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Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon und seiner Ikone im Spiegel von...

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Wallfahrer aus dem Osten Mittelalterliche Pilgerzeichen zwischen Ostsee, Donau und Seine Beiträge der Tagung Perspektiven der europäischen Pilgerzeichenforschung 21. bis 24. April 2010 in Prag Hartmut Kühne / Lothar Lambacher / Jan Hrdina (Hrsg.) Europäische Wallfahrtsstudien Band 10 Sonderdruck – Benutzung nur für private Zwecke gestattet
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Wallfahrer aus dem OstenMittelalterliche Pilgerzeichenzwischen Ostsee, Donau und SeineBeiträge der Tagung Perspektiven der europäischen Pilgerzeichenforschung 21. bis 24. April 2010 in Prag

Hartmut Kühne / Lothar Lambacher /Jan Hrdina (Hrsg.)

EuropäischeWallfahrtsstudienBand 10

Sonderdruck – Benutzung nur für

private Zwecke gestattet

Wallfahrer aus dem Osten

Mittelalterliche Pilgerzeichen zwischen Ostsee,Donau und Seine

EuropäischeWallfahrtsstudien

Herausgegeben vonHartmut Kühne, Jan Hrdina

und Thomas T. Müller

Band 10

Wallfahrer aus dem OstenMittelalterliche Pilgerzeichen

zwischen Ostsee, Donau und SeineBeiträge der Tagung

Perspektiven der europäischen Pilgerzeichenforschung 21. bis 24. April 2010 in Prag

veranstaltet vom Kunstgewebemuseum in Prag

in Zusammenarbeit mit Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen zu BerlinFaculteit der Letteren, Radboud Universiteit Nijmegen

Zentrum für Mediävistische Studiender AW der Tschechischen Republik

und der Karlsuniversität

Hartmut Kühne /Lothar Lambacher /Jan Hrdina (Hrsg.)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung:Thronende Maria mit dem Jesusknaben

Aachen, um 1300-1350, gefunden in Opava (Troppau)Nationales Denkmalschutzamt – Regionale Behörde in Ostrava

Inv. Nr. 45/10-18124/0001

Gefördert von:Gerda Henkel Stiftung

Deutsch-Tschechischer Zukunftsfond

ISSN 1862-149XISBN 978-3-631-62147-9

© Peter Lang GmbH

Frankfurt am Main 2013Alle Rechte vorbehalten.

PL Academic Research ist ein Imprint der Peter Lang GmbH

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich

unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für

www.peterlang.de

Gedruckt auf alterungsbeständigem,säurefreiem Papier.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Lothar LambacherMuseale Grundlagen, Stand und Perspektiven des ‚Berliner Pilgerzeichen- projekts‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Sektion A: Pilgerzeichenfunde und Pilgerzeichen- forschung im südlichen Baltikum . . . . . . . . . . . . 31

Marian RębkowskiThe Finds of the Pilgrim Badges from the Polish Baltic Coast . . . . . . 33

Marcin MajewskiPilgerzeichen auf Glocken in hinterpommerschen Kirchen . . . . . . . 51

Beata MożejkoSpätmittelalterliche Wallfahrten im Licht Danziger Quellen . . . . . . . 69

Jörg AnsorgePilgerzeichen und Pilgerzeichenforschung in Mecklenburg-Vorpommern . . 81

Renate SamariterNeue Pilgerzeichen und religiöse Zeichen aus Stralsund . . . . . . . . 145

Cornelia und Rainer OefeleinPilgerzeichenabgüsse auf den Glocken Brandenburgs. Ergebnisse einer flächendeckenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

Sektion B: Pilgerzeichenforschung und Wallfahrts- geographie im Alpen-Donau-Raum . . . . . . . . . . . . 193

Hanneke van AsperenThe Habsburgs and their Pilgrimage Souvenirs. Pilgrim badges in the devotional books of Charles V, Ferdinand of Austria and Joanna of Castile . 195

6 Inhaltsverzeichnis

Robert Baier – Thomas Kühtreiber – Christina SchmidPilgerzeichenfunde in Österreich – Pilgerzeichen aus österreichischen Wallfahrtsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

Holger GrönwaldAm Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon und seinerIkone im Spiegel von Pilgerzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . 275

Jan Hrdina – František Kolář – Barbara Marethová – Aleš Mudra – Pavla Skalická – Hana F. TeryngerováNeue Pilgerzeichenfunde aus Opava (Troppau) und die Typologie der älteren Aachener Pilgerzeichen im Kontext der Zeugnisse zur Aachenfahrt aus den böhmischen Ländern im 14. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . 321

Christian SpeerWallfahrt als Kulturkontakt: Görlitz und die Via Regia . . . . . . . . . 361

Sektion C: Die Prager Pilgerzeichenkollektionen und andere Sammlungen französischer Pilgerzeichen . . . . 381

Hartmut KühneRechnungsbücher als Quellen der Pilgerzeichenforschung. Zwei exempla- rische Funde aus Thüringen: Die Reiserechnung des Grafen Johann III.von Henneberg zum Mont Saint Michel und das Rechnungsbuch der Kapelle von Wersdorf bei Apolda . . . . . . . . . . . . . . . . . 383

Jos KoldeweijRather rude and quite royal. Some erotic badges and one French princely badge in the collections of the Národní muzeum and the Umělecko-průmyslové museum Prague . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413

Christopher RetschObszön-erotische Tragezeichen als frivole ,Liebesgaben‘ . . . . . . . . 425

Carina BrummeFromme Devotionalien und volkstümliche Festrequisiten – zur Verwendung der spätmittelalterlichen Miniaturkronen . . . . . . . . . . . . . . 461

7Inhaltsverzeichnis

Willy PironPilgrim badges and GIS: a northern affair? . . . . . . . . . . . . . 475

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489

Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

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Holger Grönwald

Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon und seiner Ikone im Spiegel von Pilgerzeichen

Welche Möglichkeiten bietet der auf den ersten Blick unscheinbare archäologische Fund eines Pilgerzeichens? Als ein Symbol der Massenkultur der mittelalterlichen Pilgerbewegung gibt er wie diese Rätsel auf, ergänzt von Fragen nach den Ursachen der Fundvergesellschaftung. Erstaunlicher Weise ist selbst ein Einzelfund geeignet, Überlieferungslücken zum gesamten religiösen Phänomen sowie verbreitete Vorstel-lungen zu hinterfragen.1 Er kann zudem unsere Informationen zur breiten Wahrneh-mung der in kirchlichem und herrschaftlich-repräsentativem Umfeld üppigen Bilder-welt des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit ergänzen.2 Die Amulette gehören als ungewöhnliche materielle Hinterlassenschaften zu den wenigen Bildwerken, die ohne soziale Barrieren Eingang in den Besitz gering Begüterter fanden.3 Zwar ist das Wissen um die Bedeutung des Zeichens und seines Ursprungsortes weitestgehend voraussetzbar, doch trotz Einbindung in zeitliche und kulturelle Kontexte wird die

1 Etwa, dass überlieferte Zeichen zwangsläufig mit einer Wallfahrt in Zusammenhang ste-hen. Grabbeigaben sind etwa in Hinsicht der Betonung der Frömmigkeit eines Verstorbe-nen, einer Bindung an die Kirche nach nicht besonders christlichem Lebenswandel, des Schutzes der Hinterbliebenen vor ihm oder als Sinnbild für den Antritt einer Pilgerreise mit dem Tod zu interpretieren (z.B. im Sinne der ‚rites du passage‘ nach Arnold van Gennep, Übergangsriten, Frankfurt am Main 1986, S. 21, 27 f., 158, 176). Es wurde quasi legitim, die Beigabenlosigkeit christlicher Bestattungen mit ihnen zu übergehen. Durch die Zeichen allein sind Pilger nicht zu identifizieren, denn die Erwerbsmöglichkeiten sind vielfältig, z.B. wurden sie gern als Kommunionsgeschenke verwendet.

2 Vgl. Hartmut Kühne, Ostensio Reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Aus-breitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsweisungen im römisch-deutschen Regnum.Arbeiten zur Kirchengeschichte 65, Berlin/New York 2000, S. 34, 68–73.

3 Primär erinnern sie an den Besuch von Orten religiöser Bedeutung, wie im Heiligen Land oder bis 1350 meist an Wallfahrtsstationen auf dem Weg nach Rom, wo Pilgerzeichen zuerst ausgegeben worden sein dürften, oder Santiago de Compostela. Sie treten auch im Zusammenhang mit lokalen Zentren auf, die seit der Merowingerzeit einzelne Wall-fahrtsabschnitte prägten und im Spätmittelalter neu belebt wurden. Daher können sie selbst bei deren Lokalisierung im Rahmen der Rekonstruktion ursprünglicher und sich seit dem frühen und in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts abseits der Hauptrouten verästelnder Pilgerwege hilfreich sein.

276 Holger Grönwald

Anwendung kunsthistorischer Instrumentarien zur Feststellung stilistischer Beob-achtungen an den eng mit Numismatika verwandten Pilgerzeichen noch gescheut.4

Die aktuelle Pilgerzeichenforschung hat mit dem von ihr erschlossenen Spektrum mittelalterlicher Signa einen breiten Zugang zu den nicht zu unterschätzenden mit-telalterlichen Bildmedien der Pilgerzeichen ermöglicht.5 Darauf basiert u.a. das zu-nehmende archäologische Interesse an diesen filigranen Erinnerungs- oder Gedenk-objekten, ihren Fundzusammenhängen und den möglichen Aussagen zur sozialen Anbindung ihrer Träger. Nicht zuletzt wegen des Zeitraums der Verbreitung der Pilgerzeichen und den beobachtbaren technologischen Details: Ihre Überlieferung setzt mit dem Beginn ihres Verkaufs an den meisten bedeutenden Wallfahrtsorten6

in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ein.7 Zuerst entfalten reliefierte Flachgüsse vielfältige Formen, die ab der Zeit um 1300 so genannte Gittergüsse ergänzen.8 Die

4 Obwohl bereits seit der frühen Neuzeit z. T. systematisch gesammelt. Vorerst dienten sie elementaren Untersuchungen zur Wahrnehmung und Rezeption der eingeschlagenen, etablierten oder zur Regulierung der Pilgerströme vorgegebenen Routen, der Pilger, ihrer Aktivitäten und Symbole. Zum Pilgerwesen vgl. Wolfgang Beinert – Heinrich Petri (Hg.), Handbuch der Marienkunde II, Regensburg 1997, S. 326–332; knappe Übersicht zu Funktion und apotropäischer, heilsamer oder selbst wundertätiger Wirkung sowie ihrer Anbringung bei Holger Grönwald, Maria im Pantheon. Ein Pilgerzeichen von der Burg Cucagna. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 37, Bonn 2009, S. 180.

5 Ohne die Vorarbeit dieser Forschungsrichtung mit ihren spezifischen Fragestellungen wäre er für Außenstehende schwer. Auf die im Projekt PilgerzeichenDatenbank (PZD)Berlin, heute beim Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen zu Berlin angesiedelt, sowie beim Forschungs- und Datenbankprojekt Kunera zu spätmittelalterlichen Pilger-zeichen und Ampullen der Radboud-Universität Nijmegen/Niederlande gebündelten Untersuchungen zum einzigartigen kulturellen Phänomen der Sachzeugnisse des spät-mittelalterlichen Wallfahrtsbetriebes und deren Verbreitung wird in diesem Band an an-derer Stelle eingegangen.

6 Vgl. Andreas Haasis-Berner, Die Pilgerzeichen des 11.–14. Jahrhunderts, in: Archäo-logie als Sozialgeschichte. Studien zu Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft im frühge-schichtlichen Mitteleuropa. Festschrift Heiko Steuer, hg. von Sebastian Brather – Chris-tel Bücker – Michael Hoeper (Studia honoraria 9), Rahden 1999, S. 272. Rechte zur Herstellung wurden, am Beispiel Aachen exemplarisch, mitunter von entsprechenden Kirchen bzw. Bischöfen vergeben. Evtl. hingen sie darüber hinaus an einer päpstlichen Erlaubnis oder einem Ablass für den ‚Gnadenort‘. Dort, wo Ablass gewährt wurde, waren auch Pilgerzeichen zu erwerben – auch als Beleg in der Hand von Analphabeten.

7 Archäologische wie historische Quellen überschneiden sich.8 Die Gusstechniken sind grundsätzlich ähnlich, letztere setzt allein filigranere Model vor-

aus. So gibt es Übergangsformen, die wie Befestigungsschlaufen, -ösen und -klammern/ -zungen (wie beim Fund von Cucagna zu ergänzen) Kombinationen von Flach- und Gitterguss darstellen. Das Gravieren der Gussmodel braucht als spezialisiertes Handwerk nur Zugang zu besonderem Werkzeug, Kalk-, Speck-, homogenen Sandstein oder Ähnli-chem als geeignetem Material.

277Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

optisch reizvollen, bei ähnlichem Materialaufwand durch mitunter farblich unter-legte Aussparungen zwischen Rahmen und Bild größeren Zeichen, dominieren Ende des 14. Jahrhunderts die Produktion.9 Mit ausgefeilten Metallverarbeitungstechni-ken waren diese im gesamten europäischen Raum verbreitet, was komplizierte, mehr-teilige Model- und Gussformenfunde mit breitem Motivspektrum augenscheinlich belegen.10 Die Masse der in Tausender-Stückzahlen aufgelegten Pilgerzeichen ent-stand aber oft in einseitig gravierten und sogar offenen Formen. In Anbetracht der Größe und Qualität von Gitterguss-Applikationen für Paramente, Mobiliar und Raumdekoration in gehobenem Umfeld scheinen sie eher ein einträgliches Neben-produkt gewesen zu sein – obwohl es wegen ihrer religiösen Bedeutung de jure einer besonderen Genehmigung bedurfte. Eine eigene Werkstatt oder Produktionskette war nicht nötig.11 Der Bedarf war enorm und ging weit über die Zahl der Pilger hin-aus. Die Weitergabe von Erinnerungsstücken, ihr Ersatz und selbst die Verwendung von Wallfahrtssymbolen in unlauterer Absicht ließ eine Nachfrage entstehen, die unweigerlich zur Fertigung von Kopien führte12, entweder um sie preiswerter oder

9 Andreas Haasis-Berner – Günther Haberhauer, Zwei mittelalterliche Pilgerzeichen aus Bad Wimpfen. Regia Wimpina, Beiträge zur Wimpfener Geschichte 7, Bad Wimpfen 1995, S. 11. Eine Fassung in Rot(-ocker) wäre für das Pilgerzeichen der Maria rotundaanzunehmen (s.u.).

10 Es sei auf die umfangreiche Modelsammlung im Musée de Cluny/Musée national du Mo-yen Âge, Paris, verwiesen; vgl. Arthur Forgeais, Collection de plombs historiés trouvésdans la Seine, Paris 1862; Denis Bruna, Enseiges de Pélerinage et enseignes profans, Paris 1996; Sammlung Victor Gay, Ausstellung „Insignes et souvenirs de pèlerins et autres me-nues choseites de plomb trouvées dans la Seine“ 1997, ohne Katalog, sowie auf das nur in Vorberichten vorgelegte, von Gösta Ditmar-Trauth im Bereich der Heilig-Geist-Kirche Magdeburg entdeckte Gussformen-Depot; vgl. www.lda-lsa.de/landesmuseum_fuer_vorgeschichte/fund_des_monats/2005/november; Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962–1806. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters, hg. von Mat-thias Puhle – Claus Peter Hasse, Dresden 2006, Bd. I, S. 329–333.

11 Nachweise von Werkstattinventaren bzw. Gießerwerkstätten liegen z.B. aus Köln, Mag-deburg und vom Mont Saint Michel vor; vgl. Roswita Neu-Kock, Kölner „Bilderbäcker“ im frühen 15. Jahrhundert. Kölner Museums-Bulletin 3, Köln 1990, S. 9–12; Daniel Ber-ger, Steingussformen aus dem spätromanischen-frühgotischen Magdeburg (Diplomarbeit 2006); zum Mont Saint Michel vgl. Datenbank Kunera, www.kunera.nl Nr. 01169; Denis Bruna in: Vivre au Moyen Âge. Archéologie du quotidien en Normandie, XIIIe–XVe sièc-les, Katalog Caen-Toulouse-Evreux 2002/2003, hg. von Monique Rey-Delqué, Mailand 2002. Referenzen nach: Das Zeichen am Hut im Mittelalter, hg. von Hartmut Kühne – Lothar Lambacher – Konrad Vanja (Europäische Wallfahrtsstudien 4), Frankfurt am Main u.a. 2008, S. 60 Anm. 58, S. 231 Anm. 49, S. 294f.

