schon der zukiinftigen Welt zugeh6rt, unterliegt nicht mehr dem Gesetz, ist frei davon).

    ,,R. JOSEPH 2) sagte: dies besagt, daB in der zukiinftigen Welt die Gebotsiibung aufh6ren wird. Abbaje, nach anderen R. DIMI" 3), sprach zu ihm: R. Ami sagt ja im Namen R. Jannais: Sie lehrten dies von der Totenklage, ihn darin zu bestatten ist jedoch verboten! ? Dieser erwiderte: Hierzu wurde ja gelehrt: R. Jochanan sagte: Es heiBt: mit den Toten frei, sobald ein Mensch tot ist, ist er von den Geboten frei 4)'". Es will scheinen, als ob R. Jochanan die fur das Paulus-Verstandnis wichtige Deutung als erster vertrate. Das braucht man aber dem Text keineswegs zu entnehmen. Er kann genau so gut sagen wollen, Jochanan habe als erster das (schon langst anerkannte) Prinzip ,,Mit den Toten frei ..." auf den zur Debatte stehenden Fall angewendet oder er sei einfach als Tradent dieses Satzes eine Autoritat.

    Paulus arbeitet nun mit diesem Satz, daB unter Toten Freiheit herrsche, folgendermaBen: Wenn der Mensch mit Christus in der Taufe durch die Ahnlichkeit mit seinem Tod verwachsen ist (R6m. vi 5), so ist er vor Gott ein Begrabener und damit ein Toter, bzw. er gilt als solcher. Mag er auch physisch noch in diesem ver- ganglichen Aon leben, er ist als ,,Toter" von der Verpflichtung auf das Moses-Gesetz frei, ebenso vom Anspruch der durch dieses Gesetz in unheilvoller Weise machtig gewordenen Siinde. Ein jiidischer Gelehrter wie J. KLAUSNER findet dieses exegetische

    1) L. GOLDSCHMIDT, Der Babylonische Talmud I (Haag 1933), Sabbatfol 3oa p. 383. Tanchum geh6rt zur 5. Generation der Amoraer in Palestina, 4. Jh. n. Chr.

    2) R. Joseph, gest. 333, wegen seiner umfassenden Kenntnis des traditio- nellen Gesetzes durch die Bezeichnung ,,Sinai" geehrt.

    3) Abbaje war Schiiler Josephs und Zeitgenosse Dimis (um 280-338/9). Ami war Schiiler Jochanans, z.Z. Diokletians. Jannai war Lehrer Jochanans.

    4) L. GOLDSCHMIDT, a.a.O. Bd. IX, Nidda fol. 6ib.

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  • WALTER DIEZINGER

    Vorgehen des Apostels ,,hochst absonderlich" und nennt seine Deutungen und Folgerungen ,,bizarr" 1). Zugleich weist er aber sehr richtig auf das Bemiihen des Paulus hin, aus der Tora selbst das Ende der Tora in ihrer Verpflichtung fur die Christen zu er- weisen. Nach unserem Einblick in die rabbinische Schriftanwendung und Auslegung halten sich aber des Paulus Darlegungen durchaus im Rahmen dessen, was methodisch fur jiidische Gesetzeskundige m6gliche Exegese war.

    3. DaB dieser rabbinische Grundsatz, der aus dem Psalmversteil ,,Mit (unter) den Toten frei" hergeleitet oder doch daran aufgehangt wurde, hinter dem Gedankengang des Apostels in R6m. vi und vii steht, und von ihm in vii I positiv gewendet angefiihrt wird, ist ziemlich allgemein anerkannt. Nun bevorzugt aber Paulus bei seinen Schriftbeweisen in der Regel ganze Psalmverse oder doch solche Teilen, welche einen in sich abgerundeten Satz bieten. Das ,,Mit den Toten frei" wirkt damit verglichen etwas fragmentarisch. So diirfte es fur das Verstandnis der paulinischen Ausfiihrungen vielleicht nicht unfruchtbar sein, einmal den ganzen Psalmvers, zu welchem dieses Fragment geh6rt, ins Auge zu fassen. Sollen sich gegebenenfalls neue Perspektiven auftun, so muB man selbst- verstaindlich den Text der Septuaginta-Bibel einsehen, die ja im groBen und ganzen die Schrift ffir Paulus war. Freilich weicht er manchmal im strikten Wortlaut etwas ab, wohl dann, wenn er aus dem Gedachtnis zitiert. In dieser griechischen Bibel hei3t der 6. Vers des Psalmes lxxxvii: cpoazXoyLaO,v zr&v TV xaTaaIv6orvV e X0axxov, ?yevvO0t6v ox &vOptoX e?v vexpoq sXeuOsepo?. In Ubersetzung:

    ,,Hinzugerechnet wurde ich zu denen, die zum lakkos hinunter- steigen, bin frei geworden wie ein hilfloser Mensch unter Toten".

    DaB gerade der Versteil mit ,,frei" eine Verlesung der Masoreten sein diirfte, braucht uns hier nicht weiter zu beschweren. Wahr- scheinlich lautete der urspriingliche Sinn: ,,unter den Toten ist mein Lager". Dann ist der Satz freilich fur Paulus nicht mehr als Aus- gangspunkt scharfsinniger Uberlegungen geeignet. Aber die Bibel Pauli hat eben den Wortlaut mit eXsUO0poq, was der masoretischen Punktation entspricht. Wie die rabbinischen Texte oben zeigten, haben ihn auch so die jiidischen Rabbinen vor sich gehabt 2).

    1) J. KLAUSNER, Von Jesus zu Paulus (Jerusalem 1950) p. 46I und 467. 2) Eigenartigerweise liest man bei F. AUER, Die neuen Psalmen (Wien

    1950) die deutsche Wiedergabe: ,,Ich bin entlassen unter die Toten", obwohl ,,die neueste lateinische Ausgabe des papstlichen Bibelinstitutes in Rom"

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  • UNTER TOTEN FREIGEWORDEN

    Absichtlich uniibersetzt steht in der gebotenen Ubersetzung lakkos. Gerade dieses Wort verspricht fiir das Nachdenken der Gedanken Pauli von Bedeutung zu sein. W. BAUER gibt im W6rter- buch zum Neuen Testament (Berlin I958) zu ?Xaxxo; an: Grube, Zwinger. Andere W6rterbiicher, die nicht allein das ntl. Griechisch darbieten, zeigen dariiber hinaus die Grundbedeutungen und die abgeleiteten an: Wasserloch, Zisterne, Teich, Grube, Grab 1). Das lateinische lacus mit all den romanischen Derivaten (auch dem bayrischen ,,Lakke" fur Wasserpfiitze) ist damit in der Wort- wurzel urverwandt. Uberall schwingt der Begriff ,,Wasser" mit. Die sekundaren Bedeutungen sind dann erst: Grube, Graben, Todesgrube, Grab. DaB X0axxos sowohl eine wasserhaltige Zisterne wie auch eine leere Grube dieser Art meinen kann, zeigt gut der Xaxxog in Genesis xxxvii, in welchen Joseph von seinen Briidern geworfen wurde: ,,Und sie packten ihn und warfen ihn in den Brunnen (XAdxxog); der Brunnen war leer, hatte kein Wasser" (Gen. xxvii 24). Damit ist gesagt: An sich hat ein Xcaxxoq Wasser, doch kann er auch leere Grube sein. Paulus kann daher sehr wohl in Ps. lxxxvii 5 Xaxxoq als ,,Wassergrube" gelesen haben. Er hat auch sonst in unscheinbaren Versen oft die ntl. Zeit durchscheinen gesehen. Doch ehe darauf einzugehen ist, muB die Frage untersucht werden, ob Paulus nachgewiesenermaBen diesen Psalmvers als Ganzes und nicht bloB seine letzten W6rter vor Augen hatte.

    4. W6rtlich wird von ihm der fragliche Vers nicht gebracht. Jedoch bemerkt der aufmerksame Leser davon Spuren in Rom. vi. Das Wortmaterial dieses Verses ist unverkennbar verarbeitet, sodaB man sein Vorhandensein in Pauli Gedanken noch erkennt. Drei charakteristische W6rter des Psalmverses begegnen im Text des Taufkapitels, die Paulus hineinverwoben hat:

    Psalm lxxxvii 5 Rom. vi (rpoa)?Xoyiy]yv Vers I XoyL?60aO

    Ev vExpoLX 13 ex vCxp&v auch ii vexpou' siehe auch vi 4 und vii 4.

    zugrunde liegt. Diese hat aber doch: Inter mortuos est stratum meum, statt des alten: inter mortuos liber.

    1) Z.B. H. STEPHANUS, Thesaurus Graecae Linguae (Graz 1954). H. FRISK, Griechisches Etymologisches Worterbuch (Heidelberg I961).

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  • 276 WALTER DIEZINGER

    sXeUOspoS Vers 22 eXeu0pOe'VTeS siehe auch viii 2I 1)

    Im Zusammenhang lauten die Satze, denen obige W6rter ent- nommen sind:

    V. II: 0oT(O xw X tL U|LqS XOYLtszOs acuTOui ELVCXL VaXpouV VLSV

    zT F4tapT[a, &)vrTra 8~ T'r Osc ?oV XpLacTo Iaou.

    V. I3: lTS 7rapLT'rv TZ' rT Ira eX UJLCO&V 0'rXOC BixLTc a'v .ora.p- 'r ., & XXa& rpocar7-jocrc acczuroJu;G TO'r 0)(TL ex

    vexpoIv Co&vTaq xcal ,r& [L6X Up.4)V OTAX &LXaCLO7UV7T TO)

    OCo, &DCap'T oc y&p 5nPv ou xupLZUsar' ou ydp S'7 U)7to

    v6TovLV &X X UT Xd pLv.

    V. 22: vuvl $k SXZuOepcoOvT''rqS obr V'rc;q cap'Ttaq 8ouXWo T? 'r

    E, TO OSc), ,ZTX OV XOCpTVOV uLC)tv E'L ozytLaEt6 v,

    V II: So haltet auch ihr euch fur Tote fiur die Stinde, fur Lebendige aber fiir Gott in Christus Jesus.

