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Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln Einführungsseminar WS 2004/05 Lioba Lenhart...

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Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln Einführungsseminar WS 2004/05 Lioba Lenhart 17.11. und 22.11.2004 10. und 11. Sitzung: Ethnologische Theorien
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Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln

Einführungsseminar WS 2004/05Lioba Lenhart

17.11. und 22.11.2004

10. und 11. Sitzung: Ethnologische Theorien

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17. und 22.11.2004 Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Ethnologische Theorien

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Peoples & Bailey, Kapitel 5: „The De- velopment of Anthropological Thought“Themen:

(1) Theoriebegriff und Theorienentwicklung im Überblick

(2) Evolutionismus(3) Diffusionismus(4) Historischer Par-

tikularismus(5) Kultur- und Persön- lichkeitsforschung

(6) Funktionalismus (7) Strukturalismus (8) Neoevolutionismus (9) Neomarxismus(10) Kulturmaterialismus(11) Symbolische/Inter-

pretative Ethnologie(12) Postmoderne Eth-

nologie

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(1) Theoriebegriff und Theorien-entwicklung im Überblick

Theorie• umfasst Aussagen, die über die Beschreibung eines Einzelfalls

hinausgehen - ist vom Einzelfall abstrahierte und systematisierte Erkenntnis;

• ist ein System von Begriffen, Definitionen und Aussagen, um Erkenntnisse über einen Bereich von Sachverhalten zu ordnen, Tatbestände zu erklären und wissenschaftlich begründete Prognosen zu treffen.

Theoriebegriff der Kultur- und Sozialwissenschaftenzu unterscheiden sind• Theorien, die sich auf begrenzte Bereiche beziehen und begrenzte

raum-zeitliche Gültigkeit beanspruchen Theorien mittlerer Reichweite;

• Theorien, die möglichst keine raum-zeitlichen Beschränkungen enthalten, sondern Hypothesen formulieren, die den Charakter von Gesetzeshypothesen besitzen (analog den Naturwissenschaften) formale Theorien.

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… Theoriebegriff

• In der Ethnologie dominieren Theorien mittlerer Reichweite.

• Von einem Teil der Fachvertreter/innen werden aber ebenfalls formale Theorien angestrebt.

• Andere bezweifeln hingegen, dass sich menschliches Verhalten analog den naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten verallgemeinern lässt und fragen, ob nicht vielmehr historische Kontexte, situative Bedingungen, individuelle und andere Faktoren diesem Ansinnen zuwiderlaufen.

In den nächsten 5 Minuten bitte über beide Positionen nachdenken, diese mit den unmittelbaren Banknachbar/innen diskutieren und eine diesbezügliche Stellungnahme formulieren.

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… Theoriebegriff

Ethnologische Theorien

• beinhalten kein an allen Stellen lückenlos begründetes, analog naturwissenschaftlichen Standards formulierbares Gebäude aus Axiomen und Gesetzen;

• sind eher ein Denkrahmen, oft auch Paradigma oder Forschungs-ansatz genannt, der folgende charakteristischen Elemente enthält:

• zu klärende Fragen,• Grundkonzepte,• Annahmen über Zusammenhänge,• Methoden, um die gestellten Fragen zu klären,• beispielhafte Anwendungsfälle.

Hiermit beschäftigen wir uns noch detailliert in einer der folgenden

Seminarsitzungen: Seminarsitzung zur Wissenschaftstheorie.

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Theorieentwicklung in der Ethnologie

Die Ethnologie etablierte sich als wissenschaftliche Disziplin ab der

zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie zeichnet sich seit ihrem

Entstehen durch eine Theorienvielfalt aus.

• Manche der älteren ethnologischen Theorien sind heute noch aktuell, andere gelten als überholt bzw. sind in neuere Theorien eingeflossen.

• Die Kenntnis der wichtigsten Theorien ist trotzdem nötig, umden Stand und die Anliegen der heutigen Ethnologie besser zu

verstehen,

alte Irrwege nicht noch einmal zu beschreiten.

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… Theorieentwicklung in der Ethnologie

• Im Lehrbuch von Peoples und Bailey werden die ethnologischen Theorien chronologisch - als Ideengeschichte - präsentiert.

• Andere Möglichkeiten der Präsentation sind denkbar:

• z. B. nach heutiger wissenschaftlicher Relevanz;

• oder nach den Bereichen, mit denen sich die jeweiligen Theorien bevorzugt beschäftigen.

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Theorienentwicklung im Überblick

im Folgenden betrachtete

theoretische Ansätze:

• 19. und frühes 20. Jahr- Unilinearer Evolutionismus,hundert Diffusionismus

• Anfang bis Mitte des Historischer Partikularismus,20. Jahrhunderts Kultur- und Persönlichkeits-

forschung,Funktionalismus,Strukturalismus,Neoevolutionismus

• spätes 20. Jahrhundert Neomarxismus,bis heute Kulturmaterialismus,

Symbolische/Interpretative

Ethnologie,Postmoderne

Ethnologie

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(2) Unilinearer Evolutionismus

erster umfassender theoretischer Ansatz, bestimmte von 1850-1900 die ethnologische Forschung in Großbritannien und den USA (war aber nicht auf die Ethnologie alleine beschränkt!)

Fokus: Entwicklung aller Kulturen vom Einfachen zum Komplexen im Durchlaufen derselben Stadien der Entwicklung

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Entwicklung des Evolutionismus: Hintergrund

Die Ethnologie etablierte sich als wissenschaftliche Disziplin ab derzweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Im 19. Jahrhundert entstanden• erste wissenschaftliche Gesellschaften (um die Jahrhundertmitte),• erste Lehrstühle (kurz vor der Jahrhundertwende).

Das ethnologische Interesse wurde ausgelöst durch• prähistorische Funde,• Kontakte mit und Berichte über außereuropäische, meist

kolonialisierte Kulturen, die sich sehr stark von euroamerikanischen Gesellschaften unterschieden.

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Entwicklung des Evolutionismus: Hintergrund

Zuvor war die Entwicklung menschlicher Kultur wesentlich in Bezugnahme auf die Bibel begründet worden, z.B. Degenerationstheorie: Annahme, dass „Naturvölker“ auch Kinder

Gottes wären, die allerdings im Laufe der Zeit von einem höheren Stadium der Kulturentwicklung zurückgefallen und unter den Einfluss des Teufels geraten wären.

