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Bahrs O (Ed.): SPRINT - Gesunder Start ins Leben; Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten...

Date post: 12-Nov-2023
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Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen Ottomar Bahrs (Hrsg.) Dokumentation der Fachtagung am 23.2.2010 in Göingen SPRINT - Stärker ins Leben
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Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen

Ottomar Bahrs (Hrsg.)

Dokumentation der Fachtagung am 23.2.2010 in Göttingen

SPRINT - Stärker ins Leben

Bibliografische Informationen der NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Interent unter www.dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-9812012-9-1

© 2010 Verlag Gesunde Entwicklung, Bad Gandersheimc/o Zentrum für SalutogeneseAm Mühlteich 137581 Bad GandersheimTel.: 05382 - 9554730 Fax: 05382 - 9554712E-Mail: [email protected]

Layout: Stefanie KlempDruck: PRESSEL Verlag und Digitaldruck

Inhalt

7 Vorwort Ottomar Bahrs

15 Grußworte

17 Begrüßung und Einführung zur Tagung Siegfried Löprick

21 Begrüßung zum Symposium SPRINT 23.02.2010

Christiane Jesse

25 Grußworte der Dezernentin für Kultur und Soziales der

Stadt Göttingen Dagmar Schlapeit-Beck

29 Plenarvorträge

31 Desintegration und Teilhabedefizit Raimund Geene

41 SPRINT- Expertenschaft fördern und nutzen

Karin Hilgendorf und Uwe Wolf

61 SPRINT aus Sicht der beteiligten Jugendlichen

Wendy Ramola

85 Vom Projekt zum Netzwerk Ottomar Bahrs

111 Workshops

113 1. Workshop: Gesund leben - Drinnen und Draußen

Christian Hölscher und Wendy Ramola

115 Gesund leben - Drinnen und Draußen Jürgen Schröder

129 2. Workshop: Gesundes Lernen –

Gesundheitsförderung in der Schule Gerd Ziegeler

141 Gesundheitsförderung in Schulen Christina Krause

155 3. Workshop:Gesunder Start ins Arbeitsleben

Ottomar Bahrs

163 Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten

jungen Menschen in der beruflichen Bildung

Andreas Hanses und Kirsten Sander

181 Schlußbetrachtung

184 Zusammenfassung und Ausblick

Ottomar Bahrs und Gerd Ziegeler

194 Schlusswort Siegfried Löprick

196 Danksagung

199 Autoren

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Vorwort

Ottomar Bahrs

Die Chancen auf ein gesundes Leben sind in der heutigen Gesellschaft un-gleich verteilt. Sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche sind überdurch-schnittlich häufig von manifesten Gesundheitsstörungen betroffen und tra-gen ein höheres Risiko, im Laufe ihres Lebens eine chronische Erkrankung auszubilden. Ein Beispiel dafür ist das Suchtverhalten. Gesundheitsförderung soll gegensteuern und durch systematische Förderung von Eigenständigkeit und Flexibilität zugleich Gesundheits- und Lebenschancen dieser Kinder und Jugendlichen verbessern. Exemplarisch sollen diese dabei unterstützt werden, Verantwortung für den eigenen Körper zu übernehmen, sich gesund zu ernäh-ren und so die eigenen Lebenschancen zu verbessern. Wie dies zu konzeptua-lisieren ist und welche Erfahrungen bei der Umsetzung gemacht werden konn-ten, wurde im Rahmen der hier dokumentierten Veranstaltung diskutiert.

Das Symposium fand am 23.2.2010 und damit kurz vor Ende der Laufzeit des SPRINT-Projekts statt, das nicht zufällig im Zentrum der Veranstaltung stand. Das von der Jugendhilfe Göttingen e.V. entwickelte Projekt Sport-Prä-vention-Reintegration-Information-Networking zielte darauf, gemeinsam mit sozial benachteiligten Jugendlichen ein Konzept zu entwickeln, das ihre Ge-sundheitsressourcen im Alltag erlebbar werden lässt und zur Stärkung ihrer sozialen Kompetenzen führt. Förderung von Selbstwertgefühl, Selbstwahr-nehmung, Empathiefähigkeit und Solidarität bilden den Rahmen, in dem ge-sunde Ernährung und die Vorbeugung von Alkohol- und Drogenabhängigkeit

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Vorwort

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Ottomar Bahrs

hilfe gelungen. Von der Podiumsdiskussion und aus dem Workshop zum The-menfeld Strafvollzug liegen keine Originaltöne vor, so dass die Berichterstat-tung über den Workshop knapp ausgefallen ist und auf eine Dokumentation der Podiumsdiskussion ganz verzichtet wurde.

Zu den Einzelbeiträgen:

Siegfried Löprick, Vorsitzender der Jugendhilfe e.V. Göttingen, führt als Tagungsleiter in die Veranstaltung ein und entlässt mit seinen Schlussworten am Ende die Teilnehmenden wieder in die Alltagswirklichkeit. Als langjährig im Sport-Freizeit-Bereich im Justizvollzug Tätigem sind ihm die ungleichen Lebens- und Gesundheitschancen der Jugendlichen sehr vertraut, auf die das von ihm mit initiierte SPRINT-Projekt reagiert.

Christiane Jesse übernimmt die Begrüßung in ihrer Funktion als Leiterin der Justizvollzugsanstalt Hameln, zur der auch die Abteilung Offener Vollzug Göttingen mittlerweile gehört. Sie streicht die Notwendigkeit von Gesund-heitsförderung im Strafvollzug und eines disziplinübergreifenden Austauschs heraus. Sie sieht in der Kooperation mit freien Trägern und der modellhaf-ten Erprobung neuer Ansätze große Chancen, gerade auch in Zeiten knapper staatlicher Kassen.

Dr. Dagmar Schlapeit-Beck, Leiterin des Dezernates für Soziales und Kul-tur der Stadt Göttingen, hat das SPRINT-Projekt von Beginn an mit Interesse begleitet und sieht Stadt und Kommune in der Verantwortung, sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit entgegenzuwirken. In den Veranstaltern – der Jugendhilfe Göttingen e.V., der Justizvollzugsanstalt und der Abteilung Me-dizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universitätsmedizin Göttingen – sieht sie Kooperationspartner für die ihr notwendig erscheinende regionale Vernetzung.

Prof. Dr. Raimund Geene, Kindheitswissenschaftler von der Universität Magdeburg, spricht sich in seinem leidenschaftlichen Plädoyer für einen an Wertvorstellungen, Zielen und Kompetenzen der Zielgruppe orientierten An-satz der Gesundheitsförderung aus. Mit seinem Hinweis auf die Spirale der

thematisch werden können. Erlebnispädagogik und Fitnesstraining begünsti-gen gesundheitliche Aufklärung und Verbesserung des körperlichen und psy-chischen Befindens der Jugendlichen. Erste Zielgruppe von SPRINT waren Jugendliche im Offenen Jugendvollzug Göttingen, so dass deren Räumlichkei-ten als Tagungsort nahe lagen.

Ein zentrales Ziel des Symposiums war es, die Projektergebnisse im Rah-men einer fachöffentlichen Diskussion im Kontext des gesundheitswissen-schaftlichen Diskurses einerseits und des Erfahrungswissens der Gesund-heitsförderungspraxis andererseits kritisch zu reflektieren. Im ersten Teil wurden daher in Plenarvorträgen eine konzeptuelle Einführung gegeben und Projektergebnisse präsentiert. Der zweite Teil war diskursiv angelegt. In den drei parallelen Workshops wurde im Anschluss an je ein Impulsreferat the-menbezogen diskutiert und die Expertenschaft der Teilnehmer aufgegriffen. Dem bislang erprobten Anwendungsfeld von SPRINT entsprechend ging es um Möglichkeiten und Grenzen gesundheitspädagogischer Arbeit in den Be-reichen Jugendvollzug, Schule und Jugendberufshilfe. Im Hinblick auf diese Fragestellung war ein breiter Teilnehmerkreis angesprochen und auch erreicht worden: die mehr als 100 Teilnehmenden brachten Erfahrungen aus Straf-vollzug, Jugendhilfe, Arbeitsvermittlung, Schule, Jugendsport, Wissenschaft, Politik, Gesundheitsversorgung und allgemeiner Gesundheitsförderung ein. In der abschließenden Podiumsdiskussion wurde die Frage aufgeworfen, wie Strukturen für nachhaltige Gesundheitsförderung etabliert und auch finanzi-ell gesichert werden können, eine Frage, bei der es nicht zuletzt um die Über-windung zersplitterter Verantwortlichkeiten geht. Unter der Moderation von Hans-Heinrich Obuch (NRD) suchten Vertreter aus Politik, Krankenkassen und Wissenschaft nach Lösungen.

