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April 2014 Ausgabe 27 - WordPress.comAUSGABE 27 APRIL 2014 INHALT: 02 Editorial Sommersemester will...

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April 2014 Ausgabe 27 Chefredaktion: Andreas Vogl und Svenja Kremer
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April 2014

Ausgabe 27

Chefredaktion: Andreas Vogl und Svenja Kremer

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AUSGABE 27

APRIL 2014

INHALT:

02 Editorial

03 Falafel-Rezept

04 Von Hupkonzerten und Seelen-Sehen – Eindrücke einer Indienreise

07 Ḥūṯi–Konflikt im Nordjemen

10 Nasreddin Hoca und die unbekannten Anekdoten

13 Battle rap vs Mubārazāt Kalāmīya

FOTOS: Lena El-Lamony,

Andreas Vogl

LAYOUT: Cem Celik, Karl

Felsecker, Felix Wiedemann

KONTAKT:

[email protected]

CHEFREDAKTION:

Svenja Kremer

Andreas Vogl

Die Herausgeber übernehmen keine Gewähr

für Richtigkeit, Vollständig-keit und

Aktualität bereitgestellter Inhalte. Namentlich

gekennzeich-nete Beiträge geben die

Meinung des jeweiligen Autors oder zitierter

Personen und nicht immer die Meinung der

Herausgeber wieder.

EDITORIAL

Beginn des SoSe 2014 ANDREAS VOGL UND SVENJA KREMER

Das Sommersemester hat wieder begonnen und mit ihm begrüßt der AK

Orient alle neuen Studierenden des orientalistischen Instituts. Auch dieses

Sommersemester will er die studentischen Anliegen unterstützen und wirkt bei

verschiedenen Anlässen mit. Wir wünschen Euch auch weiterhin einen guten Start!

Der AK Orient ist die Schnittstelle zwischen dem Institut der Orientalistik und den

Studierenden. Seine Aufgabe ist es, die Studierenden unterstützen und sich für ihre

Anliegen bei den universitären Instanzen einzusetzen.

Dieses Sommersemester stehen wieder Veranstaltungen vor der Tür wie das

Lernwochenende vom 27.-29.06. oder das Sommerfest der Orientalistik am 24.06.

Weitere Infos über beide Veranstaltungen folgen zeitnah im den AK-Newsletter.

Außerdem befindet sich bald ein Kalender mit muslimischen Feiertagen am

schwarzen Brett des AK Orient.

Ab diesem Sommersemester hat der AKON, die Bamberger

Orientalistenzeitschrift, mit Andreas Vogl und Svenja Kremer zwei neue

Chefredakteure. Wer auch gern einen Beitrag für den AKON verfassen möchte, ist

dazu herzlich eingeladen. Auch in den kommenden Ausgaben ist noch Platz für

eure Geschichten oder Beiträge im Bezug auf orientalistische Themen. Das

Spektrum kann von einer Zusammenfassung einer Hausarbeit bis zu Rezepten oder

Tipps für einen Auslandsaufenthalt in einem Land des mittleren Ostens reichen.

In dieser AKON-Ausgabe berichtet uns Zaza Zöllter von der Indien-

Exkursion und stellt uns Andreas Vogl den Huthi-Konflikt im Jemen vor.

Lena El-Lamony verrät ein leckeres Falafel-Rezept und Felix Wiedemann

fasst die Ergebnisse seiner Hausarbeit über Battle rap und Mubārāzāt

Kalāmīya zusammen. Svenja Kremer stellt Nasreddin Hoca und wenig

bekannte Geschichten über ihn vor.

.

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Falafel-Rezept

von Lena El Laymony ‎

900 g Kichererbsen, entweder die Nacht vorher

eingeweicht oder aus der Dose

1 Bund Dill

1 Bund Koriander

1 TL Koriandersamen

2 Zwiebeln fein gewürfelt

1 Bund Lauchzwiebeln

1/2 TL Chillipulver

1/2 TL Kreuzkümmel

5 Knoblauchzehen - pressen oder würfeln

2TL Sesam

Öl, ein bisschen Backpulver, Salz, Pfeffer

Zubereitung:

Kichererbsen in den Mixer, danach Grünzeug

zerkleinern und auch in den Mixer. Alles vermischen.

Gewürze dazu-/untermischen. Aus dem Brei Kugeln

formen und in Sesam wenden. Wenn der Teig dazu

flüssig ist, Mehl untermischen. Viel Öl in die Pfanne,

am besten so, dass die Falafel in der Pfanne bedeckt

sind. Falafel ausbraten. Wird im Fladenbrot, mit Reis,

Pommes, Salat oder sogar Chips serviert.

Guten Appetit!