Dieser Erklärungsrahmen wurde durch naturwissenschaftliche Entdeckungen erschüttert:• In den Naturwissenschaften wurde bis 1800 (ebenfalls auf der

Grundlage der Bibel: Altes Testament) geringes Erdalter und simultane Schöpfung der vorhandenen Arten angenommen;

• dann aber:• Entdeckung der Gleichförmigkeit und Langsamkeit

geologischer Prozesse durch Hutton und Lyell (Uniformitarismus) Nachweis, dass die Erde nicht , wie die Bibel angibt, nur einige tausend Jahre alt ist.

• Fossilienfunde.

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… Entwicklung des Evolutionismus: Hintergrund

Auf Basis dieser Erkenntnisse formulierte Charles Darwin seine

Evolutionstheorie („On the Origin of Species“, 1859), die mit den

„Schöpfungstheorien“ im Widerspruch steht:

• die vorhandenen Arten haben sich sehr langsam per Mutation/Variation-Selektion-Reproduktion aus älteren Arten und letztendlich aus einer gemeinsamen Wurzel entwickelt;

• die Selektion wird durch Erfolg der Anpassung (fitness) an Lebensräume bestimmt.

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Evolutionismus in der Ethnologie des 19. Jahrhunderts

Darwins Ansatz wurde auf Kultur übertragen, in Bezugnahme auf die Vielfalt der zeitgenössischen und (prä-)historischen Kulturen:

Verschiedene Kulturen stehen demnach auf unterschiedlichen Stufen in einem vorgegebenen Entwicklungsprozess;

gegenwärtige „primitive“ Kulturen (z.B. Australier) sind Repräsentanten („survivals“) älterer Stufen der Evolution, die abendländische europäische und US-amerikanische Kultur stellt das vorläufig höchstmögliche Stadium der kulturellen Entwicklung dar;

„primitive“ Völker befinden sich auf einer früheren Stufe der Evolutionsleiter, sind aber nicht prinzipiell anders als die „zivilisierten“ Völker: der Entwicklungsprozess verläuft für alle Kulturen in gleicher Weise.

Die Unterteilung der Entwicklungsstufen erfolgte auf der Grundlage von technologisch-ökonomischen und geistigen Merkmalen.

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Lewis Henry Morgan: Kriterium der technologischen Innovationen

Der US-Amerikaner Lewis Henry Morgan formuliert in seinem Buch „Ancient Society“ (1877) Entwicklungsstufen, die sich über technologische Fähigkeiten definieren und die jeweils vorhergehende voraussetzen.

Lewis Henry Morgan

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Entwicklungsstufen nach Morgan

Morgan unterschied drei Stufen, von denen sich zwei in weitere Stadien untergliedern: Wildheit, Barbarei, Zivilisation

Technologische Innovation Entwicklungsstadium / -stufe

– lower savageryFeuer middle savagery

WildheitPfeil und Bogen upper savageryTöpferei lower barbarismDomestikation von Pflanzen und Tierenmiddle barbarism BarbareiEisen upper barbarismSchrift civilization

Zivilisation

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Edward B. Tylor: Kriterium der Religion

Der Brite Edward B. Tylor formulierte in seinem Buch „Primitive Culture“ (1871) Entwicklungsstufen, die sich über geistige, nämlich religiöse Vorstellungen definieren und die jeweils vorhergehende voraussetzen.

[In der Einleitung von „Primitive Culture“ findet

sich seine berühmte Definition von Kultur vgl. Sitzung

vom 20.10.2004]

Edward Tylor

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Entwicklungsstufen nach Tylor

Tylor problematisierte im Zusammenhang mit der Entwicklung von religiösen Überzeugungen folgende Phänomene:

• Unterschied zwischen einem Lebenden und einem Toten, • Ursprung der Bilder, die Menschen in ihren Träumen, in

Trancezuständen und während Visionen sehen.

Die diesbezgl. Fragen lagen der Entstehung des Animismus zugrunde, aus dem sich dann weitere Stufen herauskristallisierten.

Stufen:Animismus Polytheismus Monotheismus.

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… Entwicklungsstufen nach Tylor

• Animismus – Vorstellung von der beseelten Welt:Basis: Erfahrung des Todes und Träume von TotenAnnahmen:Menschen haben eine Seele; wenn diese den Körper verlässt, stirbt der Mensch.Die Dinge, die man in Träumen und während Trancezuständen sieht, sind existent, sie sind nicht Produkt von Imagination.Menschen träumen von Toten; alle Trauminhalte sind real und das bedeutet in dem Kontext, dass die Welt voller Totenseelen / Totengeister ist.

• Polytheismus – Entstehung des Glaubens an viele GötterPolytheismus ist das Ergebnis der Herausbildung von Hierarchien einzelner dieser Seelen/Geister, deren Spitzen dann Götterstatus haben (Sonnengott, Mondgott usw.).

• Monotheismus – Entwicklung der Dominanz nur einen Gottes:Dieser verdrängt alle anderen, die zu „falschen Göttern“ erklärt werden.

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James Frazer: Kriterium der Religion

Der Brite James Frazer argumen-tiert wie Tylor, allerdings schiebt er zwischen Animismus und Poly-theismus noch die Entwicklungs-stufe des Totemismus ein:

• Totemismus ist die rituelle Identifikation einer Verwandtschafts- oder anderen Gruppe mit einem Schutztier/-wesen.

James Frazer

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Unilinearer Evolutionismus: KritikDie Annahmen des Evolutionismus wurden in der Folgezeit empirisch widerlegt.

bzgl. Annahme der Stufenfolge: Es gibt z. B. Kulturen ohne Töpferei, die aber die - laut Morgan

höher stehende - Domestikation von Pflanzen und Tieren kennen und praktizieren.

bzgl. Auswahl der Stufenkriterien: Diese sind willkürlich: die australischen Aborigines wären laut

Morgan „savages“, haben aber Verwandtschaftssysteme und Mythologie von kaum zu übertreffender Komplexität.