12 Würde und Frömmigkeit eines Pilgers zu repräsentieren, konnte verschiedene Gründe haben, wie die Verbreitung der Zeichen unter Bettlern zeigt; vgl. Andreas Haasis-Ber-ner, Pilgerzeichenforschung. Forschungsstand und Perspektiven, in: Spätmittelalterliche

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an anderer Stelle als dem Ziel der Wallfahrt anbieten zu können, wo sie allein hätten ausgegeben werden dürfen.13 Und: bis zur Blütezeit der Pilgerzeichen im 15. Jahr-hundert halten sich „archaisierende“ Formen und Motive, die mit ihrer silbrigen, dem ‚Oklad‘ oder ‚Risa‘ der Edelmetallumhüllung von Ikonen entsprechenden Optik (sofern russisch-orthodoxe Begriffe hierfür verwendbar sind) an die Ehrwürdigkeit älterer Zeichen anknüpfen.14 Diese bei der Interpretation der Zeichen immer wieder zu beobachtenden Punkte sind bei den formalen Unterschieden zwischen den im Folgenden vorzustellenden Funden nicht aus den Augen zu verlieren.

Ausgangspunkt ist eine stark deformierte, 2008 auf der Burg Cucagna (autono-me Region Friuli-Venezia Giulia) in Norditalien entdeckte Plakette (Abb. 1).15 Sie

Wallfahrt im mitteldeutschen Raum. Beiträge einer interdisziplinären Arbeitstagung.Eisleben 7.–8. Juni 2002, hg. von Hartmut Kühne – Wolfgang Radtke – Gerlinde Stroh-maier-Wiederanders, Berlin 2002, S. 63–85, dort S. 69f. anhand von Rom, Aachen und Wilsnack (nach: Codex diplomaticus Brandenburgensis Bd. A 2, hg. von Adolf Friedrich Riedel, Berlin 1842, S. 143; Peter Browe, Die Eucharistischen Wunder des Mittelalters.Breslauer Studien zur historischen Theologie N. F. 4, Breslau 1938, S. 157).

13 Während sich beispielsweise die Herstellung metallener Pilgerzeichen im Heiligen Land weitestgehend ausschließen lässt, gibt es mit Jerusalemkreuzen und Palmwedeln dennoch darauf verweisende Plaketten; vgl. Robert Plötz, Signum peregrinationis. Heilige Erin-nerung und spiritueller Schutz, in: Das Zeichen am Hut im Mittelalter, hg. von Hartmut Kühne – Lothar Lambacher – Konrad Vanja (Europäische Wallfahrtsstudien 4), Frank-furt am Main u.a. 2008, S. 47–70, dort S. 54f. und Hartmut Kühne, Zur Bedeutung der Pilgerzeichensammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin, in: ebd., S. 223–234, dort S. 232.

14 Für deren Verbreitung bedurfte es wohl noch päpstlicher Genehmigung. In der frühen Neuzeit wurden sie sukzessive durch Papierdrucke in ihrer Funktion abgelöst.

15 Eine ca. 1027 gegründete Ministerialenburg in der Gemeinde Faedis/Udine (Friuli-Ve-nezia Giulia), an der überregional bedeutenden, zum Netz mittelalterlicher Pilgerrouten gehörenden Verkehrsachse von Norden über Venzone, Tarcento, Nimis und Faedis nach

Abb. 1: Fundzustand des Pilgerzeichens von Cucagna.Foto: Holger Grönwald

279Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

wird als Einzelobjekt aus dem hier üppig überlieferten, alle sozialen Gruppen reprä-sentierenden Fundmaterial herausgegriffen, um zur Diskussion der angeschnittenen Fragen anzuregen. Über Abformungsabgüsse ließen sich darauf die Darstellungen des einst bedeutendsten Marien- und im Frühmittelalter einzigen Altarbildes im Pantheon, sowie als zweites zentrales Motiv dessen überkuppelter Innenraum selbst identifizieren (Abb. 2). Das Stück bietet so gleichzeitig Gelegenheit, neben dem un-mittelbaren kulturhistorischen Umfeld16 und seinem archäologischen Kontext For-schungsdesiderate im Zusammenhang mit der mittelalterlichen Wahrnehmung des Pantheons und seiner Marienikone zu bearbeiten. Die Betrachtung der wechselsei-tigen Beziehung zwischen Objekt und archäologischem Zusammenhang sowie die Zusammenstellung der Interpretationsmöglichkeiten und Datierungsansätze ist da-bei ausschlaggebend. Trotz der bekanntermaßen vielfältigen Überlieferungsformen

Cividale. Zur urkundlichen Überlieferungen vgl. Grönwald (wie Anm. 4), S. 179 Anm.2 sowie Holger Grönwald, Cu(c)cagna. ‚Schlaraffenland‘ der Burgenarchäologie im Osten des Friaul, Burgen und Schlösser 2, Braubach 2010, S. 67 Anm. 31–38; Holger Grönwald, Die unterlegene eiserne Faust. Statusrelevante Metallfunde von der mittel-alterlichen Burg Cucagna. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 38, Bonn 2010, S. 161–206 – Grabungsprojekt des IAW Freiburg, Abteilung Frühgeschichtliche Archäo-logie und Archäologie des Mittelalters (Grabungsleitung Verf.) mit dem Istituto per la Ricostruzione del Castello di Chucco-Zucco (unter Leitung von Roberto Raccanello und Katharina von Stietencron) und Genehmigung der Soprintendenza ai Beni Archeologici del FVG.

16 Nach erster Vorstellung: Grönwald (wie Anm. 4), S. 179–190. Zur Lage und dem friulanischen Umfeld vgl. ebd., S. 198 Abb. 11; Grönwald (wie Anm. 15, 2010 Cu(c)-cagna), S. 65 Abb. 2.

Abb. 2: Abgüsse des Pilgerzeichen von Cucagna in unterschied-licher Ausleuchtung. Abgüsse und Fotos: Holger Grönwald

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der Pilgerzeichen sind die Fundumstände selten gesichert und darum hier adäquat zu berücksichtigen.17

Das Pilgerzeichen von Cucagna und seine Parallelen

Die Bildgattung der Pilgerzeichen der Maria im Pantheon18 ist seit langem bekannt.Das vorzustellende, längliche Pilgerzeichen von einst 3,64 × 3,4 Zentimeter19

zeigt ein zentrales, an den Hodegetria-Typus byzantinischer Ikonen20 angelehntes Marienbild (Abb. 3). Statuarisch thronender Habitus und Krone weisen Maria

17 1. als Inventar von Wohn- und Arbeitsbereichen (wie auf Cucagna); 2. als in Glocken-gussformen eingedrückte Motive; 3. als bildliche Darstellungen und überwiegend als 4. Boden- und Lesefunde. Neben der Einbringung in Äcker wurden sie nach und an be-sonderen Orten einer Reise gern gestiftet oder an Flusspassagen versenkt, was über rei-ne Verlustfunde hinausgehende Konzentrationen wie in der Seine, der Themse oder der Sambre erklären kann; vgl. Forgeais (wie Anm. 10); Bruna (wie Anm. 10). Peripher etwa Kloster Seehausen, Oberuckersee/Uckermark; vgl. Ralf Jaitner – Gerhard Kohn, Ausgewählte Pilgerzeichen aus dem Zisterziensernonnenkloster Seehausen in der Ucker-mark, in: Wismarer Studien zur Archäologie und Geschichte 4, hg. von Klaus-Dieter Hoppe, Wismar 1994, S. 102–108; Hartmut Kühne, Der Pilgerzeichenfund am Kloster Seehausen und sein historischer Kontext, in: Sachkultur und religiöse Praxis, Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser 8, Berlin 2007, S. 406–457. Auch für den Tiber wäre eine solche Praxis vorstellbar, nur gelangten bisher alle Funde ohne bekannte Zusammenhänge in den Kunsthandel. Wegen der dominierenden Masse an Feuchtbo-denfunden wird mitunter davon ausgegangen, dass sich Pilgerzeichen als Archaeologicaüberwiegend oder nur in diesem Milieu erhalten haben. Dem ist nicht so. Fundaufkom-men hängen von Untersuchungsgegenstand und Grabungsmethodik ab.

18 Die auf den Tempel aller Götter verweisende Bezeichnung fand im Mittelalter noch Ver-wendung. Auch bezeichnet als Maria rotunda, Maria della Rotonda, Madonna del Pan-theon, Madonna di San Luca oder Regina Martirum.

19 Nach Rekonstruktion. Erhalten ist es bei bestoßenem, korrodierten Rand in einer Größe von etwa 3,46 cm × 2,31 cm; der deformierte Zustand beschränkt sich auf 3,14 cm × 2,31 cm × ca. 1,7 cm.

20 Damit an die wohl im 5. oder 6. Jahrhundert im syrisch-jordanischen Raum entstande-ne Ikone der Hodegon-Klosterkirche an der Karawanenstraße bei Konstantinopel, als wichtigstes „Lukasbild“ eines der Hauptheiligtümer und Palladien der Stadt erinnernd.438/439 soll es Kaiserin Eudokia (Gemahlin Theodosios des Jüngeren) in Jerusalem er-worben, an den Bosporus verbracht und ihrer Schwägerin Pulcheria geschenkt haben, wo-mit sich ein zeitlicher Bezug zum Konzil von Ephesus als Ursprung der Legendenbildung um die Hodegetria herstellen lässt, auf dem die Gottesmutterschaft Marias dogmatisiert wurde; vgl. Handbuch der Marienkunde I, hg. von Wolfgang Beinert – Heinrich Petri, Regensburg 1996, S. 453f. 1453 bei der Eroberung durch die Türken zerstört; vgl. Karl Kolb, Typologie der Gnadenbilder, ebd., S. 454, nach David Talbot Rice, Byzantinische Malerei – die letzte Phase, Frankfurt am Main 1972, S. 11.

281Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

darüber hinaus als königliche Ecclesia aus, auch wenn die Bekrönung beim gegebe-nen Erhaltungszustand nur schwer wahrnehmbar ist. Sie überschneidet den ihren Kopf umfassenden Nimbus. Auf dem linken Knie sitzt das Jesuskind, ebenfalls mit Heiligenschein und vom Mantel der Maria, dem traditionellen Maphorion, umfan-gen. Die zu erwartende Charakterisierung des Salvator Mundi bzw. Pantokrator ist angesichts des Miniaturformates des Zeichens nicht auszumachen. Unregelmäßig-keiten der hier und auf der rechten Bildseite schlecht erhaltenen Oberfläche könn-ten andeuten, dass Maria in der rechten Hand ein Zepter trägt. Die Personengruppe ist in ein hochrechteckiges Bildfeld mit Andeutungen architektonischer Elemente eingefasst, das dekorative Borten umgeben. Die Gesamtkonzeption bzw. -komposi-tion greift dabei trotz des Miniaturformates auf ein architektonisches Konzept beim Bildaufbau zurück: Die Proportionen von Rechteck/Quadrat und Halbrund sind

Abb. 3: Das Pilgerzeichen der Maria im Pantheon von Cucagna. Deformierter Zustand des konservierten Originals, Kombination der Zustandsdokumentation

und Rekonstruktionszeichnung. Fotos und Zeichnung: Holger Grönwald

CucagnaInv. Nr. 2008/098

282 Holger Grönwald

über Triangulation auf einander abgestimmt (Abb. 4).21 Inwieweit es dem Model-graveur bewusst war oder ob er nur einer Vorlage folgte, sei dahin gestellt. Nur die obere der Borten erweist sich mit einem zum Teil überkreuzten Winkelband bzw.Rauten als rein ornamental gestaltet. Als Epistyl ruht das Ornamentband auf zwei Säulenpaaren mit kugeligen Basen und Kapitellen, die das Bildfeld flankieren und sich eventuell auf ein Bildziborium oder Wandtabernakel beziehen.22 Die drei wei-teren Borten sind Inschriftenbänder, die zudem über den Architrav ausgreifen und in die halbkreisförmige Überdachung der zentralen Szene einmünden. Das auf dem Bildfeld aufsitzende Halbrund wird von einer mit einem Perlstab in einem Linien-band am unteren Rand umfassten Öffnung durchbrochen. Mittig unter ihr befindet sich ein großer runder Punkt, von jeweils zwei übereinander gestellten Punkten und davon ausgehenden einfachen Perlstäben mit jeweils vier Punkten eingerahmt, die

21 Als mittelalterliches Konzept an Baukörpern häufiger zu beobachten. Der Bezug von Höhe und Kuppeldurchmesser des antiken Pantheonbaus scheint unbekannt und/oder nicht berücksichtigt worden zu sein.

22 Der Bildrahmen kann auch einer anderen Vorlage entlehnt sein oder sich zur Visuali-sierung des Hauses der Maria an einem Chor bzw. einer Apsis mit überwölbter Konche orientieren – vom gliedernden Epistyl umso deutlicher symbolisiert.

Abb. 4: Das Pilgerzeichen der Maria im Pantheon von Cucagna.Rekonstruktionszeichnung mit Schema der Triangulation.

Zeichnung: Holger Grönwald

CucagnaInv. Nr. 2008/098

283Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

nach rechts und links in die oberen Ecken des Bildfeldes ausgreifen. Sowohl das Motiv einer speziellen Architekturdarstellung als auch die Umschrift ermöglichen die Identifizierung der Szenerie und die Zuweisung des Pilgerzeichens zum Wall-fahrtsort: das Pantheon in Rom, dessen Kassettendecke und Kuppelöffnung über dem Marienbild angedeutet wird. Der fragmentierte Text „MA[RI]E/A SANN-TUS ANOTOR“ (revers: „ROTONA“) – Rudiment von „SIGNUM SANCTE MARIE ROTUNDE“ – nimmt, zwar mit Fehlern behaftet und eigentümlich ange-ordnet, eindeutig Bezug auf den Baukörper.

Obwohl sich nur ein Bruchteil der in Serien als Massenware produzierten Pilger-zeichen erhalten hat, wegen des verwendeten Materials oft nur einzelne Abgüsse23,gibt es ein breites Spektrum mit Darstellungen der thronenden Maria mit Kind.24

Einfache architektonische Rahmungen in Form von Perlbändern mit Giebel-andeutung sind darunter ebenso vertreten wie florale Zepter und Befestigungsösen in ähnlicher Position wie am neu gefunden Exemplar. Zum Fund von Cucagna gibt es bislang nur sechs direkte Vergleichsstücke, von denen eines modelgleich sein dürf-te (Abb. 5). Die in Motiv und Umschrift dieselbe Herkunft vorgebenden Plaketten variieren in ihren bislang angesetzten Datierungen stark. Anhand der Beschäftigung mit dem Neufund soll daher im Folgenden eine Alternative angeboten werden.

Das erste Beispiel mit hervorragendem Erhaltungszustand, auch wenn die unte-ren Ösen und der obere Abschluss über der Kuppelöffnung fehlen, ist ein Feucht-bodenfund vom Themseufer in der Nähe von Bull Wharf in London/South Bank (Abb. 6 a).25 Das vom Bildaufbau gleiche Motiv ist wesentlich feiner ausgeführt und unterscheidet sich vor allem in der aufwendigeren Kopfbedeckung und Bekrönung

23 Eine exakte Analyse der Zinnlegierung war für das Stück von Cucagna noch nicht mög-lich. Neben einfachen Recyclingmöglichkeiten unterliegt Zinn bei niedriger Temperatur allotropen Veränderungen der Molekularstruktur. Sie beeinträchtigen vor allem patinier-te, ehemals metallisch glänzende und an sich gegen Oxidationsvorgänge resistente Ober-flächen mit der Bildung von pulvrigem α-Zinn. Legierung mit Blei mildert den Prozess, der in aeroben, wechselfeuchtem Umfeld oxidativer Korrosion optisch ähnelt; vgl. Carina Brumme, Pilgerzeichen – Erhaltungsbedingungen und Verbreitungsräume, in: Das Zei-chen am Hut im Mittelalter, hg. von Hartmut Kühne – Lothar Lambacher – Konrad Vanja (Europäische Wallfahrtsstudien 4), Frankfurt am Main u.a. 2008, S. 127–142, dort S. 128f.

24 Etwa französische Beispiele der Notre-Dame de Chartres, der Notre-Dame de Liesse, der Notre-Dame de Tombelaine oder der Notre-Dame de Rocamadour neben vielen anderen und Funden unbekannter Herkunft. Darstellungen in Mandorla dominieren.

25 Museum of London, Inv. Nr. 82.8/11; Romei e Giubilei. Il Pellegrinaggio medievale a  San Pietro (350–1350), Ausstellungskatalog Palazzo Venezia Roma, hg. von Mario D’Onofrio, Milano 1999, S. 348 Abb. 116 und ebd. Brian Watson Spencer, Medieval finds from excavations in London. VII: Pilgrim souvenirs and secular badges, S. 253.