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Von Hupkonzerten und Seelen-Sehen – Eindrücke einer

Indienreise

von Zaza Zöllter

Erzähl’ mir was über Dein Land, bat ich und der alte Sikh ließ die Beine über den Tempelrand baumeln und streckte den Arm aus. Siehst Du den Wald, Ferangi1-Mädchen? Dieser Wald ist Indien, sagte er. Aber Indien ist doch nicht nur Wald, entgegnete ich ungeduldig. Ich habe mehr gesehen als nur Wald! Ich habe Straßen und Felder und Strände gesehen! Was ist denn damit? Ist das etwa nicht Indien? Doch, das ist auch Indien, antwortete er ruhig. Indien hat viele Gesichter: Städte, Märkte, Menschen, Dschungel, Flüsse und das Meer; selbst die Sonne ist Indien und noch vieles mehr. Ich blickte über die fünf Berge, deren Höhen und Täler sich vor uns bis an den Horizont erstreckten und konnte die Weite dieses Landes kaum ermessen. Indien ist nicht nur das, was Du siehst, fuhr er fort und deutete auf den Wald unter uns. Indien ist in Dir drin. Wir alle tragen unser Indien in unserer Brust und malen es uns so, wie es uns gefällt. Du wirst viele Orte sehen auf Deiner Reise und keiner wird sein wie der andere; Du wirst viele Menschen treffen, viele Gebete hören, viele Wege gehen und nichts wird sein wie das andere und das davor. Indien ist weit und bunt. Aber Indien ist auch ein Gefühl; eine Art Zauber, der uns umgibt, die wir hier leben und die, die es lieben. Viele kommen und gehen, einige von ihnen kommen sogar wieder und einige nochmal und nochmal und

1 Ferangi = Fremde/r, nicht aus Indien stammend

nochmal wieder. Aber nur wenige können Indien spüren. Ich hörte zu und versuchte, sein Indien in mir zu fühlen oder zu hören, aber ich wusste nicht sicher, was er meinte und so sah ich ihn zweifelnd an. Öffne Dein Herz, sagte er und lachte über mich. Wenn Du etwas Neues siehst, dann betrachte es gründlich. Danach schließe die Augen und lass es Deine Seele sehen. Was Deine Seele gesehen hat, das bleibt in Dir. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich verstanden habe, was er gemeint hatte. Eine Weile und ein paar indische Abenteuer mehr. Aber irgendwann, gegen Ende meiner Reise, habe ich es tatsächlich gefühlt; habe ich Indien mit dem Herzen gesehen und es in meine Seele einsickern lassen. Und es blieb in mir. Angefangen hat diese Reise allerdings erst einmal mit einer ganz normalen Exkursion – einer Exkursion, die wie jede andere hätte sein können: Hinfahren, durchhetzen, wegfahren und das einzige, was bleibt, sind Fotos auf dem PC und ein paar kitschige Souvenirs. Doch dieses Mal sollte es anders sein, denn zumindest für mich waren diese zwei Wochen erst der Anfang meiner ersten Indienreise und der Beginn einer großen Liebe. Mit Frau Dreiser und Herrn Wilde im Gepäck flogen wir, eine Handvoll mutiger Orientalisten und einige Indien-Interessierte aus anderen Studienfächern, von Frankfurt nach Delhi. Erklärtes Ziel war es, Indien bezüglich seiner muslimischen Vergangenheit bis auf die Knochen zu untersuchen und bisher erlangtes Wissen darüber anzuwenden und zu bestätigen. Im Zuge der islamischen Expansion des 7. und 8. Jahrhunderts gelangten Muslime nach Indien und eroberten dort Gebiete bis zum Hindus. Auch pflegten Inder und Araber zu dieser Zeit rege Handelskontakte und wirtschaftlichen Austausch. Erste Hindus konvertierten zum Islam und begannen mit dem Errichten von Moscheen auf dem Subkontinent.

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Ab 911 n.Chr. fiel Indien unter muslimische Herrschaft und wurde bis ins 19. Jahrhundert fast ausschließlich von muslimischen Machthabern und Dynastien regiert, so z.B. von den turkstämmigen Ghaznawiden (977-1206), dem Sultanat von Delhi (1206-1526) und dem Mogulreich (1526-1788). Tatsächlich fanden wir vor Ort zahlreiche Beweise für die muslimische Vergangenheit Indiens in Form von prächtigen Bauwerken und religiösen sowie kulturellen Einflüssen, die sich bis heute bemerkbar machen. So bestaunten wir architektonische Meisterwerke wie das weltbekannte Mausoleum „Taj Mahal“ in Agra, das der Großmogul Shah Jahan 1631 für seine verstorbene Lieblingsfrau Mumtaz Mahal aus weißem Marmor errichten ließ, oder die „Jama Masjid“, Freitagsmoschee Delhis und größte Moschee Indiens. Noch heute ist in Indien der Islam (neben dem Hinduismus) die zweitgrößte Glaubensrichtung und insgesamt leben wohl um die 135 Millionen Muslime dort. Wir wuchsen als Exkursions-Gruppe allmählich eng zusammen und lernten neben theoretischen und wissenschaftlichen Dingen auch überlebenswichtige Basics des indischen Alltags kennen, zum Beispiel, dass kein Fahrzeug (weder Motorrad, Bus, Tuk-Tuk, Auto, Truck, Fahrradrikscha oder Ochsenkarren) auf Indiens Chaos-Straßen für einen Fußgänger bremst. Sollte dennoch ein todesmutiger, verwirrter Tourist die Überquerung einer solchen wagen, wird er sofort von fürsorglichen Indern am Arm gepackt und an der nächsten Fußgängerampel sicher durch den Verkehr gebracht; dass diese nächste Ampel oft minutenlang von der ursprünglichen Stelle entfernt liegt, wird dabei geduldig in Kauf genommen. Ein weiteres wichtiges Grundwissen des indischen Lebens erklärte uns unser Tourist-Guide in Agra: „Inder kaufen Autos ohne Bremsen, aber niemals ohne Hupe!“ Und wirklich, die Hupe scheint beim Autofahren in Indien das wichtigste Instrument zu sein, von dem dauerhaft und intensiv Gebrauch gemacht wird – und zwar zu jeder erdenklichen

