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BThZ (2003).pdf

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    Berliner Theologische Zeitschrift (BThZ)22. Jahrgang  Heft 1  2005  Themenschwerpunkt: Gott und Gottesvorstellungen

    Herausgegeben in Verbindung mit den Theologischen Fakultäten an den UniversitätenBerlin, Greifswald, Halle-Wittenberg, Jena, Leipzig und Rostock durch Cilliers Breytenbach(Berlin), Christof Gestrich (Berlin), Heinrich Holze (Rostock), Matthias Köckert (Berlin),Wolf Krötke (Berlin), Jörg Ohlemacher (Greifswald), Martin Onnasch (Greifswald), Mat-thias G. Petzoldt (Leipzig), Jens Schröter (Leipzig), Anne M. Steinmeier (Halle), MichaelTrowitzsch (Jena), Udo Tworuschka (Jena)

    Schriftleiter: Prof. Dr. Cilliers BreytenbachRedaktionsassistentin: Dr. Anja SakowskiAdresse: Redaktion der Berliner Theologischen Zeitschrift, Theologische Fakultät der HUB,Waisenstr. 28, D-10179 Berlin, Tel. (030) 2 47 53–6 01, Fax (030) 2 47 53–6 37e-Mail: [email protected], Internet: www2.hu-berlin.de/bthz

    Verlag: Wichern-Verlag, Georgenkirchstr. 69/70, D-10249 Berlin,Tel. (030) 28 87 48 10, Fax (030) 28 87 48 12, e-Mail: [email protected]

     Zu diesem Heft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

    I. Einzelstudien

    Matthias Köckert, Wandlungen Gottes im antiken Israel . . . . . . . . . . . 3

    Cilliers Breytenbach, Der einzige Gott – Vater der Barmherzigkeit.Thoratexte als Grundlage des paulinischen Redens von Gott . . . . . 37

    Volker Leppin, Deus absconditus und Deus revelatus.Transformationen mittelalterlicher Theologie in der Gotteslehrevon „De servo arbitrio“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

    Wolf Krötke, Der Glaube an den einen Gott. Zur christlichenPrägung des „Monotheismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

    Corinna Dahlgrün, „Nicht mehr in Bildern“? HomiletischeÜberlegungen zur Rede von Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

    Gebhard Löhr, Jesus und Buddha – zwei Wege des Glaubens?Ein Vergleich der Anwendbarkeit der Begriffe „Weg“ und„Glaube“ auf Jesus und den Buddha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

    II. Visitationen

    Hans-Otto Furian, Warum sind Visitationen unverzichtbar? . . . . . . . . 130

    III. Dokumentation

    Martin Kruse, „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“Abschied von C.F. Beyers Naudé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

    Martin Kruse, Rede anlässlich der Trauerfeier für C.F. Beyers Naudé . 156

    Autoren dieses Heftes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

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    * Die hier vorgelegte religionsgeschichtliche Skizze geht auf einen Vortrag zurück, den ich vor einemnicht fachwissenschaftlichen Publikum gehalten habe. Mit einer ersten Fassung habe ich FrauKollegin Susanne Heine (Wien) in einer privaten Festschrift zum Geburtstag gegrüßt. Ihr sei deshalbauch diese erweiterte Fassung gewidmet.

    I. Einzelstudien

    MATTHIAS K ÖCKERT

    Wandlungen Gottes im antiken Israel*

    1. Elementare Erinnerungen

    (1) Die Bibel ist kein Buch frommer Sprüche, sondern ein Buch voller Lebenserfah- rungen mit Gott . Deshalb redet die Bibel nicht von Gott an und für sich. Sie erzähltvielmehr Geschichten von den Beziehungen Gottes zu den Menschen. Sie erzählt,wie er den Menschen zu seinem Bilde geschaffen und also zu seinem Repräsentan-ten und Partner auf Erden bestimmt hat. Sie erzählt, wie er Menschen begegnet istund was er für sie getan hat. Sie vergißt nicht die Klage derer, die zu ihm schrieen:„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Ps 22,2). Und sie halltwider vom Lobpreis: „Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allenLanden“ (Ps 8,2). Sie redet von Gott, aber nicht ohne die Menschen, und sie redetvon uns Menschen auf eine atemberaubend realistische Weise. Nichts, aber auchgar nichts Menschliches ist ihr fremd. Sie kennt die Liebe („mein Geliebter ist wieein Büschel Myrrhe, das zwischen meinen Brüsten hängt“, Hld 1,13) wie den Hass,den Brudermord (Kain und Abel), aber auch die alle Grenzen sprengende Verbun-denheit (Ruth und Noëmi), das Kalkül der Macht (David) und die Erfahrungtiefster Erniedrigung (der Gottesknecht).

    Die Bibel zeichnet uns Menschen als durch und durch irdische Wesen, aber alsWesen, die in der Fülle des Lebens wie in den Nachtseiten ihrer Existenz ihreWürde allein darin haben, daß Gott, der in der Höhe thront, auf sie in der Tiefeblickt. Gott und Mensch gehören in der Bibel eng zusammen. Das Alte Testamenthat diese Verbundenheit für alle Menschen auf die klassische Formel vom BildGottes gebracht, für Israel aber darüber hinaus die Bundesformel geprägt: Ich –

    euer Gott; ihr – mein Volk. Aus alledem ergibt sich:

    (2) Die Bibel redet von Gott auf ganz und gar  irdische Weise , mag dieses Reden auchhimmlische Perspektiven eröffnen. Sie ist ja von Menschen geschrieben, die zwar mitunter mehr als ihre Muttersprache beherrschten, also Hebräisch, Aramäisch,Griechisch, die aber keinesfalls „Himmlisch“ verstanden. Die Bibel ist überdies dasWerk vieler Köpfe, von denen wir nur die wenigsten mit Namen kennen. Sie ist

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    4 Matthias Köckert

    1 Grundinformationen finden sich bei R.G. K RATZ, Die Komposition der erzählenden Bücher desAlten Testaments (UTB 2157), Göttingen 2000, und E.  ZENGER  u.a., Einleitung in das Alte Testa-ment, 5. Aufl. Stuttgart 2004.

    2 Ein diskussionswürdiges Gesamtbild, vor allem auf der Basis der archäologischen Befunde, zeichnenI. FINKELSTEIN / N.A. SILBERMAN, Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel, München 2002, 42003. Zu den Problemen der sog. vereinigten Monarchie unter Davidund Salomo s. J.CHR . GERTZ, Konstruierte Erinnerung. Alttestamentliche Historiographie im Spiegelvon Archäologie und literarhistorischer Kritik am Fallbeispiel des salomonischen Königtums, BThZ21, 2004, 3–29.

    3 C.  LEVIN, Das Alte Testament (C.H. Beck Wissen), 2. Aufl. München 2003; R.   ALBERTZ, DieExilszeit. 6. Jahrhundert v. Chr. (Bibl. Enzyklopädie 7), Stuttgart 2001.

    das Endprodukt einer Literaturgeschichte, die mehrere Jahrhunderte umfasst unddie wir heute nur noch in groben Zügen rekonstruieren können.1

    Gewaltige Umbrüche und nationale Katastrophen haben die Geschichte diesesVolkes ebenso gezeichnet wie leise, aber nicht weniger einschneidende Verände-rungen. An dessen Anfang stehen bäuerliche Gruppen und kleine regionale Herr-schaften. Aus ihnen bilden sich zwei Königtümer, zuerst das Nordreich „Israel“ im9. Jh. v. Chr., ein wenig später „Juda“ im Süden.2 Nach einer kurzen Periode der Autonomie geraten Israel und schließlich auch Juda mit der gesamten syrisch-

    palästinischen Landbrücke unter die Oberhoheit wechselnder Großmächte. Zu-nächst werden beide Kleinstaaten Vasallen der Assyrer. Nach mehreren fehl-geschlagenen Aktionen, das assyrische Joch abzuschütteln, erobert Assur 720 v.Samaria und macht aus dem Nordreich eine assyrische Provinz. Noch kann Judaeine begrenzte Selbständigkeit bewahren, dann aber kommt es unter die Herrschaftder Neubabylonier und erleidet 587 v. ein ähnliches Geschick wie das Nordreich.Nach 539 v. treten die Perser die Rechtsnachfolge der Babylonier auch über das„Land jenseits des Stromes“ an. Gut zweihundert Jahre später zerfällt das persischeImperium unter den Stiefeln der Makedonen. Zunächst beherrschen die Ptolemäer auch Jerusalem und den Süden Palästinas, verlieren aber schließlich diese Gebietean die Seleukiden. Für kurze Zeit erringt Juda unter den Hasmonäern noch einmalpolitische Selbständigkeit, bevor sich die Römer am Ende ganz Syrien einver-leiben.

    Der größte Teil der Literatur des Alten Testaments wurde in der Zeit des Exilsund danach als Antwort auf das Ende von Königtum, Tempel und Eigenstaatlich-keit Judas 586 v. geschaffen.3 Es handelt sich zunächst um Literatur zur Bewälti-gung der Katastrophe. Sie stiftet nach dem Untergang der tragenden Größen neueIdentität und ordnet schließlich das jüdische Gemeinwesen der Perserzeit in der Diaspora wie im Mutterland neu. Das führte um 400 v. Chr. zur Formierung der „Tora“ (Gen – Dtn) als erstem Teil des später um die Teile „Propheten“ und„Schriften“ erweiterten hebräischen Kanons. Die im Alten Testament gesammeltenLebenserfahrungen mit Gott sind nicht einfach ablösbar von diesem Wechsel der Zeiten, noch von der jeweiligen geistigen Welt, in der sie zu Texten verdichtetwurden.

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    5Wandlungen Gottes im antiken Israel

    (3) Zur irdischen Weise der biblischen Rede von Gott gehört ihre welthafte,menschengemäße, eben ihre anthropomorphe Gestalt . Die anthropomorphe Redevon Gott teilt die Bibel mit den altorientalischen Kulturen. Religiöse Rede vonGott ist in der Regel anthropomorphe Rede. Die Bibel redet nicht vom summumbonum und dergleichen. Statt dessen führt Gott sein Volk aus Ägypten „mit starker Hand und ausgerecktem Arm“ (Ex 6,6). „Deine Hände haben mich gebildet“, hältHiob Gott (in Hi 10,8) vor. „Deine Augen sahen mich schon, als ich noch gar nicht geschaffen war“, preist staunend Ps 139,16. Wenn Gott „sein Antlitz leuch-

    ten läßt über uns“ (Num 6,35), dann hat das Wirkungen, so daß auch wir strahlen.Verbirgt er sein Antlitz, dann wehe uns.

    Alles was wir bisher gesagt haben, gilt von der Bibel als ganzer. Die ganze Bibelist ein Buch voller Lebenserfahrungen mit Gott. Die ganze Bibel redet von Gottauf irdische Weise. Altes und Neues Testament verwenden unbefangen anthropo-morphe Sprache. Aber nun muß doch ein Unterschied in den Blick kommen. ImNeuen Testament hat Gott ein Gesicht. Es ist das Antlitz Jesu aus Nazareth im

     jüdischen Lande. Im Alten Testament hat Gott dagegen viele Gesichter . Sie er-scheinen in den sprachlichen Bildern und Metaphern. Gott begegnet als Hirte undKönig (Ps 10,16; 23,1; 24,7). Gott begegnet als Schöpfer, der die Welt und ihreWesen wie ein Töpfer bildet (Jes 64,7), und als Löser, der sein Volk aus demSklavenhaus Ägypten freikauft wie ein Verwandter seinen verarmten Bruder ausder Schuldknechtschaft (Dtn 7,8). Er erscheint als Wettergott, der mit seiner Stimme donnert (Ps 29,2), dem Regen, Flut und Blitze zu Gebote stehen(Hi 36,22–37,24) und der das Jahr mit seinem Gut krönt (Ps 65,10–14). Er lässt dieBerge erzittern, aber er erweist sich auch als ein gnädiger und barmherziger Gott,dessen Geduld und Güte kein Ende haben (Ps 103,8). Er schaut als „Sonne der Gerechtigkeit“ vom Himmel herab (Ps 84,12), schafft Recht und Heil auf Erden(Mal 3,20) und leitet mit Licht und Wahrheit die Frommen (Ps 43,3). Sicher,manche dieser Prädikate und Metaphern gebraucht auch das Neue Testament vonGott. Aber sie alle werden jetzt von dem einen Menschen Jesus relativiert, so daßsich die vielen Gesichter Gottes in seinem Antlitz versammeln (II Kor 4,6).

    Weil die Bibel menschlich von Gott redet, können tausend Jahre Lebens-erfahrungen mit Gott nicht spurenlos bleiben. Vielmehr läßt sich in der Erfah-rungsgeschichte mit Gott, die ins Alte Testament eingegangen ist, ein vielfältiger 

    Gestaltwandel Gottes beobachten.

