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ZoegU 05 01 · Berücksichtigung von HGB, IAS/IFRS und IPSAS (Dr. Heinz Bolsenkötter) 76 Andrea...

Date post: 22-Oct-2020
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Inhaltsverzeichnis Abhandlungen PD Dr. Frank Keuper und Dr. Gerrit Brösel Zum Effektivitäts-Effizienz-Dilemma des öffentlich-rechtlichen Rundfunks The Effectiveness/Efficiency Dilemma of the Public Broadcasting Stations 1 Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt Soziale Daseinsvorsorge im Lichte der neueren EU-Rechts- und EU-Politikentwicklungen New Developments in Law and Politics Regarding Social Services of General Interest in the European Union 19 Prof. Dr. Dres. h.c. Karl Oettle Der Vertrag als der tragende Grundbegriff der Ökonomik? – Zu einem neo-institutionalistischen Denkfehler während der Privatisierungskampagne The Contract as Basic Concept of Economy? Referring to a Neo-Institutionalistic Misconception during the Campaign of Privatisation 29 Kurzbeitrag Dr. Andreas Gerber, Prof. Dr. Dr. Karl W. Lauterbach, Dr. Markus Lüngen und Simon Schmale Auswirkungen der pauschalierenden Vergütung hochspezialisierter ambulanter Behandlungen auf Hochschulkliniken – Eine empirische Analyse Prospective Payment of Highly Specialized Treatments in University Outpatient Departments in Germany. An Empirical Analysis 29 Dokumentation Prof. Dr. Reinbert Schauer 25 Jahre Wissenschaftliche Kommission „Öffentliche Betriebswirtschaftslehre” im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. – Ein Leistungsbericht 29 Mitteilungen Prof. Dr. Ludwig Theuvsen In memoriam Dr. Thomas Wex 29 EURAM 2005 – Ankündigung 29 Buchbesprechungen Nina Nolte, Deregulierung von Monopolen und Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (Dr. Achim-Rüdiger Börner) 73 Isabell Srocke, Konzernrechnungslegung in Gebietskörperschaften unter Berücksichtigung von HGB, IAS/IFRS und IPSAS (Dr. Heinz Bolsenkötter) 76 Andrea Reichert-Clauß, Durchleitung von Strom, Regulierungsansätze im deutsch-englichen Vergleich (PD Dr. Elisabeth Göbel) 77 Stefan Rensch, Risikoselektion im Mitgliederwettbewerb der Gesetzlichen Krankenversicherung (Norman Lorenz) 79 Giacomo Corneo, Öffentliche Finanzen – Ausgabenpolitik (PD Dr. Harald Nitsch) 82 Fabian Kamm, Untersuchung und Vergleich der Privatisierung öffentlicher Unternehmen als zentraler Bestandteil der Wirtschaftspolitik in den achtzigern und neunziger Jahre in Deutschland und Frankreich (Prof. Dr. Dr. h.c. Günter Püttner) 83 Constanze Abig, Die Rechtsstellung nichtärztlicher Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung (Prof. Dr. Jochen Taupitz) 84 Helmut Cox, Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen (Prof. Dr. Jan Ziekow) 87 Mitarbeiter des Heftes 29
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  • Inhaltsverzeichnis

    Abhandlungen PD Dr. Frank Keuper und Dr. Gerrit Brösel Zum Effektivitäts-Effizienz-Dilemma des öffentlich-rechtlichen Rundfunks The Effectiveness/Efficiency Dilemma of the Public Broadcasting Stations 1 Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt Soziale Daseinsvorsorge im Lichte der neueren EU-Rechts- und EU-Politikentwicklungen New Developments in Law and Politics Regarding Social Services of General Interest in the European Union 19 Prof. Dr. Dres. h.c. Karl Oettle Der Vertrag als der tragende Grundbegriff der Ökonomik? – Zu einem neo-institutionalistischen Denkfehler während der Privatisierungskampagne The Contract as Basic Concept of Economy? Referring to a Neo-Institutionalistic Misconception during the Campaign of Privatisation 29

    Kurzbeitrag Dr. Andreas Gerber, Prof. Dr. Dr. Karl W. Lauterbach, Dr. Markus Lüngen und Simon Schmale Auswirkungen der pauschalierenden Vergütung hochspezialisierter ambulanter Behandlungen auf Hochschulkliniken – Eine empirische Analyse Prospective Payment of Highly Specialized Treatments in University Outpatient Departments in Germany. An Empirical Analysis 29

    Dokumentation Prof. Dr. Reinbert Schauer 25 Jahre Wissenschaftliche Kommission „Öffentliche Betriebswirtschaftslehre” im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. – Ein Leistungsbericht 29

    Mitteilungen Prof. Dr. Ludwig Theuvsen In memoriam Dr. Thomas Wex 29 EURAM 2005 – Ankündigung 29

    Buchbesprechungen Nina Nolte, Deregulierung von Monopolen und Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (Dr. Achim-Rüdiger Börner) 73

    Isabell Srocke, Konzernrechnungslegung in Gebietskörperschaften unter Berücksichtigung von HGB, IAS/IFRS und IPSAS (Dr. Heinz Bolsenkötter) 76

    Andrea Reichert-Clauß, Durchleitung von Strom, Regulierungsansätze im deutsch-englichen Vergleich (PD Dr. Elisabeth Göbel) 77

    Stefan Rensch, Risikoselektion im Mitgliederwettbewerb der Gesetzlichen Krankenversicherung (Norman Lorenz) 79

    Giacomo Corneo, Öffentliche Finanzen – Ausgabenpolitik (PD Dr. Harald Nitsch) 82

    Fabian Kamm, Untersuchung und Vergleich der Privatisierung öffentlicher Unternehmen als zentraler Bestandteil der Wirtschaftspolitik in den achtzigern und neunziger Jahre in Deutschland und Frankreich (Prof. Dr. Dr. h.c. Günter Püttner) 83

    Constanze Abig, Die Rechtsstellung nichtärztlicher Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung (Prof. Dr. Jochen Taupitz) 84

    Helmut Cox, Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen (Prof. Dr. Jan Ziekow) 87 Mitarbeiter des Heftes 29

  • ZögU, Band 28, Heft 1, 2005 1

    Abhandlungen

    Frank Keuper und Gerrit Brösel

    Zum Effektivitäts-Effizienz-Dilemma des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

    Grundversorgungsauftrag; Effektivität; Effektivitäts-Effizienz-Dilemma; Effizienz; öffentlich-rechtlicher Rundfunk; Sparsamkeitsprinzip; Wirtschaftlichkeitsprinzip; Zielsys-tem Ausgehend von der Herleitung und begrifflichen Einordnung der Effektivität und der Ef-fizienz sowie der Charakterisierung des allgemeinen Effektivitäts-Effizienz-Dilemmas wird gezeigt, dass öffentlich-rechtliche Rundfunkunternehmen eine spezifische interde-pendente Zweck-Ziel-Relation aufweisen. Diese Relation manifestiert sich im Verhältnis zwischen der Erfüllung des Programmauftrags sowie der zweckorientierten Formulie-rung und Umsetzung der Effektivität und der Effizienz. Ein solches „versorgungsauf-tragsdeterminiertes“ Effektivitäts-Effizienz-Dilemma stellt grundsätzlich die zentrale Herausforderung für die Führung und Steuerung aller öffentlicher Unternehmen dar.

    I. Effektivität und Effizienz − die Problemstellung

    Unternehmen, und damit auch öffentlich-rechtliche Rundfunkunternehmen, sind im Sin-ne der Systemtheorie als sozio-technische Systeme zu charakterisieren. Systeme stellen dabei eine Menge spezifischer Elemente dar, wobei zwischen den Elementen Relationen herstellbar sind.1 Die Verknüpfung von Elementen durch Relationen konfiguriert zwi-schen den Elementen einen Zusammenhang. Der Charakter der Beziehungen kann unter anderem physischer, energetischer oder auch gesellschaftlich-kultureller Natur sein. Grundsätzlich können Systeme zweck- und/oder zielorientiert agieren.2 Zweckorientierte Systeme, für welche das Umsystem ein Datum darstellt, streben einen an ihrem Zweck ausgerichteten Gleichgewichtszustand an. Damit ist das oberste Ziel eines zweckorien-tierten Systems die Sicherung der langfristigen Überlebensfähigkeit.

    3 Zielorientierte Sys-

    teme können hingegen die relevanten Umsystemausschnitte selbst wählen und beurteilen die zulässigen Systemzustände bzw. Handlungsweisen anhand von Bewertungskriterien. Sie versuchen somit, nicht nur zu überleben, sondern den bestmöglichen Systemzustand

    1 Vgl. Probst (1981), S. 112. 2 Vgl. Bliss (2000), S. 131 f. 3 Vgl. Bliss (2000) S. 85.

  • 2 ZögU, Band 28, Heft 1, 2005

    auszuwählen und damit das bestmögliche Ergebnis auf Basis von Gleichgewichts- und Ungleichgewichtsbestrebungen zu erzielen.4 Öffentlich-rechtliche Rundfunkunternehmen sind darauf ausgerichtet, den Programmauftrag dauerhaft zu erfüllen. Die Umsetzung des Programmauftrags ist allerdings nur sinnvoll, wenn öffentlich-rechtliche Rundfunkunter-nehmen die durch den Programmauftrag geforderten Inhalte bestmöglich den Anspruchs-gruppen vermitteln und eine möglichst optimale Allokation der knappen Ressourcen vor-nehmen. Vor diesem Hintergrund können öffentlich-rechtliche Rundfunkunternehmen als zweck- und zielorientierte sozio-technische Systeme charakterisiert werden, in denen erst die interaktionistische Beziehung zwischen Technologien und Mitarbeitern zweck- und zielorientiertes Handeln ermöglicht. Zur Erfüllung des Programmauftrags ist dementspre-chend der oberste Zweck öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen, die langfristige Überlebensfähigkeit zu sichern,

    5 obwohl diese vorerst weitgehend strukturell gewährleis-

    tet ist, was sich in der im Rundfunkstaatsvertrag6 kodifizierten Bestands- und Entwick-lungsgarantie7 manifestiert. Zudem ist auch auf Grund der gewährten Finanzierungsga-rantie ein unfreiwilliger Marktaustritt mittelfristig eher unwahrscheinlich.8 Gleichwohl stellt die gegenwärtige Bestandssicherung kein ehernes Gesetz dar, was die aktuelle Dis-kussion belegt.9 Um die langfristige Überlebensfähigkeit zu sichern, wird seitens der öffentlich-recht-lichen Rundfunkunternehmen versucht, die Effektivität und die Effizienz – als die aus dem Zweck des sozio-technischen Systems öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen abgeleiteten und dekomponierten Ziele – zweckorientiert zu erfüllen. Innerhalb dieser Ziele sind jedoch grundsätzlich die Wünsche und Präferenzen, und damit die Ziele, der im Umsystem eines Systems befindlichen Anspruchsgruppen, mit denen die Ziele des Systems schließlich in interdependenter Beziehung stehen, zu berücksichtigen. Insofern haben Ziele eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmens die Aufgabe, nicht nur dem Zweck des Systems und damit dem Zweck öffentlich-rechtlicher Rundfunkunter-nehmen dienlich zu sein, sondern gleichzeitig die Aufgabe, die Ziele der Anspruchsgrup-pen widerzuspiegeln, weil die systemseitig gewählten Ziele sonst ihre zweckerfüllende Wirkung verlieren würden. Insbesondere vor dem Hintergrund der verschiedenen Anspruchsgruppen, welche diver-gierende Wünsche hinsichtlich der Ausgestaltung der Effektivität und der Effizienz öf-fentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen haben, ist eine effektivitäts- und effizienz-orientierte Zieldiskussion erforderlich. Hierzu werden, nach einer kurzen Herleitung und 4 Vgl. Bliss (2000), S. 85. 5 Vgl. Hering (2003), S. 9. 6 Vgl. Präambel des Rundfunkstaatsvertrages (RStV und § 11 RStV). Der RStV ist als Art. 1 des Staatsvertrages

    über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31. August 1991 (GVOBl. M-V 1991, S. 495), in der Fas-sung des siebenten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (in Kraft seit 1. April 2004), veröffentlicht.