Tages- und Nachtzeit. Gehupt wird an roten Ampeln, beim Anfahren bei Grün, um das Überholen anzukündigen, während des Überholvorgangs und um diesen zu beenden; man hupt, um zu grüßen, zu warnen und auch einfach so aus Spaß, weil Hupen eben so lustig ist. Noch nie zuvor hatten wir so viele verschiedene Huptöne und –rhythmen gehört!! Somit braucht man in Indien zum Autofahren auch nur drei Dinge: „Mut, Hupe und Glück.“ Ein Abenteuer für sich war natürlich das indische Essen. Zwar meistens längst nicht so scharf wie befürchtet, war es natürlich dennoch ein starker Gegensatz zum gewohnten europäischen Geschmack. Wir stürzten uns voller Begeisterung auf immer neue Gerichte und Speisen und konnten der Vielfalt der indischen Küche in den kurzen zwei Wochen unserer Exkursion leider nicht ausreichend gerecht werden. Kurz gesagt: Wir (oder zumindest ich) schlemmten ohne Gewissen und stürzten uns auf all die Leckereien, die man uns darbot; naschten uns von Gulab Jamun, frittierten Teigbällchen in Zuckersirup, über Kokosnuss-Chutney und Naan, dem indischen ‚Brot’ bis hin zu Samosas und Tandoori-Chicken und gewöhnten unsere Gaumen Schritt für Schritt an die würzige indische Küche. Kleiner Tipp am Rande: Ananas in Scheiben schneiden, etwas Salz und Chili darauf streuen und genießen. Klingt komisch, schmeckt aber unglaublich gut!! Natürlich erlebten wir auf unserer der Exkursion in Delhi, Jaipur und Agra auch weniger schöne Dinge. Armut und Elend ist gerade in großen Städten allgegenwärtig und organisierte Bettelei mit dreisten Methoden verlangte uns Geduld und Härte ab, was angesichts flehender Kinderaugen jedoch schwerfallen musste und somit zur ständigen Belastungs- und Zerreißprobe wurde. Überhaupt hatten wir nach einer Weile das anstrengende Gefühl, wandelnde Geldautomaten für alles und jeden zu sein und wirklich schien man zu glauben, alle Europäer seien unerschöpflich reich. So wurden

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wir angebettelt, was das Zeug hielt und zahlten stets völlig überhöhte Preise. Als ich einem Verkäufer in Preisverhandlungen erklärte, dass ich nur wenig Geld hätte, erwiderte er, alle Deutschen seien reich. Als ich ihm daraufhin verständlich machen wollte, dass deutsche Studenten keinesfalls reich wären, beendete er die Diskussion mit den Worten: „Aber ihre Väter sind reich und geben ihnen viel Geld.“ Baff. Insgesamt jedoch erlebten wir in Indien eine tolle Zeit und eine gelungene Exkursion und uch meine weitere Reise nach Bangalore, Goa, Dandeli, Kumtar, Mangalore und viele Orte mehr war eine Zeit voll spannender Abenteuer, großartiger Erfahrungen und atemberaubender Schönheit. Ich hätte noch so viel zu erzählen, zu berichten und zu schwärmen, dass ich ein ganzes Buch damit füllen könnte, doch hier führt das wohl zu weit. Deshalb lieber an anderer Stelle mehr. Bis dahin, fir milenge2!

2 Fir milenge = Auf Wiedersehen

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Ḥūṯi-Konflikt im Nordjemen

von Andreas Vogl

Bis 1962 hatte das 1000-jährige zaiditische Imamat im Jemen Bestand, worauf es in einem blutigen Bürgerkrieg gestürzt wurde. Es hatte verpasst, das Land zu modernisieren und so lehnten sich große Teile des Volkes gegen den Imam auf, was schließlich in einem bis 1967 andauernden Bürgerkrieg mündete. Saudi-Arabien und Jordanien standen auf der Seite der Royalisten, die Republikaner wurden von Nassers Ägypten unterstützt. Danach gründete sich die Jemenitische Arabische Republik. Die Royalisten, speziell im Nordjemen ansässig, waren in erster Linie zaiditisch (die Zaiditen sind 5er-schiitisch. Im Gegensatz zu den 12er-Schiiten verfluchen die Zaiditen die ersten 2 Kalifen nicht und kennen als 5. Imam Zaid ibn Ali, nicht Muhammad al-Baqir, an).

Nach dem Bürgerkrieg wurden die Zaiditen von der Regierung gerne als rückwärtsgewandt angesehen, da man ihre Macht noch immer als eine Gefahr für den Staat ansah. In der Praxis bedeutete dies die ökonomische Vernachlässigung des Nordjemen, Diffamierung der Zaiditen seitens des Staates und staatliche Unterstützung für salafistische Elemente im Nordjemen, um ein Gegengewicht zu den Zaiditen zu schaffen. Unter den Zaiditen kam so der Eindruck auf, dass sie wegen ihres Glaubens vernachlässigt werden und ließ eine starke Gemeinschaft entstehen. Im jemenitischen Parlament wurde Hussein Badreddin al-Huthi Anfang der 90er eines der stärksten Sprachrohre der Zaiditen. Er fing an die Jugend, die sich vernachlässigt fühlte, zu organisieren. So entstanden gemeinsame Schulen im Norden, „Sommercamps“ und gemeinsame Freizeitaktivitäten, um ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln. Die

Gruppe nannte sich Shabaab al-Mu’min, „Jugend der Gläubigen“, und hatte das Ziel, sich auf die zaiditische Lehre mitsamt ihrer Werte zurück zu besinnen.

