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Offshore - igmetall.de · Offshore TOTAL GLOBAL? EINE IG METALL PUBLIKATION Impressum: Herausgeber:...

Date post: 29-Aug-2019
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Offshore TOTAL GLOBAL? EINE IG METALL PUBLIKATION Impressum: Herausgeber: Funktionsbereich Betriebspolitik und Unternehmensmitbestimmung beim Vorstand der IG Metall und IG Metall Bezirk Bayern V.i.S.d.P.: Werner Neugebauer, IG Metall-Bezirksleitung Bayern Autoren: Dieter Scheitor ([email protected]), 069 / 66 93-24 90 Wolfgang Müller ([email protected]), 089 / 53 29-49 48 Michael Leppek ([email protected]), 089 /51 41 13 3 Hagen Reimer ([email protected]), 089 / 53 29 49 42 Redaktion: Hagen Reimer Gestaltung: graphic agitation thomas böck 089.95760481 Druck: druckwerk München Ich bin dagegen, Arbeitsplätze aus kurzfristigem Profit- streben in Niedriglohnländer zu verlagern. Ich bin für die gesellschaftliche Verantwortung der Unter- nehmen, sowohl für die Beschäftigten hierzulande, als auch für die Arbeitsbedingungen in anderen Teilen der Welt. Ich bin der Ansicht, dass Beschäftigte die Entwicklung der Arbeitswelt am besten gemeinsam meistern können. Deshalb möchte ich Mitglied der IG Metall werden. Name Anschrift privat Standort / Abteilung Bank / Sparkasse BLZ Konto-Nr. Ort, Datum Unterschrift Einfach Formular ausfüllen und faxen an: Fax-Nr. 0 69-66 93 24 98 oder im frankierten Umschlag schicken an: IG Metall, Abteilung Organisation und Mitglieder Lyoner Str. 32, 60528 Frankfurt am Main Ja,ich bin dabei! Online Mitglied werden? www.igmetall.de/kontakt/beitritt
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✂ OffshoreTOTAL GLOBAL?

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■ Ich bin dagegen, Arbeitsplätze aus kurzfristigem Profit-streben in Niedriglohnländer zu verlagern.■ Ich bin für die gesellschaftliche Verantwortung der Unter-nehmen, sowohl für die Beschäftigten hierzulande, als auchfür die Arbeitsbedingungen in anderen Teilen der Welt.■ Ich bin der Ansicht, dass Beschäftigte die Entwicklung derArbeitswelt am besten gemeinsam meistern können.

■ Deshalb möchte ich Mitglied der IG Metall werden.

Name

Anschrift privat

Standort / Abteilung

Bank / Sparkasse

BLZ Konto-Nr.

Ort, Datum Unterschrift

Einfach Formular ausfüllen und faxen an:

Fax-Nr.0 69-66 93 24 98oder im frankierten Umschlag schicken an:IG Metall, Abteilung Organisation und MitgliederLyoner Str. 32, 60528 Frankfurt am Main

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Liebe Kolleginnen

und Kollegen,

die Situation ist neu: in Deutschland stehen ebenso wie in den USA qualifi-zierte Beschäftigte und Hochschulabsolventen direkt in Konkurrenz mit Berufs-kollegen in den Niedriglohnländern in Mittel- und Osteuropa, Indien oderChina. IT und Breitbandkabel machen es möglich. „Offshoring“, die Verlagerungan Konzernabteilungen im Ausland oder die Vergabe an externe Dienstleistermit Niederlassungen in Niedriglohnländern, gilt als neuer Trend.

Siemens, SAP und andere große Konzerne wollen in massivem Umfang quali-fizierte Arbeitsplätze aus Deutschland verlagern. Mit dem Verlust dieser Arbeits-plätze ist perspektivisch auch die gesellschaftliche Fähigkeit zu Innovationenbedroht. Auch die Unternehmen gehen hohe Risiken ein. Sie riskieren ihr Know-how, wenn sie nach dem Platzen der „Internet-Blase“ vor allem auf den asiati-schen Markt spekulieren. Demgegenüber sind die Versprechungen vieler Ökono-men, dass diese neue Welle der Globalisierung langfristig auch der deutschenVolkswirtschaft nützt, äußerst fragwürdig.

Die vorliegende Broschüre der IG Metall stellt diese Trends nicht nur dar. Wirwollen mit ihr eine öffentliche Diskussion über eine Entwicklung anstoßen, dieunsere Gesellschaft massiv verändern kann. Wir formulieren Forderungen an diePolitik und entwickelt Handlungsmöglichkeiten für Belegschaften, Betriebsräteund Gewerkschafter. Es ist unser Ziel, in diese Entwicklungen steuernd einzu-greifen.

Berthold Huber, 2. Vorsitzender der IG Metall

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Inhalt

Vorwort: Berthold Huber, 2. Vorsitzender der IG Metall

01 Outsourcing und Offshoring _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _Seite 4

Voraussetzung: globale Vernetzung

Strafzettel aus Ghana

Jede Firma glaubt, ihre „Offshoring Story“ haben zu müssen!

Siemens: Zentralen für Offshoring

„Ab in den Osten“ - die Offshoring-Länder

02 Standortdiskussion: Deutschland - ein Auslaufmodell? _ _ _ _Seite 14

Sind deutsche Arbeitsplätze zu teuer?

Offshoring als Knüppel, um Druck auf die Arbeitsbedingungen

auszuüben?

Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Dritten Welt

Die Unternehmensführungen sind gefordert

Effekte der Globalisierung von Arbeit

03 Eingespart oder schön gerechnet? _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _Seite 21

Personalkosten sind nur ein Aspekt

Erste Erfahrungen mit Offshoring: negativ!

Lesen Sie das Kleingedruckte: die weiteren Risiken des Offshoring

04 Offshoring - unausweichliches Schicksal? _ _ _ _ _ _ _ _ _ _Seite 27

Wir haben keine Chance - packen wir’s an!?!

Was kann ich als Einzelner tun?

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treffen sind. Die Verlagerung vonArbeitsplätzen ist kein neues Phä-nomen, erhält aber in jüngerer Zeitdurch die globale Vernetzung eineneue Qualität und Quantität: Wo siesich früher auf einfachere, meist inder Fertigung oder Montage angesie-delte Tätigkeiten beschränkte, be-trifft sie nun zunehmend „geistige“Arbeit, insbesondere im kaufmänni-schen Bereich sowie dem der hoch-qualifizierten IT- und Ingenieursauf-gaben. Exemplarisch für diese Ent-wicklung ist das Abwandern kom-pletter Forschungs- und Entwick-lungsabteilungen von HighTech-Unternehmen vor allem nach Ost-europa und Asien. Wie die Unter-nehmensberatung TPI (Eigenwer-bung: „The Global Sourcing

Outsourcing“ und „Off-shoring“ stehen weltweitfür enorme Umwälzungenin der gesamten Wirt-schafts- und Arbeitswelt.

Beide Begriffe vermischen sichinhaltlich wie auch im Gebrauch,obwohl sie eigentlich zwei völligunterschiedliche Prozesse bezeich-nen: Während „Outsourcing“ dieAuslagerung von bestimmten Auf-gaben eines Unternehmens an einanderes unabhängig von dessenräumlicher Lage beschreibt, steht„Offshoring“ für die räumliche Ver-lagerung von Unternehmensteilen inandere Teile der Welt, in denen esdiese kostengünstiger zu erledigenhofft. Beides kann Hand in Handgehen, und beides ist zwangsläufigmit dem Verlust von Arbeitsplätzenverbunden – dort, wo die auszula-gernden Aktivitäten vor dem Out-sourcing oder dem Offshoring statt-fanden. Genau genommen kommtnoch eine weitere Variante hinzu, dieman als „Nearshoring“ bezeichnenkann: Die Verlagerung von Unter-nehmensteilen in ein Niedriglohn-land, das allerdings geografischnäher liegt, also von Deutschlandaus etwa nach Ungarn statt nachChina.

Company“) errechnet hat, kommendie europäischen Outsourcing-/Offshoring-Anstrengungen nun sorichtig in Fahrt: Von 2002 auf 2003habe das Volumen um 66 Prozentvon knapp 16 auf gut 26 MilliardenEuro zugenommen. Dass dieserTrend als Druckmittel gegenüberBetriebsräten und Beschäftigten dienen kann, wann immer es umderen Arbeitsbedingungen geht, wirdals willkommener Nebeneffekt gernin Kauf genommen.

Offshoring und Outsourcing sindals Begleiterscheinung der Globa-lisierung nicht nur ein Thema desangeblich überteuerten und überre-gulierten Standorts Deutschland,sondern eine Herausforderung für

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Voraussetzung:

globale Vernetzung

Eine zwingende Voraussetzung fürOffshoring ist die Globalisierung: Erst die völlige, weltweit zeitgleicheVerfügbarkeit beliebiger Informa-tions- und Datenmengen durchmoderne IT-Strukturen ermöglicht esden Unternehmen, aus einer ZentraleAktivitäten zu steuern, die sich überden ganzen Globus verteilen. Dasgilt sowohl für schnelle Reaktionenauf neue Gegebenheiten, als auchfür das Abschöpfen der Erträge anden internationalen Finanzmärkten.Ein weiterer Faktor ist das wirtschaft-liche Potenzial, das durch denZusammenbruch des Ostblocks be-ziehungsweise den Aufbruch Chinasins 21. Jahrhundert entsteht. InOsteuropa und Asien ergibt sichdamit kurzfristig die Möglichkeit, billige Arbeitskräfte und beinahuneingeschränkt kooperierendeRegierungen für den Aufbau neuerProduktionsstandorte zu nutzen;langfristig hingegen wird sich dieEntwicklung im Entstehen neuerAbsatzmärkte niederschlagen – werjetzt hierher drängt, stößt aufGoldgräberstimmung und Wildwest-methoden, wie sie in den etabliertenIndustrienationen kaum mehr anzu-

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Outsourcing undOffshoring

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Niemand istsicher: DieOffshoring-Wellereicht bis in dieChefetagen(Alliance@IBM).

