Journalism just got
mobile
Wie die verstärkte Internetnutzung durch mobile Geräte den
Journalismus verändert. Eine Fallstudie am Beispiel der
Deutschschweiz.
Masterarbeit von Simon Hutmacher
1
Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grads Master of Arts
in «New Media Journalism»
Eingereicht am 17. September 2015
Journalism just got mobile Wie die verstärkte Internetnutzung durch mobile Geräte den Journalismus verändert.
Eine Fallstudie am Beispiel der Deutschschweiz.
Leipzig School of Media
im Externat an der HTWK/Universität Leipzig
Start des Bearbeitungszeitraums: 30. April 2015
Ende des Bearbeitungszeitraums: 17. September 2015
Betreuer und Erstgutachter: Prof. Dr. Josef Trappel
Zweitgutachter: Ralf Ressmann
Kontaktdaten: Simon Hutmacher, Albisstrasse 108, 8038 Zürich
E-Mail: [email protected]
2
Danksagung
Die vorliegende Arbeit bedeutet den Schlusspunkt des rund zweijährigen Studiums,
das ich nun hinter mir habe. Ich behalte es als äusserst lehrreiche, vielseitige und
spannende wenn auch intensive Zeit in Erinnerung. Insbesondere verdanken möchte
ich zu diesem Anlass folgende Personen oder Institutionen:
Die Masterarbeits-Betreuer Prof. Dr. Josef Trappel sowie Ralf Ressmann für die
wertvolle Unterstützung vor und während der Masterarbeit
Die Journalisten Adrian Eng, Christoph Brunner, Simon Eppenberger, Maurice
Thiriet, Christoph Stricker, Corsin Zander, Lea Hartmann, Roman Neumann,
Jacqueline Büchi, André Müller, Oliver Baumann sowie Pia Wertheimer für ihre
wertvolle Zeit und die spannenden und aufschlussreichen Interviews
Meinen ehemaligen Arbeitgeber Radio Energy Zürich AG für das
Entgegenkommen bei der Einteilung meiner Arbeitspensen während der
Vorlesungszeit
Meine Schwester Emanuelle für das tolle Cover
Und nicht zuletzt meine NMJ-Mitstreiter für die lehrreichen, aktiven und oftmals
auch unterhaltsamen Tage während den Vorlesungen in Leipzig, Luzern,
Hamburg und Salzburg
3
Hinweis im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes
Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsspezifische
Differenzierung der Sprache (wie beispielsweise Teilnehmer/Innen) verzichtet. Mit der
männlichen Form sind im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich auch weibliche
Personen gemeint.
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Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre hiermit an Eides Statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und
ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe; die aus
fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche
kenntlich gemacht. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner
anderen Prüfungskommission vorgelegt und auch nicht veröffentlicht.
Datum Unterschrift
5
Abkürzungsverzeichnis
CMS Content-Management-System
DAB Digital Audio Broadcasting
Full HD Full High Definition
GB Gigabyte
GPRS General Packet Radio Service
GSM Global System for Mobile Communications
HD High Definition
HSDPA High Speed Downlink Packet Access
HSPA High Speed Packet Access
HTML Hypertext Markup Language
IT Informationstechnik
kbit Kilobit
LTE Long Term Evolution
MB Megabyte
Mbit Megabit
MUI Media Use Index
SIM Subscriber identity module
TA Technikfolgenabschätzung
UMTS Universal Mobile Telecommunications System
UC Unique Clients
WLAN Wireless Local Area Network
1
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ............................................................................................................. 3
1.1 Persönliche Motivation für diese Arbeit ......................................................... 3
1.2 Relevanz des Themas ................................................................................... 4
1.3 Aufbau der Arbeit ........................................................................................... 6
2 Der mobile Wandel .............................................................................................. 7
2.1 Fallauswahl Entwicklung Mobile Devices ...................................................... 7
2.1.1 Begriffsdefinition Smartphone ................................................................. 8
2.2 Die Evolution des Smartphones .................................................................... 9
2.2.1 Weltweite Entwicklung der Bildschirmgrössen ...................................... 17
2.3 Der „Sonderfall Schweiz“ ............................................................................. 19
3 Theorie und Stand der Forschung ..................................................................... 24
3.1 Der Einfluss der Technik auf den Journalismus .......................................... 24
3.1.1 Die Abkehr vom Determinismus ............................................................ 25
3.1.2 Technikfolgenabschätzung als Lösung ................................................. 26
3.1.3 TA in der Anwendung ........................................................................... 28
3.2 Veränderter Medienkonsum durch Mobilität ................................................ 33
3.2.1 Ubiquität ................................................................................................ 33
3.2.2 Veränderte Darstellung ......................................................................... 34
3.2.3 Prosument............................................................................................. 35
3.3 Änderungen für die Journalisten .................................................................. 36
3.4 Qualitätsmessung ........................................................................................ 39
4 Fragestellungen und Hypothesen ...................................................................... 41
5 Empirischer Teil ................................................................................................. 43
5.1 Operationalisierung der Variablen ............................................................... 43
5.2 Messinstrumente ......................................................................................... 45
5.2.1 Qualitative Inhaltsanalyse ..................................................................... 46
5.2.2 Sample für die qualitative Inhaltsanalyse .............................................. 46
5.2.3 Methodik der qualitativen Inhaltsanalyse .............................................. 48
5.2.4 Qualitative Experteninterviews .............................................................. 50
5.2.5 Sample der Experteninterviews ............................................................ 51
5.2.6 Methodik Qualitative Interviews ............................................................ 53
5.3 Messgütekriterien ........................................................................................ 54
5.4 Ergebnisse der Inhaltsanalyse .................................................................... 57
5.4.1 Live-Ticker ............................................................................................ 58
5.4.2 sda-Bericht ............................................................................................ 69
2
5.4.3 Kommentar ........................................................................................... 70
5.4.4 Eigenbericht .......................................................................................... 72
5.4.5 Bilder-Story ........................................................................................... 75
5.4.6 Twitter-Story .......................................................................................... 75
5.4.7 Pushs .................................................................................................... 76
5.4.8 Zwischenfazit ........................................................................................ 78
5.5 Ergebnisse Qualitative Interviews................................................................ 80
5.5.1 Fokus auf mobile Rezeption von Verlagshäusern und Journalisten ...... 80
5.5.2 Art und Umfang der Veränderung von Online-Artikeln .......................... 82
5.5.3 Wahrnehmung zum Zeitdruck ............................................................... 84
5.5.4 Multimedialität ....................................................................................... 85
5.5.5 Veränderung des Texts ......................................................................... 87
5.5.6 Veränderte Anforderungen.................................................................... 88
5.5.7 Beurteilung von Rezipienten-Inputs ...................................................... 92
5.5.8 Beurteilung der Qualitätsentwicklung .................................................... 93
5.5.9 Zukunftsvision ....................................................................................... 94
6 Prüfung der Hypothesen .................................................................................... 97
6.1 Hypothese 1 – Tempoentwicklung im Journalismus .................................... 97
6.2 Hypothese 2 – Multimedia ........................................................................... 98
6.3 Hypothese 3 – Länge der Texte .................................................................. 99
6.4 Hypothese 4 – Prosumer ........................................................................... 100
6.5 Hypothese 5 – Technische Anforderungen ............................................... 101
6.6 Hypothese 6 – Qualitätswahrnehmung ...................................................... 102
7 Fazit ................................................................................................................. 103
7.1 Zusammenfassung .................................................................................... 103
7.2 Methodenkritik ........................................................................................... 106
7.3 Ausblick ..................................................................................................... 107
8 Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 109
9 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 112
9.1 Internetquellen [Stand: 13.09.2015]: ......................................................... 117
3
1 Einleitung
In diesem Kapitel wir die Motivation des Autors für das Arbeitsthema erläutert. Zudem
wird die Relevanz des Themas aufgezeigt und ein Überblick über die Struktur der
Arbeit gegeben.
1.1 Persönliche Motivation für diese Arbeit
Innerhalb weniger Jahre hat nach der Jahrtausendwende eine technische Revolution
stattgefunden. Das Mobiltelefon hat sich in der westlichen Welt nicht nur als
persönlicher Alltagsgegenstand durchgesetzt sondern gewann innert weniger Jahre
massiv an Fähigkeiten dazu. Vor fünf Jahren (2010) diente es in erster Linie noch als
Kommunikationsgerät zwischen einzelnen Personen, nun ist es ein vollwertiges
internetfähiges Gerät, das klassischen Geräten wie dem Computer massiv das Wasser
abgräbt. Persönlich beobachte ich diesen Prozess sehr interessiert und wechsle das
eigene mobile Gerät mit einer hohen Kadenz, um technische Neuerungen zeitnah
auszuprobieren. Der rasche Wandel scheint sich auch auf die Medienhäuser und
deren Journalisten auszuwirken. Bei Redaktionsbesuchen für den Masterlehrgang
„New Media Journalism“ sprachen Verleger und Redaktionsleiter von „Sharable
Content“, „Mobile first“-Strategien und dem Ziel, die Konsumenten durch deren Alltag
zu begleiten. Als Journalist war ich bislang in klassischen Medien tätig, als Redakteur
beim Privatradio und als Journalist beim Fernsehen bediente ich die Konsumenten in
erster Linie auf klassischen Empfangsgeräten und zu fixen Publikationszeitpunkten –
solche neuen Anforderungen waren mir also eher fremd. Selber wanderte mein
Medienkonsum innerhalb weniger Jahre aber verstärkt auf das Mobiltelefon –
Journalistische Erzeugnisse konsumiere ich je länger je weniger auf Papier oder
grossen Bildschirmen, sondern auf meinem Mobiltelefon – und zwar wann und wo ich
will. Dass dieses Verhalten einem Trend entspricht soll die vorliegende Arbeit unter
anderem aufzeigen. Unklar ist aber, ob dieser enorme Wandel einen Einfluss auf das
tägliche Schaffen von Journalisten und deren Produkte hat und wenn ja wie dieser
Einfluss aussieht. Hat ein Technikwandel dem Journalismus eine neue Richtung
gegeben? Oder wird der Einfluss des Wandels überschätzt? Und in welche Richtung
könnte sich der Journalismus entwickeln? Diese spannenden Fragen sollen mithilfe
der vorliegenden Masterarbeit angegangen werden.
Simon Hutmacher, Zürich am 14. September 2015
4
1.2 Relevanz des Themas
„Die breite Bevölkerung interessiert sich praktisch nur fürs Telefonieren und das
Senden oder Empfangen von SMS-Nachrichten. Der Verkauf von Handys mit PC-
Eigenschaften, von so genannten Smartphones, dümpelt bei fünf Prozent am
gesamten Endgeräteabsatz. Das Hochleistungsnetz UMTS wird kaum
genutzt.“ (Cash: 2006). So fasste eine Wirtschaftszeitung vor neun Jahren die
Situation von Smartphones und mobilem Internet in der Schweiz zusammen – in der
Zwischenzeit hat sich in der Schweiz wie auch global einiges getan.
Im Juni dieses Jahres machte das amerikanische Traditionsblatt „The New York
Times“ von sich Reden. Während einer Woche wurde den Journalisten auf den
Arbeits-Desktop-Computern nämlich der Zugang zu der hauseigenen New York
Times-Homepage gesperrt. Der Grund dafür wurden den Mitarbeitenden des
Newsrooms in einer Mail erläutert: „Mehr als die Hälfte des Traffics auf unserer Seite
geschieht über Mobile Devices. Wir hoffen, dass diese temporäre Sperrung uns helfen
wird, dass der Fokus auf mobile Inhalte einen zentraleren Stellenwert in unserem
täglichen Schaffen erhält“. Die Mitarbeitenden waren angehalten, die hauseigene
Website über ihre eigenen mobilen Geräte aufzurufen (The Wall Street Journal, Juni
2015). Das traditionelle Medienunternehmen unternimmt solche Experimente wegen
einem tiefgreifenden Nutzungswandel.
In den USA verzeichnen bereits 39 von 50 Nachrichten-Webseiten mehr Traffic von
Smartphones und Tablets als von herkömmlichen Desktop-Computern. Gleichzeitig
verbringen aber nur bei 10 von jenen 50 Webseiten die Mobil-Nutzer mehr Zeit pro
Besuch als die Desktop-User. Anders ausgedrückt: Es greifen zwar immer mehr
Nutzer per Mobilgerät auf Online-Nachrichtenangebote zu, dies aber kürzer als am
grossen Computerbildschirm (Pew Research Center 2015).
Nicht nur in den USA sind Medienunternehmen wegen dem rasch stattfindenden
Nutzungswandel gefordert. Die britische Tageszeitung “The Guardian” hat jüngst ein
Team ins Leben gerufen, welches Innovationen entwickeln soll, um Nachrichten
besser auf mobile Geräte anzupassen. Eine Medien-Stiftung hat dafür 3 Millionen US-
Dollar springen lassen. Deren Vizepräsidentin erklärte die Grossinvestition
folgendermassen: “Mittlerweile wird die Hälfte der News mobil konsumiert. Die
Medienunternehmen müssen daher sehr rasch neue Strategien für die Zukunft
entwickeln, damit Nachrichten auf kleineren Bildschirmen attraktiver dargestellt
5
werden können (The Guardian 2015). Im aktuellen Innovationsreport der BBC
(erschienen Ende Januar 2015) werden fünf technische Trends geortet – einer davon
ist die steigende Konnektivität der Nutzer durch mobile Geräte. Die BBC prognostiziert,
dass diese Technologie die Nutzer noch stärker dazu befähigt, qualitativ hochstehende
Inhalte sowohl überall und jederzeit zu konsumieren wie auch selber herzustellen. Das
führe dazu, dass Medienorganisationen grosse Innovationen für den digitalen Content
hervorbringen müssten und die Leute vermehrt unterwegs Video schauen würden, da
die Konnektivität und die Anzeigegeräte auch mobil bessern würden (BBC 2015: 15).
Auch in der Schweiz ist der Fokus von Medienunternehmen hin zu den mobilen
Empfangsgeräten gerückt. Die jüngst bekannt gewordene neue Digitalstrategie des
öffentlich-rechtlichen Rundfunkbetreibers SRF in der Deutschschweiz beinhaltet den
Ansatz „Mobile First“. Und der ehemalige Chefredakteur des Spiegels, Wolfgang
Büchner, hat als neuer Geschäftsführer der „Blick“-Gruppe in der Schweiz seinen
Mitarbeitenden folgende Zielvorstellung formuliert: Ab Anfang 2016 soll der Newsroom
der „Blick“-Gruppe noch stärker auf die Herausforderungen der fortschreitenden
Digitalisierung ausgerichtet sein. Ab dann soll der Newsroom Inhalte produzieren, die
in erster Linie auf dem Smartphone konsumiert werden (Tagesanzeiger 2015). Und
kurz vor Fertigstellung dieser Arbeit lancierte 20Minuten Ende August eine Neuauflage
der eigenen Mobil-App, in welcher die Leser wesentlich stärker eingebunden werden.
Der Verlag liess sich die Weiterentwicklung gemäss eigenen Aussagen eine
siebenstellige Summe kosten.
Die Journalisten sehen sich also mit einer neuen Art des Wandels konfrontiert.
Während die Digitalisierung noch in vollem Gange ist, müssen sie den Kanal
„Online“ nun anfangen zu differenzieren – in stationäre und mobile Nutzung. Bei der
Entwicklung und Verbreitung von Smartphones kann von einer disruptiven Innovation
gesprochen werden und es ist insofern spannend, ob und wie sich die Schweizer
Medienhäuser konkret gegenüber dieser Entwicklung verhalten und bewegen.
6
1.3 Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit ist in drei Hauptteile aufgegliedert:
Zunächst soll eine Einleitung die Relevanz des Themas aufzeigen. Im Anschluss wird
anhand diverser Gerätebeispiele und Marktzahlen aufgezeigt, wie der mobile Wandel
in der Schweiz und auch global innerhalb weniger Jahre von statten gegangen ist. Der
erste Teil erstreckt sich von Kapitel 1 bis 2.
Anschliessend wird im Theorieteil der aktuelle Stand der Forschung aufgezeigt.
Insbesondere soll auf die nicht mehr zeitgemässe Anwendung des
Technikdeterminismus und daraus folgend auf die Technikfolgenabschätzung
eingegangen werden. Zudem werden aktuelle Forschungsbefunde zum veränderten
Medienkonsum aufgrund des mobilen Wandels aufgelistet. Dieser mittlere Teil umfasst
das Kapitel 3.
Der dritte und umfangreichste Teil widmet sich der Empirie. Zunächst werden aufgrund
von Forschungsfragen überprüfbare Hypothesen gebildet. Danach wird beschrieben,
mit welcher Methodik die Hypothesen überprüft werden sollen. Zum Schluss werden
die Forschungsergebnisse präsentiert und ein Fazit gezogen. Dieser Teil erstreckt sich
über die Kapitel 4 bis 7.
7
2 Der mobile Wandel
In diesem Kapitel wird aufgezeigt, welche Entwicklung Smartphones in Bezug auf die
mobile Internetverbindung, die Darstellung und Portabilität innerhalb von 10 Jahren
durchlaufen haben. Dazu wird aufgezeigt, wie die Netzbetreiber die mobile
Internetversorgung ausgebaut haben und wie stark das mobile Internet über die Zeit
genutzt wurde. Dafür werden Zahlen der Nutzung am Beispiel Schweiz aufgezeigt.
Die Fallauswahl wird im folgenden Abschnitt dargelegt.
2.1 Fallauswahl Entwicklung Mobile Devices
Um den Wandel hin zum verstärkten mobilen Konsum zu dokumentieren, wird als
Fallauswahl die Schweiz definiert. Dies aus verschiedenen Gründen. Zum einen findet
die technologische Entwicklung des mobilen Internets je nach Weltregion mit
unterschiedlichem Tempo statt. Aus geographischen Gründen können einzelne
Länder einfacher eine landesübergreifende Netzabdeckung anbieten als andere,
beispielsweise weil sie topographisch weniger Höhenunterschiede aufweisen als
andere. Dazu kommt auch die Ausgestaltung der politischen Mitspracherechte.
Während Mobilfunkantennen in gewissen Regionen schnell und unkompliziert gebaut
werden können, müssen sie in anderen Teilen der Erde einen regelrechten Marathon
durch verschiedene Vernehmlassungsformen nehmen – das Mitspracherecht der
Bevölkerung und die Ansprüche an die Bauform können den Bau um Jahre
hinauszögern oder sogar ganz verhindern. Unter anderem diese Unterschiede führen
dazu, dass einzelne Ländern in der mobilen Technologie wesentlich fortgeschrittener
sind als andere. Südkorea beispielsweise führte bereits im Jahr 2011 flächendeckend
den Mobilfunkstandard LTE ein, während in der Schweiz zu diesem Zeitpunkt noch mit
dem deutlich langsameren HSDPA-Standard gesurft wurde. Dies unter anderem
deswegen, weil die LTE-Frequenzen vom Bund (die eidgenössische Verwaltung) erst
ein Jahr später an die Mobilfunkbetreiber versteigert wurden. Für die folgende
Untersuchung bietet es sich also an, den Fokus auf ein Land zu richten. In der Schweiz
ist die Smartphone-Durchdringung ausserordentlich hoch und hat bei jungen Leuten
nahezu den Faktor 100% erreicht (MUI 2014) – dazu besitzt die Schweiz ein hohes
Wohlstandsniveau. Generell ist die Schweiz zwar eine Hochpreisinsel, nicht jedoch für
Elektronikprodukte. Diese sind in den umliegenden Ländern Österreich, Frankreich
und Italien deutlich teurer – ein iPhone 6 128GB kostet im August 2015 beim
8
günstigsten Schweizer Anbieter beispielsweise 29% weniger als bei den günstigsten
Deutschen und Österreichischen Anbietern – Italiener müssen gar 58% mehr für
dasselbe Telefon bezahlen. Und dies, obwohl der Schweizer Kaufkraftstandard (das
verfügbare Einkommen) gemäss dem Bundesamt für Statistik im Jahr 2014 1.7-mal
höher als in Italien und 1.3-mal höher als in Deutschland war. Die tiefen Preise für
Elektronikartikel liegen unter anderem daran, dass ein harter Wettbewerb zwischen
den Online-Shops tobt. Diese Faktoren, das hohe Lohnniveau und die tiefen Preise für
Elektronikartikel, führen dazu, dass sich hochwertige Smartphones in der Schweiz
rasch etablieren.
Die Schweizer sind zudem Weltmeister im Zugfahren, nirgends sonst werden derart
viele Bahnkilometer pro Person und Jahr zurückgelegt (Litra 2011). Dadurch kann
auch von einem hohen Grad an Nutzung von mobilem Internet ausgegangen werden
– denn im Gegensatz zum Autoverkehr kann im öffentlichen Verkehr das mobile
Internet nahezu hürdenlos genutzt werden.
Da in der vorliegenden Arbeit sowohl die Entwicklung der mobilen Endgeräte aber
auch die journalistischen Erzeugnisse dafür sowie Aussagen von Journalisten
analysiert werden, gibt es auch logistische Gründe für die Fallauswahl Schweiz. Der
Autor ist selber in der Schweiz wohnhaft – daher sind die Analyse der journalistischen
Erzeugnisse sowie die Face-to-Face-Interviews mit Experten wesentlich einfacher zu
bewerkstelligen als wenn dies in einer anderen Region geschehen würde (Die
Fallauswahl der Medienhäuser und Experten wird in Kapitel 5.2 erläutert).
Zusammengefasst kann daher festgehalten werden, dass der mobile Wandel in der
vorliegenden Arbeit sich auf das Fallbeispiel der Schweiz begrenzt.
2.1.1 Begriffsdefinition Smartphone
Zunächst soll in diesem Unterkapitel festgehalten werden, wie in dieser Arbeit der
Begriff „Smartphone“ definiert wird, damit die späteren Ausführungen, welche darauf
Bezug nehmen, klar gekennzeichnet sind. Unter einem Mobile Device – oder auch
mobilem Endgerät – versteht man ein technisches Gerät, das sich aufgrund von
Grösse und Gewicht leicht transportieren lässt und durch seine „autarke
Stromversorgung an wechselnden Orten“ verfügbar gemacht werden kann (Rügge
2007:18).
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Der Begriff Smartphone ist ursprünglich eine Bezeichnung aus dem Marketing,
entsprechend gibt es verschiedene Definitionen für den Begriff. Pitt (2010: 27)
definierte etwa, dass ein Smartphone vier Eigenschaften mitbringen muss, nämlich
multimediale Einsatzmöglichkeiten mit hochauflösenden Bildschirmen,
Beschleunigungs- und Lagesensoren sowie Ortungsfähigkeit und App-Stores. Für die
vorliegende Arbeit sollen die Kriterien aber verändert werden, um die Entwicklung der
Geräte über zehn Jahre hinweg aufzeigen zu können. Der Fokus wird auf die mobile
Internetverbindung gerichtet.
Für die Definition eines Smartphones soll also das Kriterium aufgestellt werden, dass
ein Mobile Device selbstständig ohne zusätzliche Hardwarekomponente eine
Verbindung mit dem mobilen Internet herstellen kann – dies sowohl über WLAN wie
auch mittels einer SIM-Karte über das Mobilfunknetz. Die Telefonie über GSM soll
ebenso möglich sein – damit wird die Abgrenzung zu Tablets mit Internetzugang
sichergestellt. Da es einige Ausnahmen unter den Tablets gibt, wird die maximale
Diagonale des Bildschirms auf 17.27 Zentimeter (6.8 Zoll) festgelegt. Zudem verfügt
ein Smartphone über einen Bildschirm, welcher mittels Berührung die Steuerung
zulässt, einen sogenannten Touchscreen. Zum Eingeben von Text wird ein
Buchstabenfeld eingeblendet oder eine Hardware-Tastatur verwendet und ein Sensor
erfasst, wie der Nutzer das Smartphone hält, um die Inhalte in Hoch- oder Querformat
darzustellen. Auf der internen Festplatte können beispielsweise Musik, Videos und
Fotos gespeichert werden (Vgl. Definition itwissen.de).
2.2 Die Evolution des Smartphones
Innerhalb von zehn Jahren – von 2005 bis 2015 – haben sich Bauform, technische
Fähigkeiten und Ausstattung von Smartphones deutlich verändert. Im Jahr 2005 waren
Smartphones noch Nischenprodukte. Den grössten Marktanteil unter allen
Mobiltelefonen wiesen Geräte mit dem Betriebssystem Symbian OS mit 51% auf (TDG
Research 2006) und der Grossteil der Geräte waren keine Smartphones. Erste Geräte,
welche gemäss Definition dieser Arbeit zu der Kategorie der Smartphones gehörten,
liefen mit dem Betriebssystem Windows Mobile 5.0 von Microsoft. Der Marktanteil
dieser Geräte lag im Jahr 2005 weltweit bei 17% (TDG Research: 2006). Gemeinsam
hatten die Geräte, dass der Bildschirm nicht mit dem Finger sondern einem Passiven
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Stylus bedient wurden. Auf das Internet wurde mittels WLAN oder UMTS zugegriffen.
Die folgende Auflistung richtet das Augenmerk auf je ein Gerät pro Erscheinungsjahr.
Es sollen Geräte präsentiert werden, die bestimmte technische Eigenschaften wie eine
verbesserte Auflösung des Bildschirms oder einen schnelleren Internetstandard als
eines der ersten Geräte auf dem Markt innehatten. Die Liste soll dadurch aufzeigen,
welche technischen Möglichkeiten zu jenem Zeitpunkt vorherrschten (ausgewählt
werden ausschliesslich Geräte, die global vertrieben wurden).
2005: Das erste Produkt mit eingebautem UMTS-Modul war das Modell „HTC Universal“. Die
maximale Geschwindigkeit für das mobile Internet betrug 384 kbit/Sekunde. Der
Bildschirm mass 9.1 Zentimeter in der Diagonale (3.6 Zoll) und löste mit 480 x 640
Pixel auf. Das Gerät brachte ein Gewicht von 287 Gramm auf die Waage.
Abbildung 1: HTC Universal (Quelle: pdadb.net)
2006: Im Jahr 2006 kamen die ersten Geräte mit dem schnelleren Internetstandard HSDPA
auf den Markt. Unter ihnen war das HTC Hermes 300. Dank der UMTS-Erweiterung
HSDPA verfügte das Gerät über eine maximale mobile Internetgeschwindigkeit von
7.2 Mbit/Sekunde. Der Bildschirm wies eine diagonale Länge von 7.1 Zentimetern (2.8
Zoll) auf und löste mit 240 x 320 Pixel auf – auch hier erfolgten die Eingaben mittels
eingebautem Stift. Insgesamt wog das Gerät 176 Gramm.
11
Abbildung 2: HTC Hermes 300 (Quelle: pdadb.net)
2007:
2007 folgte ein Meilenstein in der Entwicklung des Smartphones. Apple lancierte die
erste Generation des iPhone. Das Gerät unterstützte zwar lediglich den
Internetstandard GPRS und Edge (maximal 384 kbit/Sekunde), bot also in Sachen
Internetverbindung keine Neuheiten. Neuartig war aber die Art der Bedienung: Statt
mit einer Hardwaretastatur wurden alle Eingaben auf dem Touchscreen mittels den
Fingern vorgenommen. Apple hatte dazu das Betriebssystem iOS mit extra grossen
Icons entwickelt sowie die „Multi-Touch-Technologie“ eingeführt. Dies bedeutet, dass
mehrere Finger gleichzeitig Eingaben vornehmen können. Der Bildschirm mass 8.89
Zentimeter (3.5 Zoll) und löste mit 480 x 320 Pixel auf. Insgesamt wog das Gerät 135
Gramm.
Abbildung 3: iPhone (Quelle: allenpike.com)
12
2008:
Im Jahr 2008 folgte die Antwort von Google. Mit dem HTC Dream lancierte der
Suchmaschinenanbieter mit Android ein neues Betriebssystem und das HTC Dream
war das erste Gerät, welches damit ausgestattet war. Auch Android setzte auf die
Eingabe via Finger, obschon zunächst viele Android-Geräte noch mit Hardware-
Tastaturen erschienen. Das Gerät verfügte über eine HSPA-Internetanbindung (7.2
Mbit/Sekunde), einen 8.1 Zentimeter (3.2 Zoll) grossen Bildschirm mit einer Auflösung
von 320x480 Pixel sowie über ein Gewicht von 158 Gramm.
Abbildung 4: HTC Dream (Quelle: phonesdata.com)
2009:
Bereits die dritte Generation des iPhone, das iPhone 3GS, wurde von Apple 2009
lanciert. Apple stieg nun auch auf den Zug des damals schnellen mobilen Internets auf
und spendierte dem Gerät den Internetstandard HSDPA. Damit wurden
Downloadraten von 7.2 Mbit/Sekunde möglich. Bildschirm und Gewicht blieben
identisch mit dem iPhone der ersten Generation (3.5 Zoll bei Auflösung 320x480 Pixel,
135 Gramm).
13
Abbildung 5: iPhone 3GS (Quelle: d3nevzfk7ii3be.cloudfront.net)
2010:
Einen weiteren Meilenstein in der Entwicklung konnte HTC mit dem Modell EVO 4G
setzen. Das Android-Gerät war das erste weltweit verfügbare Smartphone mit der
mobilen Internet-Technologie 4G, auch LTE genannt. In diesem Gerät betrug die
maximale Downloadrate 10Mbit/Sekunde. Das Smartphone verfügte mit 10.9
Zentimetern Bildschirmdiagonalen (4.3 Zoll) und einer Auflösung von 480 x 800 Pixel
auch über einen deutlich grösseren und schärferen Bildschirm als die Vorgänger. Das
Gerät wog 170 Gramm.