Paradoxerweise tolerierte die jemenitische Regierung diese Gruppe in den 90ern, um den Einfluss der Salafisten in Balance zu halten. Anfang 2000 kam es dann zu ersten Konflikten zwischen der Shabaab al-Mu’min und Salafisten, da man annahm, letztere würden von der jemenitischen Regierung unterstützt. Nach dem 11.09.2001 änderte sich die Situation dann nochmal gewaltig: die USA sahen die jemenitische Regierung als Unterstützer im Kampf gegen den globalen Terrorismus an und unterstützten diese finanziell und mit militärischen Ausbildern.

Al-Huthi kritisierte das genauso wie die Kriege in Afghanistan und Irak. Er war einer der wenigen Stimmen – und im Jemen wohl die stärkste –, die sich gegen die bedingungslose Unterstützung der USA richteten. Nach den Freitagspredigten hielt er Reden, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuten und infolgedessen große Teile der Shabaab al-Mu’min gegen die USA und Israel mit dem Slogan „Gott ist größer. Tod den USA. Tod Israels. Fluch über die Juden. Sieg des Islams“ in die Öffentlichkeit gingen. Heute ist der Slogan überall in Sana’a und im Nordjemen in Form von Aufklebern, Graffitis und Plakaten quasi omnipräsent.

Mit solchen Slogans und immer größerer Beliebtheit wurde Al-Huthi mit seiner Jugendgruppe allmählich zur Gefahr für die Regierung. Diese fühlte sich dank der Unterstützung der USA stark und schrieb al-Huthi im März 2004 zur Verhaftung aus. Al-Huthi floh daraufhin in den Norden, wo er im September 2004 vom jemenitischen Militär aufgespürt und getötet wurde. Beide Daten spiegeln Zugleich Anfang und Ende der ersten von bisher 6 großen Phasen in dem Konflikt zwischen Staat und Huthis wieder. Die Huthis hatten 2004 noch circa 2.000 Kämpfer, mittlerweile schätzen Experten ihre Zahl auf bis zu 100.000. Erklärt werden kann das vor allem durch das rabiate Vorgehen seitens der Sicherheitskräfte, die auch

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keinen Stammeskodex befolgten und beispielsweise gleich mit dem Kampf anfingen, bevor sie Gespräche suchten. Besonders deutlich machte dies die „Operation verbrannte Erde“ in der sechsten Phase des Konflikts von August 2009 – Februar 2010. Damals hat die Armee versucht, die Huthis und ihre Unterstützer ausbluten zu lassen, was zu einer weiteren Unterstützerwelle für die Huthis geführt hat.

Während des Arabischen Frühlings 2011, wobei auch die Huthis für Demokratie und den Rücktritt Salehs demonstrierten, nutzten sie das Machtvakuum im Nordjemen und eroberten weite Gebiete, entließen Gouverneure und richteten eigene Checkpoints ein. Infolgedessen kam es zu Kämpfen mit Stämmen, die hinter der Regierung standen und salafistischen Gruppen, die vor allem in der Ortschaft Dammaj sich in ihren Schulen – wie die Huthis behaupteten, von den Salafisten verneint – mit Waffen verschanzten und sich weigerten, ihre Waffen abzugeben. Die Huthi-Kämpfer sind allerdings bald wieder abgezogen, um ihren Willen, Frieden zu schaffen, zu untermauern.

Als dann im September 2012 der Film „Die Unschuld der Muslime“ (Muslim’s Innocence) veröffentlicht wurde und gewaltsame Proteste von Muslimen auf der ganzen Welt nach sich zog, konnten die Huthis auch das für sich nutzen. Sie organisierten riesige Demonstrationen im Nordjemen, aber auch in Sana’a. Quellen besagen, dass sie dadurch viele Waffen und Kämpfer nach Sana’a bringen konnten. In der jemenitischen Hauptstadt ist es heute vor allem durch Plakate, Graffitis und Demos sichtbar, dass die Huthis auf eine unglaublich breite Masse an Unterstützern bauen können.

Seit Anfang diesen Jahres sind Kämpfe zwischen den Salafisten im Norden, dem jemenitischen Ableger der Muslimbrüder (al-Islah Partei) und dem al-Ahmar Stamm (der stärkste in der al-Islah Partei) auf der einen und den Huthis auf der anderen Seite entbrannt. Die Salafisten mussten ihre Schule in

Dammaj mittlerweile aufgeben, sie wurden von den Huthis verdrängt. Wie immer gab es oft kurze Waffenstillstände, die aber immer wieder gebrochen wurden – wobei sich beide Seiten gegenseitig des Bruches beschuldigten. Die Huthis haben außerdem geschafft den al-Ahmar Stamm zu verdrängen, haben weite Gebiete im Nordjemen unter ihrer Kontrolle und sind mittlerweile seit knapp 2 Monaten ein paar Kilometer vor Sana’a. Sie verneinen zwar jegliche Absicht, Sana’a einnehmen zu wollen, es ist in jedem Fall aber eine gefährliche Situation, die jeden Moment eskalieren könnte. Somit stellen sie eine Kraft da, die die alte politische Ordnung aufgebrochen hat und gezeigt hat, dass sie jegliche Entscheidung seitens der Regierung beeinflussen kann. Auch dadurch bekommen die Huthis sogar von sunnitischer Seite immer größeren Zulauf.