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500.000 IKT etwa zwei MillionenBürojobs. Dabei geht es nicht etwaum einfache Call-Center-Aufgaben,sondern um anspruchsvolle Tätig-keiten in Einkauf, Aktienanalyse oderBuchhaltung. Bis 2005 rechnet dieBeratungsfirma Gartner für die USAmit einem Verlust von zehn Prozentder IKT-Arbeitsplätze bei High-Tech-Firmen und fünf bei den Anwendernvon IKT-Produkten. Bereits 25 Pro-zent der 500 größten Konzerne ver-lagern Jobs nach Übersee. Dell eröff-nete ein Kundendienstzentrum fürden US-Markt in Indien, HP verlagertseins von Florida mit 1.200 Arbeits-plätzen. Neben den Lohnkostenwinkt ein weiterer Vorteil: IndischeCall-Center-Mitarbeiter haben Hoch-schulabschlüsse, amerikanische da-gegen nur High-School-Diplome. In

alle hochentwickelten und daherHochlohn-Länder, insbesondere auchdie USA und Großbritannien – diebekanntlich auf dem Arbeitssektornur sehr schwach reguliert sind undauch nicht über starke Gewerkschaf-ten verfügen. Für Deutschland erwar-tet die Frankfurter Managementbera-tung A. T. Kearney laut einer Studievom Februar 2004 eine Vervier-fachung von Offshoring-Projekten.Dies würde bedeuten, dass im sel-ben Zeitraum rund 130.000 Arbeits-plätze in den Bereichen Softwareund IT-Services entfallen würden:„Gerade personalintensive Funk-tionen werden zunehmend ins billi-gere Ausland verlagert“, fasst DirkBuchta, der bei A.T. Kearney als VicePresident den Bereich strategische ITleitet, die Ergebnisse der Studie zu-sammen. „Mit Offshoring lässt sich –allein bei deutschen Unternehmen –ein jährliches Einsparpotenzial vonrund zwei Milliarden Euro realisieren.In den USA gehen schon jetzt 20Prozent der IT-Budgets ins Ausland,vorzugsweise nach Indien. InDeutschland sind das derzeit rundfünf Prozent. Wir gehen davon aus,dass sich dieser Anteil in den kom-menden drei Jahren auf das amerika-nische Niveau steigern wird.“

Strafzettel aus Ghana

Vor kurzem berichtete das ameri-kanische IKT-Fachblatt CIO von MikeEmmons in Florida, der seinen Jobals Programmierer bei Siemens ICNverlor: Seine Abteilung war an dieindische Tata Consultancy „outge-sourct“ worden. Zuvor durfte er mitseinen Kollegen die indischenEntwickler einarbeiten, die zum Teilerst zwei Wochen vorher von ihrer

Europa das gleiche Bild: Für dieeuropäischen Finanzdienstleistererwartet Deloitte & Touche Consul-ting in den nächsten Jahren dieVerlagerung von 700.000 aller IKT-Arbeitsplätze. Und Dienstleistungenwie die Helpdesk-Betreuung vonStandard-Programmen für Computer-Benutzer können von der ganzenWelt aus erbracht werden.

Dennoch lassen sich nicht alleEntwicklungsaufgaben oder Büro-tätigkeiten auslagern. Vor dem Off-shoring steht die Analyse und Zer-legung der Prozesse, damit späterdie komplexe Steuerung der weltweitverteilten Aufgaben nicht im Chaosendet. Kundenberatung und Produkt-integration etwa bleiben im Lande,die Entwicklung von Modulen, Teil-

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neuen Aufgabe erfahren hatten undkeinerlei KnowHow in derartigenProjekten besaßen. Unter Verletzungder US-Visa-Bestimmungen hatteSiemens dazu so genannte L-1B-Visas beantragt und die indischenEntwickler damit für die Einarbeitungnach Florida gebracht. L-1B-Visasaber gibt es eigentlich nur für kon-zerninterne internationale Verset-zungen von Spezialisten, die die fir-meninternen Produkte und Projektegenau kennen ... Emmons wandtesich an Behörden und Abgeordnete;es stellte sich heraus, dass lokaleKongressabgeordnete trotz gegentei-liger Rhetorik die HighTech-Konzernestützten – und Wahlkampfspendenauch von Siemens bekamen.Emmons informierte darüber imJanuar 2003 mit einer E-Mail-Aktion,die auch die ICN-Vorstände inDeutschland erreichte. Inzwischen istdaraus eine Kampagne gegen Miss-brauch und für Änderung der US-Visa-Bestimmungen geworden. Beiden Nachforschungen kam auch her-aus, dass das US-Greencard-Pro-gramm dem Lohndumping dient:Laut Einwanderungsbehörde bekom-men Greencard-Inhaber bei Siemens/USA 28.000 Dollar im Jahr, währendEmmons 92.000 verdiente.

Angestellte in Indien erfassten dieDaten von Wohlfahrtsempfängen imUS-Bundesstaat New Jersey, bis einöffentlicher Aufschrei dies stoppte;die New Yorker Strafmandate fürFalschparker werden von einemDienstleister in Ghana sortiert – derDienstleistungssektor der USA wirdeiner Forrester-Studie zufolge bis2015 3,3 Millionen Arbeitsplätzenach Indien, China oder sonstwohinverlieren. Betroffen sind neben rund

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International: DieUSA haben auch inder Offshoring-Entwicklung die Rolledes Vorreiters.

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wenig überzeugend, da eben diesePolitik der Kernaussage des vomZentralvorstand verabschiedeten Teil-programms „Globale Wettbewerbs-fähigkeit“ entspricht. Zu diesemgehört, dass Siemens die Zahl derArbeitsplätze (40% in Deutschland)dem Umsatz (20%) angleichen will.Zwei Töchter sollen die Offshore-Aktivitäten des Konzerns steuern:die Siemens Information SystemsLimited (SISL) mit Hauptsitz inIndien, und die Wiener PSE mitNiederlassungen u. a. in Bratislavaund China. Schon jetzt entwickeln500 Ingenieure in Temesvar (Rumä-nien) für VDO – zu zehn Prozent derPersonalkosten ihrer deutschenKollegen.

Mitte Februar 2004 sorgte SISL fürAufregung bei Beschäftigten und inder Öffentlichkeit. Ani Laud, Mana-ging Director bei der indischenSiemens-Tochter, erklärte, Siemenswerde „die überwiegende Zahl der15.000 Stellen in der Softwarepro-

projekten oder die Erledigung vonTeilprozessen wird irgendwo auf derWelt billiger erledigt. Entwickler undSystem-Integratoren, die Projekteund Anwendungen zerlegen, Schnitt-stellen definieren und die Integrationder Teile koordinieren können, sinddaher gefragt; angeblich kommendabei deutsche Standortvorteile wieOrganisationstalent oder Genauigkeitzur Geltung. Wie auch immer: Dasgenaue Ausmaß kommendenOffshorings ist trotz aller Studienschwer zu beziffern, Cap GeminiErnst & Young schätzt, dass beitechnischen Entwicklungen bis zuzwei Drittel der gesamten Wertschöp-fung ausgelagert werden können.

Jede Firma glaubt,

ihre „Offshoring Story“

haben zu müssen!

Beeindruckt von Prognosen undStudien zahlreicher Consultance-Firmen glaube viele Unternehmen,eine „Indienstory“ haben zu müssen,um nicht von den Analysten abge-wertet zu werden. Und viele Off-shoring-Projekte sind folglich in derletzten Zeit nur aus diesem Grund inGang gesetzt worden. Unternehmens-berater haben in den letzten Jahrenso massiv die Theorie aufgebaut,Offshoring werde zu einer betriebs-wirtschaftlichen Überlebensfrage,dass man getrost von einem „Hype“sprechen kann, der dem des E-Business im Jahr 2000 gleichkommt.Vereinzelt beginnen Vertreter derBeratungsbranche bereits vorsichtig,vor allzu übertriebenen Erwartungenzu warnen. Denn je höher diesewachsen, umso größer ist dann die

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Ernüchterung, wenn sich die erhoff-ten Erfolge nicht einstellen. Spätes-tens dann, wenn sich das Ausbleibengreifbarer wirtschaftlicher Vorteilewieder bis zu den Analysten herum-spricht, führt das zur Abwertung.Besonders in der IT-Branche hörtman häufig von Unternehmen, beidenen Auftraggeber nach dem „Off-shoring-Anteil“ von Projekten fragen,weil sie glauben, dass der Auftrag-nehmer noch nicht alle Kostenvor-teile realisiert und damit an denAuftraggeber weitergereicht hat.

Ein weiterer Faktor, der den Trendstützt, ist – nach dem Motto „wasmachbar ist, wird auch gemacht“ –die einfache Tatsache, dass nun dietechnischen Voraussetzungen für dieVerteilung von Unternehmensteilenund -aufgaben über die ganze Weltvorliegen: Sprunghaft wachsendeRechnerleistungen und Breitband-übertragung ermöglichen in praktischjedem Bereich Datenverarbeitung,bei der es keine Rolle mehr spielt,ob zwei Ingenieure im selben Haussitzen oder auf zwei Kontinenten.Dem gesamten Phänomen liegt aller-dings die (Fehl-)Annahme zu Grunde,dass Offshoring immer grundsätzlichbilliger ist. Das jedoch ist in derPraxis allzu oft nicht wirklich der Fall.

Siemens: Zentralen

für Offshoring

Im Sommer 2003 ist eine Entschei-dung des Siemens-Zentralvorstandsbekannt geworden, die Software-Entwicklung konzernweit von denteuren künftig verstärkt in Low-Cost-Länder (Osteuropa, Indien, China) zuverlagern. Eilige Dementis klangen

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Rosa Brille: Unternehmens-beratungen versprechen Offshore-Sparpotenziale, die das Herzjeden Managers höher schlagenlassen.