Abbildung 6: HTC EVO 4G (Quelle: img.gadgetian.com)
14
2011:
Die Auflösung der Bildschirme und die verfügbare Internetgeschwindigkeit
entwickelten sich weiter. Motorola veröffentlichte 2011 das Modell Droid Razr. Es wies
bei einer Bildschirmdiagonale von 10.9 Zentimetern (4.2 Zoll) eine Auflösung von 540
x 920 Pixel auf. Durch die erweiterte LTE-Technologie waren Downloadraten von bis
zu 50 Mbit/Sekunde möglich. Das Gerät brachte 127 Gramm auf die Waage.
Abbildung 7: Motorola Droid Razr (Quelle: shopologgy.pk)
2012:
In den Listen der beliebtesten Smartphones tauchte nun Samsung immer häufiger als
Hersteller auf. Im Jahr 2012 veröffentlichten die Südkoreaner die zweite Ausführung
ihres Phablets, das Galaxy Note 2. Samsung war es, welcher den Begriff Phablet (eine
Mischung aus den Begriffen Phone und Tablet) salonfähig gemacht und damit eine
neue Nische im Smartphone-Markt etabliert hat. Die erste Generation des Note
verkaufte sich 2011 überraschend gut, deshalb lancierte Samsung weitere Versionen
der für diese Zeit überdimensionierten Geräten. Das Galaxy Note 2 wies einen wuchtig
grossen Bildschirm mit einer Diagonalen von 13.9 Zentimetern (5.5 Zoll) und einer
Auflösung von 720 x 1280 Pixeln auf. Durch den Standard HSPA+ wurden
Downloadgeschwindigkeiten von maximal 42.2 Mbit/Sekunde möglich, das Gerät wog
182 Gramm.
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Abbildung 8: Samsung Galaxy Note 2 (Quelle: matjarey.com)
2013:
Mittlerweile als Tochterunternehmen von Microsoft, veröffentlichte der einstige
finnische Gigant Nokia weitere Smartphones. Im Jahr 2013 stellte Nokia das Lumia
1520 vor. Das Smartphone lief mit dem Microsoft-Betriebssystem Windows Phone und
wies eine Bildschirmdiagonale von 15.2 Zentimetern (6 Zoll) auf. Dazu löste der
Bildschirm mit Full HD, also mit 1080 x 1920 Pixeln auf. Das Gerät brachte 209 Gramm
auf die Waage und konnte via LTE Internetverbindungen von bis zu 150 Mbit/Sekunde
herstellen.
Abbildung 9: Nokia Lumia 1520 (Quelle: phonesdata.com)
2014:
Lange wehrte sich Apple gegen den Trend der wachsenden Smartphone-Bildschirme,
nun aber stellte der amerikanische Konzern nach dem Tod des Firmengründers Steve
Jobs mit dem iPhone 6 Plus erstmals auch ein Phablet vor. Das Gerät verfügte über
eine Bildschirmdiagonale von 13.9 Zentimetern (5.5 Zoll) und eine Full HD-Auflösung
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(1080 x 1920 Pixel). Auch hier waren nun Downloadgeschwindigkeiten von bis zu 150
Mbit/Sekunde möglich, dazu wog das Gerät 172 Gramm. Apple lancierte erstmals zwei
Geräte in einem Jahr, das eine Modell blieb mit einem 4.7 Zoll-Bildschirm
vergleichsweise klein.
Abbildung 10: iPhone 6 neben iPhone 6 Plus (Quelle: blogs-images.forbes.com)
2015:
Während sich die meisten Geräte bei einer Bildschirmgrösse zwischen 5 und 5.5 Zoll
einpegelten, tauchten auch gigantische Geräte auf, welche die Grenze zwischen
Smartphones und Tablets noch stärker aufweichten. Der aufstrebende Chinesische
Hersteller Huawei stellte 2015 das Gerät Huawei P8 Max vor. Das Smartphone wies
eine Bildschirmdiagonale von 17.2 Zentimetern auf (6.8 Zoll) auf, dies mit einer Full
HD-Auflösung (1080 x 1200 Pixel). Das Gerät wog 228 Gramm und stellte LTE-
Internetverbindungen von maximal 150 Mbit/Sekunde her.
Abbildung 11: Huawei P8 Max (Quelle: i.ytimq.com)
17
Weitere Trends im Jahr 2015 waren 2K-Bildschirme, die eine schärfere Auflösung als
Full HD lieferten. Sony stellte Anfang September 2015 dann das weltweit erste Gerät
mit einem 4K-Bildschirm, also der vierfachen HD-Auflösung, vor.
2.2.1 Weltweite Entwicklung der Bildschirmgrössen
Die exemplarisch ausgewählten Smartphones im vorangehenden Abschnitt lassen
den Schluss zu, dass die Bildschirmgrösse bei den Smartphones innerhalb weniger
Jahre massiv gewachsen und auch die Geschwindigkeit des mobilen Internets rasch
angestiegen ist. Technik-Blogger Alex Barredo hat zur Entwicklung der
Bildschirmgrösse eine Statistik erstellt (Gizmodo.com: 2014). Nach der Lancierung
des ersten iPhones im Jahr 2007 erfasste er über 4‘000 Smartphones, welche weltweit
lanciert wurden, in einer Datenbank. Die Messung dauerte bis Anfang 2014.
Abbildung 12: Durchschnittliche Bildschirmgrössen (Quelle: gizmodo.com)
Anhand der Kurve ist zu beobachten, dass es fünf Jahre gedauert hat, bis die
durchschnittliche Bildschirmgrösse von 3 auf 4 Zoll angewachsen ist. Innerhalb von
zwei Jahren ist die Durchschnittsgrösse dann aber auf 5 Zoll angewachsen, das
Wachstum hat sich also beschleunigt und die aktuellen Spezifikationen von
18
Smartphones zeigen, dass dieser Trend bis zum aktuellen Zeitpunkt ungebrochen
bleibt.
Die Statistik zeigt weiter, dass die Portabilität von Smartphones nicht zugenommen
hat. So sind die aktuellen Geräte leicht grösser als vor einigen Jahren. Die Zunahme
der Gerätegrösse ist aber deutlich flacher als diejenige der Bildschirme. Dies liegt
daran, dass die Hersteller den Screen-to-Bezel-Ratio (Verhältnis der Bildschirmgrösse
zu der Gesamtgrösse des Geräts) erhöhen konnten – Smartphones mit deutlich
grösserem Bildschirm sind also nur minim grösser als die älteren Produkte mit deutlich
kleineren Bildschirmen.
Abbildung 13: Durchschnittliche Screen-to-Bezel Ratio (Quelle: gizmodo.com)
19
2.3 Der „Sonderfall Schweiz“
Seit 2009 verfasst die Y&R Group Switzerland einen jährlichen Media Use Index (MUI).
Dabei werden zwischen 1‘500 und 2‘000 Personen zwischen 14 und 69 Jahren in der
Schweiz (Deutsch- und Westschweiz) online zu ihrem Mediennutzungsverhalten
befragt. Die Strichproben sind laut Y&R Group repräsentativ gemäss den offiziellen
Strukturdaten der Länder. Im Jahr 2009 besassen 35% der Schweizer ein iPhone,
nirgends sonst auf der Welt war die Durchdringung des Apple-Geräts derart stark wie
in der Schweiz (Y&R Group Switzerland, Media Use Index 2009). Der Siegeszug des
iPhones setzte sich fort, im Jahr 2012 nutzte die Hälfte aller Smartphone-Besitzer in
der Schweiz ein Apple-Gerät, während 40% das Konkurrenz-Betriebssystem Android
benutzten. Erst ab 2012 flachte die Marktdomination von iOS in der Schweiz langsam
ab und 2014 hatte Android erstmals die Nase vorn (MUI: 2014).
Diese Entwicklung widerspiegelt keinesfalls die globale Entwicklung. 2012 wies
Android eine Marktdominanz von 69.3% auf und steigerte diese bis 2015 auf 82.8%.
Das Apple-Betriebssystem iOS wies 2012 einen Anteil von 16.6% auf und sackte bis
2015 auf 13.9% ab (IDC: 2015).
Abbildung 14: OS-Marktanteile. (Eigene Darstellung. Daten-Quellen: MUI 2012-2014
/ IDC 2012-2014)
69.3
79.884.8
16.612.9 11.6
4045
4950 48
42
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
2012 2013 2014
Marktanteile iOS und Android
Android global iOS global Android CH iOS CH
20
Die Schweiz war und ist gemäss diesen Zahlen eine iPhone-Hochburg. Dies ist
insofern relevant, weil damit vor allem die Geräteentwicklung von Apple den
technischen Wandel des mobilen Internets in der Schweiz definiert hat. Das erste
iPhone mit Breitband-Internetstandard war das iPhone 3GS mit HSDPA und einer
maximalen Downloadrate von 7.2 Mbit/Sekunde. Dieses Gerät erschien 2009, vorher
war schnelles mobiles Internet in der Schweiz also ein eher untergeordnetes Thema.
Auch das Entgegenhalten von Apple zum Trend der immer grösser werdenden
Smartphone-Bildschirme hatte vermutlich einen Einfluss auf die Nutzungsarten in der
Schweiz.
Abbildung 15: Average Screen Size of New iPhones (Quelle: gizmodo.com)
Wie obige Grafik demonstriert, machte Apple erst 2012 mit dem iPhone 5 einen
Vergrösserungsschritt beim Bildschirm und hinkte der Konkurrenz bewusst weiterhin
hinterher, ehe man 2014 das erste Phablet präsentierte (siehe Kapitel 2.3). Dies dürfte
dazu geführt haben, dass der verstärkte mobile Konsum von Internetinhalten in der
Schweiz erst 2012 eingetreten ist. Bereits in den Neunzigerjahren gab es Studien über
die Auswirkung von kleinen Bildschirmen in Bezug auf die Fähigkeit, im Internet zu
surfen. Eine Studie (Han / Kwahk 1994: 360ff.) kam zum Schluss, dass kleinere
Bildschirme die Effektivität von User-Interaktionen um bis zu 50% reduzieren können.
Dillon, Richardson und McKnight (1990: 215ff.) stellten fest, dass es für die Nutzer
schwieriger ist, sich auf Inhalte auf kleineren Bildschirmen zu fokussieren, da mehr
21
gescrollt werden muss. Edwards (2013: 68-70) hält fest, dass vor allem die wachsende
Grösse von Smartphones dazu führt, dass Notebooks und Desktop-Computer ersetzt
werden und Stockwell (2008: 253ff. ) sowie Cheon et al. (2012: 1054ff. ) konnten
nachweisen, dass unter anderem die Grösse des Bildschirm darüber entscheidet, ob
eine mobile Applikation Erfolg hat oder nicht.
Betrachtet man den Media Use Index der Schweiz über den Zeitraum der Jahre 2010-
2014 bezüglich des mobilen Internetkonsums, kann die These nachvollziehbar
dargestellt werden. Im Jahr 2010 nutzten 25% der Bevölkerung das Internet per
Mobiltelefon, 2011 waren es 44%, was der grössten Penetrationsrate in den
deutschsprachigen Ländern Europas entsprach. 2012 waren es 54% und ein grosser
Sprung war 2013 zu beobachten: 70% der Schweizer gingen in diesem Jahr per
Smartphone ins Internet, zudem gaben 76% der Smartphone-Besitzer an, täglich mobil
auf das Internet zuzugreifen und knapp die Hälfte der Teenager gab an, häufiger mit
dem Smartphone online zu sein als mit einem Computer. 2014 schliesslich gingen 75%
der Bevölkerung mit dem Smartphone online (MUI: 2010-2014). Bedenkt man, dass
das Modell iPhone 5 von Apple Ende September 2012 auf dem Schweizer Markt
erschien und erstmals statt 3.5 Zoll einen 4 Zoll-Bildschirm mit sich brachte, kann der
Anstieg im Jahr 2013 als Folge der einfacheren Lesbarkeit und Bedienbarkeit mit
einem grösseren Bildschirm gedeutet werden.
Abbildung 16: Bevölkerungsanteil, der mit Smartphone online geht. (Eigene
Darstellung. Quelle der Daten: MUI 2010-2015)
0%
20%
40%
60%
80%
2 0 1 0 2 0 1 1 2 0 1 2 2 0 1 3 2 0 1 4
CH-BEVÖLKERUNGSANTEIL, DER MIT SMARTPHONE ONLINE GEHT
Bevölkerungsanteil
iPhone 5 -Lancierung
22
Auch die technische Entwicklung bezüglich Netzabdeckung für mobiles Internet in der
Schweiz hat in den vergangenen zehn Jahren einige Meilensteine gesetzt. Für die
folgende Übersicht wird vom Szenario ausgegangen, dass ein Medienkonsument
einen zweiminütigen Video-Beitrag unterwegs auf seinem Smartphone abrufen will. Es
wird davon ausgegangen, dass dieses Video 80 MB gross ist. Die folgenden
Zeitangaben gehen immer von Laborwerten, also der maximal möglichen
Geschwindigkeit aus – in der Praxis wies das Netz viele Lücken auf oder bot zu wenig
Bandbreite, um alle Nutzer mit der maximal möglichen Geschwindigkeit bedienen zu
können.
2005: Die Vergabe der UMTS-Lizenzen ist schon fünf Jahre her, nun startet Swisscom
mit dem Ausbau des Netzes. Auch Orange zieht nach und bedient ab Oktober
städtische und touristische Gebiete. Die maximale Geschwindigkeit beträgt 384 Kbit /
Sekunde. Das bedeutet: Für den Abruf des Nachrichtenvideos werden mindestens 27
Minuten und 47 Sekunden benötigt.
2006: Swisscom nimmt das „Turbo-Mobilfunknetz“ mit der Bezeichnung HSDPA in
einigen Grossstädten in Betrieb. Bis Ende Jahr werden rund 40% der Kunden mit der
Technologie abgedeckt. Die maximale Downloadrate beträgt 1.8 Mbit / Sekunde. Für
den mobilen Konsum des Nachrichtenvideos bedeutet das eine Wartezeit von
mindestens 5 Minuten und 56 Sekunden.
2007-2008: Swisscom baut die Technologie auf HSPA (Kombination von HSDPA und
HSUPA) aus. Maximal sind nun Downloadraten von 7.2 Mbit / Sekunde möglich. Das
Nachrichtenvideo kann nun mobil innert 1 Minute und 29 Sekunden heruntergeladen
werden.
2009-2010: Einmal mehr legt Swisscom vor und konzentriert sich auf den Ausbau von
HSPA+. Dabei werden Bandbreiten von bis zu 28 Mbit / Sekunde möglich. Neu dauert
der Abruf des 80 MB grossen Videos noch 23 Sekunden. Allerdings zeigt ein Test der
Sendung Kassensturz im Oktober 2010, dass die durchschnittliche
Downloadgeschwindigkeit auf dem Swisscom-Netz gerade mal 1.6 Mbit / Sekunde
beträgt.
23
2012 – 2015: Ab Dezember schaltet Swisscom als erster Netzbetreiber in der Schweiz
das LTE-Netz auf. Zunächst nur in zwölf Städten, doch wächst das Netz stetig weiter.
Mitte 2015 sind laut Swisscom 97% der Bevölkerung mit LTE versorgt. Die maximale
Downloadrate beträgt nun 150 Mbit / Sekunde – das Nachrichtenvideo kann also innert
4 Sekunden heruntergeladen werden. LTE bietet nebst hohen
Übertragungsgeschwindigkeiten auch kurze Antwortzeiten was wichtig für den Abruf
aufwändiger Websites ist.
Swisscom kündigt an, ab Ende 2015 auf den Standard 4G+ zu setzen, welcher doppelt
so schnelle LTE-Geschwindigkeit bringen soll. International wird zudem bereits über
die nächste Generation, ein 5G-Netz, diskutiert. Dieses soll in Europa ab 2020 gar die
hundertfach höhere Datenrate als LTE-Netze bieten.
Die Daten des Media Use Index, die Beobachtung der Entwicklung der mobilen
Internettechnologie in der Schweiz sowie der Blick auf die Entwicklung der
Smartphone-Modelle zeigen auf, dass alleine zwischen 2012 und 2015 enorme
Entwicklungsschritte von statten gingen. Die Zahl der Leute, die mit dem Smartphone
auf das Web zugreifen hat genauso wie die mobile Internetgeschwindigkeit massiv
zugenommen und dazu wurden die Geräte multimedialer und moderner.
Inwiefern ein solch umfassender technischer Wandel Einfluss auf soziale Systeme wie
die Medien nehmen könnte, soll das folgende Kapitel aufgrund von Theorien und
wissenschaftlichen Erkenntnissen ausarbeiten.
24
3 Theorie und Stand der Forschung
In diesem Kapitel wird zum einen mithilfe von Sekundärliteratur reflektiert, welchen
möglichen Einfluss Technik auf den Journalismus nehmen kann. Darauffolgend soll
eine theoretische Auslegeordnung über die Zuschreibung von Technik und ihren
Folgen gemacht werden. Als dritter Theorieteil werden die verschiedenen
Auswirkungen des verstärkten mobilen Medienkonsums wissenschaftlich beleuchtet.
3.1 Der Einfluss der Technik auf den Journalismus
Journalismusforscher untersuchten bislang einerseits vor allem die Phänomenen des
Wandels (Fengler/Kretzschmar 2009; Hohlfeld et al. 2002) und andererseits die Meta-
Prozesse und die daraus folgenden Auswirkungen für gesellschaftliche
Selbstverständigung und Selbstbeobachtung (Schneider 2012; Schmidt 2011;
Neuberger 2009). Analysen zu den Einflüssen des ökonomischen, medienpolitischen
und handwerklichen Wandels auf den Journalismus sind selten (Kramp 2012: 94 ff.).
Die disruptive Innovation im Bereich der Smartphones kann zum ökonomischen und
handwerklichen Wandel dazugezählt werden. Zudem blieb bislang die Meso-Ebene,
also konkrete betriebliche Strukturen, in denen Innovationsprozesse ablaufen,
weitgehend unerfroscht. Auf der Meso-Ebene spielen die Mitarbeiter eine wichtige
Rolle, das heisst eine Analyse muss die Redakteure als zentrale Akteure in den Blick
nehmen (Loosen et al 2013: 9). Insofern soll mit dieser Arbeit eine Analyse auf der
Meso-Ebene durchgeführt werden.
Es gibt verschiedene Interpretationen, welchen Einfluss Technik auf den Journalismus
nimmt (Brosda 2007: 285-286). Eine optimistische lautet, dass die Technisierung der
Redaktion der Ermöglichung journalistischen Handelns dient, insbesondere im
Hinblick auf Verbreitung und Vervielfältigung. Eine andere Interpretation besagt, dass
die Technisierung eine notwenige, effizienzsteigernde systemische Ausdifferenzierung
der Bereiche materieller Reproduktion darstellt. Negativer wird der Einfluss der
Technik in dieser Interpretation bewertet: Die Technisierung führt zu einer
problematischen Kolonialisierung journalistischen Handelns, indem redaktionelle
Spielräume nicht mehr kommunikativ und kooperativ gestaltbar sind, sondern
technisch vorgeprägt werden – man stellt also das Prinzip der Pfadabhängigkeit
25
technischen Wandels in den Vordergrund. Weischenberg nennt die elektronischen
Systeme aus diesem Grund gar „Selbstschussanlagen für einen qualifizierten
Journalismus“ (Hienzsch 1990: 242) und bezieht sich dabei auf die Ergebnisse von
Hienzsch, der feststellt, dass die durch Technik forcierte Kybernetisierung der
redaktionellen Arbeit die Redaktionsarbeit „entsprachliche“ (Vgl. Hienzsch 1990: 287).
Pavlik (2000: 229-237) stellt die These auf, dass sich verändernde Technologien den
Journalismus in mindestens vier Gebieten beeinflussen – nämlich in der Art, wie
Journalisten arbeiten, im Inhalt der Nachrichten, in den Strukturen der Organisation
und in der Beziehung zwischen verschiedenen Medienorganisationen. Es ist also
entscheidend, ob Technik als Akteur oder als formbare Masse betrachtet wird. Über
diese Definition war sich die Wissenschaft über die vergangenen Jahrzehnte nicht
einig, wie die folgenden Abschnitte aufzeigen.
3.1.1 Die Abkehr vom Determinismus
Die neue Realität, dass in der Schweiz Zugriffe auf das Internet verstärkt mobil
erfolgen, hat Einfluss auf die hiesigen Medienhäuser. Ob und inwiefern technischer
Wandel die Art des Journalismus verändert, wäre in den vergangenen Jahrzehnten je
nach vorherrschender theoretischer Lehre aber sehr differenziert beantwortet worden.
Unerwünschte Folgen von Technik zeigten sich bereits im Altertum durch den
übermässigen Einsatz von Landbautechnik in dafür ungeeigneten Regionen oder
durch den Kahlschlag der mediterranen Waldgebiete für den Bau von Schiffen oder
Gebäuden mit der heute noch sichtbaren Folge der Verkarstung ganzer Regionen
(Grundwald 2010: 23). Doch wie stark und von welcher Seite Einfluss genommen wird,
wurde in der wissenschaftlichen Geschichte unterschiedlich ausgelegt.
Noch in den Siebzigerjahren hätte der wissenschaftliche Konsens gelautet, dass die
technische Veränderung durch Smartphones tonangebend in der Veränderung,
respektive der Weiterentwicklung des Journalismus ist – die Rede ist von der
technikdeterministischen Sichtweise – in dieser Anschauung determiniert die Technik
das soziale System, wird von diesem selbst aber nicht beeinflusst. Technik wird also
als autonomes, exogenes und aussergesellschaftliches Phänomen betrachtet
(Rammert 2007: 11-36). Im Technikdeterminismus wird die Gesellschaft durch
26
technologische Entwicklungen bestimmt – die Technik beeinflusst menschliches
Verhalten und soziale Kommunikation (Belliger et al. 2011: 3). Technik wird als
„Sachzwang“ oder als sich verselbständigte Entäusserung beziehungsweise
Erweiterung des Menschen betrachtet (Schelsky, 1965; Gehlen, 1986).
Später folgte die Gegenthese des Sozialdeterminismus, hier war die Kausalrichtung
genau gegenstellig – man wäre also davon ausgegangen, dass Journalisten
mitbestimmen, wie sich die Technik weiterentwickelt. Unter anderem haben Ansätze
des niederländischen Sozialkonstruktivismus (Bijker et al. 1987; Bijker / Law 1994:
225ff.) sowie kulturalistischer Verständnisse des Verhältnisses von Technik und
Gesellschaft (Weingart 1989) dazu beigetragen, Technik als eine sozial beeinflussbare
Grösse zu verstehen.
Gemäss Dolata (2007:65) war das Vertrauen ein Doppeltes: ein Vertrauen in die
soziale Gestaltbarkeit von Technik als solche und darüber hinaus noch ein Vertrauen
darin, dass eine derartig gestaltete Technik erheblich weniger unbeabsichtigte
Nebenfolgen zeitigen werde. In gewisser Weise sei es eine Wiederkehr des
Planungsoptimismus in neuem Gewand. Sowohl die Ansätze des
Technikdeterminismus wie auch des Sozialdeterminismus gelten heute als überholt.
Angetreten, den Irrtum des technologischen Determinismus zurückzuweisen, hat der
Sozialkonstruktivismus den gegenteiligen Irrtum eines soziologischen Voluntarismus
geboren (Ropohl 1999: 296).
3.1.2 Technikfolgenabschätzung als Lösung
Durch den nicht lösbaren Widerspruch der beiden Determinismus-Richtungen,
entwickelte sich neu die Technikfolgenforschung (Constructive Technology
Assessment, kurz TA) – der Begriff tauchte erstmals 1966 in einem US-Senatsbericht
im Zusammenhang mit positiven und negativen Folgen technischer Entwicklungen auf .
Massgeblich beteiligt an der Entstehung und inhaltlichen Ausgestaltung der TA-Idee
in den USA waren neue soziale Bewegungen wie insbesondere die Umweltbewegung
und die Konsumentenbewegung, die in zunehmenden Masse die nicht-intendierten
negativen Folgen des Technikeinsatzes thematisierten (Paschen 1999: 77).
Die Forschung und Methodik rund um die Technikfolgenabschätzung hat sich seit
dann als gangbarer Mittelweg etabliert. In den Siebzigerjahren verbreitete sich der
27
Forschungszweig auch in Europa. Denn technischer Wandel erfolgt ausgehend von
der bestehenden Konstellation durch Veränderung oder grundlegender Neuerung
technischer Wirkungszusammenhänge und zugleich Nutzungsvorstellungen,
Nutzungspraktiken und institutionellen Rahmenbedingungen des Technikeinsatzes
(Grunwald 2010: 64). Durch Beobachtungen und Analysen von Techniktrends sollen
also Chancen und Risiken abgeschätzt werden. Technikfolgenabschätzung (TA) steht
als Bezeichnung für Verfahren der Erfassung und kritischen Beurteilung von
Bedingungen und gesellschaftlichen Folgen technischen Handelns. Der Begriff hat
sich als Übersetzung von „technology assessment“ weitgehend durchgesetzt.
Entweder synonym mit TA oder als Kennzeichnung eines speziellen Ansatzes der TA
wird auch der Begriff „Technikbewertung“ verwendet. Die deutsche Übersetzung von
TA ist in mindestens zweifacher Hinsicht irreführend. Erstens hat „assessment“ im
Gegensatz zu „Abschätzung“ durchaus den Unterton eines rationalen
Beurteilungsprozesses. Zweitens wird durch „technology“ im Unterschied zu
„Technik“ keine scharfe Grenze beispielsweise zu den Naturwissenschaften und
medizinischen Disziplinen markiert. Alternative Übersetzungsvorschläge wie zum
Beispiel Technikfolgenbeurteilung haben sich jedoch nicht durchsetzen können –
deshalb wird auch in dieser Arbeit der Begriff Technikfolgenabschätzung verwendet.
Inhaltlich bestehen also starke Überschneidungen zu Fragestellungen der
Wissenschaftsethik. (Gethmann / Grunwald 1996: 7)
Die zunehmende Nutzung des Internets durch mobile Geräte und damit auch die Frage,
inwiefern diese Geräte spezifisch von den Medienhäusern mit Informationen bespielt
werden sollen, befindet sich in der Stabilisierungsphase (im Anschluss an die
vorhergegangene Entstehungsphase vor einigen Jahren) – mittlerweile greift ein
Grossteil der Bevölkerung mobil auf Informationsplattformen zu und es können
Hypothesen über neue sozio-technische Handlungsformen erstellt werden, die in der
kommenden Durchsetzungsphase dann Wirklichkeit werden – oder eben auch nicht
oder in anderer Weise als zunächst gedacht (vgl. Schulz-Schaeffer: 16-17). Ein „Blick
in die Zukunft“ ist also von Nöten, um die Frage des Einflusses auf den Journalismus
beantworten zu können. Genau dafür eignet sich die Technikfolgenforschung – sie soll
zukünftige Wirkungen neuer Techniken antizipieren und auf diese Weise eine
Frühwarn-Funktion übernehmen; sie soll die zu beurteilende Technik im Kontext von
Handlungsalternativen betrachten; sie soll herausfinden, wo Handlungsbedarf besteht
28
und welche Handlungsoptionen zur Verfügung stehen (vgl. Paschen / Petermann
1991: 26ff.). Allerdings ist die TA auch Jahrzehnte nach ihrer Entstehung noch immer
eine junge Forschungskonzeption, in der sich auch innert wenigen Jahren noch viel
ändern kann (Grunwald 2010: 11). Die Geschichte der Technikfolgenabschätzung
lässt sich durchaus als Lernprozess interpretieren.
Zudem wird der Begriff der Technikfolgenabschätzung selten in einen Zusammenhang
mit dem Theoriebegriff gebraucht, TA gilt häufig als Praxis.
Es ist deshalb entscheidend zu definieren, wie die Ausgestaltung der
Technikfolgenabschätzung im vorliegenden Fall für den Einfluss des mobilen Wandels
auf den Journalismus in der Schweiz angewendet werden soll. Dazu sollen zuerst die
Begriffe reflektiert werden. Technik bedeutete zu den Anfängen der TA die
Fokussierung auf Technik im traditionellen Ingenieurssinn wie zum Beispiel
Grossanlagen. In den vergangenen 20 Jahren hat aber eine Verschiebung hin zu
Querschnittstechnologien stattgefunden (Grunwald 2010: 275). Dazu zählt unter
anderem die Informations- und Kommunikationstechnik. Es wird also eine moderne
Form der TA angestrebt, welche sich von den industriellen Wurzeln loslöst. Der Begriff
Folge kann als intendiert oder nicht intendiert interpretiert werden, dazu gibt es Haupt-
und Nebenfolgen, erwünschte und unerwünschte sowie vorhersehbare und
unvorhersehbare Folgen (Grunwald 2010: 75). In der vorliegenden Arbeit sollen die
möglichen Folgen als nicht intendierte, unerwünschte und damit unvorhersehbare
Nebenfolgen definiert werden.
3.1.3 TA in der Anwendung
Es gibt keine allseits anerkannte generelle Struktur für TA-Projekte. Jede TA-
Untersuchung muss ihre eigene Struktur und die verwendete Methodik festlegen und
begründen, angepasst an Fragestellungen, Anforderungen, Adressaten und den
Gegenstandsbereich. Vor Beginn eines TA-Projekts muss eine Situationsanalyse
vorgenommen werden (Grunwald 2010: 122).