    7 Vgl. hierzu auch Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 5. Februar 1991 („Sechstes Rundfunkurteil“) – 1 BvF 1/85, 1/88, in: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, 83. Bd., Tübingen 1991, Nr. 17, S. 238-341.

    8 Vgl. Heinrich (1999), S. 87 f. 9 Vgl. Brösel/Hanfeld/Theurer (2004) sowie die Dokumentation der medienpolitischen und medienrechtlichen

    Diskussionsveranstaltung „Rundfunkgebühren im Streit“ des Instituts für In- und Ausländisches Medienrecht der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Rundfunk, in: Media Perspektiven, o. Jg., 2004, S. 105-140.

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    Begriffsbestimmung der Effektivitäts- und Effizienzziele, die Charakteristika des allge-meinen Effektivitäts-Effizienz-Dilemmas dargestellt. Mit Blick auf die drei Hauptan-spruchsgruppen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den „Staat“, die „Rezipienten“ und die „werbetreibende Wirtschaft“, wird schließlich das „programmauftragsdeterminierte“ Effektivitäts-Effizienz-Dilemma hergeleitet und expliziert.

    II. Effektivitäts-Effizienz-Dilemma − die allgemeine Betrachtung

    1. Effektivität und Effizienz − die Herleitung

    Der Erfolg eines Feldzugs wird zwar nicht durch einen langfristigen, detaillierten und konsequent umgesetzten Plan geprägt, dennoch obliegt jedem Siegeszug ein ursprüng-licher Gedanke im Sinne eines visionären Ziels, welches es zu erreichen gilt. Wird diese Erkenntnis auf das Wirtschaftsleben übertragen, so verkörpert jede unternehmerische Tä-tigkeit einen ursprünglichen Gedanken, eine Vision, welche ein wünschenswertes und attraktives Zukunftsbild als Resultat der langfristigen Unternehmensentwicklung be-schreibt.10 Dabei setzt die Entwicklung einer Vision die Auseinandersetzung mit den Fra-gen „Wo wollen wir hin?“ und „Welche Zukunft stellen wir uns vor?“ voraus. Die Be-gründung der Vision erfolgt durch die Formulierung einer Mission, welche den Zweck eines Unternehmens belegt und dabei zugleich eine generelle Zielausrichtung und Grundorientierung vorgibt.11 In der Mission wird der Nutzen, welchen das Unternehmen verschiedenen Anspruchsgruppen stiftet, formuliert, wobei die Mission aus der Sicht des Kunden beschreibt, in welchen Geschäftsfeldern das Unternehmen tätig ist, das heißt welche Produkte, Kunden oder Märkte bedient werden.12 Während die Mission also z.B. auf den Kunden ausgerichtet ist (externer Aspekt), sollen durch die Vision die Unterneh-mensziele in das Unternehmen (zu den Mitarbeitern) getragen werden (interner Aspekt). Vermittlung bzw. Darstellung von Vision und Mission erfolgt durch die Formulierung von Leitbildern, welche allen Beteiligten eine einheitliche Orientierung für ihr Verhalten in der Organisation geben. Die im Unternehmensleitbild festgehaltenen Grundsätze bil-den einen Rahmen für die Formulierung von Zielen und Strategien. Dabei beschreibt eine Strategie, wie der durch die Vision ausgedrückte Sollzustand – dargestellt in operationa-lisierten Zielen – erreicht werden kann.13 Insofern fungiert eine Strategie gleichzeitig als Plan zur Ausrichtung eines Unternehmens auf die Erzielung nachhaltiger und anhalten-der Effekte. Die Auseinandersetzung mit der Vision, der Mission, der Strategie und den Zielen wird in der Privatwirtschaft als nahezu selbstverständlich angesehen, innerhalb von öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen wird dieses jedoch noch vielfach vermisst, was unter

    10 Vgl. Bleicher (1999), S. 99. 11 Vgl. Bleicher (1999), S. 81. 12 Vgl. Abplanalp/Lombriser (2000), S. 77. 13 Vgl. Keuper (2001), S. 23.

  • 4 ZögU, Band 28, Heft 1, 2005

    anderem auf das bisherige Selbstverständnis dieser Unternehmen zurückzuführen ist. Ba-sierend auf ihrer gesetzlichen Bestands- und Entwicklungsgarantie wurden bis dato keine bzw. nur unzureichende Visions- und Strategieformulierungen vorgenommen.14 Im Kon-text der sich verändernden Marktstrukturen müssen sich jedoch auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen weiter entwickeln. Dies wird auch durch die Bestre-bungen des ZDF, das eine Weiterentwicklung von einem klassischen TV- zu einem Mul-timedia-Unternehmen forciert, bestätigt.15 Öffentlich-rechtliche Rundfunkunternehmen müssen, einerseits in Anbetracht der sich dynamisch verändernden Umweltbedingungen und andererseits vor dem Hintergrund der fortwährenden Gebührenerhöhungsdiskussio-nen, mehr denn je adäquate Visionen und Strategien entwickeln und in die Organisation hineintragen. Bei der Strategieformulierung sind zwei Betrachtungsweisen zu unterscheiden: Während bei der Formulierung einer Unternehmensgesamtstrategie die unternehmensbezogenen Potenziale fokussiert werden, beziehen sich Wettbewerbsstrategien auf das Zusammen-spiel zwischen Produkt und Markt.16 Unter der Unternehmensgesamtstrategie wird allge-mein die globale Wegbeschreibung verstanden, welche planmäßig festlegt, auf welche Weise strategische Erfolgspotenziale aufgebaut bzw. erhalten werden können. Dabei gilt es, die sich im Umfeld bietenden Chancen unter weitestgehender Abwendung der Risiken auszuschöpfen, wobei die obersten Unternehmensziele mit Hilfe strategischer Wettbe-werbsvorteile – expliziert durch strategische Erfolgsfaktoren – bestmöglich zu erreichen sind.17 Inhaltlich werden deshalb die Geschäftsfelder und Märkte, in denen das Unterneh-men tätig sein möchte, definiert und selektiert. Anschließend wird die Allokation der Ressourcen auf die verschiedenen Geschäftsfelder so vorgenommen, dass eine vorteil-hafte Wettbewerbsposition eingenommen werden kann.18 Darüber hinaus verfolgt die Unternehmensgesamtstrategie die Sicherstellung der dynamischen evolutionären Ent-wicklung des Unternehmens.19 Demgegenüber charakterisieren Wettbewerbsstrategien – welche auch als Geschäftsfeldstrategien bezeichnet werden – die Art und Weise, mit der ein Unternehmen in einem bestimmten Geschäftsfeld mit den Wettbewerbern konkur-riert.20 Die Ausrichtung der Wettbewerbsstrategie erfolgt dabei anhand der spezifischen abnehmerbezogenen Anforderungen (Effektivitäts- und Effizienzanforderungen), welche es zu bedienen gilt.21 Durch den Abgleich der Effektivitäts- und Effizienzanforderungen mit dem Zweck des Systems „öffentlich-rechtliches Rundfunkunternehmen“ kommt es zur Operationalisierung der Effektivitäts- und Effizienzziele aus Sicht des Systems.22 Die Umsetzung dieser Anforderungen, das heißt die Erfüllung der Effektivitäts- und Effi-zienzziele, erfolgt allgemein durch den Aufbau, die Erhaltung und die Nutzung strategi-

    14 Vgl. Gläser (1999b), S. 53 ff.; Brösel/Keuper (2004). 15 Vgl. Degenhart (2001), S. 330; Keuper u.a. (2005), S. 3 ff. 16 Vgl. Keuper/Hans (2003), S. 83 ff. 17 Vgl. Keuper (2002), S. 627. 18 Vgl. Becker (1996), S. 134. 19 Vgl. Keuper/Hans (2003), S. 83 f. 20 Vgl. Steinmann/Schreyögg (2000), S. 156. 21 Vgl. Keuper/Hans (2003), S. 89. 22 Dies hat unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Ressourcen zu erfolgen.

  • ZögU, Band 28, Heft 1, 2005 5

    scher Erfolgspotenziale. Dabei wird unter einem Erfolgspotenzial das Gefüge aller rele-vanten produkt-markt-spezifischen Voraussetzungen verstanden, welche spätestens dann bestehen müssen, wenn es um die Erreichung unternehmens- und geschäftsfeldspezifi-scher Ziele geht.23 Erfolgspotenziale öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen drü-cken sich demnach unter anderem in einer kostengünstigeren, qualitativ besseren und/ oder schnelleren Erfüllung des Programmauftrags und der weitergehenden Ziele der Re-zipienten und der werbetreibenden Wirtschaft aus. Konkret bedeutet dies zum Beispiel aus Sicht der Rezipienten: sinkende Rundfunkgebühren bei mindestens (subjektiv emp-fundener) gleichbleibender Qualität oder konstante Rundfunkgebühren bei einer subjek-tiv verbesserten Programmqualität. So stellt beispielsweise bei aktuellen Geschehnissen eine schnellere Berichterstattung (als der Wettbewerber) einen strategischen Wettbe-werbsvorteil dar, welcher unter anderem auf dem strategischen Erfolgspotenzial „umfas-sendes Korrespondentennetz“ basiert, weil die rasche Berichterstattung wiederum von den Rezipienten als eine Verbesserung der Programmqualität aufgefasst wird. Die Di-mensionen dieser Aktivitäten, die Kosten-, die Qualität- sowie die Zeitdimension und damit die spezifischen Charakteristika einer überlegenen Leistungserstellung, werden als unternehmensbezogene strategische Erfolgsfaktoren bezeichnet und sind letztlich Aus-prägungen effektivem und effizientem Handelns.24

    2. Effektivität und Effizienz − die Begriffsbestimmung

    In der betriebswirtschaftlichen Literatur ist für die Effektivität und Effizienz eine kaum zu überblickende Begriffs- und Definitionsvielfalt vorzufinden.25 Grundsätzlich können aber die vielfältigen Definitionsansätze zu drei Konzepten zusammengefasst werden.26 Beim ersten (eher angloamerikanischen) Konzept dient Effektivität der Kennzeichnung der Erreichung langfristiger Ziele einer Organisation. Hingegen erfasst die Effizienz die Input-Output-Relationen und kann somit anhand rein ökonomischer Kennziffern − wie Produktivität oder Wirtschaftlichkeit − gemessen werden.27 Effizienz repräsentiert somit nur einen bestimmten Aspekt der Effektivität.28 Insofern stellt die Effizienz nur eine Di-mension des übergeordneten Merkmals „Effektivität“ dar.29 Das zweite Konzept, welches besonders im deutschen Sprachraum verbreitet ist, betrachtet Effektivität lediglich „als die grundsätzliche Eignung eines Mittels, ein Ziel mit Hilfe dieses Mittels zu errei-chen“30. Effizienz wird als Grad der Zielerreichung31 bzw. als Ziel-Mittel-Verhältnis32

    23 Vgl. Gälweiler (1990), S. 24. 24 Vgl. Keuper (2001), S. 12. 25 Vgl. Ahn (2003), S. 90 f. 26 Vgl. Ahn (1996), S. 26. 27 Vgl. Etzioni (1964), S. 8. 28 Vgl. Budäus/Dobler (1977), S. 62 f. 29 Vgl. Bünting (1995), S. 74. 30 Fessmann (1980), S. 30. 31 Vgl. Staehle/Grabatin (1979), S. 89. 32 Vgl. Fessmann (1979), S. 2.