Die einzige äußere Macht, die bis jetzt nachweislich in die Kämpfe eingegriffen hat, ist Saudi-Arabien, das negative Auswirkungen eines schiitischen Aufstandes so nahe an seiner Grenze im eigenen Land fürchtet. Außerdem haben Huthi-Kämpfer 2009 auch saudische Grenzbeamte angegriffen. Iran soll die Huthis logistisch unterstützen und die Hisbollah soll sie in einem iranischen Camp auf einer Insel vor Eritrea ausbilden – was von diesen Seiten jedoch vehement bestritten wird. Die jemenitische Regierung hingegen behauptet das und hat angeblich schon öfter iranische Schiffe aufgehalten, die Waffen in den Nordjemen bringen sollten. Sowohl Iran als auch die Huthis weisen dies zurück, die Huthis mit dem Argument, dass es im Jemen schon genügend Waffen gäbe. Als relativ gesichert gilt jedoch nach Berichten der Jerusalem Post, dass Huthi-Kämpfer auch im syrischen Bürgerkrieg unter Führung der Hisbollah mitmischen. Weitere Kräfte sind Jordanien, Marokko und Pakistan, die jeweils Saudi-Arabien oder die jemenitische Regierung unterstützen.

Abzulesen lässt sich auf jeden Fall, dass der Konflikt mittlerweile eine größere internationale Dimension angenommen hat und er auch innerhalb des Jemens

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das Land schon sensibel destabilisiert. Zusammen mit Al-Qaida und Sezessionisten im Süden ist der Huthi-Konflikt eine große Gefahr für die Stabilität des Landes. Es gibt mittlerweile auch wieder Berichte, dass die Huthis in Aden im Südjemen eine Gegenkraft zu der Zentralregierung in Sana’a etablieren wollen. Zu diesem Zweck würden Berichte passen, dass sich die Huthis mit den dortigen Sezessionisten treffen sollen und auch immer mehr Huthi-Kämpfer in Aden gesehen werden. Ob beide Gruppen den Jemen so zwischen sich in Nord und Süd aufteilen wollen, kann man allerdings nicht sagen. Eine Gefahr diesbezüglich besteht allerdings.

Ohne eine ernsthafte Eingliederung der Zaiditen in den Staat und mehr Geld für Entwicklung im Norden wird sich der Konflikt auf jeden Fall nicht lösen lassen. Viele Stämme unterstützen die Huthis beispielsweise vor allem aus pragmatischen Gründen: sie wollen die lukrativen Schmuggelrouten für Waffen und Qat nach Saudi-Arabien aufrecht erhalten. Mittlerweile ist er der drittgrößte Konflikt im arabischen Raum des letzten Jahrzehnts – an erster Stelle steht Irak, an zweiter mittlerweile Syrien. Für den Jemen gibt es keine gesicherten Zahlen, allerdings schätzt man die Zahl der Toten nach der Ende der sechsten Phase im Februar 2010 auf 25.000, dazu kommen 250.000 Binnenflüchtlinge im Jemen und 50.000 in Saudi-Arabien.

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Nasreddin Hoca und die unbekannten Anekdoten

von Svenja Kremer

Dass Nasreddin Hoca bei Angehörigen des türkischen

Kulturkreises beliebt ist, zeigten die belustigten

Reaktionen meiner Kommilitonen in der Mensa, als

ich aus I, Hoca Nasreddin, never shall I die von Ilhan

Başgöz einige Anekdoten de türkischen Volkshelden

vorlas3. Zwar fanden die derberen mehr Beifall, da

nicht zuletzt der deutsche Humor schon seit Neidhart

(um 1200) und anderen mittelhochdeutschen

Autoren auf Fäkalhumor gegründet ist, doch auch die

anderen Schwänke Hocas trugen zur Unterhaltung

bei.

Wenn Nasreddin Hoca dem Imam beim Gebet an die

Hoden fast, seine Frau züchtigt oder seinen Esel

verführt, mögen das die ungewöhnlicheren und

später dazu gedichteten Geschichten sein, zeigen

aber nicht weniger einen Ausschnitt der damaligen

Gesellschaft und einen Beleg für den Humor im

mittelalterlichen Kleinasien.

Nasreddin Hoca, der als einer der berühmtesten

Protagonisten volkstümlicher, türkischer Literatur gilt

und nationale Bedeutung erlangt hat, soll im 13.

Jahrhundert in der Nähe von Akşehir als Imam,

Richter und Kaufmann gewirkt haben. Seine Existenz

wird bezweifelt, obwohl in Akşehir ein Grabmal an

ihn erinnert. Der Sagenkreis um Nasreddin Hoca hat

nicht nur in der Türkei jede Bevölkerungsschicht

3 Başgöz, Ilhan u. Pertev N. Boratav: I, Hoca Nasreddin, Never

Shall I Die. A Themativ Analysis of Hoca Stories.

Bloomington: Indiana Univ. Turkish Studies Series 1998

(Indiana University Turkish studies 18).

durchdrungen, sondern ist auch auf dem Balkan und

in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion bekannt.