TA hat sich vor allem in der Politik manifestiert, in diversen Ländern sind Institute oder
Büros für Technikfolgenabschätzung zu einer fixen Institution geworden. Beim
Deutschen Bundestag gibt es etwa das Büro für Technikfolgenabschätzung – es ist
eine selbstständige wissenschaftliche Einrichtung, die den Deutschen Bundestag und
seine Ausschüsse in Fragen des wissenschaftlich-technischen Wandels berät. In der
29
Regel umfassen die TA des Büros Analysen sowohl zu den positiven und negativen
Auswirkungen als auch zu den Potenzialen, Chancen und Realisierungsproblemen
wissenschaftlich technischer Entwicklungen (Paschen 1999: 83). Das TA-Büro hat
1995 beispielsweise einen 250-seitigen Bericht zum aktuellen Entwicklungsstand von
Multimedia in Deutschland verfasst. Dies illustriert, dass TA im Politikprozess
aufwändig gestaltet ist. Der Bericht ist nämlich erst die Vorstufe für ein TA-Projekt, das
dank der konkreten Vorschläge des Berichts aufgegleist werden könnte. Und dieses
Projekt würde dann auch wieder über ein Jahr dauern.
Auch in der Schweiz gibt es eine Institution für TA – das Zentrum für
Technologiefolgen-Abschätzung TA-SWISS. Es betreibt seit 1992 Technologiefolgen-
Abschätzung gemäss einer im Bundesgesetz über die Förderung und Forschung und
der Innovation verankerten Aufgabe (ta-swiss.ch 2015).
Technikfolgenabschätzung wird in der Praxis also meist in der Politik betrieben, kann
aber durchaus auch für kleinere Projekte wie die Fallstudie in der vorliegenden Arbeit
genutzt werden.
Renn und Wachlin (1998: 2ff) stellten vor dem Hintergrund der Erfahrungen der
Forschung an der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg ein
Klassifikationsschema der TA mit vier Diskurstypen zur Diskussion. Der kognitive oder
Wissensdiskurs umfasst Kommunikationsprozesse, bei denen Experten für Wissen mit
dem Ziel einer möglichst wirklichkeitsgetreuen Abbildung und Erklärung eines
Phänomens um die Klärung eines Sachverhaltes ringen. Die zweite Kategorie, der
Reflexionsdiskurs, umfasst Kommunikationsprozesse, bei denen es um die
Interpretation von Sachverhalten geht, um also Präferenzen und Werte zu klären.
Daneben umfasst der Gestaltungsdiskurs Kommunikationsprozesse, die auf die
Bewertung von Handlungsoptionen und/oder die Lösung konkreter Probleme abzielen.
Dazu gehören Verfahren der Mediation ebenso wie Schlichtungen zwischen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder politische beziehungsweise wirtschaftliche
Beratungsgremien, die konkrete Politikoptionen vorschlagen oder evaluieren sollen.
Die vierte Kategorie schliesslich ist der Vermittlungsdiskurs, welcher allerdings einen
Sonderfall darstellt. Er dient dazu, einerseits die Ergebnisse der drei anderen
Diskursformen oder auch anderweitig zustande gekommene Sachverhalte,
Bewertungen oder Gestaltungsvorschläge an unterschiedliche Adressaten zu
vermitteln und allgemein oder zielgruppenspezifisch zum besseren Verstehen
beizutragen. Die Vorgehensweise ist hier nicht zwangsweise diskursiv, auch wenn sie
30
diskursive Züge tragen kann. Der Vermittlungsdiskurs entspricht somit nicht dem
Diskursbegriff im strengen Sinn.
Abbildung 17: Diskurstypen der TA. (Quelle: Oppermann / Langer 2002: 5-6)
In der vorliegenden Arbeit soll der der Reflexions-Diskurstyp angewendet werden, weil
der mobile Wandel im journalistischen Sinne analysiert und bewertet werden soll.
31
Paschen (1999: 80-82) streicht wegen dem bis heute anhaltenden Prozess der
Umorientierung und Modifizierung des TA-Konzepts und der TA-Philosophie die aus
seiner Sicht sechs wichtigsten bisherigen Ergebnisse dieses Entwicklungsprozesses
heraus:
I. Neben die Funktion der Frühwarnung vor potenziellen negativen Technikfolgen
(„Wachhundfunktion“) sind als weitere gleichrangige Aufgaben des Technology
Assessment das Ausloten der Potenziale wissenschaftlich-technischer
Entwicklungen und der damit verbundenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen
und ökologischen Chancen („Spürhundfunktion“) getreten
II. Gesellschaftliche Probleme, Bedürfnisse und Erwartungen bilden in
zunehmenden Masse den Ausgangspunkt von Technikfolgenabschätzungen
(„probleminduzierte“ TA gegenüber der mehr an der Angebotsseite orientierten
„technikinduzierten“ TA). Es geht darum, plausible oder wünschenswerte
Szenarien zu entwerfen und alternative Wege zu beschreiben und zu
analysieren, mit denen diese Szenarien erreicht werden können
III. Zentrale Zielsetzung moderner Technikfolgenabschätzung ist es, Prozesse der
strategischen Entscheidungsfindung im Bereich von Forschung und
technischer Entwicklung und der Verbesserung von rechtlichen und sonstigen
Rahmenbedingungen für technische, soziale, organisatorische und
institutionelle Innovationen zu unterstützen. Dazu soll sie zur Gestaltung
wissenschaftlich-technischer Entwicklungen und ihrer Anwendungsmodalitäten
beitragen.
IV. Weitgehend geteilt wird heute in die Auffassung, dass
Technikfolgenabschätzungen in vielen Fällen nur wirklich erfolgreich sein
können, wenn sie nicht als „Einmalstudien“, sondern als Folgen bei Bedarf zu
wiederholender Analysen und Bewertungen konzipiert sind.
V. Ein hohes Mass an Zustimmung hat inzwischen auch die Forderung nach
Beteiligung interessierter und betroffener Einzelpersonen und Gruppen und
sogar der allgemeinen Öffentlichkeit an wichtigen Technikfolgenabschätzungen
gefunden. Zur Begründung dieser Forderung wird vor allem angeführt, dass
durch die breite Partizipation von Nicht-Fachleuten die kognitiven Grundlagen
von Technikfolgenabschätzungen verbessert, ihre Glaubwürdigkeit und
32
Akzeptanz erhöht und ihr Konfliktlösungspotenzial und ihre politische
Legitimation verstärkt werden können.
VI. Technikfolgenabschätzungen werden heute allgemein als
„wertsensible“ Analysen aufgefasst, deren Ergebnisse in hohem Masse von den
subjektiven Einschätzungen der TA-Analytiker, ihrer Auftraggeber und
gegebenenfalls anderer an der Untersuchung Beteiligter abhängen. Auf jeder
Stufe der Durchführung von Technikfolgenabschätzungen müssen Werturteile
gefällt werden, so zum Beispiel bei den besonders kritischen und
ergebnisbestimmenden Festlegungen über die Abgrenzung der
Untersuchungsbereiche.
Im Sinne dieser Erkenntnisse setzt sich die vorliegende Arbeit explizit auch mit der
„Spürhundfunktion“ der Technikfolgenabschätzung auseinander. Sie nimmt also
weniger die Funktion eines Frühwarnsystems ein sondern soll stattdessen
wissenschaftlich nachvollziehbar neben Gefahren auch Potenziale und Chancen des
mobilen Wandels für den Journalismus beleuchten. Da gesellschaftliche Probleme und
Erwartungen in der TA gemäss Paschen in den Vordergrund rücken, eignet sich eine
Analyse des Einflusses auf das Mediensystem denn ohne freie Medien ist keine
ungehinderte Meinungsbildung des Bürgers und damit keine Demokratie möglich
(Kleinsteuber 1996: 33). Gemäss Punkt III hat die vorliegende Arbeit auch den
Anspruch, Medienunternehmen in der strategischen Zielfindung im Zeichen des
mobilen Wandels zu unterstützen denn TA hat den Anspruch, Orientierung für
gegenwärtig anstehende Entscheidungen durch Reflexion auf zukünftige
Technikfolgen bereitzustellen (Grunwald 2010: 41).
33
Als betroffene Einzelpersonen sollen Journalisten miteinbezogen werden. Denn bei
der TA spielt die Verteilungsgerechtigkeit in Bezug auf Chancen und Risiken von
Technik eine besondere Rolle (Gethmann 1994: 20ff.). Adressaten der Beratung sind
unter anderem Berufsgruppen und Individuen, die in der Ausübung ihrer Tätigkeiten
mit der Gestaltung wissenschaftlich-technischer Entwicklungen befasst sind
(Grunwald 2010: 80).
3.2 Veränderter Medienkonsum durch Mobilität
3.2.1 Ubiquität
Nach der Festlegung der Gewichtung der Technik an für sich und der damit
verbundenen Vorgehensweise drängt sich auch eine wissenschaftliche Einordnung
der Veränderung durch den verstärkten Gebrauch von Smartphones auf. Dadurch,
dass Smartphones in grossen Teilen der Bevölkerung bereits das Hauptgerät für den
Internetkonsum sind, verändert sich auch das Nutzungsverhalten bei
Medienangeboten. Bislang gab es stets Einschränkungen im Konsum von digitalen
Medien. Das Radioprogramm konnte nur mit einem entsprechenden UKW-, respektive
DAB-Gerät abgerufen werden – dazu werden die Nachrichten immer nur zu einem
bestimmten Zeitpunkt gesendet. Selbstverständlich setzten die Radiostationen später
auf Webradio und Podcasts, doch konnten diese auch nur stationär am Desktop-
Computer konsumiert werden – dasselbe galt für Videoangebote. Onlineportale
wiesen zwar keine zeitlichen Restriktionen mehr auf, sehr wohl aber räumliche – da
man an ein stationäres Empfangsgerät gebunden war. Durch die Verbreitung von
Smartphones und der mobilen Internettechnologie werden diese Grenzen endgültig
aufgebrochen.
Es gibt keine zeitlichen und räumlichen Restriktionen mehr, der Zugriff auf gewünschte
Informationsdienstleistungen wird also ubiquitär. Unter diesem Begriff wird verstanden,
dass zum einen internetfähige Geräte in handlicher Form überallhin mitgenommen
werden können (Auflösung räumlicher Restriktionen) und dadurch jederzeit Zugriff auf
beliebige Online-Angebote möglich wird (Auflösung zeitlicher Restriktionen) (Hagen et
al. 2013: 54). Die bislang gültige feste Ortszuschreibung wird aufgelöst. Tully (2009:
23) spricht auch davon, dass die moderne Kommunikations- und Mobilitätstechnik die
Spuren der Orte verwischt.
34
Das Smartphone wird auch häufig zur Überbrückung von Wartezeiten, etwa der
morgendlichen Zugfahrt zur Arbeit genutzt (Hulme / Truch 2006: 168).
„Zweifellos kann die Zeit, die für den Berufsverkehr und das Warten in Banken und
Flughäfen draufgeht jetzt für die Kommunikation per Handy besser genutzt
werden“ (Katz 2006: 200). Köhler (2012: 228) geht noch weiter: „Allgegenwärtiges
Internet und Smartphone bescheren uns eine neue Dimension in Sachen
Unbestimmtheit“. Bei der Nutzung von Mobiltelefon stellt sich auch die Frage, die
Winter (2006: 97) unter dem Stichwort „Konvergenz-Paradox“ anspricht: „Wissen wir,
ob und wie jemand, der zu jeder Zeit, an jedem Ort mit prinzipiell jedem und allem
verbunden sein kann, in Zukunft noch mit Dingen und Menschen verbunden sein
wird?“. Gemäss Book et al. (2005: 119) gibt es drei Grade der Mobilität, nämlich die
Gerätemobilität, die Nutzermobilität sowie die Dienst-Portabilität. Die Gerätemobilität
ist dann gegeben, wenn ein Gerät mit einem Netzwerk verbunden bleibt, während es
sich physisch in Bewegung befindet. Nutzermobilität bedeutet, dass der Benutzer nicht
an ein bestimmtes Gerät gebunden ist um einen Dienst zu nutzen. Und Dienst-
Portabilität bedeutet, dass ein Dienst überall unabhängig vom Aufenthaltsort des
Nutzers verfügbar ist. Der Konsum von Medien via Smartphone deckt diese drei Grade
der Mobilität allesamt ab.
3.2.2 Veränderte Darstellung
Auch in die Art der Darstellung wird durch den mobilen Wandel beeinflusst. Wie Kapitel
2.2.1 gezeigt hat, sind die Smartphone-Bildschirme innert weniger Jahre stark
gewachsen und auch die Darstellungstechnik hat sich bezüglich Auflösung deutlich
verbessert. Trotzdem bleiben die Bildschirme im Vergleich mit klassischen
Anzeigegeräten wie Desktop-Bildschirme oder Notebooks immer noch deutlich kleiner.
Chittaro (2006: 2) unterscheidet deshalb zwischen „Traditional Visualization“ und
„Mobile Visualization“. Unter anderem ist die Möglichkeit der Eingabe auf einem
Smartphone deutlich eingeschränkter als auf einem klassischen Empfangsgerät, etwa
infolge der verkleinerten Tastatur – dies hat Auswirkungen auf etwaige Eingaben, die
vom Rezipienten verlangt werden, beispielsweise das Ausfüllen einer Umfrage oder
eines Quiz. Chittaro streicht zudem heraus, dass die physikalische Umgebung bei der
mobilen Rezeption sehr unterschiedlich sein kann. Die Inhalte können zum Beispiel
35
sowohl bei grellem Sonnenlicht – etwa im Sommer in der Badeanstalt – oder bei totaler
Dunkelheit bei der Fahrt durch einen Tunnel konsumiert werden. Dies habe Einfluss
auf die Wahrnehmung von Farben und Grafiken. Je nach Einsatzgebiet würden zudem
traditionelle Geräte dem Smartphone vorgezogen und umgekehrt. Wenn ein
Medizinforscher an einer Studie mit 10‘000 Patienten arbeitet, dann wird er den
Desktopcomputer gegenüber dem Smartphone bevorzugen. Will er aber nur den
Fortschritt eines einzelnen Patienten visualisieren, dann bietet sich eher das
Smartphone an, da die Daten überall abgerufen werden können, auch direkt neben
dem Spitalbett der Patientin (Chittaro 2006: 2). Diese Ausführungen lassen den
Schluss zu, dass Medieninhalte für den mobilen Konsum, also als „Mobile
Visualization“, speziell neu aufbereitet werden müssen. Gleichzeitig verschmelzen
verschiedene Medien auf den Smartphones durch die Erhöhung der Bandbreite des
mobilen Internets – denn die Distribution aller Arten von Content über das Internet wird
gemäss Hess (2007: 8) ausschliesslich durch fehlende Bandbreiten begrenzt.
3.2.3 Prosument
Mit der Verbreitung der mobilen Internettechnologie steigt auch das Potenzial der
Interaktion zwischen Medienhäusern und deren Rezipienten. O’Reilly (2005) prägte
den Begriff „Web 2.0“, welchen das Internet als „Mitmach-Web“ bezeichnet. Jenkins
et al. (2006: 6) sprachen anschliessend von einer „new participatory culture“, die vor
allem jüngere Internet-Konsumenten durch ungewöhnlich starkes Engagement
auszeichnet. Sie schliessen sich sozialen Netzwerken an, nehmen darüber hinaus
aber auch an Geschäftsprozessen aktiv teil und wollen direkt involviert werden, um
eigene Beiträge zu leisten, ja direkt Einfluss zu nehmen auf das, was die eigentliche
Funktion einer bestimmten Sach- oder Dienstleistung sein soll (Hellmann 2010:14).
Durch die Verbreitung des Smartphones wurden solche sozialen Netzwerke zum
ständigen Begleiter im Alltag (Höffken 2015:9). Die Zahl an potenziellen Prosumenten
– also eine Mischung aus Konsument aber auch Produzent- steigt damit für
Medienhäuser an.
Die Tatsache, dass Smartphones personalisierte Geräte sind, also niemand anderes
sie nutzt, reduziert den Aufwand bezüglich Registrierungen und der Eingabe von
Passwörtern bei jedem Anmeldeprozess. So kann die Hemmschwelle der Teilnahme
36
an Beteiligungsverfahren sinken. Zudem sind aktuelle Smartphones mit einer ganzen
Bandbreite an Sensoren und Funktionalitäten ausgestattet, so dass Informations- und
Datenaustausch nicht nur über Text stattfindet sondern auch über die integrierte
Kamera und Mikrofone, also mit Bildern, Videos, Audio-Dateien und Mischformen
dieser Medien.
Gemäss Höffken (2015:20) sind mobile Geräte Teil der alltäglichen Kommunikations-
Infrastruktur geworden. Dies prädestiniere Smartphone-Besitzer dazu, neue
partizipative Wege zu beschreiten.
3.3 Änderungen für die Journalisten
Überträgt man diese Überlegungen in die Journalistik, bedeutet das, solche Akteure in
den Mittelpunkt der Analyse zu stellen, die den Wandel tragen, das heisst primär
Journalisten (Loosen et al. 2013: 5). Fakt ist, dass Journalismus und Medien ohne die
Verbreitungsmöglichkeiten der Technik, verstanden als die „Verwendung bestimmter
Werkzeuge durch den Menschen“, genauso wenig denkbar sind wie ohne
redaktionelle Organisation. Neu hinzugekommen ist allerdings, dass auch die
redaktionelle und damit die journalistische Arbeit selbst zunehmend technisch geprägt
ist – und zwar unabhängig vom jeweiligen Medium. Relevant ist dies auch deshalb,
weil technischer Wandel mit organisatorischem und institutionellem Wandel eng
verknüpft ist (Brosda 2007: 284). Wolff (2013) hat zehn Dimensionen von mobilem
App-Journalismus herausgearbeitet und definiert. Unter anderem umfasst das
Potenzial die Möglichkeit zur Multimedialität der Inhalte sowie zur hohen Aktualität.
Zudem fördern Smartphones das Zusammenspiel von Content und
Hardwareelementen: So kann etwa der Lagesensors als Storytelling-Instrument
eingesetzt werden, um spezifische Inhalte eines Beitrags durch die veränderte Haltung
des Endgeräts zu rezipieren. Dies bedeutet für Journalisten neue Möglichkeiten, wie
sie Geschichten erzählen und umsetzen können.
Generell gibt es jedoch noch wenige Untersuchungen, welchen konkreten Einfluss die
verstärkte Mobilität der Medienkonsumenten auf die Arbeit in den Redaktionen hat. Es
gibt Ansätze, welche Journalisten in den Fokus rücken - zumeist beschränkt sich die
Untersuchung aber eher generell auf die digitale Entwicklung.
37
Range/Schweins (2007: 72) schätzen die neuen Aufgabengebiete von Online-
Journalisten folgendermassen ein: Die Hauptaufgabe des Online-Journalisten besteht
in der onlinegerechten Aufbereitung komplett vorliegender Texte. Vornehmste
Aufgabe des Online-Redakteurs (…) ist das Einpflegen von Inhalten. Dieses Zitat
stammt aus einer Zeit, wo Online-Journalismus noch vorwiegend für die Rezeption an
stationären Computern angedacht war – die Anforderung des passgenauen
„Einpflegens“ dürfte sich durch die verstärkte mobile Nutzung noch weiter erhöht
haben. Laut Hakes (2011: 20) verteilen Medien als Konsequenz der digitalen
Entwicklungen ihre Botschaften nämlich heute über mehrere Kanäle, aufbereitet für
eine Vielzahl möglicher Endgeräte und Nutzungssituationen. Damit ändert sich auch
das Anforderungsprofi an Journalisten, die in Zukunft immer öfter medienübergreifend
werden planen und produzieren müssen. Diese Entwicklung hin zu einer
crossmedialen Arbeitsweise führt nicht nur zu veränderten Arbeitsabläufen, sondern
auch zur Entstehung neuer journalistischer Darstellungsformen. Für Journalisten birgt
dieser Prozess eine Vielzahl neuer Herausforderungen aber auch beruflicher
Möglichkeiten.
Welche neuen Kompetenzen Journalisten dadurch mitbringen müssen, hat Alexandra
Stark in ihrer Masterthesis (2010: 40-41) zusammengefasst:
Bereitschaft: Der Journalist interessiert sich für die allgemeine technologische
Entwicklung im Bereich der Medien und für die sich daraus eröffnenden Möglichkeiten
(der Produktion und Nutzung); Er steht Neuerungen grundsätzlich offen, aber auch
kritisch gegenüber; Er akzeptiert, dass Aufgabenfelder und Prozesse sich aufgrund
technologischer Entwicklungen verändern; Er verfügt über ein gewisses
Frustrationspotenzial.
Fähigkeit: Der Journalist ist in der Lage, das Potenzial technologischer Entwicklungen
(insb. auch die Verknüpfbarkeit) für den Journalismus zu erkennen; Er ist sich bewusst,
dass nicht alles, was technisch möglich ist, journalistisch auch Sinn macht und
allenfalls auch ethisch problematisch sein kann; Er ist sich bewusst, dass die
Vermischung von Privatem und Journalistischem heikel sein kann; Er kann
einschätzen, dass die Publikation aufgrund potenziell weltweiter Verbreitung
ausserhalb der Zielgruppe eine andere Wirkung haben kann; Er ist in der Lage, sich in
die Positionen (Sachzwänge) der anderen Projektteammitglieder einzudenken.
38
Fertigkeit: Der Journalist kann Inhalte kanalspezifisch aufarbeiten; Er weiss die neuen
Recherche-, Kommunikations- und Produktions-Tools (Hard-/Software) effizient zu
nutzen; Er lässt bei schnellen digitalen Kanälen genau die gleiche Sorgfaltspflicht
walten wie zum Beispiel beim Print; Er kann, weil er das nötige Grundverständnis für
die verschiedenen Bereiche der Medienproduktion (vor allem Finanzen und Technik)
mitbringt, mit allen Beteiligten klar kommunizieren.
Wissen: Der Journalist kennt die aktuellen technischen Trends sowie Anwendungen,
die journalistisch eine Rolle spielen (könnten); Er weiss, welche Geräte und
Anwendungen (Hard- und Software) das Zielpublikum nutzt; Er kennt die spezifischen
technischen Anforderungen, die die einzelnen Publikationskanäle stellen; ER kennt
die journalistischen Stärken und Schwächen der Kanäle und weiss, welcher Kanal sich
für welchen Aspekt des Inhalts eignet.
Die neuen Empfangsgeräte bergen zusammengefasst also grosses Potenzial,
verlangen von den Journalisten aber auch neues Wissen und Anpassungsfähigkeit.
Die Herausforderung für Medienanbieter besteht derzeit darin, alte und neue
Nachrichtenkanäle zu integrieren und die Inhalte so aufeinander abzustimmen, dass
der Nutzer in verschiedenen Rezeptionssituationen (…) zwar das Endgerät oder das
Trägermedium, aber möglichst nicht den Anbieter wechselt. Ziel der Crossmedialen
Strategie ist dann die komplementäre Nutzung aller integrierten Medien (Borowski
2003: 236).
39
3.4 Qualitätsmessung
Jährlich erheben Medienwissenschaftler der Universität Zürich die Entwicklung der
Qualität in Schweizer Medien und halten diese in einem Jahrbuch fest. Im aktuellen
„Jahrbuch 2014“ kommen die Forscher unter anderem zu folgenden Schlüssen, die
direkt mit dem mobilen Wandel verknüpft sind:
Innerhalb des Journalismus verdrängt Reichweite die Qualität, auch innerhalb des
Informationsjournalismus setzt sich der Trend zur Unterhaltung fort. Diese
Entwicklung wird durch den wachsenden mobilen Konsum und durch die Human-
Interest-Bedürfnisse in den Social Networks verstärkt: „Virale News“ sind zum
überwiegenden Teil Softnews (fög 2014: 2). Unter Softnews wird verstanden, dass
sich Nachrichten mit bekannten Persönlichkeiten und Gesellschaft beschäftigen – sie
dienen in erster Linie der Unterhaltung. Hardnews hingegen informieren über
gesellschaftliche zentrale Themen der Wirtschaft, Politik und den Katastrophen
(Burger 2005: 211). Unter anderem weil auf mobilen Devices kurze
Unterhaltungsnews stärker nachgefragt werden, vergrössert sich der
Qualitätsunterschied zwischen den Onlinetiteln und ihren Pressependants. Immer
weniger zeigt sich in den Onlineangeboten diejenige journalistische Qualität, die die
Zeitungsmarken eigentlich erwarten liessen. Zusätzlich befördert die stark wachsende
mobile Nutzung von Social Networks wie der Onlinenagebote rasch konsumier- und
viral verbreitbare Kurz- und Kürzestmeldungen (fög 2014: 7-8). Das Jahrbuch attestiert
also, dass der mobile Wandel Softnews gegenüber Hardnews fördert und zugleich
dafür sorgt, dass Nachrichten kürzer werden. Dies führt gemäss den Forschern auch
zu einem Wandel des Berufsprofils des Journalisten: Überspitzt formuliert laufe die
Entwicklung weg von Spezialisten für Inhalt hin zu Spezialisten für Content-
Management-Systeme und Generalisten für Inhalte. Das tagesaktuelle Aufbereiten
von Softnews-Inhalten und Kurznachrichten gewinne in der industrialisierten
Newsproduktion auf Kosten des journalistischen Handwerks, also der Recherche und
der Einordnung, an Bedeutung. Die Folgen davon seien zunehmende Unzufriedenheit
auf Seiten der Journalisten (fög 2014: 20).
40
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass innerhalb weniger Jahre ein
starker technologischer Wandel im Bereich der Smartphones stattgefunden hat, er
entspricht einer disruptiven Innovation. Dies führt zu einer ubiquitären Nutzung von
Medieninhalten, dazu werden die Rezipienten gleichzeitig auch zu Produzenten.
Medieninhalte verändern sich durch die verstärkte mobile Nutzung aber laut Forschern
auch deren Qualität. Aus diesen theoretischen Erkenntnissen ergeben sich im
Rahmen der Fallstudie für diese Arbeit spezifische Fragestellungen und damit
verbunden Forschungshypothesen.
41
4 Fragestellungen und Hypothesen
F1: Welchen Einfluss hat die zunehmende mobile Nutzung auf die Geschwindigkeit im
Journalismus?
H1: Je stärker der Konsum von journalistischen Produkten mobil erfolgt, desto
schneller und häufiger publizieren Journalisten.
Diese Hypothese leitet sich aus dem Theorieteil über Ubiquität ab. Zudem gilt Aktualität als eine der
Dimensionen des App-Journalismus und das Kapitel über den Wandel mobiler Geräte hat aufgezeigt,
dass sich die Wartezeit des Konsumenten für Multimedia-Inhalte durch gesteigerte Bandbreite deutlich
verringert hat. Dazu stellen die Forscher der Universität Zürich fest, dass durch erhöhte Mobilität mehr
kürzere Inhalte durch Medien erzeugt werden.
F2: Wie verändert sich das publizistische Produkt aufgrund der verstärkten mobilen
Rezeption?
H2: Je stärker der Konsum von journalistischen Produkten mobil erfolgt, desto
multimedialer sind journalistische Erzeugnisse.
Diese Hypothese wird aufgrund der von Wolff (2013) gebildeten Dimensionen des App-Journalismus
aufgestellt, wovon eine die Multimedialität ist. Zudem hat das Kapitel über den mobilen Wandel
aufgezeigt, dass die mobilen Breitbandverbindungen deutlich vergrössert wurden und gleichzeitig die
Bildschirme von Smartphones gewachsen sind – das Potenzial für speicherlastige Medien wie Bilder,
Videos und interaktive Formen also vergrössert wurde. Zudem haben unter anderem Han und Kwahk
(1994) aufgezeigt, dass grössere Bildschirme die Effektivität von user-Interkationen vergrössern.
F3: Welche neuen publizistischen Anforderungen stellen sich für Journalisten aufgrund
der verstärkten mobilen Nutzung?
H3: Je stärker der Konsum von journalistischen Produkten mobil erfolgt, desto
kürzer fallen die journalistischen Texte aus.
Unter anderem aufgrund der Ubiquität im mobilen Konsum von Medien wird diese Hypothese aufgestellt.
Durch den Konsum an allen erdenklichen Orten – so auch im Freien – kombiniert mit den kleineren
Bildschirmen könnte dazu führen, dass die Rezipienten aufgrund der eingeschränkten Lesbarkeit
kürzere Texte wünschen. Unter anderem haben Richardson und McKnight (1990) festgestellt, dass es
für Nutzer schwieriger ist, sich auf Inhalte auf kleinen Bildschirmen zu fokussieren.
42
F4: Welche Veränderung bezüglich Inputs von Rezipienten gibt es infolge der
steigenden Konnektivität derselbigen?
H4: Je mehr Konsumenten mobil auf Medieninhalte zugreifen, desto mehr
publizistische Inputs geben diese in die Redaktionen.
Diese Hypothese leitet sich aus dem Prinzip des Rezipienten als Prosument ab. Durch Ubiquität und
Konnektivität werden soziale Netzwerke auch mobil genutzt und fördern die Interaktivität. Gerade
jüngere Rezipienten sind es sich seit „Web 2.0“ gewohnt, Inhalte verbunden mit einem Gegenkanal zu
konsumieren und damit zu interagieren. Zudem steigern die verbesserten Sensoren wie Kameras oder
Mikrofone sowie die erhöhte mobile Bandbreite das Potenzial von multimedialen Prosument-Inhalten,
welche den Qualitätsstandards von klassischen Medienunternehmen entsprechen.
