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Politische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters · 313-528, Diego Quaglioni, Il rardo...

Date post: 22-Jul-2020
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Helrnut G. Walther Aegidius Romanus und Jakob von Viterbo - oder: Was vermag Aristoteles, was Augustinus I nicht kann? Sonderdruck aus Politische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters I POL~CAL THOUGHT IN THE AGE OF SCHOLASTICISM I ESSAYS IN HONOUR OF JÜRGEN MIETHKE Herausgegeben von Martin Kaufhold Leiden, Boston 2804, g. 151-169
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Helrnut G. Walther

Aegidius Romanus und Jakob von Viterbo - oder: Was vermag Aristoteles, was Augustinus

I nicht kann?

Sonderdruck aus

Politische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters

I P O L ~ C A L THOUGHT IN THE AGE OF SCHOLASTICISM

I ESSAYS IN HONOUR OF JÜRGEN MIETHKE

Herausgegeben von Martin Kaufhold

Leiden, Boston 2804, g. 151-169

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AEGIDIUS ROMANLiS UND JAKOB VON VITERBO - ODER: WAS VERMAG AKIS'TOTELES, WAS AUGUSTINUS

NICHT KAiiN?*

Helmut G. Walthee*

Es ist unbestritten, daß im Mittelalter bestimmte politische Konflikte einen Schub an politischer Theoriebildung mit sich brachten, und sei es nur, daß das, was bislang von artistischen, theologischen und juristischen Universitätsgelehrten quasi ,'nebenbeiM zum ordentlichen Lehrbetrieb geäußert wurde, nun durch diese besonderen Umstände eine Piäzisierung und Zuspitzung erfuhr. Daß andereneitr der Pontifikat Bonifaz' VIII., insbesondere mit den zwei Phasen des offenen Konflikts mit König Philipp. IV. von Frankreich, sogar als ',eine Wende in der politischen Theorie" gelten kann, hat Jürgen Miethke bekannt- lich zum Ausgangspunkt seiner Monografie De poteslate pa@ gemacht.' Welche Rolle im Gesamtrahmen mittelalterlicher Politiktheorie dabei der Rezeption der ,Politik' des Aristoteles zukommt, ist freilich bis heute umstritten. Dies hängt nicht zuletzt mit den unterschiedlichen Wissenschaftssprachen zusammen, die die einzelnen; der Poliiikiheorie „zuliefernden" Disziplinen verwandten. Die Bcgnfffichkeit der Artisten und Theologen einerseits und der Juristen andererseits unterschied sich nicht nur durch die andersartige Provenienz der autoritativen antiken Texte, deren Exegese völlig andersartige Curricula fur diese sich als funcllltates in den unincrsitates bzw. studia generalia etablierenden Disziplinen hervorgebracht hatte. Hinzu kam von Anfang an der anders- artige soziale Kontext der Magister und Scholaren als des ,,Publikums" dieser Disziplinen, in deren Bewußtsein sich die Unterschiede der f m l - iates zum Kennzeichen zweier unterschiedlicher „Wissenschaftskulturcn"

* Ich greife mit dicscr Untersuchung auf Uberlegangen zurück, die ich in mei- nem Imperizier Könkliim, Konzilummius und Voik.,roimänitil. Sliidin, zu dm Cnmzcn des milicialIn1ihm Souueranil&&gtdan!em, München 1976, zuerst geäußert habc. U Inhaber des Lelintuhls f"r Mittclalterlichc Üescliichtc an der Friedrich-Schiller-

Uiiiversität Jena. ' Jürgen Miethke, Dc potciliiic popoc. L?ie päp~lli~hc AmtshmpcInz im IVidmrlrcii dci

polilüchcll 7hroG non Tnomm uon Agliin bü WiU~el>n z>nn Or/dnm (Spätmittelalter und Refomauon. N.R. 16), Tübingcn 2000; 57K

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auswuchsen. Die Jurisicii zeigten sich dcslialb, abgesehen von cini- gen prominenten Ausiiahmcn, konstant aristotelesresistent. Die Artisten und Theologen, die ihrerseits für bestimmte Probleme sehr wohl sub- sidiär auf das Kirchenrecht zu~ckgtiffen, benutzten diese Abstinenz der Juristen gegenüber dem mit seiner Autorität das gesamte Wissen- schaftssystcm stützenden philosophur, um diese dcswegen als nickstän- dig bis dumm, ja ihrc Disziplin unwissenschaftlich zu kennzeichnen; sahen sie damit doch ein willkommenes Argument, um gegen die Bevorzugung der Juristen bei der Steilenvergabe als gelehrte Räte und politische Entscheidungsfinder an den kirchlichen und wcltlichen Höfen zu protestieren.?

Beim Verhalten Papst Bonifaz' VIII. in den zahlreichen Konflikten, die seinen Pontifikat prägten, könnte der Eindruck entstehen, als ob CS dieser einer bislang wcnig bedeutcnden Adclsfamilie aus dem Patrimonium Petri entstammende Jnrist, ganz der Denkweise seiner Profession verpflichtet, von Anfang an auf Klärung strittigcr Rechts- und Machtfragen durch Konfliktzuspitzungen abgcsehen hätte: Von derjenigen über das Rücktrittsrecht des Papstes (an dem die Le@tirnität scines eigenen Amtes hing) bis zum Seelsorgerecht der Mendikanten und der Auslegung der paupcrtas mangelica bei den Franziskancrn, vor allem aber beim Verhältnis von päpstlicher und fürstlicher Amtsgewalt, das cr an den Konfliktfallen um das Königreich Sizilien, mit dem dänischen König, dem Wahl- und Approbationsrecht des römisch- deutschcn Königs und dem Streit zwischen dem englischen und fran- zösischcn König in seinen verschiedenen Aspekten gcradezu ausgelotet habe; schließlich dic zweimaligen Auseinandersetzungen mit Philipp

H ~ l m u t G. Wdther, Dic Macht der Gelehrsarnkcit. Cber die Meßbarkcir des Einflusses politischer Thconcn gelehrter Juristen des Späimitrcidters, in: Polilii-al ?hoqhl nnd ihc Rraliiics o/Powm in lh12 Middic A~t~/Politüci~s D& und dic Wrklichi&l dn Mmhl iin MilUlnlin, cd. byJoscph Canning/Orto Gerhard Oexle, Göitingen 1998, 241-267 (mir Literatur). Die untersc1iiedlichen „Sprachen" der miuclalterlichen Poliukrhcoretiker waren in letzrcr Zeit rnchilach Gegenstand von Betrachtungen. Vgl. Brian Tierney, Canon law and Church Instiiuiions in tlic larcr Middic Agcs, in: Ders., Rghts, Iaws ond Inißllibili& in Mcdimal 7liouzht ((Vaiiorum Caliecrcd Studies Seiics CS 578), Aidenhot 1981, Nr. V11 (zuerst 1976), hier bes. 51ff.; h i o n y ßiack, Polißcal Lanpages in Latcr Medieval Europe, in: 17ic Chuich and Soan+& C. 590.- 1918. ~ 5 s a ; l s in f?'onoi~i o/.Michncl Wih, cd. Diana Wood, London - i l e w York 1991, 313-528, Diego Quaglioni, Il rardo Mcdiocvo: confusione o pluraliti di linguaggi poliiici?, in: Il Pcmino polilii-o 26 (1993), 9-84; Roberto Larnbeitini. La diffisionc della „Politica" e la definizionc di un liiiguaggio politico aiistoreiici, in: @ a h i rfo~ nn 1i.s. 102 (1999), 677-70.1.

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IV. über das königliche Bestcuerungsrecht und den Gcriclitsstaiid der Bischöfe, die er bewußt ins Grundsätzliche gekehrt habc.