Die hier vorgelegte Dokumentation folgt im Wesentlichen dem Aufbau der Veranstaltung selbst. Die Vorträge sind von den Referenten in eine Schriftfas-sung gebracht und überarbeitet worden. Podiumsdiskussion und Workshops sollten mittels Tonträger aufgezeichnet werden, doch ist dieses Unterfangen leider nur für die Workshops zu den Themenfeldern Schule und Jugendberufs-

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Vorwort

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Ottomar Bahrs

dung herausgestellt und in einer Kontrastierung von „drinnen“ (im Vollzug) und „draußen“ (in der offenen Jugendarbeit) diskutiert. Im Ergebnis wird ein Anforderungsprofil für die Gestaltung von Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen entwickelt.

Prof. Dr. Jürgen Schröder, emeritierter Professor am Institut für Sportwis-senschaften der Universität Göttingen, entwickelt vor dem Hintergrund neu-erer wissenschaftlicher Studien einerseits und seiner langjährigen Erfahrung andererseits, wie sich die gesundheitliche Situation von Jugendlichen verän-dert hat, welcher Bedarf an Gesundheitsförderung sich daraus insbesondere für die Zielgruppe der sozial benachteiligten Jugendlichen ergibt, welche Rol-le Sport dabei spielen kann und auf welche Schwierigkeiten die Umsetzung trifft. Er spielt durch, wie welche Angebote für welchen Zweck ausgestaltet sein müssen und diskutiert dies mit besonderem Akzent auf dem Strafvoll-zug.

Dr. Gerd Ziegeler, Medizinsoziologe an der Universität Göttingen, be-richtet über den von ihm moderierten Workshop „Gesundes Lernen – Ge-sundheitsförderung in der Schule“. Ausgehend von dem Impulsreferat von Frau Prof. Krause ergibt sich, dass die Schule aufgrund ihrer sozialen Aufga-be zwar ein Ort für Gesundheitsförderung sein kann und soll, es aber eines konsequent settingbezogenen Ansatzes bedarf, wenn nicht die engagierten Aktivitäten einzelner Lehrer aufgrund struktureller Widerstände der Insti-tution und der Elternhäuser verpuffen sollen. Erfolgreiche Gesundheitsför-derung braucht flexibleres Rollenverhalten auch der Lehrer, und es besteht Übereinstimmung, dass Erfahrungsaustausch und interkollegiale Supervisi-on z.B. in einem Qualitätszirkel prozessunterstützend sein können. Auch in diesem Workshop wurde ein Anforderungsprofil für Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen erarbeitet, wobei der Berichterstatter einschränkend anmerkt, dass soziale Benachteiligung noch zu wenig konkret habe zum Thema werden können.

Prof. Dr. Christina Krause, emeritierte Professorin am Pädagogischen Se-minar der Universität Göttingen, führt in das Themenfeld Gesundheitsförde-rung in Schulen ein und stellt Ergebnisse ihrer Studie im Grundschulbereich vor. Sie arbeitet heraus, wie die Schulsituation als Stressor umso mehr für die-

Benachteiligung unterstreicht er nachdrücklich die Notwendigkeit eines sozi-alkompensatorischen Vorgehens, das aber den individuellen Bedarfen gerecht werden muss und die bereits vorhandenen Ressourcen nicht diskreditieren darf. Er fordert zu vorurteilsloser Betrachtung der konkreten Situation und einer wertschätzenden professionellen Haltung auf.

Karin Hilgendorf und Uwe Wolf, als Gesundheitspädagogen verantwort-liche ProjektmitarbeiterInnen von SPRINT, stellen das Konzept des gemein-sam mit Jugendlichen entwickelten Gesundheitstrainings vor. Sie zeichnen nach, warum sozial benachteiligte männliche Jugendliche eine besonders schwer zu erreichende Zielgruppe sind und wie sie mit einem setting- und le-bensweltbezogenen partizipativen Ansatz dieser Herausforderung begegnet sind. Konzeptueller Hintergrund und konkrete Ausgestaltung des von ihnen entwickelten Gesundheitstraining werden dargestellt.

Wendy Ramola, über die Diplom-Arbeit zum Projekt gestoßene Sozialwis-senschaftlerin, gibt auf Grundlage von Teilnehmerbefragungen Einblicke in Erwartungen der Jugendlichen und beschreibt das Sample bezüglich sozialer, bildungsbezogener sowie gesundheitlicher Parameter auch im Vergleich zu Bevölkerungsdaten. Mit Bezug auf Ergebnisse der Abschlussbefragungen ver-deutlicht sie, wie SPRINT von den Jugendlichen aufgenommen wurde und wie die Ergebnisse ihrerseits Einfluss auf die Konzeptentwicklung hatten.

Dr. Ottomar Bahrs, Medizinsoziologe an der Universität Göttingen, fasst Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung und Qualitätsentwicklung des Projekts zusammen. Das Instrument des Qualitätszirkels als Form der Ver-mittlung von Forschung und Praxis wird vorgestellt, dessen konkrete Aus-gestaltung im Projekt beschrieben und der Verlauf auch im Hinblick auf die Projektentwicklung nachgezeichnet. Zentral sind dabei die Fragen, wie Par-tizipation ermöglicht und Nachhaltigkeit gesichert werden kann: für die Ju-gendlichen, für die Projektmitarbeiter, für die Institutionen und für die am Forschungsprozess Beteiligten.

Christian Hölscher, Geschäftsführer der Jugendhilfe e.V. und einer der Projektleiter von SPRINT, berichtet über den von ihm moderierten Workshop „Gesund leben drinnen und draußen“. Mit Bezug auf das Impulsreferat von Prof. Schröder wird die Bedeutung von Sport als Medium der Gesundheitsbil-

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Vorwort

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Ottomar Bahrs

jenigen Kinder wirkt, die wenig Erfolgserfahrungen machen können. Damit werden auch Lernerfahrungen blockiert, die in ihrem eigenen – sehr erfolgrei-chen – Gesundheitsförderungsprojekt initiiert werden konnten. Während so die Übermacht struktureller Rahmenbedingungen erdrückend scheint, zeigt sie ebenso auf, dass schul- und lehrerbezogen ausgeprägte Unterschiede be-stehen, die wesentlich vor dem Hintergrund der schulinternen Unterstützung zu erklären sind. Gesundheitsförderung kann insofern nicht gegen die Insti-tutionen erfolgreich sein und muss zuallererst die Entscheidungsträger für die Mitarbeit gewinnen.