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    definiert. Auf eine begriffliche Unterscheidung von Effektivität und Effizienz wird häufig verzichtet und stattdessen nur noch der Begriff „Effizienz“ verwendet.33 Das dritte Konzept, welches besonders in neueren Quellen breite Zustimmung findet, de-finiert Effektivität als „to do the right things“ und Effizienz als „to do things right“.34 Un-ter Effektivität wird hiernach der Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit verstanden. Die Effizienz wird durch das Verhältnis aus erbrachten Leistungen und den dafür eingesetzten Faktormengen ermittelt.35 Insofern spiegelt sich die Effizienz im öko-nomischen Prinzip wider, welches darauf abzielt, ein vorgegebenes und genau cha-rakterisiertes Zielniveau mit minimalen Mitteln bzw. mit gegebenen Mitteln das maxi-male Ergebnis zu erreichen, wobei der Charakter des Ergebnisses wiederum exakt kon-kretisiert sein muss.36 Entsprechend stellt im Rahmen dieses dritten Konzepts der strate-gische Erfolgsfaktor „Kosten“ ein Effizienzkriterium dar, wohingegen der Faktor „Quali-tät“ ein Repräsentant der Effektivität ist. Lediglich der strategische Erfolgsfaktor „Zeit“ verkörpert einen hybriden Charakter, weil der Faktor „Zeit“, welcher auch die Flexibilität umfasst, sowohl eine Effektivitäts- als auch eine Effizienzwirkung aufweist. So steigert eine schnelle nachrichtentechnische Reaktion auf ein aktuelles Ereignis als Zusatznutzen einerseits die Qualität und damit die Effektivität des öffentlich-rechtlichen Rundfunkun-ternehmens. Andererseits reduzieren kurze Abwicklungszeiten in der Verwaltung und in der Produktion im Allgemeinen den Mitteleinsatz, wodurch die Kosten bei gegebener Marktleistung sinken und damit die Effizienz der Abläufe im öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen steigt.37 In diesem Beitrag wird dem dritten Konzept gefolgt, Effektivität und Effizienz als von-einander getrennte Inhalte zu betrachten, weil dies die dualen strategischen Handlungs-weisen im Rahmen der Zielerreichung realistisch abbildet. Dementsprechend verlieren auch effektive Maßnahmen ihre Vorteilhaftigkeit im Hinblick auf den Erfolg eines öf-fentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmens, wenn sie ineffizient durchgeführt werden. Umgekehrt sind auch effiziente Maßnahmen nutzlos, wenn sie ineffektiv – d.h. nicht zielgerichtet – umgesetzt werden.38 Insofern wird unter Effektivität das „Tun der richti-gen Dinge“ verstanden, womit die Effektivität den Beitrag zu den Zielen des öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmens durch die Ausnutzung von Erfolgsopportunitäten mit Hilfe Erfolg versprechender Handlungen bemisst und damit als Ziel im Rahmen der Zweck-Ziel-Relation zweckdienlich ist. Gleichberechtigt zur und unabhängig von der Effektivität, beinhaltet die Effizienz das „richtige Tun der Dinge“, womit die Effizienz die Leistungsfähigkeit von Prozessen des öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmens bemisst und damit ebenfalls als Ziel im Rahmen der Zweck-Ziel-Relation zweckdienlich ist. Insofern dient die Erfüllung der Effektivitäts- und der Effizienzziele letztlich der Er-füllung des Programmauftrags.

    33 Vgl. Frese (2000), S. 258 ff. 34 Vgl. Drucker (1974), S. 45. 35 Vgl. Pedell (1985), S. 1082. 36 Vgl. Eichhorn (2000), S. 136. 37 Vgl. Bogaschewsky/Rollberg (1998), S. 10. 38 Vgl. Rollberg (1996), S. 9 f.

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    3. Effektivität und Effizienz − das Dilemma

    Im Allgemeinen kann das Verhältnis von Effektivität und Effizienz mit der treffenden Aussage, dass Kundennähe die Wirtschaftlichkeit belastet, charakterisiert werden.39 Dies spiegelt sich auch in der Alternativhypothese von Porter wider.40 Die grundlegende Aus-sage der Alternativhypothese ist dabei, dass entweder der Preis der Sach- bzw. Dienst-leistung bei gegebenem Nutzen niedriger (Effizienzfokussierung) oder aber der Nutzen bei gegebenem Preis höher sein muss als bei der Konkurrenz (Effektivitätsorientierung). Begründung findet die Alternativhypothese in der Wirkungsweise der strukturellen Kom-plexität eines Unternehmens, welche im weitesten Sinne ein Maß für die Anzahl poten-zieller Zustände eines Systems ist. Dies offenbart sich in einem öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen zum Beispiel in der Möglichkeit, bei aktuellen Ereignissen Life-Schaltungen vornehmen zu können. Bei der Analyse der strukturellen Unterneh-menskomplexität wird deutlich, dass mit deren Erhöhung (Verringerung) überwiegend positive (negative) Effektivitäts- bzw. überwiegend negative (positive) Effizienzwirkun-gen einhergehen.41 Während sich die Effektivitätswirkungen im Sinne von Vielfalt, Dif-ferenzierung, Variantenreichtum und Ertragspotenzial explizieren, offenbaren sich die Effizienzwirkungen in erhöhten Komplexitätskosten, verlängerten Prozesszeiten oder verlangsamter Reagibilität gegenüber Umweltveränderungen.42 Die strukturelle Komple-xität öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen spiegelt sich dabei unter anderem in der Anzahl und der Vielfalt von Prozessen, Ressourcen, Standorten, Programmen und Regelungen wider. Insofern besteht die eigentliche Herausforderung für die Führung und Steuerung öffentlichen-rechtlicher Rundfunkunternehmen in der zweckorientierten Aus-gestaltung der Effektivität und Effizienz sowie in der Auswahl effektiver und effizienter Handlungsalternativen, um so zweckorientiert die langfristige Überlebensfähigkeit zu sichern. Damit tritt das skizzierte Effektivitäts-Effizienz-Dilemma in den Vordergrund der Betrachtung.

    39 Vgl. Weinhold-Stünzi (1994), S. 36. 40 Vgl. Porter (1999), S. 64 ff. 41 Vgl. hierzu ausführlich Keuper (2004), S. 90 ff. 42 Vgl. hierzu ausführlich Keuper (2004), S. 90 ff.

  • 8 ZögU, Band 28, Heft 1, 2005

    Effizienz Effektivität

    Unternehmenskomplexität (Komplexität der Leistungserstellung)

    optimale effizienzori-entierte Betriebsgrö-

    ße

    optimale effektivi-tätsorientierte Be-

    triebsgröße

    Abb. 1: Allgemeines Effektivitäts-Effizienz-Dilemma Quelle: Vgl. Keuper (2004), S. 97

    III. Effektivitäts-Effizienz-Dilemma − die „programmauftrags-determinierte“ Betrachtung

    1. Effektivitäts-Effizienz-Dilemma − die grundlegenden Vorüberlegungen

    Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen sind vom Gesetzgeber zur Veranstal-tung und Verbreitung von Rundfunk ins Leben gerufen worden.43 Der gesetzlich kodifi-zierte Rundfunkbegriff findet sich in § 2 des Rundfunkstaatsvertrages. „Rundfunk ist die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen oh-ne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters. Der Begriff schließt Dar-bietungen ein, die verschlüsselt verbreitet werden oder gegen besonderes Entgelt emp-fangbar sind.“44 Den wichtigsten Teil des Funktionsbereichs eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmens bildet die Grundversorgung. Diese umfasst neben einer techni-schen Vollversorgung der Gesamtheit der Bevölkerung die Erfüllung des Programmauf-trags. Mit der Einführung des dualen Rundfunksystems rückte – aufgrund der verbesser-ten Reichweiten der privaten Rundfunkunternehmen – die technische Vollversorgung zunehmend in den Hintergrund.45 Die Erfüllung des Programmauftrags – somit wesent-

    43 Vgl. Gersdorf (1995), S. 568. 44 § 2 Abs. 1 Rundfunkstaatsvertrag (RStV). 45 Vgl. Brösel (2003), S. 115.

  • ZögU, Band 28, Heft 1, 2005 9

    liches Sachziel der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter46 – beinhaltet die Gewähr-leistung eines inhaltlich vollständigen, (politisch) ausgewogenen und vielfältigen Pro-grammangebots in den Bereichen „Information“, „Bildung“, „Beratung“ und „Unterhal-tung“.47 Diese – auch durch die gewährte Rundfunkfreiheit in Art. 5 GG garantierte – Meinungsvielfalt fordert eine ausgewogene Repräsentation der Interessen und Werte aller Bevölkerungsgruppen, insbesondere der von Minderheiten.48 Vor dem Hintergrund der so genannten Sozialisationsaufgabe sollen die Werte und Normen einer Gesellschaft über-mittelt werden. Programminhalte, welche diesen Anforderungen entsprechen, erhöhen den individuellen unmittelbaren Nutzen des Rezipienten nur wenig, sondern entfalten ihre positiven Wirkungen erst bei der Interaktion des Rezipienten mit Dritten.49 Die im Staatsvertrag bewusst allgemein formulierten Ausführungen hinsichtlich des Programm-auftrags determinieren den Handlungsspielraum der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- unternehmen, geben jedoch keine Aktivitäten vor. Das allgemein ausgedrückte Sachziel, die Gewährleistung eines inhaltlich vollständigen, (politisch) ausgewogenen und vielfältigen Programmangebots in den Bereichen „Infor-mation“, „Bildung“, „Beratung“ und „Unterhaltung“, ist letztlich der Repräsentant des Zwecks eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmens aus Sicht der Systemtheorie. Der Zweck eines jeden Unternehmens, und damit auch eines öffentlich-rechtlichen Rund-funkunternehmens, liegt, wie bereits erläutert, in der Sicherung der langfristigen Über-lebensfähigkeit. Sichert ein öffentlich-rechtliches Rundfunkunternehmen seine langfristi-ge Überlebensfähigkeit, so wird die Erfüllung des Sachziels, d.h. die Erfüllung des Pro-grammauftrags, langfristig gesichert. Gleichzeitig bedingt das Sachziel öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen, also die Erfüllung des Programmauftrags, die Siche-rung der langfristigen Überlebensfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkunter-nehmen, weil anderenfalls das Sachziel selbst gefährdet ist. Es besteht somit zwischen Sachziel und Zweck in öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen eine infinite sub-ventionierte Rekursionsbeziehung, welche vor dem Hintergrund knapper Ressourcen nur durch eine Entscheidung für eine Sicherung der Überlebensfähigkeit unter marktlichen Bedingungen (Effektivitäts- und Effizienzziele) oder durch eine Entscheidung gegen das Sachziel durchbrochen werden kann. Insofern erfolgt eine Operationalisierung des Zwecks von öffentlich-rechtlichen Unternehmen, das heißt des Sachziels, in der Formu-lierung konkreter ökonomischer Effektivitäts- und Effizienzziele, welche in einer Zweck-Ziel-Relation zum Programmauftrag stehen und beispielsweise Angaben über das Pro-grammangebot, die Programmnutzung, die Programmqualität und die Programmwirkung enthalten können.50

    46 Vgl. Eichhorn (1998), S. 89. 47 Vgl. Brösel (2002), S. 117. 48 Vgl. Schellhaaß (2000), S. 531. 49 Vgl. Schellhaaß (2000), S. 531. 50 Vgl. Sieben/Schwertzel (1997), S. 21.