    V. I3: Bietet eure Glieder nicht dar als Waffen der Un- gerechtigkeit fiir die Siin- de, sondern bietet euch selbst dar fiir Gott als von den Toten Lebendiggewor- dene und eure Glieder als Waffen der Gerechtigkeit fur Gott, die Siinde soil euch nicht beherrschen; denn ihr seid nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade.

    V. 22: Nun aber seid ihr von der Siinde befreit und fur Gott verknechtet, bringt also eure Frucht zur Heiligung!

    Zu V. i ist noch zu bemerken: DaB bei Paulus das einfache Xoy'0rOs steht, wahrend der Psalm 7rpoaXoy caOcLat hat, spricht nach sorgfaltiger Priifung nicht gegen unsere Ausfassung. Denn es ist wohl m6glich, daB Paulus die Vorsilbe r7poc- nicht im Gedachtnis hatte, da ja im Hebraischen das Wort hasab steht, was gew6hnlich mit dem einfachen Xoy'sa=OaL wiedergegeben wird. Man wird wohl annehmen diirfen, daB Paulus den Urtext im UnterbewuBtsein hatte, auch wenn er mit der griechischen Ubersetzung operiert. Dann kann aber auch sein, daB der griechische Text, den der Apostel kannte, das verbum simplex bot. Seine Bibelzitate stimmen bekanntlich nicht immer mit der uns vorliegenden Septuaginta

    1) AuBerdem lebt in auv?Traq7pJ?sv der ,,Grab"-Begriff, in eaTccrTiGOptev der ,,Wassergruben"-Begriff von X&xxoq weiter. Zum Wortspiel s. unten p. 280 ff.

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  • UNTER TOTEN FREIGEWORDEN

    iiberein 1). Weiter kann der Fall sein, daB die Vorsilbe 7Tpoc- lediglich in einem Sigel geschrieben war. Ein solches kann leicht unbeachtet bleiben. Das gilt um so mehr, als das verbum simplex den Sinn an dieser Stelle nicht verandert. Und selbst dann, wenn sich Paulus des xpoazXoy0Laqv bewuBt gewesen sein sollte, kann er es durch das einfache Xoyisza0cxL ersetzt haben, da das Wort mit Vor- silbe seinen Gedanken nicht dienlich war. Er bedurfte bei seinen Ausfiihrungen nicht der passivischen Formulierung, des ,,Bei- gezahltwerden zu den Toten", sondern des Imperatives: ,,Rechnet euch als Tote". Die starken Aussagen vom Tod und vom Begraben- sein mit Christus lieBen es wohl nicht geraten sein, sich mit der schwacheren Formulierung zu begniigen: ,,Rechnet euch zu den Toten", vielmehr muBte gesagt werden: ,,Haltet (rechnet) euch selbst fur Tote". In bemerkenswerter Weise unterstiitzt H. W. HEIDLAND unsere Meinung: ,,V. ii ist die paranetische Anwendung auf die Leser. Im Mittelpunkt steht dabei der iiberwundene Siinden- stand, so daB auch ohne ein XoyLzsa0s eauroU; fortgefahren werden k6nnte: vsxpoi [pLv ?aT xrX. 2)". Er empfindet also hier, daB sich die von Paulus gewahlte Formulierung irgendwo anders orientiert hat. Greift man auf Psalm lxxxvii zuriick, findet die Ahnung, der HEIDLAND nicht naher nachgeht, eine Erklarung: der Apostel halt sich an die Wort- und Begriffsvorlage seines Psalmverses.

    Auch das mehrfach ausgesagte ,,Christus erweckt von den Toten (Ex vsxpov)" in Vers 4 und spater in vii 4 erhalt vom Psalmvers her bezeichnendes Licht. Diese Ausdrucksweise scheint an ?v vexpoL~ orientiert zu sein. Liegt vielleicht hier der schriftgemaBe Ur- sprung des uns zwar gelaufigen, aber gar nicht selbstverstand- lichen Ausdruckes ,,auferweckt (bzw. auferstanden) v o n d e n T o t e n"? Dann wird man aber annehmen miissen, die alleralteste christliche Deutung habe unseren Psalmvers zuerst auf die Person Christi bezogen: Christus ist dann der ins Grab Gestiegene (XakxxoS in der Bedeutung ,,Grab") und auch der, welcher unter den Toten frei geworden, d.h. auferweckt worden ist. Der ntl. Ursinn, der dem atl. ?v v?xpo'i ?XO6zpoq gegeben wurde, ware dann gleichwertig mit XpvTaort6 Ex vzxpiov ?yspOL 3).

    1) Das einfache iXoyLao-v liest dann tatsachlich spater Symmachus. 2) H. W. HEIDLAND, Die Aznrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit

    (Stuttgart I936) p. 63. 3) Noch heute wird in der r6mischen Karsamstagsmette die Antiphon

    ,,Factus sum sicut homo sine adiutorio, inter mortuos liber" in diesem Sinn verwendet (III. Nokturn, 3. Antiphon).

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    Novumrl Testamentumn V I9

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  • WALTER DIEZINGER

    Es laBt sich kaum durch Zufall erklaren, daB die auffallenden Obereinstimmungen in der Wortwahl auf engem Raum gehauft gerade in diesem Kapitel, das von der Taufe handelt, auftreten.

    Dazu kommt, daB xaraxcUvsv in urchristlicher Verwendung geradezu ein terminus technicus fiir das Hinuntersteigen zum Taufbad ist. Der Bericht fiber die Taufe des athiopischen Kamme- rers, Apg. viii 38, zeigt es: ,,Und er befahl den Wagen anzuhalten und beide stiegen hinunter zum Wasser (xcrscaocav ap&(Lp6'pot zq TO i3cop). Als sie heraufstiegen vom Wasser..." Zu xaorapacv vermerkt W. BAUER im Worterbuch: ,,Bes. von der Taufe x. ?SL (To)6U8Cp" (mit mehreren Belegen). Das wirft wieder deut- liches Licht auf Xaxxos, wie Paulus ihn verstanden haben wird. Wahrscheinlich hatte er sein eigenes Hinuntersteigen zum Taufbad im Gedachtnis, welches Apg. ix 19 kurz erwahnt wird. Das geschah wohl im Haus des Ananias zu Damaskus in einem der Becken, welche fiir die jiidischen Tauchbader eingerichtet waren. ,,In jeder jiidischen Gemeinde gab und gibt es darum, von den altesten Zeiten bis auf den heutigen Tag, eine Miqwe, die den Vorschriften des jiidischen Gesetzes entspricht. Sie muB mindestens 3 Kubikellen, das durchschnittliche MaB zur v6lligen Aufnahme eines Menschen- korpers, umfassen und einen Mindestinhalt von 800 Liter haben" 1).

    Solche Anlagen befanden sich nach S. KRAUB in den H6fen als Zisternen und Gruben, sogar Baptisterien genannt, ,,sodaB sie gewissermaBen Hausbader zu nennen sind" 2). Das braucht nicht in Widerspruch zu stehen mit der Praxis der Urkirche, ,,lebendiges Wasser", also solches von Teichen, Bachen und Fliissen bei der Taufspendung zu bevorzugen, wie es in der Didache vii 2 steht. Denn ein R6hrensystem lieferte den jiidischen Behaltern solch ,,lebendiges Wasser": ,,Das Badewasser bezog man aus Teichen ... oder aus Wasserbecken, und das Wasser wurde aus ihnen in R6hren, auf Hohlziegeln oder in in natiirlichen Felsen gebrochenen Rinnen geleitet" 3). Die aussere Einrichtung der jiidischen Badegelegen- heiten, deren Beispiele uns aus dem Mittelalter erhalten blieben, wird sich von denjenigen der Antike nicht sehr unterschieden haben. Diese Anlagen befanden sich namlich in Bauwerken, welche groBe Ahnlichkeit mit den alten Grabkammern aufweisen. Man betrachte daraufhin etwa im Jiidischen Lexikon die Abbildung ,,Eingang zur

    1) I. P. KOHN, Art. Miqwe: Jiid. Lexikon IV (Berlin I928), I; 178. 2) S. KRAUB, Talmudische Archeologie I (Leipzig 191o) p. 214. 3) Ders. a.a.O. p. 219.

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  • tJNTER TOTEN FREIGEWORDEN

    unterirdischen Miqwe in Worms" 1). Der Gedanke an Grab und Begrabenwerden liegt hier wahrlich nicht ferne. Das ist wichtig festzustellen, wenn es um die bisher nicht eindeutig beantwortete Frage geht, ob der Apostel das Bild vom Begrabenwerden in R6m. vi dem Ritus des Untergetauchtwerdens abgewonnen habe 2). Ihn kann schon das Hinabsteigen in das grabkammerahnliche Gemach, wo sich die Miqwe befand, zu dieser spater so sehr Ge- schichte machenden Deutung bewogen haben.

    So wollen wir nun die These setzen, Paulus habe unter dem XAoxxoS in Psalm lxxxvii 5 das Wasser der Taufe verstanden und wie folgt gelesen:

    Zugerechnet wurde ich zu denen, die zum (Tauf-)Wasser (Eds X0xxov) hinuntersteigen, wie ein hilfloser Mensch unter Toten bin ich freigeworden" 3).

    Nimmt man das an, dann erscheinen seine Aussagen in R6m. vi und vii in neuem Licht. Etwas wie ein archimedischer Punkt bietet sich damit an, von dem aus R6m. vi und vii ,,bewegt werden', d.h. von diesem atl. Schrifttext her wird auf einmal der Zusammen- hang deutlich zwischen seiner Iuxtapositio von

    Taufe - Tod- Freiheit

    Dieses Nebeneinander war ihm vorgegeben in diesem bisher nicht beachteten, weil nicht w6rtlich angefiihrten Vers des griechischen Psalters. Freilich ist nicht daran zu riitteln, daB in seinem Be- wuBtsein an erster Stelle das Heilsereignis steht: Christus ist

    1) S. Jiid. Lex. IV 179 u. 1237, Abbildungen. 2) 0. Kuss, a.a.O. p. 298: ,,Dieses Bild soil das Taufgeschehen wahr-

    scheinlich in einen verstandlichen Zusammenhang zum Vollzug der Taufe bringen. Dabei ist Abstreitern dieser Auffassung . . . gewiB zuzugeben, daB ein Rekurs des Apostels auf die iiberlieferte Form des Taufvollzuges durch Untertauchen (d.h. einer 'Radikalabwaschung', die von ihm dann als 'mit- begraben werden mit Christus in den Tod' gedeutet wird) nicht schlechthin zwingend nachgewiesen werden kann; andererseits sollte man diese ohne Zweifel am nachsten liegende Erklarung aber nicht leichtherzig verwerfen, wenn man nicht einen wirklich iiberzeugenden Gegenvorschlag zu machen hat".