Dr. Ottomar Bahrs skizziert den Diskussionsprozess des von ihm mode-rierten Workshops „Gesunder Start ins Arbeitsleben“. Vor dem Hintergrund des Impulsreferates von Prof. Hanses erscheint es zwar sinnvoll, gesundheits-fördernde Angebote in auf berufliche Qualifizierung bezogene Fördermaß-nahmen zu integrieren, doch ist Erfolg nicht allein an der Vermittlung ins Erwerbsleben zu messen. Adäquat erscheint demgegenüber eine prozesso-rientierte Bewertung, die sich an Möglichkeiten und Zielen der Adressaten orientiert. Deren Selbstverortung zu ermöglichen und Beziehungsfähigkeit zu unterstützen wäre wesentliche Aufgabe der Professionellen, deren Reali-sierung jedoch strukturelle Hindernisse entgegen stehen, so dass die Professi-onellen die Ohnmacht ihrer Klientel teilen. Im Ergebnis wird auch in diesem Workshop ein Anforderungsprofil für erfolgreiche Gesundheitsförderungs-praxis skizziert und für unterstützende Qualitätszirkel plädiert.

Prof. Dr. Andreas Hanses und seine Mitarbeiterin Dr. Kirsten Sander ent-wickeln am Beispiel des von ihnen wissenschaftlich begleiteten BodyGuard-Projekts die zentrale Bedeutung sozialer Erfahrungsprozesse und der biogra-phischen Verortung der Gesundheitsförderungsmaßnahme. Der Erfolg einer Maßnahme ist nicht sinnvoll an von außen gesetzten Kriterien zu messen, son-dern daran, welche Bedeutung die Teilnehmenden selbst den Lernprozessen geben. Dies wird an Fallbeispielen detailliert veranschaulicht. Nachhaltige „Wirkung“ ist bei einer auf Gesundheitsförderung zielenden Maßnahme nur zu erwarten, wenn diese biographisch anschlussfähig ist. Den Jugendlichen Beteiligung zu ermöglichen ist daher allererste Aufgabe.

Dr. Ottomar Bahrs und Dr. Gerd Ziegeler fassen im abschließenden Bei-trag die Diskussionen – auch mit Bezug auf die gesundheitswissenschaftliche Diskussion – zusammen. Die wechselseitige Verschränkung von soziallage-bezogenen und gesundheitsbezogenen Risiken lässt sich zwar als Abwärts-spirale beschreiben, ist jedoch nicht als autonomer Prozess zu verstehen. Den Risiken sind die durchaus auch vorhandenen Ressourcen gegenüberzustellen, wofür der professionelle Blick oft erst noch zu schärfen ist. Nicht nur die sozi-al benachteiligten Jugendlichen weisen „Risiken“ auf – diese gibt es auch im System der professionellen Helfer und damit naheliegender Weise in ihrer ge-meinsamen Interaktion. Was hier wirkmächtig wird, ist weniger das, was „ist“, als vielmehr das, was es für die Beteiligten „bedeutet“. Weil diese (familien-)geschichtlich verankert sind, wird vorgeschlagen, der Biographiearbeit bei der Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen größeres Gewicht beizumessen. Vermutet wird, dass die Re-Konstruktion der eigenen Geschichte die Chance zur Aneignung und Neugestaltung von Bedeutungs-zuweisungen bietet und damit selbst partizipativ wirkt.

Göttingen, im August 2010

Siegfried Löprik

Christiane Jesse

Dr. Dagmar Schlapeit-Beck

Grußworte

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Begrüßung und Einführung zur

Tagung

Siegfried Löprick

(Erster Vorsitzender der Jugendhilfe e.V. Göttingen)

Sehr geehrte Damen und Herren,knapp drei Jahre arbeitet das Projekt SPRINT-Gesundheitsförderung mit

benachteiligten jungen Menschen. Drei Jahre Arbeit vorstellen, die Arbeit und damit natürlich auch sich selbst einer fachlichen Auseinandersetzung stellen – das ist aufregend und spannend. Dazu kommt die Erwartung, Arbeitsschwer-punkte und Perspektiven für die Zukunft entwickeln zu können.

SPRINT ist ein Projekt der Jugendhilfe Göttingen, einem eingetragenen Verein. Als Vorsitzender der Jugendhilfe Göttingen e.V. habe ich die Ehre und das Vergnügen, Sie alle heute Morgen begrüßen zu dürfen. Das tue ich hiermit herzlich. Wir freuen uns, dass Sie den Weg in den Offenen Jugendvollzug hier in Göttingen gefunden haben.

Besonders begrüße ich die Sozialdezernentin der Stadt Göttingen, Frau Dr. Dagmar Schlapeit-Beck. Sie haben bereits bei der Auftaktveranstaltung zum Projekt Sprint 2007 nicht nur Interesse am Thema sondern auch Unterstüt-zung und Begleitung versprochen. Sie haben das Versprechen auch gehalten. Ich freue mich auf Ihr Grußwort.

Besonders begrüßen möchte ich auch all diejenigen, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen in der Gesundheitsförderung heute weitergeben. Ein herz-liches Danke Schön und Willkommen an alle Referentinnen und Referenten.

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Grußworte

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Siegfried Löprick

Ganz besonders darf ich hier Professor Raimund Geene aus Magdeburg be-grüßen. Sie haben sich kurzfristig bereit erklärt, ihre Expertise zur Verfügung zu stellen und werden an Stelle von Antje Richter, die heute in Berlin sein muss, zu den „Chancen durch Gesundheit“ und den Möglichkeiten und Gren-zen von Gesundheitsförderung referieren.

Das heutige Symposium ist bereits im Vorfeld auf mediales Interesse ge-stoßen. Das hilft uns allen, wenn wir die Öffentlichkeit informieren und für Gesundheitsförderung sensibilisieren wollen. Ich begrüße herzlich auch die anwesenden Vertreter der Medien.

Sehr geehrte Damen und Herren, Sie erwarten keine lange und inhalts-schwere Begrüßung – wir freuen uns auf spannende Vorträge und Darstellun-gen. Ein kleines Erlebnis aus der Anfangszeit der Arbeit von SPRINT will ich Ihnen aber erzählen. Kurz nach den ersten Durchgängen des SPRINT-Trai-nings hier im Offenen Jugendvollzug habe ich am späten Nachmittag zufällig drei junge Inhaftierte beim Ausgang in der Stadt getroffen. Sie gingen direkt an der Filiale einer weltweit bekannten McBurger-Kette vorbei. Alle drei hat-ten eine Mohrrübe in der Hand. Ich habe natürlich gefragt: Ist das neue Motto „Möhre statt Burger“? Der durchaus selbstbewusste Kommentar der Jugend-lichen war kurz: „Das schmeckt wirklich und gesund soll es ja auch sein“. Für mich war die kleine Szene zwar kein wissenschaftliches Evaluationser-gebnis, aber ungemein motivierend. SPRINT will Verhalten verändern oder zumindest beeinflussen. Diese Zielsetzung ist ambitioniert. Die geschilderte Szene mag ein kleiner Indikator dafür sein, dass wir Wirkungen auch erzie-len können – auch wenn hier noch keine Aussagen über Nachhaltigkeit ange-bracht sind.

Bereits hier möchte ich all denjenigen danken, die die heutige Veranstaltung möglich gemacht haben, mit enormen Einsatz und Engagement und der not-wendigen Pfiffigkeit, wenn nicht vorhandene Tagungsinfrastruktur kompen-siert werden musste. Ich bin sicher, Sie werden sich wohl fühlen, auch wenn wir im Jugendvollzug und nicht in einem modernen Kongresszentrum sind.

Dank gilt im Besonderen auch denjenigen, die durch ihren Einsatz und durch Förderung das heutige Symposium ermöglicht haben. Neben der Akti-on Mensch, die das Projekt SPRINT über drei Jahre fördert hat, sind nament-

lich zu nennen die GeMeKo, (Gesellschaft zur Förderung der medizinischen Kommunikation e.V.), die Klosterkammer Hannover und die Techniker Krankenkasse, die die Tagungsdokumentation finanziert.

Seit Januar 2010 gehört der Offene Jugendvollzug in Göttingen als Abtei-lung zur Jugendanstalt Hameln. Ich freue mich ganz besonders, dass Sie, Frau Jesse, heute als Anstaltsleiterin für die hiesige Einrichtung hier sind, und wir freuen uns auf Ihre Begrüßung.