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    2. Effektivitäts-Effizienz-Dilemma − die Sicht des Staates

    Die Umsetzung der Effektivitäts- und Effizienzziele hat gemäß § 13 Abs. 1 RStV nach den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu erfolgen, welche Ausprägungen des Gemeinwirtschaftlichkeitsprinzips51 sind. Dabei stellt die wirtschaftliche und spar-same Erfüllung des Programmauftrags auf den ersten Blick das alleinige Formalziel öffentlich-rechtlicher Unternehmen dar, welches vom bedarfsorientierten Sachziel domi-niert wird.52 Darüber hinaus fehlen im Rundfunkstaatsvertrag jedoch weitere Spezifikati-onen bzw. Vorgaben hinsichtlich wirtschaftlichen und sparsamen Handelns für öffent-lich-rechtliche Rundfunkunternehmen, was im rundfunkökonomischen Kontext nicht zu-letzt zu unterschiedlichen Interpretationen und Auffassungen führt. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip beinhaltet die Optimierung des Verhältnisses von Mit-teleinsatz und Zweckerfolg und fordert somit, wie bereits erläutert, „die Dinge richtig zu tun“. Die hierdurch zum Ausdruck kommende Effizienz spiegelt sich, wie ebenfalls ein-gangs dargestellt, im ökonomischen Prinzip wider. Neben der wirtschaftlichen Erfüllung des Programmauftrags hat die Umsetzung des Pro-grammauftrags auch nach dem Grundsatz der Sparsamkeit zu erfolgen. Unter der An-nahme, dass es sich bei dem Sparsamkeitsprinzip um ein eigenständiges, von der Wirt-schaftlichkeit unabhängiges Formalziel handelt, haben öffentlich-rechtliche Rundfunk-unternehmen bei ihrer Aufgabenerfüllung generelle Zurückhaltung auszuüben und nur diejenigen Projekte durchzuführen, welche unbedingt zur Erfüllung des Programm-auftrags erforderlich sind.53 Das Sparsamkeitsprinzip ist somit Ausdruck der Effektivität und nicht etwa der Effizienz als Ausdruck des Wirtschaftlichkeitsprinzips. Sparsamkeit meint dabei Mindesteffektivität, was nichts anderes bedeutet, dass der Programmauftrag aus Sicht des Staates zweckorientiert zu erfüllen ist. Nicht mehr und nicht weniger. Kon-krete Mindesteffektivität vorausgesetzt, hilft Effizienz, Kostendeckung zu erreichen (Mi-nimumprinzip). Unter der Voraussetzung gegebener quantifizierbarer Mindesteffektivität ist die Forderung nach konstanten oder sinkenden Rundfunkgebühren die sachlogische Konsequenz. Gleichwohl bedingt dies, entsprechend der Definition des Wirtschaftlich-keitsprinzips, eine deterministische Quantifizierung einer Mindesteffektivität. Im Allgemeinen ist der Programmauftrag durch seinen Inhalt und durch eine mit ihm einhergehende Qualität gekennzeichnet, wobei es jedoch zu berücksichtigen gilt, dass Beides nicht eindeutig definiert ist. Grundsätzlich lässt sich die inhaltliche Definition des Programmauftrags anhand der im Grundgesetz verankerten Normen und Werte, welche es vor dem Anspruch einer Mindestversorgung der Gesellschaft zu übermitteln gilt, le-diglich qualitativ und nicht deterministisch ableiten. So spiegelt zum Beispiel die Qualität des Programmauftrags wider, mit welcher Intensität die Rezipienten die Wirkung des Programms im Hinblick auf dessen Ziele aufnehmen. Die durch das Programm inten-dierten Verhaltens- und Einstellungswirkungen sind bei den Rezipienten subjektiv und 51 Zum Gemeinwirtschaftlichkeitsprinzip siehe Adam/Hering (1995), S. 260 f. Zur Ausrichtung des öffentlich-

    rechtlichen Rundfunks auf das Gemeinwohl siehe Eichhorn (1998), S. 90. 52 Vgl. Brösel (2002), S. 17 f. 53 Vgl. Matschke/Hering (1998), S. 17; Brösel (2003), S. 119.

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    somit unterschiedlich und damit generell nur schwer messbar.54 Deshalb wäre letztlich einzig die reine „Meldung“ der gemäß des Programmauftrags zu vermittelnden Werte und Normen einer Gesellschaft im Sinne eines eindeutigen Qualitätsniveaus der kodifi-zierten Ziele öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen definier- und messbar. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben und der Interpretation dieser Vorgaben im engeren Sinne ist daher theoretisch aus staatlicher Sicht die Erfüllung des Programmauftrags mit einer Mindesteffektivität (Nebenbedingung) (Sparsamkeitsprinzip) bei maximaler Effizienz (Optimalziel) (Wirtschaftlichkeitsprinzip) sicherzustellen. Die Mindesteffektivität spie-gelt dabei die Anforderungen des Sparsamkeitsprinzips wider. Es sollen also nur diejeni-gen Projekte umgesetzt werden, welche unbedingt zur Erfüllung des Programmauftrags erforderlich sind. Daraufhin hat die Realisierung eben dieser ausgewählten Projekte mit maximaler Effizienz, also zu den geringstmöglichen Kosten, zu erfolgen (Minimumprin-zip). Übertragen auf das Zielsystem öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen bedeu-tet dies, dem Rezipienten die aus dem Grundgesetz abgeleiteten Werte und Normen zu minimalen Kosten zu „vermelden“. Dies ist jedoch ein Widerspruch in sich, weil Werte nicht vermeldet, sondern bestenfalls vermittelt werden können. Die Wirkungsweise der Vermittlung von Werten ist dabei – ebenso wie der sich eventuell einstellende Vermittlungserfolg – jedoch immer nur qua-litativ charakterisierbar. Entsprechend herrscht die Auffassung vor, dass Werte und Nor-men in sich unscharf sind und somit keine eindeutige inhaltliche Definition des Pro-grammauftrags ermöglichen. Während Schellhaaß unter der Übermittlung von Normen und Werten die Schaffung einer gemeinsamen Identität und Solidarität, die Förderung von Toleranz und gegenseitiger Achtung, aber auch die Förderung von Umweltschutz oder europäischem Bewusstsein versteht,55 leitet Gläser aus der Übermittlung von Nor-men und Werten eine Vielfalts- und Integrationsfunktion ab. Im Rahmen dieser Aufgabe wirkt der öffentlich-rechtliche Rundfunk als ein Garant für freie, persönliche und gesell-schaftliche Meinungs- und Willensbildung in der pluralistischen Auseinandersetzung und fördert gleichzeitig einen gesamtgesellschaftlichen Dialog, der als wesentlicher Beitrag zur Demokratiesicherung angesehen werden kann.56 Diese Interpretationen zeigen, dass Werte und Normen nur innerhalb eines bestimmten Rahmens definiert sind und nicht losgelöst von ihrem personengebundenen, sozialen und gesellschaftlichen Kontext be-leuchtet werden können. Sie unterliegen somit einem ständigen Wandel und sind folglich nicht statisch-deterministisch, sondern unscharf und höchstens pseudodeterministisch quantifizierbar.57 Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Rezipienten – geprägt durch persönliche Erfahrungen und gesellschaftliches Umfeld – Werte und Normen indi-viduell aufnehmen. Die reine „Verlesung der Meldung“ wird dabei in der Regel nicht alle Rezipienten gleichermaßen erreichen, sondern – wenn überhaupt (rezipiert) – jeden indi-viduell tangieren und beeinflussen. Im Sinne der Aufgabenerfüllung bedarf es daher im weiteren Sinne kostenverursachender didaktischer Maßnahmen, welche aber gleicherma- 54 Vgl. Kötzle (19. Oktober 2003), http://www.medientage-muenchen.de. 55 Vgl. Schellhaaß (2000), S. 531. 56 Vgl. Gläser (1999a), S. 302. 57 Zur unscharfen Quantifizierung von Qualitäten vgl. Keuper (1999).

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    ßen mit einer nichtdeterministisch quantifizierbaren, nichtintersubjektiv nachprüfbaren eher probabilistischen Qualität des Programmauftrags einhergehen. Gemäß den gesetz-lichen Vorgaben und der Interpretation dieser Vorgaben im aufgezeigten weiteren Sinne ist daher realiter aus staatlicher Sicht die Erfüllung des Programmauftrags mit einer ge-ringstmöglichen Mindesteffektivität (Satisfaktionsziel) (Sparsamkeitsprinzip) bei höchst-möglicher Effizienz (Satisfaktionsziel) (Wirtschaftlichkeitsprinzip) sicherzustellen. Da die Mindesteffektivität den Charakter eines Satisfaktionsziels aufweist, existiert für die An-wendung des Minimumprinzips als Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsprinzips keine deterministische Zielvorgabe mehr. Insofern kann auch die Effizienz nur noch bestmög-lich realisiert werden. Aus dem ursprünglichen Optimalziel „maximale Effizienz“, wird somit das Satisfaktionsziel „höchstmögliche Effizienz“.

    3. Effektivitäts-Effizienz-Dilemma − die Sicht der Rezipienten

    Die reine Erfüllung des Programmauftrags öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen, im Sinne des Verkündens von Nachrichten, Werten und Normen, stellt aus Sicht der Re-zipienten eine absolute Mindesteffektivität dar. Dies gilt jedoch nur, wenn die Rezi-pienten mit der Art und Weise der Vermittlung des Programmauftrags und den staat-licherseits determinierten Inhalten übereinstimmen. Nur in diesem theoretischen Fall ist aus Sicht der Rezipienten die reine Erfüllung des Programmauftrags mit einer Mindest-effektivität (Nebenbedingung) (Sparsamkeitsprinzip) bei maximaler Effizienz (Optimal-ziel) (Wirtschaftlichkeitsprinzip) sicherzustellen. Schließlich sollte den Rezipienten bewusst sein, dass bei der Erfüllung des Programm-auftrags über das reine Vermelden von Nachrichten, Werten und Normen hinaus sowie bei der Erweiterung des „programmauftragsdeterminierten“ Sendeprogramms um rezi-pientenorientierte Programmergänzungen die Gesamtheit aller individuellen Präferenzen nicht berücksichtigt werden können. Zudem ist eine 100%ige rezipientenspezifische Konfektionierung von Inhalten, welche die Präferenzen der Rezipienten vollständig zu-frieden stellen, auch in Zukunft nicht möglich. Folglich kann auch keine maximale indi-viduelle Effektivität des Programms gewährleistet werden. Eine individuelle Befriedi-gung der Präferenzen würde zudem zu einer Erodierung des Programmauftrags führen. Insofern kommt es aus individueller Sicht der Rezipienten häufig zu ineffektiven Pro-grammangeboten, wobei sich die Ineffektivität im Dissens zwischen den an den durch-schnittlichen Präferenzen der Rezipienten ausgerichteten Programmangebot und den in-dividuellen Rezipientenpräferenzen widerspiegelt. Um dennoch die Präferenzen mög-lichst vieler Rezipienten zu befriedigen, kommt es zu einem Aufbau von Redundanzen und eines organisationalen Schlupfs, welcher unabdingbar zu mediumspezifischen Ineffi-zienzen führt. Redundanzen und organisationaler Schlupf repräsentieren die überschüs-sigen, in einer aktuellen Periode verfügbaren, jedoch nicht gebrauchten Ressourcen und stellen somit im weitesten Sinne Überkapazitäten dar. Diese Überkapazitäten offenbaren zwar einerseits ein Ressourcenpotenzial, mit dem unter anderem möglichst rasch auf in-dividuelle Rezipientenpräferenzen einer spezifischen Zielgruppe eingegangen werden