    3) Es ist sogar m6glich, daB Paulus gelesen hat: ,,Mir wurde zugerechnet mit denen, die zum . . ." Vgl. BLASS-DEBRUNNER, Grammatik des ntl. Grie- chisch (G6ttingen 1943) P. I40 ? 312 und E. MAYSER, Grammatik der griechi- schen Papyri (Berlin-Leipzig 1926) II, i, p. 121 ? 31, 3. Fur das in Teil II dieser Studie Entwickelte wiirde das sogar noch groBere Klarheit und Ein- heitlichkeit bringen.

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    nicht tot, er lebt und ist als Lebender entriickt zu Gott; an ihn bindet uns Glaube und Taufe. Davon iiberwaltigt, sucht der ehedem jiidische Gesetzeslehrer seine Bibel ab, wo Gott davon schon langst vorher geredet hat; das Christus-und Heilsereignis muB ja x&ara Ta ypa(pya sein (I Kor. xv 4). Da mag er auf diesen Vers als auf ein gottliches Orakel gestoBen sein, von dem er ,,die Decke entfernt hat", die es dem Nichtglaubigen aus dem Judentum verwehrte, den eigentlichen Sinn zu sehen (vgl. 2 Kor. iii I4). Wie so oft, dient ihm dann die Sprache des AT, das zu bezeugende Heilsgeschehen mit ihren Worten auszudriicken. Das im Psalmvers vorliegende Neben- einander von Wasserbad, Sterben und Freiwerden hat er in der ihm eigenen Weise, einerseits an das AT gebunden zu sein, andererseits durchaus eigenwillig zu deuten, theologisch beispiellos zu verwerten gewuBt.

    5. Wieso aber kommt Paulus iiberhaupt dazu, vom Literalsinn der Bibel abzugehen und aus einem Wort einen anderen Sinn her- auszulesen, als der einfache Sinn im Kontext und im Mund des Verfassers zu erlauben scheint ? In unserem Fall: wie kann er statt Todesgrube dem XaxxoS ein ,,Taufbad" abgewinnen? Diese Fragen sind dem modernen kritischen Denken entsprungen und drohen an der zeitgeschichtlichen Auslegungsmethode des Spatjudentums vorbeizugehen. Einen ,,tieferen" Sinn im Bibeltext zu entdecken, war ein bei den Rabbinen nicht nur m6gliches, sondern recht gelaufiges Bemiihen 1).

    Folgender Fall einer Doppeldeutung aus einem Wort laBt sich

    1) J. BONSIRVEN, Exegese Rabbinique et Exegese Paulinienne (Paris 1939) p. 36: ,,N6anmoins nombre de rabbins tannaites n'ont pas resist6 a la tentation 'de sortir du sens simple': les methodes philologiques qui devaient enchainer a la rigueur de la lettre, les methodes dialectiques qui pretendaient a une logique rigide servaient pareillement a tourner la signification naturelle des textes, a en tirer toutes les traditions et inventions juridiques, toutes les imaginations haggadiques. Et il le fallait puisque les enseignements, de quelque nature qu'ils soient, sont contenus dans la Tora et dans elle seule; aucune doctrine ne vaut tant qu'elle n'est pas d6duite de l'unique source de verite: nous connaissons d6ja la sentence de Hillel sur la Tora et tout ce qu'elle renferme (Sie ist p. 12 geboten: Tourne-la (la Tora), retourne-la, car tout est en elle et toi aussi tu y es tout entier; et ne t'en 6carte pas, car tu ne trouveras rien de meilleur qu'elle). I1 semble en outre que certains rabbins aient admis la multiplicit6 des sens dans la Bible: L'6cole d'Ismael entendait aussi le mot de Jeremie (23, 29) sur la parole de Dieu, qui est 'comme un marteau qui brise le roc': 'de meme que le marteau fait jaillir une multitude d'6tincelles, de meme chaque (une) ecriture se divise en une multitude de sens". Die Anm. verweist auf Sanhedrin 34a.

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    anfiihren: Die Mischna nennt R. Akiba, der in Jer. xvii I3 eine solche Interpretation vornimmt. Er legt die Mikwe Israels - die Hoffnung Israels - als ,,Tauchbad Israels" aus, weil Mikwe im Hebraischen auch diese Bedeutung haben kann 1). Dazu sagt J. MEINHOLD im Kommentar: ,,Ein echt rabbinisches geistreiches Wortspiel. Die zitierte Stelle Jer. xvii I3a nennt Jahwe miqwe Israel, dh. Hoffnung Israels (von qiwwa ,hoffen'). Miqwe heiBt aber auch ,Wassermasse, Teich'. So wird jene Stelle hiernach gedeutet und Jahwe als das ,Tauchbad Israels' verstanden, was vielleicht um so naher lag, als es in Jer. xvii I3b heiBt: 'sie verlassen die lebendige Wasserquelle, namlich Jahwe' ". Zufallig geht es in diesem Text der Mischna, welcher hier wegen der methodischen Ahnlichkeit gebracht ist, auch um ein Tauchbad. Dieser sekundare Sinn ist durch eine geschickte Doppeldeutung herausgeholt 2). Der Traktat Joma, in dem der Passus steht, gehort seiner Substanz nach zu den altesten der Mischna 3). Er zeigt, daB die Interpreta- tionsart, die wir bei Paulus glauben annehmen zu diirfen, im zeit- gen6ssischen Judentum durchaus in Ubung gekommen war. ,,Wortspiele sind in der hebraischen Literatur, namentlich in der biblischen, talmudischen und midraschischen, auBerordentlich zahlreich. Das Wortspiel, das auf dem Gleichklang oder der klang- lichen Ahnlichkeit sinnverwandter W6rter beruht, ... kann zwei Wurzeln haben: den Wunsch, unverstandliche Wortbildungen durch Aufl6sung in bekannte Wortformen zu erklaren- etymologisches Wortspiel -, oder die Freude an der klanglichen Ubereinstimmung und Kontrapunktierung, an der rein akustischen Wirkung (auf der auch Reim, Alliteration, Strophik, Refrain, Rhythmus fuBen,.. .) - asthetisches Wortspiel. Das worterklarende Wortspiel ist eine Art (vor-)wissenschaftlicher Forschungsmethode, das auf die iiberraschende Klangwirkung abzielende Wortspiel ein kiinstleri- sches Ausdrucksmittel, und zwar, wenn auch noch wenig gewiirdigt,

    1) J. MEINHOLD, Joma, Text, Ubersetzung und Erklirung (Die Mischna, Giessen, I913) p. 73 (VIII, 9).

    2) Weitere Beispiele dieser Art von Wortspielen s. J. BONSIRVEN, a.a.O. 122 (massot), 135 Anm. I (bad), 136 (awwim) 145 (kalil) ua.

    3) S. FUNK, Die Entstehung des Talmud (Berlin 1919) p. 64: ,,Zu den alte- sten Traktaten geh6ren jene, die die Einrichtungen des Tempels und die Vorschriften iiber Opfer enthalten. So wurden die Traktate Joma (Vers6h- nungstag) von Simon aus Mizpa, einem Zeitgenossen R. Gamaliels, redigiert".

    -Das Akiba-Wort ist selbstverstandlich aus nachpaulinischer Zeit, doch steht Akiba zeitlich dem Paulus noch sehr nahe, da er um 50 geboren ist.

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    eines der haufigsten in der alten hebraischen Dichtung. Uber den bloBen klanglichen Wortwitz erhebt es sich durch die geistreiche sachliche bzw. gedankliche Kombination" 1). Paulus hat als friiherer Rabbi der Hillelschule diese Methode gekannt. Offensicht- lich hat er diese auf die griechische Bibel angewendet, obwohl sie auf dem Boden der hebraischen gewachsen war. So bot ihm in unserem Fall Xdcxxos mit seinem Doppelsinn ,,Wassergrube" und ,,Grab" AnlaB zu tiefen Gedanken, die ihrerseits Ausgangspunkt einer ganzen Theologie geworden sind.

    Dabei bleibt noch offen, ob er nicht, da er einmal aus Xb&xxoi den Doppel- sinn fur ihn fruchtbar zu verwerten wuBte, auch jene andere Stelle aus Threni iii 53-55 zu seiner Deutung mitheranzog. Immer wieder begegnet in der spat- jiidischen Literatur die Auslegungsregel des Binjan Ab, d.h. daB Wortfami- lien, die ein Wort oder einen Begriff gemeinsam haben, aus zwei oder meh- reren Bibelstellen gebildet werden. Die klarere muBte dabei der oder den weniger klaren ihren Sinn mitteilen 2). Der Text aus Threni, der mit dem Psalmvers fur Paulus durchaus einen Binjan Ab bilden konnte - fiber X&xxo - lautete: iii 53 O0cav&rcooacv 'v XAxxcp Coqv [Lou xcai e&r0xav Xt0ov irr' iLoL,

    54 urp?Xu60 (6SP p ?7r xEcpoCXv [oou- 17rca 'ArCFo7CLaX . 55 'ErsxacXac4rpnv TO o6voi&a aou, x6pl?, ?x Xaxxov xaTCzr&T&ou.

    iii 53 Sie haben in der Grube mein Leben get6tet und einen Stein auf mich getan.