In Deutschland werden seine komischen Geschichten

oft mit denen von Till Eulenspiegel verglichen. So, wie

Till Eulenspiegel auch nur äußerlich ein Narr war und

seine Verschmitztheit nur zeigt, um Mitmenschen

vorzuführen, karikiert auch Nasreddin Hoca seine

Mitmenschen und versucht gesellschaftliche

Unrechtmäßigkeiten aufzudecken. Oft wird den

Schwänken auch eine spirituelle Bedeutung

beigemessen, da Nasreddin Hoca mit dem türkischen

Sufismus verknüpft wird.

Viele der Geschichten des Volkshelden scheinen eine

einfache, feste Struktur aufzuweisen, doch Ilhan

Başgöz zeigt, dass die Schwänke nach anderen

Mustern ablaufen, wie man beim ersten Lesen

vermutet. Zur Veranschaulichung seiner Thesen soll

die Geschichte um Nasreddin Hoca und den Turban

als Beispiel fungieren. Der erste Teil der Schwänke

besteht meist aus einem sozialen Muster, in dem die

Ausgangssituation erklärt wird und der Hoca meist

mit anderen in eine Interaktion tritt. Oft spielt sich

der Sachverhalt in einer bestehenden sozialen

Ordnung, wie wenn der Dorfbewohner den Hoca

aufsucht, um einen Brief vorgelesen zu bekommen.

Andererseits kann der erste Teil auch eine außer

Kontrolle geratene Situation ohne soziale Ordnung

enthalten. Dies ist der Fall, wenn der Schwank zum

Beispiel mit Nasreddin und seinem Esel in der

Moschee eingeleitet wird. Der zweite Teil enthält die

Pointe. Hier wird die Situation unkontrolliert und

soziale Normen greifen nicht. Hier übergibt der Hoca

seinen Turban und tadelt den Dorfbewohner, dieser

habe in die Moschee gespuckt. Die beiden Teile und

ihre Muster können verschieden kombiniert werden,

was bis hin zum Effekt geht, dass der ganze Schwank

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lächerlich gemacht wird.

Neben der Rezeption als literarisches Phänomen

werden die Schwänke um die Figur auch anders

verarbeitet. Jedes Jahr findet eine

Veranstaltungsreihe in Akşehir, die „Nasreddin Hoca

Şenlikleri“, statt. Dazu ist Nasreddin Hoca sehr

populär in Werbung und Fernsehen. Verschiedene

Kinderserien adaptieren die Figur. Eine der neuesten

Serienadaptionen kommt sogar aus China. Auch

international bekannt sind die Comicumsetzungen

und PC-Spieladaption.

Zur Illustration des theoretischen Inputs sollen die

nachfolgenden Beispiele dienen. Mit der ersten

Anekdote wurde die These Başgöz gestützt und die

zweite zeigt, wie Nasreddin vordergründig mit

Religion und Spiritualität umgeht. In der letzten

Anekdote findet sich leider keine derbe Anekdote aus

I, Hoca Nasreddin, never shall I die Ilhan Başgöz,

jedoch eine Geschichte, die auch alle sozialen

Normen der damaligen Zeit verdreht. Wer

weitergehendes Interesse für die derben Schwänke

hegt, werfe ein Blick in den angegebenen Band.

Der allwissende Turban

Ein Mann, der des Lesens unkundig ist, bekommt

einen Brief und bittet den Hodscha, ihn ihm zu

übersetzen. Der Hodscha tut sein bestes, kann das

Geschriebene aber nicht entziffern. Es ist wohl

Arabisch oder Persisch.

»Ich kann es nicht lesen«, erklärt er schließlich, »frag

lieber einen anderen.«

»Und du willst ein Gelehrter sein«, sagt der Mann

ärgerlich, »du solltest dich deines Turbans schämen,

den du trägst!«

Da nimmt der Hodscha seinen Turban ab, setzt ihn

dem Mann auf und sagt: »Wenn du meinst, der

Turban sei allwissend, dann lies du doch den Brief!«4

The Ways of God

One hot day, the Hodja was taking it easy in the

shade of a walnut tree. After a time, he started

eyeing speculatively, the huge pumkins growing on

vines and the small walnuts growing on a majestic

tree.

"Sometimes I just can't understand the ways of God!"

he mused. "Just fancy letting tinny walnuts grow on

so majestic a tree and huge pumkins on the

delicate vines!"

Just then a walnut snapped off and fell smack on the

Hodja's bald head. He got up at once and lifting up

his hands and face to heavens in supplication,

said:

"Oh, my God! Forgive my questioning your ways! You

are all-wise. Where would I have been now, if

pumpkins grew on trees!" 5

“EINE NÜTZLICHE LEHRE

Nasreddin hatte vor seiner Frau große Angst und

vertraute dies unvorsichtigerweise seinen Freunden 4Hekaya: Die Geschichte des Nasreddin Hoca:

http://www.hekaya.de/maerchen/die-geschichten-des-

nasreddin-hodscha--asien_132.html, 2.3.2014. 5Ozbek, Eray: Nasreddin Hoca Stories

http://salpagarov.narod.ru/kultura/hoca/Jokes-Anecdotes.htm,

2.3.2014.