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Begrüßung zum Symposium

SPRINT 23.02.2010

Christiane Jesse,

Anstaltsleiterin Jugendanstalt Hameln

Sehr geehrte Damen und Herren,Gesundheitsfürsorge gehört zu den Kernaufgaben einer jeden Justizvoll-

zugsanstalt, also auch zu den Aufgaben des Jugendvollzuges. Gesundheitsfürsorge umfasst mehr als die Behandlung von Krankheiten.

So sind hier in der Abteilung Göttingen viele Betreuungsangebote auf Ge-sundheitsförderung ausgerichtet wie z.B. Drogenberatung, Informationen zur Aidsprävention oder über Hepatitisgefahren, Trainingsprogramme gegen Aggressionen und anderes mehr.

Grenzen werden uns gesetzt durch knappe Ressourcen, die wir für weiter gehende Maßnahmen benötigen würden. Deshalb freue ich mich über die Möglichkeiten der Gesundheitsförderung mit jungen Inhaftierten, wie sie mit SPRINT drei Jahre realisiert wurde.

Durch die Förderung von „Aktion Mensch“ konnte ein spannendes Modell gestartet und realisiert werden, welches die Betreuungsarbeit im Vollzug un-terstützt und weiterentwickelt. Ich danke der Jugendhilfe Göttingen als lang-jährigem Partner des Jugendvollzugs hier in Göttingen für die Initiative, den Einsatz und das Engagement bei der Realisierung des Projekts.

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Grußworte

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Christiane Jesse

Junge Inhaftierte in die Programmentwicklung einbeziehen, sie zu Fachleu-ten in eigener Sache zu machen und sie zu motivieren, ihre Erfahrungen und Kenntnisse an andere weiterzugeben, heißt gleichzeitig, jungen Inhaftierten aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen – ein Schritt auf dem Weg zur erfolgreichen Resozialisierung.

Gesundheit – und damit auch die Förderung von Gesundheit – hat insofern mehrfache Funktionen:• Gesundheit ist für jeden ein Wert an sich, Gesundheitsförderung trägt

demnach bei zu einem Mehr an Wohlbefinden.• Gesundheit ist darüber hinaus z.B. Voraussetzung für Integration in Arbeit,

d.h. auch für einen wesentlichen Baustein beim Übergang vom Vollzug in die Freiheit.

• Ganzheitliche Gesundheitsförderung ist immer auch soziales Training und damit auch ein Beitrag zur Integration nach der Haft. Dies gilt für den offe-nen genauso wie für den geschlossenen Vollzug.

Bis Ende letzten Jahres war der Offene Jugendvollzug Göttingen eine Abteilung der JVA Rosdorf. Die JVA Rosdorf hat die Projektdurchführung von SPRINT mit zusätzlichen Haushaltmitteln unterstützen können. Seit 01.01.2010 ge-hört der Offene Jugendvollzug in Göttingen zur Jugendanstalt in Hameln. Mit dem Zusammenschluss der beiden Einrichtungen wurde zusammen geführt, was zusammen gehört. Die notwendige differenzierte Förderung von jungen Straftätern braucht unterschiedliche Formen und Einrichtungen, die koope-rieren und zusammen arbeiten müssen. Nur so können alle von einander ler-nen.

Wir haben jetzt die Chance, Erfahrungen und Ergebnisse von SPRINT – wo immer dies möglich und sinnvoll ist – in die vollzugliche Alltagsarbeit des Jugendvollzuges zu integrieren.

Sehr geehrte Damen und Herren,ich begrüße Sie herzlich in der Abteilung Offener Vollzug Göttingen der Ju-gendanstalt Hameln.

Sie alle kommen aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Ich freue mich, dass wir interdisziplinär diskutieren können. Der Jugendvollzug braucht den Aus-tausch.

Ich wünsche mir und Ihnen daher für heute spannende Vorträge, eine rege Diskussion und viele Anregungen für die Arbeit.

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Grußworte der Dezernentin

für Kultur und Soziales der

Stadt Göttingen

Dagmar Schlapeit-Beck

Sehr geehrte Damen und Herren,es ist mir eine besondere Freude, Sie zum heutigen Symposium „SPRINT

– Stärker ins Leben, Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten jungen Menschen“ begrüßen zu können.

Gesundheit bedeutet in diesem Rahmen für Jugendliche ein gut funktio-nierendes, soziales Umfeld / Netzwerk – berufliche Perspektiven – gesunde Ernährung – Bewegung und Sport.

Gesundheit steht für körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden, und ein gesellschaftliches Ziel ist es, sozial benachteiligten Kindern und Ju-gendlichen Gesundheit zu ermöglichen.

Die Erkenntnis, dass Gesundheit einer der wichtigsten Bausteine ist, um sich selbst wertschätzen zu können, Sorge für sich und das eigene Wohlbefin-den und Wohlergehen zu erlangen, muss erarbeitet werden.

Besonders sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche brauchen Anre-gungen, Anleitungen und Unterstützung zum Selbstcoaching. Wissen über Gesundheit, im weitesten Sinne, zu erlangen und dieses in eine verantwor-tungsbewusste Lebensführung umzusetzen, ist das Ziel.

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Grußworte

Jugendliche sprechen Jugendliche an, entwickeln, mit Unterstützung, ei-gene Konzepte der Aktivierung, um Gesundheit zu erhalten und zu stärken. Sozial benachteiligte Jugendliche setzen ihre Projekte anschließend in unter-schiedlichen Arbeitsfeldern um.

Wir sind heute zusammengekommen, um uns über die Möglichkeiten und Chancen der gesundheitspädagogischen Arbeit mit sozial benachteiligten jungen Menschen auszutauschen. Die Bedingungen und Anforderungen der gesundheitspädagogischen Arbeit in unterschiedlichen institutionellen Zu-sammenhängen (Jugendvollzug – Schule – Jugendberufshilfe) werden in den Workshops diskutiert und erarbeitet werden. Es wird Gelegenheit geben, sich gemeinsam Gedanken zu machen, wie wir Jugendliche und Kinder unterstüt-zen können, wenn die Ursprungsfamilie als Gesundheitsmittler versagte. Wir werden gemeinsam profitieren von den reichhaltigen Erfahrungen, die durch SPRINT und die Jugendhilfe e.V. gemacht wurden.

Meine besondere Anerkennung und mein Dank gelten den Veranstaltern und Organisatoren des heutigen Symposiums,

Jugendanstalt Hameln – Abteilung Offener Jugendvollzug GöttingenJugendhilfe Göttingen e.V. sowie Universitätsmedizin Göttingen, Abt. Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie.Der Veranstaltung wünsche ich viel Erfolg, anregende Gespräche, neue Er-

kenntnisse und eine gute Vernetzung der Teilnehmer/Innen, zum Wohle von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen.

Raimund Geene

Karin Hilgendorf und Uwe Wolf

Wendy Ramola

Ottomar Bahrs

Plenarvorträge

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Desintegration und Teilhabedefizit

Determinanten und Ansätze für familiäre Armutsbe-kämpfung und Gesundheitsförderung

Raimund Geene

Kinderarmut und Familienarmut

Kinder sind in Deutschland die gesündeste Bevölkerungsgruppe, und ihre Aussicht auf ein langes, gesundes Leben ist so gut wie nie zuvor in der Ge-schichte der Menschheit. Junge Eltern und insbesondere (werdende) Mütter können heute voller Zuversicht ihrer Familiengründung entgegen sehen. Nie zuvor war die Kinder- und Müttersterblichkeit so gering wie heute. Und nie zuvor hatten Kinder und ihre Eltern derart gewaltfreie, man könnte fast sagen: friedliche Zukunftsperspektiven.

Doch gleichzeitig sind noch nie so viele Kinder in Deutschland in Armut geboren, denn Kinderarmut ist genauer betrachtet Familienarmut. Wie passt die Ausgangssituation mit den gesellschaftlichen Problemen zusammen?