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    kann (zum Beispiel umgehende Berichterstattung bei aktuellen Ereignissen), andererseits repräsentieren sie aber auch eine ineffiziente, also unwirtschaftliche Ressourcenalloka-tion. Aus der individuellen Interessensicht der Rezipienten wird daher realiter eine Erfül-lung des Programmauftrags mit einer höchstmöglichen (individuellen) Effektivität (Satis-faktionsziel) bei höchstmöglicher Effizienz (Satisfaktionsziel) gefordert. Da im Sinne des Minimumprinzips die Kosten nur bei einem konkret vorgegebenen Ziel und Zielniveau minimiert werden können, lässt sich die höchstmögliche Effektivität nur unter der größt-möglichen Effizienz respektive den geringstmöglichen Kosten herbeiführen. Zudem stel-len der Aufbau von Redundanzen und eines organisationalen Schlupfs immer Ineffizien-zen dar. Die geforderte höchstmögliche Effizienz spiegelt sich dabei in dem Wunsch der Rezipienten nach sinkenden Rundfunkgebühren bzw. zumindest nach keinem weiteren Anstieg der Gebühren wider.58 Allerdings sind die Rezipienten bereit, Steigerungen bei den Rundfunkgebühren hinzunehmen, sofern die höchstmögliche individuelle Effektivität des Sendeprogramms zumindest in einem rezipientenspezifischen Maße ausgeweitet wird. Eine im rezipientenspezifischen Maße vollzogene Ausweitung der höchstmöglichen individuellen Effektivität ließe in einer Gesamtnutzenbetrachtung den Gesamtnutzwert konstant bleiben, wohingegen eine überproportionale Ausweitung der höchstmöglichen individuellen Effektivität den Gesamtnutzen steigen ließe.

    4. Effektivitäts-Effizienz-Dilemma − die Sicht der werbetreibenden Wirtschaft

    Neben der staatlichen Sicht und der Sicht der Rezipienten sehen sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen auch noch einer Effektivitäts- und Effizienzforderung der Werbekunden gegenübergestellt. Um eine Kostensenkung durch Quersubventionie-rung zu erreichen, sind öffentlich-rechtliche Rundfunkunternehmen nicht nur Träger re-daktioneller Informationen, sondern auch Träger von Werbebotschaften.59 Dabei versucht ein werbetreibendes Unternehmen durch das Schalten von Werbung, Aufmerksamkeit beim Rezipienten zu erreichen und diesen in seiner Kaufentscheidung zu beeinflussen. Dementsprechend erschließt ein öffentlich-rechtliches Rundfunkunternehmen durch die Bereitstellung von Werbeblöcken eine Erlösquelle, indem an die werbetreibende Wirt-schaft die Wahrscheinlichkeit verkauft wird, dass ihre Werbebotschaft von einer be-stimmten Zahl an Rezipienten wahrgenommen wird (Kontaktpotenziale).60 Vor diesem Hintergrund fordert die werbetreibende Wirtschaft, ebenfalls im Sinne eines Satisfakti-onsziels, möglichst viele Personen ihrer anvisierten Zielgruppen zu den geringstmögli-chen Kosten zu erreichen. Da sich der Preis für die Werbung zum einen durch Angebot und Nachfrage, zum anderen aber auch durch die Kostensituation des öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmens ergibt, haben aus der Sicht der Werbekunden die öf-fentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen unter Beachtung des Programmauftrags, welcher auch für eine bestimmte Zielgruppe bürgt, daher realiter eine höchstmögliche 58 Vgl. zum Beitragscharakter der so genannten Rundfunkgebühren Brösel (2002), S. 19 f. 59 Vgl. Schumann/Hess (2002), S. 22. 60 Vgl. Keuper/Hans (2003), S. 10.

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    (zielgruppenspezifische) Effektivität (Satisfaktionsziel) bei höchstmöglicher Effizienz (Sa-tisfaktionsziel) sicherzustellen. Die höchstmögliche Effizienz spiegelt dabei den Wunsch der werbetreibenden Wirtschaft nach geringstmöglichen Werbegrundpreisen wider und basiert wie schon zuvor auf der Tatsache, dass das Satisfaktionsziel „Effektivität“ sowie der Aufbau von Redundanzen und eines organisationalen Schlupfs die Anwendung des Minimumprinzips verhindern. Gleichzeitig bedingt die Effektivitätsforderung eine spezi-fische Ausgestaltung des Programms hinsichtlich der Inhalte sowie der Sendeplätze und -zeiten, welche zu einer höchstmöglichen Übereinstimmung von Rezipienten und Ziel-gruppen führt.

    IV. Effektivität und Effizienz − die Konklusion

    Mit der vorangehenden Effektivitäts- und Effizienzanalyse wurde herausgearbeitet, wel-che Charaktere der Zweck und die Ziele sowie welche Eigenschaften die Zweck-Mittel-Relation des sozio-technischen Systems „öffentlich-rechtliches Rundfunkunternehmen“ vor dem Hintergrund der verschiedenen Anspruchsgruppen haben. Aus der daraufhin vollzogenen Betrachtung ergaben sich folgende Ergebnisse: 1. Der systemtheoretisch-kybernetische Zweck eines öffentlich-rechtlichen Rundfunk-

    unternehmens ist die Sicherung der langfristigen Überlebensfähigkeit. Dies gilt umso mehr, je intensiver die Effizienzdiskussion geführt wird. Das zweckorientierte Han-deln sichert somit die Erfüllung des Sachziels: die Erfüllung des Programmauftrags. Die Erfüllung des Programmauftrags erfordert gleichzeitig die Sicherung der lang-fristigen Überlebensfähigkeit, was bedingt, dass zwischen Zweck und Sachziel in ei-nem öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen eine infinite Rekursionsbeziehung besteht.

    2. Zur Erfüllung des Zwecks eines Systems leitet ein System Ziele aus dem Zweck ab. Für die Sicherung der Überlebensfähigkeit und damit für die Erfüllung des Pro-grammauftrags hat ein öffentlich-rechtliches Rundfunkunternehmen effektiv und effi-zient zu sein, weil nur so den Anspruchsgruppen und den damit verbundenen diver-gierenden Zielen der Anspruchsgruppen Rechnung getragen werden kann. Das ziel-orientierte Handeln sichert somit die Erfüllung des Zwecks.

    3. Während im Wirtschaftlichkeitsprinzip die Effizienz zum Ausdruck kommt, repräsen-tiert das Sparsamkeitsprinzip eine Mindesteffektivität.

    4. Aus Sicht des Staates – als erste der drei Hauptanspruchsgruppen – expliziert sich letztlich die Beziehung zwischen Effektivität und Effizienz dahingehend, dass die Er-füllung des Programmauftrags mit einer geringstmöglichen Mindesteffektivität (Satis-faktionsziel) (Sparsamkeitsprinzip) bei höchstmöglicher Effizienz (Satisfaktionsziel) (Wirtschaftlichkeitsprinzip) sicherzustellen ist.

    5. Aus Sicht der Rezipienten – als zweite der drei Hauptanspruchsgruppen – expliziert sich die Beziehung zwischen Effektivität und Effizienz dahingehend, dass letztlich die Erfüllung des Programmauftrags mit einer höchstmöglichen (individuellen) Effektivi-

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    tät (Satisfaktionsziel) bei höchstmöglicher Effizienz (Satisfaktionsziel) sicherzustellen ist.

    6. Aus Sicht der werbetreibenden Wirtschaft – als dritte der drei Hauptanspruchsgrup pen – expliziert sich die Beziehung zwischen Effektivität und Effizienz dahingehend, dass die Erfüllung des Programmauftrags mit einer höchstmöglichen (zielgruppenspe-zifischen) Effektivität (Satisfaktionsziel) bei höchstmöglicher Effizienz (Satisfaktions-ziel) sicherzustellen ist.

    7. Aus Sicht eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmens unterliegt ein öffent-lich-rechtliches Rundfunkunternehmen damit einem faktischen „programmauftrags-determinierten“ Effektivitäts-Effizienz-Dilemma.

    8. Die multidimensionalen Wirkungen und Ausprägungen des „programmauftragsdeter-minierten“ Effektivitäts-Effizienz-Dilemmas werden darin deutlich, dass eine Maß-nahme zur Umsetzung des Programmauftrags unterschiedliche Effektivitätswirkungen hinsichtlich der Effektivitätsziele der Anspruchsgruppen nach sich ziehen kann. Inso-fern deckt das Resultat einer Programmgestaltung sich jedoch nicht zwingend mit der staatlich geforderten geringstmöglichen Mindesteffektivität respektive der von den Rezipienten geforderten höchstmöglichen individuellen bzw. zielgruppenspezifischen Effektivität.

    Die Ergebnisse des analysierten und synthetisierten „programmauftragsdeterminierten“ Effektivitäts-Effizienz-Dilemmas öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen haben ei-nen generischen Charakter, was sich z.B. in der explizierten Beziehung zwischen Wirt-schaftlichkeit und Effizienz sowie Sparsamkeit und Effektivität manifestiert. Darüber hinaus ist für die Führung und Steuerung öffentlicher Unternehmen von fundamentaler Bedeutung, dass der Unternehmenszweck öffentlicher Unternehmen, wie für alle Unter-nehmen, in der langfristigen Sicherung der Überlebensfähigkeit und damit in der dauer-haften Erfüllung des Sachziels begründet ist. Zwischen der Erfüllung des Sachziels eines öffentlichen Unternehmens, also im weitesten Sinne dem Versorgungsauftrag, und dem Zweck öffentlicher Unternehmen besteht zudem eine infinite Rekursion, welche vor dem Hintergrund knapper Ressourcen nur durchbrochen werden kann, wenn entweder eine Entscheidung gegen das Sachziel getroffen wird61 oder eine Entscheidung für die Siche-rung der langfristigen Überlebensfähigkeit unter zumindest z.T. marktlichen Bedingun-gen erfolgt. Aus dem Unternehmenszweck und der infiniten Rekursionsbeziehung leiten sich unternehmensbezogene Effektivitäts- und Effizienzziele ab, wobei diese Zweck-Ziel-Relation jedoch bei öffentlichen Unternehmen immer durch staatliche Versorgungs-aufträge im weitesten Sinne determiniert wird. Zentrale Erkenntnis ist somit, dass letzt-lich alle öffentlichen Unternehmen einem mehrdimensionalen „versorgungsauftragsde-terminierten“ Effektivitäts-Effizienz-Dilemma ausgesetzt sind. Dies spiegelt sich z.B. in der aktuellen Diskussion über das Gesundheitswesen wider. Während die individuelle Interessensicht der Patienten eine bestmögliche Behandlung einer individuellen Erkran-kung (höchstmögliche individuelle Effektivität als Satisfaktionsziel) bei geringstmögli-chen Kosten (höchstmögliche Effizienz als Satisfaktionsziel) fordert, beinhaltet die Sicht 61 Hierdurch würde jedoch das öffentliche Unternehmen de facto seiner Existenz entzogen.