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an. So dauerte es nicht lange, bis es seine Frau Hanife

erfuhr. Der Polizeimeister von Ak-Schehir war in der

gleichen Lage wie unser Hodscha, du seine Frau

schreckte nicht einmal davor zurück, sich in die

öffentlichen Angelegenheiten einzumischen. An ihr

bewahrheitete sich weitgehend das chinesische

Sprihwort: >> Die Zunge der Frau ist ein Schwer, das

sie nicht rosten lässt. << Als sich die Bevölkerung bei

Nasreddin über ihre Intrigen und Klatschereien

beklagte, sah dieser es als seine Pflicht an, dem

Beamten vorzuhalten, dass es unrecht sei, seiner

Ehehälfte solche Einmischungen durchgehen zu

lassen. Am Abend versäumte der Polizeimeister

nicht, die Ermahnungen des Hodscha seiner Frau

weiterzuerzählen, und am nächsten Morgen fand sie

sich bei der Gattin des Nasreddin ein und überredete

sie, ihrem Mann dafür einen Denkzettel zu geben.

Als der Hodscha heimkam, befahl Hanife ihm: >> Hole

den Sattel aus dem Stall.<<

>> Da hast du ihn, aber was willst du damit?<<

>>Du wirst der Esel sein, und ich werde auf dir

reiten.<<

>>Bist du verrückt?<<

Aber Hanife bestand darauf, so dass sich Nasreddin,

des Haders müde, für dieses Spiel hergab und auf

allen vieren, mit seiner Frau auf dem Rücken, durch

das Haus spazierte. Plötzlich erschien der

Polizeimeister mit seinem Hausdrachen, der mit

Hanife unter einer Decke steckte, und brachen

angesichts der Szene in lautes Lachen aus. Nasreddin

stand sofort auf.

>> Du hast es gesehen<<, sagte er zu dem Besucher.

>>Das ist es, was auch dich erwarten wird. Ich habe

dir nicht umsonst Ratschläge gegeben. Möge dir

dieser Anblick eine Lehre sein.<<“6

6 Garnier, Jean-Paul: Nasreddin Hodscha. Eine Auswahl seiner

Schwänke. 1.Aufl. München: Ernst Heimeran Verlag 1965, S.

66.

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Battle rap vs Mubārazāt

Kalāmīya

von Felix Wiedemann

Einer der derzeit beliebtesten Rapper Ägyptens,

Ahmed Mekky leitet sein Album „Aslo 3arabi“ auf

ungewöhnliche Art ein: Er behauptet, der Ursprung

(aṣl) des Rap sei arabisch. Er bezieht sich dabei auf

„Wortwettstreite“ (mubārazāt kalāmīya), welche

zwischen arabischen Dichtern ausgetragen wurden

und in welchen der heutige battle rap seine Wurzeln

habe. Über afrikanische Sklaven sei diese Tradition

in die USA gelangt und zeige sich heute wieder im

Rap.i

In meiner Hausarbeit „Dichterwettstreit im Kitāb al-

Aġānī und im battle rap “ ii habe ich diese zwei

Formen lyrischen Wettstreits gegenübergestellt.

Abū ‘Aṭāʾ as-Sindī vs Abū Dulāma (8. Jh.)

Ṣadaqta Abā Dulāmata lam talidhā

muṭahharatun wa-lā faḥlun karīmu

Wa-lākin qad ḥawathā ummu sūʾin

ilā labbātihā wa-abun laʾīmuiii

Übersetzung

Richtig! Keine Makellose hat das Kind ge-

boren, und dem Vater fehlt ein edler Ahn.

Eine Schlampe hat das Kind an ihre Brust

gedrückt, zum Vater hat es einen Liederjan.iv

Iron Solomon vs Immortal Technique (21. Jh.)

Man, man,... you're heart's where I'm gonna hang you

you dissin' me in Spanish so that I can't understand you

so I don't know what you really said

plus you wrote that shit, that shit wasn't off the head

come on Technique, every thing you say['s] corny

that you get five mics is in a gay orgyv7

Ein paar Parallelen und Unterschiede kann man

bereits aus den zwei obigen Textbeispielen

herauslesen. Eine genauere qualitative Untersuchung

ergab folgende Gemeinsamkeiten und

Verschiedenheiten:

Resultat des Vergleichs

Äußerlich haben battles und mubārazāt kalāmīya

gemeinsam, dass in beiden sich Kontrahenten vor

Publikum gegenüberstehen und sich mit gereimtem

Text, der Selbstlob (boasting/ faḫr) und Spottverse

(dissing/hiǧāʾ ) enthält, bekämpfen. Beiderlei

Wortwettstreite bieten den Künstlern die Möglichkeit

ihre Fähigkeiten durch Übung im Wettkampf zu

verbessern und sich in einer Rangordnung zu anderen

Künstlern zu positionieren.vi

Improvisation scheint in battles und mubārazāt

kalāmīya unterschiedlich wichtig zu sein. Es gibt

sowohl improvisierte freestyle battles, als auch auf

Tonträgern verbreitete nicht improvisierte battles.

7 Anm. d. Red.: Die vom Autor gegenübergestellten Liedtexte

waren ursprünglich parallel angeordnet. Sie sollen auch so

gelesen werden, mussten aber aus Gründen des Layouts

untereinander gestellt werden.

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Die Gedichte in mubārazāt kalāmīya wirken auf

Grund der Komplexität ihres Metrums und ihrer

Struktur eher so, als ob sie – auch wenn sie

situationsbedingt eingesetzt wurden – nicht

improvisiert, sondern vorher geschrieben wurden.

Auszuschließen ist eine Improvisation jedoch nicht.

Während in den arabischen Gedichten Metrum eine

wichtige Rolle spielt, so findet man dieses im rap

nicht. Hier ist nur flow, Rhythmusgefühl des Rappers

von Bedeutung.