Die in diesen Konfliktfallen erlassenen Dekretalen wie auch der sorg- faltig mit einer Dreierkommissiou von Kanoiiisten unter erheblichem Eigenanteil des Papstes erarbeitetcn Dekretalensammlung dcs Liber Sextus bestärken diesen Eindruck, daß Bonifaz VIII. wohl zu stark auf die Konfliktlösungskompetenz durch gesetzgebensche Tätigkeit des Papstes vertraut und damit das politische Fiasko am Ende sei- nes Pontifikats herbeigeführt habc. Anders ist seine aufgebrachte Reaktion im Konsistorium am 24. Juni 1302 nicht zu verstehen, als cr empört darauf reagierte, daß der französische Hof seine Bulle Aurcu l ta f i zu L)mm time mit einem kanonistischen AMaßstäben wider- sprechenden päpstlichen Machtanspruch verkürzt und cntstcllt hatte:

auadrgou2in anni sunt guod noi sumu experti in iuie el i&u, puod duae Juni potcslaler n Deo?

Erst in diesem zweiten Konflikt mit Philipp IV. nach der Festnahme Bischof Bernard Saissets von Pamiers im Herbst 1301 kam es auch auf Seiten der päpsilichen Kurie und ihrer Parteigänger zu umfang- reicheren theoretischen Abhandlungen, die als Diskurs gewertet werden können, der der sorgfältigen Vorbereitung der päpstlichen Konstitution IJnam sanctnm von November 1302 dicnte und der die Legitimation der in der Bulle bezogenen politischen Positionen unan- greifbar machen so1ltc.l

Heinrich Finke, A u den Togni ß o n f ä VIIII Funde und Forschiiqcn, Munstcr 1902; Themas Shener Ross Boase, BonJo~c VIII, London 1933; Jean Rivifie, LF probGm dc i'Eg1ire e1 d~ 1'Efal an Icmps d i Philippc L ßcl. Eludc de l h i o i o , podiuc, (Spicilegium Sacnirn Lovaniense 8) Iauvain -- Paris 1926; Gcorges Digard, Pliili#~ L Bel C k Saint-Si& dc 1285 6 1304, 2 Bde., Paris 1936; Georges &C Bras, Bonifacc Vlli, s p - phonisie ei rnodkrateur, in: MCloqcr d'hisbiie du Moyni A p did2.r i ia mhoirc d~ Zauir I&7@/2m, Paris 1951, 383--394; Eugenio Dupre Theseider, Bonifacio VilI., in: Dqiono?io biogi@ico ilalinno 12 (1960), 170-183; Jean Favici, PIiil$pc 12 Bel, Pans 1978, 343-393;

Joscph R. Strayer, 7he $Pltiii/, liic Fair, Pnnceton 1980, 237-300. Das Zitai in Picrrc Dupuy, 5Ikbiic du d f n e n d d'mlrt ie pape Bonificc I/III rl Phiiippes k BEL iq dL Fionce, Paris 1655, 77; dazu Jamcs h4uldoon, Boiiifacc's Founy Ycais of Enperience in Law, in: 7le JUNI 31 (1971), 4 4 9 ~ 4 7 7 .

Eine Zusammenfassung der Ent\iicHung zdci i i bci Miethkc: D c p k b i c . 6 ~ 1 0 0 . ,Jüngst dagcgen Kar1 Ubl, Johanncs 0-uidorts Wcg zur Sozialphilosophic. in: Fron& 30/1 (2003), 43--72, der nun Jcan Quidorts Tiaktnt Dc iw'n /,oltslok 81 pnpali die Rolle der ,,Iiiitialzündung" der Ausweiiung dcs Konflikts auT papstiichcr Seite ins Griindsätzlidic zui*eisi (71). Vgl. auch Ubls h s f u h r u n ~ c n in diescrn Band.

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Der italienische A~~ist inercrcmit Jakob Capocci aus Viterbo galt in seincm Ordcn neben Aegidius Romauus als großc wissenschaftli- che Hoffnung. 1281 war er nach Pans zum Studium entsandt wor- den, 1293 dann unter dem im Vorjahr zum Ordensgeneral gewählten, dabei jedoch weiterhin in Pans residierenden Aegidus Romanus zum Doktor dcr Theologie promoviert worden. Jakob übernahm den Lehr- stuhl des Aegidius im neuen Studienhaus des Ordens in der Nähe des Pont Keuf bis 1299. Zeugnisse einer direkten Parteinahme im Streit um C&ü laicos sind weder von Aegidius, seit 1295 Erzbischof von Bourges, noch von dem damals in Paris lehrenden Jakob bekannt?

Nlcrdings sind die bereits auf 1293/94 zu datierenden crsten bei- den Pariscr Quodlibets dcs neuen Pariser Theologicmagistcrs Jakob höchst interessant für die Gcncse seiner politischen Anschauungen und haben deshalb auch in letztcr Zeit entsprechende Aufmerksamkeit in dcr Forschung gefunden. Jakob setzt sich hier mit den Argumenten auseinander, die dcr weltgeistliche Theologiemagister Gottfricd von Fontaines seinerseits schon nach 1290 in seinem 7 . Quodlibet zum Problem der Besteuerung der Bürger pro bann communilatLs durch den Herrscher vorgetragen hat t t6 Wie schon Gottfned von Fontaines

. . . .. -.

' Zur Biografie Jakobs von Vitcrho: David Gutierrez, De vita ct scnptis beati Jacobi dc Viterho (ca. 1255-1307j, in: Anoiccia Aquhniono 16 (1937), 216--381; Den., Dc Doctnna theologica beati Jacobi dc Viterbo, in: Analccia Aqzrliniann 16 (1938), 432-552; Ecicko Ypma, Recherches sur la cairifre scolaiie et 1% bibliotheque de Jacqucs de Viterhe 11308, in: Aqutiniana 24 (1974), 247--282; Den., Recherches sui la productiiit.5 littiraire de Jacqucs dc Viteibc jusqu'i 1300, in: Acggtininna 25 (19731, 223-282; Mictlike, DL> poicrlok, 102 mir Anm. 284 (Literatur) und jüngst Mattheiv S. KcmprhG, 7hc Common Gnod in hk M~dbnlpolilicol Lhoqhl, Oxford 1999, der erstmals Jakohs Außemngeii und Lehren systematisch in den Kreis der wich- tigsten sich poliiiktheorchsch um 1300 äui3erndcn Autoren aus dem Gelelirtenmilieu steilt. Vsl, jedoch schon Geoigcs de Lagarde, La naüroncc de l'cspTi1 hiiu aii diclin de M q m Agt IP SOCILZ~ i o d di b scoiar~w, I~uvaiin - Pair 1958. Zu den Hintewnden dci Publikation von C&L. inicos in Frankicich und der 1:ormierung des Widcntands im französischen Kicms Jo Ann McNarnara, Simon de Beaulicu and ,Clciicis Iaicos', in: Eadililio 25 (19691, 155-170; Charles Zuckcrman, Cardinai Simon de Beaulicu and the Relations becween Philipp the Fair and Boniface '4111, in: Trrodillio 31 (1975), 19.5--222; Den., The Endiag of French intcriciencc in rhe Pap+,financid system in 1297: a neglccted episode, in: lrilor 1 1 (1980), 261-288. Zur Uberlieferun~ des Tcxtes Leo Santifallcr, Zur Originaliiberiiefcmn,o der Builc Papst Bonilaz' VIII., Clencis laicos' von 1296, Fcbmar 23, in: (,'olirclonea Skphnn Iiiillnn I (= Sfudia Oaliono l l ) , 1967, 69-90.