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In Indien arbeiten bereits rund3.000 der weltweit bei Siemens be-schäftigten Softwareprogrammierer,ihre Zahl werde, so noch einmalSISL-Director Laud, künftig um min-destens 30 Prozent jährlich wachsen.Für die betroffenen Softwareentwick-ler unter anderem in Deutschlandund den USA sei dies „ein Problem.Sie könnten ihre Jobs verlieren“, soJürgen Schubert, Managing Directorbei Siemens India.

„Ab in den Osten“ –

die Offshoring-Länder

Indien – Lieblingskind derOffshorer

Um 28 bis 30 Prozent wuchs dieindische Software- und IKT-Industrieauch im Krisenjahr 2003. IndiensAnteil am weltweiten Software- undIKT-Service-Markt liegt bei etwa zweiund soll bis 2008 auf zehn Prozentwachsen. Mit dabei sind große indi-

grammierung aus den USA undWesteuropa nach Indien, China undOsteuropa verlegen.“ Siemens habe„erkannt, dass ein großer Anteil derSoftware-Entwicklungsaktivitäten vonHochlohnländern in Niedriglohnlän-der verlagert werden“ müsse. Auchwenn das Siemens-Hauptquartierdiese AP-Meldung prompt dementier-te und beruhigte, die etwa 30.000Arbeitsplätze bei Siemens in For-schung und Entwicklung in Deutsch-land seien durch die Pläne nichtgefährdet, so macht sich bei denBetroffenen berechtigterweise Sorgeum ihren Arbeitsplatz breit. Vorstands-chef Heinrich von Pierer erklärte

sche Konzerne wie Wipro, Infosysoder Tata, aber auch internationaleIKT-Konzerne von IBM bis Microsoft.Und Technologie-Konzerne wie Sie-mens und General Electrics, die hierentwickeln lassen: Siemens’ Unter-nehmensbereich ICM zum Beispielvergrößert sein Entwicklungszentrumin Bangalore gerade von 400 auf500 Beschäftigte – dort hat Siemensdie Entwicklung der GSM- undUMTS-Netz-Software zentralisiert.Laut Gartner Group gehen 90 Prozentaller weltweit anfallenden Offshore-Umsätze nach Indien. Das liegtneben den guten Englisch-Kennt-nissen der Hochschulabsolventenvor allem am Potenzial gut ausgebil-deter IKT-Arbeitskräfte: Jährlich kom-men dort so viele frisch diplomierteInformatiker auf den Arbeitsmarkt,wie es in Deutschland insgesamtInformatikstudenten gibt. Und fastdie Hälfte dieser Absolventen sindFrauen.

China – Viagra der Weltwirtschaft?

Nach den Managern großer Kon-zerne rücken zunehmend auch Me-dien und Politiker das bevölkerungs-reichste Land der Erde mit seinemenormen Potenzial in den Blickpunktder Öffentlichkeit – jährliche Wachs-tumsraten von knapp zehn Prozentlassen den krisengebeutelten Westengebannt nach Asien blicken, daranändert auch ein gescheiterter Trans-rapid nichts. Im Gegenteil: Wie derBesuch des chinesischen Staatschefsin Frankreich zeigte, sieht man imWettlauf um wirtschaftliche Chancenmittlerweile auch über politische undsoziale Probleme hinweg, die nochbis vor kurzem für harsche Kritiksorgten.

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Anfang März bei einer Betriebsver-sammlung, man könne sich freuen,wenn man in einigen Jahren über-haupt noch für die selbe Bezahlung40 Stunden pro Woche arbeitendürfe. Daneben wirkt es, außer fürdie Betroffenen, beinah harmlos,dass Siemens ICN-BereichschefThomas Ganswindt Wochen vorhermit der Ankündigung für Aufregungsorgte, 600 Stellen aus Bruchsal (beiKarlsruhe) nach China zu verlagern.

Konzernweit sollen 50 Prozent derEntwicklungskapazität verlagert wer-den. Die aktuellen – bekannt ge-wordenen – Offshoring-Aktivitäten im Siemens-Konzern:

■ VDO: SW-Autoelektronik in Rumä-nien (500 MA), Applikationsent-wicklung in China, kein Aufbaumehr in Deutschland.

■ ICM: GSM-/UMTS-Entwicklung inIndien (500 MA), Teile der Buch-haltung nach Tschechien.

■ SBS: Teile der Buchhaltung gehennach Tschechien und Russland, 2. Call Center in der Türkei (150MA).

■ ICN: Entwicklungsteile nach Rumä-nien, Türkei und Betriebstechniknach Kroatien, Teile der Buch-haltung nach Tschechien.

■ Dematic: Entwicklung und Produk-tion mittelfristig nach Asien (150MA).

■ Med: Entwicklungsbereiche undProjekte in Indien.

■ A&D: Weiterentwicklung von 8 Einzelprojekten in China.

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Protest: Bei der Siemens-Hauptversammlung2004 demonstrieren Beschäftigte gegen dasAbwandern ihrer Arbeit.

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hatte, konnte es nur eine Richtunggeben: steil bergauf. Chinas Brutto-inlandsprodukt beträgt heute 1,4Billionen Dollar, also genau 12 Pro-zent von dem der USA.

Eine wirkliche Erfolgsgeschichte isthingegen Chinas Außenhandel: DieImporte stiegen im letzten Jahr um40, die Exporte um 35 Prozent. Essind aber nur zum kleinen Teil chine-sische Waren, die hier ausgeführtwerden – mehr als die Hälfte sindProdukte ausländischer Firmen,denen an China die billigen Löhnegefallen: Jeans für H&M, PCs fürAcer. Und der eigentliche Preis, die1,3 Milliarden Kunden? Der Markt?Der ist zu großen Teilen auch weiter-hin, was er immer schon war:„Potenzial“.

Im Hinblick auf Markt- und Ent-wicklungspotenzial sind allein schondie statistischen Zahlen Chinas be-eindruckend: 1,3 Milliarden Men-schen leben dort, unter anderem inüber 35 „Megastädten“ mit jeweilsmehr als 10 Millionen Einwohnern.Die Wirtschaft wächst seit 1978 mitdurchschnittlich neun Prozent jähr-lich, laut Prognose wird man 2008die Höhe des deutschen Brutto-inlandproduktes erreichen. 2002 warChina der weltweit größte Empfängervon Investitionen aus dem Ausland,knapp 53 Milliarden US-Dollar flos-sen ins Land, während Waren für322 Milliarden Dollar es verließen.

Einzelne Elemente des Inlandsmarktsexpandieren besonders schnell, bei-spielsweise schließen jeden Monateine Million Chinesen neue Handy-verträge ab. Das Außenhandels-volumen wächst seinerseits seit 1978mit durchschnittlich fünfzehn Prozent.In China gibt es mehr Millionäre alsin ganz Europa; der Abstand zwi-schen Arm und Reich ist extrem, un-vorstellbaren Wohlstand genießen

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einzelne Chinesen im Küstenbereich,bitterste Armut hingegen herrscht imNorden, im Landesinneren und imWesten. Die Chinesen veranstaltenkeinen Ausverkauf ihrer Ressourcen,ähnlich etwa den Russen; Grund undBoden zum Beispiel kann nicht aufDauer erworben werden, sondern nurein Nutzungsrecht für jeweils 50 Jah-re, was dem Staat langfristig sichereEinnahmequellen bietet.

Klar ist: China ist ein Zukunfts-markt. Gut ausgebildete Menschenstehen bereit und der Markt scheintgrenzenlos. Es entbehrt nicht derIronie, dass es mittlerweile Chinas

Führer selbst sind, die den Westendaran erinnern müssen, dass China„noch ein Entwicklungsland ist“, wiePremier Wen Jiabao auf seiner USA-Reise unablässig wiederholte. ZuRecht: Die Wirtschaft Japans war imletzen Jahr noch viermal so groß wiedie Chinas.

Vom Grund der tiefen Schlucht, indie Mao Zedong das Land gestoßen

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Aufholjagd: China schickt sich an, rasant auf die vorderenPlätze der Offshore-Hitliste vorzurücken.

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bei der Dresdner Bank, „heute istdie Wettbewerbsfähigkeit kein Pro-blem mehr“; auch Morgan Stanleykonstatierte, die deutschen Unter-nehmen hätten ihre Position vorallem im Euro-Raum stark verbessert.Laut Aussage des Verbands Deut-scher Maschinen- und Anlagenbauliegt Deutschland in diesem Bereichmit einem Marktanteil von 19 Pro-zent weit vor den Konkurrenten: dieUSA produzieren weniger hochwertig,Japan hingegen liefert Massenpro-duktion, so dass Deutschland in derhochwertigen Produktion führt. Auchdie deutsche Automobilindustrie hattrotz insgesamt sinkender Nachfragein Westeuropa und den USA Markt-anteile gewonnen, so Karl-HeinzBienewitz vom Verband der deut-schen Automobilindustrie. Für 2004rechnet der Bundesverband derDeutschen Industrie mit einem deut-schen Exportwachstum von vierProzent.

Sind deutsche

Arbeitsplätze zu teuer?