284 Holger Grönwald

der thronenden, an Personifikationen antiker Stadtgöttinnen erinnernden Maria (ohne Kind), einem floralen Zepterabschluss oberhalb der linken Schulter sowie der detaillierteren Wiedergabe der Binnengliederung der Kassettendecke der Kuppel des Pantheon. Strahlenartig von der mit Kreisen und konzentrischen Punkten ge-gliederten Borte unterhalb der Kuppelöffnung auslaufende Linien und Perlstäbe (in der linken Hälfte gut zu erkennen) vermitteln einen fast perspektivischen Eindruck.Die Umschrift „SIGNUM SANCTE MARIE ROTUNDE“ ist vollständig lesbar.Eigentümlicher Weise differieren die kunsthistorischen Ansprachen des Fundes um

Abb. 5: Fundorte von Pilgerzeichen der Maria im Pantheon. Karte: Holger Grönwald

285Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

ein Saeculum und verweisen auf die erste Hälfte des 14.26 sowie die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts.27

Ein in der Ausführung ähnliches Pilgerzeichen, wenn auch gestauchter und mit tieferem Relief, befindet sich im Museo del Collegio Teutonico im Vatikan (Abb. 6 b).28 Die hohe Bekrönung Marias ähnelt dem Exemplar aus London. Soweit es der Erhaltungszustand beurteilen lässt, scheint das Jesuskind auf dem linken Knie Marias wiedergegeben zu sein. Die stark beschädigte Umschrift wird als „S. MARIE […] ROTUNDE“ gelesen. Trotz der unmittelbaren Verwandtschaft des Bildes mit dem zuvor beschriebenen Stück wird eine Datierung ins 13. Jahrhundert vorgeschla-gen. Eigentümlicher Weise sind bei beiden nur je zwei Ösen rechts und links des Epistyls erhalten, das bei der Plakette im Vatikan deutlicher als Architekturwieder-gabe zu erkennen ist. Beim Exemplar aus Zierikzee (Region Schouwen-Duiseland, Zeeland/NL) ist es wesentlich einfacher ausgeführt, dafür sind die Maria flankie-renden Säulenpaare ähnlich gut profiliert (Abb. 6 c).29 Die linke Bildhälfte ist von einem diagonalen Riss beschädigt und darüber stark korrodiert, was die Identifizie-rung des Motivs nicht beeinträchtigt. Unterschiede in der Ausführung sind im noch erkennbaren Lilienzepter der Maria mit Jesuskind auf dem linken Knie und den feinen, strahlenartigen Linien an Stelle der Kassettendecke unterhalb der ebenfalls von einer Borte mit konzentrischen Kreisen und Punkten eingefassten Kuppelöff-nung festzumachen. Bemerkenswert ist die vollständige Erhaltung aller Ösen zur Befestigung des Pilgerzeichens – wohl weil das Stück nie in dieser Form getragen wurde, da die Öse links des Epistyls nicht durchlocht ist. Zudem ist die Umschrift mit „SIGNUM SANCTE MARIE [ROTUN]DE“ ganz lesbar. Die Datierung wird zwischen 1250 und 1350 angesetzt.30

26 Vgl. Datenbank Kunera, www.kunera.nl Nr. 07498.27 In der PilgerzeichenDatenbank Berlin nunmehr ebenfalls ins 14. Jh. datiert (www.pilger

zeichen.de, ad voc. Rom, St. Maria im Pantheon, Nr. #977).28 Inv. Nr. D 41, Datenbank Kunera, www.kunera.nl Nr. 07498; sowie Anton De Waal,

Andenken an die Romfahrt im Mittelalter. Römische Quartalschrift für christliche Alter-tumskunde und Kirchengeschichte 14, Rom 1900, S. 67, Abb. 9; Frühchristliche Kunst aus Rom, hg. von Franz Hengsbach, Essen 1962, S. 154, Nr. 292.

29 Heute in der Sammlung van Beuningen, Cothen, Inv. Nr. 2897, D’Onofrio (wie Anm. 25), S. 347 Abb. 115; Hendrik Jan Engelbert van Beuningen – Adrianus Ma-ria Koldeweij – Dory Kicken, Heilig en profaan 2, 1200 laatmiddeleeuwse insignes uit openbare en particuliere collecties (Rotterdam Papers 12), Cothen 2001, S. 342Abb. 1425. Trotz unbekannter Fundumstände kann von einer Erhaltung in feuchtem Mi-lieu ausgegangen werden.

30 PilgerzeichenDatenbank Berlin, www.pilgerzeichen.de ad voc. Rom, St. Maria im Pan-theon, Nr. #976; Datenbank Kunera, www.kunera.nl Nr. 04231.

286 Holger Grönwald

Ein noch etwas weiter vom Ursprungsort entfernt gefundenes Zeichen stammt aus Tjæreby (Kommune Slagelse, Region Sjælland/DK; Abb. 6 d).31 Für das bis auf den oberen Abschluss des Halbkreises mit allen Ösen vollständig erhaltene Exemplar wird eine Datierung ins 16. Jahrhundert (!) vorgeschlagen, was aus den Fundumständen resultieren kann (bzw. sollte). Trotz flacherem Relief ähnelt es in vieler Hinsicht dem Fund von Cucagna. Einige Details sind reduziert wiedergege-ben: Die Bekrönung der Maria mit Jesuskind beschränkt sich auf drei kleine Kugeln, die Säulenpaare sind als dünne Striche ausgeführt und besitzen als Kapitelle und Basen ebenfalls nur kleine Punkte. Enge Parallelen finden sich in der Gestaltung der Rotundenkuppel. Ein zentraler Kreis wird von Punktpaaren eingefasst. Perl-stäbe weisen giebelartig auf die Kuppelöffnung bzw. -öse, deren unterer Rand zwar von einem Linienband eingefasst ist, die Punkte des Perlstabes sitzen aber jeweils in von Linien unterteilten Bildfeldern zur Charakterisierung der Kassettendecke.Die ornamentale Borte an Stelle des Epistyls ist als Winkelband in dünnen Li-nien ausgeführt. Problematisch ist die Umschrift, deren linker Abschluss im obe-ren Halbkreis in einem Punkt-Linien-Dekor endet. Als Pseudotext abgetan, sind dennoch Buchstaben kenntlich, die von rechts oben beginnend mit „ANOTOR A [S]A[NCT]A[…]T[…]A.NN[…]“ zu identifizieren sind. Mit reverser Lesung von „ROTON[D]A“ ist der Bezug zum Pantheon klar.

Das fünfte Vergleichsstück stammt aus Rom selbst – zumindest wurde es dort von Wilhelm von Bode 1892 im Kunsthandel bzw. als Geschenk erworben, be-vor es Bestandteil der frühchristlich-byzantinische Sammlung der Abteilung der Bildwerke der christlichen Epochen an den Königlichen Museen zu Berlin wur-de (Abb.  6  e).32 Bildaufbau und Ausführung entsprechen der Beschreibung des

31 Heute im Nationalmuseum København, Inv. Nr. AE 60/37; vgl. Lars Andersson, Pil-grimsmärken och vallfart. Medeltida pilgrimskultur i Skandinavien, Lund Studies in Me-dieval Archaeology 7, 1989, S. 125, Nr. 4; Datenbank Kunera, www.kunera.nl Nr. 04139.

32 Heute Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Mu-seen zu Berlin, Inv. Nr. 1915 (verschollen); vgl. Oskar Wulff, Altchristliche und mit-telalterliche byzantinische und italienische Bildwerke, Teil 2, Mittelalterliche Bildwerke (Beschreibung der Bildwerke der christlichen Epochen / Königliche Museen zu Berlin, Bd.  3,2), Berlin 1911, S. 74, Tafel VI, Abb. 1907; Hartmut Kühne – Carina Brum-me – Stefan Krabath – Lothar Lambacher, Europäische Pilgerzeichen und verwandte Weißmetallgüsse des hohen und späten Mittelalters in den Sammlungen der Staatlichen Mu-seen zu Berlin. Katalog, in: Das Zeichen am Hut im Mittelalter, hg. von Hartmut Kühne – Lothar Lambacher – Konrad Vanja (Europäische Wallfahrtsstudien 4), Frankfurt am Main u.a. 2008, S. 251–384, hier S. 375 Nr. 256; Lothar Lambacher, Zur Geschichte der Pilgerzeichensammlung des Berliner Kunstgewerbemuseums, ebd. S. 207–222, hier S. 208;PilgerzeichenDatenbank Berlin, www.pilgerzeichen.de, ad voc. Rom, St. Maria im Pan-theon, Nr. #1004; Datenbank Kunera, www.kunera.nl Nr. 12620.

287Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

Fundes von Cucagna. Beide scheinen aus demselben Model zu stammen, auch wenn nach Beurteilung der verschieden ausgeleuchteten Fotografien des seit 1945 ver-schollenen Objekts die Position des Jesuskindes nicht eindeutig ist.33 Zur Rekon-struktion des neu vorgestellten Pilgerzeichens sind die an den unteren Ecken des

33 Teilweise als auf dem rechten Arm beschrieben. Angesichts des Erhaltungszustands der Oberfläche ist das Fehlen des Kopfes vom Jesuskind eher auf einen Schaden oder eine Ab-platzung neben der linken Schulter Marias zurückzuführen. Das Dexiokratusa-/Eleusa-Schema (Ελεύσα) lässt sich für die Darstellung der Maria im Pantheon ausschließen.

Abb. 6: Bislang bekannte Exemplare der Flachgüsse der Pilgerzeichen der Maria im Pantheon. Die Innenraumdarstellung scheint sich stetig vom direkten

Raumeindruck zu lösen. Fotos: www.kunera.nl

f ) Rotterdam, Slg. van Beuningen, Cothen,

Inv. 3408

a) London, Museum of London, Inv. 82.8/11

b) Città del Vaticano, Museo del Collegio

Teutonico, Inv. D 41

c) Zierikzee, Slg. van Beu-ningen, Cothen,

Inv. 2897

d) Tjareby, National-museum København,

Inv. AE 60/37

e) Berlin SBM, Inv. 1915

288 Holger Grönwald

hochrechteckigen Bildfeldes erhaltenen Ösen sowie die Ösenansätze rechts und links des Epistyls hilfreich. Für die fragmentierte Umschrift wurden bislang zwei unterschiedliche Lesungen vorgeschlagen: „ANOTO RAIRA IIII[…]ANN.S“ und mit teilweise reverser Lesung „S[..]NNAS[.] / [..]T[.]MAR / IA R OTON[.]“, die nun über den Neufund zu präzisieren sind. Die Datierung ins 13. Jahrhundert lehnt sich an die am ältesten angesprochenen Vergleichsfunde an.

In vielen der vorgestellten Details rudimentär, trotz formaler Anleihen dafür sehr eigenständig, ist ein letzter Fund aus Rotterdam (Abb. 6 f ). Er wird in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert.34 Das deutlich profilierte, zentrale Bildmotiv be-schränkt sich auf summarisch zusammengefasste Details, die Gliedmaßen und Ge-sichtspartien umso deutlicher erkennen lassen. Die Krone über dem Heiligenschein wird nur von drei Punkten wiedergegeben, die Säulenpaare markieren dünne Li-nien. Bildfeld und oberer halbkreisförmiger Giebel werden von einem mit dichten, überkreuzten Linien dekorierten Band getrennt. Den zentralen, von einem Kreis umgebenen Punkt im Giebelfeld unterhalb der Kuppelöffnung flankieren ähnliche Ornamentbänder – er kann auch als Symbol eines solaren Gestirns oder als Auge aufgefasst werden. Die Kuppelöffnung mit fehlendem oberem Abschluss fasst ein Linienband mit Punkten in den einzelnen Bildfeldern ein. Alle vier Ösen sind er-halten. Nur gering beschädigt, ist die Umschrift „SI[G]NVM SANCTA MARIA ROTO[NDA]“ deutlich lesbar.

Pantheon und Marienikone auf mittelalterlichen Pilgerzeichen

Soweit die Einzelobjekte – doch wozu eine erweiterte Betrachtung der Funde?35

Primär wegen der begrenzten Überlieferung stadtrömische Pilgerzeichen – obwohl Rom, trotz noch anzuschneidender Rahmenbedingungen immer noch caput mun-di 36, das am meisten frequentierte europäische Fernwallfahrtsziel des Mittelalters war. Maria im Pantheon dominiert mit ihrem Variationsspektrum eines Motivs die bisherigen Funde (wobei voreilige Schlüsse zu Mengenverhältnissen zu vermei-den sind). Außerdem ist die regelrechte, wenn auch summarisch zusammengefass-

34 Sammlung van Beuningen/Cothen, Inv. Nr. 3408, van Beuningen – Koldeweij – Kicken (wie Anm. 29), S. 342, Abb. 1424; Datenbank Kunera, www.kunera.nlNr. 06552.

35 Gegenüber der Erstvorstellung bei Grönwald (wie Anm. 4), S. 183–185.36 Realität und Vorstellung der regina urbium unterschieden sich, die antiken Denkmäler

der Stadt boten zumindest Anknüpfungspunkte an die einstige Vergangenheit; vgl. Mar-cello Fagiolo – Maria Luisa Madonna (Hg.), Roma 1300–1875. La città degli anni santi, Mailand 1985, S. 56.

289Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

te Schilderung des Raumeindrucks37 mit Architekturcharakterisierung inklusive Opaion (Kuppelauge) um das dominante Marienbild für mittelalterliche Darstel-lungen des Bauwerkes und die Gestaltung von Pilgerzeichen singulär – trotz zahl-reicher, formal ähnlicher Plaketten. Das hat einen simplen Grund: Die römischen waren sicher von anderen das Motiv aufgreifenden Pilgerzeichen wie aus Aachen oder Regensburg zu unterscheiden – selbst wenn manche Nachahmungen mit ty-pologischen Rudimenten versehen sein sollten, die nicht in Kenntnis des Pantheons entstanden. Ist kein direkter Gebäudebezug gegeben (sonst kaum so eindeutig wie beim römischen Zeichen, obwohl des Öfteren Architektur mit Durchbrüchen an-gedeutet ist), ersetzte teils ein mit einem Strahlenkranz ausgefülltes Halbrund die Andeutung von Kuppel und Kassettendecke (vgl. Abb. 7). Nur die Pilgerzeichen der Maria rotunda verbinden die Rezeptionen eines antiken Baus und eines mit-telalterlichen, religiösen Bildwerks. Sie geben der Verbreitung einer Idee38 und der Information über einen unmittelbaren räumlichen Zusammenhang Gestalt.

Vor diesem Hintergrund ist die Andeutung des architektonischen Umfeldes der Ikone umso weniger als Neuschöpfung eines Modelgraveurs oder Metallhand-werkers vorstellbar, ebenso wenig wie unter pragmatischen Gesichtspunkten. So sind für das Problem, eine Kuppel mit Öffnung bei Beibehaltung tradierter Dar-stellungsschemata zweidimensional wiederzugeben, unterschiedliche Lösungswe-ge einzugrenzen: Eine Anlehnung an überwölbte Apsisbilder mit Andeutung des Himmelszeltes wäre eine Möglichkeit.39 Solche Vorbilder mit Bezug zu einem Sa-kralbau müssen aber nicht zur Anwendung gekommen sein. Eher geben zeitgenös-sisch verbreitete Mustervorlagen oder -bücher Aufschluss, woran man sich orien-tieren konnte (Abb. 8).40 Nur ist unabhängig von den verschiedenen verfügbaren

37 Neben der Betrachtung des Originals vermittelt Giovanni Paolo Panninis Kuppelraum-darstellung einen entsprechenden Eindruck (um 1734/1740, National Gallery/Washing-ton, D. C.); vgl. Grönwald (wie Anm. 4), S. 187 Abb. 3; animierte, umfassende Raum-einblicke auf Basis aktuellen Aufmaßes unter: www.digitalpantheon.ch. Zum Innenraum und der Öffnung (unvollst.): Christof Spuler, Opaion und Laterne. Zur Frage der Be-leuchtung antiker und frühchristlicher Bauten durch ein Opaion und zur Entstehung der Kuppellaterne, Dissertation (1971), Hamburg 1973, S. 41f. und Tafel 2, 3.

38 Vorstellung vom und Wirkung des Bildes der Maria.39 Zum Beispiel das Apsismosaik in Santa Maria in Trastevere (ab 1140).40 Besonders geeignet: das Reiner Exemplar (Codex Vindobonenis 507, Wien, Österreichi-

sche Nationalbibliothek). Das frühe Musterbuch gibt Aufschluss über die mittelalterli-che Kunstproduktion. Die ersten 13 Blätter der 149 Seiten sind voll illustriert und mit 12 gerahmten Szenenbildern hier interessant. Deren wohl nach einem großformatigen Bildzyklus gestalteten Arkaden zeigen im Scheitel Öffnungen bzw. Gewölbeausmalungen mit Halbfiguren (evtl. Tierkreiszeichen); Franz Unterkirchner, Reiner Musterbuch.Kommentar zum Faksimile, Graz 1979, S. 18.

290 Holger Grönwald

i) Köln, Ursula, FO Dordrecht, Slg. van Beuningen, Langbroek, Inv. 0826. 2. H. 14. Jh.

Abb. 7: Stilistisch-zeittypisch variierende Pilgerzeichenfunde zum Vergleich mit dem Signum der Maria rotunda. Fotos: www.kunera.nl

a) Montpellier, FO London,Museum of London, Inv. 91.185. 13. Jh.?

b) Chartres, FO Paris,Slg. unbekannt.

13. Jh.?

c) Braunschweig, Landesmus. Braunschweig,

Inv. 80:12/536. 13. Jh.?

d) FO Nieuwlande,Slg. van Beuningen, Lang-

broek, Inv. 1710. 14. Jh.

e) Regensburg,Bayer. Nationalmuseum

München. 1519

f ) Trier, Matthias, FO Dordrecht,

Slg. van Beuningen, Lang-broek, Inv. 1536. 14. Jh.

g) Maastricht. Servatius, FO Dordrecht, Slg. van Beuningen, Langbroek,

Inv. 1994. 14. Jh.

h) Aachen, Karl d. Gr.,FO Dordrecht, Slg. van Beuningen, Langbroek, Inv. 0825. 2. H. 14. Jh.

291Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

Motiven festzuhalten, dass es sich ungeachtet der variierenden Datierungsansätze bei den Pilgerzeichen der Maria rotunda mit um die frühesten erhaltenen mittelal-terlichen Abbildungen des Pantheon und die älteste Visualisierung des Innenraums handelt; zumal plastisch und sicher am weitesten verbreitet. Vor der Entstehung des Freskos ‚Ytalia‘ von Cimabue41 in der Oberkirche zu Assisi von 1280–1290 finden sich keine Darstellungen der Kuppelöffnung und sie ist in der Wiedergabe des Pan-theons formal der Andeutung auf dem Pilgerzeichen am ähnlichsten (Abb. 9).42 Be-schreibungen existieren ebenfalls kaum früher.43 Die parallel zu den Pilgerzeichen

41 Cenni di Pepo, aktiv zwischen 1260 und 1302. Quasi letzter Vertreter byzantinischer Tra-dition aus der Schule des Giotto di Bondone; vgl. Laurie Schneider Adams, Italian Renaissance Art, Colorado 2001, S. 9.

42 Vgl. Steffen Bogen – Felix Thürlemann, Rom. Eine Stadt in Karten von der Antike bis heute, Darmstadt 2009, S. 32f. Abb. 5.1 und 5.

43 Vgl. Matthias Untermann, Der Zentralbau im Mittelalter: Form, Funktion, Verbreitung,Darmstadt 1989, S. 83 Anm. 98 nach Mario Andaloro, Ancora una volta sull’Ytalia di

Abb. 8: Musterbuch aus dem Stift Rein bei Graz, 1. Hälfte 13. Jahrhundert. Wien, Österrei-chische Nationalbibliothek, Codex Vindobonenis 507, fol. 1v, 2r. Foto: nach Faksimile

292 Holger Grönwald

Abb. 9: ‚Ytalia‘ – Romvedute der Fresken des Cimabue (Cenni di Pepo) im Vierungsgewöl-be der Basilika superiore St. Francesco/Assisi, 1280–1283; Detail der Szene mit St. Markus.

Foto: Directmedia/The Yorck Projekt 2002

293Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

zirkulierenden Texte greifen zwar die optische Wirkung des ehrwürdigen Kultbildes und des ebenso geschätzten Bauwerks auf, dürften aber kaum als Vorlagen herange-zogen worden oder den Herstellern zugänglich gewesen sein.44 Kirche und Ikone werden zwar ab dem 12. Jahrhundert in den „Mirabilia urbis Romae“45 und später in den „Indulgentiae ecclesiarum urbis Romae“ erwähnt46, die Sichtung der Führer für Reisende zu den Kirchen und Denkmälern der Stadt liefert aber keine nähere Be-schreibung der schwer zu fassende Gebäudeform.47 Im Gegensatz dazu geht die von den ‚Mirabilien‘ zu unterscheidende „Narratio de mirabilibus Romae“ des Grego-rius Magister Anglicus48 ins Detail. Sie liefert erstmals Informationen zu Zustand und Ausstattung im 12. bzw. zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Mit Bewunderung wird der Bau, „[…] quondam idolum omnium deorum“ und „jetzt eine Allerhei-ligenkirche mit dem Namen Maria rotunda“, beschrieben und erstmals mit einer Maßangabe versehen.49 Erst die späten Karten der ‚Mirabilien‘ des 16. Jahrhunderts

Cimabue, Arte medievale 2, Rom 1984/1985, S. 143–177, hier S. 161–163.44 Zum Beispiel Liber Pontificalis I (vgl. Anm. 58), S. 472f.45 Ursprünglich vor 1143 entstanden. Die stärkere Berücksichtigung der Kirchen Roms

im Anhang der ‚Mirabilien‘ beruht erst auf einer Umarbeitung des 13. Jahrhunderts; vgl.Gustav Parthey, Mirabilia Romae, Berlin 1869.

46 Etwa als „Beata Maria rotunda infra domum“ (1207) oder „Notre Dame la Ronde“ (1327); vgl. Gerhard Streich, Burg und Kirche während des deutschen Mittelalters 2.Untersuchungen, Sigmaringen 1984, S. 30, 204, 236 – mitunter zur Lokalisierung an-derer Objekte (vgl. Anm. 63). Die seit Anfang des 14. Jahrhunderts erscheinenden ‚Libri indulgentiarum‘ fassen wie die ‚Mirabilia‘ als Romführer für Pilger den jeweils aktuelle Wissenstand zu den Monumenten der Stadt zusammen; vgl. Nine Robijntje Miedema, Die Mirabilia Romae. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung, Tübingen 1996; Nine Ro-bijntje Miedema, Rompilgerführer in Spätmittelalter und Früher Neuzeit: die Indulgen-tiae ecclesiarum urbis Romae, Tübingen 2003.

47 Als deutlicher und unverwechselbarer Bestandteil der Stadt wird die Kirche als Orts- und selbst Familienname besonders am Übergang vom 13. zum 14. Jahrhundert verwendet (de Sancta Maria rotunda) und tritt daher häufiger in den Quellen auf, ohne dass für die hier behandelten Fragestellungen Informationen zu gewinnen sind; vgl. Karl Schell-hass, Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 79, Bad Feiln-bach 1999, Anm. 76f.

48 Zur Person vgl. Max Manitius, Geschichte der Lateinischen Literatur des Mittelalters 3,5. Aufl. München 2005, S. 248; D. Novelle, Archäologie, Memorabilia, Staatsschriften – zu den Mirabilia Romae/De mirabilibus Romae; N. 368 im Liber Floridus; S. 245–248.Antike Bauwerke werden von ihm aufgezählt und es wird auf fehlende, die ihm dennoch bekannt sind, aufmerksam gemacht.

49 Manitius (wie Anm. 48), S. 250. Für den Durchmesser (bzw. die Breite) von 43,8m sind 266 Fuß angegeben. Zwar wird auf den Bildschmuck eingegangen und auf die ehemals goldene Deckung verwiesen, Informationen zu Kuppelraum und Ikone gibt es nicht. Zu-sammenfassung der Maße: Spuler (wie Anm. 37), S. 34–41.

294 Holger Grönwald

zeigen eindeutige Außenansichten, wobei es – die Karten wurden mitunter eher schlechter denn besser – zu bis ins 18. Jahrhundert hinein tradierten Verwechslun-gen des Pantheons mit dem Kolosseum und der Engelsburg kommt.50 Verwunder-lich zu einer Zeit, in der das Pantheon selbst bei Burkhard Waldis (um 1490–1556) in die Fabeln des Esop Eingang gefunden hatte.51

Die Pilgerzeichen verdanken trotz Beachtung des Bauwerks ihre Entstehung vor-rangig der Marienikone im Pantheon. Der Ikonendarstellung gebührt in Anbetracht der Quellen daher vorrangig Beachtung. In Rom legte man die Grundlagen zur Ver-breitung der Marienverehrung im Abendland.52 Umso merkwürdiger, dass in Rom keine autonome Marienwallfahrt entstand (was angesichts der Fülle von Reliquien und Gebete erhörenden Gnadenbildern in der Stadt dann doch nicht verwundert) und die Rolle der Pantheonikone im päpstlichen Stationswesen nicht eindeutig ist.53 Zum Motivrepertoire der Pilgerzeichen könnten für die Stadt neben üblichem

50 Das betrifft u.a. die Romansicht Peter Bruegels d. Ä. von 1527/1551 (Paris, Privatsamm-lung), Abb. vgl. Fagiolo – Madonna (wie Anm. 36), S. 143 oder den Romplan im Palazzo Ducale von Mantua (nach 1538), Abb. vgl. Ebd. S. 120. Zum Pantheon bzw. der Rotunda in den ‚Mirabilien‘ vgl. Miedema (wie Anm. 46, 1996), S. 341 Anm. 8, S. 352,341, 398, 420, 426, 583, 585 sowie Christian Hülsen – Henri Jordan, Topographie der Stadt Rom im Altertum 2, Berlin 1871, S. 378, 628, 630 (Anm. mit Quellen).

51 Die Fabel „Vom Wolf, Fuchs und vom Esel“ im Esopus (1548) enthält eine ausführliche Beschreibung Roms in Versen mit Erwähnung der Maria rotunda. Siehe Heinrich Kurz (Hg.), Esopus von Burkhard Waldis. Das Vierte Buch der Fabeln Esopi, Leipzig 1862, 4. Vers 118, Anm. IV, 1. Waldis kannte das Pantheon aus eigener Anschauung, da er als Franziskaner vor seinen reformatorischen Aktivitäten Rom besuchte. Episode am Rande: zwischenzeitlich war er als Zinngießer in Riga tätig – ob damit Pilgerzeichenfertigung verbunden war, ist nicht zu sagen.

52 An 14 von insgesamt 47 europäischen, mit Pilgerzeichen vertretenen Wallfahrtsorten zwischen 1150 und 1350 wurden Maria oder ihre Reliquien verehrt. Pilgerzeichen von Stätten der Christus- oder Christusreliquienverehrung (vera crux) sind nur in vier Varian-ten bekannt; von Stätten der Verehrung anderer Heiliger gibt es jeweils nur eine Zeichen-variante; Angaben nach Haasis-Berner (wie Anm. 6), S. 277, Nr. 26 – allerdings wären insgesamt 60 Wallfahrtsorte zu berücksichtigen, von denen 45 mit einer Zeichenausgabe lokalisierbar sind (bis zum frühen 16. Jahrhundert kamen 200 weitere hinzu).

53 Bekannt ist nur die Rolle als Stationskirche am Freitag nach Ostern (Untermann [wie Anm. 43], S. 83; Walther Buchowiecky, Handbuch der Kirchen Roms 2. Der römische Sakralbau in Geschichte und Kunst von der altchristlichen Zeit bis zur Gegenwart, Wien 1970, S. 671 nach dem Epistolarium von Würzburg aus dem 7. Jahrhundert) und zum Fest der Beschneidung des Herrn am ersten Januar, was später nach Santa Maria in Trastevere verlegt wurde (Ebd., S. 671 nach Würzburger Evangeliar, Sacramentarium Gregorianum und dem fränkischen Gelasianum). Zu den Marienwallfahrten vgl. Beinert – Petri (wie Anm. 4), S. 12–18, 25f. Im Mittelpunkt marianischer Verehrung stand nach dem Marien-Acheiropoieton in Santa Maria in Trastevere ab dem 5. Jahrhundert vor allem die Ikone der Salus Populi Romani in Santa Maria Maggiore.

295Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

(Christus, Maria, Heilige oder deren Attribute, geweihte Stätten und Reliquien) Charakterisierungen adäquat zu den Haupt- oder Pilgerkirchen Roms angenom-men werden, die nicht ausschließliche Wallfahrtsorte blieben und mit päpstlichem Edikt ‚Konkurrenz‘ bekommen konnten. Nachgewiesen sind Maria mit Kind bzw.Maria rotunda, St. Petrus und St. Paulus bzw. gekreuzte Schlüssel, St. Laurentius und St. Stefanus, St. Johannes lateran sowie Vera Icon. Damit sind zwar vier Pilgerzen-tren abgedeckt, die aber nicht deckungsgleich mit den als Hauptkirchen geltenden Gotteshäusern sind.54 Wie angesprochen, weist das Pantheonssignum die meisten Varianten unter den römischen Pilgerzeichen auf. Das erstaunt weder bei der Rolle des Baus als zentraler Punkt Roms, bei seiner Größe und Attraktivität, noch dem im Mittelalter bewusst wahrgenommenen, wenn nicht gar überhöhten Alter55 und

54 Vgl. Sible de Blaauw, Die vier Hauptkirchen Roms, in: 799. Kunst und Kultur der Ka-rolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn (Ergänzungsband), hg.von Christoph Stiegmann – Matthias Wemhoff, Paderborn 1999, S. 514. Erst ab dem 16. Jahrhundert wurden aus den einst vier letztlich sieben Wallfahrts- oder Hauptkirchen: St. Petrus, Santa Maria Maggiore, St. Johannes im Lateran, St. Paulus vor den Mauern, St. Laurentius vor den Mauern, St. Sebastian in den Katakomben und die Kirche des Hei-ligen Kreuz von Jerusalem.

55 Er ging in die im 13. bzw. 14. Jahrhundert entstandenen Fabeln von der Urgeschichte Roms ein – ins Romuleon, die Fiorità d’Italia und die Historia Trajana et Romana. Bei Giovanni Bonsignori wird die Legende der klingenden Statuen vom Kapitol hierher ver-legt (Liber Imperialis; Cod. Cart. A. 1478, Magliabechiana/Florenz XXIII Cod. IX nach Ferdinand Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter vom V. bis XVI. Jahr-hundert I–IV, München 1896/1988, S. 556).

Abb. 10: Rom, Pantheon. Fragment einer Ikone, Kaseintem-pera auf mit Rotocker grundierter Ulmenholztafel, Ergänzun-

gen in Enkaustik; ca. 100 × 47,5 cm, ehemals eventuell 240 × 85 cm. Das Werk aus dem 7. Jahrhundert könnte das 609

im Pantheon aufgestellte Marienbild und damit das zentrale Bildmotiv der Pilgerzeichen der Maria im Pantheon sein.

Foto: Istituto Centrale per il Catalogo e la Documentazione, nach Belting (wie Anm. 65)

296 Holger Grönwald

der Bedeutung des Marienbildes (Abb. 10).56 Das Pantheon war nach Schließung der Tempel unter Kaiser Theodosius I. (* 347, Imp. 379–395) wohl zweihundert Jahre nicht religiös genutzt worden, bevor man es auf Ersuchen Papst Bonifatius IV.(Pont. 608–615) bei Kaiser Phocas (* nach 547, Imp. 602–610) mit Sachstiftungen der römischen Kirche als Schenkung übertrug57, die verbliebenen Statuen entfern-te und der „beatae semperque virginis Mariae et omnium martyrium“ widmete.58

Der erste christianisierte Tempel Roms (erst nach dreihundert Jahren sollte mit dem Tempel der Fortuna Virilis ein weiterer, als solcher bekannter Tempelbau umgewid-met werden59) entwickelte sich in mutmaßlicher Anknüpfung an die Verehrung der magna mater mit Kybele – als deren Tempel60 man die vermeintliche Rotunde des Marcus Agrippa seit dem Frühmittelalter deutete61 – zu einem Zentrum der

56 Nicht zu verwechseln mit der heute in der Hauptapsis aufbewahrten, um 1600 mit ver-goldetem Oklad versehenen Ikone vom Typ der Salus Populi Romani, wie bei Bucho-wiecky (wie Anm. 53), S. 685.

57 Ein bemerkenswerter Umstand, der Einblick in die machpolitische Hierarchie zu Beginn des 7. Jahrhunderts gibt.

58 Nach Berichten des Beda Venerabilis (Untermann [wie Anm. 43], S. 83) und des Pau-lus Diaconus aus dem 8. Jahrhundert (Historia gentis Langobardorum IV. 37), sowie dem Liber Pontificalis (Franz Alto Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter. Papststiftungen im Spiegel des Liber Pontificalis von Gregor dem Dritten bis zu Leo dem Dritten, Palilia 14, Wiesbaden 2004, S. 33 Anm. 150; Buchowiecky [wie Anm. 53],S. 672 nach Lib. Pont. I, S. 3172–4, Le Liber Pontificalis I, hg. von Louis Duchesne, Paris 1886, Nachdruck 1955) wohl um 608, die Angaben schwanken zwischen 604 und 610.Seitdem päpstlicher, von dessen Anwesen getrennter Besitz; vgl. Heinz Kähler, Das Pantheon in Rom, in: Meilensteine europäischer Kunst, hg. von Erich Steingräber, Mün-chen 1965, S. 47–75; Gregorovius (wie Anm. 55), S. 289; Wolf-Dieter Heilmeyer – Ellen Schraudolph – Hildegard Wiewelhove, Der Ruhm des Pantheon, Berlin 1992, S. 15.

59 Erst zu Santa Maria ad Gradellis, später zu Santa Maria Egiziana; vgl. Buchowiecky (wie Anm. 53), S. 186. Vor 1132 dann der Monopteros des Hercules Victor auf dem Fo-rum Boarium in St. Stefano; vgl. Aufzählung umgewidmeter Zentralbauten bei Unter-mann (wie Anm. 43), S. 8f.

60 Durch die Translationslegende des aus Phrygien stammenden heiligen Steins der Kybele um 200 wie der angeblich ebenfalls mit einem Tempel der Magna Mater belegte Standort von Santa Maria Maggiore auf dem Esquilin (erste Marienkirche des Abendlandes) ein elementares stadtrömisches Heiligtum; vgl. Gerhard Wolf, SALUS POPULI ROMANI.Die Geschichte der römischen Kultbilder im Mittelalter, Weinheim 1990, S. 4, 7 nach Dagmar Stutzinger, Kybele und Attis, in: Spätantike und frühes Christentum, Frank-furt am Main 1983, S. 111–123.