Im Rahmen der von Gesundheit Berlin-Brandenburg initiierten und durch das Bundesministerium für Gesundheit finanzierten Vorstudie „Familien stark machen“ haben wir 2008 und 2009 mit Unterstützung des Gemeinde-dolmetschdienstes muttersprachlich geführte Interviews mit jungen Eltern unterschiedlicher ethnischer Herkunft und insgesamt sieben Expertenwork-shops in den Stadtteilen Berlin-Marzahn und Berlin-Kreuzberg durchgeführt

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Plenarvortrag

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Rainmund Geene

Ausgangslage:

■ Marginalisierung der Kindheit→ Verinselung der Kindheit→ starker Geburtenrückgang in Mittel- und Oberschichten→ konstant hohe Geburtenrate bei sozial Benachteiligten■ Familie und Beruf→ hohe Unvereinbarkeit in Deutschland→ Mangel an Teilhabe■ Intergenerative Brüche→ Verständigungsprobleme insb. bei sozial Benachteiligten→ Generationentransfers durch Erbschaften gehen an den Benachteiligten weitgehend vorbei■ Gewalt und Verwahrlosung→ Keine Zunahme, aber stark gesteigerte Beachtung■ Mutter-Kind-Interaktionsstörungen→ Prävalenz ca. 20%, davon chronifizieren sich etwa die Hälfte■ Teufelskreis negativer Gegenseitigkeit, aber:→ Hohes Veränderungspotenzial, große Selbstheilungskräfte rund um die Geburt→ Frühe Hilfen können Selbstheilungskräfte aktivieren

■ Herausforderungen an die Hilfssysteme: → Ungenügender Ausbau der Frühen Hilfen→ Kaum Verankerung in den Lebenswelten→ Kaum Vernetzung→ Geringe Bekanntheit bei Ämtern, Ärzt/innen etc.

Zur Armutsprävention und Gesundheitsförderung angezeigt sind hier stark lebensweltbezogene Hilfen, die vor allem in den Bereich der grundsätzlichen Unterstützung zur Lebensbewältigung hineinragen und insgesamt auf lang-same Schritte zur Ressourcensicherung und Selbstwertsteigerung orientie-ren (Woog 2004). Dabei ist speziell im Bereich erster Lebensmonate/früher Kindheit von folgenden Befunden auszugehen (Cierpka et al. 2007):

mit dem Ziel, die konkreten Lebensrealitäten junger Familien zu erkunden und Strategien für eine nachhaltige Bewegungsförderung zu ermitteln. Im Folgenden möchte ich daraus abgeleitete Überlegungen und Hypothesen stichwortartig herausstellen.

Es wird deutlich, dass wir es mit verschiedenen Formen sozialer Benachtei-ligung zu tun haben, die sich etwas holzschnittartig, aber doch deutlich unter-scheiden lassen in das, was wir im Weiteren „Desintegrationsproblematiken“ nennen möchten, und einer zweiten und oft unabhängigen Art der Benach-teiligung, die wir als „Teilhabedefizit“ bezeichnen. Während die erstgenannte Desintegrationsproblematik vor allem junge, herkunftsdeutsche Familien mit niedrigem sozialem Status betrifft, sind es vor allem Angehörige von Migrati-onsgruppen, die unter dem Teilhabedefizit zu leiden haben.

Wesentliche Bestimmungsfaktoren der Armut von Familien, Eltern und Kindern können mit folgenden Stichworten umrissen werden (Dienel 2002, Geene 2009a):• Marginalisierung von Familie und Kindheit in Deutschland (demographi-

sche Situation)• Schwierigkeiten in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf• Entwicklung zur „Risikogesellschaft“• Diversifizierung kindlicher und familiärer Lebenswelten• Wachsende gesellschaftliche Sensibilisierung gegenüber Gewalt und Ver-

wahrlosung

Desintegrationsproblematik

Differenzieren wir diese Befunde aber nach der o.a. Unterscheidung in Des-integrationsproblematiken und Teilhabedefizite aus, so ergibt sich ein durch-aus unterschiedliches Bild.

Im Bereich der desintegrierten Familien zeigt sich vor allem die nachfolgen-de Problematik.

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Plenarvortrag

35

Rainmund Geene

schen den und in den einzelnen Communities feststellen, wobei sich jedoch ein klarer Schwerpunkt herausstellt: es bedarf bei Migrationsgruppen vor al-lem Zugang zu Informationen und öffentlichen Diskursen/ Kommunikation! Weil aber grundlegende Themenstellungen, geschweige denn Informationen oft nicht bekannt sind, bestehen andererseits durchaus gute Möglichkeiten der gezielten Verhaltenssteuerung – wenn eben dieses Teilhabedefizit, oder man könnte mit Foucault auch sagen: der Diskursausschluss, durchbrochen wird.

Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese Informationen einer In-tegration in das jeweilige Wertesystem bedürfen. Beispielhaft konnte dies herausgearbeitet werden in dem Projekt „Gesund essen mit Freude – ein kul-tursensibler Koch- und Ernährungskurs“ (Duman 2005), weil es besonders eindrucksvoll die zielgruppenzentrierte Herangehensweise ausdrückt. Fast mustergültig für ein Projekt nach dem Diversity-Ansatz wurden hier die eige-nen Lebensrealitäten der Migrantinnen zum Ausgangspunkt genommen.

Das Projekt wurde zunächst von Gesundheit Berlin-Brandenburg mit För-dermitteln des BKK-Bundesverbandes als Modellprojekt zur Stadtteilentwick-lung konzipiert und umgesetzt (Gold et al. 2005). In einem weiteren Schritt wurde es noch im gleichen Jahr an einer Grundschule in einem benachteiligten Stadtteil Berlins implementiert. Ausgangspunkt für die Intervention war die schlechte Ernährungssituation der Kinder, die von den Sozialarbeiter/innen der Schulstation beobachtet wurde. Da auch die Schulleitung eine Verbesse-rung der Situation befürwortete, wurden finanzielle Mittel zur Durchführung bereitgestellt. Das Projekt ist als Präventionsprojekt nach § 20 SGB V sowie als Good Practice-Projekt nach den Kriterien der Bundeszentrale für gesund-heitliche Aufklärung anerkannt (Lehmann et al., 2007). Es fördert insbeson-dere die Partizipation und das Empowerment von Müttern (bzw. Eltern) und unterstützt die Entwicklung von (Organisations-)Strukturen in Schule und Stadtteil (ebd., S. 293 f.).

Zur Teilnehmerinnenakquise wurden bestehende, von den Eltern aner-kannte Strukturen der Schule genutzt wie beispielsweise die Milch-AG, die Elternsprecher/innen, aber auch die Frau des Hausmeisters. Über persönliche Ansprache und durch hohe Akzeptanz dieser Personengruppen konnten Müt-ter für die Teilnahme am Kursangebot gewonnen werden. Die Gruppe setzte

• Etwa jedes 5. Kind wächst mit erheblichen psychosozialen Belastungen auf

• Häufig korrelierend mit fehlenden Schutzfaktoren• Stresserleben abhängig von Bindungsqualität• Gescheiterte Versuche der Selbstregulation durch Unfähigkeit, Emotionen

zu modulieren (dysfunktionale Verhaltensweisen)• Generationenübergreifende Instabilität• Überforderung von Eltern • “Präventionsdilemma”• Je höher der “objektive” Bedarf, desto geringer die Inanspruchnahme• Unsicherheit/Angst vor Institutionen• “die Szene-Ladys sind zuerst da”

Als spezifische Präventionsmaßnahmen in diesen Risikokonstellationen empfehlen sich (nach Cierpka et al. 2007) acht Bereiche eines präventiven Rahmenprogramms:• Unterstützung des Überlebens• Vermittlung von Werten und Zielen• Unterstützung eines intuitiven Gefühlsauf baus• Sicherstellung körperlicher und seelischer Gesundheit• Verbesserung der sozialen Interaktion• Steigerung des Selbstwertgefühls• Förderung der Motivation• Training basaler intellektueller Fähigkeiten

Teilhabedefizit

Die oben genannten Schwierigkeiten sind zwar bei herkunftsdeutschen Fa-milien recht häufig anzutreffen. Bedingt durch die wesentlich stärkere famili-äre Orientierung der dominierenden Migrationsgruppen in Deutschland und ihr mithin stärkeres soziales Kapital, ist dies in letztgenannten Bevölkerungs-gruppen auffallend weniger der Fall. Wir können hier große Unterschiede zwi-

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Plenarvortrag

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Rainmund Geene

gesundes Angebot an Pausensnacks zur Verfügung stellen sollte. Begleitet und gestützt werden diese Aktivitäten auch weiterhin durch die Schulstation und die Schulleitung.