    54 Wasser lieB man fluten fiber mein Haupt; da sprach ich: verstoBen bin ich.

    55 Ich rief deinen Namen an, Herr, aus der Tiefe der Grube. Hier ruft ein Mensch in tiefer Not zu seinem Gott. Er stellt seine ausweg-

    lose Lage dar mit dem Bild einer Zisterne, in die er geworfen ist. Er versinkt im Wasser, auf3er in Gott besteht keine Hoffnung auf Rettung mehr. Unter- legt man dem Bild aber in ntl. Sicht das Taufsakrament, wie Paulus wohl getan haben k6nnte, so konnte dieser Text fur ein urchristliches Taufver- standnis, dem der Rekurs auf das AT Bediirfnis und Notwendigkeit war, erstklassige Hilfestellung bieten. Hier ist eigentlich alles da: das Wasser, das sich iiber dem Untergetauchten schlieBt (V. 54). Das ur?peX?60 konnte sehr wohl auf das Untertauchen bezogen werden: das Wasser schlieBt sich iiber dem Kopf (In das vom Threni-Sanger gebotene Bild paBt das sogar vorziiglich). Es ist alles da: das v6llige Ausgeloschtsein fiir den Bereich der Lebendigen, acfraXoau; im hebraischen Text gsr nifal, ,,abgeschnitten sein vom Leben" (V. 54). Dann das 0avo'roaov ... xo->v [ou - Rom. vii, 4 lesen wir 0acvaTccz 0-y! 3) Schlie8lich rundet sich die Beziehungsm6glichkeit auf die Taufe noch durch ,,das Anrufen des Namens des Herrn"; auch Apg. ii, 21 wird eine atl. Schriftstelle dieser Art darauf bezogen. Und was

    1) B. KIRSCHNER, Art. Wortspiele, in: Jiidisches Lexikon V, I505. 2) H. STRACK, Einleitung in Talmud und Midrasch (Miinchen 1930)

    p. 97: unter den 7 Middoth Hillels ist Binjan Ab die dritte und vierte. Uber Binjan Ab wird im 2. Teil dieser Untersuchung ausfiihrlicher gehandelt.

    3) Vgl. auch Rom. viii, 36 und viii, 13.

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    noch aus dem Threni-Text besonders hervorgehoben sei: all das: das Uber- flutetwerden, das Getotetwerden und das Anrufen des Namens des Herrn geschieht im XaxxoS! Vor allem wegen der sich in eOoav&rcacv a w v Lou bietenden Deutem6glichkeiten konnte der Text eine Vertiefung der in Psalm 87 gefundenen Aussagen iiber die Taufe sein. Jedoch muB betont werden: wir sind hier lediglich auf Vermutungen angewiesen.

    6. Ohne Beachtung blieb bis jetzt nur das zu av6Opcoro geh6rige Adjektiv aBpo0'yTro unseres Psalmverses: ,,...wie ein hilfloser Mensch...". Paulus braucht fiber dieses W6rtlein nicht weiter rasonniert haben, es stand im Text eben da. So mag es wohl sein, daB er es keiner besonderen Deutung unterworfen hat. Es kann aber auch die M6glichkeit nicht abgewiesen werden, daB es der Apostel in dem Sinn genommen hat, der ihm gerade im R6merbrief so sehr am Herzen liegt: hilflos, d.h. ohne des Gesetzes Werke, ohne eine Hilfe aus ihnen vor Gott (zur Rechtfertigung) zu erhalten. Auch dazu gibt es eine rabbinische Stelle, welche als Stiitze fur die ausgesprochene Vermutung dienen k6nnte. Zu Eccl. vii I9: ,,Die Weisheit hilft dem Weisen mehr als zehn Gewaltige", heiBt es im Talmud: ,,Ferner sagte R. Ami b. Abba: ... Die Weisheit gibt Schutz dem Weisen mehr als zehn Gewaltige. Die Weisheit gibt Schutz dem Weisen, das sind BuBe und gute Werke .. .1). Im griechischen Text steht oOs'?Lv: 'H aocp0Loc po06aL -r7 ao09p rcep 8exOc ?outa&d ovrTa;. Paulus kann das apo-0yTro; im Psalm von

    solchen tberlegungen her interpretiert haben: als ein Mensch, der von allen Hilfen seiner Gesetzeserfiillung, durch die er seine Recht- fertigung sich zu sichern bemiihte, verlassen ist, wird er nun ,,mit den Toten" zusammen mit Christus ein Freier. Wo Gott gerecht macht, braucht es keine andere Hilfe mehr. In R6m. viii 33 macht Paulus mit den kurzen Worten: ,,Gott macht gerecht; wer ist der, der verurteilt?" eine Anspielung an Is. 1 7-9: xoc' xupLog POT6S [Lou ?yevv' 0

    .... . . T yy'rL 8Lx%LWrao pE. TLg 6 XpLV6p?V64 [L.L; . . .

    xupoq poOe 'izO OL. Aus der Anspielung kann man immerhin sehen, daB ihn der Isaias-Text bewegte, sodaB er in seinem BewuBtsein lebendig war. Darin steht aber Gott ,,der Helfer" ist, nicht des Menschen eigenes Bemuihen: xupLoS po70o6s Lou und xupLos

    Auf diesem Hintergrund wiirde sich das 0CvOpo7noo o3po60yro recht gut einfiigen. GewiB kann dieser Passus ganz auBer Betracht bleiben und unsere Vermutung, Psalm lxxxvii 5 stehe hinter R6m. vi

    1) L. GOLDSCHMIDT, a.a.O. Nedarim III, XI, fol. 32b.

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    und vii, dennoch richtig sein; sollte aber Paulus den ,,hilflosen Menschen" im gezeigten Sinn begriffen haben, wird das Gesamtbild gerade im R6merbrief nur um so klarer. Auch von einer anderen Sicht her hat das po-oiros in der ntl. Botschaft seinen tiefen Sinn. Nach F. Biichsel bzw. nach dem von ihm zitierten A. Schlatter 1) ist die sparliche Verwendung, die porO'Zv und die verwandten Ausdriicke im NT finden, geradezu charakteristisch fiir das Denken der Heilszeit. Wird demnach der Mensch &po-0rojTo genannt, so entspricht dies zutiefst der Lage, in der der Mensch im ntl. Heilsgeschehen erkannt ist.

    7. Besteht unsere These zu Recht, nach welcher Rom. vi und vii von den neu begriffenen Worten unseres Psalmverses ,,getragen" wird, so ist das Fehlen eines atl. Schriftbeweises (im paulinischen Verstandnis) in den zwei so bedeutsamen Kapiteln nur ein schein- bares. Paulus hat dann hier, an einem ganz entscheidenden Punkt im Gefiige seiner Darlegungen an die Romer, sehr wohl seine Bibel im Auge. Er hat einen Vers zwar nach rabbinischer Methode - was wollte man von ihm auch anderes erwarten! - aber in durchaus neuem Geist des Christusverkiinders angewendet und ausgelegt. Er muBte iiberzeugt sein, auch hier ,,die Decke weggenommen" zu haben (vgl. 2 Kor. iii 13-16), die fiber dem AT liegt. Hingerissen von seiner neuen Erkenntnis hat er dann die formliche Zitation beiseite gelassen, ja vielleicht setzt er den Vers als genug bekannt voraus. Denn das geheimnisvolle ,,Unter Toten frei geworden" mit Beziehung auf einen, der im Grab liegt, zwingt fast dazu, an die Grablegung und Erweckung Christi zu denken, nachdem diese Ereignisse einmal der Geschichte angeh6ren. Das Vorgehen, Bibel- worte nur anzudeuten oder kurz zu fassen, ist bei ihm kein Einzel- fall. Ahnliches liegt vor R6m. v 5 und viii 33, diese Stellen umrahmen also vi und vii. An der erstgenannten Stelle v 5 sagt er:, . . die Hoffnung beschamt nicht..." Das ist kein w6rtliches Zitat, es ist aber gespeist aus Worten des Psalters (Ps. xxii 6; xxv 3 u. 20). Haben wir hier einen methodischen Prazedenzfall, so folgt viii 33 ein weiterer. Dieser zweite, von Paulus verkiirzt gebrachte Isaias- Text ist bereits oben wegen seines Gewichtes fiir das (m6gliche) Verstandnis von BpoY67Troq verwertet. Er ist nun auch methodisch von vergleichendem Wert. Die beiden Stellen, R6m. v 5 und viii 33 zeigen die Art des Apostels, einen Bibeltext im Hintergrund des

    1) G, KITTEL, Theologisches W6rterbuch zum NT, Art. r3ooO&o, I, 627.

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    Denkens zu belassen, und doch damit zu operieren. Mit Ps. lxxxvii 5 diirfte es Paulus ahnlich gemacht haben.

    8. Der moderne Exeget mag seine Bedenken haben bei solch einem Verfahren, das entgegen einer in langer Zeit gereiften kriti- schen Schriftauslegung die atl. Texte ,,atomisiert", d.h. aus ihrem urspriinglichen Zusammenhang herausnimmt und dabei einen im Kontext nicht wahrnehmbaren Sinn herausholt. Einzelne Schrift- worte werden so zu ,,Orakeln" (Bonsirven). Es geht aber bei einer Paulusinterpretation nicht darum, seine Auslegungen an unseren kritischen Ma1Bstaben zu messen. Wir miissen versuchen, mit seinem Kopf zu denken. Es verbietet sich, festzustellen, das er dies und jenes nicht konnte und durfte, oder auch nur zu uns fremden Gedankengangen, wie sie etwa die Hillelschen Middoth fordern, uns des gedanklichen Nachvollzuges zu enthalten. Es geht darum, seine Art und Weise der Bibelauslegung in Griff zu bekommen und den in der Hillelschule GroBgewordenen begreifen zu suchen 1). Seine Methode zeigen in aller Deutlichkeit die im R6merbrief enthaltenen Zitate. Zu leicht liest der Bibelle;er unserer Tage fiber diese Stellen aus dem AT hinweg; er ist geneigt, sie als zeitbedingte, aber durchaus unmaBgebliche Ausschmiickungen des paulinischen Evangeliums hinzunehmen, das, wie man meint, auch ohne diese bemiihten Ornamente ,,stehe", d.h. Geltung hatte. In Wahrheit sind aber diese Bibelstellen fur Paulus Angelpunkte seiner Dar- legungen von allergr6Btem Gewicht, um die sich im eigentlichen Sinn alles, was er sagt, dreht. Sie in ihrem Wert auszuklammern oder auch nur als unvollkommene, weil zeitgebundene Gedanken- kriicken herabzumindern, hieBe einen Kommentar fiber das Kommentierte stellen. Das von Paulus Dargelegte ist weithin

    1) Vgl. CH. DE BEUS, Paulus, Apostel der Vrijheid (Amsterdam o.J.), II9: ,,Deze uitlegmethode van het O.T. in Gal. iii I6 doet denken aan de exege- tische methode van Hillel, die bij zijn uitlegging van het O.T. minder dan Schammai de context in het oog vat. Hillel en zijn leerlingen ontbonden de text in delen, woorden en zelfs letters. De wijze waarop Paulus in iii I6 de ene uitdrukking: 'en aan uw zaad' uit de Oudtestamentische plaats uitlicht en hieraan een bedoeling geeft, die zijn opvatting bevestigt, doet aan deze methode van Hillel denken. Gamaliel, de leerling van Hillel, was Paulus' leermeester!" -Hier findet man Literaturangaben zu dieser Frage.