F5: Welche neuen technischen Anforderungen stellen sich für Journalisten aufgrund
der verstärkten mobilen Nutzung?
H5: Je stärker der Konsum von journalistischen Produkten mobil erfolgt, desto
mehr technische Fertigkeiten müssen Journalisten beherrschen.
Diese Hypothese stützt sich darauf, dass unter anderem Hakes (2011) festhält, dass Medien als
Konsequenz der digitalen Entwicklung ihre Botschaften über mehrere Kanäle aufbereitet für eine
Vielzahl von Endgeräten und Nutzungssituationen zur Verfügung stellen müssen. Journalisten müssen
diese neuen Kanäle kennen und sich neue Fertigkeiten zulegen, wie Stark (2010) aufzeigt. Das rasche
Wachstum der mobilen Rezeption führte innerhalb einer kurzen Zeit zu neuen Kanälen und Endgeräten,
die bedient werden wollen.
F6: Wie beurteilen Journalisten die publizistische Qualität aufgrund des mobilen
Wandels?
H6: Je stärker der Konsum von journalistischen Produkten mobil erfolgt, desto
schlechter beurteilen Journalisten die publizistische Qualität ihrer Produkte.
Diese Hypothese wird aus den Ergebnissen des Jahrbuchs der Medien 2014 abgeleitet. Die Forscher
der Universität Zürich attestieren den Schweizer Medien eine sinkende Qualität, nicht zuletzt aufgrund
des mobilen Wandels, der den Kampf um Klicks und damit Berichte mit tiefer Relevanz fördert. Die
Forscher halten zudem fest, dass dies dazu führe, dass Journalisten zunehmen unzufrieden mit ihrem
eigenen Produkt würden.
Sämtliche Forschungshypothesen werden als nicht deterministisch sondern
probabilistisch behandelt.
43
5 Empirischer Teil
In diesem Kapitel werden die Operationalisierung der Variablen sowie die daraus
folgenden Messinstrumente und die Abschätzung der Messgütekriterien vorgestellt.
Im Anschluss werden die Untersuchungssamples vorgestellt und begründet, bevor ein
Übererblick über die Messergebnisse gegeben wird.
5.1 Operationalisierung der Variablen
Die Forschungshypothesen sind kollektiv und beinhalten jeweils zwei skalierbare
Variablen – es wird von einem monoton steigenden Zusammenhang ausgegangen.
Die Dimension „Journalist“ wird bewusst nicht als „Online-Journalist“ definiert, da diese
Trennung in Zeiten konvergenter Newsrooms nicht mehr zeitgemäss wäre.
Entsprechend der Untersuchung wird aber davon ausgegangen, dass der Journalist
Erzeugnisse auch im Internet veröffentlicht.
Die unabhängige Variable „Konsum von journalistischen Inhalten mobil“, respektive
„mobile Zugriffe auf Medieninhalte“ bei Hypothese H4 wird über die Zeit beobachtet.
Dazu werden die repräsentativen Nutzungsstatistiken des Media Use Index (MUI)
verwendet, dessen Ergebnisse bereits in Kapitel 2.3 herausgearbeitet wurden. Zudem
wird anhand der NET-Metrix-Messung die Veränderung der mobilen Zugriffe im Kapitel
5.2.2 des Untersuchungssamples der Medienportale analysiert. Die unabhängige
Variable bezeichnet also den Anteil der Bevölkerung, die mobil auf das Internet zugreift
sowie den Anteil mobiler Zugriffe in Bezug auf die Gesamtzugriffe bei Medienportalen.
Somit werden alle unabhängigen Variablen der sechs Forschungshypothesen durch
kein aktives Messinstrument nachgeprüft, sondern die Veränderung über die Zeit
wurde (MUI), respektive wird (NET-Metrix) mittels Sekundärdaten aufgezeigt.
Die abhängige Variable „publizieren“ in H1 wird durch den zeitlichen Abstand zwischen
Online-Publikationen sowie auch die Gesamtzahl der Publikationen über einen
bestimmten Zeitraum verteilt definiert. Als Publikation gilt, wenn ein Journalist Inhalte
neu generiert oder ändert und diese dann im Internet öffentlich macht.
In H2 wird die Variable „multimedial“ folgendermassen operationalisiert: Je mehr
verschiedene Medientypen in einem publizistischen Erzeugnis vorkommen (klassische
44
Medien wie Text, Bild, Video, Ton, Grafik aber auch neue Medientypen wie Tweets,
Facebookposts oder interaktive Elemente), desto multimedialer ist das Erzeugnis.
Die Variable „Textlänge“ aus H3 bezeichnet den Umfang von journalistischen
Erzeugnissen, die online publiziert werden, bezüglich ihrer Zeichenzahl in einem Text.
Unter der Variable „publizistische Inputs“ aus H4 werden alle Text-, Bild-, Audio- und
Videokreationen von Medienrezipienten verstanden, die Medienhäusern direkt zur
Verfügung gestellt werden.
Die H5-Variable „technische Fertigkeiten“ bezieht sich auf die Anforderung an
Journalisten bezüglich der Bedienung von elektronischen Eingabegeräten im Rahmen
des Arbeitsplatzes aber auch der Navigation im Internet.
In H6 schliesslich ist „die Beurteilung“ die Variable und nicht die publizistische Qualität
– diese wird in dieser Arbeit nicht gemessen. Sie bezieht sich auf die subjektive
Einschätzung von Journalisten bezüglich der Qualitätsentwicklung im Journalismus
allgemein.
Wie in Kapitel 2.1 erläutert, wird für den Wandel hin zum verstärkten mobilen Konsum
die Schweiz als Fallbeispiel herangezogen. Dies aufgrund dessen, dass einzelne
Länder wegen der Topographie und der Politik in unterschiedlichen Geschwindigkeiten
mobile Technologien wie beispielsweise die Netzabdeckung entwickeln. Zudem wurde
aufgezeigt, dass die Schweiz nicht zuletzt wegen der hohen Kaufkraft und der dennoch
unterdurchschnittlichen Preisen für Elektronik eine hohe Smartphonedurchdringung
aufweist. Dazu kommt, dass die Bevölkerung in keinem anderen Land derart häufig
und lang mit dem Zug unterwegs ist wie in der Schweiz, wodurch von verstärktem
mobilem Konsum ausgegangen werden kann.
45
Und nicht zuletzt wurde die Schweiz gewählt, da sich in diesem Land das iPhone von
Apple grosser Beliebtheit erfreut. Wie aufgezeigt wurde, wartete Apple mit technischen
Revolutionen stets ab – der Wandel dürfte in der Schweiz also relativ schnell und heftig
von Statten gegangen sein mit spürbaren Auswirkungen auf den Journalismus – es
liegt eine disruptive Innovation vor.
5.2 Messinstrumente
Da die vorliegende Arbeit für den Überbau der Messung die Methodik der
Technikfolgenabschätzung verwendet, werden deren Kriterien für die Wahl und
Ausgestaltung geeigneter Messinstrumente verwendet. Gemäss Paschen (1990: 80-
82) soll die TA den Prozess der strategischen Entscheidungsfindung unterstützen, dies
im Optimalfall durch die Beteiligung interessierter und betroffener Einzelpersonen.
Zudem wurde festgelegt, dass der Reflexions-Diskurstyp nach Oppermann und
Langer (2002: 5-6) für die vorliegende Arbeit angewendet werden soll. Dies führt zum
Schluss, dass für die Messung die Journalisten als beteiligte Akteure zur Sprache
kommen sollen. Daher werden Interviews als eines der beiden Messinstrumente
festgelegt. Nicht zuletzt auch deswegen, um im Sinne der Technikfolgenabschätzung
(Oppermann / Langer 2002: 5-6) bewusst auch auf die wahrgenommenen Potenziale
und Chancen des mobilen Wandels einzugehen. Das zweite Messinstrument ist eine
Inhaltsanalyse, deren Reflexion die Grundlage für die Interviews sein soll.
Sowohl die Interviews wie auch die Inhaltsanalyse sollen qualitativer Natur sein. Denn
damit können interessante Aspekte, die während der Forschung auftauchen in die
Auswertung mit einfliessen. Dies bedingt, dass die Vorgehensweise der Forschung
präzis beschrieben und dokumentiert wird. Dies gilt auch für das Vorverständnis des
Forschers, das vollständig offengelegt werden muss (vgl. Mayring 2002: 28 ff.). Der
Forscher der vorliegenden Arbeit arbeitet seit 2010 im Journalismus und war als
Nachrichtenredakteur bei Radio- und TV-Stationen tätig. Aktuell amtet er als
Videojournalist bei SRF und erstellt dort Fernsehbeiträge sowie dazu gehörige
Webtexte. Weitere Tätigkeiten im Bereich des Onlinejournalismus weist er nicht auf,
er kennt auch die inhaltlichen und gestalterischen Vorgaben des Onlinejournalismus
ausschliesslich aus der Theorie.
46
5.2.1 Qualitative Inhaltsanalyse
Das Instrument der qualitativen Inhaltsanalyse wird zum einen deshalb ausgewählt,
weil es einen objektiven Vergleich zwischen den Medienportalen des
Untersuchungssamples zulässt – im Gegensatz zu qualitativen Interviews, die stark
von der Einstellung und Erfahrung des Interviewpartners abhängig ist.
Die Inhaltsanalyse kann sich zudem nicht nur mit dem semantischen Inhalt sondern
auch den formalen Gesichtspunkten von Texten, Filmen oder Bildern
auseinandersetzen (Diekmann 2007: 576). Dabei sollen die journalistischen Produkte,
gezimmert für den mobilen Konsum, analysiert werden – wissenschaftlich strukturiert
mittels festgelegter Kategorien, welche eine Vergleichbarkeit und Analyse-
Aussagekraft gewährleisten. Die Arbeit wählt dafür die qualitative Vorgehensweise, da
ein Hauptkritikpunkt der quantitativen Inhaltsanalyse ist, dass Zeichen und Symbolen
zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt würden (Dieckmann 2007: 607). Mittels einer
Strukturierung sollen unter der Verwendung eines Kategoriensystems.
Bei dieser Analyse rücken qualitative Aspekte in den Vordergrund, deshalb hat die
Analyse nicht den Anspruch von Repräsentativität.
5.2.2 Sample für die qualitative Inhaltsanalyse
Für die qualitative Inhaltsanalyse sollen verschiedene Medientitel aus der
Deutschschweiz in die Fallauswahl miteinbezogen werde. Dies aus logistischen
Gründen, da eine Sprachraumübergreifende Untersuchung nicht im Umfang der
vorliegenden Arbeit realisiert werden könnte. Ein weiteres Kriterium ist, dass das
Medium laufend online publiziert. Es darf zwar fixe Publikationszeiten aufweisen, etwa
für ein tägliches News-Briefing – der Hauptteil der Publikationen sollen aber anhand
der Aktualität und ungebunden an einen Publikationszeitpunkt veröffentlicht werden.
Es soll sich also explizit um onlinejournalistische Produkte und nicht um leicht
verändert dargestellte Printerzeugnisse handeln, die später noch im Internet
veröffentlicht werden. Ein weiteres Auswahlkriterium ist die Verbreitung. Die
Onlineportale der Medientitel sollen mindestens eine Million Unique Clients (Anzahl an
Geräten, die mindestens einmal im Monat auf das Portal zugreifen) aufweisen. Zudem
sollen sie inhaltlich nationale Ausstrahlung haben, also die Rubrik „Schweiz“ auf der
47
Internetseite platziert haben. Zudem wird darauf geachtet, dass die ausgewählten
Portale möglichst alle von unterschiedlichen Medienhäusern kommen – dies um
verschiedene Strategien aufzeigen zu können und ein möglichst umfassendes Bild
durch Vielfalt zu erhalten (Kohorteneffekte sollen bewusst zugelassen werden).
Die Medientitel, welche diese Kriterien erfüllen, sind 20Minuten Online (tamedia),
tagesanzeiger.ch/Newsnetz (tamedia), watson (AZ Medien), NZZ Online (Neue
Zürcher Zeitung), SRF Online (SRF) sowie Blick Online (Ringier). Die Portale 20min
Online sowie tagesanzeiger.ch/Newsnetz werden trotz demselben Verlagshaus beide
in der Fallauswahl berücksichtigt. Beide haben deutlich mehr als eine Million Unique
Clients, verfügen aber über getrennte und eigenständige Redaktionen. Im Falle von
blickamabend.ch, welches ebenfalls Ringier gehört und auch die benötigte Anzahl
Unique Clients aufweisen könnte, werden viele Inhalte von der Blick Online-Redaktion
übernommen. Deshalb wird dieses Portal für die Fallauswahl nicht berücksichtigt.
Ausser watson, das seit der Gründung ausschliesslich online publiziert und SRF, wo
die Online-Redaktion grösstenteils ausschliesslich Web-Inhalte generiert, haben alle
Medienportale konvergente Redaktionen – die Journalisten arbeiten also sowohl für
Print- wie auch für Onlineformate.
Die Nutzerzahlen über die vergangenen drei Jahre zeigt eine deutliche Erhöhung der
mobilen Nutzer. Anhand der folgenden Tabelle wird in Prozentpunkten aufgezeigt, wie
stark die Zahl der Unique Clients UC (Anzahl mobiler Geräte, die mindestens einmal
pro Monat auf das Portal zugreifen) gestiegen ist. Aufgrund fehlender Zahlen von SRF
Online und weil watson erst seit 2014 online ist, beschränkt sich die Untersuchung auf
vier Medienportale des Untersuchungssamples.
48
Juli 2012 Juli 2015 Differenz %p
20 Minuten Online 1‘440‘000 UC 3‘478‘000 UC + 142 %p
Blick Online 720‘000 UC 2‘150‘000 UC + 199 %p
NZZ Online 315‘000 UC 1‘031‘000 UC + 227 %p
tagesanzeiger.ch 342‘000 UC 891‘100 UC + 160 %p
Abbildung 18: Veränderung der mobilen Unique Client-Zahlen. (Eigene Darstellung
und Berechnung. Quelle Datensatz: netreport.net-metrix.ch/mobile)
Die Tabelle verdeutlicht den rapiden Anstieg mobiler Zugriffe innerhalb von drei Jahren
– im Falle von NZZ Online wurde der Wert mehr als verdoppelt.
5.2.3 Methodik der qualitativen Inhaltsanalyse
Die Forschungshypothesen H1-H3 sollen sowohl mithilfe der Inhaltsanalyse wie auch
der Interviews überprüft werden. Dies ergibt für die qualitative Inhaltsanalyse die
beiden Kategorien:
Umfang und Aktualisierungsrate
Aufbau und Einzelelemente
Durch die Inhaltsanalyse sollen alle erfassten Artikel gemäss ihrer Ausgestaltung in
Typen unterteilt und diese Typen dann mit den zwei obenstehenden Kriterien
kategorisiert werden. Kategorie 1 ist dabei geschlossener und widmet sich gemäss
Operationalisierung der Hypothesen der Anzahl Zeichen sowie den Zeitintervallen
zwischen neuen Publikationen. Kategorie 2 ist bewusst offener gehalten und soll
mittels deduktivem Vorgehen analysieren, welche verschiedenen Elemente in den
journalistischen Erzeugnissen vorkommen.
Um die Vergleichbarkeit trotz tiefer Fallzahl zu gewährleisten, wurden von jedem Portal
alle Erzeugnisse zum Thema „Zürcher Kantons- und Regierungsratswahlen“ am
eigentlichen Wahltag als mobile Darstellung aufgezeichnet und anschliessend
ausgewertet. Der Wahltag fand am Sontag, den 12.04.2015 statt und gilt als national
49
bedeutendes, politisches Ereignis, da es als „Gradmesser“ für die nationalen Wahlen
im Herbst bezeichnet wird – alle grossen Medienhäuser berichteten entsprechend
darüber. Da die FDP als grosse Wahlsiegerin aus den Wahlen hervorgegangen ist,
deuteten dies viele Medien als Vorzeichen, das die FDP auch national bei den
eidgenössischen Wahlen im Oktober 2015 obsiegen werde. Zusammenfassend kann
also festgehalten werden, dass die Zürcher Wahlen trotz regionalem Charakter zu
einem nationalen Ereignis gehören. Zudem fliessen an Wahltagen über den Tag
verteilt stets neue Informationen in die Redaktionen – das Thema eignet sich also für
die Analyse mit Fokus auf die mobile Rezeption, da die Medienhäuser davon
ausgehen müssen, dass ihre Konsumenten am arbeitsfreien Sonntag Informationen
eher mobil empfangen – statt im Büro befinden sich die Rezipienten beispielsweise
auf einem Ausflug. Überdies kann durch die laufende Entwicklung ausgeschlossen
werden, dass bereits erzeugte Printprodukte für die mobilen Anwendungen optimiert
wurden. Um die Fallauswahl einzuschränken, sollen nur Erzeugnisse ausgewählt
werden, welche am Sonntag zwischen 12.00 Uhr (erste Hochrechnung) und 20.00 Uhr
veröffentlicht, respektive aktualisiert wurden. Die Artikel müssen das Keyword
„Zürich“ zwingend enthalten, zudem mindestens den Begriff
„Kantonsratswahl*“ und/oder „Regierungsratswahl*“.
Damit die Erzeugnisse aufgezeichnet werden, wie sie auf einem mobilen Gerät
angezeigt werden, wurde das Programm WinWGet (ehemelas GetURL) für Windows
PC verwendet. Dieses Programm dient dazu, relativ schnell und einfach Webseiten zu
speichern und zu Archivieren. Im Gegensatz zu herkömmlichen Speichermethoden
von Webseiten (etwa das einfache Speichern via Browser) kann WinWGet die Inhalte
sogenannt rekursiv downloaden. Beim herkömmlichen Speichern werden Webseiten
über den Druckertreiber heruntergeladen, man erhält also lediglich ein Abbild über das
Ersichtliche auf der aufgerufenen Seite. Beim rekursiven Download hingegen werden
auch verlinkte Unterseiten mitgespeichert – zudem werden auch Medien wie etwa
verlinkte Videos mitgespeichert. Gleichzeitig gilt WinWGet als robustes Programm.
Kann keine Verbindung mit der Webseite aufgenommen werden, versucht es das
Programm weiter, bis Inhalte abgerufen werden können. Damit die Inhalte auf den
Nachrichtenseiten so dargestellt werden, wie sie auf mobilen Geräten aussehen, muss
bei WinWGet der „User Agent“ so eingestellt werden, als würde ein Smartphone auf
die Seiten zugreifen. Für die vorliegende Untersuchung wurde dafür das Gerät Google
Nexus mit dem Betriebssystem Android 4.0.4 eingegeben – zudem wurde eingestellt,
50
dass das Gerät mit dem mobilen Chrome Browser auf die Inhalte zugreift. Die Art der
Darstellung von Webseiten kann nämlich je nach Gerät, nach Betriebssystem und
nach Art des verwendeten Browsers unterschiedlich ausfallen. Dazu wurde die
Einstellung so vorgenommen, dass verlinkte Inhalte bis auf Level 3 mitgespeichert
werden – das bedeutet, dass etwa eine verlinkte Seite in einem Newsbeitrag
automatisch mitgespeichert wird und wenn diese ebenfalls einen Link enthält, dann
auch diese verlinkte Seite. Das Programm wurde mittels Windows Task so eingestellt,
dass es alle dreissig Minuten automatisch eine Sicherung von den Artikeln machte.
Die Links zu diesen Artikeln wurden vom Autor selbständig in das Programm
eingetragen. Mittels der Suchfunktion auf den Newsseiten und den Begriffen „Zürich“,
„Regierungsratswahlen“ und „Kantonsratswahlen“ wurden diejenigen Artikel ermittelt,
welche über die Wahlen berichteten – während dem Untersuchungszeitraum war die
manuelle Präsenz also nötig, da teilweise neue Artikel erstellt wurden. Zudem wurden
die sogenannten Push-Meldungen der Nachrichtenseiten über den
Untersuchungszeitraum hinweg vom Autor persönlich erfasst und dokumentiert da
diese ebenfalls journalistische Erzeugnisse mit Inhalt darstellen. Diese lassen sich
ausschliesslich mit einem Smartphone empfangen. Dafür wurden alle Apps der zu
untersuchenden Nachrichtenportale auf einem Samsung Galaxy Note 4 mit dem
Betriebssystem Android 5.0.1 installiert und der Empfang der Push-Meldungen
aktiviert. Das Protokoll über die empfangenen Push-Meldungen findet sich im Anhang
dieser Arbeit.
5.2.4 Qualitative Experteninterviews
Die zweite Untersuchungsanordnung zur Messung der abhängigen Variablen ist eine
Journalistenbefragung, die nach der Auswertung der Inhaltsanalyse stattfinden soll.
Grund dafür ist, dass Resultate aus der qualitativen Inhaltsanalyse in den Fragekatalog
einfliessen sollen – also, dass Journalisten sich zu den produzierten Ergebnissen und
Abweichungen gegenüber Konkurrenzmedien äussern. Für die Befragung soll die
Methode der qualitativen Leitfadeninterviews gewählt werden. In der
Journalismusforschung sind neben repräsentativen standardisierten Befragungen
Leitfadeninterviews als Erhebungsmethode etabliert (Riesmeyer 2011: 223). Zudem
gehören Experteninterviews zum Standardrepertoire der Technikfolgenabschätzung.
Sie können mehr oder weniger formalisiert sein und reichen von eher informellen
51
Expertengesprächen bis hin zu stark methodisch orientierten Verfahren. Zur Sicherung
der Vergleichbarkeit sind strukturierte Interviewleitfäden oder ausformulierte
Fragebögen wesentlich (Grunwald 2010: 186).
Als Ergänzung zu den qualitativ gewonnenen Daten dienen Leitfadeninterviews dazu,
Informationen zu erheben, die über das hinausgehen, was mit den Beobachtungen zu
erfassen ist. Im Sinne der Offenheit der Technikfolgenabschätzung soll bewusst eine
überschaubare Anzahl fest definierter Kategorien für die Interviews festgelegt werden.
Mithilfe der Experteninterviews sollen die Forschungshypothesen H1-H6 überprüft
werden (H1-H3 werden sowohl durch die Inhaltsanalyse wie auch durch die Interviews
überlappend überprüft).
5.2.5 Sample der Experteninterviews
Pro untersuchtes Medienportal wurden je zwei Journalisten interviewt, insgesamt
fanden also 12 Interviews statt. Die Anforderung, welche die Journalisten primär
erfüllen mussten, war mehrjährige Berufserfahrung im Onlinejournalismus und, dass
sie im Bereich „Information“ tätig sind. Zudem wurde darauf geachtet, dass die
Altersverteilung möglichst breit ausfällt um eine grösstmögliche Erfahrungs-
Perspektive abzudecken. Auf weitere Einschränkungen wurde aber bewusst verzichtet,
explizit wurde in der Anfrage nicht erfragt, ob die Journalisten ausschliesslich für den
Kanal „Online“ tätig sind. Auch gab es für das Sample nicht die Vorgabe, dass die
Interviewpartner am Tag der Zürcher Wahlen Artikel publiziert haben – dies zugunsten
einer universellen Betrachtung der Ergebnisse, da die Ausgestaltung von Online-
Erzeugnissen an anderen Tagen je nach Themenlage anders aussehen könnte und
weil die Analyse von Ergebnissen anders ausfällt, wenn der Interviewpartner nicht aktiv
an deren Gestaltung beteiligt war – es ist eine zusätzliche Aussenperspektive. Mittels
E-Mails an die Redaktionen und den genannten Anforderungen wurden die
Journalisten ausgewählt. Nachfolgend werden sie kurz vorgestellt:
Adrian Eng (33). Herr Eng ist seit Anfag 2014 bei watson als Chef vom Dienst und
Blattmacher tätig (Leiter Newsdesk). Zuvor war er bei der Aargauer Zeitung und bei
20 Minuten tätig, insgesamt hat er schon acht Jahre für den Kanal Online publiziert.
52
Christoph Brunner (38). Christoph Brunner arbeitet seit 2012 bei Radio SRF im
Regionaljournal Zürich/Schaffhausen als Moderator, Redakteur und Reporter. Nebst
Radioberichten verfasst er dort auch Inhalte für den Online-Kanal. Zuvor arbeitete er
10 Jahre bei Radio 24, wo er in seinen letzten zwei Jahren auch Online publizierte.
Am Zürcher Wahltag sass Christoph Brunner am News-Ticker.
Simon Eppenberger (37). Arbeitet seit 2006 für den Tagesanzeiger und seit 2008
publiziert er auch für den Kanal Online. Er ist stellvertretender Ressortleiter der
Abteilung Zürich.
Maurice Thiriet (34). Herr Thiriet ist seit Anfang 2014 bei watson als Ressortleiter
Gesellschaft und Politik tätig. Zuvor arbeitete er fünf Jahre für die Printausgabe des
Tagesanzeigers und davor zwei Jahre für 20 Minuten Online. Insgesamt hat er also
3.5 Jahre Online-Erfahrung.
Christoph Stricker (58). Er arbeitet seit 1984 im Onlinejournalismus und ist seit 2013
bei SRF News als Onlineredakteur tätig. Zuvor arbeitete er beim Tagesanzeiger und
bei NZZ Online.
Corsin Zander (26). Corsin Zander arbeitet seit zwei Jahren bei NZZ Online in den
Schichten des Online-Diensts und als Reporter. Zuvor absolvierte er ein Praktika bei
den Printzeitungen Schweiz am Sonntag, bei der WOZ und bei der NZZ.
Lea Hartmann (24). Frau Hartmann arbeitet bei Blick Online als Redakteurin im
Ressort Nachrichten und am Newsdesk und dies seit zwei Jahren. Vorher war sie
während ihrem Journalismusstudim als Praktikantin bei der SRF-Sendung
Kassensturz und beim Blick tätig.
Roman Neumann (32). Er ist seit Anfang 2014 bei 20 Minuten Online (konvergente
Redaktion) als Nachrichten-Reporter tätig. Zuvor arbeitete er während sieben Jahren
für Blick Online und davor 9 Monate für die Printzeitung Sonntags Blick.
53
Jacqueline Büchi (25). Jacqueline Büchi arbeitet als Reporterin für 20 Minuten
(konvergente Redaktion) und dies seit 3 Jahren. Zuvor arbeitete sie bei Radio Top und
publizierte dort auch für den Online-Kanal.
André Müller (25). Herr Müller arbeitet seit 2013 bei der NZZ im Ressort Zürich und
ist dort am Newsdesk für den Online-Dienst zuständig, zudem arbeitet er als Reporter.
Zuvor war er Chefredakteur des Jugend-Online-Portals tink.ch.
Oliver Baumann (36). Er ist seit 2012 bei Blick hauptsächlich als Online-Nachrichten-
Redakteur tätig. Zuvor war er 10 Jahre bei der Aargauer Zeitung, zunächst als
Printjournalist, danach als Online-Produzent.
Pia Wertheimer (40). Pia Wertheimer arbeitet seit Oktober 2006 beim Tagesanzeiger
in der Regionalredaktion. Vor fünf Jahren wechselte sie dann ins Online-Ressort und
arbeitet seit 2012 konvergent. Sie hat die Leitung des Politikteams inne.
5.2.6 Methodik Qualitative Interviews
Die Interviews wurden so festgelegt, dass sie rund 30 Minuten dauern, den
Interviewpartnern wurde dies vor den Gesprächen mitgeteilt. Für die Durchführung
wurde ausschliesslich die Methodik der Face-to-Face-Interviews ausgewählt, der
Autor dieser Arbeit traf sich also mit den Journalisten entweder in öffentlichen Cafés
oder an deren Arbeitsplatz. Durchgeführt wurden die Interviews zwischen dem 14. Juli
und dem 4. August 2015 in Zürich.
Der Einstieg fand immer nach demselben Muster statt. Zuerst wurde nach
biografischen Daten und der journalistischen Laufbahn der Interviewpartner gefragt.
Im Anschluss lautete die Einstiegsfrage, inwiefern die Journalisten beim Publizieren
von Online-Artikeln an die Empfangs- und Rezeptionssituation ihrer Rezipienten
denken. Im Anschluss folgte das Interview einem Leitfaden, welcher aufgrund der zu
messenden Variablen und deren Operationalisierung folgende Kategorien wenn
möglich in dieser Reihenfolge durchlaufen musste:
54
Ausprägung des Fokus auf mobile Rezeption (Unterscheidung
Verlagshaus/Journalist)
Wahrnehmung über Art und Umfang der Veränderung über die
vergangenen drei bis fünf Jahre, respektive seit Beginn im
Onlinejournalismus
Wahrnehmung bezüglich des Zeitdrucks
Wahrnehmung bezüglich des Einsatzes verschiedener Medien
Wahrnehmung bezüglich Veränderungen im Textumfang
Wahrnehmung über veränderte technische und publizistische
Anforderungen
Beurteilung der Menge und der Qualität an Inputs von Rezipienten
Beurteilung bezüglich der Entwicklung publizistischer Qualität
Persönliche Zukunftsvision für den Schweizer Onlinejournalismus
Ergänzungs- und Nachfragen in anderen Themenbereichen, die sich aus dem
Gespräch ergaben wurden wenn möglich gezielt gestellt, um der qualitativen
Ausprägung des Messinstruments gerecht zu werden.
