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FACHWISSEN SCHADENSANALYSE VON ELASTOMERBAUTEILEN · The phenomena of rupture and flow in solids...

Date post: 19-Oct-2020
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O-Ring Prüflabor Richter GmbH Kleinbottwarer Str. 1 71723 Großbottwar Telefon 07148 / 16602-0 Fax 07148 / 16602-299 [email protected] www.o-ring-prueflabor.de Geschäftsführer: Dipl.-Ing. Bernhard und Timo Richter Ust-ID-Nr. DE 277600966 Steuer-Nr. 71342/02407 FA LB Sitz der Gesellschaft: Großbottwar Amtsgericht Stuttgart HRB 737482 Volksbank Ludwigsburg IBAN DE96 6049 0150 0820 5810 03 SWIFT GENODES1LBG 1 FACHWISSEN SCHADENSANALYSE VON ELASTOMERBAUTEILEN Ein Angebot des PRÜFEN BERATEN ENTWICKELN Quelle: www.o-ring-prueflabor.de Stand der Information: 07/2020 Ermüdungsrisse Fehlstellen und Ozon die unterschätzten Auslöser Autoren: Dipl.-Ing. (FH) Ulrich Blobner, Dipl.-Ing. Bernhard Richter 1. Einordnung und Häufigkeit des Schadensbildes Von den vier Hauptschadensmechanismen werden Rissschäden durch Ermüdung meist der zweiten Hauptgruppe zugerechnet: 1. Medien 2. Temperatur / Alterung 3. Mechanisch / physikalische Einwirkungen 4. Herstellungsfehler Die zweite Hauptgruppe lässt sich in vier Untergruppen aufteilen: Überhitzung, ungeeigneter Werkstoff, Alterung und schlechte Rezeptur. Die Ermüdungsrisse gehören zur dritten Unter- gruppe, die auch die Alterung durch Ozon und Schwermetalle (Autoxidation) beinhaltet. Der Schadensmechanismus der Ermüdungsrisse kann aber auch zur dritten Hauptgruppe ge- rechnet werden.
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Page 1: FACHWISSEN SCHADENSANALYSE VON ELASTOMERBAUTEILEN · The phenomena of rupture and flow in solids Philo- sophical Transactions of the Royal Society of London. Series A, Containing

O-Ring Prüflabor Richter GmbH Kleinbottwarer Str. 1 71723 Großbottwar

Telefon 07148 / 16602-0 Fax 07148 / 16602-299 [email protected] www.o-ring-prueflabor.de

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FACHWISSEN SCHADENSANALYSE VON ELASTOMERBAUTEILEN

Ein Angebot des

PRÜFEN BERATEN ENTWICKELN

Quelle: www.o-ring-prueflabor.de

Stand der Information: 07/2020

Ermüdungsrisse – Fehlstellen und Ozon – die unterschätzten Auslöser

Autoren:

Dipl.-Ing. (FH) Ulrich Blobner, Dipl.-Ing. Bernhard Richter

1. Einordnung und Häufigkeit des Schadensbildes

Von den vier Hauptschadensmechanismen werden Rissschäden durch Ermüdung meist der

zweiten Hauptgruppe zugerechnet:

1. Medien

► 2. Temperatur / Alterung

► 3. Mechanisch / physikalische Einwirkungen

4. Herstellungsfehler

Die zweite Hauptgruppe lässt sich in vier Untergruppen aufteilen: Überhitzung, ungeeigneter

Werkstoff, Alterung und schlechte Rezeptur. Die Ermüdungsrisse gehören zur dritten Unter-

gruppe, die auch die Alterung durch Ozon und Schwermetalle (Autoxidation) beinhaltet.

Der Schadensmechanismus der Ermüdungsrisse kann aber auch zur dritten Hauptgruppe ge-

rechnet werden.

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So beschreibt KLEEMANN bereits 1982 diese zwei möglichen Hauptschadensmechanismen:

„Man kann sicher annehmen, daß die Ausbildung von Ermüdungsrissen nicht nur einen phy-

sikalischen Prozeß darstellt, sondern daß gleichzeitig eine oxydativ chemische Veränderung

einhergeht. Diesen Schluß lassen die höhere Sauerstoffabsorption und der schnellere Ver-

brauch an Alterungsschutzmitteln zu.“1

Schadensfälle auf Grund von Ermüdungsrissen haben eine besondere Bedeutung bei größe-

ren technischen Gummibauteilen, z.B. Reifen, Gummiwalzen oder Förderbändern. Bei Dich-

tungen kommen sie seltener vor und sind daher nicht ganz so wichtig. Ermüdungsrisse findet

man an zyklisch beanspruchten Gummiformteilen, wie z.B. Membranen oder Faltenbälgen,

oder dieser Schadensmechanismus wird bei Dichtungen unter anderen Bezeichnungen er-

fasst. So sind beispielsweise die Spiralrisse an O-Ringen eine Sonderform von Ermüdungsris-

sen.

Mitunter werden Ermüdungsrisse (engl. fatigue cracks) auch als Biegerisse (engl. flexcracking)

bezeichnet. Wir bevorzugen den Begriff „(dynamische) Ermüdungsrisse“, da er nach unserem

Verständnis umfassender als der Begriff „Biegerisse“ ist und auch Materialermüdungsrisse

erfasst, die nicht nur durch Biegung entstanden sind.2 Das Phänomen reiner „Biegerisse“ ist

somit im Begriff „Ermüdungsrisse“ beinhaltet.

1 KLEEMANN, Werner: Mischungen für die Elastverarbeitung, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1982, S. 247 2 Vgl. CARPENTER, Arthur, W.: Physical Testing and Specifications in: DAVIS, Carroll, C. und BLAKE, John T. (Hrsg.): The Chemistry and Technology of Rubber, Reinhold Publishing Corporation, New York, 1937, S. 833

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2. Fachliches Hintergrundwissen zum Schadensbild

In Hydraulikanwendungen werden Dichtungsschäden bekanntermaßen schon seit vielen Jah-

ren mit einer großen wissenschaftlichen Tiefe analysiert. Ein mindestens ebenso breit und

zeitlich noch länger erforschtes Gebiet ist das der Ermüdungsrisse. Treibende Kraft war hier

zweifellos die Reifenindustrie, vermutlich weniger aus dem reinen Interesse an einer Scha-

densanalyse heraus, sondern eher, um langlebigere und qualitativ hochwertigere Produkte

herstellen zu können. Nichtsdestotrotz sind diese Erkenntnisse eine unschätzbare Grundlage

für die Schadensanalyse auch von Ermüdungsrissen an Dichtungen und Elastomerbauteilen.

Die Alterung von Elastomeren (Abb. 1) ist ein „Sammelbegriff für Eigenschaftsänderungen,

die an Werkstoffen ohne Einwirkung von Chemikalien im Verlauf längerer Zeiträume eintreten

und zur teilweisen oder völligen Zerstörung führen.“3

Hauptursachen für Elastomeralterung Chem.-physikalische

Auswirkungen Auftretende

Schadensbilder Dynam. Verfor-mung

Erhöhte Tempe-

ratur

Sauer-stoff

Ozon und stat. Ver-formung

Licht

Nachvernetzung, Kettenabbau

Verhärtung oder Er-weichung, bleibende

Verformung

Autoxidation Verhärtung oder Er-

weichung, Risse

Kettenabbau (Zerstörung von Dop-

pelbindungen) Gerichtete Risse

Oberflächenoxidation Orangenhaut

(„crazing“), Elefanten-haut, Abkreiden

Netzwerkveränderung Verhärtung oder Er-

weichung

Netzwerkzerstörung

Ermüdungsrisse

Abb. 1: Die Alterung von Elastomeren kann viele verschiedene Ursachen haben, die miteinander wech-

selwirken und sich mitunter verstärken können.4

Ermüdungsrisse sind Risse, die primär als Folge der Einwirkung einer zyklischen Verformung

(Alterung im Inneren des Materials) eintreten und der zusätzlichen Einwirkung von Sauerstoff,

Ozon und Licht (Alterung von außen, also von der Oberfläche nach innen). Die Erwärmung

des Bauteils durch erhöhte Umgebungstemperaturen und/oder durch innere Erwärmung mit-

tels der Verlustenergie der Wechselverformung können sich zusätzlich negativ auf den Scha-

densmechanismus auswirken, da Belastungsgrenzen bei Elastomeren mit zunehmenden

Temperaturen abnehmen. Die Erwärmung „kann im Übrigen zusammen mit hoher mechani-

3 SCHNETGER, Jochen: Lexikon der Kautschuktechnik, Hüthig Verlag, Heidelberg, ²1991, S. 40 4 Die Abbildung wurde nach folgender Vorlage erstellt und erweitert: LEIBBRANDT, Friedrich: Mischungs-bestandteile in Elastomeren (Kapitel 2) in: STREIT, Gerhard (Hrsg.): Elastomere Dichtungssysteme Werkstoffe – Anwendungen – Konstruktionen – Normen, expert verlag, 4. Auflage, 2011, Bild 2.14, S. 90

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scher Belastung und / oder hoher Dämpfung des Elastomers wegen der geringen Wärmeleit-

fähigkeit des Stoffes bis zu seiner völligen Zerstörung durch Verkohlen durch Überhitzung von

innen her führen.“5

Die Risse sind senkrecht zur größten Spannung, deswegen nahm KLEEMANN an, „daß im

Vulkanisat bei der Verstreckung in einer Richtung die Moleküle eine Ausrichtung erfahren und

damit in der Streckrichtung eine Festigkeitserhöhung erfolgt, während in der Querrichtung

dazu dann eine mindere Festigkeit vorhanden ist.“6

Die Thematik der Ermüdungsrisse ist ein äußerst komplexes Thema, an welchem bereits seit

Jahrzehnten intensiv geforscht wird. Es gibt drei große Bereiche, die sich diesem Thema wid-

men. Der älteste Bereich ist das optische Erkennen und analytische Eingrenzen von Ermü-

dungsrissen, sozusagen der Ausgangspunkt jeder Schadensanalyse. Um die Schadensme-

chanismen besser zu verstehen und positiv zu beeinflussen, entstand der zweite Bereich der

Versuche zur Ermüdungslebensdauer und zur Rissentstehung/-wachstum, um die gefunde-

nen Schadensbilder nachzustellen und besser zu verstehen. Und schließlich gibt es noch den

dritten, stark theoretischen Bereich, der sich mit der FEM Simulation von Ermüdung und Riss-

wachstum befasst. Auf Grund der vielen Randbedingungen und des komplexen Elastomerver-

haltens ein sehr weites Feld.

Dieser Artikel verfolgt einen praxisorientierten Ansatz und befasst sich v.a. mit dem ersten

Bereich und zieht Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem zweiten Bereich zu Rate, wo diese

zu einer praktischen Problemlösung notwendig sind. Dieses Kapitel zum „Fachlichen Hinter-

grundwissen“ stellt in erster Linie eine Literaturübersicht dar mit dem Versuch, Wissen aus

oftmals sehr theoretischer Forschung für den praktischen Anwender verstehbar und nutzbar

zu machen. Um nicht durch Umschreibungen die gewisse Schärfe und Präzision wissenschaft-

licher Publikationen zu verwischen, haben wir uns entschieden relativ viel aus den Original-

quellen zu zitieren.

2.1 Wichtige Ansätze zur Untersuchung von Materialermüdung: Wöhlerkurve vs. bruch-

mechanisches Konzept7

Aus dem Metallbereich sind Dauerschwing- Dauerfestigkeitsversuche bekannt. Seit Ende der

1850er Jahre befasste sich August Wöhler mit (Dauer)festigkeitsversuchen an Eisen und

Stahl8, v.a. ausgelöst durch Schadensfälle an der noch jungen Eisenbahn. Durch diese Scha-

densfälle reifte die Einsicht, dass die Festigkeit eines Werkstoffes unter dynamischer Wech-

selbelastung nicht so hoch ist wie seine Festigkeit unter statischer Belastung. Beim Wöhler-

versuch wird eine genormte Probe bei einer konstanten Mittelspannung σm und Spannungs-

amplitude σa so vielen Schwingspielen unterworfen, bis die Probe bricht. Innerhalb einer Ver-

suchsreihe bleibt die Mittelspannung unverändert, während die Spannungsamplitude immer

5 Ebd., S. 89 6 KLEEMANN, Werner: Mischungen für die Elastverarbeitung, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1982, S. 247 7 Umfangreiche Literaturübersicht zu verschiedenen Forschungen über Ermüdungsschadensanalyse an Gummi: MARS, W.V. und FATEMI, A.: A literature survey on fatigue analysis approaches for rubber in: International Journal of Fatigue 24 (2002) S. 949–961 (Artikel online verfügbar, zuletzt abgerufen am 23.08.2020: http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.466.9090&rep=rep1&type=pdf ) 8 WÖHLER, August: Ueber Festigkeits-Versuche mit Eisen und Stahl in: Zeitschrift für Bauwesen, Ausgabe XX., 1870, S. 73-106 (Artikel online verfügbar, zuletzt abgerufen am 01.07.2020: https://digital.zlb.de/viewer/image/15239363_1870/53/)

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weiter verkleinert wird, bis kein Bruch mehr auftritt. Trägt man nun auf der y-Achse die einge-

stellte Spannungsamplitude und auf der x-Achse die mit dieser Amplitude erreichte Bruchlast-

spielzahl auf, erhält man eine Wöhlerkurve. Mit zunehmenden Schwingspielen mündet die

Kurve in die Horizontale, unter welcher sich der Bereich der Dauerfestigkeit befindet, allerdings

gilt dies nur für die eingestellten Parameter. Wegen der vielen Lastspiele bis zum Bruch ver-

wendet man eine logarithmische Darstellung. Spätestens beim Erstellen der Kurve wird das

Problem einer großen Streuung sichtbar, die in der Regel nicht auf eine schlechte Versuchs-

durchführung, sondern auf das Problem von Fehlstellen (z.B. Lunker, Verunreinigungen o.ä.)

im Metall zurückzuführen ist. Jeder noch so gut produzierte Werkstoff enthält Fehlstellen, die

als Ausgangspunkte für einen Riss dienen und unter dynamischer Belastung zu einem ver-

frühten Ausfall führen können.

Hier setzt die Bruchmechanik an. In den 1930er und 40er kam es zu katastrophalen Scha-

densfällen an geschweißten Brücken und Schiffen. Alan Arnold GRIFFITH9 befasste sich be-

reits über ein Jahrzehnt früher mit dem Einfluss von Oberflächenverletzungen auf die Festig-

keit. „Er argumentierte, ein Riss wachse genau dann, wenn die bei einem Anwachsen der

Risslänge und damit der Rissfläche freigesetzte Energie größer ist als diejenige Energie, die

für die Erzeugung einer neuen Rissfläche oder Risslänge eingesetzt werden muss.“ 10 GRIF-

FITH arbeitet also mit Energien und verwendet hier den Begriff der Energiefreisetzungsrate

(Abk. T oder G11), die entscheidend für das Risswachstum wird.