Gottfried vori Foiitaines, Quodl. VII. 14, in: G o d f i d u dc fintibu. Q+odlibela V-WI: edd. Maunce dc Wulr et Jean HoFmaiins (1x5 philosophcs Helges 111), Louvain 1914, 3951 IPazu Kcmpshall, Common Caod, 249; de I.agarde, Ln naiirnnce, 161-213 (Vergleich zivisclicii Iicinricli von Gent r112931 und Gotifried): GottFricd q i R mit seincn späterrn Qoi.i l ib~tr I i uiid 13 dann indirekt mit scincii Erörterungen über

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AEGiDI<iS ROMANlJS UND JAKOB VOI: VITEKBO 155

sieht Jakob im Gcmcinwohl wie in der ulililns puiilica ausreichende Gründe für EinLgriffc der fürstlichen junSdic!zo bzw. neuer gesetzlicher Regelungen in bestehende Rechtsordnungen und läßt damit keinen Zweifel an der Legitimität eines Eingriffs des Papstes propter mognam utililatem ecclozae in das Besteuerungsrecht des weltlichen Herrschers. Gottfried hatte zuvor in seinem 7. Quodlibet die Bcstcuerungspolitik des französischen Königs mit dem bonum communilalir gerechtfertigt. Jakob rechtfertigt nun in seinem ersten Quodlibet die für ihn im Regclfall nur begrenzt zulässigen Eingriffsrechtc cincs weltlichen Herrschers in das Eigentum seiner Untertanen aus der Stellung des Königs, die er in der Tradition der Lehrc des Aquinaten bestimmt: Der König könne Abgaben nur pro ralwnalibu caicns erheben, denn er sei nicht d o m h u , sondern bloßer procuratur, tutor et düpeuator der Güter seines Reiches,' Eine Besteuerung der Kirchenguter durch den weltlichen Herrscher könne nicht etwa daraus rcsulticren, daß die Kirche ihre weltliche Herrschaft vom weltlichen Fürsten herleite. Vielmehr verhalte es sich letztlich umgekehrt, nämlich daß auch die weltliche Gewalt letztlich vom Papst herrühre:

sed est ob ipro, non in qumtum honzo esl, sed in quanlum 8m.t Dei pcrsorinm e! uzm.

Die Besteuerung weltlicher Güter der Kirchc durch die Fürsten könne von der Kirchc nur unter der Bedin-png zugelassen werden, daß damit Fax et quks in dcr mensclilichen Gemeinschaft gefördert würden. Insofern fördere auch die Kirche das weltliche bonum multil~dinis.~

den Gcliorram angesichts von ncccinios m l m2em iililiiar 16 publiac hzw. bonum conz- mune in die Auseinaiidersetzungen um Clcricü- loicocoi ein. Gottfried benutzte die AussageiiJakobs von Vitrrbo in seinen beidcn Quodlibets, um die 1290 von Kardinal Gactani so harsch untcrbundcne Diskiission um die päpstlichen Priuile5en dc i Mendikanten wieder auticbcn zu lassen. Erst 1300 uird Eonifaz VIII. mit seiner Konstitution Szpr c & d m diesen Schiagabmusch erneut unterhindcn. Die Kontrovene zwischen dem wcitgcistliclicn Theologigiemagister Gotifried und scincm Kollegen Jakob aus dcm Au~stinerercmitenordcn düdtc der I'ariser Universirätsöffentlichkcii auch nach 1300 wohl vcrtraut ccivescn sein. Dazu Kem~shall , Cornnion Good, ? + X , 256K; Ubl, Johaiiiics Quidoris;55.

J a k o b , @z,codlihei I. 17, Jacobi dc Vircibio OI5.S.A Dir/,ull,uia/io primn de @olibei, ed. Eelcko Ypma (Coipus Scriptorurn i\ugustinia~ioriim 1.1.; Roin 1968: 214; niin- lich auch am ßeispicl des Vcrjähion~rcchts Q~iodlibct 11.21. Jacobi de Viterbio O.E.S.A. Düpiiln~io icc>i~iiia dc czohba< cd. Eclcko Ypma (Corpus Scriptorum Au,psti- nianorum 1.2, Rom 1969, 220; claiu Kempsball, Conimon Gaoh 250L 272R

Jakob; @odlihtl 1. 17 (211:

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Jakob von Viterbo ging in der 17. Quaestio seines crsten Quodlibets bei seincr Beweisführung über die poteslar des Papstes also ins Grund- sätzliche, indem cr dem Papst aufgund des spiritualen Ursprungs aller Herrschaft auch cinc legitimierende Funktion und daher auch eine Verfügungsgewalt als Stellvertreter Gottes über die temporale potestas zusprach. Daraus war für ihn eine klare Hierarchie im Verhäimis von geistlicher und weltlicher Gewalt abzuleiten. Aus dem höheren Rang der geistlichen Gewalt ergibt sich für Jakob unter Rückgriff auf Hugo von St. Victor ihre Berechtigung, die weltliche Gewalt anzuleiten, ja zu richten, el inrtituere et idicare, letztlich gerechtfertigt aus dem höherrangigen Ziel der den Körper leitenden Seele. Daraus leitet Jakob aber auch ab, daß die spzrilualu poteclac die iunidictio h-

poraiis in einem höheren und prinzipielleren Sinne besitze als die Inhaber bloßer weltlicher Gewalten. Der Papst erhalte beide Gewaltcn direkt von Gott, so daß die weltlichen Herrscher letztiich nur durch Vermittlung des Papstes in den legitimen Besitz ihrer htsgewaltcn g~langten .~

Das Ergebnis einer derartigen, hauptsächlich auf Augustin und Hugo von St. Victor gestützten Beweisführung ist nicht allzuweit von den Anschauungen seines Lehrers Aegidius Romanus entfernt, die dieser während dcr zweiten Phase des Konfliktes von König und Papst in seinem wohl an der Kurie verfaßten Traktat De eccimlastica poktate entfaltete und die auch die ihgumentation der päpstliche Kon- stitution Unam sanctam prägtcn. Als Besonderheit ist heworzuheben, da8 Jakobs Behandlung dcs Problems in dcm Quodlibet aus dem Pariser Universitätsmilieu mit dem Traktat des Aegidius und dem Text der päpstlichen Konstitution ihre besondere .4rLpmentationsweisc verbindet: In U m sanciarn und in Jakobs Qaestio ist jede Bezugnahme auf Aristoteles bei der Bestimmung der Zwecksetzung irdischer Herrschaft sorgfältig vermieden.

Jakob von Viterbo enthält sich in seiner Quacstio trotz des stcten Bezugs auf das bonum multitudinlr als Zielsetzung der potesh saeculans uirlute naturae jedcr Bezugnahme auf die praktische Philosophie des Stagiriten und vermeidet jeden Rückc+ff auf dessen Ausführungen über die Entstehung von menschlichen Gemeinschaftsformen entspre- chend der anthropologischen Grundausstattung, wie ihn Thomas in De regnopraktiziert l~a t te . '~ Vielmehr benutzt er extensiv kanonisiische

' Jakoh, 'odlibcl I. 17 (210-212), dazu K<:mpshail, Common Good, 2i2f. '"akob, Qodiib~l I. 17 (210). Ebcnso in 11, 2 I hci der Aiisnchning der Geseii~cbung

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~ C C I D I U S KOM,WUS UID JAKOB VON \~ITEKBO 157

Belcgstellen, um das Bcmühcn dcr weltlichen und dcr geistlichcn polestates um das Gemeii~wohl zu bestimmen und voneinander abzu- grenzen."

Ganz anders verfulir Jakob, als er voii Neapel aus oKensichtlich noch vor der Fertigstellung von Unam sanctam im November 1302 in die neucn Auseinanderseizun~en mit dem französischen Königshof mit Hilfe eines eigenen Traktats eingiif. Schließlich warcn es wie- der Äußerungen des Papstes über den Umfang sciner phitudo pote- statk gewesen, die Bonifaz VIII. in Alircultajli gegenüber Philipp IV. u.a. zur Grundlage scincr Aufhebung des königlichen Besteuernngsrcchis des französischen Klerus gemacht Iiatte.'2

Jakobs Traktat De regimine chr&anoB3 unterschied sich zwar nicht im Ergebnis, doch in der Art seiner Beweisfuhmng deutlich von dem- jenigen scincs ehemaligen Ordensgenerals xzic Promotors und jctzi- Sen Repräsentanten der Augustinereremiten an der päpstiichen Kurie. Doch nicht zuletzt diese deutlich vernehmbaren unterschiedlichen &ente und Zwischentöne sind es, die zur Vorsicht gegenüber der Konstruktion einer geschlossenen „Augustinerschule" mahnen, auch wenn der bekannte Beschluß des Florentiner Generalkapitels voii Mai 1287 alle opiniono, podwne.i et .ceßtntias sm$iar et scribendas des Magisters Aegidius fur den Orden verpfiichtend machtc."