    S. auch BONSIRVEN, a.a.O. 254: ,,Alors comme aujourd'hui se rencon- traient abondamment ces rabbins qui apparaissent comme des concordances vivantes et articulees: une maxime biblique reveille automatiquement le souvenir des toutes les autres sententes contenant les memes mots ou exprimant les memes id6es, ce qui permet des approchements lumineux et instructifs".

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    Auslegung der atl. Bibel, so wie er sie als Mensch der Heilszeit riickschauend begreift. Was der Apostel aus den Texten seiner Bibel zu machen wu3te, zeigt nichts besser als R6m. x 6-II. Das dort gebotene Zitat aus Deut. xxx I2-14 ist nur von ihm, gegen alle uns gangige und m6gliche Exegese, unter Einbau eines neuen Gedankens, der sich vielleicht an Ps. cvi 26 LXX anlehnt, mit dem Sinn gefiillt worden, wie wir ihn heute im R6merbrief lesen: ,,Die Gerechtigkeit aber, die aus Glauben kommt, spricht also: 'Sage nicht in deinem Herzen: wer wird in den Himmel hinauf- steigen' namlich um Christus herabzuholen? Oder wer wird in die Unterwelt hinabsteigen, namlich um Christus heraufzuholen? Sondern was sagt sie? 'Nahe bei dir ist das Wort, in deinem Munde und in deinem Herzen', namlich das Wort des Glaubens, das wir verkiinden. Denn wenn du mit deinem Mund den Herrn Jesus bekennst und in deinem Herzen glaubst, daB Gott ihn von den Toten erweckt hat, wirst du gerettet werden". (DaB Paulus hier wahrscheinlich das Glaubensbekenntnis beim Taufakt im Auge hat, davon wird weiter unten noch eingehender gehandelt). Welcher Exeget unserer Zeit verm6chte den Worten des Deuteronomiums diesen Sinn auch nur erahnend zu entnehmen: daB in dem &v Co copiTxrt cou das Bekenntnis zu Christus enthalten bzw. vorausgesagt und in dem &v -T xapSqta Tou der Glaube zu Christus gemeint sei? Und daB dieser Satz, der doch Teil des AT ist, die ntl. Glaubens- haltung ausdriicke gegeniiber dem Versuch, das Gesetz ,,zu tun"? Nur erwahnt sei, daB das xocTa7-r?TaL Zis Tv Puaaoov vom Apostel (mit Anklang an Ps. cvi 26?) souveran eingefiigt ist, weil das ihn iiberwaltigende Heilsereignis dem &avoc'oTraL ein xoTTxsP'TaL gegeniiber zu fordern schien. Ist diese Art der Schriftauslegung einmal als paulinisch konstatiert, fallen wohl weitgehend die sonst berechtigten Bedenken gegeniiber unserer These, Psalm lxxxvii 5 diene den theologischen Aussagen in R6m. vi und vii als vorgegebener Ausgangspunkt 1).

    1) J. BONSIRVEN, a.a.O. 273: ,,Les doctrines qu'il (sc. St. Paul) deduit des fcritures sont de deux ordes: exhortations d'ordre moral et directions pratiques de conduite d'abord, mais ensuite et surtout preuves et illustrations de la dogmatique chr6tienne. Dans les deux domaines il procede a la maniere des rabbins, prenant isolement un verset, une phrase, les tenant pour des oracles, des 'dits' divins, qu'on peut consid6rer et exploiter independamment de leut contexte. Nous pouvons imaginer combien la m6ditation portant sur une sentence extraite de son contexte, la r6p6tition de m6moire de quel- ques mots d6tach6s, favorisent cette interpretation 'non historique au sens moderne du mot'".

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  • UNTER TOTEN FREIGEWORDEN 287

    9. Wie Paulus das AT aufgefaBt hat, nachdem er Jesusjiinger geworden war, sagt er mit gro3er Klarheit Rom. xv 4: ,,Denn alles, was vorher aufgeschrieben wurde, ist zu unserer Belehrung ge- schrieben". Von der Decke, die von der Schrift des AT bzw. von den Herzen der Juden weggenommen werden muB, um den Zugang zu Christus und zu der neuen Zeit m6glich zu machen, ist schon oben geredet worden. Paulus war iiberzeugt, in seiner Bibelausle- gung fortwahrend diese die eigentliche Sicht verhindernde Decke fortzutun. Ihm geht es darum, das langst vor Christus geschriebene Wort des Gottesbuches in seinem eigentlichen Sinn zu erfassen. Dieser Sinn ist Christus und die Heilszeit. Im gesamten R6merbrief wird sein Bemiihen sichtbar, sein Evangelium als schriftgemaB, d.h. im AT angelegt, zu erweisen, darum die Dichte der Zitate bis zum Kapitel iv und dann wieder ab viii. Er weiB, daB er an Schrift- kenntnis und Deutungsgewandheit seinen Gegnern im jiidischen Lager gewachsen, ja iiberlegen sein muB. Dort hat seine Botschaft nur dann Aussicht, iiberhaupt geh6rt und beachtet zu werden, wenn er sie irgendwie im AT bezeugt finden und aus ihm entwickeln kann. DaB viele Psalmen in der Vberschrift den geheimnisvollen Hinweis esc To rTXoS tragen, mag von ihm als Fingerzeig auf ,,das Ende", welches Christus ist (vgl. R6m. x 4) und auf die ganze Endzeit gedeutet worden sein. Auch unser Psalm lxxxvii tragt diesen Vermerk 1).

    1) Die meisten der von Paulus zitierten Psalmen sind solche mit der Uber- schrift ecL TO T?XGo. Ganz wenige entbehren dieser.

    In Ubersicht: Rom. Ps. LXX s TO ro T?X:

    ii 6 lxv 13 Gott, der jedem nach seinem Werke vergilt iii 4 1 6 damit du gerechtfertigt werdest in deinen Worten iii II xiii I-3 es ist kein (Gerechter) auch nicht einer

    = lii 2-4 iii I3a v Io ein offenes Grab ist ihre Zunge iii I3b cxxxix 4 Schlangengift unter ihren Lippen iii 14 ix 28 deren Mund von Fluch u. Bitterkeit ist iii 18 xxxv 2 keine Gottesfurcht ist vor ihren Augen v 5 xxi 5 die Hoffnung macht nicht zuschanden

    viii 36 xliii 23 get6tet werden wir den ganzen Tag x 18 xviii 5 in alle Welt ging ihr Schall

    xi 9 lxviii 23 ihr Tisch werde ihnen zur Schlinge (xv 3 lxviii I0) xv g xvii 50 preisen will ich dich.

    keine -reXo-Psalmen: iii 4 cxv 2 jeder Mensch treulos iii 20 cxlii 2 gerechtfertigt wird kein Mensch

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  • WALTER DIEZINGER

    Was Paulus in R6m. vi und vii darlegt, ist etwas ganz Entschei- dendes seines Evangeliums. Zeichnet sich doch hier die Durch- brechung des jiidischen Standpunktes schlechthin ab: die Tora als Gesetzesnorm ist fur den Christen nicht mehr verbindlich, sie ,,tun" zu wollen, kann das Heil nicht geben. Den einzelnen, der zu Christus das Glaubensbekenntnis ablegt, versetzt das Tauchbad auf den Tod seines Herrn in den Zustand der Freiheit von den alten Geset- zesbindungen, gibt ihm den neuen Lebensgrund und legt ihm die sittliche Verwirklichung des neuen Lebens als Verantwortung auf. Und gerade hier, wo er dieses unerh6rt Neue verkiindet, sollte er auf eine Verankerung in seiner Bibel verzichtet haben? Es ist doch wohl bei seiner uns hinreichend bekannten Einstellung undenkbar, daB er hier ohne eine von ihm aus dem AT entwickelte Stiitze ope- riert hatte. Kam doch gerade hier alles an auf einen Schriftbeweis xa&a ra; ypacpaS (Vgl. I Kor. xv 3,4.).

    II. AoylsaOcut IM GANZEN DES PAULINISCHEN ZUSAMMENHANGES

    Trifft es nun zu, daB der Psalmvers mit rpooaeoyL0aNv pzr& rCoV xocarcpalvovz v sC Xaxxov die Abfassung der beiden Kapitel vi und vii des R6merbriefes inspiriert hat, dann wird auch ein bisher nicht erkannter Zusammenhang zwischen den Darlegungen des Apostels fiber den rechtfertigenden Glauben und der Taufe deutlich. Es handelt sich um den Zusammenhang der Kapitel iii-v mit vi und vii. Und zwar zeichnet sich die verbindende Linie ab auf dem Boden der Hillelschen Auslegungsregel des Binjan Ab. Was ist damit gemeint ?

    i. In den Paulus-Kommentaren ist des 6fteren hingewiesen auf die Regel des Qal wachomer (,,Leichtes und Schweres" 1) ) Kaum Rom. Ps. LXX keine reXo-Psalmen:

    iv 7 xxxi I Selig, dem vergeben ist... xv I cxvi i lobet den Herrn alle Heiden

    (115 und 116 sind Alleluia-Psalmen). Ob das Fehlen der rTXo;-Bemerkung bei den Texten der rechten Spalte

    einen tieferen Sinn hat fur den Zusammenhang bei Paulus, sei hier dahin- gestellt. Fur die Zitate aus den TrXo-Psalmen vgl. I Kor. x ii: ct o'S T&r TsXIY Tov alW

  • UNTER TOTEN FREIGEWORDEN

    aber einmal werden die anderen, im Spatjudentum so haufigen hermeneutischen Normen und mit ihnen die Norm des Binjan Ab zur Deutung des paulinischen Gedankengutes herangezogen und verwertet.