Beim Auftreten von Ermüdungsrissen, ist auch eine Betrachtung der Weiterreißenergie wich-

tig. Sie „ist eine stoffspezifische Größe, die von Hysterese-Effekten bei der Rissfortpflanzung

bestimmt wird. Durch die Hysterese-Eigenschaften wird ein Teil der eingebrachten Energie

dissipiert und steht für das Risswachstum nicht mehr zur Verfügung.“12

Im Elastomerbereich wurden wegweisende bruchmechanische Forschungen von RIVLIN und

THOMAS13 an NR durchgeführt, welche anfangs der 1950er Jahre experimentell nachweisen

konnten, dass die Energiefreisetzungsrate (engl. „tearing energy“) unabhängig von der Belas-

tungsart (engl. „loading mode“) und der Probekörpergeometrie (engl. „specimen geometry“)

ist.14

Heute werden zur Lebensdauervorhersage eines Bauteils beide Konzepte verwendet, die aber

mitunter zu unterschiedlichen Ergebnissen und Aussagen führen, da sie auf verschiedenen

Annahmen und Ausgangspunkten basieren. „Beim bruchmechanischen Konzept wird von

Oberflächen-Mikrorissen oder inneren Fehlstellen ausgegangen, die sich durch Risswachstum

vergrößern und schließlich zum Versagen führen. Beim Wöhler-Konzept wird von einem mehr

9 GRIFFITH, Alan Arnold and TAYLOR, Geoffrey Ingram VI. The phenomena of rupture and flow in solids Philo-sophical Transactions of the Royal Society of London. Series A, Containing Papers of a Mathematical or Physical 221: 1920, S. 163-198 Artikel online verfügbar, abgerufen am 27.06.2020: https://royalsocietypublish-ing.org/doi/pdf/10.1098/rsta.1921.0006 10 GIESE, Ulrich: Aufklärung ermüdungs- und schädigungsrelevanter Mechanismen bei dynamisch belasteten technischen Gummiwerkstoffen, Schlussbericht zum AIF IGF-Vorhaben Nr. 15694 N, Hannover, 2011, S. 37 11 NB: Die Energiefreisetzungsrate G wird mitunter auch als Energieanlieferungsrate, spezifische Bruchenergie oder Rissausbreitungsenergie bezeichnet. Der Buchstabe G erinnert an den Begründer der Bruchmechanik, den Engländer Alan A. GRIFFITH. Weiterführende Informationen: https://wiki.polymerservice-merseburg.de/in-dex.php/Energiefreisetzungsrate (Webseite zuletzt am 01.07.2020 abgerufen) 12 RÖTHEMEYER, Fritz und SOMMER, Franz: Kautschuktechnologie, Hanser Verlag, München, 2001, S.507 13 RIVLIN, R.S. und THOMAS, A.G.: Rupture of rubber.I.Characteristic energy for tearing in: Journal of Polymer Science, Vol. 10, No. 3 (März 1953) S: 291-318 Abstract des Artikel, online verfügbar, abgerufen am 28.Juni 2020: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/pol.1953.120100303 14 Vgl. BUSFIELD, J.J.C. und NG W.H.: Using FEA Techniques to Predict Failure in Elastomers in: COVENEY, V.A. (Hrsg.): Elastomers and Components: Service Life Prediction; Progress and Challenges, Woodhead Publishing in Materials, S. 180

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oder weniger homogenen Werkstoff ausgegangen, der eine gewisse Ermüdung zeigt, die unter

unterschiedlichen Lasten nach unterschiedlichen Belastungszyklen zum Ausfall führt.“ 15

2.2 Äußere Einflussfaktoren auf Ermüdungsrisse (Art der zyklischen Belastung, Kontakt-

medien u.ä.) 16

Da in praktischen Schadensfällen Einflüsse auf die Schadensentstehung nicht immer eindeu-

tig auseinander zu halten und in ihrer jeweiligen Bedeutung zu erkennen sind, hilft der Blick in

genormte Prüfverfahren zur Materialermüdung. Dort können entweder Werkstoffe in Dauer-

schwingversuchen bis zum Ausfall oder einer Grenzschwingspielzahl getestet werden oder es

werden Rissentstehung und Risswachstumsraten unter zyklischer Belastung gemessen und

ausgewertet. In der Schadensanalyse werden alle drei Effekte, Durchriss (Komplettausfall),

Rissentstehung und Rissgröße untersucht und bewertet.

2.2.1 Dehnungsamplitude

Je größer die Amplitude gewählt wird, um so früher kommt es zu einem Materialbruch.

In der Prüftechnik arbeitet man mit folgender Formel17:

𝑁 = (𝜀𝑎

𝜀0

)𝑘

Legende: N = Anzahl der Lastzyklen bis zum Probenbruch

a= Dehnungsamplitude

0= Konstante k = Konstante

BAUMAN empfiehlt bei der Prüfung eines neuen Werkstoffes mit Hilfe von Tabellen oder Er-

fahrungswerten eine Amplitude zu wählen, die zu einem schnellen Bauteilausfall führt (< 1h).

In einem zweiten Schritt muss nur die Steigung k geschätzt werden. Mit Hilfe dieser Prüfung

kann nun eine erste Kurve gezeichnet werden, die nun mit weiteren Untersuchungen mit hö-

heren Schwingspielen „gefüllt“ werden kann.18

2.2.2 R-Verhältnis, Bedeutung der Unterspannung

Der Buchstabe R bezeichnet das Verhältnis von minimaler (min entspricht der Unterspannung)

zu maximaler (max entspricht der Oberspannung) Dehnung innerhalb eines Schwingungszyk-

lus.

15 GIESE, Ulrich: Aufklärung ermüdungs- und schädigungsrelevanter Mechanismen bei dynamisch belasteten technischen Gummiwerkstoffen, Schlussbericht zum AIF IGF-Vorhaben Nr. 15694 N, Hannover, 2011, S. 6 16 Einige Parameter sind entnommen aus: BAUMAN, Judson T.: Fatigue, Stress, and Strain of Rubber Components Guide for Design Engineers, Carl Hanser Verlag, München, 2008, S. 117ff. 17 Ebd., S. 118 18 Vgl. ebd., S. 118

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7

𝑅 = 𝜀𝑚𝑖𝑛

𝜀𝑚𝑎𝑥

Ist R > 0 heißt es, dass die Unterspannung nicht gänzlich auf 0 abfällt. Von Metallen ist der

eigentlich logisch nachvollziehbare Effekt bekannt, dass bei Anheben der Unterspannung (bei

gleichbleibender Amplitude, wobei sich dadurch auch die Oberspannung erhöht) die Lebens-

dauer einer Probe verkürzt wird. Elastomere zeigen hier aber ein anderes Verhalten.

Durchlaufen Elastomere bei dynamischen Werkstoffprüfungen im Minimum der Schwingungs-

kurve nicht den Wert von 0% Dehnung, also wenn immer noch eine positive Vordehnung vor-

handen ist, dann spricht man von nicht relaxierenden („norelaxing“19) Verformungen. Dadurch

kann bei Gummiwerkstoffen die Lebensdauer in Bezug auf Ermüdungsrisse verbessert wer-

den.

Viele praktische dynamische Elastomeranwendungen sind nicht relaxierend, da zu einer gro-

ßen statischen Vorkraft/Verformung, verhältnismäßig kleine Schwingungen dazu kommen

(z.B. Motorlager). Bei Elastomeren, die zur Dehnungskristallisation neigen, zeigen nicht re-

laxierende Anwendungen sehr gute Rissbeständigkeiten. ELLUL20 nimmt an, dass durch Deh-

nungskristallisation gerade an der Rissspitze ein großer Widerstand entsteht, der weiteres

Risswachstum verhindert bzw. wenigstens behindert.

Aber auch bei Werkstoffen, die nicht zur Dehnungskristallisation neigen (z.B. SBR), kommt es

in nicht relaxierenden Anwendungen zu einer gewissen Verbesserung der Ermüdungsrissbe-

ständigkeit.21 Am DIK wurden von ABRAHAM, ALSHUTH und JERRAMS Versuche zur Ermü-

dungsbeständigkeit von gefülltem und ungefülltem EPDM durchgeführt. EPDM wurde gewählt,

um mögliche Effekte durch Dehnungskristallisation auszuschließen, da EPDM unter Dehnung

zu keiner Kristallisation neigt. Obwohl die Unterspannung bei gleichbleibender Amplitude er-

höht wurde, konnte die Ermüdungsbeständigkeit um mehr als das 10-fache gesteigert werden,

allerdings nur bei gefülltem EPDM. Der ungefüllte EPDM zeigte diesen Effekt nicht. Da Deh-

nungskristallisation ausgeschlossen werden kann, gingen die Forscher von „von einer charak-

teristischen Eigenschaft des Systems Kautschuk – Füllstoff“ 22 aus, welche sich für diesen Ef-

fekt verantwortlich zeigt.

Diese Erkenntnisse können in der Praxis die Ermüdungsbeständigkeit von Bauteilen signifi-

kant verbessern helfen. „Allerdings setzt dies präzise Vorausberechnungen der Lebensdauer

– z.B. mit Hilfe der Finite-Element-Methode – unter Kenntnis von Kriterien und Kennwerten

der Ermüdung voraus.“ 23 Anhand der Ergebnisse der Untersuchungen von ABRAHAM und

Kollegen „sind sowohl Maximalspannungskriterien als auch Verformungskriterien als proble-

matisch einzuordnen. Dagegen haben sich Energiekriterien als überlegen herausgestellt, da

sie ein einheitliches Bild der Ermüdung in Abhängigkeit sowohl von der Unterspannung als

auch der Spannungsamplitude ergeben.“24

19 Vgl. ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 174 20 Vgl. ebd., S. 174 21 Vgl. ebd., S. 175 22 ABRAHAM, F. und ALSHUTH, T. und JERRAMS, S.: Ermüdungsbeständigkeit von Elastomeren in Abhängigkeit von der Spannungsamplitude und der Unterspannung, DIK Publikation 133, 2002 (?), S.9 (Online verfügbar, abgerufen am 26.06.2020: https://www.dikautschuk.de/fileadmin/files/leseproben/p_0135.pdf ) 23 Ebd., S. 9 24 Ebd., S. 10

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2.2.3 Kombinierte Spannungszustände

„Komplexe Verformungen, wie sie im Seitenwandgummi von Autoreifen vorhanden sind, er-

weisen sich besonders schädlich auf die Ausbildung von Ermüdungsrissen.“25 Diese Kombi-

nationen machen die Thematik sehr kompliziert. Sind erst einmal alle Spannungszustände,

welche auf das Bauteil wirken, erkannt, müssen sie noch in ihrem Verhältnis zueinander ab-

geschätzt bzw. mittels FEM berechnet werden. Am häufigsten kommt eine Scherbeanspru-

chung kombiniert mit einer Verpressung vor. „Die Verpressung von Gummibauteilen erhöht

die Ermüdungslebensdauer signifikant und muss bei der Prüfung [und bei der Bewertung von

Ermüdungsrissen] berücksichtigt werden.“26

2.2.4 Schwingungsform

Unbewusst denkt man meist bei Schwingungen an sinusförmige. Jedoch kommen in der Re-

alität auch andere Formen vor, wie Sägezahn- oder Rechteckwellen. Nach BAUMAN wurden

im Metallbereich Untersuchungen zum Einfluss unterschiedlicher Wellenformen auf die Dau-

erfestigkeit durchgeführt. Für Elastomere gibt es (Stand 2008) solche Untersuchungen nicht,

jedoch sollte Folgendes bedacht werden: „Angesichts der internen Wärmeentwicklung von

Elastomeren bei hohen Dehnungsgeschwindigkeiten kann es sein, dass bei gleichen Frequen-

zen rückwärts geneigte [also mit einem fast senkrechten Anstieg] Sägezahn- oder Rechteck-

wellen eine kürzere Ermüdungslebensdauer erzeugen können.“27

Auch ELLUL berichtet, dass dieser Bereich bei Elastomeren noch nicht erforscht ist und nimmt

Folgendes an: „Da sich wechselnde Wellenformen in Schwankungen der Dehnungsgeschwin-

digkeit niederschlagen, würden wir erwarten, dass [sich bei] Synthesekautschuken größere

Auswirkungen als [bei einem] NR zeigen, da ihre Festigkeit stark von der Viskoelastizität ab-

hängt.“28

Ein interessantes Praxisbeispiel für herausfordernde dynamische Belastung eines Elastomer-

bauteils stellt ALSHUTH vor. Er berichtet von Zahnriemen, welche in Dieselmotoren mehrere

Funktionen erfüllen: Antrieb der Nockenwelle, Wasserpumpe und Einspritzpumpe. „Die Ana-

lyse eines großen Automobilherstellers ergibt, dass die höchste Belastung auf einen Zahn in

Schub durch die Hübe der Einspritzpumpe erfolgt, die auf Basis der auftretenden Antriebs-

drehmomente zumindest in ihrem zeitlichen Verlauf abgeschätzt werden kann. Der Drehmo-

mentverlauf ist annähernd dreieckig mit Pulsen von etwa 1,8 ms. (…) Ein Charakteristikum

von Pulsen ist im Vergleich zum Sinus die relativ lange Phase niedriger Belastungen und der

Steilanstieg.“29

25 KLEEMANN, Werner: Mischungen für die Elastverarbeitung, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1982, S. 247 mit Verweis auf folgende Literaturstellen: CHROMOV, M.K. und LAZAREVA, K.N.: Kaučuk i Rezina, 1978, 11, 40 und MICHALAK, H.: GAK 26, 1973, 10, 844 26 BAUMAN, Judson T.: Fatigue, Stress, and Strain of Rubber Components Guide for Design Engineers, Carl Hanser Verlag, München, 2008, S. 120 27 Ebd., S. 121f. 28 ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 172 29 ALSHUTH, Thomas: Dynamische Eigenschaften von Kautschuk und Elastomeren – Ermüdungseigenschaften und Kriterien in: DIK aktuell Nr. 6, November 2000, S. 14 (Online verfügbar, zuletzt abgerufen am 30.06.2020: https://www.dikautschuk.de/fileadmin/files/leseproben/po_0181.pdf)

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2.2.5 Frequenz und Dehnungsrate30

Die Frequenz einer auf ein Elastomer wirkenden Wechselbelastung kann zu einer Bauteiler-

wärmung auf Grund von Hysterese und innerer Reibung führen. Je höher die Frequenz und/

oder die Dehnungsrate, umso höher die Erwärmung. Ein Bauteilausfall kann dann v.a. durch