Einer der größten Unterschiede zwischen hiǧāʾ und

diss ist der Adressat des Textes. Es gilt jeweils, dass

der Herausgeforderte durch die Herausforderung als

ein würdiger Gegner markiert wird.vii Allerdings hat

der hiǧāʾ immer einen Adressaten, an welchen der

Text gerichtet ist und welcher verspottet werden

muss, während dies bei einem diss nicht immer der

Fall ist. Die Kunstform des battle rap hat sich vom

Imperativ eines real existierenden Kontrahenten

verabschiedet und lässt es zu, dass der Rapper

sozusagen ein „lyrisches Du“ ohne in der Wirklichkeit

bestehenden Pendant disst.viii

Auffallend sind auch die unterschiedlichen

Moralvorstellungen, welche in mubārazāt kalāmīya

und battle rap deutlich werden. Werden Promiskuität

und Alkoholkonsum im hiǧāʿ dem Gegner

vorgeworfen, so brüsten sich manche Rapper in ihren

boasts mit eben diesem Verhalten. ix Beide

Kunstformen stehen/standen auf Grund ihrer

direkten, oft anstößigen Texte in der Kritik bei

säkularen wie religiösen Instanzen.

Inhaltlich fällt auf, dass die Gedichte in mubārazāt

kalāmīya alle einen klaren roten Faden besitzenx,

während im battle rap besonders wenn der Rap

improvisiert wird, die einzige Konstante oftmals der

Reim darstellt und thematische Wechsel eher die

Regel als die Ausnahme darstellen.

Gemeinsam ist ihnen auch, dass es sich um Formen

menschlicher Interaktion handelt, die den Regeln

dieser Kommunikation unterworfen sind. Das

bedeutet, dass die Beleidigungen in einem unscharf

abgegrenzten Rahmen stattfinden müssen, um

akzeptabel zu sein. Die Beteiligten sind sich diesen

Rahmens und der damit verbundenen Regeln

bewusst. Wird er willentlich oder unbeabsichtigt

verletzt, gibt es meist noch Möglichkeiten, das durch

die Grenzüberschreitung in Handlungszwang

gebrachte Gegenüber zu besänftigen, was entweder

durch den Regelbrecher oder andere Anwesende

passieren kann.

Man sollte die Ähnlichkeiten zwischen mubārazāt

kalāmīya und battle rap wohl auch nicht darauf

zurückführen, dass battle rap aus mubārazāt

kalāmīya entstanden ist. Vielmehr handelt es sich bei

Dichterwettstreiten um eine weitverbreitete

menschliche Kunstform.

Ähnliche im Englischen flyting genannte Formen des

Dichterwettstreits finden sich in verschiedensten

Regionen der Welt und unterschiedlichen Zeitaltern.

Mekky ging es vermutlich in seinem Intro auch nicht

darum, eine wissenschaftlich haltbare These über

den Ursprung des Rap aufzustellen xi , sondern

vielmehr darum, arabischen Rap als ein Phänomen

darzustellen, das natürlicher nicht sein könnte. Durch

die Konstruktion arabischer Wurzeln wird

Authentizität hergestellt, wird realness konstruiert,

welche einen zentralen Wert in der Hip-Hop-Kultur

darstellt.

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iĠandūr, Muḥammad: „Aḥmad Makkī: ‚Ar-rāb aṣlu-hu ʿarabī‘“,

http://alhayat.com/Details/427083 (zugegriffen am 22.8.2012).

ii Wiedemann, Felix: „Dichterwettstreit im Kitāb al- Aġānī und

im battle rap“,

https://www.researchgate.net/profile/Felix_Wiedemann/publi

cation/260292314_Dichterwettstreit_im_Kitb_al-

An_und_im_battle_rap/file/3deec5309dd98c8950.pdf?origin

=publication_detail (zugegriffen am 23.2.2014).

iii Abu-’l-Faraǧ al-Iṣfahānī: Kitāb al-Aġānī, Beirut 1980,

S. 240, Band 10.

iv Abu-’l-Faraǧ al-Iṣfahānī: Und der Kalif beschenkte ihn

reichlich, übers. von Gernot Rotter, Bibliothek arabischer

Klassiker ; 2, Tübingen [u.a.]: Erdmann 1977, S. 131.

v „Iron Solomon vs. Immortal Technique“,

https://www.youtube.com/watch?v=TXXBFRMluW4

(zugegriffen am 25.8.2013).

vi Pihel, Erik: „A Furified Freestyle: Homer and Hip Hop“,

Oral Tradition Vol. 11/No. 2 (1996), S. 249–269, hier S. 266.

vii Würtemberger, Sonja: „Sängerstreit als Streit der Form“, in:

Gebhard, Gunther ¬[Hrsg ]¬ (Hrsg.): StreitKulturen,

Bielefeld: transcript 2008, S. 125–140, hier S. 138.

viii Ebd.

ix Vielleicht ergibt sich dieser Unterschied auch nur aus der

sehr geringen Anzahl an Stichproben.

x Dies trifft zumindest bei den ausgewählten sehr kurzen

Gedichten zu. Wie es sich bei längeren Gedichten verhält,

müsste untersucht werden.

xi Gänzlich verworfen werden kann Mekkys These hier nicht.

Es bedarf weiterer Forschung, um ihre Plausibilität zu

überprüfen.


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