    Binjan Ab ist ,,w6rtlich Griindung einer Fanlilie (Ab kurz fur Bet Ab), verm6ge der mit diesem Ausdruck bezeichneten exegeti- schen Norm wird auf eine Anzahl biblischer Stellen, die inhaltlich zueinander gehoren, irgend eine nur bei einer derselben sich findende nahere Bestimmung angewendet. Die Hauptstelle verleiht so alien librigen einen sie zu einer Familie verbindenden gemeinsamen Charakter" 1). Bei Hillel gibt es bekanntlich sieben Middoth, Auslegungsregeln, die von ihm nicht erfunden, sondern aus dem Strom der Uberlieferung zusammengestellt und geordnet sind. Binjan Ab sind darunter die dritte und vierte, erstere, wenn das Prinzip aus einer, letztere, wenn es aus zwei Schriftstellen gewonnen ist. Nach Bonsirven handelt es sich hier um eine Methode der Ana- logie, um einen dialektischen Vorgang, zugleich volkstiimlich und juristisch in einem. Was von einem Einzelfall gesagt ist, wird auf ahnliche Falle ausgedehnt. Als Mittel der Beweisfiihrung dient immer die Analogie. Um das Gesagte zu verdeutlichen bringt Bonsirven 2) zwei Musterbeispiele, ein halachisches und ein hagga- disches. Sie seien hier des grundsatzlichen Verstandnisses wegen in deutscher Ubersetzung geboten:

    Siphre Deut. xvii 2 ? I48, I04 a: ,,Wenn sich findet" (Deut. xvii 2) das bctrifft die Zeugen, nach dem Prinzip, denn es ist hier gesagt (ebd. 6): ,,Auf dem Wort von zwei oder drei Zeugen steht die Sache fest (xix, I5). Hier ist ein Binjan Ab fur jede Stelle, wo gesagt wird ,,es findet sich" (immase): Die Schrift spricht dann von zwei oder drei Zeugen.

    schawah ist eine der verschiedenen Formen des Analogieschlusses, unser Binjan Ab ist ein SchluB vom Besonderen auf das Allgemeine dem Inhalte nach". (Die hermeneutische Induktion, Wien Leipzig I909, p. 254).

    1) H. STRACK, Einleitung in Talmud und Midrasch, p. 97. Vgl. auch E. BANETH, ,,Binjan Aw", in: Jiid. Lexikon II I550: ,,Binjan aw (Ausbau einer Grundsatzes), die Erhebung einer an einem oder mehreren Beispielen veranschaulichten Vorschrift zu einem allgemein giltigen Gesetz". B. BERN- FELD, ,,Hermeneutics, Talmudic", in: the Universal Jewish Encyclopedia vol. 5 (New York 1941) 324: ,,Binyan Ab Mikathub Ehad a generalisation of the reasoning behind a particular law into a general principle so that it can be applied to analogous situations".

    Vgl. auch Encyclopaedia Judaica (Berlin I93I) Bd. 7, 1189. 2) J. BONSIRVEN, a.a.O. 99-102.

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    Siphre Deut. iii 24 ? xxvii 71 a: ,,Du hast deine GrBe gezeigt" (Deut. iii 24): hier ist ein Binjan Ab fiir jedes ,,deine GroBe", das sich in der Tora findet.

    Bonsirven bestimmt sodann den Binjan Ab folgendermaBen: ,,Aus einem klaren Text leitet man ab, wie man ein gleiches Wort oder einen ahnlichen Rechtsfall zu verstehen hat" 1). Zur hebrai- schen Benennung ,,Binjan Ab" auBert er sich dann so: ,,Wir nehmen Ab in dem Sinn, den es oft in juristischen Abhandlungen hat: es bezeichnet ein Prinzip ... Ab behalt dann so ein wenig seinen Ursinn 'Vater', es griindet Familien (Bet Ab). Eine Familie bauen, das heiBt den typischen Fall verselbstandigen, welcher alien anderen ihre Form gibt".

    Diese Weise der Auslegung fiihrt dann von selbst dazu, mehrere Schriftstellen, auch aus verschiedenen Biichern, wie eine Kette aneinander zu reihen. Sie bilden dann die Wortfamilie, indem mehrere Texte unter einer Hauptstelle ideell stehen, von der aus Licht auf die iibrigen fillt. Zusammengehalten sind sie meist durch ein gemeinsames Stichwort (oben: ,,es findet sich", ,,deine GroBe"). Was von der einen klaren Stelle gesagt ist, gilt auch fiir die anderen, die subsumiert sind. An der einen Hauptstelle wird in dem Einzel- fall das Typische, das Allgemeine erkannt (oder wenigstens be- hauptet). So fiihrt das Denken also von einem Besonderen zur Hohe eines Allgemeinbegriffes, um von diesem wieder zu anderen Einzelfallen hinabzusteigen, m.a.W., der Allgemeinbegriff wird auf analoge Einzelfalle angewandt. Die Feststellung der Analogie unterliegt dem Scharfsinn des Rabbi. Die von einem Text aus- gehende Beleuchtung mehrerer anderer erm6glicht tieferes Erfassen des g6ttlichen Gesetzes. Die Rabbinen nehmen an, die Gemeinsam- keit eines Wortes riicke solche Texte in einen von der g6ttlichen Inspiration gewollten Zusammenhang. Daraus werden neue Er- kenntnisse gewonnen.

    2. Wendet man sich dem R6merbrief zu und versucht man, dort der etwa verwendeten Regel des Binjan Ab nachzuspiiren, so ist es gut hier einige Bemerkungen vorwegzunehmen. Bei Paulus muB angenommen werden, daB diese urspriinglich auf dem Boden der hebraischen Bibel gewachsenen Interpretationsnormen von ihm auf die griechische Septuaginta-Bibel angewendet wurden. Er war wohl keineswegs der erste der das unternommen hat, finden wir doch

    1) 4, ebd. ioI

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  • UNTER TOTEN FREIGEWORDEN

    in Jerusalem selbst schon Synagogen, in denen zweifellos die griechische Bibel beniitzt wurde (Apg. vi I und vi 9). Ferner muB beachtet werden, daB diese urspriinglich der Rechtsfindung dienen- den Middoth nunmehr iiberhaupt auf biblische Aussagen Anwen- dung finden. Der Ubergang vom juristischen Kombinieren und Deduzieren zum allgemein theologischen Vorgehen lag um so n'her und konnte sich um so unbeschwerter vollziehen, als ja im AT die zivilrechtlichen Normen mit den kultischen und allgemein religi6sen stets ineinander verwoben auftreten. Fur Paulus heiBt das: Die in der alttestamentlichen Bibel latent vorhandenen Voraussagen und Anspielungen auf die christliche Heilsara werden in einen Zusammenhang gebracht und aus der den Juden unzuganglichen Verhiillung ans Licht gehoben. Wenn es schon Lebensaufgabe der Rabbinen war, die g6ttlichen Aussagen, die im Ganzen der Bibel verborgen schlummern und der Entdeckung durch die sich damit beschaftigenden Manner harren, durch die ihnen m6glichen Metho- den ans Licht zu heben, um wieviel mehr muB sich Paulus gedrangt gefiihlt haben, all das aus seiner Bibel zu eruieren, was die nunmehr angebrochene Heilszeit im Auge hatte. DaB er sich bei der Deutung der ihm gelaufigen Methoden bediente, ist selbstverstandlich. Nur so, und gerade so laBt sich fir ihn die Legitimitat des Neuen Bundes beweisen, wenn der Alte die Prophetien auf das Christus- Ereignis und die gesamte Heilsara in sich ruhen hat. Sie miissen nur aus der Verhiillung ans Licht gebracht werden. Wir finden in der Anwendung der aus dem jiidischen Bereich entnommenen Methoden, zu denen Binjan Ab geh6rt, wohl iiberhaupt das erste Tasten rationell arbeitender und das Offenbarungsgut verarbeiten- der Theologie. SchlieBlich bedeutet der auf die griechische Bibel iibertragene Binjan Ab auch noch ein Abgehen vom starren Prinzip absoluter Wortidentitat, d.h. ein Verlassen der urspriinglich gel- tenden Verpflichtung, daB die (hebr.) W6rter, aus denen eine Wortfamilie gebaut wird, auch genau in denselben Wortformen mit alien Pra- und Suffixen iibereinstimmen muBten. Es wird daraus ein Stichwortzusammenhang, fiir den derselbe Wortstamm als verkettendes Element der einzelnen Schriftstellen als geniigend erachtet wird.

    3. FaBt man nun im besonderen die Zitate des AT in den Kapiteln iii-vii des R6merbriefes ins Auge, um sie nach m6glicher Verwendung des Binjan Ab zu untersuchen, so lege man sich zuerst die Frage vor, warum gerade diese Texte vom Apostel zu seiner Beweisfiihrung

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    gewahlt sind. Nicht sind sie namlich deshalb genommen, weil ihr urspriinglicher Kontext etwa den Sinn bietet, den Paulus braucht. Auch nicht, weil sie in ihrer vom Kontext befreiten Isolierung vom Satzsinn her allein fiir ihn brauchbar wiren. Sie sind vielmehr gewahlt wegen der Stichwbrter, welche dem geschulten Rabbi es gestatten, sie aneinander zu ketten. Diese Stichw6rter sind &lx'ou.o und XoyLreaOou.