Jakob hatte in seinen letzten Jahren als Pariser Universitätslelirer sich entsprechend cincm Beschluß des Gcncralkapitcls von Sieiia

aiif das mmmzvc boonunz (220). Es blcibt deshalb unvcrständlicli, iiic Kempsliail das Quodlibet I. q. I7 ais Jakobs erstcn Versuch werten kann, „to iocate an Aristotclian life of xirtuc uithiii a hicrarcliy of ciids which is directed towards Gad" (Common Good, 273); zu Thomas unvollcndci gebliebenem Traktat De i p o und seincr enten Rezeption um 1300 jetzt zusammenfassend Miethkc, Dc poIrjlolt, 25-45.

" Das Quodlibet war deslialb besonders geeignet, von Jean Quidon, der sich in Du rqia poIrjlatL. $1 popali wcithin auch kaiionistischci Argumente bediente, bei der Auflistung gcgncrischei Aqpmente bcnutzt zu wcrdcn. Dazu jcrzt Ubi, Johannes 0-uidoits, 55C

Scholi, Lh P d h X CUT <d Phljppi da Scrhoim wid hnfar' V111 (Kirchcnrechuichc Abhandlungen 6-R), Stuttgart 1903, I If., Rivieie, Probiimc, 72K, Ubl. Jolianncs Qiiidorts, 50fT

l1 Henri-Xa\.icr hiquillii.re, LEI p l u nniicn hßili dc /'&lkc. Jncgucs de f iInbc, ße Re@minc chkfioni (1301-1302). I?tudc dcr soiiicri a idilion crifique, Pans 1926; James of Viterbo, On Chrüiien Gmmmml. 1)c w@m>ni Ciikliono, ed., trandated and introducted by Rohcri William Dyson, W o o d l ~ r i d ~ 1995 [künftig DRChr.].

' 4 Aucustincischule: Adolar Zumkeiler; Dic Augusrincrschulc des Mittcialicrs: Vcrtretcr und phi losophisc l i - ihcol~~~~he Lclirc (Ubcrsicht nach dcm heutigen Stand der Forschung;, in: Anaiccb Aiipii>iiann 27 (1964), 16i-262; dcrr., [Art.] Augustin- erschule, in: Z ~ d . o n drr Mi~icialim; Ziiut aus dcin B~schluß von 1287 bci Zumkeller, Aogustincrschule, 169f.

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158 IIELMUT G. WALTHER

1295 auf die Kommcntierung von Büchern des Neuen Testaments konzentriert, war dann 1300 vom Generalkapitel in Neapel als d&iior bestellt worden und wirkte zugleich als Leiter des str~diurn generalc des Ordens in der Hauptstadt des Repo. Am 3. September 1302 wurde er von Bonifaz VIII. zum Erzbischof von Bcnevent erhoben, dem drei Monate später auf Betreiben König Karis 11. von Anjon die 'l'ransferierung auf den Erzstuhl von Neapel folgte, als dessen Inhaber er 1308 starb.'j

Die Produktion des Traktats De re@mule chrirlinno durch Jakob wurde von der Forschung gern in Zusammenhang mit seiner Erhebung in den Erzbischofsrang gestellt. Doch kann die Sextandyse des Traktats keine eindeutigen Belege für Ubereinstimmungen im Argumentations- gang und im Wortlaut mit Unam sanctam erbringen, so daß daraus kein Anhaltspunkt dafür zu gewinnen ist, daß der Traktat Jakobs im Vorfeld der Textkonstitution von Unam sanctam auf M'unsch der Kurie geschrieben wurde oder als Dank für eine bereits in Aussicht gestellte Erhebung zum Erzbischof von Benevent im September 1302 verfaßt wurde. Jakob nennt sich in der Widmung nicht Erzbischof, so daß eine unterstützende Rechtfertigung der päpstlichen Konstitution als caua scnbendi schon aus zeitiichen Gründen ausscheidet. Er widmete seinen Traktat dem Papst in seiner doppelten Stellung als Bruder des AuLgustinereremitenordens und thologice fäcultatü proJessor.16 Da andererseits klare textliche Bezüge des Traktats zur päpstlichen Bulle Aucu l ta jh von Dezember 1301 existieren, dürfte nichts dage-n spre- chen, daß Jakob von Viterbo seinen Traktat nahezu gleichzeitig mit demjenigen des Aegidius Romanus im Vorfeld von Unam sanctam verfaßte."

Es bleibt bloße Spekulation, die wohl von bestimmten Vorstciiungen der persönlichen Beziehungen beider Ordensang-ehöriger und einer geschlossenen „Augustinerschule" ausgeht, daß Jakob beim Abfassen des eigenen Traktats bereits zumindest einen Entwurf von De eccle- s2arlica potestate des Aegidius vorliegen hatte, w:ie das zuletzt Rohert Dyson vor~chlug.'~ Wenn dies zuträfe, ergäbe sich anhand des Text-

'' Zur Biografie: Gutierrcz, De Beaii; Dyson, Jamcs of Viterbo, III-XXVII. Jakob, DRChr, Epistola dedicatona (cd. A~quiiliere~ 85).

" Dazu jetzt Dyson, James of Viterbo, XVI-XD(. '~orschungsstand seit Scholr, Pu>uiilizislik, Arquillitrc, Lc pliü ancim, und Ribiere,

Plobiime bei Dyxon, James of Viterllo, III-XVII, iMicihke, D c p o k U , 102B; Kempshall, Comrnon Good, 272ff.; Jakob im Besie ciner Enmurfsfassung von Dc eccirsiaifica polz- ria&: Dyson, Jarnes of Viterbo, XVIIC

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rrerglcichs der interessante Tatbestand, da8 die offenkundigen arsgu- mentativen Differenzen im Bcweisgang nicht von untcrschicdlichcn Beweiszielen der bcidcn Traktate herrührten. Dic argumentativen Differenzen spiegeln nicht nur die generelle Spannbreite auf der papalistischen Seite bci der Erörterung der Problematik De potestale papae, sondern auch die Spannbrcite innerhalb des Au_mistinereremi- tenordens, formuliert von dessen prominentesten intcllektucllen Vcr- tretern.'>

Gleich im Einsetzen beider Traktate macht sich eine unterscliicd- liehe Methode der beiden Autoren aus dem Augustinereremitenorden geltend. Acgidius geht vom Bild der beim jüngsten Gericht auf der rechten Seite Christi versammelten Gläubigen der Kirche aus, um daraus die im Glaubensbekenntnis der Kirche betonte Heilsnotwendig- keit der plendudo polestatis des summus pontlfew als Thema seiner Abhandlung entwickeln zu können. Aus der GeMialtenFüllc ergibt sich fir Aegidius zwingend eine StcUung des Papstes gegenüber der Kirche als spintualis homo, qui iudicat omnia et $se a n&e i ~ d u n . t ~ d % o zieht er im folgenden in den drei Büchern seines Traktats die Schluß- folgcrung, daß die dem Papst zukommende plenilldo potestalir auch deshalb vöUig einzigartig sei, da der oberste Bischof bezüglich seiner Arntskom-petenz lmitator Dei sei, der wie dieser

htam ecciesinm disponil in numooD pondm el mem7a. Ecciesw quidem est limmdn el mandala sunl obsmandq swe summus pont$x, qui k m 1 aapicm eccicie et qui pok l d i i ecciolß, a t timmdus et m mandßta sunl obsmanda, quza polcslai tius eil spiritiialis, cclestis ei dizina, el cst rine ponderc, n u m o et mmiira-2'

Jakob setzt dagegen gezielt mit der Frage ein, ob die Kirche, die eine Gemeinschaft der vielen Gläubigen darstelle, rectirsime, uerüsime et conuenloztzjsime als repum bezeiclinet werden könne." Natürlich ist auch diese Eingangsfrage vom Beweisziel des ganzcn Traktats geprägt, den notwendig monarchischen Charakter der päpstiichen Kirchen- berrschaft zu erweisen. Doch vermeidet Jakob es nicht nur, einfach, mit der Tür ins Haus zu fallen, sondern greift anders als Aegidius

'$ Dyson, Jarnes of Viieibo, XVlII (Unterschiede der bcidcn Traktate). " Aegidius Romanus, Di eccimios~ica pok ta ie künftig DEP], ed. Richard Scholz;

Weimar 1929, Rcpr. Adcn 1961, 1. 1 U. 2, p. 5f. Aegidius, DEP 111. 9 (194: irnitator Dei), 111. 12 (207E): Vgl. dazu Michael

M'ilk;., 7he Probkm o/ Sountig~>ig. 7hc papol Monordp iuilh Augwliniü T~umphiü md liii Publi&&, Carnbidgc? 1964, 15 ik183.