Stärken des Ansatzes:• die Betonung der psychischen/mentalen Einheit und damit

prinzipiellen Gleichheit der Menschheit („psychic unity of mankind“) anti-rassistisch!,• die Etablierung der komparativen Perspektive (Kulturvergleich) in der Ethnologie.

Schwächen des Ansatzes waren:• Die Hypothesen sind von der kolonialen Weltsicht geprägt,• ihnen fehlt eine abgesicherte empirische Basis,• Rekonstruktionen sind äußerst spekulativ.

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… Kritik:

Ein wesentlicher Grund für die Fehler der Evolutionisten lag in ihrer

spekulativen Datenbasis.

Die Evolutionisten waren mehrheitlich „Lehnstuhlethnologen“ (armchair anthropologists):

sie argumentierten auf der Basis von Berichten von Missionaren, Reisenden, Kolonialbeamten u. ä., die häufig keine oder nur geringe ethnologische Vorbildung hatten.

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… Kritik:

Der Eurozentrismus der Modelle entspricht der überzogenen euro-/US-

amerikanischen Selbsteinschätzung im Zeitalter der Industrialisierung und

des Kolonialismus;

aber nicht nur der Eurozentrismus macht sie falsch, sondern die faktischen Unstimmigkeiten !

!! Wichtig: alle heutigen Kulturen sind zeitgenössisch, keine von ihnen ist „lebendes Fossil“, „Steinzeitvolk“ oder ähnliches.

!! Vulgärevolutionismus mit eben solchen Annahmen ist außerhalb der Ethnologie heute leider noch häufig anzutreffen.

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… Kritik:

!! Merke: Der ethnologische Evolutionismus ist nicht

darwinistisch, denn:

• Kulturen sind keine Arten (können z. B. einzelne ihrer Elemente untereinander austauschen, was mit Genen nicht geht; Einzelmenschen können neue Kulturelemente übernehmen, aber nicht neue Gene);

• Darwin geht nicht von einer Stufenleiter mit bekanntem Endpunkt, sondern von einem sich ausfächernden Baum mit unbekannten Endpunkten aus;

• Evolutionismus folgt eher dem Ontogenese-Modell (Entwicklung des Individuums vom Säugling bis zum Erwachsenen) als dem Darwinschen Phylogenese-Modell (Entwicklung der Arten).

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(3) Diffusionismus

ca. 1900-1950, Großbritannien, Deutschland, Österreich

in Deutschland und Österreich auch als Kulturkreislehre bekannt

Fokus: Kulturelle Entwicklung durch Entlehnung/Übertragung von Kulturmerkmalen, die sich von bestimmten Zentren aus im Zuge von Kulturkontakt/Migration verbreitet haben

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Diffusionismus: Vertreter

Berühmte Vertreter:

in Großbritannien George Elliot-Smith, W.H.R. Rivers; in Deutschland Fritz Graebner, Leo Frobenius, Pater Wilhelm Schmidt

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Zentrale Thesen

• Ähnlichkeiten von Kulturen sind das Ergebnis von Diffusion (und nicht/nur in sehr seltenen Fällen Ergebnis unabhängiger, paralleler Erfindungen).

• Kulturen mit ähnlichen Merkmale haben sich ausgehend von wenigen kulturellen Zentren (z. B. altes Ägypten) verbreitet oder wurden von einer/mehreren anderen Kultur/en im Verlauf von historischen Wanderbewegungen übertragen/übernommen.

• Kulturen mit ähnlichrem kulturellen Inventar lassen sich zu Kulturkreisen zusammenfassen.

• Die Entwicklung verläuft keineswegs immer - wie im Evolutionismus behauptet – vom Einfachen zum Komplexen; es sind auch Rückschritte möglich.

• Aufgabe der Forschung ist, die Wanderwege auf der Basis des Kulturvergleichs zu rekonstruieren.

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Kritik:

Stärken des Ansatzes:• vergleichende Methode,• Problematisierung von Kulturkontakt/Migration und kultureller

Entlehnung,• Wandelaspekt: Veränderung von übertragenen/entlehnten

Elementen in neuer Umgebung, an die sie sich anpassten,• eigene Datenerhebungen im Zuge von Expeditionen.

Schwächen des Ansatzes:• Einseitigkeit: von Kulturkontakt unabhängige Innovationen sowie

Nicht-Entlehnung trotz Kulturkontakt werden ignoriert,• Rekonstruktionen von Wanderbewegungen sind spekulativ,• Bereitet Rassismus den Boden, da nur wenigen, vermeintlich

überlegenen Kulturen ein Entwicklungspotenzial zuerkannt wird.

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(4) Historischer Partikularismus

ca. 1900-1940, USA

Fokus: Einzigartigkeit jeder Kultur, die das Ergebnis einer spezifischen historischen Entwicklung ist.

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Historischer Partikularismus: Vertreter

Vertreter: Franz Boas und seine erste amerikanische Schülergeneration,

u.a. Alfred Kroeber, Robert Lowie und Edward Sapir.

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Zentrale Thesen:

Der historische Partikularismus entstand in Abkehr vom Evolutionismus, dessen Annahmen als spekulativ und willkürlich verworfen wurden.

Grundannahmen:Jede einzelne Kultur

• ist das Resultat einer besonderen Geschichte,• kann in ihrer historischen Entwicklung nur aus sich heraus

verstanden werden,• kann nur aus sich heraus bewertet werden (Kulturrelativismus). Folglich sind Vergleiche zwischen Kulturen und die Suche nach

kulturübergreifenden Gesetzmäßigkeiten problematisch.

• Für die ethnologische Forschung notwendig ist eine nicht-spekulative Datenbasis auf der Grundlage von Feldforschungen, die vergangene Zustände dokumentieren.

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Boas: Kritik des biologischen und sozialen Rassen-konzepts

• Ausgehend von anthropometrischen Untersuchungen bei Immigranten und deren Nachfahren wies Boas nach, dass individuelle Unterschiede größer sind als Rassenunterschiede und Intelligenzunterschiede nicht auf biologischen Unterschieden beruhen.

• Zudem betonte er, dass es aufgrund von Zwischenheiraten gar keine „reinen“ Rassen gibt und die Vermischung keine negativen Folgen zeitigt.

• Dies verband er mit folgender politischer Analyse und Forderung:

Ein grundlegendes Problem der US-amerikanischen und anderen Gesellschaften ist die soziale Schichtung aufgrund von rassischen Kriterien – ein Antagonismus, der ein Ende haben muss!