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    des Staates, die Umsetzung gerade noch notwendiger und hinreichender Heilbehandlung (geringstmögliche Mindesteffektivität als Satisfaktionsziel des Sparsamkeitsprinzips) zu möglichst geringen Kosten (höchstmögliche Effizienz als Satisfaktionsziel des Wirt-schaftlichkeitsprinzips). Im Gegensatz dazu fordern beispielsweise die Arzneimittelher-steller aufgrund antizipativer ökonomischer Rationalität, spezifische Erkrankungen best-möglich zu heilen (höchstmögliche zielgruppenspezifische Effektivität als Satisfaktions-ziel) und dabei höchstmögliche Deckungsbeiträge zu erzielen (höchstmögliche Effizienz als Satisfaktionsziel). Im Ergebnis wird, wie schon bei der Analyse öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen, deutlich, dass zwischen den Effektivitäts- und Effizienzzielen der Anspruchsgruppen massive Dissensen existieren. Letztlich ist somit für Fragestellungen der Führung und Steuerung öffentlicher Unternehmen zunächst immer das jeweilige „versorgungsauftragsdeterminierte“ Effektivitäts-Effizienz-Dilemma zu analysieren und zu synthetisieren, bevor es an die jeweilige Operationalisierung von Problemlösungsvor-schlägen geht. Entsprechend dem aufgespannten Dilemma kommen zu dessen Lösung nur satisfizierende Mehrzieloptimierungsansätze zum Tragen. Abstract Frank Keuper and Gerrit Brösel, The Effectiveness/Efficiency Dilemma of the Public Broadcasting Stations Basic Supply Programme Mandate; Economic Principle; Effectiveness; Effective-ness/Efficiency Dilemma; Efficiency; Frugality Principle; Objective System; Public Broadcasting The paper shows the origin and significance of efficiency and effectiveness, addresses the inherent dilemma, and shows how public broadcasting stations are characterised by a particular relation between aims and objectives. The tension is revealed in two ways – how the programme mandate are fulfilled and how the overall aims dictate the formula-tion of effectiveness and efficiency and the means by which they are actually put into practice. The outcome is an effectiveness/efficiency dilemma, and this tension between effectiveness and efficiency to which all enterprises of the public sector are subject is the core challenge to their management and regulation.

  • ZögU, Band 28, Heft 1, 2005 17

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  • ZögU, Band 28, Heft 1, 2005 19

    Frank Schulz-Nieswandt

    Soziale Daseinsvorsorge im Lichte der neueren EU-Rechts- und EU-Politikentwicklungen

    Daseinsvorsorge; Dienstleistungen von allgemeinem Interesse; Europäische Union; Gewährleistungsstaat; Regulierung; Sicherstellungsaufgaben Der Beitrag diskutiert die Zukunft der sozialen Daseinsvorsorge im Lichte der neueren rechtlichen und politischen Entwicklungen in der EU. Analysiert wird dabei der konflikt-reiche Pfad zwischen der politischen Anerkennung nationaler Gemeinwohldefinitionen einerseits und des EU-rechtlich bedingten Modernisierungsbedarfes in der Art und Weise der Sicherstellung sozialer Infrastrukuren. Die Daseinsvorsorge geht damit den Weg in den Gewährleistungsstaat im Rahmen der europäischen Marktwirtschaft. Aus-nahmeregelungen bleiben im Bereich sozialer Dienstleistungen mit nicht-ökonomischen Eigenschaften aber möglich.1

    I. Einleitung

    Die Daseinsvorsorge gehört zu den wesentlichen sozialen Dimensionen des Staates.2 Al-lerdings befindet sich der Staat – auf Grund exogener wie auch endogener Wirkkräfte – in einer Gestalttransformation, hin zum Gewährleistungsstaat, der dem Gemeinwohl ver-pflichtet ist, aber die Art und Weise der Sicherstellung und der Produktion von Gemein-wohl in deutlich veränderte Formen überführt. Die Frage der Erwünschtheit dieser Form-veränderung der Staatstätigkeit darf dahin gestellt bleiben; es sollen lediglich die vorherr-schenden Entwicklungstrends und Verhaltensspielräume dargelegt werden. Allerdings ist vorweg bereits festzuhalten, dass das Verhältnis von Nationalstaat und EU, im EGV bzw. in dem ganzen Gefüge der Vertragsverfassung3 verkörpert, nicht als Ge-winner-Verlierer-Relation (Verlust nationaler Souveränität versus Zugewinn suprana-tionaler Souveränität) angemessen verstanden werden kann. Das wäre ein falscher, binä-rer/dichotomisierender Code, der die Wirklichkeit nicht richtig aufschlüsselt. Es handelt sich vielmehr um ein Gefüge, einen Verbund von Verfassungen. Das Problem ist weniger über die Subsidiaritätsklausel des Art. 5 EGV zu erfassen, vielmehr über den Art. II-13

    1 Die Analyse geht zurück auf einen Vortrag, den der Verfasser am 28. Juni 2004 in Brüssel im Rahmen einer

    Konferenz „Gemeinwohlbezogene soziale Dienste in der Europäischen Union – ihre besonderen Charakteristi-ka, ihre Leistungsfähigkeit und Rahmenbedingungen der Dienstleistungserbringung“, veranstaltet vom BMFSFJ, von socialplatform und der Europäischen Kommission, gehalten hat.

    2 Eine vertiefte Analyse des Verfassers erscheint demnächst: Schulz-Nieswandt (2004c); ders. (2004d) sowie ders. (2004e). Vgl. demnächst auch Schulz-Nieswandt u.a. (2005).

    3 Zu diesem Archetyp von Verfassung vgl. auch Frankenberg (2003), S. 76 ff. sowie S. 92 ff. (mit Blick auf den Verfassungsverbund der EU).

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    der EU-Verfassung, der Bereiche mit geteilter Zuständigkeit regelt. Betroffen ist dadurch das unmittelbare Problem der Kompatibilität der Bereiche Binnenmarkt und Sozialpoli-tik. Das ganze Problem ist nur aus einem Zusammenspiel von Staatsrecht und internatio-nalem oder supranationalem Recht zu verstehen. Das Gefüge sprengt die herrschende staatsrechtliche Auffassung von Verfassung, von der Grimm schreibt: „Verfassung wird (...) gewöhnlich mit dem Normenkomplex identifiziert, der die Einrichtung und Aus-übung der Staatsgewalt sowie die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft grundle-gend regelt.“4

    II. Daseinsvorsorge und Wettbewerb im Binnenmarkt

    Das Feld, dass mit dem im deutschen Recht eingeführten Traditionsbegriff der Daseins-vorsorge besetzt wird, ist heterogen und breit. Wenngleich nachfolgend bei der Behand-lung verschiedener Dimensionen und Aspekte des EU-Rechts primär soziale Dienstleis-tungen behandelt werden, so ist dieser Teilbereich der sozialen Daseinsvorsorge nur eine Teilmenge des Gegenstandes. In analytischer Absicht könnte man neben diesem Sektor der sozialen Dienste die (haushalts- wie unternehmensbezogenen) Sektoren der tech-nisch-wirtschaftlichen und der geld- und kreditwirtschaftlichen Daseinsvorsorge unter-scheiden und aufgreifen.5 Anknüpfungspunkt für die Problematik der deutschen Daseinsvorsorge sind EU-rechtlich zunächst die Art. 16 und Art. 86 Abs. 2 EGV. Angesprochen sind dort Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht werden, aber marktbezogene Tätigkeiten sind. Hoheitliche Tätigkeiten sind davon nicht betroffen, ein Aspekt, auf den in Abschnitt V nochmals zurück zu kommen sein wird. Gemeinwohlorientierte Dienstleistungen im Bereich des Sozialschutzes sind insofern vom europäischen Wettbewerbsrecht nicht ausgenommen, wenn hier eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt. Die Abgrenzung wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Dienst-leistungen von allgemeinem Interesse unter dem Blickwinkel der Marktbezogenheit ist nicht trivial und verweist darauf, dass unter Umständen die gemeinwirtschaftliche oder karitative Orientierung einer Tätigkeit – auch ein öffentlich-rechtlicher Charakter – nicht hinreichend sind, um (sektorbezogene) Ausnahmetatbestände zu begründen. Genau mit dieser Abkehr von der trägerschaftlichen Sichtweise ist der Beginn des schleichenden Endes des unmittelbaren Sicherstellungsstaates als Leistungsstaat oder auch des schlei-chenden Endes der unmittelbaren Förderverflechtung zwischen Staat und gemeinnützi-gem Trägersektor eingeleitet. Dies ist der rechtsexegetische Ausgangsbefund. Da der ge-samte Sektor aber sehr komplex ist und die sozialen Gebilde sehr vielfältig sind, bleibt die Möglichkeit einer differenzierten Entwicklung offen.

    4 Grimm (2003), S. 11. 5 Knappe Ausführungen mit Literatur in Schulz-Nieswandt (2004c).

  • ZögU, Band 28, Heft 1, 2005 21

    Insgesamt gesehen spielt in diesem Sektor die Frage nach der Anwendung des EU-Bei-hilferechts eine große Rolle. Handelt es sich bei gemeinnützigen Trägern um Unterneh-men im Sinne der Art. 81 ff. EGV? Der Art. 87 Abs. 1 EGV gibt die Zentralnorm vor. Dabei ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang die finanziellen Begünstigungen ge-meinnütziger Träger den gemeinschaftsrechtlichen Beihilfenbegriff erfüllen. Wenn ja, entstehen daraus relevante Wettbewerbsverzerrungen und zwischenstaatliche Handels-hemmnisse? Wenn ja, wie sind derartige Beihilfen zu begründen? Im Zentrum steht hier der Art. 86 Abs. 2 EGV. Dies alles ist natürlich im Lichte des Diskriminierungsverbotes des Art. 12 EGV zu sehen. Durch Mitteilungen hat sich die EU-Kommission erstmals 19966 mit dem Problem der Daseinsvorsorge in Europa befasst. Im Jahre 20007 präzisierte die Kommission ihre Vor-stellungen. Vielleicht lässt sich eine anbahnende Wertesynthese zwischen dem sozialen und wettbewerbsfähigen Charakter des europäischen Wirtschaftsraumes als Marktord-nung gerade dort, also bereits in dieser Mitteilung aus dem Jahre 2000, ausmachen, da hier8 die große Bedeutung der Daseinsvorsorgeleistungen für die Verwirklichung der grundlegenden Ziele der EU vor allem im Lichte des wirtschaftlichen und sozialen Zu-sammenhangs anerkannt wird. Das re-regulierende Binnenmarktprojekt würde dann eine nationale oder gebietskörperschaftliche Souveränität zur Definition von Gemein-wohlzielen als Grundlage und Rahmenbedingungen des Marktes nicht ausschließen. Da-bei ist auf Titel XVII EGV (Art. 158 ff.) – Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt – zu verweisen i.V.m. Art. 2 EGV (Ziele der Union). Dennoch soll die Daseinsvorsorge nicht nur effizient bereit gestellt werden, sondern muss in Einklang mit den wirtschaftlichen Grundfreiheiten und somit mit der Grundauffassung über die Funktionsweise der europäischen Marktordnung stehen. Dahinter steht die wirt-schaftstheoretische Auffassung der nicht hinreichenden Sicherung der Gemeinwohlori-entierung durch institutionelle Merkmale der (etwa öffentlichen, öffentlich-rechtlichen oder gemeinnützigen) Trägerschaft. Die Sichtweise verschiebt sich zur funktionellen Sichtweise der Daseinsvorsorge: Anerkannt werden gemeinwirtschaftliche Ziele und dar-aus ableitbare Aufgabenübertragungen, doch müssen die effizientesten und marktord-nungskonformsten Arrangements gewählt werden. Die Modernisierung der Formen ver-knüpft sich mit substanzieller Kontinuität in den Zwecksetzungen. Das ist der Span-nungsbogen, der im vorliegenden Beitrag zum Ausdruck gebracht wird. Mit Betonung des Grundsatzes einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ sieht die einschlägige Literatur9 Daseinsvorsorge sachlich auf Marktversagen im Dienst-leistungssektor unter Betonung der Bedeutung externer Effekte bezogen. Es kann zu öf-fentlichen Förderungen kommen, wenn dadurch nicht nur nicht eine Wettbewerbsver-zerrung, sondern überhaupt erst die Gewährleistung von Wettbewerb möglich wird. Da-mit ist aber noch nicht der Umfang der staatlichen Eingriffe geklärt. Die Literatur ordnet staatstheoretisch diese Argumentationsweise der Figur des modernen Gewährleis- 6 Vgl. Kingreen (2003), S. 587. 7 Vgl. Kommission (2000) 580 endg. 8 Vgl. Kommission (2000) 580 Rn. 1. 9 Vgl. etwa Schwintowski (2003).