61 Das Gebäude wurde mit dem monumentalen Tempel des Konsuls für die sieben Göt-ter der Planeten aus dem Jahre 27 v. Chr. identifiziert, in ‚Graphia‘ und ‚Mirabilien‘ des 13. Jahrhunderts gingen eine Erklärung zur Stiftung des Baus nach erfolgreichem Zug ge-gen die Perser und Hypothesen zur (goldenen) Bauplastik ein; vgl. Gregorovius (wie

297Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

zunehmenden Marienverehrung62 und ist uns über lange Zeit als einziges Gottes-haus der Siedlungskonzentration des Abitato63 im Tiberknie am östlichen Flussufer bekannt.64 In einer Prozession wie beim Empfang der Kaiserbilder aus Konstanti-nopel zog die Marienikone in breiter Öffentlichkeit am 1. November 609 ins Pan-theon ein. Am 13. Mai 610 wurde der Tempel nach byzantinischem Vorbild geweiht (Ursprung ‚Allerheiligen‘, ab dem 8. Jahrhundert am 1. November begangen).65

Die Ikone spielte nach dem Ersatz der Heiltumsfunktion antiker Kultbilder durch

Anm. 55), S. 552f. Nach einem Brand 80 n. Chr. errichtete man den Kuppelbau allerdings unter Kaiser Hadrian neu (eventuell bereits unter Trajan begonnen).

62 Vgl. Beinert – Petri (wie Anm. 20), S. 453 und Paul Sträter, Offenbarungsarten über Marias Königstitel, bei Beinert – Petri (wie Anm. 4), S. 324.

63 Die 9. Stadtregion, die mit dem Pantheon das Gebiet um St. Eustachio, die Ravona, die Alexanderthermen (im Mittelalter lag hier am Tiber das Gerberquartier) und St. Loren-zo in Lucia umfasst; Beinert – Petri (wie Anm. 4), S. 561, 580. Antik das Marsfeld oder die Regio IX Circus Flaminius (im Mittelalter mitunter Camiglioano wegen des dem Camillus zugeschriebenen Bogen genannt); der Arcus Pietatis des Trajan wird in den ‚Mirabilien‘ als ‚bei Santa Maria rotunda‘ lokalisiert; vgl. Gregorovius (wie Anm. 55),Bd. IV, Anm. 713; Schellhass (wie Anm. 47), S. 579, Anm. 76f.; ebenso Santa Maria in Minervum; vgl. Gregorovius (wie Anm. 55), S. 579.

64 Von der Existenz frühmittelalterlicher Oratorien im privaten Rahmen ist auszugehen. Siesind bislang archäologisch ebenso wenig dokumentiert, wie die Stadtstruktur an sich (die Stratigraphie im Areal der Crypta Balbi unter einem mittelalterlichen Stadthaus zwischen der Via dei Delfini, der Via Caetani und der Via delle Botthege Oscure auf dem ehem.Marsfeld, Teil des Museo Nazionale Romano, lässt hier aber viel erwarten) und fanden keinen Eingang in die Überlieferung der tituli gehobener/senatorischer Stiftungen.

65 Buchowiecky (wie Anm. 53), S. 672 nach Sacramentorium Gregorianum und einem Lectionar des 7. Jahrhunderts (Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Lat. 46).Reliquienverzeichnisse: Niccolò Cassiani, Di tanti Imagini della Mad.a S.ma quali si conservano … in Roma …, BAV, Reg. lat. 2100; nach 1596, fol. 14v, sowie benannt bei An-drea Vittorelli, Gloriose Memorie della Beatissima Vergine Madre di Dio, Rom 1616, S. 373. Bis 1593 befand es sich über dem Altar in der Ädikula links vom Presbyterium.Die wohl identifizierte, freigelegte Ikone (Carlo Bertelli, La Madonna del Pantheon.Bollettino d’arte 46, Rom 1961, S. 24–32) befindet sich nach Ausstellung in Santa Maria Maggiore 1988 (Pietro Amato, De vera effigie Mariae. Antiche Icone Romane, Ausstel-lungskatalog Santa Maria Maggiore, Milano 1988, S. 33–39) wieder in der Capella Reale bzw. Kapelle der Kanoniker in Nebenräumen des Pantheon; vgl. Guglielmo Matthiae, Pittura romana del medioevo. Aggiornamento scientifico e bibliografia di Maria Andalaro, Roma 1987–1988, S. 126, 255; Carlo Bertelli, Pittura in Italia durante l’iconoclasmo.Le icone. Arte cristiana 76, Rom 1988, S. 50; Judith Champ, The English Pilgrimage to Rome. A Dwelling for the Soul, Cloucester/Bodmin 2000, S. 23; Hans Belting, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 2004, S. 141.Zu Standortwechseln in der Neuzeit vgl. Johanna Weissenberger, Römische Marien-gnadenbilder 1473–1590. Neue Altäre für alte Bilder (phil. Diss.), Heidelberg 2007, Ka-talog S. 134f. nach Sible De Blaauw, Das Pantheon als christlicher Tempel, in: Bild- und

298 Holger Grönwald

Reliquien stadtrömischer Heiliger mit zunehmender Verklärung66 eine entscheiden-de Rolle unter den wichtigsten frühen Ikonen Roms.67 Nach einer ersten, in die Ära Papst Bonifatius IV. projizierten Überlieferung68 verband sich später zu einer Zeit konzentrierten Reliquien- und Reliquiar-Imports aus Byzanz sowie einsetzenden Funktions- und Gestaltwandels beim Tafelbild69 mit der Pantheonikone zudem die Legende, dass sie mit dem Schweißtuch (Sudarium), dem „echten Bild“ Jesu, aus Jerusalem nach Rom gekommen sei.70 Damit ging letztlich die Übernahme des von dem der Hodegetria näheren Marienbild in Santa Maria Maggiore71 belegten An-spruchs einher, dass es sich um ein der Maria höchst ähnliches, eventuell von der

Formensprache der spätantiken Kunst. Festschrift Hugo Brandenburg, hg. von Martin Jordan-Ruwe – Ulrich Real, Münster 1994, S. 25.

66 Absenz von Marienreliquien und Ortsgebundenheit des Grabes hatten im 5. Jahrhundert quasi einen Paradigmenwechsel in der Marienverehrung eingeleitet, der den Ikonen Reli-quienstatus übertrug; vgl. Beinert – Petri (wie Anm. 4), S. 323f.

67 Neben der Salvatorikone im Lateran die Marienbilder in Santa Maria Maggiore, Santa Maria Nuova (evtl. das Bild aus Santa Maria Antiqua), St. Sisto und evtl. Santa Maria in Trastevere (wenn diese nicht ins 8. Jahrhundert datiert). Als weitere Standorte früher Marien-Ikonen kommen Santi Cosma e Damiano und St. Adriano, bzw. Santa Martina hinter derselben (12. Jahrhundert) in Betracht; vgl. Wolf (wie Anm. 60), S. 57, 128.

68 Während einer Messe des Papstes vor der Ikone soll an einem 12. Februar zwischen 608 und 615 ein blinder Jude das Augenlicht wieder erlangt haben; vgl. Buchowiecky (wie Anm. 53), S. 685.

69 Im 13. Jahrhundert; vgl. Hans Belting, Icons and Roman Society in the Twelfth Century,in: Villa Spelman Colloquia 1, Italian Church Decoration of the Middle Ages and Early Renaissance; Functions, Forms and Regional Traditions, Bologna 1989, S. 27–41; Wolf (wie Anm. 60), S. 17.

70 Der Veronica der Passionsgeschichte, wofür die Zeit um 1300 angesetzt wird. Die Tuch-reliquie wird allerdings bereits in der Ordo XI des Benedictus Canonicus (1140–1143; Ordo Romanus in: Liber Censuum 1910, vol. II, 141–164) und von Petrus Mallius um 1150 erwähnt; Ernst von Dobschütz, Christusbilder. Untersuchungen zur christli-chen Legende, Leipzig 1899, S. 285. Die Marienikone des 7. Jahrhunderts stammt wohl aus einer römischen Werkstatt. Quellen für ihre Herkunft gibt es nicht, weshalb sie als das am wenigsten in Herkunft und Besitz umstrittene Marienbild Roms gilt. Legenden bei: Pompeo Ugonio, Historia delle stationi di Roma che si celebrano la Quadragesima, Rom 1588, S. 309 und Andrea Vittorelli, Gloriose Memorie della Beatissima Vergine Madre di Dio, Rom 1616, S. 373.

71 Ein ursprüngliches Bild soll 590 von Gregor dem Großen in einer Prozession von San-ta Maria Maggiore nach St. Peter getragen worden sein. Die Hodegon-Ikone erfuhr erst im 9. Jahrhundert eine Begehrlichkeiten nach Kopien weckende Verehrung, überliefertes Werk besitzt eine Fassung des 13. Jahrhunderts; vgl. Beinert – Petri (wie Anm. 20),S. 455.

299Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

Gottesmutter selbst gesegnetes Lukasbild handelt.72 Eine direkte Herkunft aus dem Heiligen Land sollte römische und byzantinische Kultbilder in ihrer Wertschätzung parallelisieren, sie treten regelrecht in Bedeutungskonkurrenz. Die die Hodegetria eng rezipierenden römischen Marienikonen – ihr ‚byzantinischer‘ Stil war Voraus-setzung für die Wahrnehmung als Gnadenbilder73 – übernahmen die Bedeutung des Bildes in Konstantinopel nach seiner Zerstörung.74

Abgesehen davon spielten die Ikonen nicht zuletzt angesichts des anhaltenden Schutzbedarfs der Stadt vor Seuchen eine wesentliche Rolle – die ihnen zugeschrie-bene reinigende Wirkung sollte dieser Gefahr entgegnen. Speziell Maria wurde zu-nehmend wegen besonderem Wohlwollen gegenüber den Bewohnern Roms mit der Stadt selbst75 und der Ecclesia Romana identifiziert, und mit angemessenen Feier-lichkeiten bedacht.76

72 Wenn ein solches nicht bereits wie das Christus-/Salvatorbild im Triumphzug des Titus nach Rom geführt wurde. Als Werk des Lukas – angeblich auf die Tischplatte des Hauses von Nazaret gemalt; vgl. Beinert – Petri (wie Anm. 20), S. 453 – verbindet sich durch Marias Segnung mit der Hodegetria eine doppelte Legitimierung, weshalb das Bild Trä-ger himmlischer Gnade ist; Wolf (wie Anm. 60), S. 222. Da der vermeintlich in Malerei bewandelte Grieche der Legende nach auserkoren wurde, Christus- und Marienbilder für die Nachgeborenen anzufertigen – ein Zeichen deren zeitgenössische Wertschätzung; ebd., S. 61 – bürgen diese durch ihren unmittelbaren Eindruck von deren Aussehen und durch die Anteilnahme der übrigen Apostel für Authentizität (wann die Lukaslegende entstand, ist unklar).

73 Bis ins 15. Jahrhundert, weshalb sich das spezifische Formengut bis ins Detail erhielt; vgl.Beinert – Petri (wie Anm. 20), S. 451.

74 Vgl. Wolf (wie Anm. 60), S. 64. Abgesehen davon wird ein in Santa Maria Nuova in Rom entdecktes Ikonenfragment des 6. Jahrhunderts in Verbindung zur Hodegetria von Konstantinopel gebracht; vgl. Karl Kolb, Typologie der Gnadenbilder, in: Beinert – Petri (wie Anm. 20), S. 454, vielleicht ein Zeichen später, reliquiengleicher Ikonenwert-schätzung im Bemühen um Besitz (der Reste) des Originalbildes, denn „Die Ehre des Bildes geht auf die Ehre des Urbildes (Prototyp) zurück“, ebd., S. 145, Anm. 179 zum Horos des II. Konzils von Nicaea nach Georges Gharib – Ermanno M. Tonniolo – Luigi Gambero – Gerardo di Nola (Hg.), Testi mariani del primo millenio 2. Padri e altri autori bizantini, Rom 1989, S. 617–619.

75 Mit der Marotia-Legende entstand ein enger Bezug der Römer zu Maria; vgl. Wolf (wie Anm. 60), S. 68f. Durch deren Fürbitte können sie ewige Seeligkeit erlangen, sie lässt ihnen Heil und Mitleid zukommen und bewahrt mehr Volk vor dem Fegefeuer, als Rom Einwohner hat. Nach Petrus Damiani (um 1050), De variis miraculis et apparitionibus cap. 3, Migne PL CXLV, 1865, col. 586f.; vgl. Wolf (wie Anm. 60), S. 69, 317f.

76 Elementar in Rom unter den größeren, östlicher Praxis entlehnten Marienfesten dabei neben der Assumptio – Maria Himmelfahrt (15. August) ab den ersten Jahrzehnten des 7.  Jahrhunderts in den römischen Liturgiebüchern belegt; vgl. Beinert – Petri (wie Anm. 20), S. 488f.: Purificatio – Mariä Reinigung/Lichtmess (2. Februar), Annuntiatio – Mariä Verkündigung (25. März), Nativitas – Mariä Geburt (8. September). Zum Ge-

300 Holger Grönwald

Zurück zur Darstellung auf dem Pilgerzeichen und ihrem Vorbild: Die Ikone des 7. Jahrhunderts lässt das Motiv der Maria Regina, beim Pilgerzeichen der Maria im Pantheon durch die Bekrönung rezipiert, nicht erkennen.77 Nur ist uns ihre jüngere Ikonenfassung unbekannt, zu deren ‚Oklad‘ als Zutat durchaus eine Krone gehört haben kann. Als „spezifisch westliches Phänomen“ erhielt dieses von Bildern by-zantinischer Kaiserinnen entlehnte Motiv bei Darstellung der Ecclesia Regina oder Mater Ecclesia Eingang in den byzantinisierenden Kunstkreis des Okzidents.78 Es findet sich nach der kirchenpolitisch bestimmten Aufwertung der Marienbilder im 12. Jahrhundert79 in Italien insbesondere in der kosmatischen Kunst des 12. bis 14. Jahrhunderts.80 Zur Inszenierung der in einer Attika-Nische über einer der Ädi-kulen und sicher von einem Vorhang (velum obducatus) geschützt aufgestellten Reliquie gehörten zumindest rahmende Säulenpaare, wie sie sich auf dem Amulett als Ergänzung zur eindeutigen Identifikation von Standort und Kultbild finden. Sielassen sich möglicherweise mit Resten eines um 1270 angesetzten Ziboriums oder Tabernakels verbinden, in dem die Ikone in Anlehnung an antikisierende Würdefor-meln quasi in ihrem königlichen Haus thront.81 Vergleichbare Paralleleinrichtungen

denktag der Märtyrer (3. und 4. Mai) stand daneben ein weiteres Fest im Pantheon an, nach Mirabilia etc. G. 4 b.; Ernst Platner – Carl Bunsen – Eduard Gerhard – Wil-helm Röstell, Beschreibung von Rom III, Stuttgart/Tübingen 1830, S. 338ff., „An dem dritten und am vii tag im mayen und aller unser frawen tagen und an aller heiligen tag so ist do vergebung aller sunde“.

77 Die Pantheon-Ikone des 7. Jahrhunderts konnte das Motiv noch nicht aufgreifen (vgl.Anm. 69).

78 Vgl. Beinert – Petri (wie Anm. 20), S. 451.79 Vgl. Wolf (wie Anm. 60), S. 119, 128.80 Zum Beispiel die thronenden Marien der Mosaiklünetten über den Gräbern des Guil-

lelmus Durandus in Santa Maria Sopra Minerva um 1297/98; Peter Cornelius Claus-sen, Magistri Doctissimi Romani. Die römischen Marmorkünstler des Mittelalters. Cor-pus Cosmatorum I. Forschungen zur Kunstgeschichte und christlichen Archäologie 14, Wiesbaden/Stuttgart 1987, Abb. 291, und des Kardinal Gonsalves in Santa Maria Mag-giore (†1299; ebd., Abb. 293). Zum Motiv gibt es viele Parallelen, wie beim Grabmal des Matthias von Aquasparta/Araceli u.a. In der orthodoxen Kunst wurde es weit länger tradiert; vgl. die thronende Maria im nördlichen Seitenschiff der Kirche des Klosters des Heiligen Neophytos von 1544; A. Papageorgiou, Kloster Agios Neophytos – Geschichte und Kunst, Nikosia 1998, Abb. 13.