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Kritik:

Stärken des Ansatzes:• Der historische Partikularismus brachte die Vorstellungen der

kulturellen Vielfalt und des Kulturrelativismus in die ethnologische Diskussion ein.

• Wichtig waren zudem:• Insistieren auf Datenqualität: Fokus auf Empirie/breite Datenbasis

als Ergebnis von Feldforschungen,• Verbindung von Partikularismus und Holismus: Die detaillierte

Untersuchung spezifischer Gesellschaften muss der gesamten Bandbreite des kulturellen Verhaltens Rechnung tragen.

Schwächen des Ansatzes:• kein Kulturvergleich, keine kulturübergreifenden

Generalisierungen,• damit werden Möglichkeiten einer allgemeinen Kultur-

wissenschaft in Frage gestellt.

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Zusammenschau: Evolutionismus, Diffusionismus, historischer Partikularismus

Trotz aller Unterschiede:

Evolutionismus, Diffusionismus und historischer Partiku-larismus teilen das historische Interesse:

• Es geht um die Rekonstruktion geschichtlicher Werdegänge;• Dies gilt auch für den historischen Partikularismus:

Auch die Feldforschungen der historischen Partikularisten bezogen sich auf (vermeintlich) ursprüngliche, d. h. noch nicht durch Kolonialismus, Reservatsdasein u. ä. beeinflusste Zustände.

Ab etwa 1920Nun setzte sich eine synchrone Orientierung der ethnologischen Forschung stärker durch: man suchte nicht mehr so sehr nach den historischen Wurzeln, sondern konzentrierte sich auf die Gegenwart und die Faktoren, die rezente Kulturen zusammenhalten.

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(5) Kultur- und Persönlichkeits- forschung

bei Peoples und Bailey „configurationalism“

(eher unübliche Bezeichnung)

ca. 1930-1960, USA

Fokus: Prägung der Persönlichkeit durch Kultur

Das Aufwachsen in einer bestimmten Kultur prägt in entscheidender Weise die psychische Disposition einer Person, führt zu bestimmten kulturspezifischen Persönlichkeitstypen.

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Kultur- und Persönlichkeitsforschung

Die Forschung zu Kultur und Persönlichkeit setzt beim Individuum an.

Im Vordergrund stehen• der Prozess des Heranwachsens in einem spezifischen

sozialen/kulturellen Umfeld,• die damit einhergehende Entwicklung von persönlicher und

sozialer/kultureller Identität.

Auf dieser Basis werden Generalisierungen in Bezug aufkulturspezifische Persönlichkeitsstrukturen/-typen angestrebt.

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Vertreterinnen:

Ruth Benedict und Margaret Mead, USA

- waren beide Schülerinnen von Boas,

- waren beide auch außerhalb der Ethnologie äußerst bekannt und geschätzt.

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Ruth Benedict: Zentrale Thesen

Benedict fokussierte dominante kulturelle Muster und kultur-spezifische Persönlichkeitstypen.

Die Muster spezifischer Kulturen (fundamentale, verhaltensrelevante Ideen und Werte) unterscheiden sich.• Sie werden von ihren Mitgliedern im Prozess der Enkulturation und

aufgrund von Sanktionen im Falle gegenläufigen Verhaltens gelernt;• und sie wirken sich prägend auf ihre Persönlichkeit aus.

Trotzdem gibt es Variationen innerhalb einer Kultur abweichendes Verhalten:Devianz – für Benedict: Konflikt zwischen der individuellen Persön-lichkeit und den Werten einer Gesellschaft – nicht universellesPhänomen: Eine Person, die in einer Gesellschaft als deviant gilt, kann in einem anderen kulturellen Kontext hoch geachtet sein.

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Ruth Benedict: Kulturspezifische Persönlichkeitstypen

Unterscheidung gegensätzlicher Typen am Beispiel nordamerikanischer

Indianer:

• Apollonischer Typus: ruht in der Tradition, ist gemeinschafts-orientiert, zurückhaltend, beherrscht, bescheiden, maßvoll

Pueblo-Indianer: Zuňi, Hopi.

• Dionysischer Typus: sucht Grenzüberschreitung, ist egoorientiert, individualistisch, konkurrierend, exzessiv

Apachen und andere nordamerikanischen Indianer.

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Margaret Mead: Zentrale Thesen

Margaret Mead interessierte sich für die Art und Weise, in der das Kind Kultur erwirbt und den Einfluss von Kultur auf die Persönlichkeits-Entwicklung frühkindliche Sozialisation(Enkulturation.

In dem Zusammenhang untersuchte sie die Prägung der Persönlichkeit von Individuen durch kulturspezifische Sozialisationspraktiken unter anderem am Beispiel von heranwachsenden Mädchen in Samoaund interpretierte ihre Ergebnisse vor dem Hintergrund US-ameri-kanischer Sozialisationspraktiken:

Pubertät ist in Samoa wenig belastend, in den USA aber sehr wohl; Dies beruht nicht auf biologischen Faktoren, sondern hat kultur-

spezifische Ursachen.: In Samoa wachsen Jugendliche freizügig auf, während die Pubertät in westlichen Gesellschaften durch Stress, Rebellion und konfliktive Ablösung von den Eltern gekennzeichnet ist.

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Mead-Freeman-Kontroverse

Berühmte Kontroverse zwischen Margaret Mead und Derek Freeman über Adoleszenz in Samoa:

Laut Mead ist diese erstaunlich unproblematisch, was Freeman später anzweifelte.

Er wirft Mead vor, wichtige Aspekte der samoanischen Kultur ignoriert und ihre Kultur mit den Augen einer jungen US-amerikanischen, auf Emanzipation drängenden Frau idealisiert zu haben.

Allerdings hegte Freeman tiefe Ressentiments gegen Mead, die in seiner Kritik durchscheinen, welche er erst nach Meads Tod vorbrachte.

ME

AD

FR

EE

MA

N

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Kultur- und Persönlichkeitsforschung: Kritik

Stärken des Ansatzes:

• erstmalig systematische Untersuchung des Zusammenhangs von Kultur- und Persönlichkeit,

• Holismus,

• Kulturrelativismus.