Jakob, DRClir 1. I (p. 89).

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160 HELMUT G. WALTHER

die im Gefolge dcr Rezeption der Aristotelischen ;Politzk' geführte Diskussion der Artisten und Theologen aus dem universitären Umfeld für seinen Argumentationsgang auf.23 Nicht unrichtig weist er in sei- nem Widmungsschreiben an den Papst also auf seine akademische Stellung als Theologieprofessor hin, während Aegidius zwar devot, aber deutlich auf seinen Status als Erzbischof von Bourges rekur- riert." Aegidius wollte in seinem Traktat offcnsichtlich bewußt keine gelehrte Debatte führen, vielmehr die Gegner als Ketzer brandmar- ken, wenn er die souveräne Steiiung des Papstes aufgrund seiner begrifflich als pleßitudo poteslalis umschriebene Amtsgewalt quasi lehr- amtlich ausfuhrlich beschrieb:

ipsa sumdo2alu potor2u est omnibirr supmioi, ut omnibus domimh~- +se itaque hporalia lamquam infima in hoc regimine, mnt «ih pcdihuj et sub dominio sumrni pont$cÜ conr~itu/n.~~

Es ist andererseits ein verständlicher Irrtum, daß angesichts des unter- schiedlichen Argumentationsgangs Jakobs, der nicht auf eine einfa- che Idcntifiziening von Papst und Kirche wie bei Aegidius hinauslief, der Editor des Traktats, Henn-Xavier Arquiiliere, aus dem Titel, den der Autor im Widmungsschreiben selbst angibt, in Jakob von Viterbo den Veriasser des ersten mittelalterlichen Kirchentraktates erkennen zu können glaubte.26 Zu deutlich schien sich die Bezugnahme auf Aristoteles und seine Lehre von den natürlichen Gemeinschafts- formen des Menschen von den übrigen Traktaten über die Amtsgewalt des Papstes abzuheben. Doch fuhrt eine solche Betrachtung in die Irre. Der Thomasschülcr Jean Quidort billig in seinem durchaus zutreffend betitelten Traktat De potesinte re+ et papali der Kirche einen wesentlich höheren Unabhängigkeitsgrad von der päpstlichen Amts- gewalt zu als Jakob. Der französische Dominikaner faßt in ihm die

23 Dazu schon Walther. Impniahx Kön@lxm, 142-146. 2'Jakob, URChr. Ep. (85) im Vgl. zu Aegidius, DEP (2). Für Aegidius kommt

noch der Konflikt mit seinem Kolieeen in Bordeaux um den Rang des Primas von Aouitanien zii. den sich dcr ~ i i i o ; hier ausdnickiicli zuerkennt."Auf dic fui die ~~ ~~

Methode scincs Traktares üblichen akademischen Diskursformcn verweistJakab aus- dnicWich auch in II,iO, ais cr sich mit gegenteiligen Meinungen über die päps&- che ploiiludo poliitatü auseinnndcrscizen will und dic von Ausführungen in der ,Metaphysik' des hnstoteles inspirierten menschlichen Z\\,eifei (1. 2, 983a) als Kern Misreiischafdicher Wahrheitssuche bezeichnet (279). '' hecidius, DEI' 11, 4 (p. 53).

Arqiiiilierc in DRChr, 10, 21f.

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h5:GiDIU.S KOiMA%;liS JAKOB VON VITFKBO 161

Kirchc stets als congregatio Jidelzum, während Jakob sofort mit iiircr Charakterisierung als rcgnurn b~ginnt .~ '

Gleich im ersten Kapitel seines Traktats hemüht Jakob auch zum erstenmal die ,Politik' des Stagiiiten, die er --- wie auch den p h i h - phxi überhaupt - in seinem Traktat nur ganz spärlich direkt zitiert.28 Im ganzen finden sich hci Acgidius in De eccbsiartica polestak dreißig Bemfungen auf verschiedene Werke des Aristoteles, freilich auf des- sen ,Politik' jedoch nur drei, während bei Jakob aristotelisiercndes Argumentieren geradc an den Schlüsselstellen seiner Beweisfühmng zu beobachten ist. Zumeist verbirgt sich dic Auto~tä t des Stagiritcn bei ihm aber hinter Übernahmen der Gedankenfuhning des Aquinatcn in dessen Summa Iheolo@ und in De regno. Doch auch diesen Gewahrs- mann verschweig Jakob und nennt dafur wenig später nur die in seinen Argumentationsgang explizit als Autoritäten cingefugten Kirchen- väter Augustin, Isidor und Dionysios Are~pagita. '~

Jakob verrät durch seine Art der Einbeziehung des Aristotelcs dabei recht gut, in welcher Weise die Rezeption der Werke des Stagi- riten auch die Argumentationsweise der Magister aus dem Augusti- nererernitenorden veränderte. Selbst wenn Jakob meint, Augustinns selbst als unbezweifelbare Autorität anführen zu müssen, liest er inzwischen die Ausfubmn~en des Kirchenvaters mit dcr Brillc dcs Arjstoteiikers. Um den Charak.er der Kirchc als Regnum zu enveisen, bemüht Jakob deshalb cine Typologie der menschlichen Gemeinschah- formen, die er dem 19. Buch von Aupstins De c&,i&Dei entnimmt.'o Der Kirchenvater zitierte dort mit domus, ciuitas und regnum die antike Einteilung der Gesellungsformcn, ohne freilich dann selbst teleologi- sche Üherlcpngen über die Vervollkommnung der menschlichen Gemeinschaften anzustellen, wie das Aristoteles in dcr ,Politik' tut.

Zu Jean Quidorts KirchenbcpfI Wallher, lmpaiahi KOnezrn, 147-155; Micthkc, De PoLCSfolr, 124E Janet Colcman, Thc inteilectual milieu ofJohn of Paris O.P., in: Jürgen Miethke (Hg.), Du PxbW;urn poiiliichm Iheorin, im 14. j'ohrhunderl (Schnftcn des Hitonschen Kollegs, KoUoquicn 21), München 1992, 1735207 [mit Fnihdatierung auf 1297 und die Kontroverse z\iischcn Franziskanerii und Dominikanern im Korrcktorienstreit]; Kai1 Uhl/Lars Vinx, Arbeit und Eigcnmni bci Johannes Qidort von Paris, in: Chnstoph Eggcr/Hemig Weigl (Hgg.), Text - Sciinfl - Coda. Quclim- kizndiiine A r b i b our d m I d l Er ~ i l o re i ch i i ch Gc~~iiidi&,i-, Wien - h'iünchen 2000, 303-344.

in 1. l (,Polibk'). 91 U. 11. 10 (,r!4clap&yX), 279. 2* Leider verzichtet Ilyson in seinci annotiertcn englischen Übersetzung auf cin

Register fur cincn ansonsreri gcgcnübci Aiquillitrc \ierbesscrten Stelicnnachweis. 'Vi\upnistinus, Dc civitaic Dei X1X.i. 13 (CC 4n2 p. 671 U. 679).