Die Fragestellungen bezüglich der vierten Kategorie über den Einsatz verschiedener
Medien enthielten dabei Resultate aus der Inhaltsanalyse, worauf die Journalisten
direkt Bezug nehmen konnten. Die Ergebnisse wurden nicht optisch gezeigt, sondern
mündlich zusammengefasst wiedergegeben. Der dazugehörige Interview-Leitfaden
sowie die transkribierten Einzelinterviews finden sich im Anhang dieser Arbeit. Mit den
Journalisten wurde vereinbart, dass sie mit Namen in dieser Arbeit zitiert werden
dürfen, jedoch das Transkript der Interviews vertraulich behandelt wird. Somit wurde
ermöglicht, dass die Journalisten möglichst offen von Erfahrungen und Beispielen
berichten konnten.
5.3 Messgütekriterien
Messungen sollten möglichst objektiv, zuverlässig und gültig sein – deshalb wird in der
Wissenschaft darauf geachtet, dass die Messgütekriterien der Objektivität, der
Reliabilität und der Validität eingehalten werden.
55
Notwendig aber nicht hinreichend für eine gültige Messung ist das Kriterium der
Objektivität. Es besagt, in welchem Masse das Messinstrument unabhängig von
derjenigen Person ist, die es angewendet hat.
Lienert und Raatz (1969:14) unterscheiden zwischen Durchführungsobjektivität und
Auswertungsobjektivität. Letztere kann mit der vorliegenden Arbeit durch klar
definierte Kategorien bei der Auswertung der Inhaltsanalyse erreicht werden, da
ausschliesslich eine Person – der Autor dieser Arbeit – gemessen hat. Die
Durchführungsobjektivität wird dadurch sichergestellt, weil ein Computerprogramm
(WinWGet) die Messung gemäss einer vordefinierten Programmierung vorgenommen
hat. Bei den qualitativen Interviews wurde die Durchführungsobjektivität dadurch
sichergestellt, dass die qualitativen Interviews immer nach demselben Schema und
durch denselben Interviewer durchgeführt wurden, nämlich Face-to-Face (das
Angebot eines Protagonisten, das Interview per Telefon durchzuführen, wurde deshalb
abgelehnt) sowie nach einem Leitfaden, an den sich der Interviewer stets zu halten
hatte. Die Auswertungsobjektivität wurde wie bei der Inhaltsanalyse durch ein
vordefiniertes Kategoriensystem angestrebt.
Ebenfalls notwendig aber noch nicht hinreichend ist das Messgütekriterium der
Reliabilität. Es definiert, ob das verwendete Messinstrument immer gleich misst.
Realiabilität ist also das Mass für die Reproduzierbarkeit von Messergebnissen
(Dieckmann 2007: 250). Bei der Auswertung der qualitativen Inhaltsanalyse sowie der
qualitativen Interviews wurde deshalb die Test-Retest-Methode angewendet. Drei
zufällig ausgewählte Interviews sowie drei zufällig ausgewählte Datensätze von den
Medienportalen wurden anhand des Kategoriensystems ausgewertet. 14 Tage später
wurde noch einmal nach denselben Kriterien ausgewertet und überprüft, ob dieselben
Inhalte mit denselben Kategorien versehen wurden. Dies führte dazu, dass die erste
Kategorie der Inhaltsanalyse (Umfang und Aktualisierungsrate) deutlicher definiert
wurde. Zudem wurden Kategorien für die Auswertung der Interviews thematisch
aufgespalten (etwa die Differenzierung des Fokus auf mobile Rezeption zwischen dem
Journalisten und dem Verlagshaus).
Das wichtigste Messgütekriterium schliesslich ist die Validität und bezeichnet die
Gültigkeit von Messungen und deren daraus folgenden Aussagen. Objektivität und
Reliabilität sind lediglich notwendige Minimalanforderungen an ein Messinstrument.
56
Da Hauptziel ist dagegen die Konstruktion möglichst valider Messinstrumente
(Dieckmann 2007: 256). Je nach Literatur werden verschiedene Unterkategorien von
Validität festgelegt. Hier sollen die drei Unterkategorien gemäss Dieckmann 2007
verwendet werden, die der Inhalts-, Kriteriums und Konstruktvalidität. Die
Unterkategorie der Inhaltsvalidität verlangt, dass zur Messung einer Variable das
bestmöglichste Messinstrument angewendet wird. Aus diesem Grund wurden die
beiden Messinstrumente der qualitativen Inhaltsanalyse sowie des qualitativen
Leitfadeninterviews ausgewählt. Die Inhaltsanalyse entspricht einer neutralen
Momentaufnahme, sie liefert einen direkten Vergleich innerhalb der Medienportale.
Allerdings blendet sie Veränderungen über die Zeit, organisatorische Informationen
aus den Redaktionen sowie weitere Einschätzungen der Akteure komplett aus. Die
Interviews im Gegensatz können mittels retrospektiven und einschätzenden Fragen
genau diese Defizite abdecken, sind aber immer stark von der interviewten Person
und deren persönlichen Einschätzung abhängig. Durch die Kombination dieser beiden
Instrumente sollte eine möglichst hohe Inhaltsvalidität erreicht werden. Die zweite
Unterkategorie - die Kriteriumsvalidität - gibt an, inwieweit ein
Untersuchungsverfahren ein interessierendes Merkmal so misst, dass es mit einem
für das Merkmal relevanten Aussenkriterium übereinstimmt. Dafür wurde für das
Instrument des qualitativen Leitfadeninterviews ein sogenannter Pretest durchgeführt.
Mit einem nicht in der Messung enthaltenden Online-Journalisten des Medienhauses
SRF wurde das Interview gemäss Leitfaden durchgeführt und ausgewertet. Im
Anschluss wurden die Resultate mit dem Journalisten zusammen besprochen. Dies
offenbarte gewisse Schwächen bei den Fragen – beispielsweise die erwünschte
Messung nach der Beurteilung, ob durch den mobilen Wandel schneller und häufiger
publiziert werde. Anfänglich wurde die Frage exakt so ausformuliert gestellt, der
Journalist konnte darauf aber keine gewissenhafte Antwort geben. Im gemeinsamen
Auswertungsgespräch wurde dann ersichtlich, dass die Frage konkreter auf
Untersuchungsergebnisse der Inhaltsanalyse abzielen muss. Im Falle dieser Arbeit
also auf die Liveticker-Form verbunden mit der Frage, ob solche Formate aus Sicht
des Journalisten zugenommen haben. Die Konstruktvalidität schliesslich wurde
angestrebt, indem die Kategorien für die Auswertung der beiden Messinstrumente
anhand der Literaturrecherche (Kapitel 3) vorgenommen wurden.
57
5.4 Ergebnisse der Inhaltsanalyse
Zunächst gilt es festzuhalten, dass jedes in dem Sample enthaltene Medienportal für
die Berichterstattung zu den Zürcher Wahlen mindestens einmal das Instrument eines
„Live-Tickers“ eingesetzt hat und dies auch zu den Haupterzeugnissen von allen
Portalen an diesem Wahltag gezählt werden kann. Es handelt sich dabei um einen
neuartigen Typ der Berichterstattung, der schriftliche Kurzkommentare mit
verschiedenen grafischen Darstellungsformen und statistisch-tabellarischen
Informationen zu einem multimodalen und interaktiven Gesamtkomplex kombiniert.
Nutzer lesen einen laufend aktualisierten Bericht zu einem Ereignis, und zwar während
dieses Ereignis stattfindet. Im Unterschied zur Live-Berichterstattung des Fernsehens
verlagert sich beim Live-Ticker die Darstellung vom audio-visuellen Live-Ereignis auf
eine überwiegend textbasierte und grafische Ebene der Ereignispräsentation (Hauser
2008: 1). Die Art, wie diese Live-Ticker ausgestaltet waren, unterschied sich dennoch
stark zwischen den einzelnen Portalen. Ausserdem wurden, je nach Portal, noch
andere Formen von Publikationen gewählt. In der folgenden Tabelle findet sich eine
Übersicht über die publizierten Stücke zwischen 12.00 Uhr und 20.00 Uhr – die
Kategorien der festgestellten Berichte wurden während der Inhaltsanalyse gebildet.
Live-
Ticker
sda-
Bericht
Kommentar Eigenbericht Bilder-
Story
Twitter-
Story
Pushs
watson 1 1 1 - - - 5
20min 1 - - - - - 1
Blick 1 2 1 1 - - 5
NZZ 2 - 1 1 1 - 7
SRF 1 - - 3 - - 2
Tagesanzeiger 4 - 1 - - 1 8
In den folgenden Abschnitten werden die Resultate sowie die Ausprägung der sieben
Artikelarten vorgestellt. Der Schwerpunkt der Analyse entfällt auf die Live-Ticker, da
sie bei allen sechs Portalen das umfangreichste Publikationselement am Wahlsonntag
waren. Gemäss der zu überprüfenden Hypothesen H1-H3, werden die Elemente
qualitativ auf die beiden Kategorien „Umfang und Aktualisierungsrate“ sowie „Aufbau
und Einzelelemente“ hin untersucht.
58
5.4.1 Live-Ticker
Nachfolgend findet sich eine Zusammenfassung der Ergebnisse aus der Analyse der
verschiedenen Live-Ticker.
watson:
Kategorie Umfang und Aktualisierungsrate:
Der Live-Ticker weist folgende Eigenschaften auf bezüglich Aktualisierungsrate und
Umfang auf:
- 47 Einträge insgesamt mit 15‘322 Zeichen
- Durchschnittlich 326 Zeichen pro Eintrag
- Durchschnittlich alle 6.7 Minuten ein Beitrag
Die Anzahl der Ticker-Beiträge sowie die durchschnittlichen Zeitabstände zwischen
den einzelnen Beiträgen entsprechen damit in etwa dem Mittel der untersuchten
Portale.
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Bei watson fällt sofort die Filterung und Einordnung einzelner Ticker-Einträge auf. Die
wichtigsten Meldungen wie etwa neue Hochrechnungen sind mit einer speziellen
Farbe gekennzeichnet. User können anwählen, ob sie nur diese wichtigsten
Etappenmeldungen oder alle Einträge sehen wollen und auch, in welcher Reihenfolge
(Neustes zuoberst oder am Seitenende) der Ticker angezeigt werden soll. Während
der Live-Berichterstattung gibt es keine anderen Beiträge auf der Seite zu den Wahlen,
der Live-Ticker ist das Hauptinstrument und soll mit den Filtereinstellungen
verschiedene Interessen gleichzeitig abdecken.
59
Abbildung 19: Screenshot Filterung bei watson-Ticker (Quelle: watson.ch)
Jeder Eintrag besitzt eine eigene Schlagzeile. Der Hauptteil des Tickers sind
Textblöcke über aktuelle Ereignisse wie neue Resultate, auch
Prozentpunktdifferenzen zwischen den Parteiergebnissen werden als Text
ausgegeben. Dazu werden auch Grafiken eingebaut, welche Screenshots vom
Statistischen Amt Zürich sind (teilweise ohne Quellenangabe). Zudem werden auch
Tweets von beteiligten Akteuren oder Beobachtern eingebaut – einmal wurde die
Tweet-Äusserung eines Bloggers zum Abschneiden der SVP in einer bestimmten
Gemeinde direkt übernommen und als Neuigkeit eingeordnet – als Quellen dienten
also nicht nur Agenturen und Reporter sondern auch Private. Im Ticker fanden sich
auch Agenturbilder, die frisch reinkamen. Insgesamt sind drei Redakteure am Ticker
beteiligt, es ist für den Leser jeweils ersichtlich, welcher Input von wem geschrieben
wurde. Zuoberst sind fix die provisorischen Hochrechnungsresultate eingeblendet,
welche zeitnah zu neuen Ergebnissen aktualisiert werden. Der Leser hat also jederzeit
die schnelle Übersicht über den aktuellen Auszählungsstand ohne zu scrollen. Der
Ticker besitzt neben der Filtrierung zwei Alleinstellungsmerkmal gegenüber den
anderen Portalen. Erstens werden Erzeugnisse der Konkurrenz zitiert in den Ticker
eingebunden und verlinkt, etwa ein Reaktionsvideo von Esther Guyer, das im Ticker
auf Tagesanzeiger Online zu sehen war. Weiter hat watson mit der Möglichkeit, Inputs
von Lesern mit in den Ticker zu nehmen. So wurde etwa die Frage eines Users nach
den Prozentpunkten aufgenommen und sogleich im Ticker integriert beantwortet.
Der Ticker wurde bis 17.06 Uhr betrieben.
60
20MIN ONLINE:
Kategorie Umfang und Aktualisierungsrate:
- 43 Einträge insgesamt mit 11‘739 Zeichen
- Durchschnittlich 273 Zeichen pro Eintrag
- Durchschnittlich alle 8 Minuten ein Beitrag
Sowohl mit der Anzahl der Ticker-Beiträge sowie mit den durchschnittlichen
Zeitabständen zwischen diesen Beiträgen bewegt sich 20 Minuten damit im Mittel der
untersuchten Medienportale.
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
20 Minuten baut den Ticker hauptsächlich auf Text-Elementen auf, sie machen den
Grossteil des Inhalts aus. Auffällig ist, dass einzelne aus Sicht des Mediums wichtige
Sätze und Aussagen in den Textblöcken jeweils fett geschrieben sind und damit
herausgehoben werden. Eine leicht überschaubare Zusammenfassung gibt es
innerhalb des Tickers nicht, die neuste Haupterkenntnis wird im Titel des Tickers
festgehalten, welcher auf der Hauptseite von 20 Minuten ersichtlich ist und auf den
Ticker verlinkt. Zudem hat der Leser die Möglichkeit, die Reihenfolge der Einträge
(Neuste zuoberst oder ganz unten) zu ändern. Im Ticker werden Tweets eingebunden,
sie beinhalten Einschätzungen und Reaktionen zu den Wahlergebnissen. Auch
Grafiken finden sich im Ticker, zum einen sind es Screenshots vom Statistischen Amt
Zürich (mit Quellenangabe), zum anderen eigene Kuchendiagramm-Grafiken über die
aktuellen Sitzverteilungen (welche nicht dynamisch sind sondern als einfache Grafik
daher kommen). 20 Minuten hat Reporter vor Ort im Wahlzentrum und nennt dies auch
im Ticker, Aussagen von Akteuren vor Ort werden paraphrasiert und es werden eigene
Bilder der Reporter in den Ticker eingebunden. Diese scheinen mit einem Mobiltelefon
erstellt worden zu sein.
61
Abbildung 20: Reporter-Bilder bei 20 Minuten (Quelle: 20min.ch)
Dazu findet sich ein Video, das ebenfalls von den Reportern vor Ort erstellt wurde. Es
zeigt einen hüpfenden Kantonsratskandidaten. Der Ticker wurde bis 18.00 Uhr
betrieben und zeigte nach den ausgezählten Ergebnissen vor allem bildliche Eindrücke
der jeweiligen Parteitreffen.
BLICK ONLINE:
Kategorie Umfang und Aktualisierungsrate:
- 56 Einträge insgesamt mit 27‘272 Zeichen
- Durchschnittlich 487 Zeichen pro Eintrag
- Durchschnittlich alle 5.5 Minuten ein Beitrag
Blick Online hat damit über den Untersuchungszeitraum von den Medienportalen am
meisten Ticker-Einträge verfasst. Gleichzeitig ist der Zeitabstand zwischen den
Einträgen nirgends so tief wie bei Blick Online.
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Der Blick-Ticker weist eine hohe Dynamik auf: Viele Einträge sind lediglich zwei Sätze
lang, dafür werden mit einer hohen Kadenz neue Einträge publiziert. Der Ticker ist
textlastig, baut aber vor allem wie kein anderes Portal auf Tweets auf. Zum einen
finden sich Tweets mit Einschätzungen oder Meinungen, andere enthalten Fakten.
Solche werden vom Autor gerne auch eingeordnet
62
Abbildung 21: Ticker-Kommentar bei Blick Online (Quelle: blick.ch)
Im Text wird nicht nur auf das aktuelle Geschehen bei den Zürcher Wahlen Bezug
genommen, sondern es werden auch Resultate von den Wahlen im Kanton Appenzell
verkündet – ein Alleinstellungsmerkmal vom Blick-Ticker. Dazu werden aus
Agenturtexten auch einzelne Statements von Akteuren rezitiert und mit der
Agenturquelle gekennzeichnet. Für die Nutzer gibt es weder Filter- oder
Ordnungsoptionen für den Ticker, noch eine Zusammenfassung mit den neusten
Erkenntnissen. Diese werden im Titel zusammengefasst, der auf der Hauptseite von
Blick Online auf den Ticker verlinkt. Neben den Textbausteinen werden im Ticker auch
Grafiken von Hochrechnungen des Statistischen Amts Zürich eingebaut, allerdings
ohne Quellenangabe. Dazu werden Bilder eingebunden – teilweise sind es
Rückschauen (etwa, wie die Kandidaten im Vorfeld mit Plakaten für sich geworben
haben), offizielle Kandidatenbilder von deren Homepage oder auch Fotomontagen
Der letzte Eintrag im Ticker erfolgte um 17.08 Uhr.
NZZ ONLINE:
Kategorie Umfang und Aktualisierungsrate:
- 49 Einträge insgesamt (2 Ticker) mit 27‘272 Zeichen
- Durchschnittlich 627 Zeichen pro Eintrag
- Durchschnittlich alle 11.3 Minuten ein Beitrag
NZZ Online weist damit am zweitmeisten Ticker-Einträge (hinter Blick Online) auf.
Zudem weist kein anderes Portal des Untersuchungssample längere Zeitabstände
zwischen den einzelnen Einträgen auf.
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Die NZZ arbeitet zur Abdeckung der Wahlen mit zwei Tickern. Einer deckt die
Regierungsratswahl (Exekutive) ab, der andere die Wahl und Aufstellung des neuen
Kantonsrates (Legislative). Der Hauptbestandteil sind Textblöcke, alle Einträge haben
eine eigene Überschrift, Tweets finden sich in beiden Tickern keine. Im Unterschied
zu anderen textlastigen Tickern wie beispielsweise demjenigen von Blick Online, weist
jeder Eintrag den Umfang von mindestens fünf Sätzen auf – die Einträge können also
jeweils als eine Art Mini-Bericht gedeutet werden. Im Text selber gibt es keine
63
Heraushebungen, auch neue Hochrechnungsresultate werden gleich behandelt wie
die anderen Informationen. Zitate von Akteuren vor Ort werden im Text rezitiert. Einmal
wird auch auf einen Vorberichterstattungs-Beitrag der NZZ verlinkt. Neben dem Text
arbeitet der Ticker auch mit Bildern von NZZ-Fotografen vor Ort. Die Bilder scheinen
nicht mit einem Mobiltelefon gemacht worden zu sein sondern mit hochwertigen
Kameras (Ausleuchtung spricht für einen grossen Bildsensor, der in Smartphones
nicht vorhanden ist).
Abbildung 22: Hochwertige Bilder im NZZ-Ticker (Quelle: nzz.ch)
Ausser dem Titel und dem Lead gibt es oberhalb des Tickers keine aktuellen Text-
Informationen, die das bisher Geschehene zusammenfassen. Allerdings setzt der
NZZ-Ticker auf eigene Grafiken. Diese werden teilweise im Ticker als verlinkten Button
hinterlegt (etwa die spezifischen Resultate einer Partei in einer Wohngemeinde). Die
Übersicht über alle Resultate sind in grafischer Form daneben immer ganz oben im
Ticker verlinkt – die NZZ hat offensichtlich eigene Grafiken vorprogrammiert, die
während dem Wahlnachmittag mit Resultaten gespiesen werden und sich anpassen.
Der Leser kann verschiedene Elemente auswählen, etwa eine Kantonskarte mit den
64
Resultaten, den Vergleich zu den Vorwahlen vor vier Jahren oder die Köpfe der
gewählten Kandidaten.
Abbildung 23: Dynamische NZZ-Grafiken (Quelle: nzz.ch)
Der letzte Ticker-Eintrag erfolgte um 17.09 Uhr.
SRF ONLINE:
Kategorie Umfang und Aktualisierungsrate:
- 36 Einträge insgesamt mit 15‘693 Zeichen
- Durchschnittlich 454 Zeichen pro Eintrag
- Durchschnittlich alle 9.7 Minuten ein Beitrag
SRF Online weist damit innerhalb der verglichenen Portale die tiefste Zahl an Ticker-
Einträgen auf. Zudem sind die Zeitabstände zwischen den einzelnen Einträgen grösser
als der Durchschnitt über alle Portale.
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Der Live-Ticker von SRF bindet verschiedenste Medienelemente ein. Vor allem zu
Beginn der Berichterstattung ab 12.00 Uhr gibt es selten Einträge, die lediglich mit Text
bespielt sind – meist ist es eine Kombination mit anderen Medien. Eingebunden
65
werden häufig Screenshots von Grafiken vom Statistischen Amt Zürich (mit
Quellenangabe), aber auch Radio- und TV-Beiträge von SRF kurz nach deren
Ausstrahlung sowie die Verlinkung auf den Livestream des Radioprogramms. Der
Inhalt der Beiträge wird vom Redakteur jeweils kurz textlich zusammengefasst, jeder
Beitrag hat eine eigene Überschrift. Auch Bilder von Reportern vor Ort (aufgrund des
Bildrauschens wahrscheinlich mit einem Mobiltelefon erstellt) werden eingebunden.
Abbildung 24: Paraphrasierte Interviews bei SRF (Quelle: srf.ch)
Auf Tweets verzichtet der SRF-Ticker vollständig. Eingebunden werden neben den
eigenen Erzeugnissen noch Agenturbilder. Einmal werden die Bilder eines Reporters
zu einer Collage geschnitten, zudem wird auf SRF-Online-Berichte zu
Abstimmungsresultaten in Schaffhausen und Winterthur verlinkt. Der Leser hat keine
Möglichkeit, einzelne Elemente des Tickers herauszufiltern oder die Reihenfolge zu
ändern. Für die Übersichtlichkeit hat der SRF-Ticker nicht nur die neuste Information
in den Titel und den Lead des Tickers gepackt, sondern bietet ganz oben sogenannte
„Bullet-Points“ an, welche in einigen Stichworten die wichtigsten und neusten
Entwicklungen zusammenfassen.
66
Abbildung 25: Bullet-Points bei SRF (Quelle: srf.ch)
Gegen Ende des Tickers werden die Textbeiträge länger, sie sind versehen mit
Grafiken, die nun von SRF selber erstellt wurden. Nach den offiziellen Ergebnissen
läuft der Ticker weiter und berichtet über Reaktionen von Gewinnern und Verlierern
der Wahl. Auch nach dem Ende des Erfassungszeitraums bis 20.00 Uhr werden noch
Beiträge veröffentlicht.
TAGEANZEIGER.CH/NEWSNETZ:
Kategorie Umfang und Aktualisierungsrate:
- 46 Einträge insgesamt (4 Ticker) mit 31‘384 Zeichen
- Durchschnittlich 682 Zeichen pro Eintrag
- Durchschnittlich alle 7.1 Minuten ein Beitrag
Tagesanzeiger.ch/Newsnetz hatte damit die dritthöchste Zahl an Live-Ticker-
Einträgen (hinter Blick Online und NZZ Online). Gleichzeitig ist auch die
Aktualisierungsrate überdurchschnittlich hoch (Nur Blick Online wies kürzere Abstände
zwischen einzelnen Ticker-Einträgen auf).
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Die Verantwortlichen bei Tagesanzeiger Online haben sich entschieden, mit
insgesamt vier parallel laufenden Live-Tickern über die Zürcher Wahlen zu berichten.
Je ein Ticker fasst die Neuigkeiten und Resultate zu den Kantons- und
Regierungsratswahlen zusammen. In diesen beiden Resultats-Tickern dominiert vor
67
allem der Text, pro Abschnitt wird vom Redakteur eine Schlagzeile gesetzt. Die
Einträge unterscheiden sich stark in ihrer jeweiligen Länge – es gibt lange Teile und
kurze, wo teilweise ein einziger Satz für einen Tickereintrag steht. Die längeren Texte
sind in Abschnitte gegliedert. Ganz oben findet sich eine Bildstrecke. Zu Beginn ist
diese noch gefüllt mit Archivbildern, gewinnt dann aber im Laufe das Nachmittags
aktuelle Bilder des Tages dazu. Im Text wird einmal auf ältere Berichte des
Tagesanzeigers verlinkt, ansonsten finden sich auch Screenshots der Grafiken des
Statistischen Amtes Zürich (mit Quellenangabe). Tweets oder Videos sind in diesem
Ticker keine vorhanden. Nach dem Bekanntwerden der Endresultate änderten sich die
beiden Resultate-Ticker in einer Art, wie das bei keinem anderen Medium im Sample
zu beobachten war. Oben auf der Seite ist eine Art klassischer Textbeitrag mit
Abschnitten und Zwischentiteln. Dieser fasst das Geschehen des Tages zusammen.
Unterhalb dieses Textes findet sich dann der Ticker – diesmal aber in umgekehrter
Reihenfolge (die ältesten Ereignisse befinden sich nun also oben). Der Ticker wird nun
als „Chronologie“ bezeichnet.
Die anderen beiden Live-Ticker widmen sich den Reaktionen von Akteuren und
Beobachtern – auch wieder aufgeteilt in Kantons- und Regierungsratswahlen. In
diesem Ticker findet sich weniger Text, dafür mehrere Videos.
Reporter vor Ort interviewen während des Nachmittags Akteure wie etwa
Parteipräsidenten zu deren Befinden. Die Videos sind offensichtlich mit einem
Smartphone erstellt und wirken daher nicht wie klassische TV-Beiträge (Der
Interviewte etwa schaut mehrmals direkt in die Kamera, was in klassischen TV-
Interviews nicht vorkommt). Die Hauptaussagen der Videoteilnehmer werden jeweils
im Text zusammengefasst.
Bereits um 12.30 Uhr wird ein erstes Video publiziert, wo ein Verantwortlicher der
Partei CVP interviewt wird. Die Aussagekraft des Videos hält sich insofern in Grenzen,
da der Interviewte selbst sagt, dass es noch zu früh sei, um Resultate zu beurteilen,
da noch nichts Aussagekräftiges vorliege.
68
Abbildung 26: Handy-Video bei Tagesanzeiger (Quelle: tagesanzeiger.ch)
Die Videos vermitteln aber die Stimmung aus dem Wahlzentrum. Nach der Abwahl
des Regierungsrates Graf etwa wird auf einem verwackelten Video gezeigt, wie der
Abgewählte sichtlich angespannt durch die Menge an Reportern schreitet und der TV-
Station SRF vorerst kein Interview geben will. Zudem werden auch Bilder von
Reportern vor Ort in den Ticker eingebunden, auch diese sind offenbar mit einem
Smartphone erstellt worden. Dazu werden einzelne Zitate der Akteure aus den Bildern
im Text rezitiert. Auch Tweets sowie Agenturbilder sind Bestandteil des Reaktionen-
Tickers. Der letzte Eintrag in die Ticker fand um 17.30 Uhr statt, um 18.00 Uhr wurde
dann bei den Resultate-Tickern die Reihenfolge umgekehrt und eine
Zusammenfassung vorangeschoben.
Allgemeine Auffälligkeit zu den Live-Tickern:
Die Titel der Live-Ticker, welche von der Hauptseite der Medienportale auf den
eigentlichen Ticker verlinkten, waren nicht immer synchron zum aktuellen Geschehen.
So war die Neuigkeit, dass Regierungsrat Graf abgewählt wurde, um 17.00 Uhr noch
nicht in den Titeln von SRF, Tagesanzeiger und NZZ enthalten – SRF etwa titelte
„Ausgang bei Regierungsratswahlen weiter offen“. Die Meldung der Abwahl wurde
aber bereits Minuten vorher sowohl im Ticker wie auch mit einer Push-Meldung
verbreitet.
69
5.4.2 sda-Bericht
Die sda (Schweizerische Depeschenagentur) ist die einzige Schweizer
Nachrichtenagentur und beliefert deren Kunden, Medienhäuser aller Art, mit
publizierbaren Nachrichtentexten. Nach dem Bekanntwerdender Resultate publizierte
watson einen, Blick zwei sda-Texte.
WATSON:
Kategorie Umfang und Aktualisierungsrate:
Der Text umfasst 3‘504 Zeichen und wurde einmal publiziert.
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Der sda-Text beschäftigt sich mit den Wahlergebnissen bei der Wahl der neuen
Regierung. Im Text wird zusammenfasst, welche Partei und deren Kandidaten wie
viele Stimmenanteile erhalten haben. Der Text hat einen Titel aber keinen Lead, ist in
vier Abschnitte gegliedert wovon jeder einen Zwischentitel hat. Dazu wurden ganz
oben und in der Mitte des Artikels je ein Agenturbild eingepflegt.
BLICK ONLINE:
Kategorie Umfang und Aktualisierungsrate:
Der kürzere Text umfasst 1‘670 Zeichen, der längere 1‘689 Zeichen. Beide Artikel
wurden einmal publiziert.
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Beide Artikel handeln von der Abwahl von Regierungsrat Graf, der eine Artikel
beschäftigt sich mit dessen Reaktion (ein Zitat von ihm wird als Titel des Artikels
verwendet), der andere damit, dass der abgewählte Regierungsrat nun noch Anspruch
auf 14 Monate Gehalt hat. Vom Aufbau her gleichen sich die beiden Artikel, beide
haben Titel und Lead und anschliessend Text in einzelnen, kleinen Abschnitten, die
aber ohne Zwischentitel daherkommen. Dazu werden zwei, respektive ein Bild von
Nachrichtenagenturen eingebunden.