  • 22 ZögU, Band 28, Heft 1, 2005

    tungsstaates zu und setzt diesen von der sektoralen Daseinsvorsorgestaatlichkeit in der Tradition von Ernst Forsthoff scharf ab. Der Begriff der Betrauung – dazu mehr in Ab-schnitt IV – nach Art. 86 Abs. 2 EGV wird funktional bestimmt; es kommt nicht allein und vorrangig auf den hoheitlichen Übertragungsakt an, sondern auf die Frage, ob Mark-tunvollkommenheiten ausgeglichen werden.

    III. Die normierenden EU-Aktivitäten

    Nach dem Non-Paper der Kommission vom 12. November 2002 wurde ein Grünbuch vom 21. Mai 200310 vorgelegt. Hierzu wiederum liegt eine Auswertung der Kommission über die Stellungnahmen zum Grünbuch als Working paper vor11; ein Weißbuch folgte nunmehr.12 Eine Rahmenrichtlinie13 oder eine sektorbezogene Richtlinie sind möglich. Hierbei zeichnet sich die Regelung des Sektors als Ausnahmebereich infolge einer Frei-stellungsverordnung durchaus ab. Die Kommission wird daher zunächst den sektorspezi-fischen Ansatz weiterhin verfolgen; den Nutzen einer horizontalen Rahmenrichtlinie sieht sie angesichts der Kontroversen als wenig nützlich an.14 Dabei wird die Kommission die besonderen Bedürfnisse und Umstände in jedem einzelnen Sektor berücksichtigen.15 Die zukünftige Politik wird die EU an dem Art. III-6 des Verfassungsvertrags orientieren. Das Grünbuch streifte nur am Rande soziale Dienstleistungen; deutlich wird aber die Dominanz der funktionellen gegenüber der trägerschaftlichen Institutionensicht. Für die Kommission ist es nicht von Bedeutung, ob eine Leistung von einem öffentlichen, ge-meinnützigen oder gewerblichen Träger erbracht wird, sondern ob sie auf einem Markt erbracht wird. Die Marktbezogenheit grenzt nicht-wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ab; eine eindeutige Liste dieser Dienstleistungen ist aber wohl kaum zu erstellen. Für die Gemeinwohlorientiertheit dürften Kriterien wie Universalität, Kontinuität, Qualität, Erschwinglichkeit, Nutzer- bzw. Verbraucherschutz u.a.m. von konstitutiver Bedeutung sein. Die Kommission legt mit ihrem Weißbuch die Schlussfolgerungen dar, die sie aus der Debatte des Grünbuches gezogen hat. Insgesamt ist die Kommission der Auffassung, es hätte sich trotz aller Kontroversen in der Frage der Notwendigkeit eines harmonischen Miteinanders von „Marktmechanismen und Gemeinwohlaufgaben“ ein Konsens heraus-gebildet.16 Die Kommission erkennt in den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse eine „wesentliche Komponente des europäischen Modells“ an.17 Sie stellt in diesem Zu-sammenhang die Zugangschancen aller Bürger zu diesen Dienstleistungen („zu er-schwinglichen Kosten“) heraus und verweist auf Elemente wie u.a. „den Universaldienst

    10 Vgl. Kommission (2003) 270 endg. 11 Vgl. Kommission (2004a). 12 Vgl. Kommission (2004) 374. 13 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 14 f. 14 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 14. 15 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 15. 16 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 5. 17 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 5.

  • ZögU, Band 28, Heft 1, 2005 23

    und die Kriterien der Kontinuität, Dienstleistungsqualität, Erschwinglichkeit und des Nutzer- und Verbraucherschutzes“.18 Die Kommission betont hierbei die „Erhaltung so-zialer und territorialer Kohäsion“. Dabei geht es der Kommission einerseits um die Wett-bewerbsfähigkeit Europas als dynamischem, wissensbasiertem Wirtschaftsraum, anderer-seits um sozialen Zusammenhalt. Bezugnehmend auf Art. 16 EGV und auf Art. 36 der Charta der Grundrechte will die Kommission im Rahmen eines europäischen Modells „die vielfältigen Traditionen, Strukturen und Gegebenheiten der Mitgliedstaaten ge-wahrt“ sehen.19 Sie verfolgt dabei Grundsätze besserer Rechtsetzung und das Gebot der regelmäßigen Evaluierung. Die Kommission verfolgt auf dieser Grundlage die Idee des Gewährleistungsstaates: „Während die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Zusam-menarbeit mit der Privatwirtschaft organisiert oder privaten oder öffentlichen Unterneh-men übertragen werden kann, obliegt die Festlegung der Gemeinwohlaufgaben nach wie vor den öffentlichen Instanzen auf der jeweiligen Ebene.“20 Und: Es sei „in erster Linie Sache der zuständigen nationalen, regionalen und lokalen Behörden, Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu definieren, zu organisieren, zu finanzieren und zu kontrol-lieren.“

    21 Die Kommission argumentiert, dass gemäß Art. 86 Abs. 2 EGV „die Erfüllung

    einer Gemeinwohlaufgabe im Spannungsfall Vorrang vor der Anwendung der Regeln des Vertrags hat.“

    22 Dies könnte auch Folge der bleibenden Differenz zwischen grundfrei-

    heitlichen und grundrechtlichen Normstrukturen sein, die die Abwägungsmöglichkeiten in Fällen der Kollision betreffen.

    23

    Hinsichtlich der herausgestellten Sicherstellung des universellen Zugangs verknüpft die Kommission unter Kohäsionsaspekten ihre Position (am Beispiel von Regionen mit äu-ßerster Randlage) unter Bezugnahme auf Universaldienst und Kriterien flächendeckender Versorgung mit der – hier nicht näher darzulegenden – Strukturpolitikproblematik.

    24 Die

    Kommission betont dabei die Rolle von Problemregionen, aber auch die von „besonders anfälligen Gesellschaftsgruppen“. Damit bezieht die Kommission explizit eine sozialpoli-tische Dimension in die Argumentation ein: Denn die Beachtung vulnerabler Gruppen erfolgt unter den Aspekten der Qualität, der Versorgungssicherheit und des Schutzni-veaus. „Sonderreglungen für Einkommensschwache“ wären zu treffen.

    25

    Wettbewerbsregelungen im Kontext des Gewährleistungsstaates ziehen so die Notwen-digkeit der Regulierung nach sich (ebd.). Die Evaluation wird aber mehrdimensional er-folgen. Bei personenbezogenen Dienstleistungen seien Besonderheiten zu berücksichti-gen; beim Rundfunk wird hinsichtlich eines öffentlich-rechtlichen Engagements Raum für die Meritorisierung gegeben.

    26 Ausgenommen aus der Debatte seien ohnehin die

    18 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 6. 19 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 6 f. 20 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 7. 21 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 7. 22 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 9. 23 Vgl. auch Gebauer (2004). 24 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 10. 25 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 12. 26 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 12.

  • 24 ZögU, Band 28, Heft 1, 2005

    nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen: Was diese angeht, so wird keine Liberalisierung der Dienstleistungen verlangt; die Kommission greift hier nicht „in die Modalitäten der Finanzierung und Organisation ein.“

    27 Mit Blick auf die freie Wohlfahrtspflege des Drit-

    ten Sektors wird aber später (Abschnitt VI) noch darzulegen sein, dass dort die Proble-matik besteht, dass sich wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche Leistungskomponenten oftmals mischen. Insgesamt muss aber nach Ansicht der Kommission Transparenz, Effizienz und Rechts-sicherheit herrschen. Insoweit bleibt es bei der Notwendigkeit der „Modernisierung der Dienste.“

    28 Die Kommission wiederholt an dieser Stelle nur die Grundstrukturen des eu-

    ropäischen Wettbewerbsregimes; sie erklärt aber Krankenhäuser und den Sozialwoh-nungsbau zu Ausnahmebereichen, „und zwar unabhängig von der Höhe der Kosten.“

    29

    Insgesamt will die Kommission einerseits den „Gemeinwohlauftrag bei Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen umfassend berücksichtigt“ wissen.

    30 Insbesondere bei Soli-

    darsystemen sieht die Kommission Elemente eines „Europäischen Gesellschaftsmodells“ als gegeben an.

    31 Sie „ermöglichen es dem Bürger, seine Grundrechte wahrzunehmen

    und in den Genuss eines hohen Sozialschutzniveaus zu gelangen.“32

    Andererseits pocht die Kommission auf den Modernisierungsprozess, „um den sich wandelnden Bedürfnis-se(n) des Bürgers in Europa besser gerecht werden zu können.“

    33

    Allerdings wird nicht soziologisch dargelegt, wie die Befundlage zu den Bedürfnissen der europäischen Bürgern konkret aussieht. Dieser Punkt kann hier aber ohne umfassende Darlegung des soziologischen Forschungstandes kaum geklärt werden. Ohne Beleg-struktur soll die These gewagt werden, dass große Teile der Bevölkerung keineswegs Anhänger der Modernisierung des Staates sind. Solidarität soll sich nach Kommissionsauffassung mit freiwilliger Erbringung paaren; Problemgruppen der Bevölkerung sollen integriert werden. Letztendlich steht die Mög-lichkeit steuerfinanzierter Leistungssysteme offen. Insgesamt, aber unter Einbeziehung der Gesundheitsdienstleistungen, sei 2005 mit einer Mitteilung der Kommission zu rech-nen.

    34 Verknüpfungen mit der offenen Methode der Koordinierung (OMK) unter evaluie-

    rungspolitischen Gesichtspunkten werden angedeutet.35

    27 Vgl. Ebd. 28 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 16. 29 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 17. 30 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 20. 31 Vgl. Ebd. 32 Vgl. Ebd. 33 Vgl. Ebd. 34 Vgl. Kommission (2004) 374, S. 21. 35 Vgl. Kommission (2004) 304 endg.

  • ZögU, Band 28, Heft 1, 2005 25

    IV. Eine Modernisierungsvariante des Ausnahmetatbestandes: Der hoheitliche Akt der Betrauung

    Nicht zuletzt im Lichte der Rolle des EuGH ist insbesondere das Problem des Betrau-ungsaktes in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt.