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Diese aristotelische Tclcologie liest Jakob aber ganz selbstxerständ- Iich in Augustins Ausführungen hincin und bekräftigt diese aus der Exegese von ,Okonomik' und ,Politik' gewonnene Vorstellung mit Zitaten Isidors zur Hausherrschaft, zur civitas und zum monarchisch regier- ten ~ e ~ n i i m . ~ ' Im folgenden kann cr diese durch die göttliche prouiden- tia für die Menschen vorgesehene triplex communitar aus der Thcorie in den Geschichtsverlauf überfuhren, indem er diese drei Formen mit Aristoteles aus dcr naturalis inclinatio hominum nacheinander ent- stehen laBt. Wieder ist Aristoteles der Theonelieferant fur den Verlauf der Profangeschichte, da er in seiner ,Politik' den Menschen als von Natur aus zum animal so&le erklärt hat, das notwendig in Gemein- schaftcn leben müssc. Damit wird zugleich der menschliche Drang nach Vcrvollkommung der Gcmeinschaftsformen eingeführt und die Königsherrschaft als vollkommenste politische Gemeinschaft auf Erden vorgestellt." Das größtc Regnum steile dasjenige Christi dar, weil die Kirche eine große Menge von Menschen umfasse, ex diuersirpopu- l ü et nationibur collectn et tolo orbe terramm d f i a el dilatata; weil dieses kirchliche Regnum auf alles ausgerichtet sei, was zum Heil und zum geistlichen Leben der Menschen nötig sei, und weil es zum Gemeinwohl aller Menschen eingerichtet sei.33

Für den Rest des ersten Teils seines Traktates benötigt Jakob Aristoteles nun nicht mehr. Hat er erst einmal mit dem Staginten nachgewiesen, daß das Regnum die voiikommenste Gemeinschaftsform dcs Mcnschcn sei, die seine Bedürfnisse am vollkommensten erfül- Icn kann, und hat er sodann nachgewiesen, daß die Kirchc den ent- sprechenden Anforderungen an ein Regnum entspricht, dann benötigt er dcn Rückgriff auf die eingangs bcmühte naturalis inclinatio des Menschen nicht mehr, um die Details der Struktur der Kirche als reg~um zu erörtern. Ilierfur genügen ihm Augustin und die Kirchen- väter. Denn nun kann er zeigcn, daß dic Kriterien der Einheit, Heilig- keit, Katholizität und Apostolizität der Kirche, wie sie das Konstanhno- politanische Glaubensbekenninis formulierte, in idealer Form nur durch eine monarchische Struktur erfullt werden k ~ n n e n . ~ '

3 1 Jakob, DRChr. I. I (89fd. Jakob, DRChr. I. 1 (910: Hemm diom mmmzni/alum ilh, gw impe@clwr csi; p~78

es1 pnjciioiu cl coniinrlur ab 2110, ul d o ~ n t s eil pors &ilnlü el riuilas crl pair r p t eI quia boniim parhi wl propln bonum b l iu> idco >m/>+chnr oidinotui arip@<liornn sicul o d f i m z . (92). '' lakob. DRChr I. i 195.1.

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AEGIDIUS KOMWS UND JAKOB VOK VITERUO 163

Doch auch im zweiten Buch des Traktates bcsirzt der RückL+ff Jakobs auf Aristotelcs durchaus eine Schlüsselstellung im Bewcisgang. Bei der Anwendung der Repum-Konzeption auf dic institutionell verfaßte irdische Kirche sieht Jakob durchaus eine Schwierigkeit, Petrus und seinen Nachfolgern das volle Königsamt zuzusprechen, da ihnen die Christus eignende göttlichmenschliche Doppelnatur abgeht.3'

Jakob bemüht sich zunächst um die Freilegung der in den Menschen als Geschöpfen Gottes liegenden Möglichkeiten der Ubermittlung von Herrschaft. Entscheidendc Differenz stellt für ihn zunächst der Grad an ratwnabilitar dar: Entsprechend unterscheiden sich die Herrschafts- formen.36 Sodann wcrden speziell für den Bereich des Sacerdotiums zwei normale Formen der gubmatio Chniti wirksam, die p o k t & mini- steTii und die p o h h a regalis (während die Wunderkraft nur in Ausnah- mefden Menschen zugeteilt wird). Innerhalb der Sphäre der spiritmiiß nimmt er dic übliche Unterscheidung von potesta ordinis und poteslas

junidictionis vor. Entere mache den Kern des Priesteramtes aus, wäli- rend die Hierarchie dcr Arntsgewalten in der Kirche sich als polesta

junidiclionis von der poles& regaIis herleite, über die Christus dank sei- ner Doppelnatur ebenfalls verfugte. Indem Jakob die Geschichte des Priestertums durch die drei Phasen der Heilsgeschichte verfolgt, unter- scheidet er natürliches und unvollkommenes Priestertum ex humna institutwne von Priestertum ex dwina institutione. Doch muß auch hier zwischen einem noch unvollkommenen sacerdotium legale des Moses und dem durch Christus eingerichteten vollkommenen der Gnade unterschieden werden." Das Ziel der bestmöglichen Verwirkiichung der jutitia auf Erden erfordert nach Jakob eine Einbeziehung der potcxta regalPS in ihrer nichtweltlich verstandenen direkten Einsetzung

DRChr. 11. 1 ßinkir o u h Chriiliü esse ru, non ro$m r p i ccierhi ct c h i ied eetim ~ n p o r o l ü et tenmi, quia cektm Nnul ct (enma d ü p m t d uidiat. IZIL t z t g iadk qui exil er orc &VA ex urrngw parre mru. Unu mim &diu z o crl iiir TC& pokrloj, qut lamm duar Paria habet, prqptm errgimen ceiertium ei tnrwti?uni. (162). Kap. 2 und 3 bcmühcn sich dann um die Ubemittlung zunächst der C i i i ~ t i po tmh , sodann der Chiiili pok- rier auf die irdischen Vcrhäitnissc.

Z6 DRChr. 11. 2 Unde faEr er1 piibmnho, que ronumit rßiionabilibiü sciundum guod mlio- nabilio mnt, ut sniicct groprn ipiomm bonum piibmmtar Qui o u h prmnl aiiguibiü, non b o n m ~b1L.clonun red p p n l i m <ommodum indcndmllc: a u m ~ ~ b m a l i o n ü rnliom dqmnont, que coniimit iolionßbilibiis neniurii. &i mim & ,gzhemanlur non ~cyi>itur l i bm red edmililn ct qvari ad modum irrahonnhilium dururikii Prol>tm guod k l i l n dominankr non ~cgci icd pionni uoconlur (166). Jaliob paraphraiicrr hier weitgelicnd Thomas in De r e p o 1.1

DRChr. 11. 3 (17:l).

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durch Gott. Auf diesc Weisc entsteht in dcr Kirche eine auch dic poteskr /emporalG cinbcziehende juiurLrdiclio der Kirchc und damit des Papstes als ihres monarchischen Leiters.l8

Scine cntschcidcndcn Argumente zieht Jakob hierfür aus Aristotcles in der inzwischen erfolgten Verarbeitung als Naturrechtslehre des Aquinaten. Olme seine Bezugnahme zu nenncn, benutzt Jakob exten- siv vor allem die Prima Secundae dcr Summa nieologiae und De regno des i'homas. Im Naturrechtszustand sei die politische Ordnung durch menschliches Recht aufgrund der inclinalio naturalu des Menschen zur Gemeinschaft entstanden. In gleicher Weise sei auch ein Priestertum auf naturrechtiicher Grundlage geschaffen worden. Freilich habe Gott später durch die spirituellen Offenbarungen diescs Pricstcrtum ver- äiidcrt. Doch wie auch Thomas sieht Jakob das natürliche Priestertum durch das Evangelium nicht zerstört, sondern nur veiu-ollkommnet und in seiner Form verändert: quia gratia non tollil naluram redJÖmat et perji~il.~"

Die von Thomas unverändert aus der Summa theologim übernom- mene heilsgeschichtliche Gliederung der Geschichte in die drei Perioden der iex nalurae an& leb.@ scriptae, der lex Mosaica und schließlich sub Fa - tia benutzt Jakob als Entwicklungscliema für die poleslas regia: So gelte eben für die spätercn Perioden, daß auch die polestos r e g durch gött- liche Einrichtung erfolgte bzru. in der Periode sub gratis auf göttliches Recht zurückgehe. Im ersteren Fall könnc vermittels dcr menschli- chen Natur nur eine poleslas für eine Regierung zeitlicher und irdi- scher Dinse entstehen, die deswegen auch lerrena et temporalU- uel saecula~G heiße. Wenn Gott aber auf besondere Weise eingreife und Amtsgewalten schaffe, dann seien dicse göttlichc und übernatürliche königliche Gewalten, die sich auf die Regierung der geistlichen und himmlischen Dinge riclitcn, spiritucli und himmlisch zu nennen.''