Hitzealterung oder einen Gewaltbruch infolge einer aus der Viskoelastizität bedingten tempe-

raturabhängigen Abnahme der Zugfestigkeit und der Reißdehnung als Hauptursache und nicht

durch Ermüdungsrisse – welche begleitend mit auftreten können – ausgelöst werden. Dies

passiert in extremen Anwendungen und besonders bei großvolumigen Bauteilen, die einen

guten Wärmeabtransport verhindern, wie z.B. Vollgummireifen oder Gummikettenpolster für

Panzergleisketten.31 „Bei den bisherigen Ermüdungsversuchen [Stand 2008] war es nicht

möglich, den Effekt der Temperaturzunahme durch die Umgebung von dem durch die Hyste-

resis-Erwärmung hervorgerufenen zu unterscheiden. Um diesen Effekt bei Ermüdungsprüfun-

gen zu behandeln, betrachten Sie daher die Frequenz einfach als eine Möglichkeit, die Tem-

peratur zu erhöhen.“32 Um diesen Effekt möglichst gering zu halten, werden Ermüdungsversu-

che an Elastomerbauteilen bei Frequenzen von 1 Hz oder weniger durchgeführt, wodurch sich

aber die Prüfzeit extrem verlängert.33

Die Veränderung der Frequenz hat bei nicht kristallisierenden Elastomeren einen bedeutenden

Einfluss. Dies hat mit „dem zeitabhängigen kontinuierlichen Risswachstum, das dem dynami-

schen Risswachstum überlagert ist“34, zu tun. Dieses kontinuierliche Risswachstum tritt be-

sonders bei einer niedrigeren Dynamik (Frequenzen < 0,2 Hz) aufgrund viskoelastischer Ef-

fekte auf. Bei NR hat eine Frequenz im Bereich von 0,001 bis 50 Hz wenig Einflüsse auf Er-

müdungsrisse.35

2.2.6 Temperatureinfluss

Einen großen Einfluss auf die Entstehung von Ermüdungsrissen stellt die Temperatur dar. Aus

klassischen Lebensdauerabschätzungen ist bekannt, dass bereits eine Erhöhung der Umge-

bungstemperatur um 10 K die Lebensdauer des Elastomerbauteils halbieren kann. In der klas-

sischen Ermüdungsprüfung wird die tatsächliche Temperatur am Bauteil durch Sensoren er-

fasst. In der Schadensanalyse stellt sich das Problem, dass eine mögliche unzulässige Tem-

peraturerhöhung durch extreme Dynamik nur geschätzt werden kann. Extreme Temperaturer-

höhungen können – wie bereits oben erwähnt – durch den Begleitschaden einer Überhitzung

(Versprödung) erkannt werden.

30 BAUMAN, Judson T.: Fatigue, Stress, and Strain of Rubber Components Guide for Design Engineers, Carl Hanser Verlag, München, 2008, S. 122f. 31 Vgl. ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 172 32 BAUMAN, Judson T.: Fatigue, Stress, and Strain of Rubber Components Guide for Design Engineers, Carl Hanser Verlag, München, 2008, S. 123 33 Vgl. MILLER, Kurt: Fatigue and Failure Testing of Elastomers for Analysis, Internetinformation der Axel Pro-ducts, Inc., S. 3 (Webseite aufgerufen am 23.06.2020: http://www.axelproducts.com/downloads/FatigueAndFailureTestingOfElastomers.pdf ) 34 ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 172 darin werden Ergebnisse zitiert aus: LAKE, G.J., Prog. Rubber Technol., 45, 89 (1983) 35 Ebd., S. 172 darin werden Ergebnisse zitiert aus: LAKE, G.J., Prog. Rubber Technol., 45, 89 (1983) und LAKE, G.J. und THOMAS, A.G. in ROBERTS, A.D. (Ed.): Natural Rubber Science and Technology, Oxford University Press, Oxford, 1988, S. 731-772

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Die Auswirkungen von Temperaturänderungen sind bei nicht dehnungskristallisierenden

Elastomeren am größten, da diese ihre Festigkeit über die Viskoelastizität erhalten. LAKE und

LINDLEY verglichen das Verhalten von ungefülltem SBR mit ungefülltem NR über einen Tem-

peraturbereich von 0° bis 100°C. Beim nicht bzw. kaum dehnungskristallisierende SBR nahm

die Beständigkeit gegen Ermüdungsrisse ca. um den Faktor 10.000 ab, während der NR nur

eine Abnahme um den Faktor 4 aufwies.36

YOUNG untersuchte mit Ruß verstärkte Mischungen aus NR und synthetischen Kautschuken

und zeigte mit seinen Ergebnissen, dass in den meisten Fällen die Risswachstumsrate mit

steigender Temperatur zunimmt. Jedoch bei NR und chloriertem Butylkautschuk war die Riss-

wachstumsrate bei 0°C höher als bei 25°C.37

Für die Schadensanalyse von Ermüdungsrissen ist die praktische Erfahrung von KLEEMANN

mitunter hilfreich, dass „die Zahl der Risse (…) mit zunehmender Temperatur [steigt], wobei

die Tiefe geringer wird.“38

2.2.7 Einflüsse durch Kontaktmedien39

Kontaktmedien können mehrere, mitunter auch gegenläufige Effekte bewirken. Im Idealfall

sorgen sie für einen Wärmeabtransport, so dass die durch Schwingungen entstandene Erwär-

mung im Elastomerbauteil abgeführt wird. Zum anderen kann es aber auch zu Unverträglich-

keiten zwischen Elastomer und Schmierstoff kommen (z.B. Fett bei Achsmanschetten), die

Alterungseffekte, wie Ermüdungsrisse verstärken. Vertragen sich hingegen Elastomer und Me-

dium chemisch und umfasst das Medium die Gummidichtung möglichst vollständig, so kann

das Kontaktmedium den Werkstoff vor schädigendem Sauerstoffkontakt schützen und somit

die Lebensdauer verlängern.

In Tab. 1 wird in eindrücklicher Weise der schädigende Einfluss des Kontaktmediums Sauer-

stoff deutlich.

Prüftempe-ratur [°C]

Biegungen bis zum Bruch

In Sauerstoff (O2)

In Stickstoff (N2)

20 90.000 180.000

40 45.000 190.000

60 20.000 200.000

80 7.000 195.000

100 2.000 210.000

Tab. 1: Untersuchungen zu Ermüdungsrissen an

SBR-Reifenlaufflächenmischungen in unterschiedlichen

Gasen (Testfrequenz: 250/min ≈ 4,2 Hz)40

36 ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 172f. darin werden Ergebnisse zitiert aus: LAKE, G.J. und LINDLEY, P.B.: J. Appl. Polym. Sci., 8, 707 (1964) 37 Ebd., S. 173 darin werden Ergebnisse zitiert aus: YOUNG, D.G., Rubber Chem. Technol., 59, 809 (1986) 38 KLEEMANN, Werner: Mischungen für die Elastverarbeitung, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1982, S. 241 39 BAUMAN, Judson T.: Fatigue, Stress, and Strain of Rubber Components Guide for Design Engineers, Carl Hanser Verlag, München, 2008, S. 124f. 40 KLEEMANN, Werner: Mischungen für die Elastverarbeitung, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1982, S. 248

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In der Sauerstoffatmosphäre kann man sehr gut erkennen wie der Werkstoff SBR ab ca. 80°C

überproportional schneller ausfällt. Dies korreliert in etwa mit seiner Dauertemperaturbestän-

digkeit. In der Stickstoffatmosphäre ist mit Zunahme der Temperatur sogar eine größere Wi-

derstandsfähigkeit des Werkstoffes auszumachen. Bei 100°C zeigt sich sogar der höchste

Wert. Dies hat vermutlich mit der Zunahme der Kettenbeweglichkeit bei hohen Temperaturen

zu tun. Auf Grund der kurzen Prüfzeit (210.000 Zyklen bei 250/min entsprechen 14h) sind

außerdem kaum andere Alterungseffekte außer der Sauerstoffalterung, welche bei der zweiten

Versuchsreihe ausgeschlossen wurde, zu erwarten.

Untersuchungen von WINN und SHELTON haben gezeigt, dass bereits kleinste Mengen von

Sauerstoff eine schädigende Wirkung auf GR-S (=SBR) haben. Die Forscher „stellten fest,

dass bei der Biegeprüfung in reinem Stickstoff die Risswachstumsrate von GR-S-Mischungen

sich stark reduzierte und dass bereits 0,4 Prozent Sauerstoff eine merklich beschleunigende

Wirkung [auf das Risswachstum] hatten.“41

2.2.8 Einfluss der Unterbrechung zyklischer Belastung

In der Ermüdungsprüfung von Elastomeren kann es immer wieder zu kurzen Unterbrechungen

kommen. „Die unmittelbare Folge einer Pause in einem Prüf-Dehnungszyklus ist ein allmähli-

cher Spannungsabfall, wenn die Dehnung gehalten wird, und eine Zunahme der Spannung,

wenn die Maschine die Dehnung wieder aufnimmt.“42 Nach Erfahrungen von BAUMAN pendelt

sich nach der Wiederaufnahme der Prüfung die Kurve innerhalb weniger Minuten wieder auf

ihren ursprünglichen Weg ein, so dass kurze Unterbrechungen nach seiner Meinung vernach-

lässigt werden können. Dies ist jedoch kritisch zu hinterfragen, da HARBOUR et al.43 beobach-

teten, dass „das Einbringen von Erholungsphasen zwischen Belastungsblöcken konstanter

Amplitude (…) zu erheblich höheren Rissausbreitungsraten [führt] als bei dem gleichen Belas-

tungssignal ohne Erholungsphasen. Sie erklären das Phänomen ebenfalls durch eine zeitab-

hängige Erholung in der Mikrostruktur des Elastomers. Die stark beanspruchten Moleküle an

der Rissspitze werden durch molekulare Umlagerungsvorgänge während der kontinuierlich

wiederkehrenden Belastung entlastet. In den Erholungsphasen bewegen sich die Moleküle in

ihre Ausgangslage zurück, weshalb es bei erneuter Belastung zu kurzzeitigen lokalen Span-

nungsüberhöhungen an der Rissspitze kommt.“44

Dieser Effekt wurde auch in einem einfachen Experiment von WESCHE45 aufgezeigt, welches

SPITZ46 in seiner Dissertation wiedergibt. Streifenförmige Probekörper mit einer Breite von

4mm und einer Dicke von 1,5 mm aus NR wurden mit einem so großen Gewicht belastet, dass

41 JUVE, A.E.: Physical Test Methods and Polymer Evaluation in: WHITBY, G.S. (Hrsg.): Synthetic Rubber, John Wiley & Sons, Inc., New York, 1954, S. 467 Darin wird folgende Literaturstelle zitiert: WINN, H. und SHELTON, J.R. Ind. Eng. Chem., 37, 67-70 (1945) 42 BAUMAN, Judson T.: Fatigue, Stress, and Strain of Rubber Components Guide for Design Engineers, Carl Hanser Verlag, München, 2008, S. 125 43 HARBOUR, R. J.; FATEMI, A.; MARS, W. V.: Fatigue crack growth of filled rubber under constant and variable amplitude loading conditions, Journal of Fatigue & Fracture of Engineering Materials & Structures, Volume 30, Issue 7, S. 640-652 (2007) 44 SPITZ, Martin: Modellbasierte Lebensdauerprognose für dynamisch beanspruchte Elastomerbauteile, Dissertation, Uni Duisburg-Essen, 2012, S. 24 (Online verfügbar, zuletzt abgerufen am 30.07.2020: https://duepublico2.uni-due.de/servlets/MCRFileNodeServlet/duepublico_derivate_00030832/Spitz_Diss.pdf ) 45 WESCHE, H.: Untersuchung der dynamischen Ermüdung von Vulkanisaten, Kautschuk Gummi Kunststoffe 33. Jahrgang, Nr. 2/1980, S. 103-116 46 SPITZ, Martin: Modellbasierte Lebensdauerprognose für dynamisch beanspruchte Elastomerbauteile, Dissertation, Uni Duisburg-Essen, 2012(Online verfügbar, zuletzt abgerufen am 30.07.2020: https://duepublico2.uni-due.de/servlets/MCRFileNodeServlet/duepublico_derivate_00030832/Spitz_Diss.pdf )

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nach vier Stunden zerrissen. Nun entfernte WESCH das Gewicht nach fünf Minuten Belas-

tungszeit für einen bestimmten Zeitraum. Unabhängig von der Dauer der Entlastungszeiten

hielt die Probe nur noch etwa 20 Minuten. „Er erklärt dies mit einer durch Fließvorgänge be-

gründeten Deformationsretardation. Bei Belastung werden die Molekülketten des Elastomers

unterschiedlich stark gestreckt. Manche tragen eine hohe Last, andere eine nur geringe. Die

Deformationsretardation bewirkt, dass die wenig belasteten Ketten immer mehr Last überneh-

men und die stark belasteten Molekülketten entlastet werden. So verteilt sich die Gesamtlast

mit der Zeit nahezu homogen auf alle Ketten. Bei Entlastung wird durch Erholungseffekte diese

Lastverteilung rückgängig gemacht. Eine erneute Belastung führt dann dazu, dass einige we-

nige Ketten wieder sehr stark beansprucht werden.“47 Und dies führt zu einem verfrühten Rei-

ßen des Probekörpers.

In der praktischen Anwendung von Elastomeren kommt es, z.B. in einem Kraftfahrzeug, zu

relativ langen Pausen während des Stillstandes, die dann zu den oben beschriebenen Erho-

lungsphänomenen führen können. Wo möglich sollte vermieden werden die Spannung auch

im Stillstand ganz auf Null fallen zu lassen, da dies Ermüdungsprozesse beschleunigen kann.48

2.2.9 Art der dynamischen Belastung (konstante Last vs. konstante Verformung)

Gerade für einen Praktiker ist es wichtig zu wissen, ob in seiner Anwendung das dynamisch

belastete Elastomerbauteil einer konstanten Verformung oder einer konstanten Last ausge-

setzt ist, da dies zu unterschiedlichen Auswirkungen auf den Werkstoff Gummi führt.

Für eine konstante Verformung gilt: „Je höher der dynamische Modul (die dynamische „Steif-

heit“) des Materials ist, um so höher ist die Energieaufnahme pro Beanspruchungszyklus und

folglich um so rascher die Ermüdung. Man muß daher die Vulkanisate bei vergleichenden Prü-

fungen vorher jeweils auf den gleichen dynamischen Modul einstellen. Der höhere Vulkanisa-

tionsgrad entspricht stets einer ungünstigeren Ermüdung.