Zum einen kommt es nicht auf dieHöhe der Stundenlöhne – oder Ge-hälter an, sondern darauf, wie teuerdas Produkt unter Beachtung derGesamtkosten letztendlich ist. In der

Weder Offshoring nochOutsourcing sind Phä-nomene, die auf denStandort Deutschlandbeschränkt oder für

ihn typisch sind. Wie ein Blick aufdie USA zeigt, in denen die Diskus-sion darum sich trotz völlig andererVoraussetzungen zu einem wichtigenThema im Präsidentschaftswahlkampfentwickelt, ist es daher eigentlichwenig sinnvoll, einen Zusammenhangzwischen der Diskussion um Stand-ortfragen und dem Abwandern vonArbeit herzustellen. Dennoch wirddies von Seiten der Unternehmergern versucht, wenn sie nach einerLegitimation suchen. Klaus F. Zim-mermann, Präsident des renommier-ten Deutschen Instituts für Wirt-schaftsforschung, antwortete imSeptember 2003 auf die Frage des„Handelsblatts“, ob Deutschland imGlobalisierungsprozess mehr Arbeits-plätze verliere als gewinne: „Persaldo gewiss nicht. Die Globalisie-rung bietet für eine exportorientierteWirtschaft wie die deutsche vieleChancen. [...] Wir sind nach wie vorstark in hochwertiger Technologie.“Deutschland ist also trotz derzeitbeliebter Unkenrufe vieler Managernach wie vor ein vielversprechenderStandort: AMD investiert in einneues Chipwerk in Dresden, das bei

Produktion spricht man hierbei vonLohnstückkosten, also den gesamtenArbeitskosten pro Arbeitnehmer imVerhältnis zur Produktivität. Und daliegt Deutschland nicht schlecht: Sienehmen seit 2000 im Durchschnittunter einem Prozent pro Jahr zu, für2004 geht man sogar von einemleichten Rückgang aus. Da dieserIndikator seit Jahren in den anderenEU-Ländern deutlich stärker als inDeutschland zunimmt, ist die deut-sche Konkurrenzfähigkeit also deut-lich gestiegen, seit Ende der neunzi-ger Jahre auch im Vergleich zu denUSA. Bei Software- und Ingenieurpro-jekten hingegen ist hier eine Pro-jektvollkostenrechnung vorzunehmen– deren Ergebnis aber ist, dassOffshoring häufig nicht billiger ist(Kapitel 03).

Bei der Bewertung der Arbeits-kosten ist darüber hinaus zu beden-ken, dass einfache Fertigungs- undDienstleistungsjobs in den letztenJahren verstärkt ins Ausland verlagertworden sind – mit der Folge, dassder Anteil hochqualifizierter unddamit höher vergüteter Jobs inDeutschland fortlaufend steigt. Bei-spiel Siemens: Der Anteil der Ange-stellten unter den Siemens-Beschäf-tigten hat sich in Deutschland von1970 bis heute von 30 auf 70 Pro-

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der Investitionsentscheidung desUnternehmens Konkurrenten wieSingapur ausstach; einer der Gründehierfür war die Nähe zu den For-schungseinrichtungen der sehr ren-ommierten TU Dresden und die qua-lifizierten Facharbeiter in Sachen.

Ein Index, der sich auch durchtrickreichste Argumentation gegenden angeblich wettbewerbsunfähigenStandort Deutschland nicht wegdis-kutieren lässt, ist die Stellung alsExportweltmeister: Im August 2003lagen die Ausfuhren mit umgerechnet62 Milliarden US-Dollar um über sie-ben Prozent über denen der USA,die bis dahin die Liste angeführthatte. Deutschlands Exporteure neh-men damit zum ersten Mal seit derWiedervereinigung wieder den inter-nationalen Spitzenplatz ein – trotzder vielbeschworenen Standort-nachteile, und trotz der zusätzlichenHürde des starken Euro. Nicht nurdie „Financial Times Deutschland“analysiert, dass diese Erfolge „eineNeubewertung der akuten deutschenWirtschaftskrise aufdrängen.“ Einerder Gründe dafür ist auch laut wirt-schaftsnaher Experten die günstigeKostenentwicklung der letzten zehnJahre: „Deutschland hat durch zuneh-mende Lohnzurückhaltung merklichaufgeholt,“ so Harald Jörg, Volkswirt

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Die Standort diskussion: Deutschland, USA & Co. – zu teuer?

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konfrontiert – ohne jedes Zugeständ-nis der Firmenseite in der Frage desStandorterhalts. Vorstandschef UlrichSchumacher erhöhte öffentlich solange mit variierenden Abzugsdroh-ungen den Druck auf Politik undGewerkschaften, bis das Bild Infi-neons in den Wirtschaftsmedienernsthaften Schaden zu nehmendrohte. Auch vor und während derTarifrunde 2004 nutzen die Arbeit-geber über den Umweg der Standort-schelte die indirekte Drohung mitAbzug aus Deutschland. Die tenden-

ziellen Auswirkungen auf das Lohn-niveau insgesamt fasst Uwe Hück,Betriebsratsvorsitzender von Porsche,zusammen: „Die Globalisierung hateins gebracht: Die Arbeitgeber rich-ten sich nach den Gehältern derAmerikaner und die Arbeitnehmersollen sich an den Gehältern derChinesen orientieren.“

zent erhöht. Unser Verhältnis von höher- zu niedriger qualifizierten unddamit höher- und niedriger vergüte-ten Arbeitsplätzen ist folglich einganz anderer als in Osteuropa odergar Asien.

Offshoring als Knüppel,

um Druck auf die Arbeits-

bedingungen auszuüben

Obwohl Konzernchefs wie Heinrichvon Pierer oder Craig R. Barrett(Intel) gelegentlich unverhohlen an-deuten, die Verlagerung großer Teileihrer Aktivitäten in Niedriglohnländersei mittelfristig so oder so völligunvermeidlich, nutzen sie bis dahingern die Sorge der Beschäftigten, um

Verbesserung der

Arbeitsbedingungen

in der Dritten Welt

Die Internationale Arbeitsorgani-sation (ILO) ist eine Sonderorganisa-tion der Vereinten Nationen, diebereits im Jahr 1919 gegründet wur-de. 177 Mitgliedstaaten sind durchRepräsentanten von Regierungen,Arbeitnehmern und Arbeitgebern inden Organen der ILO vertreten. Der

Schwerpunkt der Aktivitäten liegt inder Schaffung internationaler Arbeits-und Sozialnormen mit dem Ziel, dieLebensbedingungen der arbeitendenBevölkerung zu verbessern. DieDurchsetzung von Kernarbeitsnormenist derzeit eine der Prioritäten: In der1998 verabschiedeten „Erklärungüber die grundlegenden Prinzipienund Rechte bei der Arbeit“ bekennensich die Mitgliedstaaten zu den

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im Unternehmersinne auf bestehendeArbeitsbedingungen einzuwirken. DieZiele, für die Standortfragen, politi-sche Rahmenbedingungen und glo-bale Wirtschaftsentwicklung gleicher-maßen herhalten müssen: Anhebungder Arbeitszeiten, möglichst geringesLohnniveau, Abbau von Gewerk-schaftseinflüssen und Schwächungder Arbeitnehmervertreter. Die Argu-mentation ist dabei häufig wider-sprüchlich; mit globalem Wettbewerberklärt man die Konzentration aufneue Standorte in Low-Cost-Regio-nen zum absoluten Muss, währendman gleichzeitig maximales Entge-genkommen in strukturellen Fragenfordert. So sahen sich zum Beispieldie Beschäftigten eines bedrohtenMünchener Infineon-Betriebs mit derForderung nach neuen Arbeitszeiten

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Spanne der Jahreseinkommen in US-Dollar

Quellen: SalomonSmithBarney, für Deutschland: Lurse

Outsourcing-LänderInsourcing-Länger

DeutschlandJapanGroßbritannienUSASingapurHongkongKanadaAustralienIrlandGhanaSüdafrikaMexikoBrasilienIndienChinaRussland 2.600

6.600

8.300

8.500

3.500

10.600

13.300

13.500

17.000

23.300

29.800

36.700

39.300

44.300

45.000

47.600

67.000

72.400

75.800

93.00066.000

58.900

64.400

52.000

30.300

30.800

38.000

30.900

31.500

17.400

14.000

Steiles Gefälle: Jahreseinkommen im internationalen Vergleich.

Verantwortung auch im Zielland: Siemens-Niederlassung im chinesischen Wuxi.

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ratifiziert. Indien hat die Vereinbarun-gen über das Recht auf Vereinigung,Vereinigungsfreiheit und Recht aufKollektivverhandlungen, sowie dasVerbot von Kinderarbeit bisher nichtratifiziert; China sperrt sich bislanggegen die Vereinbarungen überZwangsarbeit, das Recht auf Vereini-gung, Vereinigungsfreiheit und Rechtauf Kollektivverhandlungen gegendas Diskriminierungsverbot. Geradediese ILO-Übereinkommen jedochsichern ein Mindestmaß an grundle-genden Arbeitnehmerrechten im Be-trieb. Im Zusammenhang mit Off-shoring und Globalisierung kommtArbeitsstandards neben ethischerauch eine wesentliche praktischeBedeutung zu: Langfristig könnteeine weltweite Annäherung die Lohn-und Gehaltsdifferenzen verringernund dadurch sowohl die Lebens-qualität heutiger Niedriglohnländersteigern, als auch die negativenFolgen von Offshoring in den Hoch-lohnländern abfangen.