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Zunächst sind einzelne Projekte gegenüber der wachsenden Kinder- und Familienarmut und ihren besonderen Gesundheitsbelastungen natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Gesundheitsförderung kann die gesell-schaftlichen Ursachen kaum ändern, bietet jedoch einen wichtigen Hand-lungsansatz, insbesondere durch die Priorisierung auf die Lebenslagen sozial Benachteiligter.

Erforderlich ist hier ein kurzes Innehalten zur Eröffnung des Diskurses über die Innen- und Außensicht sozialer Benachteiligung:

Die Gesellschaft befindet sich in dauerndem Wandel und Umbruch, und die Dynamik der Veränderungen nimmt weiter zu. Teil davon ist der hohe Indivi-dualisierungsdruck, der nicht nur die Individuen, sondern vor allem auch ihre Familien und Gemeinschaften verändert und z.T. auch stark verunsichert.

Doch diese Individualisierung wird auch als subjektives Bedürfnis nach Selbstverwirklichung erlebt, und zwar nach unterschiedlichen, zum Teil ge-gensätzlichen Leitbildern. Dabei kollidiert insbesondere das bildungsbür-gerliche Modell der deutschen Mittel- und Oberschichten (und mithin die veröffentlichte Meinung in Deutschland) mit den Lebensbildern von sozial benachteiligten Menschen. Häufig beschränkt sich die Gemeinsamkeit der benachteiligten Menschen und Gruppen aber auf dieses Diskriminierungsge-fühl. Darüber hinaus sind die Benachteiligten völlig unterschiedliche Indivi-duen, die sich – teilweise – nach ethnischen, religiösen, geschlechtlichen, öko-nomischen, gesundheitlichen oder Altersgruppen sortieren und zusammen finden – das neue Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bietet hier als Diskriminierungsschutz einen formalen Rahmen. Migrant/innen beispiels-weise wehren sich zunehmend gegen ihre Zuordnung als sozial schwache Gruppe. ‚Migration’ ist ein von außen gesetzter Sammelbegriff über so völ-

sich letztendlich aus vier verschiedenen Ethnien zusammen. Das Kurskon-zept setzt stark auf die Förderung eigener Ressourcen und orientiert sich an den Lebenswelten und Fähigkeiten der Mütter, vorgegeben sind nur die Rah-menthemen. Es sensibilisiert für den Zusammenhang von Gesundheit und Ernährung, dient aber auch als „Aufhänger“, um Eltern zu aktivieren, sich im Schulalltag und in ihrem Umfeld zu engagieren. Vielfältige Ergebnisse konn-ten durch den Kurs erreicht werden:• Wissen und Fähigkeiten für einen gesunden Lebensstil der Familie wurde

unter Berücksichtigung kultureller und familiärer Aspekte gestützt und er-weitert;

• das Selbstbewusstsein der Frauen konnte gestärkt werden; • die Teilnehmerinnen wurden zu (informellen) Multiplikatorinnen für ihre

eigenen Communities qualifiziert; • Hemmnisse im Umgang miteinander wurden verringert und interkulturel-

les Verständnis füreinander gefördert; • neue Elternteile konnten für die Mitarbeit in der Milch-AG gewonnen wer-

den;• Mütter wurden zur Teilnahme an Deutschkursen motiviert;• ein naheliegendes Gemeinwesenzentrum konnte stärker in die Aktivitäten

der Schule eingebunden werden.

Zum Abschluss des Kurses organisierten die Mütter ein Buffet für Freund/innen, Bekannte und Familienmitglieder und erhielten große, positive Reso-nanz auf ihre Aktivitäten. Die Mütter fühlten sich wahrgenommen und mach-ten die Erfahrung, dass ihre Kultur und ihre Fähigkeiten etwas wert sind, dass sie durch den Austausch untereinander etwas Wertvolles weitergeben konn-ten. Ein solches positives Feedback hatten viele der Teilnehmerinnen zuvor noch niemals aus dem Munde eines Herkunftsdeutschen gehört.

Die Teilnehmerinnen führten auch nach Beendigung des Kurses ihre wö-chentlichen Treffen im Gemeinwesenzentrum durch, um sich beim gemeinsa-men Kochen über viele verschiedene Themen auszutauschen. Geplant wurde auch der Aufbau eines von Eltern geleiteten Schulkiosks, der den Kindern ein

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Rainmund Geene

liche Schwierigkeit, die nicht dadurch verdeckt werden kann, dass der Zugang möglichst unauffällig bzw. „diskriminierungsfrei“ erfolgen soll – die Adressa-ten spüren diese „Opferzuschreibung“ in jedem Fall auf!1

Zusammenfassung

Die ersten Ergebnisse unserer Vorstudie zeigen deutlich, dass die Problem-lagen sozialer Benachteiligung differenziert betrachtet werden sollten, wobei die nachstehenden Schlagwörter eine grobe Sortierung anzeigen: ■ Desintegrationsproblematik→ Frühe Hilfen→ genaue Adressierung in den/die Lebenswelten→ Empathie, Verständnis für die Sublogiken→ Schnittstellen/ Vernetzung der Angebote

■ Problematik der fehlenden Teilhabe→ Bezug zum bestehenden Sozialen Kapital→ Förderung der habituellen Entwicklung der Communities→ Inklusion, Teilhabeförderung

Im Bereich der Desintegrationsproblematik kann eine „anerkennende Un-terstützung statt Kontrolle“ als Leitbegriff genannt werden. Unter diesem Aspekt ist die symmetrische Entwicklung der primären Sozialisationsinstitu-tionen Familie mit der sekundären (Kita, Schule) sowie der tertiären (Sozial-arbeit) von herausragender Bedeutung. Im Mittelpunkt steht dabei die Stär-kung der Elternkompetenz (Stichwort: „Kitas zu Elternzentren“) mit einer dienenden – nicht normierenden – Funktion der Gesundheitsförderung und aller sozialen Unterstützungssysteme. Das Ziel ist dabei, den Eltern zu helfen,

1 Auch empirische Befunde weisen darauf hin, dass Krankheitsprävalenzen bei Migrationskindern sehr differenziert zu betrachten sind (vgl. Razum 2006, Herrmann/Mielck 2001)

lig verschiedene Lebensrealitäten wie die von vietnamesischen Rentnern und türkischen Mädchen, von jungen Russlanddeutschen oder arabischen Frauen (und wir sehen auch hier, dass selbst diese Auflistung lediglich Klischeevor-stellungen transportieren kann). Besonders stark abgegrenzt sind sie von den massiven Desintegrationsproblemen junger herkunftsdeutscher Familien, auf die die Öffentlichkeit durch Schlagzeilen von Kindestötungen stark aufmerk-sam wurde. „Migration“ und „soziale Benachteiligung“ gibt es also nur als Ab-grenzungsbegriff unserer (bildungsbürgerlichen) Wertvorstellungen.