Wird bei dynamischer Beanspruchung unter konstanter Last verformt, so ist der Einfluß der

dynamischen Steifheit in der Regel gerade umgekehrt, da härtere Vulkanisate entsprechend

weniger verformt werden. (…) Eine Parallelmessung der Dämpfungs- und der Ermüdungsei-

genschaften eines Vulkanisates ist in jedem Falle aufschlussreich.“49

2.2.10 Einflüsse von Retardation (Kriechen) und Relaxation50

Werden Elastomere einer dauerhaften zyklischen Belastung ausgesetzt, kommt es zu einem

zyklischen Kriechen, das viel höher als bei Metallen ist. Wird nun die Dauerfestigkeit mit einer

konstanten Spannung geprüft, muss die Maschine immer nachregeln und die Amplitude wird

größer, um die Ausgangsspannung zu halten.

47 SPITZ, Martin: Modellbasierte Lebensdauerprognose für dynamisch beanspruchte Elastomerbauteile, Dissertation, Uni Duisburg-Essen, 2012, S. 23 f. (Online verfügbar, zuletzt abgerufen am 30.07.2020: https://duepublico2.uni-due.de/servlets/MCRFileNodeServlet/duepublico_derivate_00030832/Spitz_Diss.pdf ) 48 Vgl. KEMPERMANN, Th.: Alterungsschutzmittel (Kap. 2.8) in: BOSTRÖM, S. (Hrsg.): Kautschuk-Handbuch, 4. Band, Berliner Union, Stuttgart, 1961, S.359 49 KEMPERMANN, Th.: Alterungsschutzmittel (Kap. 2.8) in: BOSTRÖM, S. (Hrsg.): Kautschuk-Handbuch, 4. Band, Berliner Union, Stuttgart, 1961, S.359 50 Vgl. BAUMAN, Judson T.: Fatigue, Stress, and Strain of Rubber Components Guide for Design Engineers, Carl Hanser Verlag, München, 2008, S. 122

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Prüft man mit einer konstanten Amplitude, kommt es zu einer zyklischen Spannungsrelaxation,

d.h. die maximale zyklische Last nimmt mit der Anzahl der Prüfzyklen ab.

2.3 Werkstoffliche Einflussfaktoren auf Ermüdungsrisse51

2.3.1 Basispolymer

In der Forschung52 wurden Konstanten für einzelne Polymerarten ermittelt, die eine Klassifi-

zierung ermöglichen. Hierzu muss man aber tief in die Theorie einsteigen, weshalb dem Prak-

tiker bzw. dem Konstrukteur empfohlen wird, Elastomere über ihre Rissenergie/Energiefreiset-

zungsrate („tearing energy G“) zu vergleichen und zu bewerten. Die in der jeweiligen Anwen-

dung auftretenden Rissenergien sollten deutlich unterhalb kritischen Rissfestigkeit liegen.53

Grob vereinfacht kann man sagen, dass es kein Elastomer gibt, das alle dynamischen Belas-

tungsbedingungen ideal abdeckt. Mischungen aus CR haben bei einer großen Anzahl kleiner

Amplituden eine bessere Ermüdungsrissbeständigkeit als NR oder NBR. Bei hohen Rißener-

gien dreht sich das Ganze ins Gegenteil um. Die Risswachstumgsgeschwindigkeit nimmt für

Compounds mit diesen Basispolymeren wie folgt zu (in aufsteigender Reihenfolge): NR,

CR/EPDM, NBR. Es gibt meist einen zentralen Belastungsbereich, in welchem die Ermü-

dungsrissbeständigkeit fast aller Polymere sehr ähnlich ist. Die Unterschiede zwischen den

einzelnen Polymeren werden also erst bei niedrigen bzw. hohen Belastungsfrequenzen sicht-

barer.54

Allgemein ermöglichen Polymere mit einer engen Molekulargewichtsverteilung ermüdungs-

rissresistentere Werkstoffe als solche mit einer breiten Molekulargewichtsverteilung. Breite

Molekulargewichtsverteilungen haben eine hohe Langkettenverzweigung, dadurch wird der

Heat-build-up verstärkt, was wiederum das Ermüdungsverhalten des Elastomers verschlech-

tert.55 56

Häufig finden sich in der Literatur praktische detailliertere Informationen zu NR und SBR, da

diese in großen Mengen in der Reifenindustrie zum Einsatz kommen. Dort wird auch ihr spe-

zifisches Ermüdungsrissverhalten beschrieben, das durch ihre hohe Anfälligkeit für Sauerstoff

und Ozon verstärkt wird. „Bei NR-Vulkanisaten entstehen die Risse [schon bei kleineren Deh-

nungen als bei SBR]57 verhältnismäßig schnell, aber anschließend wachsen sie nur langsam

51 Die Parameter sind großenteils entnommen aus: BAUMAN, Judson T.: Fatigue, Stress, and Strain of Rubber Components Guide for Design Engineers, Carl Hanser Verlag, München, 2008, S. 117ff. 52 Z.B. CLAMROTH, R. und EISELE, U.: Untersuchungen zur Weiterreißfestigkeit und Beständigkeit gegen Rißbildung in: Kautschuk Gummi Kunststoffe KGK, 28, S.433-440, 1975 und KLÜPPEL M., HUANG G., BANDOW B.: Evaluation of Tearing Energy of Elastomer Materials in: Kautschuk Gummi Kunststoffe KGK, Dezember 2008, S. 656-659 (Artikel online frei verfügbar, zuletzt aufgerufen am 01.07.2020: https://www.kgk-rubberpoint.de/wp-content/uploads/migrated/paid_content/artikel/815.pdf ) 53 Vgl. ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 178 54 Vgl. SMITH, Len: The Language of Rubber, Butterworth Heinemann, Oxford, 1993, S. 61 55 SCHNETGER, Jochen: Lexikon der Kautschuktechnik, Beuth-Verlag, Berlin, ³2004, S. 280f., Stichwort: „Langkettenverzweigung“ 56 Detaillierte Informationen zum Einfluss der Molekulargewichtsverteilung auf das Ermüdungsrissverhalten von SBR finden sich bei: ZHAO, Junling und GHEBREMESKEL, Gabe: A Review of Some of the Factors Affecting Fracture and Fatigue in SBR and BR Vulcanizates. In: Rubber Chemistry and Technology. 74, 2001, S. 411 ff. Artikel online verfügbar, zuletzt abgerufen am 10.08.2020: https://www.researchgate.net/publication/274578975_A_Review_of_Some_of_the_Factors_Affecting_Fracture_and_Fatigue_in_SBR_and_BR_Vulcanizates 57 Vgl. KLEEMANN, Werner: Mischungen für die Elastverarbeitung, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1982, S. 241

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weiter. SBR-Vulkanisate weisen dagegen ein späteres Einsetzen der Rissbildung auf; aber

wenn sie erst einmal entstanden sind, dann wachsen sie schneller weiter. Dies hängt mit dem

niedrigen Weiterreißwiderstand von SBR-Vulkanisaten zusammen.“58 Hinzu kommt dass Er-

müdungsrisse an synthetischen Kautschuken tiefergehend sind. 59

Dies lässt sich vermutlich dadurch erklären, dass NR auf Grund seiner geringeren Ozonbe-

ständigkeit früher als SBR Mikroozonrisse zeigt, die dann als Ausgangspunkt für Ermüdungs-

risse dienen können (siehe Ausführungen unter Kap. 2.6). Das langsamere Risswachstum bei

NR kann wohl durch die Fähigkeit der Dehnungskristallisation erklärt werden. Dadurch kommt

es an der Rissspitze zu Verfestigungen. SBR dagegen neigt nicht zur Dehnungskristallisation.

(siehe Ausführungen unter Kap. 2.3.5)

2.3.2 Füllstoffe

Wird der Füllstoffanteil in einem Elastomer vergrößert, erhöht sich damit auch sein Modul, also

seine Festigkeit. Vergleicht man nun bei gleicher Dehnung einen ungefüllten mit einem gefüll-

ten Werkstoff (sonst identische Mischung) in der Ermüdungsrissprüfung, zeigt der gefüllte

Werkstoff eine geringere Ermüdungsrissbeständigkeit als der ungefüllte. Dies hat damit zu tun,

dass der gefüllte Werkstoff steifer ist und eine höhere Dehnungsenergiedichte (engl. „strain

energy density“) besitzt. Wird eine solche Vergleichsprüfung nicht über die Dehnung, sondern

über die Spannung gesteuert (lastgeregelt), gilt natürlich das Gegenteil (siehe hierzu auch die

Ausführungen in Kap. 2.2.9). Gerade aus solchen Gesichtspunkten heraus ist es für einen

Anwender extrem wichtig zu wissen, ob sein Elastomerbauteil in einer last- oder verformungs-

abhängigen Anwendung eingesetzt wird.60

Die verstärkenden Eigenschaften von Füllstoffen hängen v.a. von ihrer Form, Größe und ihrer

Fähigkeit, mit ihrer Umgebung in Verbindung zu treten (z.B. Oberflächenbeschaffenheit), ab.

Bedeutende Verbesserungen liefern v.a. sehr kleine Partikel mit einem Durchmesser von 10-

15nm. „Die entsprechenden Kautschuk-Füllstoff-Grenzflächen liegen hier bei 300-400 m²/cm³.

Dadurch wird die Phasenanbindung pro Volumeneinheit wesentlich erhöht, wodurch Festig-

keitseigenschaften, Risswachstumsbeständigkeit (…)“61 und andere Eigenschaften verbessert

werden. Eine große Bedeutung kommt der Grenzfläche zwischen dem Kautschuk und dem

Ruß zu, aber auch zwischen den Füllstoffpartikeln gibt es Wechselwirkungen, die eine Ver-

stärkungswirkung haben. Diese beiden Wechselwirkungen „tragen dazu bei, die Rissinitiierung

und -ausbreitung durch Energiedissipierung zu verzögern.“62 Kommt es zu Ablösungen der

Füllstoffoberfläche von der Matrix, so kann dies nach SCHUSTER – neben den bekannten

Fehlstellen – als Anfangspunkt eines Risses bzw. Risskeim dienen.63

„Bei gleichbleibender Mischgüte, d. h. Dispersion des Füllstoffes, steigt die Zugfestigkeit um-

gekehrt proportional zu der Primärteilchengröße an. Bei konstanter Rußdosierung tragen die

extensive Phasenanbindung und der verminderte Interaggregatabstand dazu bei, dass die

58 SEEBERGER, D.: Kautschukchemikalien (Kap. 7.1 bis 7.4) in: HOFMANN, Werner und GUPTA, Heinz: Handbuch der Kautschuk-Technologie, Dr. Gupta Verlag, Ratingen, 2001, S. 7-75 59 Vgl. KLEEMANN, Werner: Mischungen für die Elastverarbeitung, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1982, S. 241 60 Vgl. ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 177 61 SCHUSTER, R.: Füllstoffe in: HOFMANN, Werner und GUPTA, Heinz: Handbuch der Kautschuk-Technologie, Dr. Gupta Verlag, Ratingen, 2001, S. 8-2 62 Ebd., S. 8-28 63 Ebd., S. 8-61

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Rissinitiierung erschwert und der mittlere Rissweg, der von inneren Fehlstellen ausgeht, ver-

kleinert wird.“64

Neben der Verbesserung der physikalischen Elastomereigenschaften verbessern Ruße auch

die Beständigkeit gegen UV-Licht. Dadurch wird eine mögliche Quelle von Mikroanrissen, die

Ausgangspunkt eines Ermüdungsrisses werden können, reduziert. Aktive HAF-Ruße verbes-

sern bei vielen Mischungen die Ermüdungsrissbeständigkeit nachhaltig. Und sogar der inak-

tive MT-Ruß zeigt positive Effekte bei SBR, IIR und CR. „Ruß sorgt für eine zusätzliche Quelle

von Hysterese und eine erhöhte Neigung zur Abstumpfung und Verzweigung der Rissspitze.“65

Mischungen mit hellen Füllstoffen sind rissanfälliger als die meisten rußgefüllten Mischungen.

Der Einfluss des Füllungsgrades auf eine Rissentwicklung ist bei hellen Füllstoffen auffälli-

ger.66

2.3.3 Vulkanisationssystem

In der Regel haben schwefelvernetzte Elastomere eine bessere Ermüdungsrissbeständigkeit

als mit anderen Systemen vernetzte Elastomere. Bei kurzen Vernetzungsbrücken, also 0 bis

2 Schwefelatome sind die Molekülketten in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt. Bei Vernet-

zungsbrücken mit 3 oder mehr Schwefelatomen „kann die Bindung entlang der Kautschukmo-

lekülkette wandern, ohne jedoch zurückzuspalten, d.h. die Vernetzungsdichte bleibt dabei

gleich. Dieser „slipping effect“ bewirkt erstens den erwähnten ziemlich ungünstigen compres-

sion set von Schwefel-Vulkanisationen. Zweitens aber verursacht er den Abbau lokaler Span-

nungsspitzen, bringt also eine auf molekulare Dimension begrenzte Relaxation zustande. Das

wiederum mindert die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von „Riß-Keimen“, und somit wird

die Rißbildung überhaupt wirkungsvoll zurückgedrängt.“67

Es gibt auch eine andere Theorie nach THOMAS et al., die besagt, „dass die Polysulfid-Ver-

netzungen unter den hohen Spannungen um die Rissspitze [zeitlich] vor der Haupt[mole-

kül]kette brechen. Die Spannung wird daher über ein größeres Materialvolumen umverteilt.

Bei Kohlenstoff-Kohlenstoff-Vernetzungen, die relativ stark sind, ist dieser Effekt vermutlich

nicht vorhanden.“68 Deswegen sind polysulfidische Schwefelvernetzungen sowohl bei der Prü-

fung nach DeMattia als auch bei der Kettenermüdungsprüfung monosulfidischen überlegen.69

Kritisch ist aber die geringere Wärmebeständigkeit von Schwefelvernetzungen im Ver-

gleich zu anderen Vernetzungssystemen zu betrachten.70 Hohe Temperaturanforderungen

können mit schwefelvernetzten Systemen oft nicht mehr erfüllt werden, so dass deren Vorteile

nicht mehr zum Tragen kommen können.