70
5.4.3 Kommentar
Zu dem Typus Kommentar werden diejenigen Erzeugnisse gezählt, die inhaltlich eine
persönliche Einschätzung eines Redakteurs zum Geschehen beinhalten. Als Kriterium
gilt, dass dieser Artikel namentlich als „Kommentar“ (oder gleichwertigen
Bezeichnungen wie „Meinung der Redaktion“) gekennzeichnet sein muss.
WATSON:
Kategorie Umfang und Aktualisierungsrate:
3‘071 Zeichen, einmal publiziert um 17.54
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Der Kommentar beginnt klassisch mit einem Titel und einem Lead. Im Anschluss aber
gibt es keine Abschnitte mit Zwischentiteln sondern der Text wird portionsweise
aufgeteilt, teilweise wird ein einziger Satz von den anderen Textstellen abgegrenzt.
Auffällig sind zudem vier Verlinkungen innerhalb des Textes, die auf ältere Artikel zum
Thema führen
BLICK ONLINE:
Kategorie Umfang und Aktualisierungsrate:
2‘263 Zeichen, einmal publiziert um 17.00 Uhr
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Der Kommentar beginnt mit klassischen textlich-journalistischen Formen wie einem
Titel und Lead. Bereits im Titel wird aber angedeutet, dass sich der Artikel nicht an der
klassischen Gliederung eines Online-Artikels mit Zwischenabschnitten orientiert („Vier
Punkte, die uns der Zürcher Wahl-Krimi lehrt“). Zu Beginn des Textes wird auf den
Live-Ticker des Nachmittags verlinkt und dann eine Frage in den Raum gestellt. Im
Anschluss werden die Abschnitte in vier Punkte gegliedert, die Nummern sind jeweils
gefettet. Der Kommentar kann damit zu dem Typus „Listicle“ gezählt werden – eine
junge Art, Beiträge online zu publizieren, indem der Inhalt in einer Liste mit Nummern
wiedergegeben wird. Die Artikelart „Listicle“ übt eine bekannte Funktion im
71
Rollenverständnis von Journalisten aus, die des Erklärers (Birthisel 2014: 15). Und der
Blick Online-Kommentar nimmt auch in Anspruch, den Wahlausgang erklären zu
können und die anfangs gestellte Frage beantworten zu können. Im Kommentar geht
es nicht um den abgewählten Regierungsrat Graf, sondern darum, die neue
Aufstellung des Zürcher Parlaments als Vorzeichen für die nationalen Wahlen im
Oktober zu deuten. Zum Schluss, nach den vier Aufzählungen, schreibt der Redakteur
ein kurzes Schlussfazit.
NZZ ONLINE:
Kategorie Umfang und Aktualisierungsrate:
3‘601 Zeihen, einmal publiziert um 16.46 Uhr
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Die NZZ publizierte innerhalb der untersuchten Medienportale am frühesten einen
Eigenkommentar. Dieser entspricht im Aufbau einem klassischen Text-Beitrag, wie er
auch in Zeitungen vorkommt. Der Titel hält sich kurz („Graf abgewählt – FDP reitet auf
Erfolgswelle“), auch der Lead ist lediglich ein Satz lang, danach folgt ein Bild eines
NZZ-Fotografen. Im Anschluss folgen vier Abschnitte mit jeweiligen Zwischentiteln. Im
Kommentar geht es zum einen um die neugewählten Regierungsrätinnen und den
Versuch, deren Wahl zu erklären. Zum anderen wird eruiert, warum Parteien wie FDP
im Moment an Stimmen dazugewinnen und beispielsweise die Grünen die grossen
Verlierer sind.
TAGESANZGIER.CH/NEWSNETZ:
Kategorie Umfang und Aktualisierungsrate:
3‘214 Zeichen, einmal publiziert um 18.35 Uhr
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Der Tagesanzeiger-Kommentar ist innerhalb des Samples der einzige seiner Art,
welcher ohne ein Bild daherkommt. Der Titel umfasst zwei Sätze, danach steigt der
Redakteur gleich in den Text ein. Dieser bespricht die neue Zusammensetzung des
Regierungsrates und wie es zu diesem Triumph der Bürgerlichen kommen konnte.
Portioniert wird der Text in sechs kleine Abschnitte, die jweils zwei bis drei Sätze lang
sind – Zwischentitel finden sich keine.
72
5.4.4 Eigenbericht
Als Eigenbericht werden diejenigen Erzeugnisse eingestuft, welche durch einen
Autorennamen oder dessen Kürzel (nicht „sda“) gekennzeichnet sind. Zudem haben
diese Berichte im Gegensatz zu den Live-Tickern einen einzigen Publikationszeitpunkt,
an welchem der gesamte Artikel veröffentlicht wird.
BLICK ONLINE:
Kategorie Umfang und Publikationsrate:
Publikation um 18.20 Uhr, Umfang 5‘471 Zeichen
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Der Eigenbericht des Blick fasst das Geschehene das Tages umfassend zusammen.
Der Artikel beginnt klassisch mit einem Titel und Lead, dann folgt ein erster Abschnitt
der die Resultate der Regierungsratswahl kurz zusammenfasst. Ein weiterer Abschnitt
mit Zwischentitel zeigt noch einmal die Chronologie auf, beispielsweise den Zeitpunkt,
wo alle Gemeinden ausgezählt waren. Es folgen weitere vier Abschnitte mit
Zwischentiteln, die über eine neu gewählte Regierungsrätin, das Abschneiden von
FDP und SVP sowie der Partei AL berichten. Der Artikel enthält keine Bilder oder
andere Medien ausser Text. Gleich unterhalb des Artikels beginnt der Live-Ticker, der
mit den Worten „Der Live-Ticker vom Wahl-Krimi zum Nachlesen“ angepriesen wird.
NZZ ONLINE:
Kategorie Umfang und Publikationsrate:
Publikation um 17.15 Uhr, 5‘559 Zeichen
73
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Der Eigenbericht der NZZ ist das Erzeugnis mit den meisten verschiedenen
Medientypen innerhalb eines NZZ Online-Berichts zu den Zürcher Wahlen an diesem
Tag. Der umfangreiche Artikel beschäftigt sich mit den Regierungsratswahlen, beginnt
klassisch mit einem Titel, einem Lead, einem Fotografen-Bild und mehreren
Abschnitten mit Zwischentiteln. Im Text wird noch einmal die Chronologie des
Geschehens zusammengefasst, dazu werden Reaktionen von Akteuren rezitiert.
Innerhalb des Textes werden nun aber zwei Tweets eingebunden – das erste Mal an
diesem Tag bei der NZZ-Berichterstattung über den Wahltag. Dazu verlinkt ein Button
in der Mitte des Textes auf die eigenen programmierten Grafiken, die bereits im Live-
Ticker prominent beworben wurden. Am Ende des Artikels findet sich noch eine
Bildercollage mit vier Bildern der Sieger und Verlierer des Tages.
SRF ONLINE:
Kategorie Umfang und Publikationsrate:
3'958 Zeichen um 17.53 Uhr, 18.26 Uhr mit 1‘808 Zeichen sowie 1‘156 Zeichen um
17.18 Uhr, je einmal publiziert.
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
SRF Online weist mit drei separierten Berichten zu den Zürcher Wahlen die höchste
Zahl an Eigenberichten im Sample auf. Der kürzeste Text fasst zusammen, wie die
neue Regierung aufgebaut ist. Dabei wird ein Titel, ein Lead, sowie ein Fliesstext
publiziert, welcher in kleine Portionen (Länge 1-2 Sätze) aufgeteilt ist. Prominent nach
dem Lead findet sich eine Collage von zwei Bildern (Verlierer Graf neben Gewinnerin
Walker Späh), diese Bilder nehmen fast die Hälfte des Platzes für den Gesamtbericht
ein. Unterhalb des Berichts findet sich eine Übersicht von allen gewählten und nicht
gewählten Kandidaten mit Bild, der Anzahl Stimmen sowie teilweise mit verlinktem
Audio-Interview.
74
Abbildung 27: Verlinkte Audio-Interviews (Quelle: srf.ch)
Der zweite Eigenbericht ist noch multimedialer aufgebaut und fasst das Geschehen
bei den Kantonsratswahlen zusammen. Auch hier wird wieder die klassische Form mit
einem Titel und einem Lead angewendet. Gleich im Anschluss findet sich eine
Bildstrecke mit drei Grafiken, welche den Wähleranteil der Parteien aufzeigen. Es folgt
ein Lauftext, der in fünf Abschnitte mit Zwischentiteln aufgeteilt ist und detailliert über
das Abschneiden der einzelnen Parteien berichtet. Dieser Lauftext wird zusätzlich
aufgebrochen von mehreren Audio-Interviews mit Exponenten – noch vor dem
Anklicken wird auch die Länge der Files angegeben. Unterhalb des Artikels finden sich
zwei Tabellen, eine mit der Sitzverteilung und eine mit den Wähleranteilen der Parteien
(dieselben Informationen wie in der Bildstrecke oben aber anders dargestellt).
Der dritte und längste Eigenbericht handelt von der Abwahl des Regierungsrates Graf.
Auch hier finden oben ein Titel und der Lead. Gleich im Anschluss gibt es ein
anklickbares Audio-Interview mit Martin Graf, das mit einer Portraitaufnahme des
Interviewpartners sowie dem Titel „Der enttäuschte Martin Graf im
Interview“ prominent platziert ist. Darauf folgt ein Fliesstext, der aber unterbrochen wird
durch ein herausgehobenes Zitat des Abgewählten
Im Anschluss folgt eingebettet in den Text die Verschriftlichung eines
Korrespondentengesprächs, wo die Moderatorin im Studio der
Aussenkorrespondentin Fragen stellte. Dasselbe Interview wird auch als Video in der
Mitte des Textes verlinkt.
75
5.4.5 Bilder-Story
NZZ ONLINE: Kategorie Umfang und Publikationsrate:
1‘162 Zeichen, einmal publiziert um 17.45 Uhr
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Eine einzigartige Art der Publikation innerhalb des Samples hat NZZ Online gewählt.
Eindrücke und Resultate über den Wahlnachmittag hinweg werden mit Bildern von
NZZ-Fotografen erzählt. Der Titel ist schlicht gehalten mit „Wahlen Zürich 2015“.
Darauf folgen von oben nach unten verschiedene Bilder von Kandidaten, Gewinnern,
Verlierern, die Auszählung der Wahlzettel aber auch die Ahnengallerie der bisherigen
Regierungsräte. Unterhalb der Bilder wird jeweils in einem Satz schriftlich erzählt, was
auf den Bildern zu sehen ist.
5.4.6 Twitter-Story
TAGESANZEIGER.CH/NEWSNETZ:
Kategorie Umfang und Publikationsrate:
1‘703 Zeichen, einmal publiziert um 17.10 Uhr
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Auch Tagesanzeiger.ch/Newsnetz schaffte an diesem Tag innerhalb des Samples ein
Alleinstellungsmerkmal mit einem Erzeugnis, wo Tweets zu den Wahlen kuratiert
wurden. Der Artikel beginnt mit einem Titel und einem kurzen Lead, der die Frage
aufwirft, wie die Twittersphäre die Ergebnisse diskutiert habe. Im Anschluss werden
chronologisch (die neusten Tweets sind oben) Tweets mit einem Zeitstempel
aufgelistet. Die Tweets sind eingebunden, dass man damit interagieren kann, also
beispielsweise auf das Profil des Urhebers gelangen kann.
76
Teilweise werden die Tweets mit einem Satz kommentiert, oft bleiben sie aber
unkommentiert. Unter den Tweet-Autoren finden sich Privatpersonen, Politologen,
Politiker, Parteien aber auch andere Journalisten von SRF und Blick.
5.4.7 Pushs
Als sogenannte „Pushs“ werden diejenigen Kurzmeldungen bezeichnet, welche von
den Verlagshäusern via hauseigene App auf die Smartphones der Benutzer geschickt
werden. Hat der Nutzer diese Funktion aktiviert, wird er beim Eintreffen eines solchen
Pushs benachrichtigt und kann diesen sogleich lesen, egal ob die entsprechende
News-Applikation bereits geöffnet war oder nicht. Ein Klick auf die Push-Meldung
verlinkt dann auf den entsprechenden Artikel innerhalb der Applikation. Diese Pushs
sind in der Schweiz ein eher junges Instrument, 20 Minuten hatte diese Technologie
Ende 2011 für iPhones eingeführt, etwas später dann auch für Android-Telefone.
Später folgten andere Medienhäuser und bauten diese Funktion ebenfalls in ihre
Applikation ein. Nachfolgend findet sich eine Übersicht über die Anzahl verschickter
Pushs innerhalb des Untersuchungszeitraumes zum Thema Zürcher Wahlen sowie
über deren Inhalt.
WATSON:
Kategorie Umfang und Publikationsrate:
Insgesamt 5 Pushs, durchschnittlicher Zeitabstand dazwischen beträgt 57 Minuten
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Watson pushte einmal, gleich um 12.00 Uhr einen Hinweis, dass jetzt der Ticker startet
und bald die ersten Hochrechnungsresultate eintreffen würden. Die restlichen Push-
Meldungen beinhalteten allesamt neue Fakten wie Hochrechnungsresultate. Dass
Regierungsrat Graf abgewählt wurde, hat watson um 16.45 Uhr gepusht.
20 MINUTEN ONLINE:
Kategorie Umfang und Publikationsrate:
Insgesamt 1 Push kurz vor 12.00 Uhr
77
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Um 12.00 Uhr pusht 20 Minuten online den Hinweis, dass jetzt die Live-
Berichterstattung zu den Zürcher Wahlen anlaufe. Weitere Pushs zu den Zürcher
Wahlen wurden nicht verschickt.
BLICK:
Kategorie Umfang und Publikationsrate:
Insgesamt 5 Pushs, durchschnittlicher Zeitabstand dazwischen beträgt 49 Minuten
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Ebenfalls kurz vor 12.00 Uhr pusht Blick Online den Hinweis darauf, dass jetzt die
Berichterstattung über den Wahlausgang beginne. Sechs Minuten darauf pusht Blick
ein weiteres Mal und verweist auf erste Resultate. Auch die übrigen Push-Meldungen
enthalten Informationen zu neusten Erkenntnissen. Um 16.07 Uhr vermeldet Blick
Online per Push, dass Regierungsrat Graf abgewählt sei. Damit verkündet Blick Online
diese Meldung als erstes Portal innerhalb des Samples.
NZZ ONLINE:
Kategorie Umfang und Publikationsrate:
Insgesamt 7 Pushs, durchschnittlicher Zeitabstand dazwischen beträgt 44 Minuten
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
NZZ Online verschickt um 12.00 Uhr keine Pushmeldung als Hinweis auf die eigene
Berichterstattung. Der erste Push um 12.13 verlinkt auf erste Hochrechnungen. Auch
die restlichen Pushmeldungen beziehen sich auf neue Hochrechnungen bei der
Regierungs- oder der Kantonsratswahl. Die definitive Meldung, dass Graf abgewählt
ist, folgt um 16.48 Uhr, damit vermeldet NZZ Online innerhalb des Samples diese
Nachricht als letztes Portal.
78
SRF ONLINE:
Kategorie Umfang und Publikationsrate:
Insgesamt 2 Pushs, Zeitabstand dazwischen beträgt 4 Stunden, 37 Minuten
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Auch SRF verzichtet darauf, einen Hinweis auf den eigenen Live-Ticker zu pushen.
Die erste Meldung erfolgt um 12.08 Uhr als klar wird, dass es ein enges Rennen um
den Sitz von Regierungsrat Graf gibt. Der zweite und letzte Push erfolgt dann um 16.45
Uhr, wo definitiv klar ist, dass Regierungsrat Graf abgewählt ist.
TAGESANZEIGER.CH/NEWSNETZ:
Kategorie Umfang und Publikationsrate:
Insgesamt 8 Pushs, durchschnittlicher Zeitabstand dazwischen beträgt 40 Minuten
Kategorie Aufbau und Einzelelemente:
Tagesanzeiger.ch/Newsnet pusht kurz vor 12.00 Uhr den Hinweis auf den eigenen
Live-Ticker. Danach folgen in kurzen Abständen aufeinander Hochrechnungsresultate
der beiden Wahlen. Um 16.48 Uhr wird zeitgleich mit der NZZ als letztes vermeldet,
dass Regierungsrat Graf abgewählt ist.
5.4.8 Zwischenfazit
Nach der Auswertung der qualitativen Inhaltsanalyse über die Erzeugnisse für mobile
Geräte können erste Feststellungen bezüglich der Beurteilung von den ersten drei
Forschungshypothesen, welche mithilfe der Inhaltsanalyse sowie den Interviews
überprüft werden, gemacht werden.
79
H1 (Je stärker der Konsum von journalistischen Produkten mobil erfolgt, desto
schneller und häufiger publizieren Journalisten) tendiert nach der Auswertung dazu,
vorerst nicht falsifiziert zu werden. Das Live-Ticker-Format war bei allen
Medienportalen des Untersuchungssample das Hauptinstrument in der Publikation.
Aufgrund des laufenden Tickers konnte eine Vielzahl an Publikationszeitpunkten
festgehalten werden, dazu kamen noch die regelmässigen Push-Meldungen.
Interessant ist, inwiefern die Journalisten in den Interviews eine Veränderung
bezüglich Tempo und Publikationsdruck feststellen.
H2 (Je stärker der Konsum von journalistischen Produkten mobil erfolgt, desto
multimedialer sind journalistische Erzeugnisse). Eine vorzeitige Falsifizierung kann
auch hier ausgeschlossen werden, allerdings ist die Tendenz weniger eindeutig als bei
H1. Gewisse Erzeugnisse der Medienportale wiesen eine Vielzahl verschiedener
Medientypen auf (beispielsweise der SRF-Ticker mit Videos, Bildern und
Audiodateien), es gab aber auch Erzeugnisse, die ausschliesslich aus Text bestanden.
Hier müssen zwingend Ergebnisse aus den Interviews verdeutlichen, ob sich in der Art
der Berichterstattung bezüglich dem Einsatz verschiedener Medien etwas verändert
hat.
H3 (Je stärker der Konsum von journalistischen Produkten mobil erfolgt, desto kürzer
fallen die journalistischen Texte aus) tendiert dazu, mit dieser Arbeit falsifiziert zu
werden. Aufgrund der permanenten Berichterstattung via Live-Ticker weisen alle
Medienportale eine umfangreiche textliche Berichterstattung auf. Auch für diese
Forschungshypothese sollen aber auch noch die Einschätzungen der Journalisten in
die Beurteilung miteinfliessen.
Aufgrund der zu prüfenden Forschungshypothesen sowie den Ergebnissen aus der
Inhaltsanalyse wurde ein Leitfaden für die strukturierten, qualitativen Interviews mit
den Journalisten herausgearbeitet. Die Resultate der Befragung werden im folgenden
Abschnitt präsentiert.
80
5.5 Ergebnisse Qualitative Interviews
Im Anschluss werden die ausgewerteten Interviews präsentiert. Die
Auswertungstabelle zum nachfolgenden Text findet sich im Anhang, ebenso die
Transkripte der Interviews. Generalaussagen werden mit der Transkript-Nummer
sowie den jeweiligen Absatznummern gekennzeichnet, Originalzitate mit deren
exakten Zeilennummern.
5.5.1 Fokus auf mobile Rezeption von Verlagshäusern und Journalisten
Die Mehrheit der befragten Journalisten erachtet es als wichtig, dass bei der Erstellung
von Online-Erzeugnissen an die verschiedenen Empfangsgeräte gedacht wird, gerade
auch an Smartphones. Einige beteuern, dass dies konsequenter verfolgt werden
müsse, im hektischen Alltag aber oftmals vergessen gehe (N3 / 4). Einig sind sich die
Journalisten darin, dass vor allem bei der Auswahl der Bilder die spätere
Empfangssituation auf mobilen Kleingeräten wie Smartphones berücksichtigt werden
muss. Der kleinere Bildschirm führe dazu, dass Bildausschnitte so ausgewählt werden
müssen, dass beispielsweise Gesichter im Fokus sind und man schnell erkennt, was
es auf dem Bild zu sehen gibt, dazu müssten Titel für Mobilgeräte kurz und spannend
sein (N6 / 4). Einige Journalisten unterscheiden jedoch grundsätzlich nicht zwischen
einzelnen Kanälen – für sie gibt es den Kanal Online, der dann auf diverse
verschiedene Empfangsgeräte verteilt wird (N7 / 4). Wertheimer hatte diese Ansicht
zunächst auch, änderte diese aber in den vergangenen Jahren:
Am Anfang war Online einfach ein Kanal. Dann kam das Smartphone
auf, man behandelte es noch stiefmütterlich. Aber heute, wenn ich
Tagesleitung inne habe und publiziere, überlege ich mir, wann
publiziere ich das, wann empfangen das die Leser? Weil der Trend ist
klar: Der Pendlerverkehr wird wichtiger. Früher war die Mittagszeit die
Primetime und dann lief es aus. Heute ist es anders, am späteren
Nachmittag beim Heimfahren der Leute haben wir einen Peak und um
Mitternacht, wenn die Leute im Bett sind. Ich spiele deshalb heute eine
gute Geschichte um 16.00 Uhr weil ich weiss, dass Pendler darauf
81
zugreifen, früher hätte ich das zurückbehalten für den nächsten
Morgen. (N10 / 8-14)
Hauptverantwortlich dafür, dass die Journalisten zuweilen den Fokus auf mobile
Geräte aus ihrer Sicht vernachlässigen, ist in ihren Augen ihr Hauptarbeitsinstrument
– der Desktop-Computer. Da man stets daran arbeite und die Erzeugnisse auch darauf
kontrolliere, würde der Gedanke, wie das auf kleineren Geräten wirkt, in den
Hintergrund gerückt (N9 / 4). Die Journalisten sind sich zudem nicht sicher, ob man
die ideale Form der Artikeldarstellung für mobile Geräte bereits gefunden habe –
gerade bei Tickerformaten glauben wenige daran, dass die Leser an den Anfang des
Tickers scrollen, um alle Informationen zu lesen (N9 / 24).
Aus Sicht der Journalisten haben auch die Verlagshäuser erkannt, dass der Fokus
stärker auf mobile Empfangsgeräte gerückt werden müsse. Auffällig ist aber, dass es
(noch) fast keine klaren Vorgaben gebe, welche konkreten Massnahmen die
Journalisten dafür unternehmen müssen. Baumann beteuert, dass der mobile Wandel
zwar stets gepredigt aber nicht immer auch konsequent umgesetzt werde:
Jedes Mal bei einer Vollversammlung hören wir, wie wichtig der
mobile Zugang sei, wie viele Handys verkauft würden, und so weiter,
das ist durchaus ein Thema bei Redaktions- und Verlagsleitung.
Allerdings: Unsere App ist nicht überragend, mich stört die Darstellung
schon länger. Nur schon die Ladezeit ist zu gross. Das ist allen
bewusst, aber es konnte noch nicht behoben werden, weil die App
extern kreiert wird. Also das Bewusstsein für Mobile wäre da, aber die
Umsetzung ist noch nicht so weit. (N 9 / 16-23).
Dennoch fangen die Verlage an, Formate bewusst für den mobilen Konsum
herzustellen. So bietet etwa die NZZ neu das Format „NZZ Select“ an, bei welchem in
Kurzform die wichtigsten Nachrichten des Tages kuratiert werden. Gemäss den
Journalisten treffe dieses neue Format auf eine grosse Nachfrage und sei so konzipiert,
dass es innert zwanzig Minuten gelesen werden könne – so lange, dass es für den
Pendelweg nach Hause reiche (N5 / 13). Am konsequentesten in der Ausrichtung auf
82
mobile Empfangsgeräte ist das das jüngste Nachrichtenportal des Samples, nämlich
watson. Eng fasst das so zusammen:
Wenn etwas auf Mobiles nicht funktioniert, dann machen wir es auch nicht. (N1 / 9-10)
5.5.2 Art und Umfang der Veränderung von Online-Artikeln
Die Auffälligkeit aus der Inhaltsanalyse wird auch durch die Antworten der Journalisten
bestätigt: Die Push-Meldung ist eine beliebte, noch junge (N12 / 8) Artikelart von
Medienhäusern, um die Nutzer auf ihrem Smartphone zu erreichen und auf die eigene
Seite zu holen. Durch die unmittelbare Rückmeldung, wie beliebt eine Online-Story bei
Rezipienten ist, habe sich der Gebrauch von Push-Meldungen noch verstärkt, wie die
Antwort von Hartmann zeigt:
Unsere Chefs sagen: Im Zweifel pushen, das gibt Klicks. Wir sehen ja
sofort wie gut unsere Story läuft. Sobald wir einen Push rauslassen,
geht der Traffic durch Mobilezugriffe sofort rauf. (N7 / 15-18)
Bestätig wird auch, dass sich der Einsatz der Push-Meldungen verändert hat. Wurden
vor wenigen Jahren nur neuartige Ereignisse mit bedeutender Auswirkung
(sogenannte „Breaking News“) per Push verschickt, so werden jetzt auch eigene
Exklusivgeschichten per Push beworben oder es werden Verweise auf laufende
Berichterstattungen gemacht (N10 / 22). Auffällig ist, dass die Journalisten gespalten
sind in der Auffassung, wie diese Push-Meldungen bei den Lesern ankommen. Die
meisten Journalisten, die aus Medienhäusern stammen, welche die Pushs auch als
Promotionsinstrument verwenden, haben mit dieser Anwendungsart keine Probleme
(N11 / 24). Andere wiederum haben das Gefühl, dass diese erhöhte Anzahl an Push-
Meldungen die Leute über die Zeit hinweg nervt – diese Meinung vertreten vor allem
Journalisten aus Medienhäusern, welche sparsamer pushen (N9 / 14).
Auf die Frage, weshalb am Wahlsonntag jedes Medienportal im Untersuchungssample
auf mindestens einen Live-Ticker gesetzt hat, sind sich die Journalisten in einem Punkt
einig: Ein Ticker ist insbesondere für die produzierenden Journalisten einfacher – vor
83
allem dann, wenn ein Ereignis von sich aus genügend Stoff für regelmässige Updates
liefert (N9 / 16). Ausserdem sei der Live-Ticker eine Symbiose aus klassischen
Artikelarten, wie Thiriet anfügt:
Wenn man bei solchem Grossereignis Informationen aus vielen
kleinen Bereichen bringen will, Teilbereiche beleuchten will – da kann
man nicht 16 Geschichten machen. Man hat auch verschiedene
Formate, Interviews, Einschätzungen, Kommentare – das
schmeissen wir alles in den Ticker. (N8 / 84-87)
Es ist auch die Meinung vertreten, dass ein solcher Ticker für den Leser einen
Mehrwert darstellt, da es ihm ein Gefühl gebe, live bei einer sich entwickelnden
Geschichte dabei zu sein (N9 / 16). Die Mehrzahl der befragten Journalisten jedoch
glaubt nicht, dass der Live-Ticker entstanden ist, weil der Leser mehr davon hat,
sondern weil es einfach ein Ressourcen-Spar-Modell sei (N8 / 30). Die Gefahr bestehe,
dass der Leser rasch den Überblick verlieren könne (N7 / 30).
Nicht einig sind sich die Journalisten ausserdem in der Frage, ob sich ständig
aktualisierende Artikel wie der Live-Ticker über die vergangenen drei Jahre
zugenommen haben. Es gebe eine Entwicklung hin zu dynamischeren Artikeln (N11 /
29) beobachten die einen, andere vertreten die Meinung, dass es dies seit der
Einführung des Online-Journalismus ja schon immer gegeben habe (N6 / 40) und
wieder andere reden gar von einer „Ausnahmeerscheinung“, wenn ein Live-Ticker
eingesetzt werde (N5 / 28).
Neu habe aber das Format des „Slow Ticker“ Einzug gehalten, ein Live-Ticker, der ein
latent aktuelles Thema über mehrere Tage hinweg begleite und wo die Kadenz neuer
Einträge wesentlich tiefer sei als beim klassischen Live-Ticker (N7 / 26). Laut
Wertheimer hat sich der Live-Ticker etwas entschleunigt:
84
Wir sind etwas von dem Ticker weggekommen, der nur Schlagworte
und immer wieder einen Eintrag bringt. Mittlerweile bereite ich mich
beim Ticker-Schreiben wenn möglich schon vor dem Tag auf
Ereignisse vor und stelle Hintergrundmaterial zusammen, das ich
dann in den Ticker einfliessen lassen kann. (N10 / 125-128).
Ansonsten haben sich Online-Artikel dahin bewegt, dass Tweets als valable
Quellenangabe eingebunden werden (N7 / 10), dass früher publiziert wird, auch wenn
noch nicht alle Aspekte bekannt sind und diese dann zu einem späteren Zeitpunkt
nachgeliefert werden (N10 / 32). Ausserdem seien die Titel kürzer geworden, damit
sie per Social Media stärker geteilt werden (N8 / 10). Ein Journalist stellt einen
Gegentrend fest – von aufwändigen Grafiken hin zu schlichteren Darstellungsarten, da
diese auf kleineren Smartphone-Bildschirmen einfacher zu deuten seien (N6 / 14).
Zudem würden Listicles häufiger eingesetzt, da diese auch auf mobilen Geräten bis
ganz nach unten gelesen würden (N1 / 18) und Bilder seien nicht mehr nur Illustration
sondern ein Erzählmittel, auf das man textlich Bezug nehmen könne (N3 / 10).