Die Unternehmensführungen

sind gefordert

Es bleibt die Frage im Raum ste-hen, ob es korrekt sein kann, Preis-unterschiede für Arbeit auf dem glo-balen Markt dergestalt zu nutzen,dass Technologieentwicklungen, diein ihrer Entstehung ein entwickeltesund damit „hochlohniges“ Gemein-wesen voraussetzen, einfach dahinverfrachtet werden, wo die Kostengering und das allgemeine Lebens-niveau mit Elend beschreibbar er-scheinen. Für einen Betriebswirt istdie Antwort klar: „Unsere Wettbe-werber machen das genauso undbringen uns in Zugzwang.“ Für den

Grundprinzipien Vereinigungsfreiheitund Recht auf Kollektivver-handlungen, Beseitigung der Zwangs-arbeit, tatsächliche Abschaffung derKinderarbeit und Verbot der Dis-kriminierung in Beschäftigung undBeruf. Bislang haben 99 ILO-Mit-

Volkswirt stellt sich die Frage schonanders, denn wenn alle das somachen würden, gäbe es ziemlichbald niemanden mehr, der all dieschönen High-Tech-Produkte nachfra-gen würde. Für den Bürger schließ-lich stellt sich die Frage, ob ein Kon-zern nicht für mehr Verantwortungträgt als seine Bilanz und seineAktionäre, nämlich für die Weiter-entwicklung der Technologie und dersozialen Bedingungen, die diese her-vorgebracht haben. Diese Frage auchnur zu stellen, erscheint zunächstnicht zeitgemäß. Aber: Ohne eineschlüssige Antwort könnte Offshoringnicht nur Arbeitsplätze, sondernlangfristig viele Unternehmen letzt-lich auch die Grundlage ihrerExistenz kosten.

Effekte der Globalisierung

von Arbeit

Die britische Organisation CAFOD(Catholic Agency for Overseas De-velopment) prangert unmenschlicheArbeitsbedingungen bei der Hard-ware-Herstellung in Ländern wieChina und Mexiko an. Sie kritisiertnamentlich die US-Firmen Dell,Hewlett-Packard und IBM scharf undstellt in ihrem Bericht unter anderemdar, dass vor allem junge Frauenzwischen 18 und 25 Jahren gnaden-los ausgebeutet werden und unterArbeitsbedingungen leiden, die inIndustrieländern undenkbar wären:Giftige Chemikalien, Rauch undMetallstaub, elf Stunden täglich voreinem flackernden Monitor, keinerleiArt von Betriebsschutz, Löhne unterdem gesetzlichen Minimum undArbeitszeiten von bis zu 16 Stundensieben Tage die Woche sind ein

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gliedsstaaten alle Kern- oder Men-schenrechtsübereinkommen ratifi-ziert, darunter Deutschland. 33Staaten haben sieben der Kern- oderMenschenrechtsübereinkommen, 14Länder sechs und 10 Staaten insge-samt fünf der o.a. Übereinkommen

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Während andere noch Für und Wider abwägen oder sichSorgen um mögliche langfristige Konsequenzen desOffshoring-Trends machen, gibt es für viele Top-Managerlängst keine Zweifel mehr über die Marschrichtung:

■ Intel-Chef Craig Barrett: „Auch wenn man 90% der Bevölkerung in Indien,Russland und China als einfache Bauern zählt, gibt es in diesen Ländern ca. 300Mio. gut ausgebildete Menschen. Das sind mehr als alle Erwerbstätigen in denUSA zusammen. [...] Wir reden nicht mehr über einfache Arbeit wie vor 30 Jahren.Heute sind es gut ausgebildete Arbeitskräfte, die faktisch jeden Job machen können,der in den USA gemacht wird. [...] Die unmittelbare Konsequenz dieser gesteigertenKonkurrenz um Jobs sind niedrigere Preise und niedrigere Löhne. [...] Als Konzern-chef kann ich nicht anders handeln. Aber als US-Staatsbürger mache ich mir großeSorgen.“ (San Jose Mercury News, Dezember 2003)

■ Larry Ellison, Milliardär und Chef von Oracle: „Die Beschäftigung von 10.000Programmiern in Indien ist per Saldo ein Glück für die Menschheit.“

■ Siemens-Finanzchef Heinz-Joachim Neubürger sieht „ein erhebliches Optimie-rungspotential bei der Mitarbeiterverteilung zwischen Ländern mit hohen und nie-drigen Löhnen.“ (Capital 6/2004)

■ Brian Valentine, Senior Vice President Microsoft: „Outsourcing ist nicht nur füreinfache, unkritische Projekte. In Indien bekommt Microsoft dieselbe Qualität für50-60% der Kosten in den USA.“

■ Johannes Feldmayer, Mitglied im Siemens-Zentralvorstand: „Während die meis-ten Bereiche noch diskutieren, warum Softwareentwicklung in China, Indien oderOsteuropa nicht möglich oder hochriskant ist, hat ICN deutliche Fortschrittegemacht. Wissen Sie warum? Weil dem Bereich das Wasser bis zum Hals stand.“(Capital 6/2004)

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Die Stundensätze für IT’leroder Ingenieure liegen inOsteuropa, Indien oderChina unbestreitbar deut-lich niedriger als in den

hochentwickelten Ländern.Tatsächlich verdient beispielsweiseein indischer Softwareentwickler der-zeit nur etwa zwölf Prozent des hie-sigen Stundensatzes – noch, dennauch in den Niedriglohnländern wirktsich der aktuelle Boom bereits aufdie Löhne aus. Allerdings wäre esbetriebswirtschaftlich eineMilchmädchenrechnung, davon aus-zugehen, dass sich das Verhältnisder Personalkosten die gesamtenKosten eines Projekts ohne weitereFaktoren übertragen lässt.

Personalkosten

sind nur ein Aspekt

Die eingängige Gleichung „Perso-naleinsparung = gesparte Projekt-

kosten“ geht nicht auf: Die US-Fachzeitschrift „CIO“ listet Kostenvon Offshoring-Projekten auf, dieenthusiastische Manager oft überse-hen. Zu diesen Faktoren, die sich aufdie Gesamtkosten auswirken, gehö-ren unter anderem:

■ Infrastrukturkosten... für das verwendete Equipment

sind so ebenso hoch wie bei uns:Ein PC, eine Workstation oder dieeinsgesetzte Software (Windows,Office, Programmier- und Ingenieur-werkzeuge) sowie die Telekommuni-kationseinrichtungen kosten in Asienoder Osteuropa genauso viel wie beiuns. In vielen Fällen muss die fürdas spezifische Projekt erforderlicheIKT-Infrastruktur aufgebaut und ge-testet werden, bevor die eigentlicheArbeit beginnt. Bei Softwareentwick-lungen etwa sind Entwicklungs- undWartungsprozesse genau zu beschrei-ben und zu akzeptieren, einschließ-lich präziser Spezifikationen und

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Eingespart oder schön gerechnet –

ist Offshoringwirklich billiger ?

03Auszug der Bedingungen, die chine-sische CAFOD-Partner bei ihrenUntersuchungen vorfanden. KeinWunder, dass Mexiko, bislang bevor-zugter Standort für vergleichsweiseanspruchslose Fertigung und Monta-ge internationaler IT-Firmen im direk-ten Vergleich unter Druck gerät. Ei-nes von vielen Beispielen der Schwä-chung von Arbeitsstandards in Mexi-ko ist die gängige Einstellungspraxis:Die Computerfirmen umgehen ar-beitsrechtliche Bestimmungen, indemsie die Montage an Dienstleister aus-lagern; diese wiederum entziehensich ihrer Verantwortung, indem sieihr Personal über lokale Agentureneinstellen, die sich um Bestimmun-

gen und soziale Aspekte wenig sche-ren. Eine ehemalige Recruiterin be-schreibt, wie sie unter anderem fürIBM Mitarbeiter aussuchte: „Was siebrauchen, sind Leute mit wenigSelbstwertgefühl oder Ehrgeiz [...]Fähigkeiten sind zweitrangig, amwichtigsten ist, dass jemand keinenÄrger macht.“ Psychologische Teststellen sicher, dass niemand mit zukreativen Eigenschaften durchkommt:Kandidaten mussten einen Baummalen. Wer einen Strich mit ein paarZweigen malte, hatte gute Chancen –wer einen Baum mit Wurzeln, farbi-gen Blättern oder Früchten malte,zeigte zuviel Vorstellungsvermögenund Ambitionen, um geeignet zu sein.

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Die Londoner Asset Management-Firma Isis warnt HighTech-Unternehmen vorProblemen, die mit zunehmender öffentlicher Aufmerksamkeit auf sie zukommenkönnten. Sie ist überzeugt, dass der Umgang von Unternehmen mit diesen poten-ziellen Risiken sich „fraglos auf ihre Performance und Zukunftsaussichten auswir-ken wird.“ Die Isis-Analyse beurteilte in einem Ranking elf Konzerne danach, wiesie Umweltfragen und Arbeitsbedingungen handhaben; an der Spitze platziertensich HP und Nokia, es folgen IBM und Dell, das Schlusslicht bildete Siemens. Einwesentlicher Grund für potenzielle Image-Schwierigkeiten ist die Tatsache, dass sichinternational operierende Konzerne bei Arbeitsbedingungen üblicherweise nach demjeweiligen lokalen Recht richten, das in Niedriglohnländern nicht nur deutlich hin-ter internationalen Standards zurück bleibt, sondern zudem auch häufig nicht kon-sequent durchgesetzt wird. Dazu passt eine Reportage der britischen FinancialTimes vom Januar 2004, nach der zunehmend Länder unter Druck geraten, diebisher als kostengünstige Standorte für Fertigung und Montage galten. Ein In-genieur aus einem Werk in Mexiko, das für IBM Server montiert: „Man sagt unsimmer, wenn wir die Werke in ausländischem Besitz halten wollen, müssen wirarbeiten wie die in China.“ Diese Einschätzung teilen Angestellte, die Gehäuse fürDell-Laptops produzieren: „Der Druck kommt von oben, und er ist sehr viel stärkerals früher.“ Im vergangen Jahr verdienten Arbeiter am Fließband durchschnittlichnoch 500 Pesos (knapp 36 Euro) pro Woche, jetzt ist der Lohn um rund zehn Pro-zent gesunken. Gleichzeitig entsteht ein Trend zu befristeten Verträgen; die Finan-cial Times befragte einen Techniker, der zu diesem Zeitpunkt seinen 21. Monats-vertrag hatte. Abfindungen, wenn es sie denn überhaupt gibt, basieren auf dem letz-ten Vertrag, nicht aber auf der Gesamtheit des Arbeitsverhältnisse.