    36 Der Begriff der Betrauung nach

    Art. 86 Abs. 2 EGV ist in den gesamten Argumentationskontext einzuordnen. Art. 82 Abs. 2 EGV bestimmt, dass für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut werden, die gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsvor-schriften zwar gelten, aber nur insoweit, wie ihre Anwendung diese Unternehmen nicht an der Erfüllung der ihnen übertragenen gemeinwohlorientierten Aufgaben rechtlich oder tatsächlich hindert. Art. 87 EGV bestimmt, dass alle staatlichen oder aus staatlichen Mit-teln gewährleisteten Beihilfen, die bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige be-günstigen und dadurch den Wettbewerb in Europa behindern oder verfälschen, mit dem Gemeinsamen Markt in Europa unvereinbar sind, da sie den Handel zwischen den Mit-gliedsstaaten beeinträchtigen. Zu klären wird noch sein (Abschnitt VI), ob dieses Regime auch auf nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten im Sozialbereich übertragbar ist und wem dabei die Definitionsmacht zufällt, die notwendigen Kategorien (allgemeines [wirtschaftliches] Interesse; wirtschaftlich – nicht-wirtschaftlich; Marktbezogenheit) zu bestimmen. Nach vorherrschender Meinung ist der Ausnahmetatbestand in Art. 86 Abs. 2 EGV eng auszulegen. Das Vorliegen der Voraussetzungen einer derartigen Ausnahme ist darle-gungs- und beweispflichtig. Vereinfacht gesagt liegt der Ausnahmetatbestand vor, wenn anders als im Zuge einer gemeinwohlorientierten Aufgabenfinanzierung durch die Öf-fentliche Hand die Erledigung dieser Aufgabe unter der Bedingung wirtschaftlicher Ü-berlebensfähigkeit oder finanzieller Stabilität des Unternehmens gar nicht möglich wäre. Die Kontrollfunktion der Kommission beschränkt sich im Fall der Ausgleichs der Mehr-kosten allein auf die Missbrauchskontrolle. Anzusprechen ist in diesem Zusammenhang das Urteil des Gerichtshofes in der Rechts-sache Altmark Trans. Diese Entscheidung betrifft insbesondere die Problematik des Aus-gleichs gemeinwirtschaftlicher Aufgaben, impliziert aber auch allgemeinere Aspekte zum Bereich der Daseinsvorsorge. Argumentiert wird, dass die Anwendung des Art. 87 Abs. 1 EGV nicht von der Örtlichkeit bzw. Regionalität bzw. von der Größe des betreffenden Tätigkeitsbereichs abhängt, sondern vom Ausgleichscharakter in Bezug auf eine ge-meinwirtschaftliche Verpflichtung, mit der das Unternehmen betraut worden ist. Diese Verpflichtung muss klar definiert werden. Die Parameter der Ausgleichsbestimmung müssen objektiv und transparent sein; der Ausgleich darf nicht darüber hinaus gehen, was erforderlich ist. Benchmark ist ein durchschnittlich gut geführtes Unternehmen, sofern nicht ein Ausschreibungsverfahren durchgeführt worden ist. Die funktionale Sichtweise wird hier deutlich; auch die an die Theorie externer Effekte angelehnte Idee des Gemeinwohls. Die Effekte sind „zuvor“ zu benennen; sie müssen nachvollziehbar, und zwar funktionsbezogen und nicht trägerbezogen sein; sie müssen 36 Vgl. dazu mit Blick auf die Rechtssache Altmark Trans ausführlich und differenziert Wachinger (2004).

  • 26 ZögU, Band 28, Heft 1, 2005

    europäischen Transparenzrichtlinien entsprechen. Die Betrauung kann Teil eines öffent-lichen Ausschreibungsverfahrens sein; sonst muss ein Benchmarking durchgeführt wer-den. Der beihilferechtlich nicht relevante Tatbestand einer so konstituierten Ausgleichszah-lung für die erzielten Gemeinwohleffekte ist in der Rechtssache Ferring im Urteil vom 22. November 2001 vorbereitet worden. Die vorausgehende und nachfolgende Rechts-debatte war aber höchst kontrovers.

    37 Dabei schien insgesamt die Frage des „Ob“ der

    Möglichkeit öffentlicher Dienstleistungsfinanzierung nicht hinterfragt worden zu sein; vielmehr ging es im Mehr-Ebenen-System Europas um die Kompetenzaufteilung zwi-schen EU und den Mietgliedsstaaten: „Liegt nämlich eine tatbestandsmäßige Beihilfe vor, so muss diese vor Vollzug bei der Europäischen Kommission notifiziert und von dieser genehmigt werden (Art. 88 III EGV).“

    38

    V. Das öffentlich-rechtliche Sozial(kranken)versicherungswesen als Ausnahmebereich

    Dieser Abschnitt liefert ein wichtiges Vergleichsbeispiel für die Einschätzung der Ent-wicklungen im freigemeinwirtschaftlichen Sektor. Es interessiert die Frage nach den Rückwirkungen des EU-Rechts auf das nationale Sozialrecht angesichts der zunehmen-den Wettbewerbsorientierung in der Steuerung der Dienstleistungssektoren in Medizin, Rehabilitation und Pflege. Die wettbewerbliche Orientierung in zentralen Bereichen des deutschen Sozial(versicherungs)rechts, aber auch als neue Steuerungsmodelle in der Verwaltung, hat die EU-Rechts-Umwelt erst so richtig bedeutsam werden lassen. Sicher-lich wirkt sie von sich aus auf Marktorientierung in allen Leistungsbereichen; aber sie wird in dieser Einwirkung auch durch die endogene „Modernisierung“ in den nationalen Systemen induziert. Dabei müssen die bekannten Zusammenhänge der Rückwirkungen des EU-Freizügigkeitsrechts auf die Rechtslage des SGB V (Gesetzliche Krankenversi-cherung) und SGB XI (Soziale Pflegeversicherung) hier nicht rekapituliert werden. Auch bleiben Erwägungen außen vor, welche Bedeutung das EU-Recht bekommt, wenn – in-folge der Wirkung von Modellen der Kopfprämienbildung – die Solidarkomponenten in der GKV in die Steuerpolitik des Staates ausgelagert werden (oder gar der einheitliche Leistungskatalog aufgegeben wird). Genau dieser Punkt ist aber berührt, wenn man sich die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)

    39 um den nun seit

    Jahren (nach Urteilen des Bundesgerichtshofs, des Oberlandesgerichts Düsseldorf und des Bundesverfassungsgerichts) anhaltenden Rechtsstreits um die Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Arzneimittel-Festbeträge anschaut. Es ging um die Frage, ob die Festbe-tragsfestsetzungen gegen Art. 81 EGV verstoßen. Falls ja, welche Rechtfertigungen nach Art. 86 Abs. 2 EGV wären möglich? Beide Fragen waren nicht zu entscheiden, da die Ausgangsfragestellung – Sind Zusammenschlüsse von Krankenkassen bei der Festset- 37 Wachinger (2004), S. 57 f. 38 Wachinger (2004), S. 58 f. 39 EuGH 16. März 2004 – Rs. C-264/01.

  • ZögU, Band 28, Heft 1, 2005 27

    zung von Festbeträgen Unternehmen bzw. Unternehmensvereinigungen im Sinne von Art. 81 EGV? – verneint werden konnte. Nach der vorliegenden Rechtsprechung des EuGH

    40 sind sie es nicht. Damit wird die Besonderheit der gemeinsamen Selbstverwal-

    tung im staatsmittelbaren Sektor anerkannt. Die Thematik schließt unmittelbar an die bisherigen Ausführungen zum Problem der Da-seinsvorsorge an. Denn schon im Non-Paper vom 12. November 2002 geht man von ei-nem funktionalen Unternehmensbegriff aus. Demnach ist jegliche Art des Tätigseins „wirtschaftlich“, die darauf abzielt, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten. Der Erwerbszweck ist dabei unerheblich. Der EuGH folgt diesem funktionalen Unternehmensbegriff. Er ist unabhängig von der Rechtsform und der Finan-zierungsart. Krankenkassen fallen aus diesem Raster, denn sie sind Einrichtungen mit Aufgaben von ausschließlich sozialem Charakter; es fehlt die Gewinnerzielungsabsicht; es gilt der Grundsatz der nationalen Solidarität, d.h. der Grundsatz der Solidarität bezieht sich auf die Finanzierung, auf die Leistungsgestaltung und auf die Einbeziehung weiter Bevölkerungskreise; schließlich werden Beitrags- und Leistungsgestaltung durch den Gesetzgeber geprägt. Hier kristallisiert sich die Möglichkeit heraus, steuerfinanzierte öf-fentliche Gesundheitssysteme vollständig als Ausnahmebereiche des europäischen Wett-bewerbsrechts ansiedeln zu können. Das deutsche System der Sozialversicherung weist aber deutliche Beschränkungen im Universalismusgrad der Risikoabsicherung und in der öffentlichen Steuerung auf. Es ist begrenzt solidarisch und vielfachgesteuert, wobei sich die Planungstiefe zunehmend auflöst zugunsten der Einmischung von Elementen der wettbewerblichen Steuerung. Diese ziehen als solidarische Wettbewerbsordnung (etwa in Form von Kassen-Einkaufs-Modellen) allerdings wiederum massive Regulierungen nach sich.

    41 Dennoch erklärte der EuGH das deutsche System der gemeinsamen Selbstverwal-

    tung zum Ausnahmesektor. Insbesondere der Risikostrukturausgleich rückt die Kassen zu einer Art von Solidargemeinschaft zusammen. Es wird vom EuGH geschlussfolgert, dass Kassen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) keine Unternehmen wirtschaft-licher Art sind und nicht im Sinne der Art. 81 und 82 EGV auszulegen sind. Wirksam wird auch das Argument der Beitragssatzstabilität und der fiskalischen Nachhaltigkeit als hohes Gemeinwohlgut im System der sozialen Sicherheit. Das Solidarprinzip ist es also, dass das Sozialrecht gegenüber der Wirkmacht des euro-päischen Kartellrechts stärkt. Die Realität dieses Prinzips hilft, zwischen wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu differenzieren. Diese ganze Problematik um den nicht-wirtschaftlichen Charakter der GKV-Kassen leitet über zum Thema der Situation der frei-gemeinnützigen Wohlfahrtspflege im Lichte des europäischen Beihilfenrechts. Hier ist die Lage noch komplizierter.

    42

    40 Vgl. nochmals EuGH 16. März 2004 – Rs. C-264/01: Entscheidungen von Zusammenschlüssen von Kranken-

    kassen, mit denen Höchstbeträge für die Kostenübernahme für Arzneimittel festgesetzt werden. 41 Vgl. auch Schulz-Nieswandt (2004b). 42 Vgl. insgesamt dazu Boetticher (2003).

  • 28 ZögU, Band 28, Heft 1, 2005

    VI. Zur Zukunft des hybriden traditionellen Sektors der Gemeinwirtschaftlichkeit der frei-gemeinnützigen

    Wohlfahrtspflege

    Verbandliche Akteure des frei-gemeinnützigen Sektors der Wohlfahrtspflege haben diese Probleme erkannt und versuchen eine theoretische Neubestimmung des „Dritten Sektors“ zwischen Markt, Staat und Familie. Dabei rekurrieren sie – wie etwa der AWO-Bundes-verband – auf die Kategorie des Sozialkapitals.

    43 Die Analyse des AWO-Bundesverban-

    des geht von der These aus, soziale Dienste schaffen soziales Kapital: „Dies erfordert solidarisches Handeln, Eigenverantwortlichkeit, Beteiligung und Vernetzung der Bürger und Bürgerinnen.“

    44 Und: „Es geht sowohl darum, den Einzelnen für das Leben in der

    Gemeinschaft zu stärken, als auch die Rahmenbedingungen, das Umfeld, so zu gestalten, dass der einzelne sich selbst helfen kann und eine soziale Integration möglich ist.“

    45 Hier

    dockt die verbandliche Analyse an Forschungs


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