Schwächen des Ansatzes:

• Teilweise mangelnde historische Einbettung der Fallbeispiele (Benedict),

• kein Kommentar zum Warum der Entscheidung für bestimmte kulturelle Merkmale und gegen andere und damit zum Entstehen der konstatierten Typen.

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(6) Funktionalismus

ca. 1920-1960, Großbritannien

Fokus: Betrachtung von Kultur als System, das sich idealer Weise im Gleichgewichtszustand befindet und in dem alle Teile miteinander verbunden sind; kulturelle Merkmale sollen im Hinblick auf ihre Funktion für das Wohlbefinden des Einzelnen bzw. ihres Beitrags zum Erhalt der Struktur der Gesellschaft erklärt werden.

Zwei Richtungen:

• Biopsychologischer Funktionalismus

• Strukturfunktionalismus

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Biopsychologischer Funktionalismus

Zentrale Thesen:

Kulturelle Merkmale können im Hinblick auf ihre Funktion für die Erfüllung der physischen und psychischen Bedürfnisse des Menschen erklärt werden.

Begründer und Vertreter:Bronislaw Malinowski

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… Biosychologischer Funktionalismus, Zentrale Thesen:

• Der Ausgangspunkt zur Erklärung von Kultur sind die Grundbedürfnisse (basic needs) des Einzelnen, z.B. Ernährung, Reproduktion, Schutz, Gesundheit;

• Individuen müssen sich zu Gruppen zusammenschließen, um diese primären Bedürfnisse befriedigen zu können.

• So entstehen abgeleitete Bedürfnisse (derived needs), die sich auf das Gruppenzugehörigkeitsempfinden und den Erhalt / die Reproduktion der Gruppe richten; diese sind durch Normen, Werte oder Rituale usw. untermauert.

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Biopsychologischer Funktionalismus: Kritik

Stärken des Ansatzes:

Betonung des Individuums als letztendlicher Instanz aller Bedürfnisse und Kultur.

Schwächen des Ansatzes:

Da die biologisch bedingten Grundbedürfnisse überall auf der Weltidentisch sind, ergibt sich keine Erklärung für kulturelle Unterschiede.

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Strukturfunktionalismus

Wichtige Vertreter: A. R. Radcliffe-Brown, E. E. Evans-Pritchard,

Raymond Firth und Edmund Leach

RA

DC

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FE

-BR

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Strukturfunktionalismus: zentrale Thesen

Nicht das Individuum und seine Bedürfnisse stehen im Vordergrund, sondern das soziale System:• Kulturelle Merkmale oder Institutionen (regelmäßig auftretende

Verhaltensstandards) haben die Funktion, die Struktur des Systems – d.h. das Netzwerk der sozialen Beziehungen zwischen Individuen und Gruppen – aufrecht zu erhalten.

• Die Sozialstruktur ist normalerweise im Gleichgewichtszustand (Equilibrium). Mögliche Konflikte werden durch bestimmte Institutionen entschärft (z. B. Meidungsregeln).

Organismusanalogie:Die Gesellschaft wird wie ein lebender Organismus gesehen (social body): Individuen entsprechen den Zellen, Gruppen den Organen – Zellen er- neuern sich beständig, Organe bleiben erhalten; so auch die Gesellschaft, deren Personal sich ständig austauscht, da Menschen sterben und neue geboren werden, deren Struktur aber nichtsdestotrotz überdauert (strukturelle Kontinuität).

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Strukturfunktionalismus: Kritik

Stärken des Ansatzes:• Holismus,• Systemsicht.

Schwächen des Ansatzes:• Überbetonung von Gleichgewicht,• somit keine Erklärung für das Entstehen von Konflikten und für

Wandel.

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(7) Strukturalismus

ab Mitte der 1950er Jahre, Frankreich, Großbritannien u.a.O.

Fokus: Erklärung kultureller Phänomene im Zusammen-hang mit basalen Strukturen des menschlichen Denkens

Hauptvertreter:Claude Lévi-Strauss

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Strukturalismus: zentrale Thesen

• Es gibt basale Strukturen des menschlichen Denkens, diese sind universell;

• Sie finden ihren Niederschlag in Kulturprodukten wie Mythen und Verwandtschaftssystemen in stets ähnlicher Art und Weise.

• Die Grundstrukturen sind häufig binäre Oppositionen (z. B. heiß-kalt, roh-gekocht, Mann-Frau, unten-oben).

angeregt durch die strukturalen Lingustik: Konstatierung von Kontrasten zwischen Phonemen,

Annahme: Sprache und andere kulturelle Äußerungen unterliegen demselben Strukturprinzip

Ziel: Erstellung einer Art universeller Grammatik der Kultur.

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Strukturalismus: Kritik

Stärken des Ansatzes:• Thematisierung des Zusammenhangs zwischen menschlichen

Denkstrukturen und Kultur (heute Forschungsfeld der kognitiven Ethnologie).

Schwächen des Ansatzes:• Die Suche nach Tiefenstrukturen vernachlässigt historische

Entwicklungen sowie Phänomene des sozialen Alltags und Eigensicht der Kulturangehörigen (Empirieferne),

• Die Argumentation ist oft undurchsichtig (z. B. Lévi-Strauss‘ „Verwandtschaftsatom“: Vater-Mutter-Kind-Mutterbruder – dort, wo es keine Rolle spielt, ist es ihm zufolge „latent“), Daten sind mitunter der Theorie angepasst,

• aufgrund der fehlenden historischen Einbettung: keine Erklärungen für Wandel.

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(8) Neoevolutionismus

ab ca. Mitte der 1950er Jahre

Fokus: Wiederaufgreifen des Interesses an der Entwicklung menschlicher Kulturen

Zwei Richtungen:

• Generelle Evolution: Technologischer Fortschritt als Triebfeder der generellen Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen.

• Multilineare Evolution: Kultur ist durch die Umwelt geprägt, ist das Mittel, sich an die physische und soziale Umwelt anzupassen; ähnliche kulturelle Muster reflektieren parallele Anpassungen an spezifische Umweltsituationen.

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Generelle Evolution

Zentrale Thesen:

Wie unilineare Evolutionisten des 19.Jh.:Die Evolution verlief vomEinfachen zum Komplexen.