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trienationen überhaupt nicht beste-hen, zum Beispiel politische Un-ruhen, Krieg, Epidemiewellen oderNaturereignisse. Diese Risiken geltenim Gegensatz zu den oben genann-ten Risikoprämien auch für Offsho-ring-Projekte, da sie sich auf eigeneUnternehmensteile ebenso auswirkenkönnen, wie auf die Auftragsnehmerbeim Outsourcing. Auch sie mussman beim Kalkulieren der Gesamt-kosten eines Projekts adäquat veran-schlagen, beispielsweise in Form ent-sprechender Versicherungen.

■ Verborgene Kosten... entstehen vor allem dadurch,

dass die kulturellen und sprachlichenProbleme in Projekten oft drastischunterschätzt werden. Die Unterneh-mensberatung Deloitte & Toucheweist in einer Studie darauf hin,dass in diesem Zusammenhang häu-fig Reibungsverluste entstehen, diewesentliche Auswirklungen auf dieKostenstruktur mit sich bringen.Nach US-Erfahrungen sinkt die Pro-duktivität der Entwicklung wegenmangelnder Berufserfahrung und kul-tureller Unterschiede in den erstenJahren nach der Verlagerung spürbar:Während ein Entwickler aus den USAoder Europa unsinnige Vorgabensofort reklamiert, tendieren Entwick-ler aus Indien oder China aus Zu-rückhaltung gegenüber dem Kundendazu, die Vorgaben nicht zu hinter-fragen. Darüber hinaus steigen dieohnehin hohen Transaktionskostendann dramatisch an, wenn sichabgeschlossene Spezifikationen ineinem Projekt nicht ohne großenRückfrage- und Kommunikationsbe-darf auf den eigenen Bedarf zu-schneiden lassen, sondern eine typi-sche individuelle Anwendungspro-

grammierung mit kontinuierlichemKommunikationsbedarf zum Kundenund ständiger Überarbeitung derSpezifikationen zu erstellen sind. DieMehrheit der von Deloitte & Toucheim Rahmen ihrer Studie befragtenUnternehmen sieht aus diesemGrund bei Anwendungsentwicklungendas durch Offshoring beziehungs-weise Outsourcing erreichbare Ein-sparpotenzial eher skeptisch. Wolf-gang Franklin, Vorstandsvorsitzenderdes CIO Forum und früherer Chef des„Gartner Executive Program“ schätztlaut „Computerwoche“, dass zu Be-ginn eines Offshore-Projekts „dieProduktivität erst einmal um 20 Pro-zent zurück“ geht. Er warnt eindring-lich vor Faktoren, die die verstecktenKosten eines Offshore-Projekts in dieHöhe treiben und laut „Erhebungenmehrerer Marktforscher auf 15 bis 57Prozent des gesamten Vertragswerts“ansteigen können.

■ Personalabbau- und Sozialplan-kosten

... schließlich entstehen dort, wodas jeweilige Unternehmen die zuverlagernden Aufgaben bis zumOffshoring erledigt hat. Der Abbauvon inländischen Arbeitsplätzen istteuer, da die Unternehmen bei Ent-lassungen immer dann den Beschäf-tigten Abfindungen zahlen müssen,wenn dies durch entsprechendeSozialpläne vereinbart ist. Für dieUSA schätzt „CIO“ allein für denPersonalabbau zusätzliche Kostenvon drei bis fünf Prozent der Ge-samtkosten; in Europa mit in derRegel strengerem Kündigungsschutzsind diese Kosten höher anzusetzen.

Eine korrekte Vollkostenrechnungunter Erfassung aller Faktoren istalso grundsätzlich unbedingt erfor-

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Schnittstellen-Beschreibungen, hinzukommen Tests und Qualitätssiche-rung. „CIO“ veranschlagt allein dafürbis zu 10 Prozent der Vertragssumme.

■ Transaktionskosten... für Auswahl des Auftragneh-

mers, Vertragsabschluss, Reisen,Telefonieren, Dolmetscher, Anwälteund Projektsteuerung sind nicht nurvergleichbar, sondern sogar drama-tisch höher als bei inländischenProjekten. Mitarbeiter des gewähltenDienstleisters müssen außerdem insLand kommen, geschult werden unddie eingesetzte Software kennen ler-nen. Das bedeutet doppelte Perso-nalkosten für einen längeren Zeit-raum, denn während die alte Mann-schaft die neue trainiert, müssen an-dere den laufenden Produktionsbe-trieb aufrecht erhalten.

■ Risikoprämien... müssen beim Outsourcing er-

heblich höher kalkuliert werden alsbei inländischen Projekten, wo manüblicherweise allein hierfür 30 Pro-zent der Auftragssumme ansetzt. Daim Fall von Problemen in Indien oderChina das Einklagen von Schadens-ersatz durch den Lieferanten prak-tisch unmöglich ist, addieren sichbetriebswirtschaftlich hier bei einerrealistischen Betrachtung viel höhereRisikoprämien zu den übrigen Pro-jektkosten. Nur sehr große Untern-ehmen können sich die so entste-henden enormen Anlaufkosten leistenund bis zu einem gewissen Gradedem Lieferantenrisiko entgehen.

■ Andere RisikenJe nach Zielland kommen Risiken

hinzu, die in den westlichen Indus-

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Deutschland

USA

Österreich

Großbritannien

Ungarn

Singapur

Israel

Argentinien

Brasilien

Slowakei

Rumänien

IndienSiemens-Arbeitskosten/Stundefür Software-Ingenieure 20016,80 €

9,20 €

13,00 €

15,50 €

21,70 €

24,80 €

26,90 €

28,90 €

30,40 €

41,90 €

52,10 €

56,50 €

Halbe Wahrheit:: Personalkosten machen nur einen Teil der Rechnung aus.

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nicht wie gewohnt bezahlt wurdenund wandten sich an den jeweiligendeutschen Empfänger. Dieser musstedie Anfrage jedoch nach Portugalweiterleiten, da er selbst mit demVorgang nichts zu tun hatte – dieErledigung zögerte sich weiter hin-

aus, Rückfragen waren nur per E-Mail möglich und wurden nichtzuverlässig beantwortet. Die Folgewaren verstimmte Lieferanten, be-schädigte Geschäftsbeziehungen undnegatives Image, obwohl das Ma-nagement bemüht war, möglichstwenig zu den Schwierigkeiten nachaußen dringen zu lassen.

Rückschläge musste gleichfalls derPersonal Computer-Gigant Dell beimVerlagern von Kunden-Services nachIndien hinnehmen, wenngleich dasUnternehmen strategische Konse-

quenzen daraus vehement ablehnt.Dell betreibt neben Entwicklungs-zentren in Indien auch einen Großteilseines gesamten Supports über indi-sche Call Center, und musste sich alsFolge im Sommer 2003 von der ame-rikanischen Technology Business Re-

search einen „klaren Rückgang derKundenzufriedenheit“ attestieren las-sen. Als massenweise Beschwerdenüber fehlerhafte Hilfe, Unerreichbar-keit und Sprachprobleme bis insWall Street Journal gelangten und fürUnruhe an der Börse zu sorgen droh-ten, zog Dell im November 2003 dieNotbremse und übertrug die Aufga-ben wieder an Niederlassungen inTexas, Idaho und Tennessee.

Die Liste fehlgeschlagener Projektelässt sich beliebig erweitern: SiemensBusiness Services bekam Probleme

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„Ziemlich riskant“: Infineon expandiert von Singapur bis Peking.

derlich, es reicht auch aus wirtschaft-licher Sicht nicht, sich auf vorder-gründige Lohn- und Lohnnebenkos-ten zu konzentrieren. Eine professio-nelle und seriöse Kalkulation allerbei einem Projekt anfallenden Kos-ten wird häufig zu dem Schluss füh-ren, dass eine Verlagerung keinenennenswerten Einsparungen ermög-licht.

Erste Erfahrungen

mit Offshoring:

negativ!

Ernüchternde Erfahrungen mit Off-shoring- beziehungsweise Outsour-cing-Projekten haben die erste Be-geisterung etlicher Unternehmenbereits deutlich gedämpft. Die dpasprach zu Jahresbeginn von der„Korrektur eines Trends“ und nannteals Beispiele einige große Namender deutschen Industrie, die, auf denBoden der Realität zurückgeholt,Outsourcing- beziehungsweise Off-shoring-Maßnahmen rückgängigmachen: VW entwickelt seine Soft-ware für die Autoelektronik künftigwieder selbst, GlaxoSmithKline orga-nisiert die Lagerung und Verteilungvon Impfseren im Haus, und Opelholt mit seiner Telefonzentrale sogareinen „klassischen“ Outsourcing-Be-reich zurück. Nach einer branchen-übergreifenden Erhebung der Ham-burger Consultance-Firma Putz &Partner holt mittlerweile ein Viertelder Betriebe ausgelagerte Bereichezurück. Nach Einschätzung von Vor-stand Michael Krüger haben viele zuschnell Kernkompetenzen abgegebenund sind damit in eine Abhängigkeitgeraten, die schnelle Reaktionen bei

Krisen oder Konjunkturschwankun-gen erschwert. Diese Einschätzungbestätigt eine Studie des FraunhoferInstituts, die feststellt, dass unzurei-chende Qualität oder höherer Koordi-nierungsaufwand die durch Outsour-cing anfänglich erzielten Einsparun-gen oft wieder ausgleichen. Und, soSteffen Kinkel, der Leiter der Studie:‚‚Ein größerer Anteil an Eigenleistun-gen und höhere Fertigungstiefen ver-schaffen der Firma Vorteile in Innova-tionskraft, Flexibilität und Ertrags-kraft.’’ In der „Computerwoche“äußern sich hochrangige IT-Manager,die aus verständlichen Gründen un-genannt bleiben wollen, von „furcht-baren Pleiten mit Offshore-Anbie-tern.“ Der CIO der Lufthansa CargoAG verwies auf grundsätzliche Er-folge beim Offshoring, vermisst aber„Feedback bei unsinnigen Vorgaben“und stellte fest, eine Qualitätssicher-ung durch die Programmierer erfolgeselbst dann nicht, wenn die Spezi-fikation offensichtliche Mängel ent-hält.