    2. Das alttestamentliche Bild 

    Das Bild, das das Alte Testament selbst zeichnet, besticht durch Einfachheit undKlarheit. Ganz am Anfang der Geschichte Gottes mit seinem Volk auf dem Wegeaus Ägypten ins verheißene Land Kanaan gibt Gott unter Donner und Blitz auf dem Berge Sinai sich und seinen Willen kund (Ex 19–20). Er stellt sich zunächstmit seinem Namen vor: „Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägyptenland, ausdem Sklavenhaus, herausgeführt hat“ (Ex 20,2). Darauf teilt er die Zehn Gebotemit. An deren Spitze steht: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“, wie

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    6 Matthias Köckert

    Luther übersetzt. In einer Welt vieler Götter soll Israel fortan und immer nur diesen einen als einzigen verehren.

    Doch kaum im Lande angekommen, erliegt Israel nach dem Tode Josuas denVerführungen des Kulturlandes und den dort heimischen Gottheiten (Jdc 2).Einige nennt das Alte Testament mit Namen, vornehmlich Baal und Aschera, aber auch Milkom, Astarte, die Sonne, den Mond und das Heer des Himmels. Zwar gelingt es immer wieder einzelnen von Gott gesandten Menschen, das Volk zu denreinen Anfängen der ausschließlichen Verehrung dieses einen Gottes zurück-

    zuführen. Wir lesen von den Richtern (oder besser: Rettern) Israels und vonSamuel. Zuweilen heißt es, Gott habe seine Knechte, die Propheten gesandt, durchdie er an seinem Volk arbeitet. Besonders eindrücklich ist Elia auf dem Karmel:„Wie lange hinkt ihr auf beiden Seiten? Ist Jahwe Gott, so wandelt ihm nach, ist’saber Baal, so wandelt ihm nach“ (I Reg 18,21). Von einzelnen Königen wie Jehuoder Hiskia werden entsprechende Reformen berichtet. Zuletzt verpflichtet König

     Josia aufgrund eines im Tempel aufgefundenen Gesetzbuches noch einmal dasVolk auf die reine Jahweverehrung. Doch blieb die Einhaltung des Ersten Gebotesim Lande auf kurze Episoden beschränkt. So kam, was kommen mußte. Israelhatte die Einhaltung des Gotteswillens verweigert und damit den Segen ausge-schlagen, der mit ihm verbunden war. Nun nahmen die Flüche ihren Lauf: DieBabylonier zerstörten den Tempel, nahmen den König in Staatshaft und führtendie politische Klasse, die Handwerker und Eliten – die „oberen Zehntausend“ vonII Reg 24,14 – ins babylonische Exil.

    Ein namenloser, von der Wissenschaft mit dem Kunstnamen „Deuterojesaja“benannter Prophet kündet gegen Ende der Exilszeit das kommende Heil imNamen des Gottes, vor dem die Völker nur ein Tropfen am Eimer und die ande-ren Götter allesamt nicht nur zu nichts nütze, sondern Wind und Wust, also gar nichts sind. Hier erscheint Israels Gott erstmals nicht als einer neben anderen,sondern als Einziger.

    Wir halten einen Moment inne. Das biblische Bild, das ich in wenigen Stri-chen nachgezeichnet habe, lässt nichts von einem Gestaltwandel Gottes erkennen.Es stammt allerdings auch nicht von neuzeitlichen Historikern, die wissen wollen,wie es wirklich gewesen ist. Es entspricht also nur bedingt jener Zeit, von der erzählt wird. An ihm läßt sich freilich erkennen, was jene Erzähler über sie gedacht

    und wie sie diese Zeit gedeutet haben. Das biblische Bild verdankt sich in der Hauptsache jenen Köpfen, die nach dem Untergang Judas 587 v. Chr. die Ge-schichte ihres Volkes im Rückblick schreiben, um die Katastrophe zu erklären undzu bewältigen. Sie deuten die Geschichte mit der Brille des Ersten Gebotes. Siegeben damit zu verstehen: An Gott hat es nicht gelegen; er hatte mit der Mit-teilung seines Willens am Sinai oder Horeb alles gesagt, was für ein gelingendesLeben im Lande nötig war. Aber Israel hatte versagt. Weil Israel und Juda fremdenGöttern dienten und nicht Jahwe allein, müssen sie jetzt fremden Völkern dienen– eine so einfache wie erschlagende Lehre. Indes, es sind die Voraussetzungen ihrer Gegenwart, die jene Geschichtsschreiber, welche die Wissenschaft „Deuterono-misten“ nennt, an den Anfang der Geschichte zurücktragen. Es ist der von ihnenschmerzlich erlebte Gegensatz von Israel und den Völkern, den sie schon am

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    7Wandlungen Gottes im antiken Israel

    4 S. dazu M.  K ÖCKERT, Von einem zum einzigen Gott. Zur Diskussion der ReligionsgeschichteIsraels, BThZ 15, 1998, 155–157, 161f.

    5 E. AURELIUS, Der Ursprung des Ersten Gebots, ZThK 100, 2003, 1–21.6 Alle einschlägigen ikonographischen und epigraphischen Materialien von der Frühbronzezeit bis in

    die Perserzeit Palästinas haben O. K EEL / CHR . UEHLINGER , Göttinnen, Götter und Gottessymbole(QD 134), Freiburg 1992, 41998, vorbildlich erschlossen und religionsgeschichtlich interpretiert.

    7 Beste Dokumentation und umfassende Bearbeitung bietet R. K LETTER , The Judean Pillar Figurinesand the Archaeology of Asherah (BAR Int. Ser. 636), Oxford 1996; eine Zusammenfassung desletzten Standes findet sich bei: DERS., Between Archaeology and Theology: The Pillar Figurines from Judah and the Asherah, in: A. MAZAR  (Hg.), Studies in the Archaeology of the Iron Age in Israel and Jordan (JSOTSuppl. 331), Sheffield 2001, 179–216; Z.  ZEVIT, The Religions of Ancient Israel.A Synthesis of Parallactic Approaches, London 2001, 267–274, und E.  STERN, Archaeology of theLand of the Bible. The Assyrian, Babylonian and Persian Periods 732–332 BCE, New York 2001,205–207.

    Ursprung festmachen, indem sie Israel als Gottesvolk dem Anti-Volk Kanaanschroff entgegenstellen.

    Das ‚historische Israel‘ trat dagegen als Teil Kanaans ins Licht der Geschichteund kam nicht von außen als Fremdkörper ins Land Kanaan.4 Noch Ez 16,3 weißvon den kanaanäischen Ursprüngen. Was dort von Jerusalem im Bild eines Findel-kindes gesagt wird, gilt von Israel als ganzem, für das Jerusalem steht:

    Deine Abstammung und deine Herkunft sind aus dem Land der Kanaanäer;

    dein Vater war ein Amoriter und deine Mutter eine Hethiterin.Wie Israel nicht aus der Wüste kam, so wenig stand das Erste Gebot als leitender Wegweiser am Anfang der Gotteserfahrungen Israels.5 Kein Text im Alten Testa-ment, der eine exklusive Jahweverehrung fordert, ist älter als das 7. Jh. v. Chr. Aber einmal geboren, avancierte das Erste Gebot relativ schnell zum Hauptgebot undals solches zum Deuteschlüssel für die Geschichte des Untergangs. Es kann danngar nicht verwundern, daß dieses Geschichtsbild aus der Perspektive Jerusalems mitdem Fremdgötterverbot als Leitkriterium kanonisch geworden ist. Kanonbildungaber impliziert stets Zensur, die bestimmte Überlieferungen hervorhebt, anderedagegen disqualifiziert und ausmerzt – ohne Rücksicht auf die Frage nach dem,wie es wirklich gewesen sei. Von dem kanonisch gewordenen Geschichtsbild führtkein direkter Weg zur historischen Wirklichkeit in vorexilischer Zeit. Deshalbmüssen wir darüber hinaus andere Quellen befragen.

    3. Archäologische Zeugnisse 

    Aus der nur noch schwer überschaubaren Fülle greife ich drei Sachverhalte heraus.6

    3.1 Attraktive Damen

    Fast bei jeder größeren Grabung auf dem Gebiet des eisenzeitlichen Juda hat manzahlreiche Tonfiguren gefunden, die offenkundig weibliche Züge tragen.7

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    8 Matthias Köckert

    8 Die Fundorte mit mehreren Figurinen diskutiert K LETTER , Archaeology (s. Anm. 7), mit demErgebnis, dass die Pfeilerfigurinen „were used singly and not in groups“ (S. 195).

     Abb. 1

     Abb. 2

    Diese Tonfiguren (Abb. 1) begegnen in unterschiedlichen Typen, was auf lokaleHerstellung am Fundort weist. Gemeinsam sind ihnen folgende Charakteristika:Der von Hand modellierte Körper zeigt keinerlei Details und sieht wie ein Pfeiler oder Baumstumpf aus. Man nennt sie deshalb Pfeilerfigurinen. Ihr Oberteil istdagegen anthropomorph ausgearbeitet mit Armen, die Brüste halten. Der Kopf wurde in einer Form gepreßt und danach auf den noch ungebrannten Tonkörper aufgesetzt. Am Kopf fallen große mandelförmige Augen auf. Häufig schmückt ihneine Perllockenfrisur. Augen und Haare können durch Bemalung besondershervorgehoben sein. Die Augen signalisieren Nähe und Kommunikation, dieHaare Vitalität. Auf die Modellierung des Rückens wurde keine Sorgfalt verwendet.Die Damen sind offensichtlich frontal auf den Betrachter hin ausgerichtet. Wenstellen sie dar? Welche Bedeutung hatten sie?

    Diese Figurinen wurden hauptsächlich in Privathäusern, aber auch in Gräbern,wenige an Kultstätten und andernorts gefunden und zwar in der Regel jeweils nur eine Figur pro Haus.8 Schon diese Fundkontexte sprechen eher für eine Deutungauf eine Göttin als auf eine beliebige Frau. Ein Siegel aus Lachisch (7. Jh. v. Chr.)unterstützt diese Deutung (Abb. 2).

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    9Wandlungen Gottes im antiken Israel

      9 So auch K EEL /  UEHLINGER , GGG, 377. Neuerdings hat T.  ORNAN das Siegel aus assyrischemEinfluß und als lokales Zeugnis für die Verbindung von Aschera mit Ischtar in Juda erklärt (Ištar asDepicted on Finds from Israel, in: A. MAZAR  [Hg.], Studies in the Archaeology [s. Anm. 7], 249f.).

    10 K LETTER , Pillar Figurines (s. Anm. 7), 41.11 Man lese nur Gen 49,25: „Der Gott deines Vaters – er helfe dir; Schadday – er wird dich segnen mit

    Segnungen des Himmels droben und mit Segnungen der Urflut, die unten lagert, mit Segnungen der Brüste und des Mutterschoßes.“

    12 Zu diesem Ergebnis kommt auch K LETTER , Archaeology (s. Anm. 7). Eine Erklärung der Figurinenals Repräsentationen eines Baumpfahls habe „no factual basis“ (S. 200). Sie müssen vielmehr geltenals „representation of the OT Asherah: this is the most logical explanation“ (S. 204). Jedoch seiensie „not exactly identical with the Asherah“. Sie waren wohl keine Objekte im Tempelkult, sonderneher „protecting figure in domestic houses, more likely a figure which bestowed ‚plenty‘ especiallyin the domain of female lives“, wenn auch keineswegs auf Frauen allein beschränkt (S. 205).

    13 Vgl. Jer 7,16–20; 44,15–19.25. Zu dieser Identifikation mit Ischtar s. S. SCHROER , In Israel gab esBilder (OBO 7), Freiburg 1987, 273–276, und K. K OCH, Aschera als Himmelskönigin in Jerusalem,UF 20, 1988, 97–120.

    14 Deshalb schreiben K EEL / UEHLINGER  (GGG, 335.542) die wenigen Beispiele assyrischen Funktionä-ren zu.

    Es zeigt ebenfalls eine ihre Brüste haltende Frau mit einer Bekrönung auf demKopf. Neben ihr steht links ein Verehrer mit erhobenem Arm. Das weist die Frauin der Mitte deutlich als Göttin aus.9 Hinzu kommt die Verbreitung dieser Pfeiler-figurinen. Fast 1000 Exemplare sind bisher bekannt. Bis auf wenige Stücke aus demNordreich stammen diese Figurinen in der übergroßen Mehrheit von 96% aus Judaund zwar aus allen Teilen des Landes. Über 400 Exemplare hat man allein in

     Jerusalem gefunden. Sie können deshalb durchaus als charakteristischer Ausdruck  judäischer Religiosität und Frömmigkeit gelten. Sie begegnen vor allem im 8. und

    7./6. Jh. v. Chr. Höhepunkt ihrer Verbreitung war die Zeit des Ahas und desHiskia.10

    Welchen Namen die Göttin trägt, verraten uns die Figurinen freilich nicht,wohl aber geben sie einige Hinweise auf ihre Funktion. Die Brüste akzentuierennicht so sehr erotische Ausstrahlung, sondern die Göttin als Nährerin, als Deanutrix . Sie sind Ausdruck der Segensfülle, welche die Göttin vermittelt.11 Das demVerehrer zugewandte Gesicht der Göttin als nährende Mutter hebt die persönlicheNähe und Zugänglichkeit hervor. Kein Wunder, daß man auch im Grab ihremütterliche Nähe nicht missen wollte. Die Fundorte legen eine Deutung imRahmen des Hauskultes und der Familienfrömmigkeit nahe. Man wird ein wenigan den Herrgottswinkel in alpenländischen Bauernhäusern erinnert. Die Göttinrepräsentiert die Schutzgottheit und Segensmittlerin für die Familie. Es spricht alsomanches dafür, diese Pfeilerfigurinen mit der Göttin Aschera zu identifizieren.12

    In die Rolle Ascheras schlüpft dann unter assyrischem Einfluss offenbar Ischtar,die zur Zeit Jeremias in Juda als „Königin des Himmels“ vornehmlich von Frauenverehrt wird.13 Sie begegnet seit dem 7. Jh. in einem Strahlenkranz und mit Ster-nennimbus auch auf Siegeln in Palästina, allerdings nicht in Juda.14 Astrale Symbo-le unterstreichen ihren Charakter als „Himmelskönigin“. Für die Identifikation der Himmelskönigin von Jer 7 und 44 mit Ischtar sprechen das assyrische Kolorit:Räuchern, Trankopfer und Opferkuchen mit der assyrischen Bezeichnung kawwa- nym (Jer 7,18; 44,19), aber auch die Titel „Herrin bzw. Königin des Himmels“.