Der technologische Fortschritt ist der Motor der allgemeinen Entwicklung von Kultur.

Hauptvertreter:Leslie White, USA

WH

ITE

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Generelle Evolution (L. White): zentrale Thesen

• Es gibt einen objektiven Maßstab für die Entwicklung, nämlich das Ausmaß der Energieaneignung und des Energieverbrauchs.

• Der technologische Fortschritt zieht Veränderungen in anderen kulturellen Bereichen wie z.B. dem Sozialen nach sich, hin zu immer größerer Komplexität.

Technologischer Determinismus Aufgrund von neuen Technologien (z.B. Pflug) wird mehr

produziert, die Gesellschaft wächst, wird komplexer. Merkmale für

Komplexität sind u.a.: Anhäufung von Besitz und Entstehung sozialer Ungleichheit, Entstehung von Bürokratie und Machthierarchien und beruflicher Spezialisierung.

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Multilineare Evolution

Kritik an White und seinenGeneralisierungstendenzen, stattdessen Forderung der Konzentration auf die Evolution einzelner Gesell-schaften.

Hauptverterter:Julian Steward, USA

ST

EW

AR

D

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Multilineare Evolution (J. Steward): zentrale Thesen

Steward stimmt mit White hinsichtlich der grundlegenden Bedeutung vonTechnologie überein, erweitert diese aber um Umweltfaktoren:

Techno-Umwelt-Determinismus:Technologie und Umwelt bestimmen gemeinsam die grundlegende Form der Adaption einer Gruppe; und diese Form der Adaption bestimmt wiederum die Kultur der Gruppe.

Nicht alle kulturellen Teilbereiche sind gleichermaßen durch Technologie und Umwelt beeinflusst – wirtschaftliche beispielsweise stärker als religiöse Aktivitäten.

Grundlegende Konzepte bei ihm sind:• Adaption an Umwelt per Technologie;• Kulturkern (culture core): kulturelle Merkmale, die eng mit dem

Subsistenzaktivitäten/Ökonomie in Zusammenhang stehen, wie Technologie, Siedlungsmuster, Arbeitsteilung und Kooperation, Landverteilung; der Kulturkern bestimmt

• sekundäre Merkmale: schwächer durch Umweltanpassung bestimmte Teile wie Religion, Kunst, etc.

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Neoevolutionismus: Kritik

Stärken des Ansatzes:• komparative Perspektive, Suche nach Gesetzmäßigkeiten;• Herausstellen der Prägung von Kultur durch Notwendigkeit der

Umweltanpassung und Technologie hierzu wird heute im Forschungsfeld der Kulturökologie gearbeitet.

Schwächen des Ansatzes:

• Umweltanpassung und Technologie erklären längst nicht alles!: geringes Erklärungspotenzial des Ansatzes bzgl. solcher kultureller Merkmale, die nicht ins Schema passen.

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Theorien seit ca. 1960Die jüngeren Theorien lassen sich zwei großen Denkrichtungen zuordnen:naturwissenschaftlich orientierte Ansätze und geisteswissenschaftlich orientierte Ansätze

Naturwissenschaftlich orientierte Ansätzeim englischen Sprachgebrauch: scientific approaches im deutschen Sprachgebrauch auch: analytische Ansätze

Geisteswissenschaftlich orientierte Ansätzeim englischen Sprachgebrauch: humanistic approachesim deutschen Sprachgebrauch auch: interpretative Ansätze

Vgl. hierzu auch:Schweizer, Thomas 1993. Perspektiven der analytischen Ethnologie. In: Thomas

Schweizer, Margarete Schweizer und Waltraud Kokot (Hrsg.) Handbuch der Ethnologie: Festschrift für Ulla Johansen. Berlin: Reimer. S. 79-113

Stellrecht, Irmtraud 1993. Interpretative Ethnologie: Eine Orientierung. In: Thomas Schweizer, Margarete Schweizer und Waltraud Kokot (Hrsg.) Handbuch der Ethnologie: Festschrift für Ulla Johansen. Berlin: Reimer. S. 29-78.

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Scientific und humanistic approaches bzw.analytische und interpretative Ansätze

Foki:

• Scientific approaches bzw. analytische Ansätze suchen nach Erklärungen für kulturelle Gegebenheiten, dies häufig im materiellen Bereich, betonen den Vergleich – Außensicht/etische Perspektive;

• Humanistic approaches bzw. interpretative Ansätze bemühen sich, fremde Lebenswelten nach den ihnen eigenen Begriffen zu verstehen, beziehen sich häufig auf den Bereich der Ideen und Überzeugungen, sind skeptisch gegenüber Verallgemeinerungen – Innensicht/emische Perspektive.

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… Scientific und humanistic approaches bzw. analytische und interpretative Ansätze

Auch die älteren Richtungen lassen sich diesen Grundorientierungen

zuordnen:

• Evolutionismus, Diffusionismus, Funktionalismus, Strukturalismus und Neoevolutionismus sind eher analytisch orientiert,

• der historische Partikularismus teilt viele Anliegen und Werthaltungen mit der interpretativen Ethnologie.

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Analytischer Ansatz

im Lehrbuch repräsentiert durch materialistische Ansätze,

in der älteren Auflage feinere Unterteilung als in der neuen:

• Neomarxismus

• Kulturmaterialismus

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(9) Neomarxismus

Wichtige Vertreter:

Eric Wolf und Sidney Mintz, USA sowie Maurice Godelier, Frankreich

WO

LF

MIN

TZ

GO

DE

LIE

R

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Marxismus und Neomarxismus

Der Neomarxismus greift die Gedanken des älteren

Marximus/historischen Materialismus auf und führt sie weiter.

historischer Materialismus bezeichnet nicht nur den Neomarxismus, sondern den Marximus allgemein, also (gerade) auch den älteren Marxismus (Peoples & Bailey stellen dies nicht deutlich heraus!).

Grundlegendes Konzept (Karl Marx):

Produktionsweise und Klassen

Produktionsweise, gegliedert in:

• Produktivkräfte: Technologie,

• Produktionsverhältnisse: Arbeitsteilung, Landbesitzverhältnisse

• Produktionsmittel: Land, Werkzeug, Ressourcen

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… Marxismus und Neomarxismus

• Klassen sind Gruppen von Menschen, die sich in der gleichen Position bezüglich Produktionsmitteln und

Produktivkräften befinden.