81 Zu dem Stephanus Magius zugewiesenen Ziborium vgl. Weissenberger (wie Anm.  65), Katalog S. 135 nach Antonio Muñoz, La decorazione medioevale del Pan-theon. Nuovo Bullettino di Archeologia Cristiana 18, Rom 1912, S. 25–35; Claussen (wie Anm. 80), S. 170 Anm. 952; Peter Cornelius Claussen, Il tipo romano del ciborio con reliquie. Questioni aperte sulla genesi e la funzione. Mededelingen van het Neder-lands Instituut te Rome 59 (Atti del colloquio internazionale Arredi di culto e disposizio-ni liturgiche a Roma da Costantino a Sisto IV 1999), Rom 2001, S. 229–249. Es könnten

301Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

sind Bestandteil des Wandels der öffentlichen Präsentation römischen Ikonen im ausgehenden 13. Jahrhundert, etwa in Santa Maria Maggiore, wo das Ziborium nach Quellenlage zwischen 1295 und 1378 anzusetzen ist (am ehesten aber um 1300).82

Die Wahrnehmung der die Ikone beherbergenden Kirche vor Etablierung des hochmittelalterlichen Pilgerzentrums über die Alpen hinaus bestätigen eine Auf-zählung der Marienkirchen Roms aus dem 8. Jahrhundert83 und eine im Pantheon abgehaltene Synode Papst Johannes VIII. (* vor 852, Pont. 872–882).84 Danach schweigen die seit Ende des 5. Jahrhunderts ohnehin raren Quellen weitestgehend85,bis auf eine Erwähnung der Zufluchtnahme des verfolgten langobardischen Pries-ters Waldipert bei der Maria im Pantheon 786.86

Bildliche Überlieferungen der Ikone gibt es vor den Pilgerzeichen der Maria ro-tunda ebenso wenig, wie direkt auf sie bezogene, jüngere Ikonenkopien, da diese dem Urbild so nah als möglich sein sollten. Dass die Ikone kaum schriftliche Erwäh-nung fand, erstaunt angesichts des Bilderstreites nicht, auch wenn dieser Rom nie in der Schärfe wie die östlichen Kirchen betraf.87 Aber auch vom Pantheon fehlen wie von anderen Kirchen detailliertere ältere Darstellungen, so wie es selbst an Wie-dergaben städtischer Entwicklung oder Gestalt mangelt. Und das, obwohl für die Karolingische Renaissance in der Ära von Papst Leo III. (* um 750, Pont. 795–816)

nach den Proportionen auf der Plakette auch vier rahmende Pilaster der Attikazone ge-meint sein.

82 Vgl. Wolf (wie Anm. 60), S. 226.83 Von einem Salzburger Anonymus; vgl. Gregorovius (wie Anm. 55), S. 421, Anm. 35.84 19. April 876; vgl. Gregorovius (wie Anm. 55), S. 194.85 Abgesehen von der Abnahme der Kuppeldeckung aus Bronzeplatten unter Konstans II.

653 bzw. 663 nach Untermann (wie Anm. 43), S. 83, damit notwendig werdenden Re-novierungsmaßnahmen unter Benedict II. 684, dem Ersatz der Deckung durch Bleiplat-ten neben weiteren Ausstattungsmaßnahmen 735 unter Gregor III. 731–741; vgl. Bauer (wie Anm. 58), S. 40, und der Überlieferung einer vom Pantheon ausgehenden Dank-prozession 742 unter Zacharias, zum Dank für vom langobardischen König Liutprand zurück erhaltener Städte; Buchowiecky (wie Anm. 53), S. 673. Gregor III. wandte sich bekanntlich gegen die Entfernung der Bilder; Lib. Pont. I (wie Anm. 58), S. 41313–17.– Das generelle Phänomen des Mangels an Überlieferungen zu den frühen Ikonen erklärt sich neben der während des Bilderstreits zwischen 727 und 843 geübten, abwartenden Zurückhaltung im Umgang mit den Bildwerken, aus der religiösen Praxis der Heiligen-verehrung, die überwiegend an Körperreliquien gebunden war.

86 Wohl weil er zuvor Philippus für den Langobardenkönig Desiderius als Gegenpapst im Lateran inthronisiert hatte. Die Ikone der Maria im Pantheon sollte ihm Schutz bieten; vgl. Vita Stephan III. (768–772) Lib. Pont. I (wie Anm. 58), S. 47225–26 nach Bauer (wie Anm. 58), S. 78 Anm. 466.

87 Vgl. Beinert – Petri (wie Anm. 20), S. 143f.; Beinert – Petri (wie Anm. 4), S. 449–452.

302 Holger Grönwald

Abb. 11: Romplan des Fra Paolino da Venezia von 1323 mit reduzier-ter Ansicht des Pan-theon. Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. Lat. 1960, fol. 270v.Foto: nach Bogen – Thürlemann (wie Anm. 42)

bis Papst Leo IV. (* um 790, Pont. 847–855) Kirchenreparaturen und -neubauten überliefert sind. Offenbar wurde mehr Wert auf Betonung der Eigenleistungen bei der „Wiedergeburt Roms christlicher Vergangenheit“ gelegt, deren „Reminiszen-zen an die christliche Antike“ aus Spolieneinsatz und aufgegriffenen stilistischen Elementen bestanden. Die erst ab dem 11. Jahrhundert wieder einsetzenden to-pographischen Darstellungen Roms sollen für einen Überblick, welches Bild man vom Pantheon im (Spät-) Mittelalter gewinnen konnte, hier nur kurz angerissen

303Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

werden.88 Symbolische, reduzierte und nur begrenzt einem Publikum zugängliche Gebäudeaußenansichten sind dabei kaum zu berücksichtigen: die dem erwähnten Fresko des Cimabue in St. Francesco in Assisi ähnlichen summarischen Darstellung Roms bzw. seiner wichtigsten Denkmäler innerhalb der Stadtmauer auf dem Siegel der Goldenen Bulle Ludwigs des Bayern (* 1281/82, Reg. 1314/1322, Imp. 1328–1347)89, auf Taddeo di Bartolos (um 1362/63–1422) Fresko mit Romplan90, oder im Stundenbuch des Herzogs Jean de Berry (1340–1416).91 Einen ersten Plan mit Pantheonansicht und Beschriftung „S.A M.A ROTUDA“ erstellte 1323 Fra Paolino da Venezia (um 1270–1344), wobei der rudimentär wiedergegebene Bau eventuell als Innenraumcharakterisierung zu verstehen ist, quasi als durch Nischen und Öff-nungen über drei Ebenen und doppelte Umrisslinien charakterisierter Querschnitt (Abb. 11). 92 Weitere Karten und Ansichten entstammen erst dem 15. Jahrhundert, auch wenn sie immer noch auf die ab dem Frühmittelalter mit dem eklatanten Be-völkerungsschwund Roms zusammengefassten Siedlungskonzentrationen und städ-tischen Funktionsräume verweisen.93 Da sie jünger als die Pilgerzeichen der Maria im Pantheon sind (was noch auszuführen ist), entfallen sie als Vorlagen94 und sind

88 Vgl. u.a. Richard Krautheimer, Rom. Schicksal einer Stadt 312–1308, München 1987, S. 137, 151. Wegen fehlender Charakterisierung von Bauwerken ist der nur grob Gebäudeblöcke zeigende, symbolisch in Löwenform gehaltene Plan eines Anonymus vom Ende des 13. Jahrhunderts hier unwichtig (Hamburger Staats- und Universitätsbib-liothek, Liber ystoriarum Romanorum, Cod. ms. 151, fol. 107v); vgl. Bogen – Thürle-mann (wie Anm. 42), S. 25 Abb. 3.

89 An der Urkunde für Nürnberg vom 25.10.1328; Bayrisches Hauptstaatsarchiv München, Kaiser-Ludwig-Selekt 1263; Bogen – Thürlemann (wie Anm. 42), S. 35 Abb. 6.1.Über eine reine Romcharakterisierung hinaus unterstreicht die Pantheondarstellung hier direkt ghibellinisch-kaiserlichen Anspruch (vgl. Anm. 108).

90 Palazzo Comunale Siena, 1407; Bogen – Thürlemann (wie Anm. 42), S. 39 Abb. 7.91 Les Très Riches Heures du Duc de Berry des Paul, Johan und Hermann von Limburg

(Bibliothèque nationale de France, Paris, Ms. lat.18014, 1410–1416, fol. 141v); Bogen – Thürlemann (wie Anm. 42), S. 39 Abb. 7.1.

92 Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. Lat. 1960, fol. 270v; Abschrift des Compen-dium (Chronologia Magna, um 1320) der Biblioteca Marciana, ms. lat. Zan. 399 (1610) fol. 98r. Als frühes Beispiel der Mirabilien-Literatur wohl auf einem Text von 1280 ba-sierend, zu dem eventuell bereits eine Karte gehörte; Krautheimer (wie Anm. 88),S.  224f., 261, 315. Eine Abschrift mit noch unspezifischerer Wiedergabe findet sich im Handexemplar in Chartres; vgl. Bogen – Thürlemann (wie Anm. 42), S. 27–29 Abb. 4.1, 4.

93 Etwa eine des ersten Viertels des 15. Jahrhunderts; vgl. Amato Pietro Frutaz, Le piante di Roma, Roma 1962, S. 244, Taf. 150.

94 Wenn auch noch der symbolhaften Darstellungstradition mit Zusammenfassung der wichtigsten Gebäude verhaftet, wobei im Tiberknie Türme und Monumente ohne profa-ne Bebauung um das Pantheon versammelt sind.

304 Holger Grönwald

andernorts zu berücksichtigen. Immerhin, auch außerhalb der Stadt konnte man eine Vorstellung vom größten Kuppelbau der Welt in der Christenheit des Abend-landes gewinnen. Ebenso von der Marienikone – nur dass deren Bild neben der generellen Ähnlichkeit der Ikonen ausschließlich über die Pilgerzeichen der Ma-ria rotunda Verbreitung fand, die daneben eben bemerkenswerter Weise den Ge-bäudeinnenraum des Pantheon zeigen. Die Signa reflektieren beides: die Wertschät-zung von Ikone und Bau. Zugleich sind sie deren Medium.

In Anbetracht der zeitlichen Differenz zwischen dem einsetzenden Verkauf von Pilgerzeichen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts und Darstellungen der Kirche der Maria rotunda auf Buchillustrationen und -drucken, sind vor der Vor-stellung des archäologischen Zusammenhangs die stark differierenden zeitlichen Ansprachen der sieben Plaketten zu hinterfragen (eine Wertung deutete sich bereits an). Sie fächern sich vom 13. bis zum 16. Jahrhundert auf – trotz der offensichtli-chen unmittelbaren Verwandtschaft und dem selbst bei rudimentär wiedergegebe-ner Umschrift geschlossenen Sinnzusammenhang von Bild und Text.95

Es offenbart sich ein traditionelles kunsthistorisches Schema, wenn einfachere Form und Ausführung als älter angesprochen werden. Gerade Weihgeschenke und Pilgerzeichen zeigen aber immer wieder von einer linearen Evolution hin zu vollen-deter Form abweichende Entwicklungen. An eine Vorlage oder Vorgabe angelehnt, wurden sie während der Massenproduktion häufig einfacher gestaltet. Qualitativ und preislich unterschiedene Produkte waren parallel im Angebot.

Für die sich erst nach den ältesten überlieferten, ab 1199 für St. Petrus und St. Paulus angesetzten Pilgerzeichen Roms96 entwickelnden, auf einander Bezug nehmenden Plaketten der Maria im Pantheon, ist ein engerer Datierungsansatz vorzuschlagen. Für ikonographische Vergleiche lassen sich kleinformatige Minia-turen97 (Abb. 12), Bildwerke der Malerei98 (Abb. 13) und der Plastik heranziehen

95 So bei den Funden von Tjæreby, Rotterdam, aus Berlin und von Cucagna.96 Vgl. Haasis-Berner (wie Anm. 6), S. 277.97 Etwa einer Miniatur der Hodegetria-Ikone (Cod. 78 A 9, fol. 39v; Staatliche Museen zu

Berlin, Kupferstichkabinett) oder eine inkunabelartige Darstellung im Salterio di Santa Elisabetta (Cividale; MAN, ms. CXXXVII, c. 59v; Anfang 14. Jahrhundert) – im Un-terschied zu Mariendarstellungen des 11. Jahrhunderts in den für eine breite öffentliche Wahrnehmung illuminierten Weiheliedern der Exultet-Rollen aus beneventianischem oder cassinensischem Kunstkreis, etwa die Maria Ecclesia des Barberini Exultet bzw. Exul-tet Montecassini, Cod. Barb. Lat. 592; vgl. Wolf (wie Anm. 60), S. 110, 113, Abb. 59,64.

98 Neben Werken aus dem religiösen Œvre des Duccio di Buoninsegna (um 1255/60–1318/19; etwa: National Gallery London, um 1280 und Santa Maria della Scala, Siena, nach 1311) und von Cimabue (z.B. die Madonna mit vier Engeln, Santa Maria dei Servi,

305Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

(Abb. 14).99 Sie offenbaren eine Tendenz zur Reduktion der „‚Architektur‘ des Ma-donnengesichts“ auf die wesentlichen Merkmale: kleiner Mund, große Augen unter aufschwingenden Brauen und lange, schmale Nase.100 Die hier gewählten Beispiele

Bologna, 1280-1290), Giottos Madonna mit der Glorie (oder inthrono) mit Heiligen (Assisi, nach 1305; heute Florenz, Galleria degli Uffizi).

99 Zum Beispiel das Relief der Maria lactans in der linken Bildhälfte des Portaltympanons bzw. der -lünette der Kathedrale San Rufino in Assisi; dazu mit weiteren Vergleichen und Datierung Adriano Prandi – Sandro Chierici – Giullia Tamanti et al., Italia roma-nica 3. L’Umbria, Milano 1979, S. 257–280 und Walter Dall’Aglio – Enrico Vidau (Hg.), La Madre di Dio per una cultura di pace, Roma 2001, S. 134–141. Exemplarisch (wegen der räumlichen Nähe zum Fundort) die Madonna di Partistagno; nach Luca Mor, La Scultura e l’Arte decorativa, in: Museo archeologico medioevale Attimis e i cas-telli del territorio, Basaldella di Campoformido/Udine 2000, S. 53–57.

100 Vgl. Wolf (wie Anm. 60), S. 55 speziell zur Ikonenmalerei – am ehesten den Pilgerzei-chen entsprechend.

Abb. 12, links: Miniatur der Hodegetria-Ikone mit detaillierter Wiedergabe von Bildrah-men und architektonischem Umfeld, zweite Hälfte 13. Jahrhundert. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett Cod. 78 A 9, fol. 39v. Foto: Holger Grönwald; Rechts:

Miniatur im Salterio di Santa Elisabetta, Anfang 14. Jahrhundert. Cividale, MAN, ms. CXXXVII, c. fol. 59v. Foto: Museo Archeologico Nazionale di Cividale del Friuli

306 Holger Grönwald

Abb. 13: Vier Altarbilder mit Giebelspitze – ein häufig für Pilgerzeichen verwendetes Mo-tiv, wobei auch auf flankierende Säulchen und durchbrochene Spitzbögen von Baldachinen zurückgegriffen wurde. Links oben: Duccio di Buoninsegna, um 1280. Foto: London, Na-tional Gallery; Rechts oben: Duccio di Buoninsegna, nach 1311. Siena, Santa Maria della

Scala. Foto: nach Christina Sirigatti, Siena, Florenz 2003; Links unten: Cimabue, 1270.Foto: Paris, Louvre; Rechts unten: Giotto, Assisi nach 1305, heute Florenz.

Foto: Galleria degli Uffizi

307Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

Abb. 14: Bekrönte Maria lactans im Portaltympanon der Kathedrale San Rufino in Assisi und die Madonna di Partistagno. Attimis, Museo archeologico medioevale.

Fotos: Holger Grönwald und L. Tessaro

308 Holger Grönwald

des üppigen, zeitgenössisch-sakralen Repertoires werden dem Handwerker kaum bekannt gewesen sein, aber sein Umfeld bot Ähnliches, das festen Gestaltungs-konventionen unterlag. Allgemeinen Entwicklungstendenzen mittelalterlicher Pilgerzeichen eher entsprechend (vgl. Abb. 7), ist bei einem vom archäologi-schen Fundzusammenhang gegebenen ante-quem-Ansatz vor den 80er Jahren des 14.  Jahrhunderts (1383, siehe unten) und der ausgeprägt spätromanischen Form, die grundlegende Datierung der Pantheonsplaketten einzugrenzen. In einem ersten Schritt in den Zeitraum vom letzten Viertel des 13. Jahrhunderts (nach 1270) bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts.101

Die Integration des historischen Rahmens bietet sich als Korrektiv an. Er lässt die Entstehung genauer zwischen 1300 und 1350 fassen, als der seit dem Frühmittelal-ter stete Pilgerstrom auf Romfahrt in einer Depressionsphase der stark von inneren und äußeren Konflikten beeinträchtigten Stadt gezielt forciert wurde.102 Dazu ist etwas auszuholen: Der zweite Erneuerungsprozess des nach der Karolingischen Re-naissance in weiten Teilen verfallenen und zur Agrarstadt herabgesunkenen Rom103,griff zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert bei neuen Kirchenbauten verstärkt auf antikisierende Stilmittel von Vorbildern in Bildwerken, Architekturelementen, Mosaiken usw. zurück.104 Das 13. Jahrhundert leitete eine Blütephase unter Papst

101 Es ist auf den ähnlichen Datierungsansatz eines detailreichen, singulären und möglicher-weise der Maria in Trastevere, Rom, zuzuweisenden Pilgerzeichens mit Maria lactans zwischen einen Maßwerkbaldachin tragenden Säulen und Umschrift hinzuweisen. Das nach zeitlicher Formensprache entwickeltere, frühgotische Beispiel kann der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entsprechen; vgl. Kühne – Brumme – Krabath – Lam-bacher (wie Anm. 32), S. 371, Nr. 249.