Aktuell werden moderne Inklusionskonzepte mit Migrant/innen unter dem Leitbegriff ‚Diversity’ diskutiert. Mit dem Konzeptansatz des „Diversity-Ma-nagement“ wird schon heute in internationalen Unternehmen der globalisier-ten Welt die Verbesserung der Kommunikation zwischen den unterschiedli-chen Lebenswelten und Lebensrealitäten angestrebt. Statt Unterschiedlich-keiten zu betonen, verweist Diversity auf kulturelle Schätze der Menschen: was zunächst befremdet und irritiert, sind bei näherem Hinsehen besonders interessante Arten der Lebensgestaltung, wie sich schon in Klischees aus-drückt: vom Ethnopop, von besonderen kulinarischen Genüsse exotischen Essens, von engen sozialen Netzen südländischer Familien oder der Lebens-kraft und Emotionalität Lateinamerikas. Diversity-Management zielt aber nicht nur auf die Entwicklung neuer Konsumanreize, sondern auch auf die Optimierung von multinationalen Arbeitsprozessen durch kultursensible Wahrnehmung unterschiedlicher Werte. Diversity spiegelt sich aber auch in der Selbstwahrnehmung der Menschen, die nicht als Benachteiligte (in der Selbstbezeichnung: „Opfer“) gesehen, sondern als Individuen in ihrer Vielfalt und Einzigartigkeit erkannt werden wollen.

Wenn wir diese Erkenntnis von Vielfalt und Diversity auf die Gesundheits-förderung anwenden, sehen wir den dringenden Bedarf zur Ausdifferenzie-rung von Analyse, Zielgruppenorientierung und insgesamt des Methoden-programms, dem an anderer Stelle (Geene 2009b) nachgegangen wird. Aber allein schon die Fokussierung auf soziale Benachteiligung ist eine grundsätz-

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ihre impliziten Erziehungsziele zu explizieren, damit sie Selbstwirksamkeits-erfahrungen machen können und ihre elterliche Intuition gestärkt statt weiter demoralisiert wird.

Im Bereich der Teilhabedefizite geht es vor allem darum, die bestehende Familienorientierung und weitere Bereiche des hier oft üppig vorhandenen sozialen Kapitals zu unterstützen und als Ausgangspunkt zu nehmen, Teilha-be systematisch sicherzustellen und zu erweitern. Wichtige Stichworte dieses Ansatzes sind das Diversity Management, die Community-Orientierung und die interkulturelle Öffnung als Strategie sozialer Einrichtungen, Verwaltun-gen und öffentlicher Hand. Wichtigster Ansatzpunkt einer solchen Inklusion ist die Integration in den Arbeitsmarkt.

Literatur

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Geene R (2009a): Kinderarmut und Kindergesundheit in Deutschland. In: ders./ Gold C (Hrsg), Kin-derarmut und Kindergesundheit. Bern.

Geene R (2009b): Vielfalt und Lebensstile. Herausforderungen für Gesundheitsförderung in komple-xen Lebenswelten. In: Gesundheit Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Dokumentation 14. bundesweiter Kongress Armut und Gesundheit (CD-ROM mit Beiträgen zum Kongress und der Satellitenveranstal-tung). Berlin.

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Herrmann N/ Mielck A (2001): Der Gesundheitszustand von deutschen und ausländischen Kindern: Warum ist Mehmet gesünder als Maximilian? In: Gesundheitswesen 63: 741–747.

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Woog A (2004): Lebensweltorientierte Soziale Arbeit in Familien. In: Grunwald K/ Thiersch H (Hrsg), Praxis Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit. Handlungszugänge und Methoden in unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Weinheim.

SPRINT-

Expertenschaft fördern und nutzen

Karin Hilgendorf und Uwe Wolf

Die Ausgangslage

Die Jugendhilfe Göttingen e.V. arbeitet seit vielen Jahren mit delinquenten und straffälligen Jugendlichen. In der sozialpädagogischen Arbeit mit sozial benachteiligten jungen Menschen wurde deutlich, dass sie kaum oder nur pe-ripher über Informationen zu gesundheitlichen Themen wie Ernährung, Be-wegung und Stressregulation verfügen.

Nach dem StVollzG stellt Gesundheitsfürsorge einen gesetzlichen Auftrag im Vollzug dar und gehört damit auch zu den Aufgaben im Jugendvollzug. Da-bei wird allerdings eher an der traditionell funktionalistischen Sichtweise von Gesundheit festgehalten und das klassische Verständnis von Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit in den Fokus gerückt. Angesichts der hohen Ge-sundheitsrisiken dieser Jugendlichen einerseits und ihrer als gering erschei-nenden gesundheitsbezogenen Kenntnissen andererseits sind daher erweiter-te Angebote sinnvoll, die auf eine gezielte Gesundheitsförderung ausgerichtet sind.

Vor diesem Hintergrund wurde das Projekt SPRINT (Sport-Prävention-Re-integration-Information-Networking-Transfer) initiiert. SPRINT ist als spe-zielles Trainingsprogramm zur Gesundheitsförderung mit jungen Menschen

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Karin Hilgendorf und Uwe Wolf

aus sozial benachteiligten Lebenslagen angelegt und wird seit dem 1.5.2007 mit finanzieller Unterstützung der Aktion Mensch durchgeführt. Die Projekt-laufzeit beträgt 3 Jahre (Ende am 30.4.2010). Anwendung findet SPRINT

• im Offenen Jugendvollzug Göttingen (1) • bei der Jugendberufshilfe / Beschäftigungsförderung Göttingen (2) • an Förderschulen (Martin-Luther-King Schule Göttingen) (3).

Hierfür wurde ein insgesamt ca. 30 Seminarstunden umfassendes Gesund-heitstraining entwickelt, das als Gruppenangebot mit der Idee von sozialem Lernen konzipiert und fortwährend weiterentwickelt wurde. Im ersten Schritt wurde SPRINT in insgesamt 11 Durchgängen im Offenen Jugendvollzug Göttingen durchgeführt.

Im zweiten Schritt wurde das Konzept für die Umsetzung in Schule und be-ruflicher Förderung für beiderlei Geschlecht modifiziert und in 3 Durchgän-gen in der Beschäftigungsförderung Göttingen und schuljahresbegleitend an der Martin-Luther-King Schule Göttingen erprobt.

Jugendliche in Krisen und soziallagenbezogene Be-wältigungschancen

Die Zeit der Adoleszenz ist im Hinblick auf körperliche und psychosozia-le Gesundheit eine besonders bedeutsame Lebensphase und stellt für die Ju-gendlichen eine große Herausforderung dar. Die Verdichtung von verschie-denen Entwicklungsaufgaben – wie Loslösung vom Elternhaus, Berufswahl, Freundschaften, Verarbeitung der biologischen Entwicklung und der Sexua-lität, um nur einige zu nennen – ist für diesen Lebensabschnitt prägend. So lässt sich die Adoleszenz als eine "psychosoziale Krisenzeit" bezeichnen, in der sich entsprechend der Erfahrungen Identität heraus bildet. Damit gilt sie als entscheidender Moment der Ausbildung handlungsbestimmender Lebenssti-le, die den Habitus und das gesundheitsrelevante Verhalten entwickeln und ausprägen.

Wie z.B. der Kinder- und Jugendsurvey (2006) gezeigt hat, handelt es sich bei Jugendlichen im Allgemeinen, und bei sozial benachteiligten jungen Men-schen im Besonderen um eine besonders gefährdete Gruppe, denn im Jugend-alter steigt das potentielle Gesundheitsrisiko. Die gesundheitliche Belastung ist bei sozial benachteiligten Jugendlichen am stärksten ausgeprägt. Sie zeigt sich in erhöhter Risikobereitschaft (riskante Lebensstile) bezüglich Drogen-konsum und ungeschütztem Sexualverkehr, unausgewogener Ernährung, mangelnder Bewegung und einem höherem Maß an Dissozialität. Mögliche soziale Folgen zeigen sich z.B. in geringen finanziellen Möglichkeiten, gerin-gem Schul- und Ausbildungsniveau / Schulverweigerung, Jugendarbeitslosig-keit, Kriminalität und Gewaltbereitschaft.