    4. So hat man es hier mit zwei Wortfamilien (Bet Ab) zu tun. Stellen wir zuerst einmal diese fest und lassen wir zunichst die Frage nach dem Ab, dem Haupttext, beiseite. Die erste Familie ist gebaut aus 8txLou6o (a[xou.oq, atxatoyvy-t):

    iii 4 b 6'7S &o v &LxcwOe iii io b o;x Ea`wv GLxoowo, ou s ieS

    (iii ii-i8 sind Illustration des oiux ` a-ruv LxocvO. Die Verse driicken die Verwerfung dessen, der durch die Gesetzeswerke gerecht sein will, aus, und zwar durch die Worte der Tora selbst. Dieser ,,Weg" ist grundsatzlich und allgemein (,,auch nicht einer") gerichtet und verworfen.

    iii 2 0 ODu &LXtOO SPQcL 7~o~o a&p3 SV&)7tlOV QCUTOU iv 3 (dazu iv 9) &claruasv : 'A3Pc&s.i. C Os4, xoa EXoyl[Oe o CjrC E:s

    So weit die erste Wortfamilie. Die zweite ist konstruiert um das Wort XoyL'seaOaL, und zwar ist sie schon angelegt durch iv 3 in der ersten. In iv 3 begegnen sich atxouoaowv und XoysoeaOaL. Somit beginnt der zweite Binjan Ab seinen Lauf. Die in Teil I besproche- ne Annahme, Ps. lxxxvii 5 stehe hinter R6m. vi und vii, kann zunachst auB3er Beachtung bleiben:

    iv 3 a-rsureaCEv 6 'AP & -4Os, xoc iXoyLaOs OTjr e xoauv'v iv 8

    ~Lx&CpLoq dtv-jlp, 01 oCA xOy' YA7yrccL xupL0o oc mp'rtxv. [iv 22 &6O E'Xoy'LGO -c Oc&" E's &xOCLoabvqv. iv 24 ... 5XoyLo7 Oc &?hX& xxo, 8K' j U~5Sq ot1 t1c' ?LoyYLScOoc . vi II xoyfraozs 'evrmT slvcat vsxpo3 . *] .)

    Weiches Glied dieser Kette(n) zeigt sich nun, in der Idee des

    1) Das Eingeklammerte geh6rt nicht mehr zum Binjan Ab, fiihrt aber das Stichwort Xoyc'zoaOoa weiter.

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    Apostels, als das lichtgebende Prinzip, als die Hauptstelle (Ab), deren nahere in der Schrift ausgedriickte Bestimmung den anderen vorgegeben wird? Da sich in iv 3 beide Linien treffen, zieht dieser Text schon dadurch das Augenmerk auf sich: ,,Abraham glaubte Gott, und das wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet. ' Dies ist in der Tat der Text, der die anderen an seinem Sinn teilhaben laBt, der Obersatz der beiden paulinischen Binjan Ab. Das Einzelbeispiel des Stammvaters wird als Typus genommen, wie dann auch in iv 23 klar gesagt wird: ,,Nicht ist dies allein seinetwegen geschrie- ben, daB es ihm gerechnet wurde, sondern auch unsertwegen, denen es zugerechnet werden wird, die wir glauben an den, der unsern Herrn Jesus von den Toten erweckt hat". Das XLaTsUsrLV TO Os, das Gott-vertrauensvoll-Glauben-Schenken, ist die nahere Bestim- mung, der Ab, welcher in Beziehung zu setzen ist sowohl zur ersten Familie mit 8[xaoLo wie zur anderen mit XoyLCtOoct. Im ersten Binjan Ab wird, nachdem Gott und sein Wort als gerechtfertigt und sieg- haft auf den Thron erhoben ist, eine negative Linie entfaltet. Es wird gezeigt, wie das Gesetz (und Gott) den Nicht-Gerechten zeich- nen, namlich den Menschen, der das Gesetz ,,zu tun" sich unterfangt (Vgl. x 3: ,, ... ihre eigene Gerechtigkeit suchen sie aufzustellen, der Gerechtigkeit Gottes haben sie sich nicht unterworfen"). Gott bleibt zwar gerechtfertigt in seinen Worten (sc. der Tora; iii 4), sein Gebot ist heilig, und gerecht und gut (vii 12). Aber der Mensch, der seine eigene Gerechtigkeit aufstellen will, ist in diesem Tun ein zU6TT

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    Gott - und das Gesetz an sich (vii, 12) - bleibt gerechtfertigt fiber dem vergeblichen Unterfangen des Menschen = iii, 4

    negativ: der ou 8cxocLo (weil der Glaube fehlt) iii 10-20

    - der Ab-Text iv 3: Abraham glaubte Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit ge- --, rechnet

    iv 7,8

    positiv: der 8&xooq, die Seligpreisung (LaxapL6a6oq iv 6), die Gerechter- kliirung aus Glauben (Vgl. i 17; x30; x4)

    Abraham mit seinem Glauben an den Totenerweckenden Gott ist also Typus fiir alle, die ihm in diesem Glauben folgen. Aus seinem Glauben kam - durch das Gelten, lassen seitens Gottes - die wahre, giiltige Gerechtigkeit. Wo Gerechtigkeit ohne diesen Glauben, im Tun des Gesetzes, erstrebt wird, zieht sich dieses Unterfangen die Verwerfung durch das g6ttliche Orakel der Schrift selbst zu (iii I9; x 3; iii IO-I8). Verwerfung durch die Tora ist gleichbedeutend mit dem Zorn Gottes. Wo aber Glaube ist, wird er angerechnet als Gerechtigkeit durch Gott, in der Schrift am Abraham-Beispiel bezeugt. Dieses Anrechnen steht da als Gottes Antwort, wo an eine Totenerweckung durch Gott, speziell an die Erweckung Jesu, geglaubt wird. In diesem Sinn ist Abraham der Vater vieler Volker (iv 17): er hat an Gott geglaubt, daB er Totes erwecken wird, namlich seinen erstorbenen, d.h. zur Vaterschaft unfahigen Leib, und die ,,Erstorbenheit" des MutterschoBes der Sarah (iv I9). Dieses vorbildhafte Glauben des Abraham weist auf den Glauben und die aus ihm erstehende Gerechtigkeit der neuen Heilsara hin: hier wird ,,in seinen Spuren" (iv 12), und zwar gleichfalls von Unbeschnittenen, an die Erweckung von den Toten, namlich Jesu, geglaubt. Das bringt die Rechtfertigung genau so allen, die daran glauben, wie es im Typusfall Abraham die Gerechtigkeit brachte, namlich: Gott lieB es gelten, Gott rechnete an (Das XoysaCOoac ist damit fur alles folgende als Grundbegriff eingefiihrt). In den Begriffen des Binjan Ab gedacht, heiBt das: Einzelfall: Abraham glaubt an die Belebung des erstorbenen Leibes. Allgemeinbegriff: Das ist ein Glauben an den Totenerwecker-Gott. Anwendung auf weitere Einzelfalle: Die Christen glauben, daB Jesus

    von Gott erweckt wurde und damit treffen sie sich mit dem Typus Abraham.

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  • UNTER TOTEN FREIGEWORDEN

    Im Fall Abraham, dem Typus, dient die empirische Wirklichkeit: Isaak wird tatsachlich empfangen und geboren, als handfester Beweis fiir die Wirklichkeit dieser Rechtfertigung ,,aus Glauben" durch Gott, ,,der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende zum Sein ruft" (iv I7).

    An alien Stellen, die Paulus von der &lxoclrowv bringt, ist diese negativ oder positiv, unter dem Licht der formule maitresse (Bonsirven 327) iv 3 (= Gen. xv 6) zu sehen 1).

    5. Damit befinden wir uns unversehens schon im zweiten Binjan Ab, dem namlich, der sich um XoYlt[0eaO gruppiert. Er gliedert sich also aus dem ersten aus:

    iv 3 Angerechnetwerden des Glaubens zur Gerechtigkeit (?zlcTTSUC?uV a 'A. rO O6Z0, Xal1 XOoyLa60 OCUTj ?s &xCLoa6v,Uv)

    iv 8 Nichtangerechnetwerden der Siinde, Seligpreisung (vii) = Ge- rechtigkeit (,oLxapLoo cv p o0 ou p XoytLayroa xupIoq oapocpToi).

    (iv 22-24: hier wird iv 3 klar als Typus erklart: Angerechnetwerden dem Abraham, aber auch uns...)

    dazu vi ii: Gerechnetwerden als Tote fur die Siinde 2) XoytrOe. . . Das heiBt nun: wo von Angerechnetwerden und Zurechnen

    (XoyaocLao) die Rede ist, da ist auch dieses von der Abraham-Stelle her zu sehen: wo gerechnet wird, wird Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet. Alle Satze mit XoyrcaOca geh6ren unter die Hauptstelle des Binjan Ab.

    Setzt man nun die in Teil I entwickelte und begriindete These betreffs Ps. lxxxvii 5 mit ein, d.h. holt man aus dem Hintergrund des paulinischen Denkens das Schriftwort vom Xaxxos in die Reihe der iibrigen Xoy'0LeaOc Texte herein, so beginnt sich durch das (rtpoo)- eXoylOv0v des Psalmverses eine nicht uninteressante Beziehung zwischen Glauben (bzw. Glaubensgerechtigkeit) und Taufe im Denken des Apostels abzuzeichnen:

    1) BONSIRVEN wendet die in partie I seines Werkes gemachten Erkennt- nisse iiber die rabbinischen Auslegungsregeln nur sehr sparlich in II an, wo er die paulinische Exegese untersucht. Die Frage: wo hat Paulus den Binjan AB angewendet ?, scheint er sich nicht gestellt zu haben. Die an sich treffende Benennung ,,formule maitresse" steht bei ihm nicht im Zusammen- hang des Binjan Ab.

    2) Mag auch in der obigen Zusammenstellung fiir modernes Empfinden mit vi 11 ein Zeugma auftauchen, fiir rabbinisches Denken bedeutet das keine Schwierigkeiten, wie unzahlige Textverklammerungen beweisen.