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    10 Matthias Köckert

    15 Zu den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten des Gebäudekomplexes, in dem die Krüge mitInschriften gefunden wurden, s. R ENZ, HAE I, 48–50 (mit Präferenz für „Raststation“, Karawansereigegen Heiligtum oder Kultzentrum).

    16 Aus der kaum noch zu überschauenden Fülle der Literatur zu Rekonstruktion und Deutungen der Inschriften s. R ENZ, HAE I, 47ff., H.-P.  MÜLLER , Kolloquialsprache und Volksreligion in denInschriften von Kuntillet Agrud und Hirbet el-Qom, ZAH 5, 1992, 15–51, J.M.  HADLEY, The Cultof Asherah in Ancient Israel and Judah. Evidence for a Hebrew Goddess (UCOP 57), Cambridge2000, 106–155, und K ÖCKERT, Einziger Gott (s. Anm. 4), 163–166. Eine eingehende Interpretationder Bilder geben K EEL/UEHLINGER , GGG, 237–255 (mit wichtiger Korrektur in der 4. Aufl. 1998,540).

     Abb. 3

    3.2 Aufregende Inschriften

    Ausgrabungen auf der Kuntillet ‘Adschrud , an der Straße zwischen Gaza und Elatgelegen, brachten 1975/76 Reste einer alten Handelsniederlassung15 zu Tage, diein die erste Hälfte des 8. Jh. v. Chr. datiert werden können. Dabei stieß man auchauf zwei Vorratskrüge (Abb. 3). Sie sorgten schnell für große Aufregung; denn auf ihnen haben Handelsreisende merkwürdige Zeichnungen und Inschriften hinterlas-sen. Ihr fragmentarischer Erhaltungszustand, ihre Vieldeutigkeit und die Kombina-

    tion von Inschriften mit Bildern haben kontroverse Deutungen provoziert.16Konsens besteht gegenwärtig aber darin, dass Zeichnungen und Inschriften nichtursprünglich zusammengehören und deshalb getrennt interpretiert werden müssen,und daß die in den Inschriften genannten Gottheiten nicht von den Bilderndargestellt werden. Bei den beiden stehenden Figuren handelt es sich offenbar umGestalten vom Typ des ägyptischen Gottes Bes, der männlich und weiblich oder sogar bisexuell auftreten kann und als Beschützer von Schwangerschaft undGeburt sowie überhaupt als Schutzmacht gegen Unheil auch in Palästina weitverbreitet war. Die sitzende Leierspielerin ist bislang nicht sicher deutbar.

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    11Wandlungen Gottes im antiken Israel

    17 S. dazu HAE II/1,9ff. (mit Lit.).18 Die Übersetzung der vieldeutigen Präposition l  vor Jahwe und vor Aschera muss die Verbindung mit

    dem Verb brk  = „segnen“ im Sinne von „rühmend empfehlen“ berücksichtigen (J. SCHARBERT,ThWAT I, 813.818). Dem entspricht am besten „vor…“ (s. dazu auch R ENZ, HAE II/1, 30f.).

    19 Den derzeitigen Stand der Diskussion zur Grabanlage und zu den Inschriften fassen zusammenR ENZ, HAE I, 199–211, und HADLEY, Cult (s. Anm. 16), 84–105.

    Was steht auf den Vorratskrügen? Es handelt sich offenkundig um Segens-bitten oder Wünsche innerhalb eines Briefformulars.17 Die Inschrift auf Krug Alautet:

    (1) Gesagt hat … Sprich zu … und zu Yau‘asa und zu … :Ich segne euch (hiermit) (2) vor 18 Jahwe von Samaria und vor seiner Aschera.

    Auf Krug B heißt es:

    (1) Amaryau: (2) Sprich zu meinem Herrn:(3) Geht es dir gut?(4) Ich segne dich (hiermit) vor Jahw[(5)e von Teman] (6) und vor seiner Aschera.(7) Er segne und er behüte dich (8) und sei mit meinem Herrn …

    Der Absender empfiehlt seinen Herrn rühmend Jahwe und seiner Aschera, damit Jahwe daraufhin seinen Herrn segne und behüte. „Jahwe von Samaria“ meint nichtden Stadtgott der Hauptstadt des Nordreichs, sondern Jahwe, den Gott des Lan-des, den Staatsgott des Nordreichs. „Aschera“ bezeichnet die Göttin, die aber demStaatsgott des Nordreichs nicht nur als Partnerin („seine   Aschera“) beigesellt,sondern untergeordnet wird. Darauf weist nicht nur die nachgeordnete Positionder Aschera, sondern auch der Tatbestand hin, dass im letzten Satz Segen undBewahrung allein von Jahwe erhofft werden. Bei allen Unsicherheiten der Deutungim Einzelnen bezeugen die Inschriften den aufregenden Sachverhalt, dass Jahweim 8. Jh. v. Chr. im Nordreich offenbar eine Partnerin hatte.

    Erwartet man vom Nordreich für eine Alleinverehrung Jahwes nach der Lektüredes Propheten Hosea und der Bücher der Könige ohnehin nichts Gutes, so stimmtuns eine Grabinschrift aus Juda auch für das Südreich bedenklich. Im Zentral-raum einer Grabanlage mit vier Kammern in Chirbet el-Qom (14 km westlich vonHebron)19 lesen wir zwischen den Zugängen zu den Kammern 1 und 2 folgendeInschrift (Abb. 4):

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    20 So neben anderen R ENZ, HAE I, 210; HADLEY, Cult (s. Anm. 16), 85.21 Zu den Schwierigkeiten der Übersetzung s. R ENZ, HAE I, 207–210, der die Inschrift aus paläographi-

    schen Gründen ins ausgehende 8. Jh. datiert. Anders als in den beiden Segenswünschen von Kuntillet ‘Adschrud  steht Aschera hier nicht in einer syntaktischen Verbindung parallel zu Jahwe, sondern sieerscheint als eine Größe, „im Blick auf“ die (= l ) Jahwe am Grabherrn während seines Lebensgehandelt hat. Deshalb übersetzen MÜLLER , Kolloquialsprache (s. Anm. 16), 28f., und J.  JEREMIAS/ (F. HARTENSTEIN), „Jahwe und seine Aschera“. „Offizielle Religion“ und „Volksreligion“ zur Zeitder klassischen Propheten, in: B.  JANOWSKI /  M.  K ÖCKERT (Hg.), Religionsgeschichte Israels.Formale und materiale Aspekte (VWGTh 15), Gütersloh 1999, 115f., mit „wegen seiner Aschera“bzw. „um seiner Aschera willen“. – Die Zeilen 4–6 der Inschrift sind in ihrer Zugehörigkeit zu denZeilen 1–3 und in ihrer Deutung umstritten (S. MITTMANN, Die Grabinschrift des Sängers Uriahu,ZDPV 97, 1981, 139–152, rechnet mit einer unabhängigen Inschrift). – Zur Deutung der Hand s. u.S. 28.

    22 Vgl. KAI Nr. 14,13–20.23 So auch Z. MESHEL, Did Yahweh Have a Consort?, BAR 5, 1979, 24–35, W.G.  DEVER , Asherah,

    Consort of Yahweh? New Evidence from Kuntillet ‘Ajrud, BASOR 255, 1984, 21–37, J.  DAY,Yahweh and the Gods and Goddesses of Canaan (JSOTSuppl. 265), Sheffield 2000, 42–67, bes. 60,u.a., dagegen freilich CHR . FREVEL, Aschera und der Ausschließlichkeitsanspruch YHWHs (BBB94/1–2), Weinheim 1995, und HADLEY, Cult (s. Anm. 16), 207 (keine Göttin, aber Teil des Jahwe-Kultes).

    24 Manasse tut genau das, was Dtn 16,21 verbietet.

     Abb. 4 

    (1) Uriyahu, der Reiche, hat es schreiben(lassen):(2) Gesegnet war Uriyahu vor Jahwe.(3) Und von seinen Feinden hat er ihndurch20  seine Aschera/um seiner Ascherawillen21 errettet …

    Da es sich um eine Grabinschrift han-

    delt, für die ein biographischer Rück-blick auch anderwärts belegt ist22, Bit-ten für den Grabherrn jedoch unty-pisch sind, empfiehlt es sich, die Zei-len 2–3 auf erfahrene Errettung imLeben Uriyahus zu beziehen. Erwarten

    die Zeilen 7–8 der Inschrift auf Krug B in Kuntillet ‘Adschrud Segen und Bewah-rung nur von Jahwe, so schreibt der Grabherr hier seine Errettung von Feindenzwar Jahwe zu, jedoch nicht ohne Vermittlung Ascheras. Das wiederum entsprichtder rühmenden Empfehlung „vor Jahwe und  vor Aschera“ dort (Krug A und B).

    Es spricht also einiges dafür, daß man in Israel und Juda während der Königs-zeit neben Jahwe durchaus auch Aschera verehrt und als Segensmittlerin undSchützerin in Nöten angerufen hat.23  Damit erfährt die Deutung der Pfeiler-

    figurinen eine überraschende Unterstützung. Dem epigraphischen Befund ent-spricht der biblische durchaus – jedenfalls bis zu einem gewissen Grade. Dorterscheint Aschera zwar allermeist als Bezeichnung für ein Kultsymbol aus Holz,das einen stilisierten Baum darstellt (Dtn 16,21 u.a.). Jedoch bezieht sich Ascherain Jdc 3,7; I Reg 18,29; II Reg 23,4 eindeutig auf eine Göttin, die sogar von einemKultbild im Tempel zu Jerusalem repräsentiert wird (II Reg 21,724; vgl. I Reg

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    13Wandlungen Gottes im antiken Israel

    25 S.M. OLYAN, Asherah and the Cult of Yahweh in Israel (SBL.MS 34), Atlanta 1988, 74f.26 Eine erste Bestandsaufnahme ist bei T.A. HOLLAND, A Study of Palestinian Iron Age Baked Clay

    Figurines, Levant 9, 1977, 121–155, bes. 130, zu finden. Zur Darstellung und Deutung der Befundes. vor allem CHR . UEHLINGER , Art. „Riding Horseman“, in: DDD, 705–707, und K EEL/UEHLINGER ,GGG, 390–398.

     Abb. 5 

    15,13). Diese Belege sind allesamt dtr. Provenienz, wie die Kontexte zeigen. Stetserscheint die Göttin mit Artikel versehen, stets neben Baal, einige Male noch dazuim Plural. Berücksichtigt man den auffälligen Tatbestand, dass die Prophetenbü-cher die Göttin faktisch nicht erwähnen, gegen Baal aber scharf polemisieren, kannman fragen, ob es nicht erst die Deuteronomisten waren, welche die Göttinbekämpften und sie zu diesem Zwecke neben Baal stellten.25 So ergibt sich ausdem Alten Testament selbst, wenn man es nicht historisch liest, nichts anderes, alses die Epigraphik und die Archäologie nahe legen: Aschera war in der Königszeit

    eine Göttin, die im Nordreich und in Juda selbstverständliche Verehrung neben Jahwe genoss.

    3.3 Pferde und Reiter 

    Seltener als die Pfeilerfigurinen, aber trotzdem noch auffallend häufig, begegnengleichzeitig im 8./7. Jh. v. Chr. beiderseits des Jordan Pferdeterrakotten mit Rei-tern.26 Bislang sind mehr als 300 derartige Fundstücke bekannt. Sie sind weniger stark auf Juda konzentriert als die Pfeilerfigurinen, stammen aber wie jene vor-nehmlich aus Häusern und Gräbern, einige auch aus Kultstätten. Die meistenExemplare hat man in Jerusalem (auf dem Südosthügel), zahlreiche Stücke auch inSamaria, Megiddo und anderwärts außerhalb Judas, nie aber in einem eindeutigenZusammenhang mit den Pfeilerfigurinen gefunden.