64 Ebd., S. 8-61 65 ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 177 66 Vgl. KLEEMANN, Werner: Mischungen für die Elastverarbeitung, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1982, S. 241 67 KEMPERMANN, Th.: Teil D Bayer Kautschukchemikalien 2. Vulkacit in: BAYER AG (Hrsg.): Handbuch für die Gummi-Industrie, Leverkusen, ²1991, S. 364 68 ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 179f. darin wird zitiert: LAKE, G.J. und THOMAS, A.G. in ROBERTS, A.D. (Ed.): Natural Rubber Science and Technology, Oxford University Press, Oxford, 1988, S. 731-772 und BROWN, P. und PORTER, M. und THOMAS, A.G. in: KGK, 40, 17 (1987) 69 Vgl. SEEBERGER, D.: Kautschukchemikalien (Kap. 7.1 bis 7.4) in: HOFMANN, Werner und GUPTA, Heinz: Handbuch der Kautschuk-Technologie, Dr. Gupta Verlag, Ratingen, 2001, S. 7-14 70 Ebd., S. 7-14

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2.3.4 Ermüdungsschutz- und Alterungsschutzmittel, Antioxidantien und Antiozonantien

Für die Mischungsherstellung steht eine größere Anzahl von Alterungsschutzmitteln zur Ver-

fügung, während Ermüdungsschutzmittel nicht in solcher Vielfalt angeboten werden. „In der

Regel ist ein Ermüdungsschutzmittel gleichzeitig gegen statische Autoxidation wirksam, wäh-

rend das Umgekehrte nicht gilt. (…) In gewissem Maße gibt es Parallelität zwischen Ermü-

dungs- und Ozonschutzwirkung.“ 71 Nachteilig ist, dass die wirksamen Ermüdungsschutzmittel

verfärbend sind, die Verfärbung nimmt mit der Wirkung zu. Häufig werden zum Ermüdungs-

schutz aryl-alkyl-substituierte p-Phenylendiamine (z.B. 6PPD) eingesetzt. Mischungen mit

6PPD werden v.a. bei dynamischer Ozonbelastung eingesetzt und behalten eine gute Ermü-

dungsrissbeständigkeit auch nach einer Wärmealterung, im Gegensatz zu Mischungen mit

dem Antioxidant PBN. Der Antiozonant 77PD hingegen ist hilfreich bei der Verbesserung der

statischen Ozonbelastung, weshalb einige Compoundentwickler 6PPD mit 77PD kombinieren,

um die Vorteile beider Systeme zu verbinden. Obwohl der Antioxidant TMQ allein keine Ozon-

oder Ermüdungsschutzwirkung verbessert, kann er in Kombination mit 6PPD die Ermüdungs-

beständigkeit eines Compounds – v.a. nach thermischer Alterung – spürbar verbessern.72

2.3.5 Dehnungskristallisation

Durch Kristallisation werden amorphe Molekülketten in eine geordnete Struktur gebracht,

wodurch sich die Eigenschaften des Polymers verändern, wie z.B. eine Verringerung der Elas-

tizität. Damit eine Kristallisation im größeren Umfang möglich ist, müssen die Molekülketten

gewisse Voraussetzungen erbringen, wie z.B. eine lineare, wenig verzweigte Kettenstruktur.

Besonders Naturkautschuk, IR, CR und teilweise HNBR sind für ihre Kristallisationsneigung

bekannt, die mitunter zu Verarbeitungsproblemen führt. Zum einen kann es bei tiefen Tempe-

raturen im entspannten Zustand zu einer Kristallisation kommen und zum anderen zeigen sie

den Effekt der Dehnungskristallisation. Bei höheren Dehnungen setzt dann eine verstärkte

Kristallisation ein. „Offenbar wirken dabei einige der gestreckten Moleküle als Keimbildungsli-

nien, an welche die weniger stark gespannten Ketten z.T. unter Rückfaltung seitlich ankristal-

lisieren können (nach Hofmann).“73 Bei Naturkautschuk erreicht die Kristallisation in der Kälte

ein Maximum bei -26°C und die Kristallisationsgeschwindigkeit steigt bei einer Dehnung um

100% auf den Faktor 10, bei 200% Dehnung um den Faktor 100.74

„Auch die Weiterreißeigenschaften von Elastomeren werden von der Neigung zu Dehnungs-

kristallisation positiv beeinflusst [159]. Der Grund liegt an den sehr hohen Zugdehnungen in

einer Rissspitze, die das Material örtlich durch den Kristallisationsvorgang stark verfestigen.“75

Bei der Begutachtung von Ermüdungsrissen muss zwischen Elastomeren unterschieden wer-

den, die zur Dehnungskristallisation neigen und zu solchen, die diesen Effekt nicht aufweisen.

71 Ebd., S. 7-83 72 Vgl. IGNATZ-HOOVER, Fred: Antidegredants (chap. 19) in: DICK, John S. (Hrsg.): Rubber Technology Compounding and Testing for Performance, Carl Hanser Verlag, München, 2001, S. 458-461 73 SCHNETGER, Jochen: Lexikon der Kautschuktechnik, Hüthig Verlag, Heidelberg, ²1991, S. 354 (Schlagwort: „Kristallisation-Makromoleküle“) 74 Nach HEINISCH, Kurt F.: Kautschuk-Lexikon,Gentner Verlag, Stuttgart, 1996, S. 297 (Schlagwort: „Kristallisation“) 75 KAINDL, Stefan: Simulation der Schwingfestigkeit von Elastomerbauteilen, Dissertation, Uni Halle-Wittenberg, 2014, S. 17 (Online verfügbar: https://d-nb.info/1058104780/34 Zugriff auf Webseite am 24.06.2020) Zitat [159] = Röthemeyer, F., Sommer, F.: Kautschuk-Technologie. Werkstoffe, Verarbeitung, Produkte. München: Hanser 2006

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„[Risse durch] Fehlstellen in [dehnungskristallisierenden] Elastomeren (…) wachsen nur, wäh-

rend sie gedehnt werden. Wenn die Dehnung nicht ausreicht, um während des Dehnungsvor-

gangs einen Bruch zu verursachen, hören die Risse auf zu wachsen, sobald die Dehnung

aufhört.“76

Bei Elastomeren, welche die Eigenschaft der Dehnungskristallisation nicht besitzen, wachsen

Risse „auch dann weiter, wenn die Dehnungswirkung aufgehört hat, das Elastomer aber immer

noch gespannt ist. Bei einer zyklischen Verformung profitieren die dehnungskristallisierenden

Kautschuke ebenfalls stark, wenn der Dehnungszyklus nicht durch die Nulldehnung geht. Die

Ermüdungslebensdauer kann um das Hundertfache verlängert werden, indem man einfach

sicherstellt, dass die Mindestdehnung über 50% liegt. Bei nicht dehnungskristallisierenden

Elastomeren treten solche Vorteile nicht auf. Bei diesen Elastomeren verkürzt die [erhöhte]

minimale Dehnung (…) [eher] die Lebensdauer, da während der ganzen Zeit, in der das Elasto-

mer beansprucht wird, Risse wachsen.“ 77

2.3.6 Sonstige relevante physikalische Gummieigenschaften

Die schlechte Wärmeleitung von Elastomeren kann in Fällen, in welchen eine innere Erwär-

mung nicht schnell genug bzw. in ausreichendem Maße abgeführt werden kann, eine vorzei-

tige Alterung begünstigen. Die innere Erwärmung führt zu einem temperaturbedingten Abfall

der Zugfestigkeit und der Reißdehnung infolge der erhöhten Kettenbeweglichkeit. Gleichzeitig

findet bei Anwesenheit von Sauerstoff ein erhöhter oxidativer Angriff statt. Deswegen gilt: „Vul-

kanisate mit hoher innerer Reibung (Dämpfung) geben (…) [unter sonst gleichen Bedingun-

gen] wegen der stärkeren Wärmeentwicklung schlechtere Ergebnisse im Ermüdungstest als

(dynamisch) hochelastische.“78

Mitunter wird das Ermüdungsverhalten von Elastomeren auch mithilfe der Prüfung der Wär-

meentwicklung79 („Heat build up“) beurteilt.80 „Der Begriff ‚heat build-up‘ ist in der Tat nicht

besonders gut geeignet, da [unter diesem Begriff] auch der Bruch des Prüfkörpers, die Verfor-

mung und Steifigkeitsänderungen gemessen werden können, aber er dient zur Unterschei-

dung der Prüfungen von solchen, bei denen nur Oberflächenrisse von Interesse sind und die

Prüfkörpergeometrie so beschaffen ist, dass der Temperaturanstieg minimiert wird.“81

76 SOUTHERN, E.: Principles of Product Design in: WHELAN, A. und LEE, K.S.: Developments in Rubber Technology -1 Improving Product Performance, Applied Science Publishers Ltd., London, 1979, S. 274 77 Ebd., S. 274 78 KEMPERMANN, Th.: Alterungsschutzmittel (Kap. 2.8) in: BOSTRÖM, S. (Hrsg.): Kautschuk-Handbuch, 4. Band, Berliner Union, Stuttgart, 1961, S.359 79 Vgl. ISO 4666-1: Rubber, vulcanized -Determination of temperature rise and resistance to fatigue in flexometer testing – Part 1: Basic principles, 2010-10 siehe auch weitere Teile dieser ISO 80 Weiterführende Informationen zu dieser Thematik, siehe: BROWN, Roger: Physical Testing of Rubber, Springer Verlag, 4. Aufl., 2006, S. 254-256 (chapter 12.2 Fatigue – Heat Build-up) 81 BROWN, Roger: Physical Testing of Rubber, Springer Verlag, 4. Aufl., 2006, S. 254

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2.4 Verarbeitungstechnische Einflussfaktoren auf Ermüdungsrisse

2.4.1 Vulkanisationsgrad / Vernetzungsdichte82

Es ist allgemein bekannt, dass eine leichte Untervernetzung bzw. eine eher niedrige Vernet-

zungsdichte den Widerstand eines Elastomers gegen dynamisches Risswachstum, Weiterrei-

ßen und Abrieb verbessert. Durch die weitmaschigere Vernetzung behält das dreidimensio-

nale Elastomernetzwerk eine höhere Flexibilität. „Übervulkanisierte Mischungen sind anfälliger

für Risse.“83

Praktiker berichten auch, dass ein Indikator – neben einigen anderen – für eine gute Ermü-

dungsrissbeständigkeit eine verhältnismäßig hohe Reißdehnung sein kann.84 Diese wird eben-

falls durch eine leichte Untervernetzung bzw. eine eher niedrige Vernetzungsdichte erzielt.

2.4.2 Fehlstellen im Elastomer, Mischungsherstellung, Dispergierung

Es verdichtet sich in der Forschung immer mehr, dass die Ermüdungsrissbeständigkeit und

damit die Lebensdauer von dynamisch belasteten Bauteilen sehr stark durch das Vorhanden-

sein von Fehlstellen (in einer Größe von ca. 100 µm und mehr) im Bauteil, durch Mikrorisse

an der Oberfläche85 und durch Ablösungen des Füllstoffes von der Elastomermatrix86 bestimmt

wird.

Die Betrachtung von Fehlstellen ist der Dreh- und Angelpunkt in bruchmechanischen Konzep-

ten. Bis in die 1930er Jahre legte man Elastomerbauteile so aus, dass keine Spannung in der

Anwendung den elastischen Materialgrenzwert überschritt. In damaligen Schadensfällen, u.a.

an Brücken, in denen die Materialgrenzwerte nicht überschritten wurden, kam es dennoch zum

Ausfall. „Dadurch wurde die überragende Bedeutung lokaler Spannungskonzentrationen um

strukturelle Fehlstellen herum erkannt.“87

Jedes produzierte Elastomerbauteil besitzt eine gewisse Anzahl von Fehlstellen, die bis zu

einem gewissen Maß auch von der Qualität der Mischungsbestandteile, -herstellung und -ver-

arbeitung ist. Diese Fehlstellen können zum Ausgangspunkt eines Risswachstums werden.

Als Fehlstellen können schlecht dispergierte Füllstoffe (Füllstoffagglomerate), Verarbeitungs-

hilfsmittel, Vernetzungschemikalien u.v.m. fungieren. Allerdings stehen diese Erkenntnisse –

insbesondere was den Einfluss der Füllstoffdispersion betrifft – im Widerspruch zu anderen

Untersuchungen, siehe unten. Das wird als Hinweis darauf gewertet, dass im Einzelfall auch

die Art und Höhe der Beanspruchung eine wichtige Rolle spielt und natürlich auch die Rezeptur

82 Versuch einer Abgrenzung der Begriffe „Vulkanisationsgrad“ vs. „Vernetzungsdichte“: Der Vulkanisationsgrad ergibt sich durch die Prozessbedingungen beim Vulkanisieren, die Vernetzungsdichte kann sich aber auch aus dem Rezepturaufbau ergeben, je nachdem wie der Vernetzer dosiert wird. Daher lässt das Wort Vernetzungsdichte es offen, ob diese getrieben wird vom Vulkanisationsprozess oder der Rezeptur. 83 KLEEMANN, Werner: Mischungen für die Elastverarbeitung, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1982, S. 241 84 Vgl. STUDEBAKER, M.L. und BEATTY, J.R.: The Rubber Compound and Ist Composition in: EIRICH, F.: Science and Technology of Rubber, Academic Press Inc., 1978, S. 385 85 Vgl. GIESE, Ulrich: Aufklärung ermüdungs- und schädigungsrelevanter Mechanismen bei dynamisch belasteten technischen Gummiwerkstoffen, Schlussbericht zum AIF IGF-Vorhaben Nr. 15694 N, Hannover, 2011, S. 56f. 86 Vgl. SCHUSTER, R.: Füllstoffe in: HOFMANN, Werner und GUPTA, Heinz: Handbuch der Kautschuk-Technologie, Dr. Gupta Verlag, Ratingen, 2001, S. 8-61 87 ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 160

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selbst. Aber auch Verletzungen auf der Dichtungsoberfläche oder Hohlräume im mikroskopi-

schen Maßstab sind als kritisch zu betrachten.88 Um ein Gefühl für die Größe rissauslösender

Fehlstellen zu bekommen, sei auf die Untersuchungen von LAKE verwiesen, der diese für NR

bei ungefähr 25 µm angibt.89

GIESE untersuchte EPDM und NR Werkstoffe unter dynamischer Belastung, um ermüdungs-

und schädigungsrelevante Mechanismen aufzuklären. Es wurde NR gewählt, wegen dessen

Dehnungskristallisation und EPDM wegen dem Thema Kettenbeweglichkeit. Bei Fehlstellen in

einer Größenordnung von ca. 50 bis max. 100 µm konnte rechnerisch noch eine ausreichende

Ermüdungsbeständigkeit ermittelt werden. Ferner wurde mit Hilfe dieser Rechenmodelle fest-

gestellt, „dass sich aus den Fehlstellen heraus langsam und zunächst nicht bemerkbar Mikro-

risse ausbreiten können. (…) Schließlich ist mit zunehmender Risslänge eine Beschleunigung

des Risswachstums zu erwarten.“90 Durch das zunehmende Risswachstum kann es dann zu

einem Bauteilausfall bzw. einem Schadensfall kommen. Bei größeren Fehlstellen treten oben

genannte Mechanismen schon bei geringerer dynamischer Belastung und zeitlich früher auf.