102 Wobei auch Legendenbildungen wie um die Ikone und die Veronica ins Spiel kamen (vgl.  Anm. 70). Zu den Hinterlassenschaften vgl. Marina Righetti Tosti Croce, I giubilei del 1300 e 1350. L’architettura a Roma tra duecento e trecento, in: Fagiolo – Madonna (wie Anm 36), S. 56–60, 86.

103 Nach dem 7. Jahrhundert und mit dem Tod Innocenz II. erst 1143/44 wieder in An-knüpfung an die antike Res publika mit Senat und, nachdem Lucius II. (1144 –1145) beim Versuch, das Kapitol in seine Hand zu bringen, wohl durch einen Steinwurf ums Leben kam (nach Gottfried von Viterbo; Gotifredi Viterbensis opera, Pantheon, in: MGH SS 22, hg. von Georg Waitz, Hannover 1879, S. 261), ab 1188 erneut als institutionelle Größe mit der Kommune (Senatus Populusque Romanus) anerkannt – ohne nun die Oberhoheit des Papstes in Frage zu stellen. Clemens III. residierte nach Abzug der kai-serlichen Truppen wieder in der Stadt; vgl. Karl Wenck, Die römischen Päpste zwischen Alexander III. und Innozenz III, in: Papsttum und Kaisertum. Forschungen zur politi-schen Geschichte und Geisteskultur des Mittelalters. Festschrift für Paul Fridolin Kehr, hg. von Albert Brackmann, München 1926, S. 415ff.; Wolf (wie Anm. 60), S. 33, 206f.

104 Bei letzteren verstärkt im 13. Jahrhundert und mit Bezug auf byzantinische Elemente (vor allem in der Malerei), eventuell in Verklärung als ‚antikisch beeinflusst‘. Die in ganz

309Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

Innozenz III. (* 1160/61, Pont. 1198–1216) und Papst Honorius III. (* um 1148, Pont. 1216–1227) ein. Nach anfangs geringen baulichen Aktivitäten entfaltete sie sich im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts mit Bauten in Rom und den Aktivi-täten Kaiser Friedrichs II. (* 1194, Reg. 1211/12, Imp. 1220–1250) in Süditalien.Während des anschließenden politischen und kulturellen Niedergangs, gefolgt vom Papstexil in Avignon und dem Ende der mittelalterlichen Papstliturgie in der Stadt ab 1308, war es ein Verdienst der Kirche, auf Bestreben der römischen Bür-ger die Rolle der Urbs über die Pilgerzentren in Erinnerung zu halten.105 Den so genannten Heiligen Jahren kam dabei elementare Bedeutung zu. 1300 von Papst Bonifatius VIII. (* um 1235, Pont. 1294 –1303) ausgerufen, sollten sie im Abstand von 100 Jahren gefeiert werden. Vom Pilgerstrom profitierend, erbaten die Römer 1342 von Papst Clemens VI. (* um 1290, Pont. 1342–1352) für ihre gezeichnete Stadt eine Verkürzung der Jubiläen nach alttestamentlicher Tradition auf 50 Jahre (ab 1450: alle 25 Jahre). Zu 1350 gewährt, wurden bei der anhaltenden Seuchenge-fahr nach der Pest 1348 die Kulthandlungen in Anwesenheit der altehrwürdigen, heilsamen und reinigenden Bilder umso notwendiger und waren für sich der Wall-fahrt wert. Zu dem im Rahmen der Jubiläen gewährten Ablass nach Empfang des Sakramentes der Buße und der Eucharistie, gehörte der Besuch wichtiger, päpstlich bestimmter römischer Kirchen. Hier kommen die Pilgerzeichen ins Spiel, die als Beleg des Besuchs der nicht mehr nur auf die Hauptkirchen beschränkten Pilger-stätten dienten106, zu denen auch die Kirche im Pantheon gehörte.107 Sie stand zwi-schen 1305 und 1377 unter dem Schutz der Kardinäle der Familie Orsini. Mitun-ter wird angenommen, dass diese (nach ersten, größeren Befestigungsmaßnahmen im 11. Jahrhundert108) das Pantheon zur Familienfestung ausbauten. Angesichts

Westeuropa angeregte Wiederbelebung der Antike konzentrierte sich nördlich der Al-pen auf Prosa und Dichtung; vgl. Krautheimer (wie Anm. 88), S. 161, 173, 181, 247.

105 Der dadurch bedingte Wandel des religiösen Lebens äußert sich erstaunlicher Weise in einer Intensivierung des Kultes mit zunehmend kommunalen Charakter; vgl. Wolf (wie Anm. 60), S. 79, 211.

106 Das Pantheon musste nicht zu einer solchen werden, um 1300 hatte sich die Situation mit den Jubiläumskirchen Clemens IV. ohnehin gewandelt. Da die mittelalterliche Stadt mit ihren 12 Regionen ebenso viele religiöse Zentren benötigte (unabhängig von der apostolischen Zahl), stand das Pantheon dafür im Abitato; vgl. Diplom Johanns XVII.für San Cosma in mica aurea von 1005; Cod. ms. Vatican. 7931, 36, nach Gregoro-vius (wie Anm. 55), S. 561.

107 Über die Existenz der Pilgerzeichen hinaus steht hier – eine Quellenlücke – die Sichtung entsprechender päpstlicher Ordines/Edikte aus.

108 1061: Gegenpapst Caldus verbarrikadiert sich vor den Truppen Alexanders II. im Pan-theon, 1080 –1088: nach diesem Vorbild kämpft Guibert von Ravenna vom Pantheon aus gegen Gregor VII.; vgl. Buchowiecky (wie Anm. 53), S. 673.

310 Holger Grönwald

schwieriger Verhältnisse, wie den Kämpfen im Vorfeld der erzwungenen Kaiser-krönung Heinrichs VII. (* 1278/79, Reg. 1308, Imp. 1312–1313), wurden überall durchaus nötige Befestigungsmaßnahmen ergriffen. Hier unterstreichen sie eher die Rolle der Kirche109, als ihre Funktion in Frage zu stellen. Ein indirekter Beleg für ihre konstante Nutzung als solche sind ausgerechnet die in das Zeitfenster der 50 Jahre zwischen den Jubiläen und unter die mit diesen herausgegebenen Signa einzu-ordnen Pilgerzeichen.110

Wenn die verschiedenen Flachgüsse des Pilgerzeichens nicht als Repliken einer Vorlage parallel produziert wurden, wäre der Entwurf einer typologischen Reihe zur Feindatierung möglich, die der hier vorgenommenen Aufzählung der Einzelobjekte folgt (wie Abb. 6). Eine simple Zuordnung einzelner Zeichen zu Teilabschnitten des angesetzten Entstehungszeitraums schließt sich aber aus. Zudem unterscheiden sich bei jedem Einzelfall die Gründe, inwieweit und vor allem wie lange das Pilgerzei-chen als persönlicher Besitz in Umlauf war, ebenso die Ursachen der Überlieferung.

Archäologischer Kontext des Pilgerzeichens von Cucagna

Die historische Eingrenzung des Datierungsansatzes lässt sich prüfen – auch wenn, wie angedeutet, nur die Befundeinbringung des Pilgerzeichens fassbar ist. Eine rei-ne archäologische Datierung des Objektes ist ebenso wenig gegeben, wie es selbst zur Datierung des freigelegten Befundes herangezogen werden kann. Dafür ist der Fundzusammenhang der Plakette von der Burg Cucagna exemplarisch: sie wurde im profan genutzten Umfeld einer spätmittelalterlichen Küche entdeckt.111 Ob sie dort als Amulett mit apotropäischem Charakter einen festen Platz hatte oder verloren wurde, bleibt offen. Der Erhaltungszustand des Fundes ist wegen des gemäßigten klimatischen Umfeldes außergewöhnlich gut, obwohl seit der Einbringung in eine lockere, schuttdurchsetzte Kulturschicht über Jahrhunderte kaum konstante Lage-rungsbedingungen gegeben waren.112 Zum Fundort: Die in großen Teilen freigeleg-te Küche liegt im inneren, älteren, zweier Hals- oder Abschnittsgräben nördlich der

109 Fest in ghibellinischer Hand unter Sciarra/Giacomo (†  1329) und Stefano Colonna († zwischen 1348 und 1350). Letzterer wurde zwar mit Loncello Orsini 1324–27 De-fensor populi Roms, stellte sich dann aber gegen Ghibellinen und Ludwig den Bayern und geriet in Fehde mit den Orsini. Der Katalog von Turin weist um 1320 aus: „Ecclesia sancte Marie Rotunde que est capella p(a)p(ae).“; Buchowiecky (wie Anm. 53), S. 674.

110 Quasi die Zeit, in der überhaupt erste Darstellungen des Pantheons vorlagen.111 Untersucht im Zuge archäologischer Sondierungen zu den Wirtschaftsarealen 2008 und

mit Erweiterungen 2010.112 Vgl. Anm. 23.

311Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

Burg113, der über ein mehrgeschossiges, den Graben östlich abschließendes Torhaus in die Wegeführung zur Wasserversorgung und ins Umfeld der Burg eingebunden war (Abb. 15).114 Das in seiner Bauausführung vielleicht Ende des 13.  Jahrhun-derts anzusetzende Gebäude zeichnen qualitativ hervorragende Werksteine und ein zudem verputzter Innenraum aus.115 Während die Anlage des Grabens auf die

113 Näheres zur Ausgrabung des Mittelpunktes einer verzweigten Grundherrschaft im Friaul und der dort möglichen Erforschung einer hoch- und spätmittelalterlichen Befestigungs-anlage: Grönwald (wie Anm. 4), S. 179–190 und Grönwald (wie Anm. 15, 2010 Cu(c)cagna, Faust).

114 Nach Freilegung einer Pforte 2008 wurden in der Kampagne 2010 Ausmaße und eine zweite Türöffnung erschlossen. 2009 zeigten Sondierung eines im Fels ausgearbeiteten Wegabschnittes in Richtung Rodingerio als weiterer befestigter Anlage auf dem Berg-kamm oberhalb Cucagnas (begleitet von einer zu einer Palisadenbewehrung oder ähnli-chem gehörenden Pfostenspur), wie die Wege eingerichtet sein konnten.

115 Leider ist das aufgehende Mauerwerk nicht in ausreichender Höhe erhalten, um sichere Aussagen über die Raumhöhen zu treffen. Mehr datierendes Fundmaterial ist erst mit vollständiger Innenraumfreilegung zu erwarten. Es ist von einem hier gelegenen, äl-teren Grabenriegel in Form einer Mauer auszugehen, der durch die Überbauung und den Erhalt des Denkmalbestandes nicht mehr nachweisbar ist. Zwingende strategische

Abb. 15: Castello di Cucagna, Fundort des Pilgerzeichens. Planumsaufsicht der Küche im Graben der Burg 2010. Foto: Holger Grönwald

312 Holger Grönwald

erste Hälfte des 11. Jahrhunderts zurückgehen dürfte, sind alle anderen bislang im Graben entdeckten, durch ihre Konzentration auf der Grabensole hervorragend erhaltenen Strukturen mit Erweiterungen bzw. Verlagerungen der Wirtschaftsflä-chen der Burg ab dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts verbunden. Von den Ak-tivitäten dieser Phase zeugen mit grober post-quem-Datierung ein zwischen 1306 und 1335 geprägter silbernen Tiroler Kreuzer, ein sog. Meinhardzwanziger116, und ein zwischen 1312 und 1316 geprägter silberner Denar des Patriarchen Ottobono de’Razzi (1302–1316; Abb. 16).117 Erster stammt aus einer mit humosem Material zugeschlämmten Nische in einer Trockenmauer, die den rampenartigen, mit einer Treppe auf der natürlichen Schichtung des Felsens versehenen Zugang zum Torhaus vom Graben zusetzte.118 Der Denar des Ottobono gehört allerdings in einen der Erosions- und Schutthorizonte vom burgseitigen Hangabbruch, welche die Befun-de der Grabenbebauung des ausgehenden 14. und 15. Jahrhunderts in umgekehrter Stratigraphie überdeckten. Er ging wohl ursprünglich im Bereich der Berme um die Umfassungsmauer des Burgkernes verloren.

Überlegungen führten zur Errichtung des Torhauses, um die Sicherung des Graben-innenraumes sicherzustellen.

116 Herausgegeben in der Meraner Prägestätte Meinhards II. und seiner Söhne für die Gra-fen von Gorizia/Görz; Inv. Nr. 2010/027, Umschrift verso: ME IN AR DV(S) (um dop-peltes Kreuz), recto: + [CO]MES (Beizeichen) TIROL (um nach rechts gewendeten Adler).

117 Inv. Nr. 2010/030, Umschrift: verso: O[T]OBO NVS . PA, recto: + A QVILE GENSI S.118 Eingefasst von Mauerzügen als Torwangen, die zwar nicht mit den Mauern der Pforte

verzahnt sind, aber nahezu zeitgleich oder unmittelbar nach dieser errichtet wurden. Ihre Baugruben schneiden in den natürlich anstehenden Boden des Grabeninnenraumes ein (mit homogenem Lehm hinterfüllt).

Abb. 16: Castello di Cucagna, Denar des Ottobono de’Razzi, geprägt 1312–1316 (links) und Tiroler Kreuzer, sog. Meinhardzwanziger, geprägt 1306–1335 (rechts).

Fotos: Holger Grönwald

CucagnaInv. Nr. 2010/030 & 2010/027

313Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

Die Küche, als Fundort des Pilgerzeichens, entstand Mitte bzw. zu Beginn der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ohne Zusammenhang mit der primären Funk-tion des Grabens.119 Ihre Südost-Wand lehnte sich als nachträgliche Grabenbebau-ung120 am burgseitigen Grabenhang an und bindet mit der Ostecke ohne Verzah-nung der Mauern an das Torhaus an. Dieses war nun nur noch vom Innenraum der Küche aus zu erreichen – eine unbefriedigende Lösung, die man relativ schnell aufgab oder von vornherein abändern wollte. Der getreppte Zugang wurde mit der erwähnten Trockenmauer zugesetzt und mit Lehm verfüllt121, so dass das Torhaus ab Mitte des 14. Jahrhunderts vom Graben aus nur noch durch einen Zugang von einer oberen, am ehesten der zweiten Etage des Küchentraktes zu erreichen war. Mit dem Küchenbau wurde außerdem die ursprüngliche, bereits Bauschäden aufwei-sende Mauerverkleidung des Grabens quasi kaschiert. Eine ähnliche Situation war unweit bereits 2002 an der Umfassungsmauer der ersten Bauphase der Burg östlich des Bergfriedes anzutreffen. Hier erfolgte in relativ geschützter Lage die Repara-tur der von Erdbeben und statischen Problemen am Hang deformierten Mauer mit zwar trocken, aber gut gesetztem Kleinsteinmauerwerk – was grob auf die Situation im Graben übertragbar ist. Diese Ausbesserungen sind anhand eines Münzfundes frühestens im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts, am ehesten aber nach 1400 an-zusetzen122, während die ursprüngliche Fundamentlage keramisches Material des 11. Jahrhunderts barg.

Was zeichnet den Küchentrakt neben dem Pilgerzeichenfund noch aus? Er be-saß mit einem offenen rechteckigen, ziegelgepflasterten Herd mit Abzug und einem überkuppelten Backofen auf steinernen, in die Südost-Wand der Küche einbinden-den Unterbau mit Aschenische123 zum Zeitpunkt seiner Aufgabe eine durchaus größeren Bedarf abdeckende Ausstattung. Gut möglich, dass sie für die Versorgung der gesamten Burgbewohner ausgelegt war (Abb. 17).124 Nach einer temporären,

119 Diese Ansprache basiert auf dem Abgleich der Baubefunde Cucagnas mit den histori-schen Quellen und Rahmenbedingungen. Verteidigungszweck und Funktion des Gra-bens als Steinbruch bei der Errichtung der Burg ergänzen sich.

120 Die spätmittelalterliche Umnutzung umfasst weitere, noch zu erschließende Gebäude.121 Die Lehmfüllung enthielt zahlreiche Mörtelreste glatten Wandputzes.122 Silberner Denar Ludwig I., König von Ungarn (* 1326, Reg. 1342–1382), Inv. Nr. 2002/

028, Recto: Johannes der Täufer stehend, Prägeortstempel P, S  I+  [OHA] NNIS L…; verso: mit drei Kreuzen umgebenes Ungarn-Anjou Wappen, +  LVDOVICI RVNGARIE +.

123 Sein 1996 beobachteter Ziegelkuppelansatz war, hypothetisch mit Nachnutzungen des Burgareals im 16. Jahrhundert verbunden, 2008 Ansatzpunkt der Untersuchungen.

124 Die Ausdehnung des Gebäudes nach Norden und Nordwesten ist bislang noch nicht ein-mal erschlossen. Allerdings sind in diesen Bereichen die Erhaltungsbedingungen nicht vergleichbar gut.