    Die beiden folgenden Beispiele (Abb. 5) stammen aus Gräbern in Lachisch.Besonders sorgfältig ist das linke gearbeitet. Beim Pferd sind Mähne und Zügelangedeutet, auch sitzt der Reiter richtig auf.

    Wahrscheinlich müssen die Reiterfigurinen als Zeugnisse der privaten Frömmigkeitim Rahmen der Familienreligion gedeutet werden. Zuweilen hat man die Reiter auf 

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    27 K EEL/UEHLINGER , GGG, 396.28 GGG, 398.29  J.S. HOLLADAY, Religion in Israel and Judah under the Monarchy: An Explicitly Archaeological

    Approach, in: P.D. MILLER  u.a. (Hg.), Ancient Israelite Religion. Essays in Honor of F.M. Cross,Philadelphia 1987, 249–299, 276.

     Abb. 6 

    den Sonnengott bezogen, zu dem Pferde und Wagen gehören, und das mit denScheiben begründet, die manche Pferde zwischen den Ohren tragen (Abb. 6):

    Nach II Reg 23,11 lässt Josia mit den Pferden auch „die Wagen des Sonnengottes“aus dem Tempelbezirk schaffen. Allerdings ist der Sonnengott in neuassyrischer Zeit weder in Texten noch in Bildern reitend dargestellt worden. Deshalb weistUEHLINGER auf den militärischen Aspekt hin, der mit Pferdereitern verbunden istund der auch in der Vorstellung vom „Heer des Himmels“ enthalten ist. Er deutetdie Reiterfigurinen deshalb als „anthropomorphe Repräsentation des ‚Himmelshee-res‘“.27 Das Himmelsheer umgibt den Höchsten Gott als „seine Heiligen“ (Dtn33,3) und als seine Ratsversammlung (I Reg 22,19). Die Reiterfigurinen repräsentie-ren – so seine ansprechende Vermutung – „die Schutzmächte und Mittler aus der Sphäre des Höchsten Gottes“.28 Sie waren in der Königszeit Israels vielleicht das,wozu wir heute Schutzengel sagen würden. Dafür spricht auch der auffälligeUmstand, dass Pferde-Reiter-Statuetten – anders als die Pfeilerfigurinen – mitunter in Gruppen gefunden wurden.29

    4. Zwischen Polytheismus und Monotheismus

    Aschera und Himmelsheer, Segensmittlerin und Schutzmächte stehen ganz

    unbefangen neben Jahwe, und Jahwe duldet offenbar völlig selbstverständlich einePartnerin wie Mittlergestalten, die Schutz bis ins Grab hinein verbürgen. Ist dasnun Polytheismus?

    Mit geschärften Augen schauen wir noch einmal ins Alte Testament:

    Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten herausgeführt hat.Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!

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    15Wandlungen Gottes im antiken Israel

    Wir staunen. Die Existenz anderer Götter wird nicht bestritten. Es heißt ebennicht: Du sollst keine anderen Götter haben, weil es außer mir gar keinen Gottgibt. Vielmehr ergibt sich das Verbot geradezu als Konsequenz aus dem Vordersatzund sagt nichts anderes als: Du sollst keine anderen Götter haben, weil ich schondein Gott bin; und das habe ich darin erwiesen, daß ich dich aus der Sklaverei inÄgypten freigekauft habe! Das Erste Gebot ist also kein Bekenntnis zum Mono-theismus; denn das Verbot setzt selbstverständlich andere Götter voraus. Nicht dieanderen Götter sind das Problem, sondern die Forderung: Für Israel darf es nur 

    diesen einen als einzigen geben!Natürlich gibt es andere Götter zuhauf: andere Länder – andere Sitten und

    andere Götter. So klagt David (I Sam 26,19), daß Saul ihn aus dem Land ver-treibe, was selbstverständlich zur Folge hat, anderen, fremden Göttern dienenzu müssen. Ebenso gilt: andere Völker – andere Götter. So heißen die Moabiter „Volk des (Gottes) Kemosch“ (Num 21,29; Jer 48,46) und die Ammoniter ananderer Stelle „Volk des (Gottes) Milkom“ (Jer 49,1). Wie Kemosch der Gott der Moabiter und Milkom der Gott der Ammoniter ist, so erscheint in I Reg 11,33Astarte als die Göttin der Sidonier, und so ist eben auch Jahwe „der GottIsraels“ (vgl. Gen 33,20 mit Jos 8,20). Die Bibel enthält im ursprünglichen Textvon Dtn 32,8 sogar eine mythologische Reflexion dieses Befundes: Ganz amAnfang habe Elyon, der Höchste, offenbar der Götterkönig, die Völker den ein-zelnen Göttern zum Erbbesitz zugewiesen; da sei Israel/Jakob dem Gott Jahwe alsAnteil zugefallen.

    Das Fremdgötterverbot kämpft also nicht gegen die Existenz anderer Götter und deren Macht, wohl aber richtet es sich gegen die Verehrung anderer Götter inIsrael. Mag es auch viele Götter geben, für Israel soll es hinfort allein diesen einenGott, Jahwe, geben. Offenbar verstand sich noch nicht einmal das von selbst; dennsonst hätte man wohl kaum die Verehrung anderer Götter in Israel verbietenmüssen.

    Was in den Zehn Geboten die Gestalt eines Verbots hat, finden wir in Mi 4,5in der Form eines Bekenntnisses:

    Wenn auch alle Völker (noch ihren Weg) gehen, ein jedes im Namen seines Gottes,so gehen doch wir im Namen Jahwes, unseres Gottes, auf immer und ewig!

    Auch dieses Bekenntnis bestreitet nicht die Wirkmacht der Götter anderer Völker.Wie wirkmächtig fremde Götter sein können, erfährt Israel im Krieg gegen dieMoabiter (II Reg 3,27). Anläßlich der Belagerung seiner Stadt und in aussichtsloser Lage opfert der König der Moabiter seinen Kronprinzen als Brandopfer auf der Stadtmauer, so daß auch die Belagerer das sehen können. Mit diesem äußerstenEinsatz fordert der König den Staats- und Dynastiegott Moabs zum Eingreifen auf.Die Wirkung ist verheerend für die israelitischen Belagerer: „Da kam ein großer (Gottes-) Zorn auf Israel, so daß sie abziehen mußten.“

    Das vor Augen verstehen wir Jeremias vorwurfsvolle Klage: „Geht dochhinüber zu den Inseln der Kittäer [d.h. Zypern, also der äußerste Westen] und sehteuch um oder schickt nach Kedar [ein protoarabischer Stamm in der syrisch-arabischen Wüste, also im äußersten Osten] und habt genau acht! Hat je ein Volk 

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    30 Damit nehme ich J. ASSMANN auf, der zwischen einem Monotheismus der Beziehung (Moses) undeinem der Erkenntnis (Echnaton) unterscheidet (zuletzt in: Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München 2003, 57ff.).

    31 F.D.E. SCHLEIERMACHER , Der christliche Glaube, Berlin 21835, 43.32 Zu I Reg 17–18 vgl. M. K ÖCKERT, Elia. Literarische und religionsgeschichtliche Probleme in 1 Kön

    17–18, in: M. OEMING / K. SCHMID (Hg.), Der eine Gott und die Götter. Polytheismus und Mono-theismus im antiken Israel (AThANT 82), Zürich 2003, 111–144.

    (seine) Götter getauscht? … Mein Volk aber hat seine Herrlichkeit [d.h. den GottIsraels] vertauscht gegen einen Nichtnutz“ (Jer 2,10–11).

    Wir halten einen Augenblick inne und fassen zusammen.

    (1) In den Texten, die wir soeben kennengelernt haben, geht es stets um Alleinver-ehrung Jahwes für Israel, aber nicht um das, was wir modern „Monotheismus“nennen. Jahwe war hier ein Gott neben vielen anderen, soll aber  für Israel   der 

    Einzige sein. Es geht hier um die Einzigkeit der Beziehung , nicht der Existenz.30 DasFremdgötterverbot zu befolgen, ist ein Akt der Entscheidung und dann auch der Treue, kein Akt der Einsicht. Die Existenz anderer Götter ist stets mitgedacht.Sonst müsste die Einzigkeit der Beziehung gar nicht gefordert werden, die aber istexklusiv gemeint. Schleiermacher hatte das „Monolatrie“ genannt31.

    (2) Das Alte Testament kennt freilich auch Texte, die wissen es ganz anders. Ichgreife zwei prominente Beispiele heraus, zunächst Elia.32 Zu den eindrücklichstenSzenen gehört, wie die Priester Baals vom Morgen bis zum Mittag um den Altar tanzen, sich selbst verwunden, um ihrem Gebet nach Regen Nachdruck zu geben,und unablässig rufen: „Baal erhöre uns.“ Da mischt sich Elia ein und spricht: „Ruftlauter; denn er ist ja ein Gott! Er ist wohl beschäftigt, oder beiseite gegangen [umdie Damen nicht mit einer derberen Übersetzung zu genieren] oder er ist unter-wegs; vielleicht liegt er im Schlaf und muß erst aufwachen“ (I Reg 18,27)! „Aber dawar keine Stimme noch Antwort“, vermerkt lapidar der Erzähler. Der WettergottBaal, der Spezialist für den Regen, erweist sich in seinem ureigenen Fach alsVersager, als absolut wirkungslos. Elias Spott trifft keinen wirklichen Gott, sondernnur noch ein Phantasiegebilde seiner Gegner. Hier wird in der Tat die WirklichkeitBaals radikal in Frage gestellt. Dieser Gott ist wirklich kein Gott.

    Andere Beispiele finden wir bei dem schon erwähnten Deuterojesaja. In mehre-ren Gerichtsreden lädt der Gott Israels die Götter zum Prozeß, „damit wir erken-nen, ob ihr Götter seid“ (Jes 41,23). Aber die Vorgeladenen erweisen sich durchwegals inkompetent gegenüber Jahwe. So endet der Prozeß entsprechend: „Siehe, ihr seid nichts, und euer Tun ist auch nichts, und euch erwählen ist ein Greuel“ (Jes41,24).

    Auch hier geht es ausdrücklich um die Wirklichkeit der Götter im Sinne ihrer Wirkmächtigkeit und Wirksamkeit angesichts des einen Gottes Jahwe. Hier ist Jahwe der Einzige geworden, außer dem es keine Götter mehr gibt. Hier geht es inder Tat um die Einzigkeit der Existenz Gottes. Hier ist es sinnvoll, von Monotheis-mus zu sprechen. Wer ist in Wahrheit Gott: Jahwe oder die ‚Götter‘? Die Einzig-

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    33 S. bes. E. HORNUNG, Echnaton. Die Religion des Lichtes, Zürich 1995, und J.  ASSMANN, Ägypten.Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur (UTB 366), Stuttgart 1984.

    34 Echnaton geht von der Einheit von Aton und König aus: „Du einziger Gott, außer dem es keinengibt“ – entsprechend gilt vom König: „Kein anderer ist, der dich kennt, außer deinem SohnEchnaton“ (so der große Sonnenhymnus ÄHG Nr. 92,78.123 – in der Übersetzung von H.  BRUN-NER , Ägyptische Religion. Grundzüge, Darmstadt 1989, 38f.). Ganz konsequent wird der Königauch zum persönlichen Gott des Einzelnen und erhält Schöpferprädikate.

     Abb. 7 

    keit der Existenz Gottes ist jedoch keine Frage der Treue, sondern eine Frage der Konzeption der Wirklichkeit, und die ist von der scharfen Unterscheidung zwi-schen Gott und Welt bestimmt. Sarkastischer als Deuterojesaja hat es keiner inWorte gebracht. Er beschreibt, wie ein Handwerker „einen Gott macht“ (!) auseinem Stück Holz (!), dessen andere Hälfte er dazu benutzt, seine Suppe zukochen (Jes 44,9–20). Wer derartige Holzklötzer verehrt, hat „keine Einsicht, keineVernunft, keinen Verstand“ (V.19). Der aufklärerische Ton und der argumentativeCharakter dieser Texte kommen also nicht von ungefähr.

    (3) Von diesem Monotheismus ist der des Pharao Echnaton (Mitte 14. Jh. v. Chr.)in Ägypten grundsätzlich unterschieden. Auf einen ersten Blick erscheint dieser Pharao als ein radikaler Monotheist.33 Keiner vor ihm, und nach ihm erst Deutero-

     jesaja, hat so durchgreifend die Existenz der Götter bestritten. Echnaton ließ dieTempel schließen und die Kulte für die zahlreichen Gottheiten einstellen. Er zerstörte deren Bilder und eliminierte ihre Namen sogar aus den Steinen. GöttlicheVerehrung genießt allein die Sonne, jedoch nicht durch die Ägypter überhaupt,sondern allein durch das Königspaar Echnaton und Nofretete.34  Die Ägypter nehmen daran nur über die Bilder teil, die das Königspaar als heilige Familiezeigen, wie es die Sonne verehrt und vom Strahlen-Aton belebt wird (Abb. 7).