Die Einschätzung von Fehlstellen, wann und ob sie in der Praxis einen Riss auslösen,

ist schwierig. Führt man Ermüdungsprüfungen an unbehandelten Standardserienteilen durch,

erhält man eine sehr große Streuung. Deswegen behilft man sich in der Ermüdungsrissprüfung

mit dem Aufbringen genau definierter Schnitte, Verletzungen („precracks“), an denen dann das

Risswachstum unter dynamischer Belastung beobachtet werden kann. So bekommt man die

für den Anwender relevante Aussage, „wie schnell sich der Riss einer bestimmten Größe unter

bestimmten Lastbedingungen ausbreiten wird.“91 Allein schon an diesem Zusammenhang wird

deutlich, dass die Behebung von Schäden durch Ermüdungsrisse oft Veränderungen an meh-

reren Stellschrauben und auf mehreren Ebenen erfordert, um sicher zu gehen, dass auf Grund

der großen Streuung die Ausfälle nicht wieder auftreten.

Eigentlich würde man vermuten, dass eine gute Dispergierung der Inhaltsstoffe zu einer er-

höhten Ermüdungsrissbeständigkeit führen würden. Untersuchungen zeigten, dass in einem

Fall das Gegenteil zutrifft und in einem anderen Fall, dass die Art der Dispergierung keinen

signifikanten Einfluss auf die Ermüdungsrissbeständigkeit hat.

„Insbesondere bei SBR's wird die Lebensdauer für Biegebeanspruchungen durch die Füllstoff-

dispersion und den Vernetzungsgrad deutlich beeinflusst. Eine schlechte Dispergierung führt

oft zu verbesserten Eigenschaften in Bezug auf das Risswachstum, da die Ausbreitung des

Risses durch die Agglomerate gestört wird und es zu einer Nachbildung eines „Knotenrisses“

kommt.“92

MARVIN untersuchte den Dispersionseinfluss, indem er die Ruß-Einmischzeit von sonst iden-

tischen EPDM- und NR-Mischungen variierte. „In der Risswachstumscharakteristik zeigt sich

kein signifikanter Unterschied zwischen den kurz und den länger gemischten Materialvarianten

(…). Zieht man die Ergebnisse der computertomographischen Untersuchungen [zur Fehlstel-

88 Vgl. ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 163 89 LAKE, G.J.: Prog. Rubber Technol., 45, 89 (1983) zitiert in: ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 163 90 GIESE, Ulrich: Aufklärung ermüdungs- und schädigungsrelevanter Mechanismen bei dynamisch belasteten technischen Gummiwerkstoffen, Schlussbericht zum AIF IGF-Vorhaben Nr. 15694 N, Hannover, 2011, S. 55 91 ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 164 92 STUDEBAKER, M.L. und BEATTY, J.R.: The Rubber Compound and Ist Composition in: EIRICH, F.: Science and Technology of Rubber, Academic Press Inc., 1978, S.384f.

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lendetektion] mit in Betracht, wird deutlich, dass sich der Unterschied in der Dispersion offen-

bar nicht auf das Risswachstumsverhalten auswirkt. Dominant ist offensichtlich die Festigkeit

des Polymers, sowie dessen Wechselwirkung mit dem Füllstoff. Diese Annahme wird durch

die quasistatischen Untersuchungen bestätigt, bei denen sich, wie in den Risswachstumsex-

perimenten, kein Unterschied zwischen der jeweils kurz und der länger gemischten Variante

zeigte. Im Material vorliegende Risse wachsen, in der jeweiligen Materialpaarung, bei gleichen

Belastungen somit auch mit gleicher Risswachstumsrate an.“93

2.4.3 Probleme im Herstellungsprozess, Nachbearbeitungsschritte, Montage

Ermüdungsrisse können auch durch werkzeugbedingte Gründe, z.B. scharfe Kanten oder un-

gleichmäßige Wanddicken von Membranen ausgelöst werden. Ebenso können raue Oberflä-

chen durch Nachbearbeitungsschritte (z.B. unsachgemäße Entgratung), einvulkanisierte

Gratreste und Probleme in der Montage (z. B. Schiefstellung oder Außermittigkeit bei rotieren-

den Teilen) der Auslöser von ermüdungsbedingten Ausfällen sein.

2.5 Konstruktive Einflussfaktoren

Ermüdungsrisse treten eher selten an klassischen Dichtungsformen, sondern v.a. an Reifen

und komplexen technischen Gummiformteilen auf. Es ist heute Stand der Technik die Span-

nungen und Dehnungen in einem komplizierten Bauteil bereits in der Entwicklungsphase mit-

tels FEM zu berechnen. Ermüdungsrissen treten öfter an Faltenbälgen bzw. sogenannten

Achsmanschetten auf, „die große Winkelbewegungen zulassen müssen. (…) Die auf das axi-

alsymmetrische Bauteil wirkenden Lasten sind nicht axialsymmetrisch. Daher muss bei der

Berechnung eine Kombination von Axial- und Querlasten berücksichtigt werden. In der Simu-

lation werden Spannungsspitzen im Bauteil sichtbar. Durch geeignete Anpassung des Bauteil-

designs oder teilweise durch Optimierung des Werkstoffs können die Spannungsspitzen redu-

ziert werden.“94 Dadurch wird die Lebensdauer solcher Bauteile erhöht, da Ermüdungsrisse

zeitlich später auftreten.

Neben Achsmanschetten sind des Öfteren auch Membranen von Ermüdungsrissen betroffen.

Normalerweise erfahren Membranen im Einspannbereich die höchsten Spannungen. Deswe-

gen ist besonders in diesen Bereichen eine gummigerechte Konstruktion notwendig (große

Radien statt scharfkantiger Übergänge).95 Ermüdungsrisse sind meist ein sehr lokal, auf

kleinste Bereiche begrenztes Phänomen, das gerade bei komplexen, neuartigen Bauteilen

nicht immer durch die Erfahrung des Konstrukteurs erkannt werden kann, weshalb FEM-Be-

rechnungen zur Schadensvermeidung sehr zu empfehlen sind.96

93 LUDWIG, Marvin: Entwicklung eines Lebensdauer-Vorhersagekonzepts für Elastomerwerkstoffe unter Berücksichtigung der Fehlstellenstatistik, Dissertation, Uni Hannover, 2017, S. 56 (Online verfügbar, zuletzt abgerufen am 30.06.2020: https://www.repo.uni-hannover.de/bitstream/handle/123456789/9075/898248361.pdf?sequence=1&isAllowed=y ) 94 RINNBAUER, Meike: Technische Elastomerwerkstoffe, Die Bibliothek der Technik Band 293, verlag moderne industrie, 2006, S. 50f. 95 Vgl. FLITNEY, R.: Seals and Sealing Handbook, Butterworth Heinemann / Elsevier, Oxford, 62014, S. 360 96 Beispiel eines US-amerikanischen Unternehmens zur Analyse von Gummi-Materialermüdung mittels FEA: https://endurica.com/ Beispielfilm, welcher die Berechnung eines Faltenbalges zeigt: https://youtu.be/K2MS1P1eEZI

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2.6 Abgrenzung zu Ozonrissen

Sowohl Ermüdungs- als auch Ozonrisse fallen unter den Bereich der Oberflächenrisse und

treten auf, wenn ein Elastomerbauteil unter Spannung steht. Ermüdungs- und Ozonrisse wer-

den zwar durch unterschiedliche Ursachen ausgelöst und „in der Praxis und in der Literatur

(…) als getrennte Phänomene betrachtet. Die Einflüsse lassen sich jedoch besonders bei Rei-

fen nicht trennen. Unter den Einsatzbedingungen muß ein komplexer Mechanismus angenom-

men werden.“97 Dies lässt sich auch daran erkennen, dass Mischungen für diese Anwendun-

gen meist eine Kombination von Antioxidantien und Antiozonantien erhalten.

In einer frühen Untersuchung von NEAL und NORTHAM98 (1932) wurde auch über die mögli-

che Entstehung minimaler Ozonmengen durch statische elektrische Entladung bei Dauer-

knickversuchen im Bereich der Biegung nachgedacht. In späterer Literatur wurde dieser Punkt

nicht mehr gefunden.

Kleinste Ozonrisse auf der Oberfläche eines Gummiformteils können auch als jene Fehlstellen

fungieren, die als Ausgangspunkt für Risse durch eine mechanische Materialermüdung die-

nen.99 LAKE und THOMAS formulieren den Einfluss von Ozonrissen noch präziser: „Unter

zyklischer Belastung, wenn das mechanische Risswachstum sehr langsam oder gar nicht

stattfindet, kann der Ozonangriff der vorherrschende Prozess des Risswachstums sein, bis die

Risse groß genug sind, um ein mechanisches Wachstum zu ermöglichen, d.h. bis G0 100 er-

reicht ist.“101

Nicht nur bei Reifen, sondern auch bei technischen Gummiformteilen und Dichtungen gibt es

bei diesem Schadensbild komplexe ineinander verwobene Mechanismen. In jeder Scha-

densanalyse wird neben der Begutachtung der geschädigten Dichtung auch das Umfeld, in

welchem der Schaden auftrat, zusammen mit dem Auftraggeber untersucht. In den meisten

Fällen ergibt sich dann ein klareres Bild, ob Materialermüdung oder Ozoneinwirkung die

Hauptursache für den Schadensfall waren. Die Eingruppierung des Schadens, welche auch

für eine Problemlösung entscheidend ist, erfolgt dann nach der für den Ausfall relevanten

Hauptursache.

2.7 Sonderform von Ermüdungsrissen an O-Ringen: Spiralrisse102

Bei den Spiralrissen an O-Ringen handelt es sich um eine Sonderform von Ermüdungsrissen.

Durch eine zyklisch auftretende Torsionsbeanspruchung infolge von Axialbewegungen kommt

es dabei zu meist nur lokal auftretenden Verdrillungen. Der dadurch erzeugte dreidimensionale

97 KLEEMANN, Werner: Mischungen für die Elastverarbeitung, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1982, S. 247f. 98 NEAL, A.M und NORTHAM, A.J., Ind. Eng. Chem., 23, 1449 (1932) zitiert in: SOMERVILLE, A.A.: Effect of Oxygen Absorbers in Rubber in: Industrial and Engineering Chemistry, 28. Jg., Heft 1, 1936, S. 13 99 ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 163 100 NB: G0 ist die Energie, die benötigt wird, um mechanisches Risswachstum zu initiieren. 101 LAKE, Graham J. und THOMAS, Alan G.: Strength (chapter 5) in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 138 102 Vgl. RICHTER, Bernhard und BLOBNER, Ulrich: Spiralrisse an O-Ringen – „Verdrehte Dichtungswelt“ Serie Fachwissen Schadensanalyse von Elastomerbauteilen, Januar 2020, Artikel online verfügbar: https://www.o-ring-prueflabor.de/files/fachwissen_schaden_spiralrisse_01_2020.pdf Dieser Artikel erscheint im Druck unter dem Titel: „Verdrehte Dichtungswelt“ – Spiralrisse an O-Ringen in: BERGER, Karl-Friedrich und KIEFER, Sandra (Hrsg.): Jahrbuch 2021 Dichten.Kleben.Polymer (vormals Dichtungstechnik Jahrbuch), Verlag ISGATEC GmbH

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Spannungszustand erzeugt dann eine linienförmige Einschnürung, welche sich in einem un-

gefährem 45° Winkel um die O-Ring-Schnur herumwickelt und schließlich zu Einrissen entlang

dieser Spannungslinie führen kann. Der Schadensmechanismus der Spiralrisse begrenzt den

dynamischen Einsatz von O-Ringen und wird daher auch von vielen O-Ring Hersteller be-

schrieben.

In einem einfachen Experiment des O-Ring Prüflabors wurde ein O-Ring verdreht, in diesem

Zustand eingespannt und dann unter dem Digitalmikroskop betrachtet und vermessen. Die

sichtbaren Einschnürungen sind die Linien größter örtlicher Dehnungen. Genau senkrecht

dazu, d. h. entlang dieser Linien, wird der O-Ring bei zyklischer Beanspruchung einreißen. Es

ist die Folge eines zweiachsigen Spannungszustandes (Zug- und Torsionsspannung).

Abb. 2: Künstlich nachgestellte, umlaufende Ein-schnürung an einem O-Ring wie bei einem Spi-ralriss; durch Einspannung wird die Verdrillung gehalten

Abb. 3: Die Vermessung des Winkels der Ein-schnürung ergab hier mit dem Digitalmikroskop einen Winkel von ca. 41°.

Aus der Festigkeitslehre ist bekannt, dass „bei Torsion die größten Dehnungen unter 45° zur

Wellenachse auftreten“.103 Deswegen werden auch Dehnungsmessstreifen bei der Untersu-

chung der Torsion metallischer Wellen immer in einem 45°-Winkel aufgeklebt.

Spiralrisse an O-Ringen beginnen so gut wie immer an der Oberfläche der Dichtung. Sobald

also erste Anzeichen an der Oberfläche eines O-Ringes erkennbar sind, ist der Kern des O-

Ringes immer noch intakt. Dies lässt sich theoretisch erklären: „Die elastische Spannungsver-

teilung bei reiner Torsion ist an der Oberfläche maximal und in der Mitte der Welle Null. Daher

entsteht der Bruch bei reiner Torsion normalerweise an der Oberfläche, die der Bereich der

höchsten Spannung ist.“104

103 BÜRGEL, Ralf: Festigkeitslehre und Werkstoffmechanik: Lehr- und Übungsbuch Festigkeitslehre, Band 1, Springer Vieweg Verlag, 2005, S. 74 104 GEITNER, Fred K. und BLOCH, Heinz P.: Machinery Failure Analysis and Troubleshooting: Practical Machinery Management For Process Plants, Butterworth-Heinemann, 4. Auflage, 2012, S. 31

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3. Schadensbild

3.1 Beschreibung des Schadensbildes und problematischer Bereiche

Das wesentliche Schadensmerkmal sind gerichtete/orientierte Risse, die im Vergleich zu che-

misch bedingten Rissen tiefer sind und nicht flächig in Erscheinung treten, sondern nur in be-

grenzten Oberflächenzonen, in denen die größten Spannungen bzw. Verformungen aufgetre-

ten sind.

„Die ersten Folgen der Ermüdung sind meist visuell nicht zu erkennen, da im allgemeinen der

Zerstörungsprozeß von innen nach außen fortschreitet, häufig sogar so, daß die Risse unter

Oberfläche eine andere Richtung zeigen als die direkt an der Oberfläche befindlichen.“105

Es gibt unterschiedliche Ansätze bei der Untersuchung von Ermüdungsrissen. Wir arbeiten

vorzugsweise mit einer Beurteilung des Rissbildes und weniger bzw. seltener mit der Beurtei-

lung von Bruchflächen, da sich die Bruchfläche von Elastomeren mit der Temperatur ändert.