5.5.3 Wahrnehmung zum Zeitdruck
Die Journalisten sind sich einig: Der Zeitdruck hat über die vergangenen Jahre
zugenommen. Hauptverursacher dafür seien die Push-Meldungen. Medienhäuser
wollten untereinander die schnellsten sein und gerieten unter Druck, wenn ein
anderes die Meldung bereits per Push-Nachricht veröffentlicht hat (N11 / 24).
Neumann fügt an, dass verbunden mit einem Push immer auch bereits ein Online-
Artikel veröffentlicht werden müsse:
Man hat halt durch Push einen extremen Zuwachs an Lesern. Aber
das führt auch zu deutlich mehr Druck. Weil wir müssen die Push-
Meldung ja schon auf einen existierenden Artikel verlinken – wir
benötigen dafür schnell einen Titel, ein Lead und wenn möglich ein
Bild. (N11 / 58-61)
85
Als vor wenigen Jahren Push-Nachrichten in der Schweiz eingeführt worden sind, sei
es sogar vorgekommen, dass die Chefs mit dem Handy zum Journalisten gekommen
seien und gefragt hätten, weshalb man hinter der Konkurrenz nachhinke (N11 / 18).
Allerdings empfindet niemand von den Befragten, dass dieser Druck zu gross
geworden sei, um die journalistischen Aufgaben befriedigend erfüllen zu können. Es
habe auch bereits ein Umdenken stattgefunden – man wolle nicht mehr um jeden Preis
das schnellste Medium sein, da in der Vergangenheit unverzeihliche Fehler passiert
und Unwahrheiten verbreitet worden seien (N10 / 20). Es gelte, sich zu besinnen und
sich nicht der Nervosität hinzugeben, sagt Baumann:
Ich möchte nicht unbedingt der schnellste sein, aber wenn dann das
eigene Smartphone ständig vibriert wegen Meldungen von der
Konkurrenz, dann steigt die Nervosität. (N9 / 60-61)
In gewissen Medienhäusern gilt die Regel, dass nicht mehr gepusht werden muss,
wenn die Konkurrenz dies schon mindestens fünf Minuten vorher gemacht habe (N8 /
16). Einige Journalisten beteuern, dass es nicht immer einfach sei, die Zwei-Quellen-
Regelung (eine Nachricht muss zwingend von zwei unterschiedlichen, unabhängigen
Quellen bestätigt werden) durchzusetzen, wenn man den Tempo-Wettbewerb
untereinander habe. Dafür müsse der geeignete Mittelweg noch gefunden werden (N5
/ 16).
Neben den Push-Nachrichten seien es auch die Live-Ticker, die das Tempo gesteigert
hätten, weil diese ja den Anspruch hätten, möglichst unmittelbar zu berichten (N4 / 29).
5.5.4 Multimedialität
Die Journalisten sind sich einig, dass es einen Treiber für eine wachsende
Multimedialität in Online-Berichten gibt: Den Live-Ticker. Viele Journalisten reden
davon, dass man verhindern wolle, dass der Ticker wie eine „Bleiwüste“ daherkomme
(N11 / 30). Ticker würden durch Abwechslung lebendig, sagt Stricker:
86
Gut ist auch, immer mal wieder Bilder oder in unserem Fall
Videointerviews reinzugeben. Ein guter Mix zwischen Bilder, Text,
Video und Social Elements wie Tweets wäre der Idealfall. Das gibt
eine Live-Atmosphäre, nicht nur Live-Info. (N4 / 83-85)
Ein Hauptelement, das zugenommen habe, seien die eingebundenen Tweets. Diese
würden nicht nur andere Meinungen und Akteure zu Wort kommen lassen sondern
man habe sogleich auch eine Originalquelle verlinkt – grundsätzlich müsse etwa jeder
dritte Ticker-Eintrag ein Tweet sein (N8 / 22). Es gibt aber auch skeptische Stimmen,
die Tweets sparsam einsetzen weil diese kurzlebig seien und der Urheber nicht immer
klar eruierbar sei (N5 / 34).
Klare Richtlinien, wie multimedial die Artikel sein sollen, haben keine der befragten
Journalisten erhalten. Viele reden aber davon, dass es vom Verlag ausdrücklich
erwünscht sei, mehr Videos einzubinden (N10 / 8). Einige Redaktionen hätten dafür
jüngst auch professionelle Videojournalisten eingestellt, um hochwertigere Videos
anbieten zu können (N12 / 16). Gerade wenn die Leute unterwegs seien, hätte sie
nicht immer Lust darauf, lange Texte zu lesen – dann würden sie lieber zuschauen
und zuhören (N1 / 26).
Die eigens programmierten Grafiken, welche die NZZ Online am Wahltag im Ticker
präsentierte, seien in der Vorbereitung sehr aufwändig gewesen. Man habe dafür neue
Leute eingestellt, die das vorbereitet hätten weil es eine klare Stosslinie des Verlags
sei, interaktiver zu werden (N2 / 16). Das führt aber auch zu Kompromissen, allzu
aufwändige Grafiken seien für Mobilgeräte nicht geeignet, weil die Nutzer dann auf
den kleineren Bildschirmen zu stark zoomen müssen – man müsse einen Kompromiss
finden (N1 / 8).
Weitere multimediale Elemente, die laut den Journalisten zugenommen haben sind
Quiz (N12 / 12) und Bildstrecken (N11 / 18). Weil es technisch einfacher geworden sei,
multimediale Elemente einzubauen, werde das auch häufiger gemacht (N7 / 30).
Innerhalb von wenigen Jahren hätte sich die Art, wie man Geschichten in der Schweiz
online erzählt, stark verändert, fasst Eng zusammen:
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Der grösste Unterscheid war beim Wechsel zu watson, dass man
nach neuen Erzählformen sucht. Dass man nicht nur Texte schreibt
sondern die ganze Auswahl an Gifs, Videos, Grafiken, Aufzählungen,
etc. nutzt. Vor 5 Jahren gab es noch kein Newsportal in der Schweiz,
welches das so gemacht hat wie wir es jetzt machen, das war eine
grosse Veränderung. (N1 / 35-40)
5.5.5 Veränderung des Texts
Die Art, wie Texte präsentiert werden, hat sich seit dem Durchbruch der Smartphones
radikal verändert, sind sich die Journalisten einig. Über die Auswirkungen auf die
Länge hingegen nicht. Neben SRF, das aus konzessionsrechtlichen Gründen bis auf
Ausnahmen Texte mit maximal 1‘000 Zeichen online stellen darf (N3 / 8: „in der Regel
reicht das, eine Geschichte zu erzählen“) hat von den zu untersuchenden Portalen
noch 20 Minuten eine Textobergrenze pro Artikel. Neumann sagt dazu:
Als ich bei 20 Minuten angefangen habe im Jahr 2014, hatte ich noch
freie Hand was Länge anbelangt, nach 6 Monaten kam dann die
Vorgabe, der Text dürfe 3'500 Zeichen nicht überschreiten. Meine
Vermutung: Untersuchungen zeigten, dass die Leser lange Texte
nicht fertig lesen. Das merke ich selber bei den Kommentaren, dass
wichtige Stellen einfach überlesen werden. (N11 / 38-40)
Bei den anderen Medienportalen hingegen gibt es keine festgeschriebene Obergrenze
für Textlängen. Es müsse attraktiv aussehen und nicht einer Textwüste gleichen –
schliesslich wolle man schnell und nicht zu viel berichten (N7 / 18). Ansonsten gibt es
die Anweisung, Zwischentitel zu setzen (N5 / 24) sowie, den Text auf den Punkt zu
bringen (N4 / 6). Wichtig seien auch der Titel und der Einstieg – der Leser wolle gleich
zu Beginn eine Zusammenfassung, was ihn erwartet (N1 / 28), zudem müsse ein Text
88
zwingend in angenehme Stücke portioniert werden (N8 / 6). Wenn man diese Punkte
einhalte, dann würden auch längere Texte auf Smartphones bis ganz nach unten
gelesen. Journalist Baumann ortet im zunehmenden Gebrauch von Live-Tickern sogar
die Tendenz, dass Texte unnötig länger werden:
Ich bin nicht glücklich darüber (Anm. über den zunehmenden
Gebrauch von Tickern) – man muss dann immer wieder was
reinschreiben, obwohl nichts läuft. Während der Hitzewelle hatten wir
auch einen Hitzeticker, das war sogar lustig, aber irgendwann ist es
dann auch gut. Manchmal sind Dinge einfach abgeschlossen. (N9 /
90-93).
Ansonsten wurde auch angemerkt, dass der vermehrte mobile Konsum auch
Auswirkungen auf die Titel habe, diese müssten kürzer sein, damit sie noch in einen
Tweet reinpassen und so in sozialen Medien besser geteilt werden können (N5 / 6).
5.5.6 Veränderte Anforderungen
Technisch: In keinem anderen Punkten waren sich die befragten Journalisten derart einig wie in
der Frage, ob es technisch schwieriger oder einfacher geworden ist, Online-Artikel zu
publizieren. Ausnahmslos alle Journalisten empfinden es – trotz steigender
Multimedialität – als wesentlich einfacher als noch vor wenigen Jahren. Dies liege
daran, dass man die redaktionsinternen CMS aufgrund Inputs von Journalisten
praxistauglicher gemacht und damit vereinfacht habe (N11 / 22). Hinzu kommt, dass
bis auf die Ausnahme NZZ (dort ist ein entsprechendes Update aber angekündigt) die
CMS es nun erlauben, dass Inhalte einmal bereitgestellt werden und diese dann
automatisch den verschiedenen Empfangsgeräten angepasst werden. Vor wenigen
Jahren war es noch so, dass Bilder mehrfach geschnitten werden mussten (N3 / 10).
Auch sonst seien die CMS benutzerfreundlicher gemacht worden, man könne nun
auch viel einfacher und damit schneller Fremdinhalte wie Tweets bequem
89
miteinbinden (N5 / 10). Zudem habe die Arbeit erleichtert, dass nun im CMS auch
angezeigt werde, die die Inhalte auf kleineren Bildschirmen in etwa aussehen würden
– parallel dazu müssten die Journalisten die Erzeugnisse dann aber trotzdem auch
noch auf ihren eigenen Smartphones testen (N1 / 6). Trotzdem bleibe es manchmal
eine Bastelei, wenn man etwas Fremdes einbinden wolle, das bisher noch nie benutzt
wurde – dafür benötigten die Journalisten minimalste HTML-Kenntnisse (N4 / 14).
Deshalb sei es so wichtig, dass technische Fachleute mit in der Redaktion sitzen,
findet Eng:
Ganz wichtig ist auch, dass die IT bei uns in der Redaktion ist. Ich
habe das Gegenteil auch schon erlebt, das ist eine Katastrophe. Da
braucht’s für eine kleine Änderung zwei Monate. Da haben wir einen
riesen Vorteil, da kann man schnell reagieren. (N1 / 45-47)
Genau dies wünschten sich auch andere der befragten Journalisten und weisen dies
als ein technisches Hauptproblem aus. Die Techniker müssten mit im Newsroom
sitzen, ansonsten gehe es zu lange, eine Änderung zu implementieren (N9 / 12). So
sind Funktionen, wie die Möglichkeit oberhalb eines Tickers die wichtigsten
Neuigkeiten mit Bullet-Points festzuhalten, noch nicht überall möglich, von
Journalisten aber dringend gewünscht (N9 / 24). Beim Tagesanzeiger machte man
deswegen vier Ticker, weil es technisch im Moment nicht möglich sei, dass mehrere
Leute für den gleichen Ticker gleichzeitig schreiben. Man hoffe, dies ändere sich rasch
(N10 / 24). Wertheimer fasst dies etwas ernüchtert so zusammen:
Technisch gesehen kämpfen wir damit, dass wir hinterherhinken
hinter dem, was wir leisten sollten. (N10 / 30
Publizistisch: Durch neue Publikationsformate wie etwa Live-Ticker oder Push-Meldungen ergeben
sich aus Sicht einiger Journalisten auch neue oder veränderte Anforderungen an sie.
Weil in einen Live-Ticker auch Tweets gehörten, müssten die Redakteure onlineaffin
sein und sich auf den sozialen Medien auskennen. Einige Journalisten meinen, wohl
90
deshalb seien bei ihnen in der Onlineredaktion die meisten Redakteure noch relativ
jung (N11 / 34).
Einen Live-Ticker zu verfassen bedeutet aus Sicht mehrerer Journalisten, schnell zu
sein aber auch multitaskingfähig und offen gegenüber neuen Technologien (N6 / 36).
Journalistisch gesehen, sei es einfacher geworden – es brauche keine richtige
Dramaturgie mehr weil man eine Geschichte häppchenweise erzählt. Dafür müssen
man ständig dran bleiben und andere Quellen wie beispielsweise Twitter permanent
überwachen (N7 / 32). Ein Journalist beschreibt, dass er sich die nötigen Fähigkeiten
während dem Verfassen von Live-Tickern nach und nach angeeignet habe. Man lerne
aus Fehlern und müsse auch viel ausprobieren, bekomme durch die Vermessung der
Zugriffe auch schnell Rückmeldung über Erfolg oder Misserfolg der gewählten
Strategie (N10 / 30). Brunner verfasste für die Zürcher Wahlen zum ersten Mal
überhaupt einen Live-Ticker und merkte für sich, dass das Ticker-Schreiben
anspruchsvoll sei:
Ich musste auch immer wieder schauen, dass der Titel des Tickers
aktuell ist, dass oben bei den Bullet-Points das Neuste
zusammengefasst ist. Alles musste man ständig aktualisieren – diese
Arbeit habe ich echt unterschätzt. (N3 / 81-83).
Die erhöhte Schnelligkeit aufgrund der ständigen Empfangsbereitschaft von Lesern
durch mobile Geräte führt ausserdem dazu, dass Journalisten sich davon loslösen
müssen, dass Geschichten bereits alle nötigen Facetten beleuchten. Es brauche
etwas Mut, sich davon zu lösen, aber man merke schnell, dass man auch einfach mal
Informationen in Kürze veröffentlichen kann und die Ergänzungen erst später folgen.
Zudem sei der Tonfall beispielsweise in Live-Tickern anders – man nehme als
Journalist eine Art Dialoghaltung ein, so dass die Leute direkt angesprochen werden
(N3 / 27).
Für die Journalisten ist klar, dass der mobile Wandel auch bedeutet, dass rund um die
Uhr berichtet werden müsse. Es sei für die Journalisten selbstverständlich, den
Redaktions-Twitter-Account auch mal am Wochenende privat von zu Hause aus zu
benutzen und beispielsweise Anfragen zu beantworten oder Meldungen zu retweeten
91
(N3 / 16). Man warte nicht mehr, bis die Leute sich die Informationen selber holen,
sondern pushe diese direkt zu ihnen aufs Gerät. Das bedeute erhöhte Bereitschaft,
sagt Thiriet:
Mittlerweile ist es so, dass alle mitbekommen haben, dass man 24
Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr bereit sein muss. Das ist ein
Wettbewerb, da wird auch brutal aufgerüstet. Auch am Wochenende
gibt es neu keine Unterschiede mehr. (N8 / 52-54)
Ausserdem habe sich das Spektrum an Formen, wie man Inhalte erzähle und
aufbereite, mindestens verzehnfacht – grundsätzlich müsse es so verpackt werden,
dass es auf sozialen Medien geteilt werde (N8 / 14). Der Journalist muss nun also
auch aktiv mitdenken, in welcher Art er eine Geschichte erzählen möchte und kann
nicht mehr stets auf gesetzte Vorlagen zurückgreifen. Chefs fragen die Journalisten
nun auch aktiv, ob eine Geschichte „push-würdig“ sei (N11 / 22). Die neuen
Erzählformen vergleicht ein Journalist mit einer grösseren Klaviatur, die er nun lernen
müsse zu bespielen (N10 / 34). Allerdings wird auch festgehalten, dass es schon
immer die Aufgabe des Journalisten gewesen sei, eine adäquate Form für
Geschichten zu finden, um maximale Verständlichkeit zu erreichen. Nur die
Verpackung habe sich halt geändert. Einig sind sich die Journalisten, dass bereit früh
im Text angekündigt werden muss, was den Leser erwarten darf, wenn er innerhalb
einer Geschichte runterscrollt (N8 / 6).
Die breitere Klaviatur durch den vermehrten Einsatz verschiedener Medien in einem
Artikel hat aus Sicht der Journalisten auch zu mehr Professionalisierung geführt. Das
Ansehen von Online-Journalisten sei lange tief gewesen, Print-Redakteure seien klar
besser angesehen worden. Dies hätte sich seit der mobilen Revolution geändert (N10
/ 10) und das habe auch dazu geführt, dass nun besser ausgebildetes Personal in
Online-Redaktionen angestellt würden (N9 / 10). Die Verlage seien auch davon
weggekommen, sogenannte „eierlegende Wollmilchsäue“, also Allzweckjournalisten,
die jedes Medium perfekt beherrschen, einzustellen. Viel mehr seien nun vermehrt
Experten wie etwa spezifisch Videojournalisten angestellt worden, weil auch die
Ansprüche an die Qualität der einzelnen Medien gestiegen seien (N12 / 10). Das
empfinden die Journalisten als positive Entwicklung, allerdings benötige dies nun auch
verbesserte Koordinationsarbeit innerhalb der Spezialistenteams, wie Eng sagt:
92
Der eine schreibt, der andere kümmert sich um das Besorgen von
Videos, Tweets, etc. Es ist Teamwork mit einer hauptverantwortlichen
Person. Das ist auf jeden Fall sehr anstrengend, macht aber auch viel
Spass. (N1 / 94-96).
5.5.7 Beurteilung von Rezipienten-Inputs
Auf die Frage, ob die Zahl an Einsendungen von der mobilen Leserschaft
zugenommen hat, wird von den befragten Journalisten keine einheitliche Antwort
gegeben. Blick und 20 Minuten stellen den sogenannten „Leserreportern“ Geld in
Aussicht für spannende Inputs, die dann zu einem Bericht führen. Meist sind die
eingesendeten Daten Bilder. Dies habe dazu geführt, dass die Zahl an Zusendungen
innerhalb weniger Jahre drastisch zugenommen habe, sagt Neumann:
Mobile Leser sind stark, ich erwarte von ihnen Input wenn etwas
passiert. Bei einem Autobahnunfall schaue ich beispielsweise immer
sofort den Leserreporter-Eingang an. Zu 95% der Fälle hat man innert
Minuten Fotos des Ereignisses. Auch bei Naturereignissen, zum
Beispiel vielen Blitzen, ist der Eingang voller Blitzbilder, auch
Hagelbilder kommen häufig, das hilft dem Newsdesk. Für mich als
Reporter hilft‘s vor allem bei spezifischen Ereignissen. (N11 / 13-17)
Bei breit verteilten Ereignissen wie etwa Hagel kämen manchmal innert zwei Stunden
1‘000 Bilder von Lesserreportern auf elektronischem Weg in die Redaktion (N6 / 8).
Die Journalisten der anderen Medienhäuser sind sich einig, dass Inputs von Lesern
einen Mehrwert bieten können. Die meisten wünschten sich auch, sie hätten mehr
solche Zusendungen, beispielsweise weil man so schneller ein aktuelles Bild zum
Artikel liefern könnte (N2 / 12). Allerdings beschränke sich das Phänomen eher noch
auf Einzelfälle (N4 / 22). Die Medienhäuser haben deshalb damit begonnen, aktiv nach
93
Leserinputs zu bitten – beispielsweise suchte man nach dem Terroranschlag in
Tunesien nach Schweizer Touristen vor Ort, die ein Bild der Lage machen konnten
(N11 / 10). Einige Journalisten reagieren aus Erfahrung aber eher zurückhaltend auf
Leser-Inputs. Man müsse stark selektieren (N7 / 12) und die Inputs könnten auch dazu
verleiten, eine Geschichte anders aufzuziehen als geplant, weil man ein attaktives Bild
dazu bekommen habe (N2 / 12). Schlechte Erfahrungen hat auch
tagesanzeiger.ch/Newsnetz gemacht: Anfang 2015 meldete ein Leserrepoter der
Redaktion, bei einer Schiesserei zwischen der Polizei und einem Zivilisten in der Stadt
Zürich sei dieser ums Leben gekommen. Tagesanzeiger pushte diese Nachricht,
musste sie aber später korrigieren. Der Mann war lediglich verletzt. Seit diesem
Ereignis sei man wesentlich defensiver gegenüber Inputs eingestellt (N10 / 14).
Einig sind sich die Journalisten aber darin, dass die indirekten Leserinputs über Twitter
wesentlich häufiger benutzt werden, als vor einigen Jahren, auch weil Twitter in der
Schweiz innerhalb von drei Jahren stark gewachsen sei (N11 / 30).
5.5.8 Beurteilung der Qualitätsentwicklung
Eine deutliche Mehrheit der befragten Journalisten widerspricht, dass die Qualität von
Schweizer Medien über wenige Jahre deutlich abgenommen hat, wie dies vom
Jahrbuch der Medien (Kapitel 3.4) postuliert wird. Die Journalisten stellen fest, dass
die Zahl an Schreibfehlern wegen dem erhöhten Tempo zugenommen habe – dies
bedeute aber nicht sofort schlechtere Qualität (N4 / 32). Auch die Recherchezeit sei
unter Druck geraten (N12 / 24). Die Journalisten glauben aber nicht, dass die
veränderte Technik daran schuld sei – im Gegenteil: Trockene Themen wie Wahlen
könnten mit den neuen Möglichkeiten vielfältiger und attraktiver vermittelt werden (N12
/ 24). Die Qualitätsdebatte entspringe einer pessimistischen Ansicht denn die
Digitalisierung bringe mehr Vielfalt (N6 / 44) und die Journalisten seien weniger träge
als früher (N8 / 32). Laut Baumann ist der Konkurrenzdruck förderlich für Qualität, es
würden besser ausgebildete Leute eingestellt und die Definition von Qualität habe sich
durch das erhöhte Tempo auch geändert:
Das gesteigerte Tempo bedeutet auch nicht unbedingt sinkende
Qualität – man kann durchaus in der laufenden Berichterstattung
94
Spekulationen einbauen, wenn sie klar deklariert sind. Der Leser kann
dies durchaus auch werten und einschätzen. (N9 / 121-124)
Einige Journalisten warnen aber und nehmen eine sinkende Qualität aufgrund der
Digitalisierung und dem stärkeren mobilen Konsum wahr. Durch den Kampf um
Aufmerksamkeit und Klicks lieferten die Medien vermehrt reisserische Titel, wo der
Artikel dahinter dann gar nicht das Erwartete liefern könne. Dies sei eine
Verballhornung der Leserschaft (N10 / 36). Zudem würden Tickerformate und die
ständige Verbundenheit mit den Lesern dazu führen, dass viel Sinnloses verbreitet
werde, wie Zander sagt:
Es gibt genug Beispiele, die das zeigen. Beispielsweise der Absturz
der German Wings – Maschine in den französischen Alpen: Wie viel
Nonsens da berichtet wurde! Beispielsweise mit Bild: «Durch dieses
Gate wären sie gekommen» - völliger Nonsens weil die Medienhäuser
sagen, dieses Thema läuft und sie müssen deshalb auf Teufel komm
raus Neues dazu liefern, man hat halt online unbeschränkt Platz, dann
schreibt man solchen Nonsens! (N5 / 142-145)
5.5.9 Zukunftsvision
Zum Abschluss der Interviews und im Sinne der zukunftsgerichteten
Technikfolgenabschätzung mit sich bringt, wurden die Journalisten danach gefragt,
wie ihr Produkt wohl in fünf Jahren aussehen werde. In einem Punkt sind sich die
Journalisten absolut einig: Es wird eine Zweiteilung geben zwischen schnellen und
vertiefenden Informationen.
95
Für die kurzen Nachrichten wie beispielsweise Unfallmeldungen könnten bald Roboter
die Journalisten ersetzen – für längere und qualitativ hochwertige Nachrichten brauche
es aber den Menschen weiterhin (N12 / 24). Für Wertheimer ist klar, dass die ständige
Verbundenheit der Leser dazu führt, dass der Journalismus zum 24-Stunden-Beruf
wird:
Und ich glaube auch, dass wir dazu kommen und zu fragen: Was ist
mit den Leuten, die um Mitternacht die News haben wollen? Das
mache ich ja auch im Bett mit dem Smartphone, mit einem
Desktopcomputer hätte ich das nie gemacht! Und auch wenn die
Leute aufwachen wollen sie sofort informiert sein. Der Journalismus
wird also viel mehr ein 24-Stunden-Job. Das macht auch Sinn. (N10 /
190-196)
Einigkeit herrscht auch darüber, dass die mobile Rezeption von Inhalten sich noch
verstärkt – unter anderem auch durch besseren Internetempfang in den Schweizer
Zügen (N6 / 42). Deshalb werde der mobile Markt noch wichtiger, meint Baumann:
Innert kurzer Zeit ist das alles entstanden. Im Jahr 2009 las ich keine
Artikel auf dem Handy, heute fast nur noch. Es ist klar, wir haben gar
keine andere Wahl als noch stärker in diese Richtung zu gehen. (N9 /
134- 136)
Dadurch, dass die Handy-Kameras besser und das mobile Internet schneller wird,
glaubt Eppenberger, dass die Medienhäuser den klassischen TV-Anbietern mehr und
mehr das Wasser abgraben werden:
Ich denke, dass man noch mehr mit Handys streamen wird,
beispielsweise Live-Interviews – wir werden zum Broadcaster. Der
teure und komplizierte Livestream-Rucksack, den wir heute dafür
benutzen, wird wohl durch das Handy abgelöst. (N12 / 70-72)
96
Trotz der mobilen Revolution werde die Rezeption durch grössere Bildschirme nicht
gänzlich verschwinden, weil die Leute nach wie vor in Büros arbeiteten (N2 / 30).
Mehrere Journalisten glauben auch, dass die Inhalte zukünftig interaktiver für die Leser
werden, wie Neumann sagt:
Der Grad an Leserinteraktion ist noch nicht dort wo er sein könnte, es
überrascht, dass das noch nicht mehr genutzt wird. Aber ich denke in
10 Jahren wird das völlig selbstverständlich sein. Ich denke, dadurch
ändert sich auch die Publikationsform, die neuen Kanäle werden Apps
wie Whatsapp oder sonstige personalisierte Gruppen sein. (N11 / 122-
126)
Die Journalisten glauben, dass sich die Leser noch stärker selber zusammenstellen
können, was sie wollen (N6 /42). Dadurch verlierten Medienmarken an Bedeutung (N1
/ 34) und Nachrichten würden individueller und regionalisierter (N5 / 16). Dazu gibt es
auch Stimmen, die glauben, dass der Text stärker visuellen Formen wie Videos und
Bildern weichen wird (N1 / 34).
Thiriet meint, die Journalisten müssten flexibel bleiben und sich auf disruptive
Innovationen jederzeit einstellen können:
Wie unser Produkt in fünf Jahren aussieht? Keine Ahnung, das kann
man nicht sagen. Ich glaube das erste iPhone, mit dem man
einigermassen vernünftig ins Internet konnte, kam 2012 heraus. Das
machte zack und die ganze Welt sah anders aus, wegen so einem
Gerät! Deshalb kann man das nicht sagen. Vielleicht fangen Leute
plötzlich an, auf Smartwatches die News zu lesen, da muss man halt
anfangen, anders zu denken. Die Kanäle ändern sich also mit der Zeit.
Der Rest bleibt beim journalistischen Schaffen aber gleich, man muss
diejenigen Informationen und Unterhaltungen vermitteln, welche die
Leute wollen, das ist keine Hexerei, punkt. (N8 / 144-152)
97
6 Prüfung der Hypothesen
Auf Basis der Theorie wurden insgesamt sechs Forschungsfragen und darauf folgende
Forschungshypothesen aufgestellt. Diese wurden mithilfe der qualitativen
Inhaltsanalyse und der qualitativen Interviews geprüft. Die Ergebnisse werden in
diesem Kapitel festgehalten.
6.1 Hypothese 1 – Tempoentwicklung im Journalismus
Hypothese 1: Je stärker der Konsum von journalistischen Produkten mobil
erfolgt, desto schneller und häufiger publizieren Journalisten.