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    18 Matthias Köckert

    35 ÄHG Nr. 92,115–117.36 Kosmotheismus und Monotheismus, Heidelberg 1993. Der Begriff stammt von F.H. Jacobi, der ihn

    im 18. Jh. negativ auf Spinoza münzte.37  J. ASSMANN, Ägypten (s. Anm. 33), 248f.38 KTU 1.4 VII 50–52 nach TUAT III, 1170 (Übersetzung von M. DIETRICH / O. LORETZ).39 Texte wie diesen rechnet O. LORETZ m. R. zur altorientalischen Vorgeschichte von Dtn 6,4 (Des

    Gottes Einzigkeit. Ein altorientalisches Argumentationsmodell zum „Schma Jisrael“, Darmstadt1997).

    Entscheidender aber ist die kosmologische Konzeption, die der radikalisiertenneuen Sonnentheologie in der Amarnazeit zugrunde liegt. Der einzige Gotterscheint in keinem Bild und nicht anders denn als die Sonne am Himmel. Siebringt durch ihre Strahlen Licht und Wärme und durch ihre Bewegung die Zeitund das Werden hervor, so daß alles, was ist, Wirkung und eben Wirklichkeitdieses einzigen Gottes ist. Gott und Welt unterscheiden sich gerade nicht:

    Du nimmst Millionen von Verwandlungen an, indem du Einer bist:

    Städte, Dörfer, Felder, Weg und Fluss.35

     JAN ASSMANN hat dafür den Begriff „Kosmotheismus“ aufgenommen36 und mitRecht gemeint: „Wir stehen hier am Ursprung weniger der monotheistischenWeltreligionen als der Naturphilosophie und hätten, wenn diese Religion sichdurchgesetzt hätte, eher einen Thales als einen Moses zu erwarten.“37

    (4) Was ist Polytheismus? Die Verehrung vieler Gottheiten, denkt man sofort.Aber die religionsgeschichtlichen Realitäten sind sehr viel komplexer als jener Begriff aus den Arsenalen des Kampfes gegen Heidentum und Götzendienst ahnenlässt.

    Ein vielgliedriges Pantheon schließt z.B. in Ugarit so etwas wie Mon-Archiedurchaus ein. So preist sich der Wettergott Baal selbst mit den Worten:

    Ich allein bin es, der herrscht als König über die Götter,der fett macht Götter und Menschen,der sättigt die Mengen der Erde.38

    Obwohl keineswegs der „Höchste Gott“ in Ugarit, ist Baal doch der einzige, der den für alles Gedeihen notwendigen Regen bewirkt. In dieser Hinsicht überragt er sogar El, den Schöpfer der Geschöpfe und den Vater der Götter.39

    Wie grob die Alternative Monotheismus – Polytheismus ist, wird schnell klar,wenn wir uns die religiösen Kommunikationsebenen eines Babyloniers im 2. oder 1. Jt. v. Chr. vorstellen. Der nahm mit der ganzen Stadt am Neujahrsfest teil– wenigstens als Zuschauer am Rande der Prozessionsstraße – und sah, wie dieGötter des Landes in Gestalt ihrer Bilder in den Haupttempel Babylons gebrachtwurden. Er verehrte zweifellos an bestimmten Feiertagen seinen Stadtgott Marduk 

    und wandte sich, wenn er etwa als Schreiber Probleme hatte, an Nabu, den Gottder Weisheit. Aber in Krankheit und Not rief er seinen persönlichen Schutz-gott um Hilfe an. Dann spielten in seinem Flehen der Stadtgott und das großePantheon Babels gar keine Rolle: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich

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    40 Vgl. aus dem babylonischen Lehrgedicht Ludlul bel memeqi   I 43f. (TUAT III/1,117) und die ein-schlägigen Passagen aus dem Anuna-Hymnus aus Nippur (17. Jh. v.), die M.   DIETRICH  zitiert(Persönliches Unheil als Zeichen der Gottesferne. Das Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf nach babylonischem Verständnis, MAR 8, 1994, 115–141, bes. 130 – für diesen Hinweis danke ichO. Loretz).

    41 So schon R. PETTAZZONI, Der allwissende Gott, Frankfurt/M. 1960, 117 und E. HORNUNG, der zu demErgebnis kommt, dass „Monotheismus niemals durch eine langsame Addition von ‚monotheistischenTendenzen‘ innerhalb des Polytheismus entsteht, sondern einen völligen Umschlag des Denkenserfordert“ (Der Eine und die Vielen. Ägyptische Gottesvorstellungen, Darmstadt 1971, 239). O.  K EELsieht den entscheidenden Umschlag in Jes 37,20, einen Text, den er mit Chr. Hardmeier zwischen 600und 587 v. Chr. datiert (Sturmgott – Sonnengott – Einziger, BiKi 49, 1994, 91).

    42 Grundlegend dafür sind K EEL/UEHLINGER , GGG, auch wenn hier zuweilen andere Akzente gesetztwerden. Hingewiesen sei außerdem auf die Gesamtdarstellungen von DAY, Gods (s. Anm. 23), und

    verlassen?“, so klagt Jesus am Kreuz (Mk 15,34), vor ihm schon der Beter von Ps 22und lange vor diesem ein Kranker aus Babylon oder Nippur.40

    Mindestens drei Kommunikationsebenen lassen sich in Israel und Juda unter-scheiden:

    (a) die „nationale“  Ebene des offiziellen Staatskultes mit dem Gott der Dynastie,der den Bestand des Königtums und damit die Ordnung sichert, der Gedeihendes Landes und Sieg im Krieg verleiht;

    (b) die „lokale“  Ebene der Ortsreligion mit der Stadtgottheit;

    (c) die „familiäre“  Ebene der Familien- und Sippenreligion, mit Schutzgottheitenund der persönlichen Frömmigkeit.

    Diese hier idealtypisch unterschiedenen Bereiche kreuzen sich ständig, weil dieMenschen nicht nur auf einer Kommunikationsebene leben. Dabei spielte für denEinzelnen die staatliche Ebene offizieller Religion die geringste Rolle. Viel ent-scheidender war für ihn die lokale Ebene mit den Ortsheiligtümern, am wichtigs-ten aber die Ebene der Familie mit den Schutzgottheiten. Die wurden in der Regelmonolatrisch verehrt, mochte an der Spitze des Staatskults auch ein großes oder kleines Pantheon bestanden haben. Es ist deshalb nur natürlich, wenn die ver-schiedenen Bereiche sich gegenseitig beeinflusst haben. Man sollte also besser voneinem religionsinternen Pluralismus sprechen als von Polytheismus. Die ent-scheidende Frage kann also nicht mehr heißen: Polytheismus oder Monotheis-mus?, sondern: Wann (und warum) wurde aus der inklusiven Verehrung Jahweseine exklusive , die auf allen Ebenen die Verehrung anderer Gottheiten ausschließt?

    5. Von einem zum einzigen Gott 

    Die mit dieser Frage verbundenen Probleme lassen sich nicht durch einfachemonokausale Erklärungen lösen. Der „einzige Gott“ steht am Ende eines Weges,der über die längste Zeit durch Integration, am entscheidenden Punkt aber durchso etwas wie „Revolution“ bestimmt war.41 Ich beschränke mich jetzt auf einigewichtige Wegemarken.42

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    20 Matthias Köckert

    M.S. SMITH, The Early History of God. Yahweh and the Other Deities in Ancient Israel, GrandRapids 1990, 2. Aufl. 2002.

    43 Die für eine ursprüngliche Verbindung des Gottes Jahwe mit Midian oder Edom gern bemühtenägyptischen Belege aus einer Ortsnamenliste Amenophis III. um 1370 v. Chr. in Soleb (dazuR. GIVEON, Toponymes ouest-asiatiques à Soleb, VT 14, 1964, 239–259, bes. 244, und M.  GÖRG, Jahwe – ein Toponym?, BN 1, 1976, 7–14) und deren jüngere Kopie in Amara-West bezeichnen mit„Land der Schasu von Jahu“ eine Region im „Schasu-Land“, vielleicht auch eine Gottheit. In der Kopie der Liste in Amara-West steht diese Region in Verbindung mit dem gleichfal ls dort genanntenOrt Gintikirmil, der an den Hängen des Karmelgebirges lokalisiert ist und in EA 288,26 in der Wendung „von den Seir-Ländern bis nach Gintikirmil“ begegnet (M.  GÖRG, Die Beziehungenzwischen dem alten Israel und Ägypten [EdF 290], Darmstadt 1997, 34f.). Die Region Jahu in der Soleb-Liste müsste dann in dem Gebiet zwischen dem Ostjordanland („Seir-Länder“) und demKarmel gesucht werden. Als Gottesname gedeutet, bezöge sich Jahu in den Listen von Soleb undAmara-West auf die Region der Schasu, wo diese Gottheit verehrt worden ist. Da Schasu in ägypti-schen Texten der Spätbronzezeit für nomadische Gruppen in Palästina bis nach Megiddo sowieSyrien (Pap. Anastasi I) und Kadesch (Ramses II.) belegt sind, steht einer mittelpalästinischenLokalisierung jener Region und dieses Gottes nichts im Wege. Zur Deutung der Listen vgl. auch dieKritik aus ägyptologischer Sicht von H. GOEDICKE, The Tetragramm in Egyptian?, The Journal of the Society for the Study of Egyptian Antiquities 24, 1997, 24–27.

    44  J. WELLHAUSEN, Israelitische und jüdische Geschichte, Berlin 3. Aufl. 1897, 25.45 Man sehe auch den edomitischen Hauptgott  Qaus (= „Bogen“, die Waffe des Wettergottes:

     J.R. BARTLETT, Edom and the Edomites [JSOTSuppl. 77], Sheffield 1989, 200ff.). Vgl. zum Wetter-und Sturmgott im Alten Orient überhaupt D. SCHWEMER , Die Wettergottgestalten Mesopotamiensund Nordsyriens im Zeitalter der Keilschriftkulturen. Materialien und Studien nach den schrift-lichen Quellen, Wiesbaden 2001, und A.R.W. GREEN, The Stormgod in the Ancient Near East (BJSt8), Winona Lake 2003, bes. 219–280.

    46 KAI Nr. 214,1–3.11.18; Nr. 215,22; Nr. 222 A 11.

    5.1

    Der Gott Jahwe betritt, historisch greifbar, erst im 1. Jt. v. Chr. die Bühne der Geschichte.43 Er erscheint zunächst als Staats- und Dynastiegott des NordreichsIsrael wie auch – ein wenig später – des Südreichs Juda und ähnelt in dieser Funkti-on durchaus Milkom in Ammon, Kemosch in Moab und Qaus in Edom (vgl. Jdc11,24). Die Ursprünge Israels reichen hingegen in die Spätbronzezeit zurück, wiedie berühmte Stele Merenptahs zeigt. Isra-el bezeichnet dort eine Menschen-

    gruppe. Deren Name ist freilich nicht mit Jahwe, sondern mit El gebildet. Sie kannin jenem Gebiet vorgestellt werden, das später Ischbaal, der Sohn Sauls, kon-trolliert (II Sam 2,9). Neben der Verehrung des Staatsgottes Jahwe mag sich alsältestes Substrat eine El-Verehrung auf lokaler Ebene noch lange gehalten haben.Ihre Identifikation mit Jahwe war leicht möglich, weil man El als lokale Mani-festation Jahwes verstehen konnte.

    Die Etymologie des Gottesnamens yhwh ist über arab. hwh „ganz durchsichtig:er fährt durch die Lüfte, er weht“.44 Dass in Regenfeldbaukulturen – und dazugehört Palästina – Wettergöttern wichtige Positionen zukommen, liegt auf der Hand. So fungiert in Ugarit Baal als Staats- und Dynastiegott.45 In Samal stehtHadad an der Spitze des Pantheon und rangiert unter den göttlichen Zeugen desVertrages von Sfire noch vor El.46

    Die älteren mit Jahwe, dem Gott Israels, verbundenen Traditionen zeichnenihn denn auch in den Konturen eines Wettergottes. Hierher gehören vor allem die

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    21Wandlungen Gottes im antiken Israel

    47 Zu diesen Texten s. H. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart. Eine Theologie der Psalmen (FRLANT 148),Göttingen 1989, bes. 21–86, 165–225, und R. G. K RATZ, Reste hebräischen Heidentums am Beispielder Psalmen, Nachrichten der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen I. Philologisch-historischeKlasse, 2004, Nr. 2.

    48 H. PFEIFFER , Gottesbild und Kosmologie. Ein Korreferat, in: C.  MARKSCHIES /  J. ZACHUBER (Hg.),Die Welt im Bild, Berlin 2005 (im Druck).

    49 M.  K ÖCKERT, Literargeschichtliche und religionsgeschichtliche Beobachtungen zu Ps 104, in:R.G. K RATZ u.a. (Hg.), Schriftauslegung in der Schrift, FS für O.H. Steck (BZAW 300), Berlin 2000,259–280.