Mit dcr von Tliomas vorgenommenen Ausrichtung der inclinatio naluralu des Menschen auf Veivollkommnung und ihrer teicologischen Einbcttung in eincn heilsgeschichtlichcn Prozeß, der zumindest zwei-

'' DRChr. 11. 4-9. '* DRChr. 11, 3 (173K). Dcutlich die Anleihe aus Thornas' Ile regno I. 1: De 7 p o

rliom sm i c ~ l a poiesfolc dkhnguendi~m er1 Q~oddnm mim rl u hiimnno imlilulianr naluro k l i - nonk od hoq nnm cl in bmlb oliquibic guc giecoiia m 1 ci i o h i i a cx vülimlü noluic ~ " D E - nilui qiloddam icgimm. A4ullo m a r j @iui in hominibic, qaibii~ nalilraie es1 in sobtßk u i e t m a r j quom ciiilibel onimoli nnlurolir inclinolio crl nd inrlil2ilionon i p ' m i n k l liiaiiimodi regi- m m dicilur ci.s<: n iiirc liii?nona, qmd n nnluro onlu (177).

'Io DRClir. I 1 3 (p. 177).

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hEGIDIUS ROMk\VS LXE JAKOB VOS ViTERRO 165

mal durch göttliches Eingeifen diescn Vervollkommnungsproz~ stcu- ert, wird wie in der Zweigewaltendiskussion des Aquinaten in De re<po zugleich die Wertehierarchie zwischen splrilualia und temporalia eingeführt. Aegidius Romanus hatte in De eccleslrütica potstate dafür wiederholt argumcntativ die Verbindung zur augustinischen Lehre genutzt, dal3 ohnej~utdin Staatswesen nichts anderes als Räuberbanden seien."

Jakob distanziert sich implizit von dieser grundsätzlichen Abwertung, die sein Ordenslehrer Aegidius bezüglich aller weltlichen Herrschaft vorgenommen hatte, bei der noch nicht die lex dwina deren Rechtsord- nung verändert hatte?? Schon im 1. Buch glaubt Jakob gerade am Faktum, daß Gottes provdentia den Messias in das regnum Romanolum tempore A w t i C m * sandte, zeigen zu können, dal? bereits das Reich der Römer noch im heidnischen Zustand alle zehn Kriterien eines ruhmreichen (so überseizt er orthodoxum) Regnum erfüllte, auch die- jenigen derjulitia, bonifu, Fax et qules. Auch hier muRte Gottes Gnade die Natur nur vervollkommnen, nicht aber aufheben, um aus dem weltlichen römischen Reich ein regnum ecclesiarticum zu machen.i3

Skepsis gegenüber dem Perfektibilitätsgad irdischer Lösungen aus bloßer menschlicher Vernunft und Wissenschaft wird von Jakob mit Aupstin charakteristischerweise zwar an den Beginn des 3. Kapitels des 2. Buchs gestellt, wo es um den Prozeß der heilsgeschichtlichen Vervoiikommnung gcht. Gleichwohl wird mit der Übernahme des Deu- tungsschemas des Aquinaten von einer dreistufigen Perfektionierung der irdischen Verhältnisse diese augustinische Skepsis gegenüber irdi- schen Institutionen zumindest bezüglich eines totalen Gültigkeitsan- spruchs wieder relativiert. Dieser heilsgeschichtliche Filter des Thomas wirkt freilich seinerseits relativierend gegenüber dem aristotelischen Bild des Menschen als wzlmal rationale et politicum, indem die nur durch inclinatio naturalZr und Saturrecht legitimierte juslilia der weltlichcn potestas regalis in ihrem Rang deutlich zurückgestuft wird gegenüber der um höherer Zwecke zu späterer Zeit durch Gottcs direktes Einwirken geschaffenen potestar regalis spirilualis.

Die aristotelische uirtu-Lehre wird von Jakob nnn deutlicher als in seinen Pariser Quodlibets dazu benutzt, der julnudutio aus spiritualer

'' DEP I. 5 (1'. 15), 11. 7 (73E), 111. ! (149), 111. 2 (154, ISS), 111. I0 (198).Vorlage bci Augusrin DI Ciuihfc D& IV. 4 (Corpus Christianrirurn 18). Dazu Micthke, Dc polotalc, 99.

42 DEP 11. 9 U. 11. I I " DRCIir. 1. 2 (102).

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Königsgewalt nicht nur cinen höheren Rang, sondern konkrete Ein- qiffsrcchic in die poteslar re&a t q o r n l ü zuzubilligen."' Es ist also nur konsequent, wenn Jakob zu Be,@ seiner Erörterungen über die Folgen der höheren Zwecke der vom Papst ausgeübten und über Petrus von Christus ererbten spirituellen königlichen Gewalt erst einmal histo- risch Rückschau hält. Damit will er zeigen, daß der Doppelcharakter des Königums Christi schon zuvor zumindcst zeitweise und quasi typologisch (&ratiue) auf den frühen Enmicklungsstufen ante legem scripinm und sub hge verwirklicht war. Mit dieser Art von historischem Beweis für die Zeit der lex naturne durch Melchisedek als rex et sacer- das und zur Zeit des Mosaischen Gesetzes durch Samuel als simul .racerdos et iudex will Jakob offensichtlich zugleich den Parteigängern Philipps des Schönen das Wasser abgraben, die damit argumentier- ten, daß CS das Königtum schon früher als das Priestertum gab.'5

Die mcuiodischen Unterschiede im Arggentahonsgang der Traktate beider Augustinercremiten erweisen sich damit doch als so erheb- lich, daß sich die Frage stellt, ob sie nur in der Individualität der Autoren begründet liegen. Gerade wenn man davon ausgehen darf, daß beide Traktate nahezu zur glcichen Zeit entstanden, kann man in ihnen konkurrierende Entwürfe für eine Theorie päpstlicher plm- titudo potestatü sehen. Auf die Formulierungen in Unam sancinm durch Bonifaz VIII. hat freilich nur Aegidius Romanus direkt eingewirkt. Hierfür besaß der damals an der Kurie wirkende Enbischof von Bourges die größeren Chancen, da cr seit 1290 enge persönliche Beziehungen zu Benedikt Gaetani unterhielt. Die von Concetta Luna 1992 als Vorform seines Traktats identifizierte und edierte Predigt De pomha damini papne bestärkt diese V e i m u t ~ n g . ~ Jürgen Miethkc hat zudem auf die unterschiedliche handschriftliche Überlieferungs- Situation und Wirkungsgeschichte beider Traktatc aufmerksam gemacht!'

Dies alles scheint trotz der identischen Widmung beidcr Traktate an Papst Bonifaz VIII. auf ein von den Autoren unterschiedlich gedachtes Publikum zu vei~veisen. Für Aegidius Romanus ist die calüa

"" DRChr. 11. 7 (230f.). Dazu KernpshaU, Cornmon Goad, 273K " DRChr. 11. 7: PoIcsta u m hporni ir ciiam nnie k m dniorn &isst le,,iur, gunrnvir

dici pociil guod rccimdurn peijciorn imliIurionm2 chom irgm rub.cegutur onn~eiicam (p. 229). " Concetra Luna, Un niiovo docurnento del confiiao Fra Bonifacio V111 e Filippo

ii Reilo: il discono „D= porentia dornini papc" di E@dio Rornano, in: D o m m t i c iiudi ru/lo IradirioncJ/oioi;ca rnidimnlc 3 (1992). 167-239.

" bliethkc, Dc yolainle, 96, IW.