Vorerst nicht falsifiziert
Dass der Konsum von journalistischen Produkten in der Schweiz über die
vergangenen fünf Jahre zugenommen hat, wird in dieser Arbeit mit der
Geräteentwicklung (vgl. Kapitel 2.2), dem MUI (vgl. Kapitel 2.3) sowie der Net-Metrix
(vgl. Kapitel 5.2.2) festgehalten. Die Forschungshypothese 1 wurde mittels der
Inhaltsanalyse und den Interviews geprüft und wird als vorerst nicht falsifiziert
betrachtet. Die Inhaltsanalyse hat zu Tage gebracht, dass ausnahmslos alle
Medienportale bei dynamischen Ereignissen wie Wahlen auf Live-Ticker setzen. Die
Analyse zeigte weiter, dass diese Live-Ticker verglichen mit anderen Artikeln eine
hohe Kadenz aufweisen, was die Aktualisierungsrate betrifft. Im Schnitt betrug der
Abstand zwischen neuen Meldungen weniger als zehn Minuten. Der Live-Ticker, das
haben die Interviews gezeigt, ist eine relativ junge Form im Journalismus. Die
Vermutung liegt nahe, dass dieses Format durch die verstärkte mobile Nutzung an
Aufwind gewonnen hat. Durch ständige Konnektivität wird der Rezipient ständig mit
Neuigkeiten versorgt, es gibt ihm laut einem Journalisten das Gefühl, live mit dabei zu
sein (vgl. Kapitel 5.6.4). Auch die Auswertung der Interviews führt zu Tage, dass das
Verfassen von Live-Tickern zu einer erhöhten Kadenz führt. Trotz dieser Ergebnisse
gilt es aber auch festzuhalten, dass die Ticker dazu führen können, dass klassische
Artikel seltener oder gar nicht publiziert werden. Im Falle der Zürcher Wahlen lieferten
einige Nachrichtenportale eine kurze Zusammenfassung des Tages und verwiesen für
Detailinformationen auf den Ticker als Chronologie. Es darf die Vermutung aufgestellt
werden, dass in früheren Zeiten des Online-Journalismus am Abend mehr Artikel
98
publiziert worden wären. Trotzdem wird Hypothese 1 als vorerst nicht falsifiziert
betrachtet. Nicht zuletzt auch deswegen, weil neben den Tickern auch der vermehrte
Gebrauch von Push-Meldungen aufgefallen ist. Sie wurden am Wahlsonntag in
regelmässigen Abständen verschickt – zudem hat die Auswertung der Interviews
gezeigt, dass von Seiten der Verlagsleitungen Druck gemacht wird, häufiger zu
pushen. Die Tendenz, schnell eine Neuigkeit zu publizieren und im Nachgang
Informationen nachzuliefern, kann aus den Interviews herausgelesen werden. Da
Push-Meldungen ausschliesslich auf mobile Geräte zugeschnitten sind, kann deren
Zunahme direkt mit der verstärkten mobilen Nutzung verknüpft werden. Zudem
berichten mehrere Journalisten davon, dass die Tendenz bestehe, rund um die Uhr zu
publizieren, weil die Rezipienten jederzeit empfänglich für Neuigkeiten seien.
6.2 Hypothese 2 – Multimedia
Hypothese 2: Je stärker der Konsum von journalistischen Produkten mobil
erfolgt, desto multimedialer sind journalistische Erzeugnisse.
Vorerst nicht falsifiziert
Auch die Forschungshypothese 2 wurde mithilfe der beiden Instrumente der
Inhaltsanalyse und der Interviews überprüft. Auch sie kann vorerst als nicht falsifiziert
stehen gelassen werden – obschon das Ergebnis weniger deutlich ausfällt als bei
Hypothese 1. Bei der Analyse der Artikel des Wahlsonntags fiel auf, dass
insbesondere Live-Ticker eine höhere Anzahl verwendeter Medien aufweisen als
klassische Online-Artikel. Das meist verwendete Medium war Twitter – fast jeder Live-
Ticker wies eingebundene Tweets auf, welche ihrerseits Bilder, Grafiken oder
Verlinkungen enthielten. Gemäss Twitter greifen über 80% der Nutzer über ihr
Mobilgerät auf Twitter zu (Twitter Business 2015). Damit kann der Schluss gezogen
werden, dass durch die verstärkte Nutzung von Smartphones auch der Anteil an
Twitter-Usern in der Schweiz gestiegen ist. Die verstärkte Einbindung von Tweets in
journalistische Erzeugnisse wie Live-Ticker kann daher direkt mit dem mobilen Wandel
verknüpft werden. Weiter fiel der Einsatz weiterer Medien wie Bilder, Videos, Audio-
Dateien sowie interaktiven Grafiken auf. Der Einsatz solcher Medien unterscheidet
99
sich aber stark nach untersuchtem Medienportal. Am meisten verschiedene Medien
innerhalb des Live-Tickers band SRF ein. Da SRF als Öffentlich-Rechtlicher
Broadcaster als Hauptaufgabe Fernseh- und Radioprogramme betreibt, kann diese
Beobachtung nicht direkt mit dem mobilen Wandel in Verbindung gebracht werden.
Die Interviews zeigten jedoch, auch bei privaten Medienhäusern Bestrebungen für den
Einsatz mehrerer Medien bestehen. Insbesondere Bewegtbilder werden stärker
forciert, welche auf grösseren und schärfer auflösenden Bildschirmen wesentlich
angenehmer zu konsumieren sind. Dazu verhelfen die steigenden mobilen
Bandbreiten dazu, dass solche Bewegtbilder unmittelbarer auch mobil abgerufen
werden können (vgl. Kapitel 2.3). Die Interviews führten aber auch zu Tage, dass es
innerhalb der Medienhäuser ansonsten keine klaren Vorgaben gibt, inwiefern die
Artikel mehr verschiedene Medien enthalten sollten. Und die Inhaltsanalyse zeigte
auch, dass abgesehen vom Ticker-Format Online-Artikel nach wie vor klassisch, das
heisst Text angereichert mit einem Bild, daherkommen können.
6.3 Hypothese 3 – Länge der Texte
Hypothese 3: Je stärker der Konsum von journalistischen Produkten mobil
erfolgt, desto kürzer fallen die journalistischen Texte aus.
Falsifiziert
Im Rahmen der in dieser Arbeit angewendeten Untersuchungsanordnungen kann
diese Hypothese als falsifiziert betrachtet werden. Der Hauptgrund dafür liegt in den
Ergebnissen der qualitativen Inhaltsanalyse. Ausnahmslos alle Medienportale
verwendeten für die Abdeckung der Zürcher Wahlen mindestens einen Live-Ticker.
Diese wiesen im Vergleich zu klassischen Online-Artikeln, welche von allen Online-
Portalen im Untersuchungssample ebenfalls erzeugt wurden, deutlich umfangreichere
Texte auf. Die Interviews führten weiter zu Tage, dass lediglich zwei der sechs
untersuchten Medienportale Maximallängen für Online-Texte definiert haben. Einig
waren sich die Journalisten darin, dass Texte portioniert werden müssen, damit sie
auch auf mobilen Geräten konsumiert werden. Werde dies getan, würden aber auch
100
durchaus längere Texte auf mobilen Geräten bis zum Ende gelesen (vgl. Kapitel 5.6.5).
Dazu wird vom Drang gesprochen, die Nutzer permanent mit Neuigkeiten zu
versorgen, auch wenn sich eine Aktualisierung gemäss publizistischer Beurteilung
nicht aufdränge. Dies führt ebenfalls nicht dazu, dass Texte kürzer werden. Die
Journalisten sprachen von einem Trend, Berichte auch zu publizieren, auch wenn
essenzielle Inhalte noch gar nicht vorliegen. Es kann also der Schluss gezogen
werden, dass die einzelnen Publikationen wie Push-Nachrichten oder Ticker-Einträge
tatsächlich kürzer werden – durch den ständigen Fluss in der Gesamtheit die
Textmenge aber nicht abnimmt. Nicht zuletzt kann auch festgehalten werden, dass
alle befragten Journalisten eine Steigerung des Arbeitstempos mit damit verbundenem
Publikationsdruck feststellen. Da Text schneller erstellt werden könne als viele andere
Medien, werde dieser wichtig bleiben. Allerdings weisen einige Journalisten in ihrem
Blick in die Zukunft darauf hin, dass sie damit rechnen, dass das Bewegtbild einen Teil
des Texts in Zukunft verdrängen könnte.
6.4 Hypothese 4 – Prosumer
Hypothese 4: Je mehr Konsumenten mobil auf Medieninhalte zugreifen, desto
mehr publizistische Inputs geben diese in die Redaktionen.
Falsifiziert
Diese Hypothese wurde mittels dem Messinstrument der qualitativen Interviews
überprüft und kann im Rahmen dieser Arbeit falsifiziert werden. Dies aufgrund einer
nicht eindeutig vorliegenden Sachlage. In einigen Medienhäusern wird eine deutliche
Zahl an Lesereinsendungen wahrgenommen (meist Bilder) und diese Inputs werden
auch direkt für die redaktionelle Berichterstattung benutzt. Allerdings sind dies
Medienhäuser, die solche „Leserreporter“ aktiv fördern und beispielsweise auch
monetär belohnen. Ein direkter Zusammenhang mit der verstärkten mobilen Nutzung
kann also nicht aufgezeigt werden. Journalisten anderer Medienhäuser berichten von
vereinzelten Fällen, wo Leser-Inputs in die Berichterstattung miteinfliessen.
Interessant wäre es, diese Messung in fünf Jahren noch einmal durchzuführen. Viele
Journalisten zeichneten in ihrer Zukunftsvision nämlich ein Bild, wie der Journalismus
101
in der Schweiz interaktiver werde – die Rezipienten also direkter angesprochen
werden und auch aktiver an der Gestaltung von Geschichten mitwirken können. Die
verstärkte Einbeziehung von Tweets bei allen untersuchten Medienportalen kann zwar
indirekt als Zunahme von Prosumer-Elementen gedeutet werden. Die Tweets
enthalten meist von Leser produzierte Zusatzinformationen, welche in die
Berichterstattung miteinfliessen. Allerdings werden diese Inhalte nicht gezielt für ein
Medienportal erstellt und fallen daher in der Beurteilung von Forschungshypothese 4
nicht ins Gewicht.
6.5 Hypothese 5 – Technische Anforderungen
Hypothese 5: Je stärker der Konsum von journalistischen Produkten mobil
erfolgt, desto mehr technische Fertigkeiten müssen Journalisten beherrschen.
Falsifiziert
Auch diese Forschungshypothese wurde mittels der Interviews überprüft und kann im
Rahmen dieser Arbeit als falsifiziert betrachtet werden. Ausnahmslos hielten die
Journalisten fest, dass die Arbeit mit den Redaktionssystemen (CMS) einfacher
geworden sei. Die CMS seien dynamischer und schneller geworden. Man publiziert
meist noch eine Version die dann den verschiedenen Empfangsgeräten angepasst
wird – vor fünf Jahren mussten meist verschiedene Versionen wie unterschiedliche
Bildgrössen vorgefertigt werden. Einige Journalisten vermuten, dass die CMS
praxistauglicher geworden seien, weil die Journalisten Einfluss auf deren
Weiterentwicklung genommen hätten. In einem Fall berichteten Journalisten davon,
dass Entwickler mit ihnen zusammen im Newsroom sässen und die Implementierung
von neuen Erzählformen damit noch einfacher von statten gehe. Die anderen
Journalisten äussern den Wunsch, dass sich ihre Newsrooms ebenfalls in diese
Richtung entwickeln. Sie würden gerne mehr aus der Technik herausholen, sind
gemäss ihren Aussagen aber festgebunden an starren Redaktionssystemen, wo
Änderungen jeweils einem langwierigen Prozess unterworfen sind. Neue
Anforderungen orten sie daher eher im publizistischen Bereich wie Geschwindigkeit
oder Multitaskingfähigkeit. Auch durch die von den Journalisten wahrgenommene
102
verstärkte Spezialisierung (Für Videos werden explizit Videojournalisten eingestellt)
führt nicht dazu, dass die Medienschaffenden immer neue Medien produzieren
müssen – man sei wieder davon weggekommen, Journalisten als Alleskönner
auszubilden. Allerdings halten die Journalisten auch neue Anforderungen fest, die für
sie aber selbstverständlich sind. Dazu gehört, dass ein Journalist rasch durch das Web
navigieren kann und sich auf sozialen Medien wie Twitter auskennt. Solche neun
Anforderungen dürften aber generell auf die Ausprägung des Onlinejournalisten
zutreffen und nicht direkt mit dem mobilen Wandel verknüpft sein. Zudem müssen die
Journalisten zwar wissen, welche Formen von Inhalten auf Smartphones funktionieren
und welche nicht – aber auch diese Anforderung schauen sie als
Selbstverständlichkeit an, da für sie das Smartphone auch privat zum
Alltagsgegenstand geworden ist.
6.6 Hypothese 6 – Qualitätswahrnehmung
Hypothese 3: Je stärker der Konsum von journalistischen Produkten mobil
erfolgt, desto schlechter beurteilen Journalisten die publizistische Qualität ihrer
Produkte.
Falsifiziert
Auch die sechste Forschungshypothese wird nach Auswertung der qualitativen
Interviews im Rahmen dieser Arbeit verworfen und als falsifiziert betrachtet. Mehrere
Journalisten stellen zwar eine sinkende Qualität fest, führen diese aber nicht zwingend
auf den mobilen Wandel zurück. Alle Journalisten halten fest, dass mehr Schreibfehler
entstünden, da das Tempo zugenommen habe – auch die Recherchezeit leide. Dies
bedeute aber nicht automatisch auch sinkende Qualität. In der Digitalisierung und
verstärkten mobilen Nutzung orten die Journalisten stattdessen gar qualitätsfördernde
Elemente. So könnten trockene Themen vielfältiger und damit ansprechender
vermittelt werden, dazu entstehe auch mehr Konkurrenz und dadurch mehr Vielfalt im
Angebot. Die Journalisten bezeichnen die laufende Qualitätsdebatte als
pessimistischen Zugang. Man müsse vom Gedanken wegkommen, dass
publizistische Erzeugnisse stets komplett sein müssten und alle nötigen Elemente wie
103
Ausgewogenheit beinhalteten. Vielmehr sei es durch die laufende Berichterstattung
möglich geworden, Informationen häppchenweise zu verbreiten und damit dem
Rezipienten mehr Transparenz über die journalistischen Prozesse bei der Entwicklung
von Geschichten zu ermöglichen. Einzelne Journalisten orten zwar eine Tendenz zu
einer sinkenden Qualität aber im verschärften Kampf um Aufmerksamkeit – dadurch
würden Titel und deren Geschichten hochstilisiert, um die abgelenkten Rezipienten auf
ihren Smartphones auf die Geschichte aufmerksam zu machen. Da diese Meinung
aber nicht der Mehrheit der befragten Journalisten entspricht, wird die
Forschungshypothese als falsifiziert betrachtet.
7 Fazit
7.1 Zusammenfassung
In der Einleitung der vorliegenden Arbeit wurden drei Fragen in den Raum gestellt: Hat
ein Technikwandel (im Bereich mobiler Empfangsgeräte) dem Journalismus eine neue
Richtung gegeben? Oder wird der Einfluss des Wandels überschätzt? Und in welche
Richtung könnte sich der Journalismus entwickeln? Die Arbeit hatte also das Ziel
herauszufinden, inwiefern der verstärkte mobile Konsum von Medien das Produkt
klassischer Medienhäuser verändert und wie dieser Einfluss in den Medienhäusern
wahrgenommen wird. Um es vorneweg zu nehmen: Der Wandel hat deutlich Einfluss
auf den Journalismus genommen, allerdings nicht überall so, wie das aufgrund
vorhandener Theorien zu erwarten wäre.
Für die Forschung wurde zum einen exemplarisch an Flaggschiff-Smartphone-
Modellen der vergangenen zehn Jahre der technische Wandel im Bereich der
verfügbaren Hardware aufgezeigt – die Hauptentwicklung fand bei der Vergrösserung
der Bildschirme sowie der Steigerung der mobilen Internetgeschwindigkeit statt.
Gleichzeitig wurde am Fall Schweiz aufgezeigt, wie die Netzbetreiber das mobile
Internet innert weniger Jahre massiv ausgebaut haben und wie der Smartphone-Markt
dadurch stark angestiegen ist. Alleine schon mit dieser Auslegeordnung des Wandels
wurde ersichtlich, dass innert kurzer Zeit ein umfassender Wandel im Medienverhalten
stattgefunden hat.
104
In einem zweiten Teil wurde mithilfe einer Auslegeordnung vorhandener
wissenschaftlicher Texte aufgezeigt, dass der technische Einfluss auf soziale Systeme
wie den Journalismus ganz unterschiedlich gedeutet werden kann. Zudem wurde
deutlich, dass vorhandene Forschungsbefunde zu den Leitfragen nur spärlich
vorhanden sind, da die Thematik jung ist und der Wandel noch nicht abgeschlossen
ist. Die vorliegende Arbeit wählte deshalb das offene Vorgehen der
Technikfolgenabschätzung um eruieren zu können, wie der Einfluss aussehen und in
welche Richtung der Journalismus sich weiterentwickeln könnte.
Gemessen wurde schliesslich mit zwei Instrumenten, welche die Aussenbeobachtung
sowie die Praxiserfahrung berücksichtigen sollten: An einem Stichtag eines
Ereignisses nationaler Ausstrahlung (Zürcher Kantons- und Regierungsratswahlen)
wurden die sechs grössten Deutschschweizer Medienportale auf ihre mobilen
Erzeugnisse hin analysiert – alle publizierten Artikel zu den Wahlen wurden also auf
einem Smartphone aufgezeichnet und anschliessend ausgewertet. In einem zweiten
Teil wurden von jedem dieser Medienportale zwei Journalisten befragt, es wurden also
insgesamt zwölf Interviews durchgeführt. Bei der Analyse der Daten der beiden
Erhebungen fielen folgende Punkte auf:
Ausnahmslos jedes Portal setzte auf mindestens einen Live-Ticker
Text war in fast allen Berichten das Hauptmedium für Informationen
Das Instrument der Push-Benachrichtigungen wird rege genützt
Aufwändig produzierte Medien explizit kreiert für den Online-Kanal kamen nur
von zwei Portalen
Fast überall spielt Twitter in der Berichterstattung eine wichtige Rolle
Der Zeitdruck und das Tempo haben für Journalisten deutlich zugenommen
Die Erhebung in dieser Arbeit führte zu Tage, dass der mobile Wandel in den
Schweizer Medienhäusern angekommen ist. Die Leitungs-Gremien der Medienhäuser
machen ihre Journalisten darauf aufmerksam, dass gezielter für die mobile Rezeption
produziert werden müsse. Allerdings fehlen exakte Richtlinien dazu bislang. Deutlich
herausgekommen ist, dass durch die ständige Empfangsbereitschaft der Rezipienten
die Berichterstattung dynamischer wird – beispielsweise mit Live-Tickern oder auch
Push-Meldungen. Dies führt dazu, dass Artikel nicht mehr klassisch mit allen nötigen
Aspekten komplettiert sind, sondern sich im Laufe der Geschehnisse weiterentwickeln.
105
Dies führt auch dazu, dass das Berufsbild des Journalisten sich dazu entwickelt, einen
Rund-um-die-Uhr-Service anzubieten.
Der aufgrund von theoretischen Überlegungen gefällte Schluss, dass die Textmenge
zugunsten der mobilen Rezeption abnimmt, wurde in dieser Untersuchung deutlich
widerlegt: Durch die permanente Berichterstattung über Live-Ticker wurde im
Vergleich zu den klassischen Publikationen deutlich mehr geschrieben. Dies deckt sich
auch mit der Einschätzung der Journalisten – man müsse den Text lediglich
mobilgerecht portionieren aber nicht zwingend verkürzen. Dazu gehört auch, einen
abwechslungsreichen Mix mehrerer Medien anzubieten und soziale Netzwerke wie
Twitter einzubauen. Trotz der neuen technischen Fertigkeiten der Smartphones halten
sich die Medienhäuser aber noch zurück, aufwändige Medien wie Videos oder
interaktive Grafiken für den Online-Kanal zu produzieren – unter anderem wird der
kleine Bildschirm der mobilen Geräte als Grund dafür genannt.
Der Druck hat auf die Journalisten zugenommen, der Wettlauf über die Zeit hat sich
aufgrund der Push-Technologie weiter verstärkt. Dies führe zu mehr Fehlern und
teilweise auch Verdrossenheit bei den Rezipienten – einige Journalisten warnen, dass
die Medien damit das Instrument der Push-Benachrichtigung gleich selber zu Grabe
tragen. Die Journalisten wollen im Gegensatz zu der Forschung aber nicht von
sinkender Qualität sprechen – die meisten sind zufrieden mit der Entwicklung und
sprechen von neuen Chancen. Für die Zukunft sehen sie keine absehbare neue
disruptive Innovation, die ihr Schaffen grundsätzlich ändern würde. Sie glauben, dass
der mobile Wandel dazu führt, dass der Kanal zu den Rezipienten interaktiver wird.
106
7.2 Methodenkritik
In diesem Abschnitt werden einige Kritikpunkte am methodischen Vorgehen
aufgezeigt. Dadurch soll der Interpretationsrahmen der vorgelegten Ergebnisse besser
eingeordnet werden können.
Die Hauptschwäche dieser Arbeit liegt darin, dass sie sich zwar mit der Veränderung
über die Zeit beschäftigt, jedoch keine Panel-Studie zum Einsatz kommt. Gemessen
wird zu einem einzigen Zeitpunkt und die Informationen über die Vergangenheit
werden mittels Retrospektivfragen eingeholt. Erinnerungslücken oder verfälschte
Interpretationen der Vergangenheit fliessen so als Fehlerquelle in die Messung.
Wünschenswert wäre es also, wenn eine Nachfolgestudie Erhebungen sowohl im
Bereich der Inhaltsanalyse wie auch in der Befragung von Journalisten über mehrere
Zeitpunkte hinweg macht. Dies wäre auch im Sinne der Technikfolgenabschätzung:
Weitgehend geteilt wird heute nämlich die Auffassung, dass
Technikfolgenabschätzungen in vielen Fällen nur wirklich erfolgreich sein können,
wenn sie nicht als „Einmalstudien“, sondern als Folgen bei Bedarf zu wiederholender
Analysen und Bewertungen konzipiert sind (Paschen 1990: 81).
Anlass für Kritik gibt auch die Durchführung der Inhaltsanalyse: Schlüsse auf das
Gesamtangebot der Portale lassen sich daraus nicht ziehen, da ein spezifisches
Ereignis stattgefunden hat. Für eine gesteigerte Validität wäre es daher sinnvoll, eine
zweite Kontrollmessung an einem anderen Tag durchzuführen und zu prüfen, ob die
Art der publizierten Berichte noch immer gleich ausfällt. Da die vorliegende Arbeit
innerhalb eines engen Zeitraumes entstanden ist, waren beispielsweise auch die
Zeiträume innerhalb der Messungen der Test-Retest-Methode äusserst kurz –
dadurch kann die Anwendung des Messinstruments die nachfolgende Retest-
Messung beeinflussen, was die Reliabilität mindert. Zudem weist auch das gewählte
Messinstrument der qualitativen Face-to-Face-Interviews Schwächen auf: So spielen
Fehlerquellen wie Befragtenmerkmale, Fragemerkmale sowie Merkmales des
Interviewers und der Interviewsituation bei der Messung mit (Dieckmann 2007: 447).
Zuletzt muss angefügt werden, dass aus dieser Fallstudie aufgrund der kleinen
Fallauswahl und der qualitativen Vorgehensweise aufgrund der
Technikfolgenabschätzung-Stossrichtung keine Allgemeinaussagen getroffen werden
können. So kann das Ergebnis einer TA-Studie kann stark durch die Auswahl der
107
befragten Experten oder die Art der gestellten Fragen bestimmt werden. (Grunwald
2010: 186). Zudem birgt die Arbeit die Gefahr eines voreingenommenen Schlusses –
nämlich, dass der mobile Wandel den Journalismus auf jeden Fall beeinflusst. Denn
eine technikinduzierte TA kann schon vom Ansatz her nicht als "neutral" gelten: Sie
verfolgt Fragestellungen, die die Macht der geschaffenen Fakten, den "sich
vollziehenden technischen Wandel" (BMFT 1989: 11) als Ausgangspunkt hinnehmen.
Zuletzt sei noch erwähnt, dass die Deutung der technischen Zukunft äusserst
fehleranfällig ist – dies aufgrund des Collingridge-Dillemma. Es besagt, dass
Wirkungen nicht leicht vorhergesehen werden, solange die Technologie noch nicht
ausreichend entwickelt und weit verbreitet ist. Da der mobile Wandel weiter anhält
(siehe nächstes Kapitel), greift dieses Dillemma auch in dieser Untersuchung.
7.3 Ausblick
Der mobile Wandel ist nicht abgeschlossen – ein beobachtbarer Trend ist etwa die
steigende Hyperlokalität, also der Zustand, wo alle Objekte miteinander verlinkt sind.
Die Netzbetreiber bereiten dieses „Internet der Dinge“ gerade vor und ob und wenn ja,
inwiefern sich das auf den Journalismus auswirkt, bleibt vorerst offen. Dazu gehört
auch die zurzeit noch vorherrschende Unsicherheit, ob Wearables (tragbare
Elektronikeinheiten mit Sensoren) wie etwa Smartwatches sich durchsetzen werden.
Aufgrund dieser Entwicklungen kann jedoch davon ausgehen, dass Ubiquität und
Konnektivität weiter gesteigert werden – und die daraus entstehenden journalistischen
Produkte, welche diese Arbeit herausgearbeitet hat, sich weiter entwickeln. Die grosse
Unbekannte bleibt dabei die zukünftige Art der Darstellung von Inhalten. Zum einen
war über die vergangenen Jahre ein Trend hin zu grösseren Bildschirmen im mobilen
Gebrauch zu beobachten. Zum anderen experimentieren Medienhäuser aber mit
Nachrichten für Uhrenbildschirme oder für interaktive Brillengläser, welche eine ganz
andere Art der Aufbereitung von Informationen verlangen. Unbekannt ist zudem, wie
sich das Nutzungsverhalten über die Zeit ändert. Womöglich sind die Rezipienten
irgendwann übersättigt mit der ständigen Verfügbarkeit von Informationen und der
Trend geht in die gegenteilige Richtung. Für den Berufsstamm des Journalisten
bedeuten diese Unsicherheiten vor allem eines: Die Anforderung an Flexibilität und
108
Anpassungsfähigkeit wird aufgrund der erwarteten Szenarien mit hoher
Wahrscheinlichkeit weiter steigen.
109
8 Abbildungsverzeichnis
Bild Titel-Cover (Quelle: https://www.knowlarity.com/5-must-mobile-apps-entrepreneurs-work-home/) Abbildung 1: HTC Universal Seite 11 (Quelle: http://pdadb.net/img/xda_exec.jpg) Abbildung 2 : HTC Hermes 300 Seite 12 (Quelle : http://pdadb.net/img/gallery/big/t-mobile_mda_vario_ii_front_stift.jpg) Abbildung 3 : iPhone Seite 12 (Quelle : http://www.allenpike.com/images/wp-uploads/2012/09/iphone1vs5.jpg) Abbildung 4 : HTC Dream Seite 13 (Quelle : http://phonesdata.com/files/models/HTC-Dream-478.jpg ) Abbildung 5 : iPhone 3GS Seite 14 (Quelle: https://d3nevzfk7ii3be.cloudfront.net/igi/kBkXWHW5ImOiKqgM) Abbildung 6 : HTC EVO 4G Seite 14 (Quelle : http://img.gadgetian.com/HTC-EVO-Design-4G-Sprint-Press-Shot1.jpg)
Abbildung 7 : Motorola Droid Razr Seite 15
(Quelle: http://www.shopologgy.pk/product_images/uploaded_images/jake-calland-
dual-core-droid-razr-maxx-hd-wallpaper.jpg)
Abbildung 8 : Samsung Galaxy Note 2 Seite 16
(Quelle: http://matjarey.com/store/images/detailed/1/galaxy-note-2-hero.jpg)
Abbildung 9 : Nokia Lumia 1520 Seite 16
(Quelle : http://phonesdata.com/files/models/Nokia-Lumia-1520-870.jpg)
110
Abbildung 10 : iPhone 6 neben iPhone 6 Plus Seite 17
(Quelle: http://blogs-images.forbes.com/gordonkelly/files/2014/09/2014-09-09_22-38-
02.jpg)
Abbildung 11 : Huawei P8 Max Seite 17
(Quelle: http://i.ytimg.com/vi/Un5wI_4Z4Wc/maxresdefault.jpg)
Abbildung 12: Durchschnittliche Bildschirmgrössen Seite 18
(Quelle: http://gizmodo.com/a-comprehensive-look-into-the-future-of-smartphone-
scre-1583303782)
Abbildung 13: Durchschnittliche Screen-to-Bezel Ratio Seite 19
(Quelle: http://gizmodo.com/a-comprehensive-look-into-the-future-of-smartphone-
scre-1583303782)
Abbildung 14: OS-Marktanteile. Seite 20
(Eigene Darstellung. Daten-Quellen: MUI 2012-2014, IDC 2012-2014)
Abbildung 15: Average Screen Size of New iPhones Seite 21
(Quelle: http://gizmodo.com/a-comprehensive-look-into-the-future-of-smartphone-
scre-1583303782)
Abbildung 16: Bevölkerungsanteil, der mobil online geht Seite 22
(Eigene Darstellung. Quelle der Daten: MUI 2010-2015)
Abbildung 17: Diskurstypen der TA Seite 31
(Quelle: Oppermann / Langer 2002: 5-6)
Abbildung 18: Veränderung der mobilen Unique Client-Zahlen. Seite 49
(Eigene Darstellung und Berechnung. Quelle Datensatz: netreport.net-
metrix.ch/mobile)
Abbildung 19: Abbildung 18: Filterung bei watson-Ticker Seite 60
111
(Quelle: watson.ch)
Abbildung 20: Reporter-Bilder bei 20 Minuten Seite 62
(Quelle: 20min.ch)
Abbildung 21: Ticker-Kommentar bei Blick Online Seite 63
(Quelle: blick.ch)
Abbildung 22: Hochwertige Bilder im NZZ-Ticker Seite 64
(Quelle: nzz.ch)
Abbildung 23: Dynamische NZZ-Grafiken Seite 65
(Quelle: nzz.ch)
Abbildung 24: Paraphrasierte Interviews bei SRF Seite 66
(Quelle: srf.ch)
Abbildung 25: Bullet-Points bei SRF Seite 67
(Quelle: srf.ch)
Abbildung 26: Handy-Video bei Tagesanzeiger Seite 69
(Quelle: tagesanzeiger.ch)
Abbildung 27: Verlinkte Audio-Interviews Seite 75
(Quelle: srf.ch)
112
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