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    iv 3 Angerechnetwerden des Glaubens zur Gerechtigkeit iv 8 Nichtangerechnetwerden der Siinde, Seligpreisung... (iv 22-24: Angerechnetwerden dem Abraham, aber auch uns) Hintergrund Kap. vi: Ps. lxxxvii 5, Gerechnetwerden zu denen, die

    zur Taufe hinuntersteigen 1). vi ii Gerechnetwerden als Tote...

    Die Beziehung von Glaube und Taufe bei Paulus im R6merbrief ist eine alte Crux. ,,Zweifellos besteht fur den ersten Blick eine Art Rivalitat zwischen Glaube und Taufe" 2). Aber legt sich nicht diese vordergriindig festgestellte Rivalitat auf dem Weg des Binjan Ab? Da sich der Psalmvers, dessen Vorhandensein man mit guten Griinden im Denken Pauli annehmen darf, nun auch noch hervor- ragend gut in den Stichwortzusammenhang seines Binjan Ab ein- ordnet - er geh6rt wie oben dargelegt in die XoyiLeaOoL-Familie -, verschmelzen auf einmal die beiden rivalisierenden Linien von Glaube und Taufe in eine. Aus dem spekulativ sicherlich nicht gerade leicht zu harmonisierenden Nebeneinander von Glaube und Taufe tritt mehr und mehr deutlich ein Ineinander ans Licht, und zwar ganz nach rabbinischen Regeln. Es wird so vielleicht auf einfache Weise klar, daB Glaube und Taufe fur Paulus nicht in schwer zu beruhigender Rivalitat stehen oder einfach nebenein- ander verharren, die bestandig den theologischen Ausgleich er- heischen und dann doch letztlich unbefriedigend aufeinander bezogen bleiben. Im Gedankengang des rabbinisch geschulten Hermeneuten Paulus stehen vielmehr beide, Glaube und Taufe, auf einer Ebene, oder anders ausgedriickt, in einer rabbinisch- logischen Linie, welche markiert wird durch das verbindende Wortglied seines (griechischen) Binjan Ab. Dieses Wortglied ist das Xoyrsclao. Auch zu diesem ,,Gerechnetwerden' (namlich zu den zum Taufbad hinuntersteigenden) ist als Ab, als bestimmender Obersatz das Abraham-Wort iv 3 zu begreifen. Es bot sich dem Apostel wegen des Stichwortes als weiteres Gedankenglied an. Zu den Tauflingen wird man ,,gerechnet", wenn man nach Abrahams- Weise an den Totenerwecker-Gott glaubt und Gott dieses Glauben zur Gerechtigkeit ,,rechnet". Das Zur-Gerechtigkeit-Angerechnet- werden des Glaubens und das Zu-den-Hinuntersteigenden-Gerech- netwerden diirfte in der Idee des Paulus in eine Identitat miinden:

    1) Oder sogar: ,,Mir wurde zugerechnet mit denen .. . (S. 279 Anm. 2). 2) O. Kuss, a.a.O. 3I3.

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  • UNTER TOTEN FREIGEWORDEN

    Im Hinuntersteigen zum Taufwasser wird ja der Glaube bekannt und realisiert. ,,Der Name des Herrn wird angerufen" nach dem Joel-Wort iii 5 LXX. In der Pfingstrede Petri (Apg. ii 2I) ist es als Aufforderung zur Taufe verstanden (vgl. Apg. ii 38-41), von Paulus in R6m. x 13 als Schriftbeweis gewertet, daB der Glaube an den Herrn Jesus ,,jeden rettet", d.i. zur wahren Gerechtigkeit bringt. Es ist sehr wahrscheinlich, daB es auch Paulus auf dem Hintergrund des Taufgeschehens bringt, ohne daB er es ausdrficklich nennt 1). Das Glauben, das zur 86xaLoo6vy) fiihrt, ist auch bei ihm kaum eines, das unbemerkt im stillen Kammerlein geschieht, vielmehr wird auch er an das Glaubensbekenntnis vor dem Forum der Kirche, bei der Taufspendung, denken. Die alte r6mische Weise der Taufspendung, wo der Taufling vor jedem Getauchtwerden nach seinem Glauben (an Vater, Sohn und H1. Geist) gefragt wurde und er die Antwort zu geben hatte, ist im sog. Alten Gelasianum greifbare historische Gegebenheit 2). Diese Form ist der altesten christlichen Praxis sicherlich sehr nahestehend 3), wenn nicht identisch. Mit dem Ver- schwinden der Erwachsenentaufe diirfte sie zugunsten der heutigen Form aufgegeben worden sein, wo die Fragen nach dem Glauben vor den eigentlichen Taufakt geriickt sind. Aber auch diese Form verbindet die Glaubensantwort, ,,das Anrufen des Namens des Herrn", aufs engste mit der Taufspendung. Hier gewinnt der (beim Erwachsenen) im Stillen gereifte Glaube die ffir die Kirche greifbare und kontrollierbare Gestalt. So war es immer in der Kirche gewesen, auch zur Zeit des Apostels Paulus. Darauf fuBend, haben Glaube

    1) Vgl. O. MICHEL, Der Brief an die Romer (G6ttingen I955) P. 227: ,,Wenn der Mensch das Bekenntnis zum 'Herrn' Jesus ausspricht und sich damit ihm iibereignet (etwa im Taufakt), und wenn er glaubt, daB Gott Jesus von den Toten auferweckt hat (R6m. iv 24), so wird er das Heil empfangen (aTcoean weist auf die VerheiBung des Taufaktes hin, vgl. Mk. xvi i6). Bekenntnis und Glaube sind ebenso unaufloslich miteinander verbunden wie Taufgeschehen und Rechtfertigungslehre. Offenbar handelt es sich im V. 9 um die bekannte Akklamation: 'Herr ist Jesus' (I Kor. xii, 12, 3; Phil. ii I ), aber auch um eine feststehende liturgische Formulierung, die beim Tauf- akt eine Rolle spielt (Mk. xvi i6; Apg. viii 37). Das Bekenntnis 'Herr ist Jesus' hangt eng zusammen mit der Taufe 'im Namen Jesu Christi' (Apg. ii, 38; xix 5)".

    2) Liber Sacramentorum Romanae Aeclesiae Ordinis Anni Circuli (ed. C. MOHLBERG, Rom. 1960) 449: Inde benedicto fonte baptizas unumquemque in ordine suo sub has interrogationes: Credis ... Respondet: Credo. Deinde per singulas uices mergis eum tertio in aqua.

    3) Mag sein, daB die trinitarische Fragestellung eine entfaltetere Form darstellt gegeniiber einer schlichten ,,auf den Namen Jesu Christi" (vgl. Apg. ii 38). Darauf braucht hier nicht naher eingegangen werden,

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  • DIEZINGER, UNTER TOTEN FREIGEWORDEN

    und Taufe auch in seiner Theologie einen in seiner rabbinischen Hermeneutik bedingten Zusammenhang. Man muB nur seinen Binjan Ab richtig durchdenken: Glauben und Sich-taufenlassen, aus Glauben gerechtfertigt werden und getauft werden, sind fur ihn, modem ausgedriickt, zwei Aspekte ein und derselben Wirklich- keit, Aspekte, welche sich ihm aus biblischen Orakeln anbieten und die letztlich gleichwertig sind. Rabbinisch formuliert, miuBte man etwa sagen: ,,tberall, wo du Xoys0ealoa liest, versteh es so, daB hier Gott dem Glaubenden die wahre Gerechtigkeit anrechnet, wie Gen. xv 6 gesagt ist".

    Zu den Tauflingen gerechnet werden bzw. mit den Tauflingen in ein Zugerechnetwerden einbezogen werden, und sich selbst als Toter rechnen (fiir tot halten), ist der eine Aspekt. Gott rechnet den dabei bekannten Glauben zur Gerechtigkeit an, ist der andere. Die Wirklichkeit, die gemeint ist, ist eine. Taufe und Glaube sind gleichwertig deshalb, weil fur ihn nach g6ttlicher prophetischer Vorausschau mehrere ypocpoL sich durch ein Wort verkniipft darstellen, namlich durch XoytszOcaL. ber diesen so verkniipften Schriftstellen herrscht als Ab bestimmend das Wort von Abraham Gen. xv 6. Hat man sich einmal ganz auf diesen Boden des Paulus gestellt, und bleibt man nicht am Formalen, das uns fremd ist, haften, so kann man nicht umhin, den groBen Wurf des groBen Geistes zu bewundern. Die Taufe ist fur Paulus der Vorgang, wo sich der die Gerechtigkeit herbeiholende Glaube verwirklicht. Beide, Glaube und Taufe, sind in seinem Denken genau so eng miteinander verwoben, wie dies in der Gleichzeitigkeit zum Ausdruck kommt, welche die Kirche seit alters der professio fidei und der Taufe gibt. Folgt man der hier vorgelegten Hypothese iiber Xocxxo und XoytOeaOcL und nimmt man in ihr das Verwobensein von Glaube und Taufe in der Idee des Apostels an, dann wird auch klar, warum er von seinem rabbinischen Denken her auf die Darlegungen in Kap. iii-v die anderen von vi-vii folgen lieB.

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    Article Contentsp.[268]p.269p.270p.271p.272p.273p.274p.275p.276p.277p.278p.279p.280p.281p.282p.283p.284p.285p.286p.287p.288p.289p.290p.291p.292p.293p.294p.295p.296p.297p.298

    Issue Table of ContentsNovum Testamentum, Vol. 5, Fasc. 4 (Nov., 1962), pp. 229-319Old and New Testament Traces of a Formula of the Judaean Royal Ritual [pp.229-244]Tradition und Redaktion in Joh. I 19-36 [pp.245-267]Unter Toten freigeworden Eine Untersuchung zu Rm. III-VIII [pp.268-298]Eine exegetische Notizzu Rm. IX 3 und X 1 [pp.299-300]Der Dorn im Fleische (2 Kor. XII 7-9) [pp.301-310]Once More: Christian Influence in the Testaments of the Twelve Patriarchs [pp.311-319]