    50 KTU 1.3 I 2–4; 1.5 II 9–10; 1.6 I 41–43 u.ö.51 Übersetzung von R ENZ, HAE I, 246.52 Man lese nur Hag 1,9–11; 2,15–19; Sach 1,12–17; 8,10–12.53 Die keilalphabetischen Texte des Baal-Epos sind jetzt leicht zugänglich in der Übersetzung von

    M. DIETRICH und O. LORETZ in TUAT III/6, 1091–1198.

    Texte, die Jahwe als Kämpfer, siegreichen Chaosbändiger und in alledem alsErhalter des Lebens und Herrn der Erde preisen47: Ps 24,1–2.7–10; 29,1–9;47,2–3.6–9*; 93,1a.3–448; 104,…2b-4.10–15*.3249. Besonders jener später breitausgebaute Hymnus besingt in seinen ältesten, partizipial formulierten Teilen

     Jahwe als Wettergott, der Blitze schleudernd in seinem Wolkenwagen auf denFittichen des Sturmes dahinfährt und alles, was lebt, mit Regen aus seinem himm-lischen Palast tränkt. So erhält er die in verschiedene Biotope vom Hochgebirgebis in die Flussauen gegliederte Welt am Leben. Wie Baal in Ugarit „Fürst, Herr 

    der Erde“50 heißt, so erscheint Jahwe in Ps 47,2–3.6–9 als „König der ganzen Erde“,was wiederum der Eigentumsdeklaration von Ps 24,1–2 entspricht. Das hat einSeitenstück in der Inschrift A im Vorraum eines Kammergrabes am Osthang vonChirbet Bet Layy (8 km östl. von Lachisch) an der Wende vom 8. zum 7. Jh. v.Chr.:

     Jahwe ist der Gott der ganzen Erde;die Berge Judas gehören dem Gott Jerusalems.51

    Das Profil eines Wettergottes bleibt Jahwe bis in die Perserzeit hinein erhalten.52

    Als Wettergott war Jahwe immer schon ein Gott, der wie alle Wettergötter inRegenfeldbaukulturen die Statur zu überregionaler Bedeutung und zu universalenFunktionen hatte. Insofern war die Möglichkeit der Integration auch anderer göttlicher Funktionen mit der Wettergott-Konzeption gegeben. Integration bedeu-tet zugleich Expansion und Weltgewinn dieses Gottes.

    5.2

     Jahwe erscheint nicht nur als Baal , der Israel – wie es sich für einen rechten Wet-tergott gehört – Regen und deshalb Korn und Most, Öl und Flachs beschert (wasHos 2,4ff. betonen), sondern auch als El .

    Beide Gottheiten sind aus der Mythologie Ugarits, einer kleinen syrischenHafenstadt in der Mitte des 2. Jt.s v. Chr., wohl bekannt.53 El steht in Ugarit als„Schöpfer der Geschöpfe und als „Vater der Götter“ an der Spitze des ugaritischen

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    56 Vgl. Ps 47,3; 97,9; Gen 14,20ff.57 Vgl. R ENZ, HAE I, 248.58 H.-P. STÄHLI, Solare Elemente im Jahweglauben des Alten Testaments (OBO 66), Freiburg 1985;

     J.G.  TAYLOR , Yahweh  and the Sun. Biblical and Archaeological Evidence for Sun Worship inAncient Israel (JSOTSuppl. 111), Sheffield 1993; B.  JANOWSKI,  JHWH und der Sonnengott. Aspekteder Solarisierung JHWHs in vorexilischer Zeit (1995), in: DERS., Die rettende Gerechtigkeit. Beiträgezur Theologie des Alten Testaments 2, Neukirchen-Vluyn 1999, 192–219; kritisch S.A.  WIGGINS,Yahwe: The God of Sun,  JSOT 71, 1996, 89–106, und F. ZEEB,  Jahwe und der Sonnengott, in:

    Einfluss auf die bodenständig syrische Ikonographie. In den Löchern an beidenSeiten der Krone steckte ursprünglich ein Hörnerpaar, das heute verloren ist.

    Als Beispiel für die Verbindung von El- und Baal-Prädikaten in Jahwe mag Ps29 dienen. Jahwe lässt wie Baal seine Stimme erschallen und donnert gewaltig.Seine Stimme zerbricht die Zedern des Libanon, schlägt Feuerflammen (d.h.Blitze) und lässt die Erde beben (V. 3–9a). Anderseits thront Jahwe in seinemTempel, der bis in den Himmel aufragt (V. 1–2.9b), so dass der Dichter die Götter-söhne, also die Familie Els auffordert, Jahwe in seinem Tempel-Palast zu huldigen

    (V. 1–2): „Gebt Jahwe, ihr Göttersöhne, gebt Jahwe Ehre und Macht!“ Ähnlicheskann man in Ps 24 beobachten. Dort erscheint Jahwe einerseits als Herr der Erde,die er ständig erhält (kwn Pk, V. 2), worin er sich immer wieder als „starker Recke“und „Kriegsheld“ (V. 8) erweist. Anderseits heißt er „König der Ehren“ (V. 7.9.10),weil er „die Erde ein für allemal gegründet hat“ (V. 2).

    El-Aspekte treten – vielleicht unter Einfluss Jerusalems, wo Elyon als „Höchster Gott“ eine besondere Rolle spielt56  – stärker in den Vordergrund. In diesemZusammenhang sei an Inschrift B im Vorraum jenes schon erwähnten Grabes vonChirbet Bet Layy erinnert:

    Schreite ein, Jah, gnädiger Gott/El; erkläre straffrei, Jah, Jahwe!57

    Die Formulierung „gnädiger Gott“ hat ihr nächstes Seitenstück in Ex 34,6 f.: Jahweist ein „gnädiger und barmherziger Gott/El“.

    Wie problemlos Jahwe Prädikate und Charakteristika Els an sich ziehen konnte,zeigen zahlreiche Texte auch der Spätzeit, die Jahwe als alten Patriarchen zeichnen(wie Ps 102,28; Hi 36,26; Dan 7,13), dem Ewigkeit (Jes 40,28; 57,15) sowie Heilig-keit (Jes 6,3; Ps 47,3; Hos 11,9) zukommen und der in der Versammlung der Himmlischen thront (Ps 29,1–2; 82,1; 89,5–8; Sach 3; I Reg 22,19). Wie El er-scheint auch Jahwe als Vater (Dtn 32,6; Jes 63,16; 64,7; Jer 3,4; 31,9; Hos 11,1;Mal 1,6; 2,10), voller Güte und Erbarmen (Ex 34,6; Jon 4,2; Jl 2,13; Ps 86,15;103,8; 145,8; Neh 9,17).

    Die Verbindung von Jahwe und Aschera in den Inschriften von Kuntillet ‘Ad- schrud aus dem 8. Jh. setzt die Identifizierung Jahwes mit El längst voraus.

    5.3

    Einen wichtigen Impuls gibt die Integration solarer Symbolik  und der Funktionendes Sonnengottes als Richters und Retters58. Sie wird archäologisch im phönizisch-

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    24 Matthias Köckert

    O. LORETZ u.a. (Hg.), Ex Mesopotamia et Syria Lux. FS für M. Dietrich (AOAT 281), Münster 2002,899–918.

    59 S. dazu K EEL/UEHLINGER , GGG, 282–298.60 M. ARNET, Ps 72 in seinen altorientalischen Kontexten, und B.  JANOWSKI, Die Frucht der Gerechtig-

    keit. Ps 72 und die judäische Königsideologie, beide in: E. OTTO / E. ZENGER  (Hg.), „Mein Sohn bistdu“ (Ps 2,7). Studien zu den Königspsalmen (SBS 192), Stuttgart 2002, 135–172 und 94–134. GegenARNET ist aufgrund der in GGG mitgeteilten Befunde mit einem früheren Beginn der Solarisierungals erst in der Assyrerzeit zu rechnen (so auch SMITH, Early History [s. Anm. 42], 148–159). Dassdabei der Jerusalemer Tempel eine wichtige Rolle gespielt hat, ist nach den Untersuchungen vonK EEL/UEHLINGER   überaus einleuchtend (Jahwe und die Sonnengottheit von Jerusalem, in:W. DIETRICH / M.A. K LOPFENSTEIN [Hg.], Ein Gott allein? [OBO 139], Freiburg 1994, 269–306),auch wenn über die Details noch nicht das letzte Wort gesprochen sein dürfte.

    61 Eine erste Bestandsaufnahme hatte P.  WELTEN vorgelegt (Die Königs-Stempel. Ein Beitrag zur Militärpolitik Judas unter Hiskia und Josia [ADPV 1], Wiesbaden 1969); seither ist neues Materialhinzugekommen, das zur Korrektur der von WELTEN  vorgenommenen zeitlichen Einordnungnötigt.

    62 Dass „Sonne“ hier mehr als eine Metapher für Rettung und Schutz assoziiert, lässt sich an der Septuaginta und der Peschitta erkennen, die „Sonne“ eliminiert haben.

     Abb. 10 

    israelitischen Kunsthandwerk schon des 9./8. Jh. greifbar. Es handelt sich umSiegel und Elfenbeine mit Motiven ägyptischer Herkunft: das Sonnenkind in der Lotusblüte, die geflügelte Sonnenscheibe, das Horusauge.59 Wenig später findetman solare Motive in Juda. Auch hier stehen sie in enger Verbindung mit demKönigtum, wie Ps 72 zeigt.60 Vor allem in der Hiskiazeit begegnen sie in Ab-drücken von Stempelsiegeln auf Krughenkeln.61  Davon sind weit über 1000Exemplare auf uns gekommen. Auf ihnen steht oben „dem König (gehörig)“ undunten ein Ortsname offenbar von königlichen Domänen. Dazwischen findet sich

    ein 4-flügliger Skarabäus (links) oder eine geflügelte Sonnenscheibe (rechts):

    Diese Krugstempel zeigen die Sonne in ihrem Morgenaspekt als siegreich auf-steigende Sonne. Solare Symbolik hat aber auch die Privatsiegel erobert.

    Auf einem besonders schönen Stück aus Lachisch (Abb. 11), das einem „Achi-melek, Sohn des Samak“ gehört, schiebt der Mistkäfer mit Vorder- und Hinter-beinen eine Sonnenscheibe vor sich her. Auf dem Siegel des „Uschna, Minister des(Königs) Achas“ (2. Hälfte des 8. Jh. v. Chr.) flankieren zwei Uräen die bekrönteSonnenscheibe (Abb. 12).

    Die solare Symbolik setzt mit der Sonne wichtige inhaltliche Akzente. Sieverbindet Sonne und Licht mit Recht und Gerechtigkeit: „Sonne und Schild ist

     Jahwe … Er verweigert nicht Gutes denen, die in Rechtschaffenheit gehen“(Ps 84,1262). Der Beter von Ps 43 bittet: „Sende dein Licht und deine Wahrheit“(Ps 43,3), und die bewirken Ahndung der Untaten und Rettung des Gerechten. So

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    25Wandlungen Gottes im antiken Israel

    63 Bei Zef 3,5 handelt es sich freilich um einen Zusatz aus der Zeit des zweiten Tempels, wie der Wechsel von der Stadt (V. 5) und das hier gegenüber V. 2 veränderte Verhältnis Jahwes zur Stadtzeigen. Zum Motiv vgl. Ps 101,8; Hi 38,12–15.

    64 Dtn 33,2; Ps 50,2; 80,2; 94,1; Hab 3,3–4; vgl. Jes 60,2; Mal 3,20.65 Auf drei Siegeln: HAE II/2 Nr. 10.26 (Der Siegelbesitzer gehörte zum Hofstaat Hiskias); Nr. 13.85

    (8./7. Jh.); Nr. 13.97 (Ende 7. Jh.).66 Vgl. J.G. TAYLOR , Sun (s. Anm. 58), 147–158.67 Dazu K EEL/UEHLINGER , GGG, 327–360.

     Abb. 11 Abb. 12

    nimmt Jahwe jeden Morgen neu die Funktionen des Sonnengottes wahr, für Rechtund Gerechtigkeit zu sorgen: „Jahwe in Jerusalems Mitte ist gerecht, er tut keinUnrecht. Morgen für Morgen gewährt er sein Recht, dem Licht gleich, das nichtausbleibt“ (Zeph 3,5).63 In nachexilischen Texten verbindet sich mit der Licht-metapher der durch Recht und Gerechtigkeit charakterisierte Zustand vollkomme-nen Heils (Jes 51,4–5; 58,8–10). Darauf hofft Mi 7,9. Diese Traditionslinie führtgeradewegs ins Evangelische Gesangbuch: „Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zuunserer Zeit!“

    Solare Motive finden sich auch im Zusammenhang der Epiphanie Gottes. Jahwe erscheint, indem er „aufstrahlt“ oder „aufleuchtet“ wie die Sonne.64 Das hatEingang in die Namengebung gefunden: Zerachja („Jahwe ist aufgestrahlt“: Esr 7,4;8,4), Zerach („Aufgang“: Gen 38,30 u.ö.) und Jehozarach („Jahwe strahlt auf“65).