Auch Infineon hat bereits Erfahrun-gen damit, was beim Verlegen admi-nistrativer Arbeit vor allem in der An-fangsphase alles schief gehen kann.Als man im vergangenen Jahr dieBuchhaltung in Portugal zentralisier-te, ging für einige Monate erst ein-mal praktisch gar nichts mehr, weildie Kommunikation zwischen derZentrale und den deutschen Stand-orten nur mäßig bis miserabel funk-tionierte. Was betriebsintern „nur“für Ärger und Verzögerungen sorgte,wuchs sich beispielsweise in derZusammenarbeit mit Lieferanten zueinem ernsthaften Problem aus: Siewunderten sich nach erfolgten Lie-ferungen, warum ihre Rechnungen

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Wir haben keine Chance –

packen wir’s an!?!

Die Entwicklung nicht allein dem Wild-wuchs im Kapitalismus überlassen

Der dargestellte Trend der Verlage-rung von Arbeitsplätzen, gerade auchvon hochqualifizierter Arbeit aus denIndustrieländern in Niedriglohn-Län-der ist vermutlich nicht umkehrbar.Der Zusammenbruch des sozialisti-schen Lagers, die Globalisierung undHigh-Tech haben die Voraussetzun-gen dafür geschaffen. Jeder Arbeits-platz, der am Datenkabel hängt, kanntheoretisch verlagert werden. Die Kos-tenvergleiche sind schlagend. Es istkurzfristig auch nicht wahrscheinlich,dass es zu einer Angleichung desLohnniveaus kommt. Obwohl z.B.Portugal seit 1984 EU-Mitgliedslandist, liegen die Löhne immer noch bei25 Prozent des Niveaus in Deutsch-land. Der oft beschworene Marktregelt das nicht – jedenfalls nicht inden nächsten 20 Jahren.

Die gesellschaftlichen Folgen inden Industrieländern wie Deutsch-land sind noch gar nicht absehbar.Millionen von Arbeitnehmern sehen

sich plötzlich in ihrer Existenz be-droht, die Zukunft einer hochmoder-nen, hochindustrialisierten Gesell-schaft und die Zukunft künftigerGenerationen steht auf dem Spiel.Offensichtlich sind die Gewerkschaf-ten in ihrer klassischen Rolle alsTarifpartei mit diesem Problem über-fordert, und die Politik hat dasProblem bislang kaum erkannt.

Im Folgenden einige Forderungenund Vorschläge, wie die Beschäftig-ten, die Betriebsräte, die Gewerk-schaften und der Gesetzgeber han-deln können, um gegenüber diesemTrend der Verlagerung von Arbeits-plätzen aktionsfähig zu bleiben. DieGrundidee: Diese Entwicklung darfnicht wildwüchsig verlaufen, kannnicht den Entscheidungen der Kon-zernzentralen überlassen werden.Diese Entwicklung muss stattdessengesteuert, reguliert werden.

1. Wir fordern die Bundesregierungauf, die von der Internationalen Ar-beitsorganisation ILO definierten Kern-arbeitsnormen zum Bestandteil der wei-teren Verhandlungen über die Liberali-sierung des Welthandels (WTO- undGATS-Abkommen) zu machen. Wir for-

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Offshoring – ein unausweichlichesSchicksal?

04mit empörten Kundinnen, die sichbeim telefonischen Kontakt mitmännlichen Mitarbeitern aus einemCall Center in der Türkei mit kulturel-len Unterschieden in Form vonMacho-Gehabe herumschlagen mus-sten; Siemens VDO verlor im Rumä-nien reihenweise Facharbeiter, dienach ihrer Einarbeitung günstig voneinem Konkurrenten abgeworbenwurden; die indische Siemens-Toch-ter SISL schließlich kämpfte währenddes Internet-Hypes mit einer Perso-nalfluktuation von bis zu 60 Prozentim Jahr, weil IT-Spezialisten das unteranderem für Siemens MedizintechnikSoftware entwickelnde UnternehmenRichtung Kalifornien verließen.

Lesen Sie das

Kleingedruckte:

die weiteren Risiken

des Offshoring

„Das Hauptproblem ist der Schutzgeistigen Eigentums,“ zitiert die„Wirtschaftswoche“ den WestLB-Ana-lysten Karsten Iltgen, der Infineonsaggressive China-Strategie im selbenArtikel als „ziemlich riskant“ bewer-tet. Vorstandschef Ulrich Schumacherräumte auf eine entsprechende Nach-frage von Aktionärsvertretern bei derHauptversammlung 2004 ein, dieserPunkt sei „äußerst schwierig“ undmache neben den Chancen bei denOffshoring-Aktivitäten des Unter-nehmens eines der Risiken aus. Fürviele Wettbewerber von Infineon istdas Risiko Grund genug, beim En-gagement in China die jeweiligenTechnologieträger des Hauses auszu-klammern. Volker Müller vom Bun-

desverband Informationswirtschaft(BITKOM) fasste die Risiken beimExport von internem Know-how ge-genüber der Tagesschau so zusam-men: „Offshoring birgt eine Gefahrfür einen Hochtechnologiestandortwie Deutschland. Es muss darumgehen, die technologische Spitzen-position zu sichern und nicht alleintellektuell anspruchsvollen Tätig-keiten dorthin zu verlagern.“ DieFähigkeit zur längerfristigen Inno-vation geht auf Dauer verloren, wennin zu großem Umfang IT- und Inge-nieur-Know-how aus Deutschlandabgezogen wird – für die Zielländerliegt es auf der Hand, langfristig dieZwischenstufe der Unternehmen ausden Ursprungsländern zu umgehen,und statt dessen mit der erworbenenKompetenz unmittelbar selbst aufdem High-tech-Markt als Anbieteraufzutreten.

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Einflussnahme ist möglich!

Offshoring ist kein Schicksal, demBelegschaften, Betriebsräte, Auf-sichtsräte und IG Metall ohne jedenEinfluss ausgeliefert sind. Eine ganzeReihe von Instrumenten ermöglichtes ihnen, die Folgen des Trends fürdie betroffenen Arbeitnehmer mitzu-gestalten und abzufedern:

■ Interessenausgleich/Sozialpläne

Nach dem Betriebsverfassungs-gesetz sind so genannte „wesentli-che“ Betriebsänderungen von derUnternehmensleitung mit dem Be-triebsrat zu beraten. Und zwar sorechtzeitig und umfassend, dass dieBedenken und Vorschläge des Be-triebsrats noch berücksichtigt unddie Planungen entsprechend geän-dert werden können. Ohne Zweifelist die Verlagerung von Arbeits-plätzen nach „Offshore“ eine solchewesentliche Betriebesänderung, dieder zwingenden Mitbestimmungunterliegt.

■ Wirtschaftliche Mitbestimmung(Last Call Prinzip)

In Interessenausgleichen und So-zialplänen können nicht nur Abfin-dungen bei Arbeitsplatzverlust gere-gelt werden, sondern auch Maßnah-men, wie ein solcher Arbeitsplatz-verlust vermieden werden kann. Esist wichtig, dass der Betriebsrat früh-zeitig in die Projektplanung einbezo-gen wird, um Einfluss auf die beab-sichtigte Projektvergabe nehmen zukönnen. Eine wichtige Maßnahmedieser Art kann die Vereinbarung desso genannten „Last Call Prinzips“sein. Es bedeutet, dass vor dem

Beschluss über ein Offshoring-Projektder interne Bereich die Chanceerhält, ein eigenes Angebot abzuge-ben. Dabei sind die Kosten einesOffshoring-Projekts offenzulegen, undzwar einschließlich der diversen Zu-satzkosten wie Transaktionskosten,erhöhten Risikoprämien und so wei-ter, die für eine korrekte Vollkosten-rechnung in Betracht zu ziehen sind.Ist das Angebot des internen Be-reichs vergleichbar, erhält er den Zu-schlag – das Projekt wird nicht perOffshoring nach außen gegeben. Inden großen deutschen Automobil-firmen, wo „Global Sourcing“ schonseit mehr als einem Jahrzehnt betrie-ben wird, haben die Betriebsräte sol-che Vereinbarungen schon vor länge-rer Zeit abgeschlossen. Dadurch lie-ßen sich zahlreiche Projekte und Ar-beitsplätze im Unternehmen und inDeutschland halten.

■ Beschäftigungssicherungs-Verein-barungen

In Sozialplänen und Tarifverträgenkann der Ausschluss betriebsbeding-ter Kündigungen ausgeschlossenwerden. Zulässig sind dann nur einStellenabbau auf freiwilliger Basisund andere Maßnahmen wie Alters-teilzeit, Sabbaticals, mehr Angebotevon Teilzeitstellen und zeitweiligeArbeitszeitverkürzungen, wie zumBeispiel die 30-Stunden-Woche beiOpel, die vor kurzem vereinbartwurde.

■ Qualifizierung

In Sozialplänen und Tarifverträgenkann weiterhin ergänzend vereinbartwerden, dass Beschäftigte, derenArbeitsplatz wegzufallen droht, auf

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dern die Bundesregierung auf, in der EUauf entsprechende Gesetzesinitiativenhinzuwirken.