Hierzu gehören auch Gruppen, die weder über das

eine, noch über das andere verfügen und daher ihre

Arbeitskraft verkaufen müssen.

• Der Gegensatz und die Konflikte dieser Klassen (betr. vor allem Unternehmer und Arbeiter) ist die treibende Kraft hinter historischen/kulturellen Entwicklungen.

• Die Basis bestimmt den Überbau; Religion, Recht etc. sind als Machterhaltungsinstrumente zu analysieren.

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Marxismus und Neomarxismus: Kritik

Stärken des Ansatzes:• Produktionsweisen sind tatsächlich häufig bestimmend, auch

auf indirekte, den Menschen selbst kaum bewusste Art und Weise.

Schwächen des Ansatzes:• Die heutigen Produktionsverhältnisse sind unübersichtlich:

z. B. Manager als Angestellte, aber Unternehmensvertreter; Arbeiter mit Aktien ihres Betriebs.

• Der Mensch ist nicht nur materiell motiviert!

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(10) Kulturmaterialismus

Weiterführung der Ideen desNeoevolutionismus (insbes. des multilinearen Evolutionismus von Julian Steward).

Hauptvertreter:Marvin Harris, USA

HA

RR

IS

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Kulturmaterialismus: zentrale Thesen

• Die wichtigsten Aspekte von Kultur sind Adaption an die natürliche Umwelt und Ressourcennutzung, denn nur so können Menschen ihre physischen/biologischen Bedürfnisse decken.

• Um sich an die Umwelt anpassen zu können und deren Ressourcen zu nutzen, benötigen Menschen Technologie/Werkzeuge und Wissen über Umweltgegebenheiten.

• Feedback-Mechanismen: Menschen interagieren mit ihrer Umwelt, indem sie eine bestimmte Technologie anwenden; dadurch kommt es zu Veränderungen ihrer Umwelt, die wiederum eine veränderte Technologie bewirken usw. (kein simpler Determinismus, sondern Rückkoppelungen).

• Viele kulturelle Entwicklungen sind das Resultat von Prozessen der Intensivierung: Bevölkerungswachstum/Übernutzung natürlicher Ressourcen führt zu Umweltveränderungen, diese erzwingen Weiterentwicklungen in der Art der Ressourcennutzung und dadurch entstehenden neue Formen sozialer Organisation, die mit neuen Werten und Normen einhergehen.

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… Kulturmaterialismus: zentrale Thesen

Die Art und Weise der Naturausbeutung determiniert Kultur:

Nutzung natürlicher Ressourcen (Adaptation, Technologie) bestimmt

die soziale Organisation: soziale Beziehungen und Gruppen entstehen, um die Nutzung der Ressourcen zu ermöglichen; diese bestimmt

das Überzeugungssystem (Norme, Werte, Religion etc.), das die Nutzergruppen legitimiert.

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Kulturmaterialismus: Kritik

Stärken des Ansatzes:• Herausstellen von Ökologie, Demographie, Technologie und

Wirtschaft im Zusammenhang mit kulturellen Möglichkeiten.

Schwächen des Ansatzes:• Primat der Technologie/Ökologie: manche kulturelle Bereiche

sind durch die genannten Faktoren stärker beeinflusst als andere, die so nicht erklärt werden können.

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Interpretativer Ansatz

Der interpretative Ansatz

• will Kulturen verstehen (das Wie und Wozu und Was menschlicher Äußerungen) und nicht – wie die analytische Richtung – erklären (betr. das Warum menschlicher Äußerungen, Kausalbeziehungen).

„... more emphasis on what goes on in human minds than on what goes on in human stomachs“

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Foki der interpretativen Richtung:

• Verstehen von Einzelkulturen als zentrales Problem der ethnologischen Wissensgewinnung;

• Feldforschung als grundlegendes Verfahren der Datengewinnung – betr. Zusammenhang zwischen Person/Perspektive von Forscher/in und Informant/innen, deren Interaktion und Kommunikation im Feld, die Erhebungskontexte und Aussagekraft der erhobenen Daten, die eine durch den/die Forscher/in interpretierte Innensicht der Kultur einer untersuchten Gemeinschaft widerspiegeln soll;

• Möglichkeiten der Präsentation dieses Beziehungsgeflechts in wissenschaftlichen Texten;

• Problematisierung von Macht - der machtpolitischen Verstrickung der Disziplin, mit der ihre Vertreter/innen im Zuge der Entkolonialisierung konfrontiert waren und sind; sowie der sozialen und politischen Kontexte, in denen die Diskurse von Ethnograph/in und Informant/innen verankert sind/durch die sie mitbedingt sind.

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Die zwei Richtungen:

• Symbolische/Interpretative Ethnologie,• Postmoderne Ethnologie.

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(11) Symbolische/Interpretative Ethnologie

Wichtige Vertreter: Clifford Geertz, Sherry Ortner, David Schneider und Marshall Sahlins, USA; sowie Victor Turner und Mary Douglas, Großbritannien

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Symbolische/Interpretative Ethnologie: zentrale Thesen

Fokus: Ermittlung von symbolischen Bedeutungen hinter den kulturellen Formen

zentral: emische Sichtweise (emic view), d. h. Eigen-/Innensicht der Kulturangehörigen:

• deren Verhaltensweisen und Ideen sollen entschlüsselt werden,

• dabei muss eine Kultur als eine Art „Text“ über die Schulter der Kulturteilnehmer blickend „gelesen“ werden (C. Geertz),

• diese wird dann „übersetzt“, d. h. aus Sicht des Ethnologen für die Angehörigen seiner Kultur beschrieben,

• Ziel: nicht allgemeingültige Gesetze, sondern in sich schlüssige, zeitgebundene und niemals letztgültige Interpretationen.

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Symbolische/interpretative Ethnologie:Kritik

Stärken des Ansatzes:

• Beachtung der emischen Sichtweise und Bedeutung von Symbolen;

Schwächen des Ansatzes:

• die materiellen Bedingungen menschlicher Kulturen werden vernachlässigt;

• dem Ethnolog/innenen wird sehr viel Deutungsmacht zugewiesen.