    Bei aller Integration solarer Motive blieb man sich jedoch des Unterschiedszwischen Jahwe und der Sonne wohl bewusst. Ez 8,16 berichtet von Jerusalemern,die im Vorhof des Tempels stehen, sich selbst also als Jahweverehrer verstanden,

     Jahwe im Tempel aber den Rücken zukehren und sich nach Osten vor der Sonneverneigen, also die Sonne als Jahwe verehren.66 Damit ist offenbar eine entschei-dende Grenze überschritten.

    5.4

    Am meisten fällt im 7./6. Jh. v. Chr. jedoch eine zunehmende – wohl durch dieAramäer vermittelte –  Astralisierung der religiösen Symbolsysteme 67   auf. WelcheFaszination der Nachthimmel mit dem Erscheinen der numinosen Mächte in der 

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    26 Matthias Köckert

    68 G. THEUER , Der Mondgott in den Religionen Syrien-Palästinas. Unter besonderer Berücksichtigungvon KTU 1.24 (OBO 173), Freiburg 2000, bes. S. 319–389 sowie S. 429–560.

    69 So z.B. auf der Harran-Stele und ähnlich auf anderen Inschriften Nabonids (W. R ÖLLIG, Erwägun-gen zu neuen Stelen König Nabonids, ZA 56, 1964, 218–260, und jetzt besonders H.  SCHAUDING,Die Inschriften Nabonids von Babylon und Kyros’ des Großen samt den in ihrem Umfeld ent-standenen Tendenzschriften. Textausgabe und Grammatik [AOAT 256], Münster 2001. Die Belegesind dort auf S. 21 A. 89 zusammengestellt).

     Abb. 13

    Gestalt der leuchtenden Gestirne ausübte, läßt noch das Verdikt in Jer 19,13 oder Zeph 1,5 ahnen, das die Praxis angreift, auf den Flachdächern dem „Heer desHimmels“ zu räuchern und ihm göttliche Verehrung zu erweisen.

    Weiter Verbreitung bis nach Südpalästina erfreute sich der Kult des Mond-gottes Sin von Harran.68 Der „Herr von Harran“ galt den assyrischen Königen alshöchster Gott des Westens. Seine Verehrung wurde von ihnen auch dadurchkräftig gefördert, dass sie ihre Westexpansion seit Asarhaddon unter sein Protekto-rat stellten. Der rasche Zusammenbruch des assyrischen Reiches führte zur Zer-

    störung des Heiligtums in Harran durch die Babylonier und Meder. GrößteBedeutung erhielten Sin und sein Heiligtum Echulul in Harran unter Nabonid,dem letzten König der Neubabylonier. Er stammte aus einem aramäischen Ge-schlecht und forcierte in der Mitte des 6. Jh. die Verehrung Sins von Harran alshöchsten Gott, als „König der Götter des Himmels und der Erde“.69

    Den hohen Rang des Mondgottes seit neuassyrischer Zeit auch im Westendokumentiert ein rundum bebildertes konisches Stempelsiegel von Tell Keisan(nordöstlich von Haifa), das um 700 v. Chr. datiert wird (Abb. 13). Es stellt gerade-zu ein Götterkompendium der Zeit dar.

    Auf der linken Seite des Mantels zeigt es mit Griffel und Spaten die GöttersymboleNabus und Marduks auf dem Rücken eines muschchuschschu- Drachens, auf der rechten Seite jedoch die Sichelmond-Standarte, das Götteremblem des Sin vonHarran, flankiert von zwei Zweigen. Auf der Basis des Siegels steht ein Mann mit

    dem Gestus der Verehrung vor den Symbolen Nabus und Marduks. Darüber befinden sich Mond (Sin), drei Kreise (für das Siebengestirn?) und ein vielstrahliger Stern (für Ischtar?). Zweig und Räucherständer rahmen die Szene.

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    27Wandlungen Gottes im antiken Israel

    70 S. die Belege im Register bei N.  AVIGAD / B. SASS, WSS, 485, 516.71 O. K EEL, Jahwe-Visionen und Siegelkunst (SBS 84/85), Stuttgart 1977, 274–320.72 Zur Deutung und Auswertung s. die Hinweise von K EEL/UEHLINGER in GGG, S. 340, 350–355.

     Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 

    Es verwundert nicht, daß nun auch Jahwe lunare Züge erhält. Greifbar werdensie in der Vorstellung von Jahwe als „Leuchte“, der „meine Finsternis erhellt“(Ps 18,29; vgl. Hi 29,2f.). Sie hat auch in der Namengebung Spuren hinterlassen,z.B. Nerijah („Jahwe ist meine Leuchte“: Jer 36,14.32; 43,6 u.ö.) und Urijah („Licht

     Jahwes“ oder „Jahwe ist [mein] Licht“: Jer 26,20–23). Derartige Namen begegnenauf Siegeln und Bullen vornehmlich des 7./6. Jh. v. Chr.70 Der Visionär Sacharjabeschreibt in Sach 4 sogar Jahwes Gegenwart im Heiligtum als Leuchter, der dieGestalt des Kultemblems von Harran hat.71

    Von den zahlreichen Siegeln in Palästina mit der Sichelmondstandarte (Abb.14), mit der Mondsichel (Abb. 15) und mit dem anthropomorph vorgestelltenMondgott (Abb. 16) sind diejenigen in diesem Zusammenhang am aufschluss-reichsten, die ihren Besitzer durch seinen Namen als Jahweverehrer ausweisen.72

    Abb. 14 zeigt einen Siegelabdruck auf einer Keilschrifttafel aus Geser, die denVerkauf eines Grundstücks im Jahr 649 v. Chr. beurkundet. Als Verkäufer undEigner des Siegels wird in dem Vertrag ein Netanjahu genannt. Hat er Jahwe inlunarer Gestalt verehrt? Oder war Jahwe zwar sein Schutzgott, während ihm für seine Geschäfte Sin besonders geeignet erschien, der in jener Zeit vor allem beiVerträgen gern bemüht wurde? Wir wissen es nicht.

    Auf Abb. 15 ist eine bärtige Gestalt in einem langen Gewand zu sehen. Sie sitztauf einem Thron und hat die Hand segnend erhoben. Das vor ihr stehende Le-

    benszeichen mit der Mondsichel darüber gibt der Gottheit eindeutig lunare Züge.Die Rückseite des beidseitig gravierten Siegels nennt als Eigner einen Aschjahu.Die männliche Gestalt auf dem aus Jerusalem stammenden Siegel Abb. 16 wird

    gleichfalls thronend vorgestellt. Sie befindet sich zwischen zwei Palmettbäumen,an der Stelle also, die auf Abb. 13 (rechts) das Mondemblem des Sin von Harraneinnimmt. Die untere Hälfte des Siegels ist als Boot stilisiert, dessen Bug und Heck nach phönizischer Art in Vogelköpfe auslaufen. Das Boot stellt die liegendeMondsichel dar, die in mesopotamischen Texten „Lastschiff des Himmels“ ge-

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    28 Matthias Köckert

    73 G. DALMANN, Ein neu gefundenes Jahvebild, PJ 2, 1906, 44–50.74 THEUER , Mondgott (s. Anm. 68), listet 12 Belege von der Jesreel-Ebene bis ins judäische Bergland

    und bis nach Moab auf.75 S. MITTMANN, Das Symbol der Hand in der altorientalischen Ikonographie, in: La main de Dieu,

    Tübingen 1997, 19– 47, bes. 44.76  JEREMIAS/(HARTENSTEIN), Aschera (s. Anm. 21), 116, und – ihnen folgend – B.  JANOWSKI, der mit

    dieser Inschrift die „Vorstellung einer Beziehung zwischen JHWH und den Toten“ schon im 8. Jh.begründen will (Die Toten loben JHWH nicht. Psalm 88 und das alttestamentliche Todesver-ständnis, in: DERS., Der Gott des Lebens. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 3,Neukirchen-Vluyn 2003, 32).

    77 So schon O. K EEL, in: DERS. (Hg.), Monotheismus im Alten Israel und seiner Umwelt (BB 14),Fribourg 1980, 172; S. SCHROER , Zur Deutung der Hand unter der Grabinschrift von Chirbet elQom, UF 15, 1983, 191–199; MÜLLER , Kolloquialsprache (s. Anm. 16), 41f.; H. BONNET, Art.Amulett, RÄRG 29b; HADLEY, Cult (s. Anm. 16), 103f.

    nannt wird. Auf der Rückseite des Siegels findet sich der Name des Eigners „Eli-schamac, Sohn des Gedaljahu“. Schon GUSTAF DALMAN hatte deshalb in der Gottheit im Boot Jahwe sehen wollen.73 Die auch außerhalb Judas im 7./6. Jh.belegten Analogien74 zeigen, dass man in verschiedenen Regionen bis nach Trans-

     jordanien seinen lokalen höchsten Gott unter dem Einfluss des Mondgottes vonHarran in lunarer Gestalt verehrte. Insofern bezeugen die Siegel dieser Gruppezwar kein Jahwebild, wohl aber doch eine Lunarisierung Jahwes in der spätenKönigszeit.

    5.5

    Schließlich rückt Jahwe auch in die Bereiche der Familienreligion und persönlichenFrömmigkeit ein. Erleichtert wurde dies nicht zuletzt dadurch, dass Jahwe schonin der Königszeit zugleich der Schutzgott der David-Dynastie gewesen ist. Dassderlei nicht nur auf die königliche Familie beschränkt blieb, belegen zahlreichePersonennamen und die Bittgebete des Einzelnen, die sich an Jahwe, „meinenGott“, wenden. Es liegt in der Konsequenz dieser Integration, wenn Jahwe amEnde auch vor Grab und Tod  nicht halt macht. Strittig ist allerdings, wann Jahweauch in diese Bereiche vordringt.

    In diesem Zusammenhang verweist man gern auf jene schon erwähnte Grab-inschrift aus der Anlage von Chirbet el-Qom und deutet die unter der Inschrifteingetiefte, nach unten gerichtete rechte Hand als die rettende Hand Jahwes75,deren Obhut sich der Verstorbene „auch nach (!) seinem Tod empfiehlt“.76 Indesweist nichts in der Inschrift darauf hin, dass der Grabherr aus der in seinem Lebenerfahrenen Rettung derartige Folgerungen für sich als Toten gezogen hätte. DasSymbol der Hand ist viel zu vieldeutig, um in dieser Frage Klarheit zu schaffen,zumal die nach unten gerichtete Hand durchaus in apotropäischer Funktionbezeugt ist.77 Sie richtet sich im Kontext des Grabes gegen alles, was die Ruhe desToten stören könnte. Die apotropäische Funktion der Hand wie die Deutung der Inschrift allein auf das gelebte Leben des Toten ordnen sich bestens in den reli-gionsgeschichtlichen Kontext der Königszeit ein. Jahwe erscheint hier als der 

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    29Wandlungen Gottes im antiken Israel

    78 Die Inschrift C im Vorraum jener schon erwähnten Grabhöhle am Osthang der Chirbet Bet Layy ausder Wende zum 7. Jh. kann weder als Beleg für Jahwe in der Funktion eines Schutzgottes desEinzelnen noch als Zeugnis für die Erwartung einer Gottesbeziehung im Grabe gelten. Die Bitte„Errette (?) Jahwe!“ bezieht sich nicht auf die Toten, sondern stammt wahrscheinlich von judäischenFlüchtlingen, die 701 v. Chr. vor den Assyrern in diesem Grab Zuflucht suchten (HAE I, 243).Darauf weisen nicht nur die meisten anderen Inschriften dieser Grabanlage hin, sondern auch dieZeichnungen, unter anderem ein assyrisches Feldlager (vgl. J. NAVEH, Old Hebrew Inscription in aBurial Cave, IEJ 13, 1963, 74–92, mit den Korrekturen von P. BAR -ADON, Early Hebrew Inscriptionsin a Judean Desert Cave, IEJ 25, 1975, 226–232, P. SÄRKIÖ, Hilferuf zu Jahwe aus dem Versteck.Eine neue Deutung der Inschrift ysr mhr  aus Hirbet Bet Ley, ZDPV 113, 1997, 39– 60, bes. 55–57, undZEVIT, Religions [s. Anm. 7], 405–438 mit guten Fotos).

    79 Über die Fundlage und zur Diskussion s. K EEL/UEHLINGER , GGG, 417–122; R ENZ, HAE I 447–456;A. YARDENI, Remarks on the Priestly Blessing on Two Ancient Amulets from Jerusalm, VT 41, 1991,176–186; G.  BARKAY, The Priestly Benediction on the Silver Plaques from Ketef Hinnom in Jerusalem, TA 19, 1992, 139–192.