Die Einhaltung von Mindestnormenim Arbeitsleben spielt in den interna-tionalen Verhandlungen über Handel,Kapitalverkehr und über den Handelvon Dienstleistungen und Patentenderzeit keine Rolle. Die multinationa-len Konzerne wollen am liebstenschrankenlos die krassen weltweitenUnterschiede in den Löhnen und Ar-beitsbedingungen ausnutzen. DieVerlierer sind immer die Arbeitneh-merInnen in den IndustrieländernUND in den Schwellenländern und inder Dritten Welt. Bei aller internatio-nalen Vernetzung können die Ge-werkschaften das Sozialdumpingkaum unterbinden. Das geht nurdurch supranationale Vereinbarungen,die von den multinationalen Konzer-nen und von den Ländern, die dieseVereinbarungen unterzeichnet haben,eingehalten werden müssen. DasKapital selbst beweist: Zu seinemSchutze gibt es zahllose supranatio-nale Normen und Vereinbarungen.Warum kann es solche verbindlichenNormen nicht auch für dieArbeitsbedingungen geben?

2. Keine Entwicklungshilfe und keineBundes- und EU-Bürgschaften fürLänder und für Projekte, in denen dieILO-Kernarbeitsnormen nicht eingehal-ten werden.

Die staatlichen Mittel für Entwick-lungshilfe, für Exportbürgschaftenetc. dienen derzeit vor allem derWirtschaftsförderung. Es wäre ver-messen zu glauben, beim Export-weltmeister Deutschland eine totaleUmsteuerung durchzusetzen. Aberdie Vergabe dieser Mittel muss anAuflagen gebunden sein, die die

Rechte der Beschäftigten in den an-deren Ländern fördern und dadurchperverses Sozialdumping verhindern.Indien und China haben die ILO-Kernarbeitsnormen bislang zum Teilnicht unterschrieben. Und ob dieNormen, die schon unterschriebensind, in diesen Ländern eingehaltenwerden, ist eine andere Frage. DieBundesregierung und die EU unter-graben daher mit der Vergabe öffent-licher Mittel für die Indien- undChina-Geschäfte die Mindestnormenfür Arbeitsbedingungen weltweit.

3. Die EU muss ihre Förderkriterienändern. Mit dem von der EU gesponser-ten Stellentourismus, mit der „Stütze fürKonzerne“ muss Schluss sein!

Förderungswürdig sind nur solcheIndustrieansiedlungen, mit denenzum Beispiel in den neuen EU-Mit-gliedsstaaten und bei den EU-Bei-trittskandidaten neue Produktionenaufgebaut werden – nicht aber nureine Fertigungslinie oder eine Ent-wicklungsabteilung anderswo in derEU substituiert wird. Die Verlagerungvon Fertigung oder Entwicklung aus-schließlich unter (Lohn-) Kostenge-sichtspunkten ist eine rein betriebs-wirtschaftliche Entscheidung, für diekeine öffentlichen Mittel fließen dür-fen. Denn mit den EU-Mitteln für sol-che Projekte wird nicht Wachstumund Innovation in der EU gefördert.Volkswirtschaftlich ist das für die EUein Nullsummenspiel, die Verteilungvon „Sozialhilfe“ aus Steuermittelnan die Konzerne. Künftig muss des-halb jedes Unternehmen, das Förder-mittel beantragt, gegenüber der EUdie Auswirkungen der geplanten An-siedlung darlegen. Ein entsprechen-des Controlling unter Einbeziehungder Gewerkschaften ist aufzubauen.

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Page 16: Offshore - igmetall.de · Offshore TOTAL GLOBAL? EINE IG METALL PUBLIKATION Impressum: Herausgeber: Funktionsbereich Betriebspolitik und Unternehmensmitbestimmung beim Vorstand der

man jeder Gewerkschaft ein Inte-resse am Erhalt von Arbeitsplätzenim eigenen Land unterstellen kann.Ein möglicher Weg kann es sein, sichgemeinsam für die Angleichung derinternationalen Arbeitsstandards ein-zusetzen und so nicht nur die Migra-tion von Arbeitsplätzen überflüssigzu machen, sondern auch mehr Ge-rechtigkeit in den heutigen Ziellän-dern zu schaffen.

■ Streik gegen Offshoring?

... ist zulässig. Ein Streik darf sichnach Ansicht der Rechtsprechungzwar nicht gegen die Verlagerungs-entscheidung des Unternehmens alssolche richten. Nach einem Urteil desLandesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein ist es aber zulässig, Tarif-forderungen zur Regelung der Folgeneiner Verlagerung für die Beschäftig-ten aufzustellen und dafür zu strei-ken (LAG Schleswig-Holstein, Urteilvom 27. März 2003 – 5 Sa 137/03).Forderungen und Streik sind auchdann zulässig, wenn sie die Umset-zung der Unternehmerentscheidungerschweren. Die IG Metall hatte indiesem Präzedenzfall bei einemnorddeutschen High-tech-Unterneh-men einen Tarifvertrag über längereKündigungsfristen, Qualifizierungs-maßnahmen und Abfindungen gefor-dert. Als das Unternehmen Verhand-lungen ablehnte, rief die IG Metallzum Streik auf. Dagegen klagte dasUnternehmen und unterlag schließ-lich beim Landesarbeitsgericht.

Was kann ich

als Einzelner tun?

■ Unterstützen Sie Ihre Betriebsräte.Gehen Sie zu Betriebsversammlun-gen. Nehmen Sie an Betriebsrats-wahlen teil, oder helfen Sie mit,einen Betriebsrat zu gründen, wennes in Ihrem Betrieb noch keinen gibt.

■ Verfolgen Sie aufmerksam die Ent-wicklungen im Bereich und Ihrer Ab-teilung. Wenn Sie von einem Verkauf,der Suche nach einem Provider odereinem irgendwie gearteten Outsour-cing Ihrer Abteilung oder Ihres Teamserfahren: Informieren Sie Ihren Be-triebsrat oder die Gewerkschaft.

■ Wenn Sie von einer solchen Maß-nahme betroffen sind: InformierenSie sich beim Betriebsrat über IhreHandlungsalternativen, die ganz vonIhrer persönlichen Situation abhängigsein können. Nehmen Sie schnell-stens Kontakt mit einem Rechtsan-walt auf. Gewerkschaftsmitglieder be-kommen eine kostenlose Rechtsbe-ratung und die Gewerkschaft trägtauch die Rechtsschutzkosten.

Und: Werden Sie Mitglied der IG Metall !

Das Wichtigste: Werden Sie Mit-glied der IG Metall. Sie haben dannnicht nur einen konkreten Nutzen,etwa aus Rechtsschutz und Unter-stützung, sondern vor allem auchzusammen mit vielen anderen Be-schäftigten die Möglichkeit, auf dieSicherung der Arbeitsplätze in IhremUnternehmen Einfluss zu nehmen.

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Kosten des Unternehmens für solcheTätigkeiten qualifiziert werden, dieim Unternehmen weiterhin oder so-gar verstärkt gebraucht werden. Inder Informationstechnologie bietetes sich beispielsweise an, Program-mierer verstärkt für Projektmanage-ment, System-Architektur und ähnli-che Aufgaben zu qualifizieren, dienicht per Offshoring verlagert werdenkönnen.

■ Hürde Datenexport

Viele Experten weisen die Firmen,die Offshoring-Projekte erwägen, aufdie Hürde des Datenschutzes hin.

Der Export personenbezogenerKundendaten erfordert die Beach-tung des Bundesdatenschutzgesetzesund der EU-Richtlinie zum Daten-schutz. Die Speicherung und Verar-beitung personenbezogener Datenz.B. in Indien sind nach geltendemRecht derzeit nicht gestattet. Diepersonenbezogenen Daten müssengegebenen Falls anonymisiert wer-den, mit entsprechendem Mehrauf-wand.

Der Export personenbezogenerMitarbeiterdaten ins Ausland, insbe-sondere außerhalb der EU, unterliegtebenfalls weitergehend Einschrän-kungen. Hierüber hat der Betriebsratein Mitbestimmungsrecht, auf dessenGrundlage er die einschränkungsloseEinhaltung der gesetzlichen Daten-schutzvorgaben verlangen kann. DerBetriebsrat kann durchaus fordern,dass der Export von Mitarbeiterdatenz.B. an indische Auftragsunterneh-men unterbleibt. Es ist auch zuläs-sig, dass der Betriebsrat in Zusam-menhang mit Sozialplänen seine Zu-stimmung zum Export der Mitarbei-

terdaten verknüpft mit Regelungenzur Beschäftigungssicherung undQualifizierung.

■ Zielvereinbarungen mit Vorgabevon Offshoring-Anteil?

In einzelnen Unternehmen gibt esBestrebungen, das Erreichen einesbestimmten „Offshoring-Anteils“ indie Zielvereinbarung der Mitarbeiterzu verankern. Systeme zur Zielverein-barung, soweit sie nicht so genannte„Leitende Angestellte“ betreffen, un-terliegen allerdings dem Mitbestim-mungsrecht des Betriebsrats.

■ Überwachungsrechte des Betriebs-rats bei „Greencard Spezialisten“

Offshoring Projekte erfordern nachDarstellung der Experten erfahrungs-gemäß den Einsatz einzelner Mit-arbeiter zum Beispiel des indischenAuftragnehmers vor Ort beim Auf-traggeber in Deutschland. Überwie-gend werden diese Beschäftigten aufBasis der „Greencard-Regelung“ so-wie der Regelungen für Leiharbeit-nehmer eingesetzt. Der Betriebsrathat das Recht, zu überwachen, obdie gesetzlichen Vorschriften dabeieingehalten wurden. Gegebenenfallsbesteht darüber hinaus das weiterge-hende Recht der Mitbestimmung desBetriebsrats bezüglich Einstellungen.

■ Internationale Kooperation

Ein globaler Trend wie das Off-shoring erfordert auch eine interna-tionale Antwort. Auf grenzüberschrei-tende Zusammenarbeit der Gewerk-schaften zu setzen, ist also eineAufgabe für die nächsten Jahrzehnte– erschwert allerdings dadurch, dass

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