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AEGIDIUS ROMhiXLiS UiYO JAKOB \'ON VITERBO 167

j n a h seiner Arbeit mit dcm Erlaß von Unam sanctam recht eindeu- tig. Aegidius produzierte sowohl mit seiner Ausprache De polentia domini papae, als auch mit seinem Traktat durchaus willkommene knri- ale Argumentationshilfc, die mit seiner Kommentierung von Unam s m f a n gewissermaßen ilii-eil Abschluß fand. Dieser Kommentar rnirde nach den textuellcn Indizien von Aegidius noch zu Lebzeiten des Papstes, also sicher vor Oktober 1303, beendet und gait bald als Standardkommentar der in Dekretalenform nur in der Sammlung der Extrauryßnterr commues (1.8.1) überlieferten Konstitution Bonifaz' VIII. Er lief aber bald unter dem Namen des als Kanonist berühm- ten französischen Kardinals Johannes Monachus und verdrängte des- sen eigene echte Glo~se. '~

Jakob venvcist nicht zuleizt durch die Betonung des Wissenschafts- charakters seines Traktats durch Auseinandersetzung mit Gegen- argumenten selbst auf den von ihm gewünschten Adressatenkrcis. Wir dürfen vcrsuchen, den ,,Sitz im Leben" seines Werkes noch etwas genaner zu bestimmen. Da Jakob beim gleichen Beweisziel im Unterschied zu Aegidius bewußt die aristotelische Soziallehre in seine Argumentation einbezieht, muß er wohl den Verzicht seines Ordens- lehrers auf eine solche Argumentation unangebracht empfunden haben. Jedenfalls legen seine Selbstcharakterisierung als Theologielehrer und einige Bemerkungen im Traktat selbst es nahe, daß er einen solchen Verzicht auf hnstoteles als nicht mehr den wissenschaftli- chen Standards der Artisten und Theologen an den studia gmealia für angemessen erachtet hat. Die hnstoteles-Rezeption war inzwi- schen auch im Bereich der Sozialphilosophie so weit vorangeschritten, daß es fur einen in politische Kontroversen eingreifenden Theologen eines Studiums problematisch erscheinen konnte, sich neben der Bibel allein autoritativ auf Angustin und andere Kirchenväter zu berufen, allerhöchstens kanonistische Autoritäten partiell zu mobilisieren, abcr

Ältere F~rschun~lagc: Fi'inke, A u d n l q n , 1 i 7 X ; Ribiere, Ie.hmhLmc 150-155: Boasc, Bontface VIII., 321; dagegen jüngst Randy M. Johannesscn: Cardinoi Jeun iemoine Cunai Polihcr ond Pup1 Pornn, Phil. Diss. University of Califomia, L.A. 1989. Vgl. daiu die Kunfasaung Raiidp M. Johannesscn, Cardinal Jcan Lcmoinc and tlie authonhip of the glosses to Unam sancram, in: Buliciin $ M e d h a i Cmon Lai& n.s. 18 (19881, 33-41. Zur Ergänzung des Kommentarn dcs Acgidius durch kanonisu- sche Belege in einem Traktat Dc poieriab Surnrni PonijhN- des damals in Neapel wir- kenden Franziskancrrheologen Wilhelm von Saizano um 1316 vgl. Helmut G. Walther, Ein später franziskanischer Bciriag zum Strcit 7.wischen Ronifaz 1'111. lind Philipp IV., in: F e s , ~ ~ h n ~ J j l r Dirici Bug; Rochum 2004, 1005-1016.

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168 EIELCIUT G. WALTHER

Aristoteles zu veriiaclilässigen. Thomas und scine Schule hatten hier in dcr Tat Maßstäbe gcsctzt, wic mcnschliche Herrschaft und poli- tische Gemeinschaftsformen nun eigenwertig auf dcr Basis der von Aristotcles vorgegebenen anthropologischen Grnndlagc dcs Menschen als animnl ~ationale et politicum begründet werden konnten.

Unsere Vermutung, daß Jakob von Viterbo in seinem Traktat diese thomasische Aneignung der aristotelischen Sozialphilosophie einbe- zog, um im intellektuellen Diskurs seiner Zeitgcnosscn als Verteidiger der Position der päpstlichen plenitudo potestalG bestehen zu können, macht nicht zuletzt die Rezeption seines Traktates über königliche und päpstliche Amtsgewalt dentiich. O b Jean Quidort bcreits im Frühjahr 1302 eine erste Fassung seines Traktats im Zusammenhang mit der in Paris anhängigen Diskussion übcr die päpstliche BuUe A2~(~ultaJili bzw. die aus ihr gefälschte Deum time fertigstellte und kur- sieren ließ, wie das jüngst Kar1 üb1 meinte, kann kaum bcwiesen wcrdcn, da eine nachwcisbare Rezeption des Textes im gegnerischen Lager vor 1303 nicht erfolgte.iWaß ihm der als Quodlibetar an der Universität Paris seit 1293 auftretende Jakob von Viterbo als Vertreter papalistischer Positionen ein Dorn im Auge war, den auch schon Gottfried von Fontaines als Worffuhrer der weltgeistlichen Theologie- magister im Streit um C& /&OS nach 1296 seinerseits in Quodlibets aufs Korn gcnommen hatte, ist von der Forschung jüngst herausge- arbeitet worden.50 Unbestritten ist, daß Quidorts Traktat in seiner wesentlich erweiterten zweiten Redaktion sich in doppelter Hinsicht mit papalistischen Parteigängern auseinandcrsetzt. Da waren die juri- stischen Argumente des Heinrich von Cremona, die dieser in Paris vorgetragen hatte und die Quidort polemisch mit AnL,$fen auf die Person des G e L ~ e r s , inhaltlich durch Rückgriff auf korporationsrecht- liche Traditionen der Kanonistik zu widerlegen versucht?'

Was aber ist mit den so umfänglich aus Thomas' De regno exzer- pierten und paraphrasierten Passagen übcr die natürlichen M'urzeln dcr menschiiclien Sozialverbände einschließlich des Repum? Reagierte

iR Ubl, Johanries Qidor ts , 5 2 8 Zur handschnfdichen Übcrliefemng der drei untcrschiediiclien Fassungen 56lT " Dazu oben bei Anm. 7. Ubl sieht dagcgen in den Außeningen dcs Aegidius

cinschlicßlich 1Jnorn iartclom cine Reaktion der Kuialen auf dic Vorgänge in Pans, wozu auch dcr die päpsiiichc Position in ihrcn politikthcoictischen Gnindlagen eiscliüttern wollciide Tnk ta t der Jcan Q i d o r t gchöre (70). '' Waitlicr, iml>e"o/ci Xön<<ltm; 147, 197i.; Mietlikc, Dc poluloic, I 168

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AEGIDIUS ROMAhTiS UlvD JAKOB VOK VITERRO 169

Quidort bci der Uberarbcitung scincs Traktates noch auf neue Schriften der Parteigänger Bonifaz' VIII., die im Sommer 1302 cnt- standen? Oder konkreter gefragt, wann wurde die zweite Redaktion seines Traktates mit ihrer Erweiterung des Textes um nahezu ein Drittel vom Autor abgeschlossen? Von dcr ganzen Anlage seines Traktates her mußte Quidort es als zentrale Herausfordemng emp- finden, wenn die papalistischcn Gegner versuchen sollten, mit der durch seinen eigenen Lehrer Thomas rezipierten politischen Theorie des Aristoteles die Kirche zu einem idealen irdischen Regnum zu stilisieren. Ihnen hält Jean Quidort seine Argumente von der nicht überwindbaren Trennung geistlicher und weltlicher Herrschaft nach ihrer Z1vccksetzung und der natürlichen Begrenzung des Rcgnum um seiner Vollkommenheit wiUen entgegen; hier destruiert er auch aiie angeblich gegenteiligen historischen Excmpla der Gegner.

Für Jakob von Viterbo war mit Hilfe des durch Thomas gefitcrten Aristoteles die Kirche zum idealen re'pßum dank der prouidnztia Gottes geworden. Gerade diese Schiußfoigerung bestritt Jean Quidort vehe- ment in D e regia poiestute et papali Empfand also Jakob von Viterbo die Thesen des Pariser Dominikaners als solche Herausforderung, daß er ihm nur mit einem eignen Traktat D e regimine chktiano ant- worten konnte, in dem er seine ehemaligen Ausfuhrungen in Q-uod- libet 1.17 nun aristotelisch untersetzte oder war es nicht umgekehrt? Empfand vielmehr Jean Quidort den jüngsten Traktat seines politi- schen Gegners Jakob von Vitcrbo als die gewichtigste Herausforderung für seine eigenen politiktheoretischen Ausfuhrungcn?

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