     Abb. 17 

    Schutzgott des Verstorbenen. Eine weitergehende Deutung auf eine den Todüberdauernde Gottesbeziehung würde den Beleg in der Königszeit völlig iso-lieren.78

    Anders verhält es sich mit den beiden berühmten Silberamuletten (Abb. 17),die man im Grab einer begüterten Familie aus dem 6. Jh. in Jerusalem am Ketef  Hinnom  gefunden hat.79  Wie Gebrauchsspuren zeigen, trugen die Toten jene

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    30 Matthias Köckert

    80 Nach mündlicher Auskunft von Frau Kollegin A. Berlejung (Leipzig).81 R ENZ, HAE I, 449f.82 K EEL  rechnet mit „einer Kette relativ rasch aufeinander folgender, sukzessiver Revolutionen in

    Richtung Monotheismus“ als Modell (Monotheismus, 21). Mit dem Stichwort „revolutionär“unterscheidet ASSMANNden ‚Monotheismus‘ Echnatons von dem evolutionären der ramessidischenLehre vom All-Einen, das die Vielheit in sich aufnimmt (Monotheismus [s. Anm. 36], 45).

    Silberröllchen um ihren Hals, als sie noch lebten. Sie wurden also nicht speziell für Tote gefertigt. Die auf ihnen befindlichen Inschriften gehen weit über den Kontextdes Grabes hinaus, entwickeln jedoch in ihm noch einmal eine besondere Leucht-kraft. Auf ihnen steht unter anderem ein Teil des aaronidischen Segens aus Num6, mit dem auch heute noch jeder Gottesdienst endet.

    Es ist außerordentlich bedeutsam, dass bei den zahlreichen Grabbeigaben keineder sonst üblichen Figurinen von Göttinnen oder Reitern usw. des 8./7. Jh.sgefunden wurden.80 Offenbar soll hier allein Jahwe in der Nacht des Todes und der 

    Dunkelheit des Grabes Licht bringen, indem er sein Antlitz über den Totenleuchten lässt. So sind die Silberamulette mit dem Priestersegen aus Num 6 einwichtiges Zeugnis nicht nur für die Ausweitung des Wirkungsbereiches Jahwes auf die Welt der Toten, sondern vor allem auch für eine exklusive Jahwe-Monolatrie.

    Leider ist eine einigermaßen verlässliche Datierung dieser bedeutsamen Stückenicht möglich. Die Amulette befanden sich nicht auf einer der Grabbänke, son-dern zusammen mit zahlreichen anderen Beigaben und den Gebeinen von 95Personen in einem darunter liegenden Repositorium. Die Grabanlage wurde vom6. Jh. v. bis ins 1. Jh. n. Chr. benutzt. Die Beigaben stammen aus neubabylo-nischer, persischer und hellenistischer Zeit. Paläographische Gründe zwingen zueiner sehr jungen Datierung: „Mehrere Buchstabentypen sind nur nachexilischdenkbar …, und zwar erst ab dem 2. Jhdt. …“81

    Wie fern die Sphäre des Todes dem Gott des Lebens noch in der ausgehendenKönigszeit lag, kann man aus dem Dtn ersehen, das diesen gesamten Bereichausgrenzt, indem es ihn tabuisiert und dämonisiert (Dtn 14,1–2; 18,11–12; 26,14).Mag Ps 73 schon in vormakkabäischer Zeit die ihm vorgegebenen Aussagen vonPs 16 auf eine den Tod überdauernde Gemeinschaft mit Jahwe hin ausgelegthaben, so dürfte die Welt der Toten erst durch die Märtyrer der Makkabäerzeitausdrücklich auf Jahwe in einem Sinne bezogen worden sein, der allgemeineHerrschaftsaussagen wie Am 9,2–4 und Ps 139 übersteigt. Aber auch Jes 26,19 undDan 12,1–3 erwarten Gottes Handeln nur an den Gerechten und Märtyrern.

    5.6

    Die voranstehende Skizze zeigt, wie Integration zur Reduktion numinoser Mächteführt. Doch ist es auf dem Wege der Integration des Göttlichen auf eine  Gestaltnirgendwo zur exklusiven Verehrung eines Gottes als einzigen gekommen. Derleigeschieht offenbar nicht durch Evolution, sondern allein durch Revolution.82 Der alles entscheidende Umbruch ist meines Erachtens in Juda in der Zeit zwischen

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    31Wandlungen Gottes im antiken Israel

    83 Das Zahlwort „eins“ hat hier den Klang, mit dem der Liebhaber in Hld 6,9 seine Geliebte die„einzige“ nennt. – Wie der Wechsel von der singularischen Anrede in V. 4a zum bekennenden„Wir“ und die singularische Fortsetzung in V. 5 anzeigen, liegt in V. 4b eine ältere Bekenntnisformelvor (T. VEIJOLA, Das Bekenntnis Israels [1992], in: DERS., Moses Erben. Studien zum Dekalog, zumDeuteronomismus und zum Schriftgelehrtentum [BWANT 149], Stuttgart 2000, 76–93), die eineursprüngliche und selbständige Einheit darstellt und von V. 6–9 sogar zitiert wird. Zu den ver-schiedenen Möglichkeiten der Übersetzung und zu der hier gewählten vgl. C.  LEVIN, Die Verhei-ßung des neuen Bundes in ihrem theologiegeschichtlichen Zusammenhang ausgelegt (FRLANT137), Göttingen 1985, 98f.; VEIJOLA, 82–87; J. PAKKALA, Intolerant Monolatry in the Deuteronomis-tic History (PFES 76), Göttingen 1999, 73–84. Gegen eine Deutung von Dtn 6,4 im Sinne der Abwehr eines Polyjahwismus (Aufspaltung Jahwes in die Vielheit seiner Erscheinungsformen an denverschiedenen Kultorten – so seit W.F. BADE, Der Monojahwismus des Deuteronomiums, ZAW 30,1910, 81–90, vielfach vertreten) sprechen, (1) dass weder in Dtn 12 noch in II Reg 22f. die Kultzen-tralisation damit begründet wird, (2) dass es im AT für das immer wieder behauptete polyjahwisti-sche Verständnis keinen sicheren Beleg gibt und (3) dass die Wirkungsgeschichte von Dtn 6,4 inSach 14,9 und im älteren Judentum jener Deutung nicht folgt. „Erst in der späteren, amoräischenPeriode beginnt … die Spekulation über die ‚Einheit‘ Gottes, wobei Dtn. vi 4 im Lichte von Koh.iv 8 gelesen wird …“ (VEIJOLA, 86). Zuletzt hat AURELIUS eine neue Variante der polyjahwistischenDeutung in die Diskussion gebracht: Dtn 6,4 identifiziere nach dem Untergang 722 v. Chr. denStaatsgott des Nordreichs mit dem Judas als ein und denselben (Ursprung [s. Anm. 5], 6f.), wasfreilich mit der Voraussetzung steht und fällt, dass Jahwe zuvor in Nord- und Südreich tatsächlichals gänzlich unterschiedene Größen verstanden worden sind, wofür nichts spricht.

    84  J.V. OORSCHOT, „Höre Israel … !“ (Dtn 6,4f.) Der eine und einzige Gott Israels im Widerstreit, in:M. K REBERNIK /  J.V. OORSCHOT (Hg.), Polytheismus und Monotheismus in den Religionen desVorderen Orients (AOAT 298), Münster 2002, 113–136, bes. 127.

    85 O. LORETZ, Die Einzigkeit Jahwes, in: M. DIETRICH / O. LORETZ (Hg.), Vom Alten Orient zumAlten Testament. FS W.v. Soden (AOAT 240), Münster 1995, 215–304: 262.

    Manasse und Josia geschehen. Es war die Zeit der Siege der assyrischen Könige, dieihrem Gott Assur die Welt zu Füßen legten. Mit der alles niederwalzenden assyri-schen Militärmacht war ein erheblicher Druck auf die unterworfenen Vasallenvöl-ker verbunden. In dieser Situation schrieben die deuteronomischen Väter ihr Gesetzbuch. Der Umbruch ist an dem programmatischen Text Dtn 6,4b zuerkennen:

     Jahwe ist unser Gott,

     Jahwe ist einer/einzig!83

    Mit dem Sche ma Jisrael   als Präambel haben die deuteronomischen Väter ihreRechtssammlung eingeleitet. Beide Sätze bilden einen Parallelismus und legen sichgegenseitig aus, also:

     Jahwe (allein) ist unser (einziger) Gott!

    Anders als in dem schon zitierten Selbstpreis Baals wird die Einzigkeit Jahwes inDtn 6,4 weder funktional noch geographisch eingegrenzt, sondern mit der Bin-dung an diese Gruppe ausgelegt, die V. 4a mit Israel identifiziert.84 Das ist im AltenOrient völlig singulär.85

    Die 1. Person Plural, das „Wir“, signalisiert ein Bekenntnis. Es geht also nichtum eine monotheistische Theorie, sondern um das Bekenntnis einer Gruppe(„unser Gott“) zu Jahwe. Dieses Bekenntnis formuliert die Zugehörigkeit zu einer 

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    32 Matthias Köckert

    86 S. jetzt die vorzügliche Kommentierung von T.  VEIJOLA, Das 5. Buch Mose. DeuteronomiumKapitel 1,1–16,17 (ATD 8,1), Göttingen 2004.

    87 So VEIJOLA, Bekenntnis (s. Anm. 83), 87–91.88 S. die Belege im Text der Stelen aus Harran: I 28; II 20; III 29 u.ö., jetzt leicht zugänglich bei

    SCHAUDING, Inschriften (s. Anm. 69): Übersetzung 3.1, S. 496ff.89 Elugalmalgasisa-Zylinder II 3–12 (SCHAUDING, Inschriften [s. Anm. 69], 352, s. auch die Texte auf 

    Zylinder 2.14 2 II 16–21, S. 463, u.ö.). Vgl. Texte und Interpretation bei M.  ALBANI, Der eine Gottund die himmlischen Heerscharen (ABG 1), Leipzig 2000, 116–122.

    einzigen Gottheit allein, eben zu Jahwe. Das ist Monolatrie, aber erstmals einebetont exklusive   Jahwe-Monolatrie! Der programmatische Charakter wird nochdeutlicher, wenn man die Verse 8–9 einbezieht:

    Du sollst sie [diese Worte] zum Zeichen auf deine Hand binden,und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein,und sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore (der Ortschaften?)!86

    Vielleicht hat man jene vier hebräischen Wörter „ Jahwe Elohejnu / Jahwe   Ächad “

    schon damals auf Stirnbändern getragen, so dass sie wie ein für alle sichtbaresBekenntniszeichen wirkten.87 Das Bekenntnis versteht sich offenbar nicht für alle

     Judäer und schon gar nicht von selbst! Später wird das Erste Gebot des Dekalogsderlei von allen fordern, die „Israel“ sein wollen.

    5.7

    Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Bekenntnis der Einzigkeit Gottes überhaupt . Texte im zweiten Teil des Jesajabuches formulieren erstmals dieAusschließlichkeit auch begrifflich:

    Vor mir ist kein Gott gewesen und nach mir wird keiner sein …

    Ich bin Jahwe – außer mir ist kein Retter (Jes 43,10–11);Ich bin der Erste und ich bin der Letzte,und außer mir ist kein Gott (Jes 44,6).

    Den Weg in diese Richtung hatten einerseits der Aufstieg Marduks zum höchstenGott und Schicksalslenker in Babylon unter den Vorgängern Nabonids, anderseitsdie immer stärkere Förderung des Mondgottes zu Harran und dessen Heiligtumdurch den König gebahnt. Nabonids religionspolitische Maßnahmen erschöpftensich nicht in der Restaurierung des Sin-Tempels in Harran, sondern zielten auf dieErhebung des Mondgottes zum universalen höchsten Gott. Dazu übertrug er diebislang allein Marduk vorbehaltenen Prädikate und Titel auf Sin: Er, nicht Mar-duk, heißt in den späten Inschriften „Enlil der Götter, König der Könige, Herr der Herren“ oder „König der Götter“.88 Nabonid ging jedoch noch weiter, indem er 

    Esangila und Ezida, die Hauptheiligtümer Marduks und Nabus, dem Mondgottvon Harran widmete.89

    Nabonid bleibt freilich mit alledem durchaus noch im Rahmen eines reichgegliederten Pantheon. Deuterojesaja dagegen bestreitet allen Mächten außer 

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    33Wandlungen Gottes im antiken Israel

    90 Zu Jes 45 vgl. R.G. K RATZ, Kyros im Deuterojesaja-Buch. Redaktionsgeschichtliche Untersuchungenzu Entstehung und Theologie von Jes 40–55 (FAT 1), Tübingen 1991, 19–35, 92–112.

    91 Vgl. H. NIEHR , Religionen in Israels Umwelt (NEB Erg. 5), Würzburg 1998, 118–126, zu Götter-gruppen, Dyaden, Triaden usw. V. HAAS, Geschichte der hethitischen Religion (HdO I/15), Leiden1994, 468–488.

    92 W. HELCK , Betrachtungen zur großen Göttin und den ihr verbundenen Gottheiten, München 1971.93 S. dazu M. HÖRIG, Dea Syria – Atargatis, in: ANRW II/17,3, Berlin 1983, 1536–1581.

     Jahwe jede göttliche Wirkmacht und darum auch jede Wirklichkeit. Ein Ergänzer in Jes 45,3 erwartet sogar, dass


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