314 Holger Grönwald

eventuell mit einer Zerstörung verbundenen Offenlassung im letzten Viertel des 14.  Jahrhunderts war die Küche mehrfach instand gesetzt worden. Davon zeu-gen mehrere, über dem plan abgearbeiteten Fels zur Oberflächenbefestigung auf die aschehaltigen Kulturschichten aufgebrachte Straten von Steinsplitt. Die Nut-zungs- bzw. Begehungshorizonte ließen sich in mehreren Plana freilegen125, wobei das Pilgerzeichen stratigraphisch dem Zerstörungshorizont unter einer homoge-nen Kulturschicht des 15. Jahrhunderts zuzuordnen ist.126 Die endgültige, abrup-te Offenlassung erfolgte wohl in Anbindung an die Aufgabe der Burg Anfang des 16. Jahrhunderts. Zwei rechts und links des Herdes quasi griffbereit zurück gelasse-ne und trotz ihres nicht zu unterschätzenden Materialwertes nicht geborgene eiser-ne Backschaufeln geben einen Eindruck von den damit verbundenen, katastrophen-artigen Bedingungen und sind als ‚Barometerobjekte‘ typologisch zusätzliches Indiz

125 Vgl. Grönwald (wie Anm. 4), S. 193 Abb. 8, 9; Grönwald (wie Anm. 15, 2010 Cu(c)cagna), S. 73 Abb. 17.

126 Zu parallelisieren mit dem Zerstörungshorizont von Palazzo IV in der Vorburg, die da-raufhin aufgegeben wurde. Vergesellschaftete Münzfunde des Patriarchen Philipp von Alençon (* 1338/39, Herrschaft 1381/82–1388, †1397) und Ludwig I. von Ungarn (* 1326, Reg. 1342–1382) grenzen dessen archäologische Datierung eng ein; vgl. Grön-wald (wie Anm. 4), 195, Anm. 127.

Abb. 17: Castello di Cucagna, Ansicht des Ofens in der Burg-küche (Kuppel eingestürzt).Foto: Holger Grönwald

315Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

der relativchronologischen Ansprache (Abb. 18).127 Bemerkenswert ist außerdem, dass nicht nur dieser Fundhorizont, zu dem auch Fragmente eines großen steiner-nen Vorratsgefäßes gehören128, sondern auch der das Pilgerzeichen bergende, bis auf Asche kaum die normalerweise in einem derartigen Befund zu erwartenden Abfälle aufweist (nur begrenzt zoologisches Material). Ein außergewöhnlicher Befund, der für eine intensive Pflege bei der Nutzung der Küche spricht.129 Die für das komplexe Bauensemble Cucagna verhältnismäßig jung scheinende Burgküche wirkt daher im Vergleich zu ähnlichen Befunden wie eine hygienische Enklave des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit (Abb. 19).130 Vor Ort fügt sie sich schlüssig in die durch

127 Ein nahezu identisches Stück (heute im Museum Attimis) stammt etwa aus einem für 1511 anzusetzenden Zerstörungshorizont der zeitweiligen Sommerresidenz der Patriar-chen von Aquileia (bis 1395), Burg Scharfenberg/Soffumbergo, ebenfalls Gemeinde Faedis (Friuli-Venezia Giulia), die 1421 von Pietro di Zucco aus der Familie Cucagna erworben wurde. Es bietet typologisch einen geeigneten Anhaltspunkt zur Datierung der mit der Fundvergesellschaftung auf Cucagna verbundenen Ereignisse.

128 Am ehesten der Aufbewahrung bzw. Zwischenlagerung von Fetten/Ölen in Herdnähe dienend.

129 Eher dominieren Metallfunde, die sich mit Nägeln der Dachkonstruktion und Ausstat-tungsbestandteilen des Gebäudes zuweisen lassen oder in Form von Armbrustbolzen und Pfeilspitzen Zeichen seiner gewaltsamen Zerstörung sind. Die Materialsichtung im Zusammenhang mit konservatorischen Maßnahmen zeigte, dass die Geschosse an ihren Spitzen Deformationen vom Aufprall aufweisen, wirklich verschossen und nicht zufällig hier verloren wurden.

130 Erhalten haben sich außerdem Spuren einer Binnengliederung der Küche, für deren In-nenfläche die Grabensohle weitestgehend plan aus dem Feld ausgearbeitet und nur im Zentrum des Grabens homogener Lehm mit kleinteiligem Felsbruch aufplaniert wur-de. Den Raum trennt eine von Südost nach Nordwest verlaufende Steinreihe in zwei annähernd gleich große Teile, die als Unterbau einer Fachwerk- oder Flechtwerkwand

Abb. 18: Castello di Cucagna, eiserne Backschaufeln bzw. -schieber mit tordierten Griffen aus der Burgküche. Foto: Holger Grönwald

Cucagna, Inv. Nr. 2008/095 & 2008/096

316 Holger Grönwald

die jüngsten Grabungsaktivitäten detailliert beschreibbare Bauabfolge des Burge-nensembles Rodingerio, Cucagna und Zucco, das so interessante wie komplexe In-formationen zur Lokal- und Landesgeschichte des mittelalterlichen Friaul liefert.131

anzusprechen ist. Im Zentrum der östlichen Gebäudehälfte war eine Steinsetzung in ei-ner kleinen Grube als Pfostensetzung nachweisbar. Sie diente wohl als Stütze der Dach-konstruktion und könnte daneben für regalartige Einbauten verwendet worden sein.

131 Sie sind an anderer Stelle thematisiert und weiter ausbaufähig. Für eine knappe Be-schreibung der Bauabfolge Cucagnas in Verbindung zum Befund der Küche im Graben vgl. Grönwald (wie Anm. 4), S. 192–196.

Abb. 19: Castello di Cucagna, Bauphasenplan der Burg mit angedeuteten Gräben im Berg-kamm. Markierung: Fundort des Pilgerzeichens. Plan: Holger Grönwald

ehem.Halbschalenturm

348.3

9

FachwerkbauInsel

0 20m

1. Hof

?

Mauer nach Zucco

2. Hof

Palazzo II A

Palazzo II B

Zisterne

Kirche

Pflaster

1027 - Mitte 12. Jh.

Herdstelle

1160-1186

frühes 13. Jh.

Mitte 13. Jh.

Castello di Cucagna, Faedis/UD

Anfang 15. Jh. bzw.nach 1420

Mitte - 2. Hälfte 14. Jh.

16. Jh.

2. Hälfte 13. Jh.

Anfang 14. Jh. bzw.1318-1325

Vorgänger?

Terrasse

er s

t er

Gr a

be

n

Palazzo III A

Palazzo III B

Turm?

Rampe

Torhaus

Palazzo I

Palazzo IV APalazzo IV B

V o r b u r g a r e a

l

Küche

Fundort PZTorhausOst

317Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

Zusammenfassung

Die erhaltenen Exemplare der Pilgerzeichen der Maria im Pantheon wurden bis zur Vorlage des Zeichens von Cucagna weder gemeinsam vorgestellt, noch in Zusam-menhang mit den hoch- und spätmittelalterlichen Überlieferungen zum Pantheon als nicht gerade unbedeutenden römischen Bau gebracht. Die Tagung „Perspektiven der europäischen Pilgerzeichenforschung“ bot die Möglichkeit, die Pilgerzeichen der Maria rotunda exemplarisch aufzugreifen, um vom Einzelfund zu verschiedenen, nicht fundortbeschränkten Ebenen kultureller Entwicklung überzugehen. Dieser Ansatz bietet sich bei den Grabungsergebnissen von Cucagna häufig, da die Funde umfangreiches Material bis hin zu Spitzenprodukten des Plattner-, Schlosser- sowie keramischen Handwerks bieten.132 Die Betrachtung der Zeichen als ideotechnische Artefakte, die vom Zusammenhang mit dem Fundort auf anderweitig angesiedel-te Bedeutungsinhalte materieller Kultur ausgreift, geht methodisch in progressiver Induktion vom realen Objekt zur Analyse abstrakter Kontexte über. Da das Pilger-zeichen der Maria im Pantheon als lange nach seiner Herstellung in den Boden ge-kommener Sonderfund kaum in Bezug zum Fundort Cucagna steht – es sei denn, das dorthin gekommenen Objekt erhielt auf einer anderen Ebene Wertschätzung und wurde in Bezug zu einem Marienbild vor Ort gesetzt (Abb. 20) – kann es leider nicht dazu dienen, die archäologischen Befunde näher anzusprechen bzw. zu datie-ren. Jene bieten dagegen einen ersten Ansatz zur zeitlichen Anbindung des Zeichens und seiner eng verwandten Parallelen, deren Herausgabezeitraum sich durch kunst-historische Vergleiche und berücksichtigte historische Rahmenbedingungen relativ scharf eingrenzen lässt. Bislang erstreckten sich die Datierungen in einem bei der überschaubaren Gruppe kaum vertretbar großen Zeitrahmen. Hoffentlich finden sich Rahmenbedingungen für vergleichbare, speziell Datierungsansätze präzisieren-de Einzeluntersuchungen, von denen die Möglichkeiten zur Einbindung der Pilger-zeichen in archäologische und historische Kontexte profitieren.

Die Bedeutung des Zeichens der Maria rotunda liegt darüber hinaus in der Kombination zweier zentraler Motive zu einer eigenen Bildformel. Anhand der zur vergleichenden Bildbetrachtung herangezogenen Parallelen zeigt sich, dass das Signum als ein Mittel der Ausbildung und Etablierung eines universalkirchlichen Marienbildes diente.133 Es ist als Parallelerscheinung zu der in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts einsetzenden und bis zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts

132 Vgl. Grönwald (wie Anm. 15, 2010 Faust).133 Die Wirkung der über Pilgerzeichen vermittelten Marienbilder ist nicht zu unterschät-

zen. In dieser Hinsicht ist etwa die thronende Maria mit Kind und Lilienzepter des Aachener Siegels beachtenswert.

318 Holger Grönwald

Abb. 20: Castello di Zucco, Fresko der Madonna von Cucagna in der Kirche der Madonna des Rosenkranzes, 1596 transloziert. Entzerrte fotogrammetrische Aufnahme

mit Ergänzung: Holger Grönwald

319Am Einzelfund ins Detail: Das mittelalterliche Bild des Pantheon

(dann speziell über die Jesuiten) anhaltenden Verbreitung von Ikonen-Kopien zu begreifen. Es ist festzuhalten, dass die Pantheonikone selbst ausschließlich über die-se Signa in großer Menge Verbreitung fand. Ihre Varianten greifen Details der ihren unverfälschten Charakter unterstreichenden Ikonentypisierung auf 134, während die ihnen eigene Gebäudecharakterisierung über einen zweidimensional übertragenen Raumeindruck unabhängig von anderen Darstellungen der Kirche ist.

Die Suche nach den Vorbildern für das Wallfahrtsandenken – bzw. den Wall-fahrtsbeleg – wirft weitere Fragen auf. Vor allem zur Ikone: Worin begründet sich das spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Interesse an den Bildern nach alten Vorlagen, während zeitgleich neue Kultbilder inszeniert wurden? Speziell die römi-schen Ikonen vermittelten bei ihrer konstanten Präsenz und andauernden Verehrung als ‚körperliche‘ Vertreter Christi und Mariens die Wahrheit des Evangeliums.135

Diesen galt die Verehrung – nicht dem Abbild oder dem Urbild. Der Reliquiencha-rakter und die Verklärung zu Lukasbildern über die ältesten Ikonen hinaus sollten einen ‚wahren‘ Zusammenhang zum Ursprung suggerieren.136 Die Wahrnehmung des Bildes der Maria im Pantheon ist für die Entwicklung der Hierarchien unter den Kultbildern bezeichnend.

Die von der speziellen Fundgattung der Pilgerzeichen getragene mittelalterliche Rezeption des Pantheons durch die unmittelbaren Nutzer blieb bislang unbeachtet.An dieser Stelle soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass unser Wissen darüberunvollständig ist. Welche Bedeutung Kirchenbau und Ikone jeweils beigemessen wurde, ist nicht festzulegen – die Signa der Maria rotunda berücksichtigen beides.Die Zusammenstellung der bildlichen und schriftlichen, im Frühmittelalter unter-brochenen Darstellungen zur Stadtentwicklung Roms und des Pantheonsbaus er-gänzt die ansonsten umfangreichen Betrachtungen frühneuzeitlicher Reflektionen.

134 Vgl. Wolf (wie Anm. 60), S. 192. Das Wissen um entsprechende Legenden ist vorauszu-setzen.

135 Beinert – Petri (wie Anm. 4), S. 450 nach Leonid Ouspensky – Wladimir Lossky, Der Sinn der Ikonen, Bern 1952, S. 25ff.

136 So hielt etwa Franziskus von Assisi, geb. Giovanni Battista Bernadone (1181/82–1226) auch die Madonna von Santa Maria in Arcoli, die Hodegetria von Santa Maria del Po-polo und die Madonna von Grottaferrata für Lukasikonen; vgl. Wolf (wie Anm. 60),S. 212.

320 Holger Grönwald

Bauliche Rezeption137 und Pantheonbild der Humanisten138 sind gern aufgegrif-fene, dankbare Themen. Dagegen wird die religiöse Nutzung und Wahrnehmung im Mittelalter entweder kaum berücksichtigt oder nur im Zusammenhang mit der weitgehend entkräfteten Hypothese angeschnitten, der ikonographische Typ der Marienrundkirchen Santa Maria rotunda lehne sich am Pantheon an.139 Diese Dis-kussionen können anhand des Pilgerzeichens nicht vertieft werden und bleiben der Beschäftigung mit anderen Quellengattungen vorbehalten.

137 Etwa mit Ausgangspunkt der Studien zur Florentiner Domkuppel von Filippo Brunel-leschi (1377–1446); vgl. Paul F. Watson, Brunelleschi’s cupola, a great hill of earth, and the Pantheon, in: Renaissance Studies in Honor of Craig Hugh Smyth, hg. von Andrew Morrough u.a., Florenz 1985, S. 523–532 sowie Cettina Lenza, Dal Pantheon a Brunel-leschi: architettura, costruzione, tecnica, in: Architettura medievale: etica, estetica e tecni-ca, hg. von Alfonso Gambardella, Neapel 2002, S. 43–237.

138 Vgl. Arnold Nesselrath, Impressionen zum Pantheon in der Renaissance. Pegasus. Ber-liner Beiträge zum Nachleben der Antike 10, Berlin/Wittenberg 2008, S. 63–69.

139 Vgl. Richard Krautheimer, Sancta Maria Rotunda, in: Arte del Primo Millenio. Atti dell II° convegno per lo studio dell’arte dell’alto Medioevo tenuto presso l’Universita di Pavia nel settembre 1950, Turin 1953, S. 21–27; Richard Krautheimer, Sancta Maria Rotunda, in: Studies in Early Christian, Medieval and Renaissance Art, New York 1969, S. 107–114; Krautheimer (wie Anm. 88), S. 84. Die Hypothese unkritisch zum Be-weis einer Kuppelöffnung der Mariengrabkirche in Zirkelschluss aufgreifend: Spuler (wie Anm. 37), S. 137. Dem entgegnete mit Verweis auf nur Vergleich ziehende Überlie-ferungen z.B. zu Prag (Veitskirche), Hexham (Marienkirche) oder Dijon (St. Bènigne) Untermann (wie Anm. 43), S. 4, 83–85, der aber die Wahrnehmung des Pantheon stark unterbewertete – eine Ansicht, der die von Jean Mabillon betonte Rolle als Kleinodund Wahrzeichen der mittelalterlichen Stadt entgegen steht; Buchowiecky (wie Anm. 53), S. 673.

Hartmut Kühne studierte Evangelische Theologie an der Kirchlichen Hoch-schule Berlin und an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, arbeitete dort als wissenschaftlicher Assistent und ist gegenwärtig als Ausstellungskurator tätig.Lothar Lambacher studierte Kunstwissenschaften an der Humboldt-Univer-sität zu Berlin. Er ist Stellvertretender Direktor des Kunstgewerbemuseums der Staatlichen Museen zu Berlin.Jan Hrdina studierte Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Karlsuniversität in Prag. Er arbeitet in der Handschriftenabteilung im Archiv der Hauptstadt Prag.

Der Band dokumentiert die Beiträge der vom 21. bis zum 24. April 2010 in der Prager Villa Lanna veranstalteten Tagung, welche auf die Weiterentwicklung der europäischen Zusammenarbeit bei der Erforschung der mittelalterlichen Pilgerzeichen abzielte. Die Tagung besaß drei inhaltliche Schwerpunkte: Zum ersten wurden die zahlreichen Pilgerzeichenfunde der letzten Jahre im südlichen Ostseeraum von Danzig bis zur Küste von Schleswig und ihr historischer Kontext thematisiert. Zum zweiten wurde der Alpen-Donau-Raum in den Blick genommen, aus dem bisher nur wenige Arbeiten vorlagen und zusammenfassende Untersuchungen zur Pilgerzeichenüberlieferung ganz fehlten. Den dritten Fokus bildete die Sammlung von etwa 500 französischen Pilgerzeichen, die im Jahre 1894 vom Prager Kunstgewerbemuseum erworben wurde und die seit 2010 erstmals eine umfassende wissenschaftliche Bearbei-tung erfuhr.

www.peterlang.de ISBN 978-3-631-62147-9

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