Nimmt die Temperatur zu, nimmt der Widerstand des Materials ab und die Bruchfläche wird

glatter. Ebenso verhält es sich bezüglich Rissfortpflanzungsgeschwindigkeiten, wo hohe Riss-

geschwindigkeiten eine eher glatte Bruchfläche hinterlassen, und langsame eine raue.106

Die Abb. 4 bis 8 zeigen typische Erscheinungsbilder von Ermüdungsrissen. Allerdings lässt

sich die Vorgeschichte bei realen Anwendungen im Feld eben nicht so detailliert beschreiben

wie dies bei den an Versuchsständen erzeugten Fehlerbildern ist. Der Ausfall aus Abb. 4 geht

auf eine fehlerhafte Montage zurück, die Fehlerbilder aus den Abb. 5 bis 8 gehen letztlich auf

eine Überbeanspruchung (zu hohe zyklische lokale Verformungen) zurück, das heißt sie er-

klären sich anwendungsbezogen.

Eine Bewertung bzw. Eingruppierung des Ausmaßes von Ermüdungsrissen an realen Scha-

densbauteilen ist sehr schwierig, da selbst bei genormten Laborversuchen, bspw. mit dem

DeMattia Gerät eine solche Eingruppierung je nach Prüfer unterschiedlich vorgenommen wer-

den kann. Roger BROWN schreibt hierzu: Jedes Bewertungsverfahren, das zur üblichen Aus-

wertung des längsten Risses noch zusätzlich „die Messung von Länge, Tiefe und Anzahl der

Risse beinhaltet, ist im Allgemeinen nicht akzeptabel, und in jedem Fall wird jede gewonnene

Präzision normalerweise durch die Variabilität zwischen den Probekörpern überdeckt.“107

105 ECKER, R.: Mechanisch-technologische Prüfung von Kautschuk und Gummi (Kap. 5.2) in: BOSTRÖM, Siegfried (Hrsg.): Kautschuk-Handbuch, Berliner Union, Stuttgart, 5.Bd., 1962, S. 155 106 Vgl. HORST, Thomas.: Spezifische Ansätze zur bruchmechanischen Charakterisierung von Elastomeren, TU-Dpress, 2011 (Dissertation) zitiert in: STOČEK, Radek und KRATINA, Ondřej und KUŘITKA, Ivo: Focus on Future Trends in Experimental Determination of Crack Initiation in Reinforced Rubber in: Chemicke listy 108, S. 75 (Artikel online verfügbar, zuletzt abgerufen am 09.08.2020: http://www.chemicke-listy.cz/docs/full/2014_s1_s71-s77.pdf 107 BROWN, Roger: Physical Testing of Rubber, Springer Verlag, 4. Aufl., 2006, S. 248

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Abb. 4: Fehlerhaft montierte Man-schette aus Polyesterurethan (AU) mit Ermüdungsrissen

Abb. 5: Ermüdungsriss durch zykli-sche Knickbeanspruchung an ei-nem HNBR-Schlauchabschnitt

Abb. 6: Ermüdungsrisse an einer EPDM-Membran, ausgelöst durch Überbeanspruchung bzw. zu hohe Drü-cke

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Abb. 7: Hutmembran aus FKM mit Gewebeeinlage mit übermäßig hohen lokalen Ver-formungen: Die Membran wurde nach der Vulkanisation auf „links“ gestülpt, also von innen nach außen

Abb. 8: Sonderform von Ermü-dungsrissen an O-Ringen: Spi-ralrisse, hier einem weit fortge-schrittenen Stadium

3.2 Auswirkungen des Schadens

Kleine Ermüdungsrisse werden im Anfangsstadium meist nicht bemerkt. Solche Risse werden

oft nur durch Zufall entdeckt oder bei der systematischen Auswertung von Rückläufern aus

dem Versuch oder der Bauteilerprobung.

Größere Ermüdungsrisse zeigen sich durch Leckagen oder Funktionsausfälle.

Einige Bauteile, die von Ermüdungsrissen betroffen sein können (z.B. Achsmanschetten), ge-

hören nicht zur höchsten Sicherheitsklasse. Deswegen empfiehlt sich für jede Anwendung in-

dividuell festzulegen, welche Form von Ermüdungsrissen und in welchem Ausmaß nach wel-

cher Einsatzzeit tolerierbar sind.

Als Richtschnur zum besseren Verständnis und als Hilfe zur Erstellung eines Bauteillastenhef-

tes bzw. einer Materialspezifikation können die vier Bewertungskriterien für Ermüdungsprüfun-

gen nach BAUMAN108 dienen:

1. Kompletter Durchriss der Probe wie in der Metallprüfung

108 BAUMAN, Judson T.: Fatigue, Stress, and Strain of Rubber Components Guide for Design Engineers, Carl Hanser Verlag, München, 2008, S. 118f.

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2. Spannungsabnahme über einen bestimmten Grenzwert hinaus (unabhängig von der

zyklischen Stressrelaxation)

3. Beginn des Risswachstums

4. Rissgröße

In manchen Fällen können Ermüdungsrisse ein Folgeschaden von rissinitiierendem Ozonan-

griff sein.

Als Begleitschaden bezeichnet man einen Schaden, der häufig parallel in Gegenwart eines

bestimmten Schadensmechanismus auftritt, aber durch eine andere Ursache ausgelöst wurde.

Bei Ermüdungsrissen können dies verschiedene Formen der Alterung sein (siehe Diagramm

in Abb. 1).

Allerdings werden in den meisten Dichtungsanwendungen jegliche Art von Rissen als eine

Vorstufe zu einem Ausfall und damit als erhebliches Sicherheitsrisiko eingestuft.

3.3 Abgrenzung zu ähnlichen Schadensbildern

Ermüdungsrisse ähneln Ozonrissen (Abb. 9) und sind – wie bereits oben mehrfach beschrie-

ben – eng mit diesen verbunden.

Abb. 9: Ozonrisse an einem statisch vorgedehnten Fal-tenbalg aus einem BR/IR-Elastomer

Auf den ersten Blick könnte man auch Risse durch chemischen Angriff (Abb. 10) mit Ermü-

dungsrissen verwechseln. Ein chemischer Angriff verursacht aber nicht zwangsläufig orien-

tierte Risse, die senkrecht zur Spannung sind. Diese Art von Rissen kann großflächig verteilt

sein, eben auf alle Bereiche, welche mit dem kritischen Kontaktmedium in Berührung kamen.

Abb. 10: Flächige Risse in-folge chemischen Angriffs (Vergrößerung 30-fach, Probe leicht gedehnt, daher trotzdem mit leichter Orien-tierung)

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Eine Untersuchung von EDMOND et al. aus dem Jahr 2003 befasste sich mit Ermüdungsprü-

fungen an Elastomeren, um Vorhersagen zur zyklischen explosiven Dekompression zu ma-

chen. Sie verglichen die Bruchflächen von Probekörpern aus Ermüdungsprüfungen (durchge-

führt mit einem Instron Prüfgerät) mit Bruchflächen von Dichtungen, welche nach mehrfachen

explosiven Dekompressionen ausgefallen waren und konnten eine Ähnlichkeit zwischen bei-

den Bruchflächen feststellen. „Dies bestätigt die Annahme, dass Ermüdung ein wesentlicher

Versagensmechanismus in Situationen mit zyklischen explosiven Dekompressionen ist.“109

Auch wenn der Schadensmechanismus eine Materialermüdung ist, so werden dennoch solche

durch Gase verursachten Schäden unter dem Mechanismus der Explosiven Dekompression

geführt, da man über diese Einordnung am schnellsten zu einer Problemlösung und -behe-

bung kommt. Zudem tritt der Schadensmechanismus der explosiven Dekompression teilweise

auch als Gewaltbruch auf, das heißt bereits nach einem Zyklus.

4. Präventionsmaßnahmen

Wie oben dargestellt, können spezielle Polymereigenschaften und Details in der Rezepturge-

staltung (Alterungsschutzmittel, Füllstoffe) die Resistenz gegenüber Ermüdungsrissen erheb-

lich beeinflussen. Daher ist es bei komplexen Beanspruchungen im Grenzbereich der Leis-

tungsfähigkeit von Elastomeren zur Vermeidung von Ermüdungsrissen unabdingbar mit Dich-

tungslieferanten zusammenzuarbeiten, welche die Rezepturkonstanz auch sicherstellen kön-

nen. Das setzt in der Regel eine eigene Werkstoffentwicklung und die Herstellung der Mi-

schung im eigenen Haus voraus. Darüber hinaus ist es für Freigabeversuche wichtig, die Prüf-

bedingungen bis ins Detail zu spezifizieren, um reproduzierbare Bedingungen abzusichern.

Seitens des Anwenders sollten auch ausreichende Möglichkeiten vorhanden sein, die ange-

lieferten Dichtungen bzw. Gummiteile analytisch (TGA und FTIR) und physikalisch (Zugver-

such und DMA) mit dem Freigabemuster zu vergleichen.

Bei komplexen Elastomerbauteilen ist es hilfreich FEM-Berechnung in der Konstruktionsphase

zu erstellen, um maximale Spannungszustände in den Bauteilen zu lokalisieren und gegebe-

nenfalls durch konstruktive Änderungen zu eliminieren.

5. Praxistipps (Prüfmöglichkeiten / Normempfehlungen)

Die Prüfung der Ermüdungsbeständigkeit von Elastomeren ist ein sehr weites Feld und hat

eine lange Tradition. In der frühen Literatur werden sie u.a. als „Hin- und Herbiegeversuche“110

beschrieben, die jedoch noch nicht genormt waren.

Mit der rapiden Zunahme der Kraftfahrzeuge und dem damit erhöhten Bedarf an Reifen, wur-

den genormte Prüfverfahren immer notwendiger. In der Ermüdungsbeständigkeitsprüfung von

109 EDMOND, K.; HO, E.; FLITNEY, R.; GROVES, S.; EMBUURY, P.; RIVEREAU, J.-M.: Elastomer fatigue testing for explosive decompression cycling prediction, 17th International conference on fluid sealing (Tagungsband), York, BHR Group, 2003, S. 249 110 MEMMLER, K. Handbuch der Kautschukwissenschaft, Verlag von S. Hirzel. Leipzig, 1930, S. 660 f.

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Elastomeren hat sich eine Vielzahl von Methoden entwickelt. Bereits 1951 wurden schon 19

dynamische Prüfverfahren in einer US-amerikanischen Veröffentlichung genannt.111 112

5.1 Klassifizierung der üblichen Ermüdungsprüfungen für Gummi

Die Prüfungen lassen sich anhand der gängigen Normen in drei Gruppen unterteilen113:

1. Biegeprüfung (engl. „Flex cracking“):

• ISO 132 (2017-07): Rubber, vulcanized or thermoplastic – Determination of flex

cracking and crack growth (De Mattia)

• ASTM D430 (2006, reapprov. 2018) Standard Test Methods for Rubber Deteri-

oration – Dynamic Fatigue

und Risswachstum (engl. „Cut growth“)

• ISO 133 (1983) ersetzt durch ISO 132

• ASTM D813 (2007, reapprov. 2019): Standard Test Method for Rubber Deteri-

oration – Crack Growth

• ASTM D1052 (2009, reapprov. 2019): Standard Test Method for Measuring

Rubber Deterioration – Cut Growth Using Ross Flexing Apparatus

2. Flexometerprüfung (engl. „Flexometer testing“)

• ISO 4666-1 (2010-10): Rubber, vulcanized – Determination of temperature rise

and resistance to fatigue in flexometer testing – Part 1: Basic principles

• ISO 4666-2: Part 2: Rotary flexometer zurückgezogen

• ISO 4666-3 (2016-11): Rubber, vulcanized – Determination of temperature rise

and resistance to fatigue in flexometer testing – Part 3: Compression flexometer

(constant-strain type)

• ISO 4666-4 (2018-09): Rubber, vulcanized - Determination of temperature rise

and resistance to fatigue in flexometer testing – Part 4: Constant-stress flexo-

meter

• ASTM D623 (2007, reapprov. 2019): Standard Test Methods for Rubber Prop-

erty – Heat Generation and Flexing Fatigue In Compression

3. Ermüdungsprüfung unter Zugbeanspruchung (engl. „Tension fatigue“)

• ISO 6943 (2017-08): Rubber, vulcanized – Determination of tension fatigue

Bei den Biegeprüfungen ist eine Vielzahl von Variationen auf dem Markt, da viele Anwender

von Elastomeren jeweils den eigenen Anwendungsfall möglichst exakt nachstellen wollten. Am

bekanntesten sind wohl die folgenden drei Geräte: Die Knickermüdung nach DeMattia ist die

in Europa am meisten verbreitete Methode und wird deswegen im Folgenden (Kap. 5.3) noch

detaillierter dargestellt.

In der DuPont-Kettenermüdungsmaschine werden einzelne Elastomerproben zu einer endlo-

sen Kette zusammengefügt. Die Probekörper weisen unterschiedliche Rillen auf. Die Kette

111 MARVIN, R.S.: Report of Standards on the Cooperative Program on Dynamic Testing. April 1951 in: Ind. Eng. Chem. 44, 1952, S. 696 zitiert in: SPÄTH, Wilhelm: Beiträge zur Technologie der Hochpolymeren: Gummi und Kunststoffe, A.W. Gentner Verlag, Stuttgart, 1956, S. 153 112 Eine gute Übersicht findet sich unter: BUIST, J.M. und WILLIAMS, G.E.: A Review of the Mechanism of Flex-Cracking and Flex-Cracking Tests -I in: India Rubber World, n3 June 1951, S. 320-322 und n4 July, 1951, S. 447-449 und S. 567ff. 113 Vgl. SMITH, Len: The Language of Rubber, Butterworth Heinemann, Oxford, 1993, S. 58

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wird mit einem Motor über eine bestimmte Anzahl von Rollen angetrieben. Durch die spezielle

Anordnung der Rollen bekommt man bestimmte Biegungen der Probekörper.

In der Flipper-Maschine werden Probekörper in eine sich drehende Scheibe eingespannt. Bei

der Drehung dieser Scheibe schlagen die Probekörper an eine drehbare Rolle und werden

dabei geknickt (Knickermüdung).