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(12) Postmoderne Ethnologie

Wichtige Vertreter/innen: Lila Abu-Lughod, James Clifford, Vincent Crapanzano, Paul Rabinow, Renato Rosaldo und Stephen Tyler, USA

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Postmoderne in den Geisteswissenschaften

• Trend in allen Geisteswissenschaften seit den 1980er Jahren, aber auch in Architektur, Kunst etc.

• Skepsis gegen alle Arten von naturwissenschaftlich orientierten, „großen Theorien“ mit hohem Allgemeingültigkeitsanspruch; stattdessen Betonung der Relativität jeglichen Wissens.

Einflüsse aus der französischen Philosophie:• Jacques Derrida prägte den Begriff Dekonstruktion:

• kritisches Hinterfragen von Allgemeingültigkeitsansprüchen, von Theorien und Begriffen und Aufdecken ihrer historischen Gebundenheit;

• Michel Foucault betonte die Machtbedingtheit in allen Wissenssystemen - so auch dem der Wissenschaft

• Macht wird nicht nur mit Wissen ausgeübt, sondern wohnt bereits den Abgrenzungen, Grundbegriffen und Institutionen der Wissenssysteme inne.

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Postmoderne in der Ethnologie

• Auseinandersetzung mit kolonialer Rolle der Ethnologie• Infragestellung der Verlässlichkeit von Ethnographien

(Malinowski-Tagebücher, Mead-Freeman-Kontroverse, Castañeda und seine für „wahr“ deklarierten, de facto jedoch fiktiven Ethnographien)

• führte zu folgenden Entwicklungen:

• Dekonstruktion der Wissenssysteme und Herrschaftsdiskurse in eigener und fremden Kulturen,

• Dekonstruktion und Sezieren ethnographischer Klassiker (Repräsentationskritik),

• Daraus hervorgegangen: Experimentieren mit neuen ethnographischen Schreibweisen - hierbei: intensive Selbstreflexion des Ethnographen, Einbeziehung der Dialoge mit den Informanten oder gemeinsame Autorenschaft, Verwendung literarischer Schreibstile (Roman, Poesie)

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Postmoderne Ethnologie: Kritik

Der Ansatz ist äußerst heterogen:

• viele der Genannten würden sich selbst vermutlich ganz anders einordnen;

• und nicht wenige werden bestreiten, dass die Postmoderne eine Theorie ist .

Stärken des Ansatzes:

• viel von der Kritik der Postmoderne an der herkömmlichen Ethnologie ist berechtigt; positiv - Reflexion der Verstrickung der Disziplin in Machtkonstellationen, Problematisierung der ethnographischen Textproduktion und Gültigkeit ethnographischer Monographien usw.

Schwächen des Ansatzes:

• Extreme Vertreter/innen, die die prinzipielle Unmöglichkeit der adäquaten Beschreibung fremder Kulturen behaupten und als Alternative Ethnographie als Ethnofiktion oder Ethnopoetik mit künstlerischem Schaffen gleichsetzen wollen, katapultieren sich aus Ethnologie als Wissenschaft heraus.

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Konkurrierende Ansätze am Beispiel:Symbolische Ethnologie und Kulturmaterialismus

Konkurrierende Erklärungen für das Schweinetabu im Islam und im Judentum sind:

• Mary Douglas: Schwein ist konzeptuelle Anomalie, da Paarhufer, aber nicht Wiederkäuer, weicht somit ab von prototypischen Land- und Herdentieren (Rind, Ziege, Schaf), daher tabuisiert;

• Marvin Harris: materialistische Erklärung – Schweinhaltung ist im waldlosen, heißen Mittleren Osten zu teuer, Schweine liefern neben Fleisch nur wenige Nebenprodukte (keine Milch o.ä.), stehen in Nahrungskonkurrenz zum Menschen, bieten Trichinengefahr.

aber:• warum ist das Schwein die konzeptuelle Anomalie und nicht die

gewöhnlichen Herdentiere?• warum muss man das Schwein verbieten, wenn seine Zucht ohnehin

nachteilig ist?

Fazit: materielle und Ideen fokussierende Erklärungen können sich auch ergänzen!

• Nur sehr weenige Ethnolog/innen vertreten einen Determinismus in die eine oder andere Richtung!

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Wozu Theorie(n)?

Theoretischer Pluralismus ist für die Ethnologie kennzeichnend, die ja auch in ihrem Gegenstand sehr vielfältig ist – das kann verwirrend sein, ist fast immer aber auch spannend!

Zunächst einmal:sich nicht einschüchtern lassen, theoretische Ansätze sind als Angebote oder Anregungen zu verstehen, sie schreiben einem das Wie des Denkens nicht vor.Und:Viele Ethnologen arbeiten kompetent und machen sich einen Namen, ohne sich einer einzelnen Theorie zu verschreiben;keine einzelne Theorie wird von allen akzeptiert.

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… wozu Theorie(n)?

• Theorien schließen einander nicht aus,• sie können sich ergänzen (Beispiel Schweintabu).

• Sie behandeln unterschiedliche Gegenstände: Strukturalismus z. B. Mythen, aber nicht Umweltanpassung, die dagegen im Kultur-materialismus zentral ist.

• Sie haben unterschiedliche Ziele, z. B. Verstehen des Einzelfalls (historischer Partikularismus, Interpretative Ethnologie) versus Formulierung allgemeiner Gesetze (Evolutionismus, Kulturmaterialismus).

• Sie sind prinzipiell brauchbar, wenn man den Erklärungsanspruch nicht gnadenlos überzieht.

• Und: Grundfragen bleiben aktuell: Strukturen, Funktionen, Diffusion, Evolution etc. interessieren Ethnolog/innen auch heute.

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Nachwort:

Der Überblick war keineswegs komplett: man hätte noch von Bourdieuscher Habitustheorie, Rational-Choice-Ansätzen, Neue Institutionenökonomie Economy und anderem sprechen können!

Regelmäßig gibt es Theorienüberblick-Seminare im Wintersemester (in den letzten Jahren meist von Lioba Lenhart, Zurzeit von Martin Rössler), die man zur Vertiefung im 3. oder 5. Semester besuchen sollte.

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Zur nächsten Stunde Kapitel 6 des Lehr-

buchs (Seiten 103-119) lesen !

„Methods of Investigation“


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