Im British Standard 903 von 1950 wird die damalige Anwendung und Zuordnung dieser drei

schon damals länger eingesetzten Prüfmethoden gut beschrieben: „Es ist vorzuziehen, die

Maschine zu verwenden, die die Betriebsbedingungen am besten simuliert (z.B. die DeMattia-

Maschine für Reifenlaufflächen und Seitenwände, die DuPont-Maschine für ein Antriebs- oder

Förderband und die Flippermaschine für Schuhe).“114

Flexometer arbeiten mit Kompressionbeanspruchung oder Rotationsscherbeanspruchung

bzw. einer Kombination aus beidem, die zyklisch auf den zylindrischen Probekörper aufge-

bracht wird. Eine wichtige damit ermittelte Kenngröße ist der Zermürbungswiderstand eines

Werkstoffes. Durch eine vorgegebene dynamische Beanspruchung entsteht im Inneren des

Elastomers eine starke Erwärmung. Kann diese nicht abgeführt werden, kommt es zu einer

Zerstörung des Elastomers im Inneren (Zermürbung). Mit Hilfe der ISO 4666 kann eine Le-

bensdauer ermittelt werden. Sie „ergibt sich aus der Laufzeit bis zum Beginn der Zerstörung

des Prüfkörpers, sie wird als Bruchschwingzahl angegeben. Das Auftragen der Beanspru-

chungsamplitude gegen den Logarithmus der Bruchschwingzahl ermöglicht die Erstellung ei-

ner Wöhler-Kurve.“115

5.2 Kritik an Ermüdungsprüfungen und Empfehlungen zur Werkstoffauswahl

Bei den Biegemethoden besteht das allgemeine Problem, dass die auftretenden Dehnungen

nicht exakt definiert werden können. Bei zyklischen Prüfungen unter einfacher Zugbeanspru-

chung (siehe Kap. 5.4) kann dieses Problem einfach gelöst werden.116 Diese Methodik zielt

auf den bruchmechanischen Ansatz ab und ist auch aus solchen Überlegungen heraus ent-

standen.

Hinzu kommt, dass in der Realität die meisten Spannungszustände viel komplexer als in den

klassischen Versuchen zu Rissentstehung und -wachstum sind. „Mit vielen dieser [Biege-]

Testmethoden sind mehrere Nachteile verbunden. Das Hauptproblem ist die Schwierigkeit, die

Biegebelastung/-spannung zu kontrollieren, die mit dem Modul des Elastomers variieren kann.

Daher können irreführende Ergebnisse erzielt werden, da die Ermüdungslebensdauer von

Gummi sowohl von der Größe als auch von der Art der angewandten Dehnung abhängt. Dies

erklärt zum Teil, warum Ergebnisse, die im Labor z.B. mit der de Mattia-Prüfmaschine erzielt

wurden, selten mit der Leistungsfähigkeit in der Anwendung korrelieren.“117

Es stellt sich die Frage auf welcher Grundlage ein Anwender von Elastomerbauteilen Werk-

stoffe auswählen soll, um den rissbeständigsten für seinen Einsatz zu finden. ELLUL empfiehlt

„die experimentelle Bestimmung der Wachstumsrate von Ermüdungsrissen über einen breiten

Bereich von Reißenergien. Eine Beziehung zwischen Risswachstumsrate und Ermüdung kann

114 British Standard 903: Part 26 : Section26.1 1950 in: BRITISH STANDARDS INSTITUTION (Ed.): British Standard Methods of Testing Vulcanized Rubber, London, 1950, S. 167 115 RÖTHEMEYER, Fritz und SOMMER, Franz: Kautschuktechnologie, Hanser Verlag, München, 2001, S. 508f. 116 Vgl. BROWN, Roger: Physical Testing of Rubber, Springer Verlag, 4. Aufl., 2006, S. 249f. 117 ELLUL, Maria D.: Mechanical Fatigue in: GENT, Alan N. (Ed.): Engineering with Rubber, Carl Hanser Verlag, München, ³2012, S. 165 mit Verweis auf BROWN, Roger: Physical Testing of Rubber, Applied Science Publishers, London, 1979, S. 214-223

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dann leicht hergestellt werden. Ein Praktiker sollte bruchmechanische Tests verwenden, um

die Empfindlichkeit gegenüber Belastungsniveaus zu charakterisieren, und er sollte Versuche

zu rissauslösenden Fehlstellen verwenden, um initiale Fehlstellen zu charakterisieren.“118

5.3 Prüfgerät nach DeMattia

Da dieses Prüfgerät relativ verbreitet ist, soll es stellvertretend für die vielen anderen älteren

Prüfmethoden zur Rissbeständigkeit von Elastomeren näher erläutert werden. Die Anfänge

des DeMattia119 Prüfgerätes gehen bis in die 1920/30er Jahre zurück. Die Erstausgabe einer

ASTM-Norm zu diesem Prüfgerät stammt aus dem Jahr 1935 (ASTM D430-35T, first approved

28th September 1935120), im Jahr 1944 kam die ASTM D 813 (first approved 13th December

1944121) hinzu.

Ursprünglich wurde das DeMattia-Gerät v.a. für die Prüfung von Reifenlaufflächen und -sei-

tenwänden122 eingesetzt. Mit diesem Apparat können Dauerknickversuche durchgeführt wer-

den, die eine Aussage über die Beständigkeit gegen Rissbildung geben. Das Prüfverfahren ist

auch in der ISO 132 genormt. Diese ISO Norm ersetzte die DIN 53522, die mehrere Teile

umfasste, welche Anfang 1960 zum ersten Mal herausgegeben wurden.123 Die Probekörper

haben eine Größe von 150 x 25 x 6,3mm und besitzen eine querlaufende Nut mit einem Radius

von 2,38mm. In dieser Nut konzentriert sich die Spannung und deshalb beginnt in der Regel

dort der Riss. Durch Stauchen wird der Probekörper im Bereich der Nut geknickt, üblicherweise

300mal pro Minute (5 Hz). Der maximale Abstand zwischen den Einspannungen beträgt

75mm, der maximale Hubweg 57mm. Es gibt 6 unterschiedliche Rissklassen. Es wird die An-

zahl der Verformungszyklen notiert, sobald die ersten Risse auftreten. Nach verschiedenen

Unterbrechungen läuft die Prüfung weiter, wobei immer wieder das Rissbild bewertet und zu-

sammen mit der Zyklenanzahl notiert wird. Nach ISO 132 ist für die Bewertung die Länge des

größten Risses ausschlaggebend, die Tiefe des Risses fließt nicht in die Bewertung ein. Ein

Hauptproblem ist die Bewertung des Rissbildes, welche stark vom jeweiligen Prüfer und seiner

Einschätzung abhängt. „Die Beurteilung anhand eines Standardsatzes von Fotografien ist nur

dann sinnvoll, wenn der zu prüfende Gummi dem gleichen Muster folgt wie der abgebildete.“124

118 Ebd., S. 166 119 Wie öfters in der Elastomerprüfung liegen die Anfänge dieses Verfahrens bzw. sein(e) Erfinder im Dunkeln. Bisherige Recherchen des Autors legen nahe, dass das Prüfgerät im Umfeld der US-amerikanischen Reifenindustrie entwickelt und zuerst eingesetzt wurde. Es könnte einen Zusammenhang mit den Erfindern Barthold und Peter DeMattia geben, von denen ab den 1910er Jahren Patente u.a. zur Reifenherstellung erhalten sind (z.B. https://patents.google.com/?inventor=Mattia+Barthold+De ) In Gerichtsakten aus dem Jahr 1941 (vgl. https://cite.case.law/f-supp/38/260/ ) tauchen die Firmen DeMattia Brothers, Inc. und die De Mattia Foundry & Machine Company auf. Am 1. April 1928 erwarb die National Rubber Machinery Co. den gesamten Grundbesitz, alle Vermögenswerte, das Geschäft und den Firmenwert der DeMattia Firmen. (https://books.google.de/books?id=tlkdAQAAMAAJ&pg=PA344&lpg=PA344&dq=Barthold+and+Peter+DeMattia&source=bl&ots=qbQkuM0ose&sig=ACfU3U3XjUEiQkDWDlfLGE0ZES970YSMlw&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjYs-Xl7u3qAhUELewKHUlaC-kQ6AEwAXoECAoQAQ#v=onepage&q=Barthold%20and%20Peter%20DeMattia&f=false , siehe S. 341) Nachfolger der National Rubber Machinery Co. ist die Firma „McNeil & NRM Inc.“ (http://www.mcneilnrm.com/index.htm), die jedoch keine Informationen mehr zu den DeMattia Firmen besitzt. Eventuell wurde dieses Prüfgerät bereits in den 1920er Jahren in einer dieser oben genannten DeMattia Firmen entwickelt und/oder gebaut bzw. von Barthold und Peter DeMattia entwickelt. 120 E-Mail Mitteilung von ASTM.org vom 03.08.2020 121 E-Mail Mitteilung von ASTM.org vom 03.08.2020 122 Vgl. British Standard 903: Part 26 : Section26.1 1950 in: BRITISH STANDARDS INSTITUTION (Ed.): British Standard Methods of Testing Vulcanized Rubber, London, 1950, S. 167 123 E-Mail Mitteilung des Beuth-Kundenservices vom 09.08.2020 124 BROWN, Roger: Physical Testing of Rubber, Springer Verlag, 4. Aufl., 2006, S. 248

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Außerdem werden an dieser Prüfmethode undefinierte Oberflächendehnungen und lange

Prüfzeiten kritisiert.125

5.4 Tear and Fatigue Analyzer (TFA), System Bayer-Coesfeld

Im Jahr 1992 wurde in der Zeitschrift KGK126 der Tear Analyzer (heute meist als „Tear and

Fatigue Analyzer (TFA)“ bezeichnet) erstmalig vorgestellt. Es handelt sich um eine Entwick-

lung der damaligen Bayer AG in Zusammenarbeit mit dem Prüfgerätehersteller Coesfeld.

Er lässt sich keiner der in Kap. 5.1 genannten Prüfnormen zuordnen. Nach Aussage der Fa.

Coesfeld kann man den TFA am ehesten der ISO 27727 (2008-09: Rubber, vulcanized – Mea-

surement of fatigue crack growth rate) zuordnen. Diese Norm lässt aber an einigen Stellen zu

viele Freiräume und wird daher nicht als Prüfnorm empfohlen.127 Mit Hilfe des TFA lassen sich

differentielle Wachstumsraten von Rissen in dynamisch belasteten Elastomeren ermitteln. Das

Gerät zeichnet sich durch die vielen möglichen Parametervariationen aus (Prüfung bei unter-

schiedlichen Temperaturen oder Gasen (Luft oder N2), auch mit erhöhter Ozonkonzentration).

Es können Prüffrequenzen von 0,1 bis 50 Hz bei Dehnungsamplituden von bis zu 50 mm rea-

lisiert werden. Der TFA misst die Anzahl der Belastungszyklen, die Risskonturlänge, Kraft- und

Spannungsmaximum und erstellt ein Videoaufnahme der Rissentwicklung. Das Gerät kontrol-

liert die Dehnung, das Kraft- und Dehnungsminimum und die Temperatur der Prüfkammer. Als

Ergebnis erhält man die gesamte, die elastische und die dissipierte Energiedichte, die Riss-

länge und die Risswachstumsrate.128 Daraus lässt sich ein sogenannter Paris-Erdogan-Plot129

erstellen, „welcher das Material anwendungs- und geometrieunabhängig charakterisiert.“130

„Das Risswachstum als Funktion der elastischen Energiedichte ermöglicht quantitative Ver-

gleiche von Vulkanisaten unterschiedlicher Alterungs- und Ermüdungsbeständigkeit, Einfluss

von Vernetzungssystemen (…), Alterungsschutzmitteln, Polymermodifikationen, Verschnit-

ten.“131

125 Vgl. HÄRTEL, V., SCHREIBER, F. und THEISEN, D.: Kurz- und Langzeitprüfungen von Werkstoffen bzw. Bauteilen und die Korrelation zur Praxis in: KGK-Kautschuk Gummi Kunststoffe, 40. Jg., Nr. 7, 1987, S. 659 126 EISELE, U.; KELBCH, S. und ENGELS, H.-W.: The tear analyzer: a new tool for quantitative measurements oft he dynamic crack growth of elastomers in: Kautschuk Gummi Kunststoffe KGK, 45, S. 1064-4069, 1992 127 E-Mail Mitteilung von Dr. Christian Kipscholl, Geschäftsführer der Coesfeld GmbH & Co. KG vom 31.07.2020 128 Vgl. COESFELD Materialtest (Hrsg./ Firmenschrift): Tear Analyser System Bayer, S: 5 PDF-Dokument online verfügbar, zuletzt abgerufen am 03.08.2020: http://products.coesfeld.com/WebRoot/WAZ/Shops/44402782/5238/4E95/81BE/D2E4/ECD2/D472/521A/7669/61-471-..._TA_ProdInf_engl.pdf 129 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Paris%27_law 130 E-Mail Mitteilung von Dr. Christian Kipscholl, Geschäftsführer der Coesfeld GmbH & Co. KG vom 31.07.2020 131 SCHNETGER, Jochen: Lexikon der Kautschuktechnik, Beuth-Verlag, 3. Auflage, 2004, S. 521 (Schlagwort: Tear Analyser)

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Abb. 11: Risswachstumsrate in Abhängigkeit der Energiefreisetzungsrate: Mit dem TFA wird v.a. der mittlere Bereich der Kurve erfasst, während der relativ neue ISA den Rissbeginn analysiert. Bild: Coesfeld GmbH & Co.KG

Seit kurzem wird der TFA durch ein weiteres Gerät ergänzt, den „Intrinsic Strength Analyser“

(ISA), „welches die gezielte und zeiteffiziente Messung der kleinsten risstreibenden Energie

(Endurance Limit, [siehe Abb. 11]) ermöglicht. Dieser Wert ist als Einzelwert interessant, da

unterhalb des Endurance Limit gar kein Risswachstum stattfinden kann. Dieser Wert kann mit

dem TFA nur zeitaufwendig ermittelt werden.“132 Dieses Prüfgerät wurde ebenfalls von der Fa.

Coesfeld in Zusammenarbeit mit Endurica LLC133 entwickelt.

5.5 Einsatz von industrieller Computertomografie

Bei kritischen Schadensfällen ist auch eine Detektierung von Fehlstellen im Elastomer mit Hilfe

von industrieller Computertomografie möglich. Im Gegensatz zur klassischen Mikroskopie las-

sen sich mit der CT große Volumina prüfen und diese Prüfmethode hat somit eine „höhere

Repräsentativität im Falle sehr seltener großer Fehlstellen.“134

6. Sonstiges

Dieser Artikel erscheint in einer Kurzfassung in der Zeitschrift DICHT!, Ausgabe 03/2020.

Link zu den Digitalausgaben dieser Zeitschrift:

https://dichtdigital.isgatec.com/de/profiles/1d1042c9c353/editions

132 E-Mail Mitteilung von Dr. Christian Kipscholl, Geschäftsführer der Coesfeld GmbH & Co. KG vom 31.07.2020 133 Siehe auch Kurzinformation zu ISA: https://endurica.com/getting-a-quick-read-on-durability-with-the-intrinsic-strength-analyser/ (Webseite zuletzt abgerufen am 03.08.2020) 134 GIESE, Ulrich: Aufklärung ermüdungs- und schädigungsrelevanter Mechanismen bei dynamisch belasteten technischen Gummiwerkstoffen, Schlussbericht zum AIF IGF-Vorhaben Nr. 15694 N, Hannover, 2011, S. 55


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