Diese ungünstigen Lebenslagen erschweren den Zugang zu Bildung, zu ge-sellschaftlicher Teilhabe und den Zugriff auf Gesundheitsressourcen. Diese sind aber notwendig, um gesundheitliche Chancengleichheit zu ermöglichen. Damit es nicht zu einem sich selbst verstärkenden Zirkel von Armut und Ge-sundheit kommt, bedarf es spezifischer Strategien, um auch diejenigen zu er-reichen, die zugleich höhere Risiken aufweisen und im geringeren Maße Hilfe in Anspruch nehmen. Daher werden zunehmend Adressaten- spezifische An-gebote gefordert.

Gesundheitsförderung als Ort sozialer Praxis

Sozial benachteiligte junge Menschen verfügen in der Regel weniger über Möglichkeiten (Ressourcen), sich aktiv und selbständig das Thema Gesund-heit und Gesundheitswissen zu erschließen. Im Handlungsfeld der Gesund-heitsförderung wird die genannte Zielgruppe mit den traditionellen Maßnah-men und herkömmlichen Angeboten kaum bis gar nicht erreicht. Die häufig latent normative Orientierung vieler Gesundheitsförderungsmaßnahmen be-rücksichtigt Wertmuster und Bedarfe bei sozial benachteiligten Gruppen we-nig und wirkt so auch nicht ausreichend effektiv (vgl. Geene 2010). Es bedarf daher spezifischer und explizit sozialkompensatorischer Angebote.

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lung“ zusammen. Die Förderung von Schutzfaktoren (Sinnhaftigkeit und positives Selbstkonzept) steht dabei im Vordergrund, indem lebensweltliche Zugänge genutzt und Eigenaktivität gestärkt wird. Die Chance des offenen Ju-gendvollzugs (OJV) als Setting liegt u.a. darin, dass sie einen Ort darstellt, in dem die Jugendlichen überhaupt erreichbar sind.

SPRINT legt den Schwerpunkt auf die Themen Ernährung, Sucht, soziale Beziehungen, Bewegung so wie Stressregulation und stellt dabei die im Le-bensalltag verankerten Ressourcen der Jugendlichen in Rechnung. An dieser Stelle sei beispielhaft darauf hingewiesen: Das Ausprobieren von Grenzen und ein entsprechender Umgang in Bezug auf Drogen und Alkohol gehört zu die-sem Lebensalter. Der Körper / die Körperlichkeit wird für Mädchen und Jun-gen zum wichtigen Instrument der sozialen Identität. Konflikte in der Schule und in den Familien verschärfen sich. Nicht zuletzt wird Liebe/Sex und Part-nerschaft zu einem spannenden und zentralen Thema, das es weder normativ zu behandeln noch zu tabuisieren gilt, sondern das bei sensibler Bearbeitung soziale Erfahrungen zu verstehen erlaubt.

SPRINT ist als ganzheitlich praktiziertes Gesundheitstraining angelegt. Ganzheitlich meint, alle Ebenen eines Menschen einzubeziehen. Sie umfasst sowohl die körperliche als auch die geistige und soziale Regulationsfähigkeit. Der Begriff „Gesundheit“ bezieht sich damit auf alle Bereiche des Lebens.

Projektziel

Ziel von SPRINT ist es, in der gemeinsamen Er- und Bearbeitung der The-men Jugendliche für ihr subjektives Verständnis von Gesundheit zu sensibi-lisieren und zur Reflexion anzuregen. Durch die gemeinsame Erarbeitung von Problemlösungsstrategien und einer Unterstützung in der Entwicklung von (Lebens-)Kompetenzen will SPRINT gesundheitsbewusstes Handeln entwickeln, erhalten und fördern. Ziel ist es darüber hinaus, den Umgang der Jugendlichen untereinander zu verbessern (Sozialkompetenz, Konfliktfähig-keit) und sie zu gesellschaftlicher Mitverantwortung anzuregen.

Gesundheitsförderung bezieht sich dabei nicht nur auf einzelne Personen, sondern schließt ganze Settings (Lebensbereiche) mit ein. Diese umfassen alle Bereiche, die einen großen Teil im Alltag einnehmen und somit Einfluss auf die Gesundheit haben. In der Ottawa-Charta heißt es hierzu: „Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben“ (WHO 1986). Ein solches Setting ist der Jugendvollzug.

Bei der Betrachtung der gesundheitlichen Zustände (z.B. bei jungen Inhaf-tierten) wird die Aufgabe von Gesundheitsförderung deutlich. Insbesondere im Strafvollzug stehen die Insassen aufgrund der vorangegangenen Verhand-lung, des Schuldspruchs und der Inhaftierung unter großem psychischem Druck. Die psychischen und sozialen Risiken, die insbesondere im Strafvoll-zug auftreten und auf den Gesundheitszustand Einfluss haben, werden bislang vernachlässigt. Der derzeit vorherrschende kurative (bzw. ggf. ansatzweise präventive) Ansatz ist unzureichend. Erschwerend kommt hinzu, dass die Ar-beit mit „sozial benachteiligten Jugendlichen“ insgesamt durch parallel und häufig unabgestimmte Akzentuierungen gekennzeichnet ist wie z.B. Krimi-nalprävention, Gewaltprävention, Suchtprävention, Prävention sexuell über-tragbarer Erkrankungen. Die Aufspaltung der einzelnen Präventionsbereiche verhindert ein ganzheitliches, gesundheitsbezogenes Vorgehen. Sinnvoll sind daher Angebote, die auf eine gezielte Gesundheitsförderung ausgerichtet sind und auf die Stärkung von generalisierten Widerstandsressourcen (Antonovs-ky 1997) abzielen. Diese erlauben den Jugendlichen vor Ort einen besseren und flexibleren Umgang mit den Risiken und ermöglichen ihnen damit ins-gesamt die Ausbildung von Potentialen, um auch künftige Krisensituationen, auf welcher Ebene diese auch immer angesiedelt sein mögen, kompetenter zu bewältigen.

Die Jugendhilfe Göttingen e.V hat mit dem Projekt SPRINT ein spezielles Trainingsprogramm zur Gesundheitsförderung gemeinsam mit jungen Inhaf-tierten entwickelt. Mit SPRINT verfolgen wir einen innovativen Weg der Ge-sundheitsförderung, der von der Gesundheitserziehung hin zu akzeptierender Gesundheitsarbeit führt. Wir fassen die unterschiedlichen Präventionsansät-ze unter dem Begriff „Gesundheitsförderung durch Persönlichkeitsentwick-

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Organisationsstruktur und das soziale Gefüge eines Settings beeinflussen die Gesundheit. Kollektive Vorstellungen von Gesundheit werden im Umfeld re-produziert und nehmen Einfluss auf individuelle Vorstellungen.

Was bedeuten die grundlegenden Aspekte der Salutogenese wie Ressour-cen- und Lebensweltorientierung, Empowerment und Expertenschaft für die Praxis von SPRINT?

Die Arbeitsweise von SPRINT

Partizipation bildet die Grundlage der gesundheitspädagogischen Arbeit. Für SPRINT bedeutet Partizipation die Teilhabe an Gestaltungs- und Ent-scheidungsprozessen und beschreibt sowohl den Weg als auch das Ziel. In der praktischen Arbeit ist es nicht unser Ziel, Menschen zu überzeugen, das „Richtige“ zu tun, was eine Definition bereits im Vorfeld verlangt (vgl. Ge-sundheitserziehung). Es geht um die Beteiligung der jungen Menschen an al-len Phasen der Entwicklung.

Hier wird die zentrale Bedeutung des Empowerment-Ansatzes (Selbst-Be-mächtigung, Wieder-Gewinnung von Stärke) als Voraussetzung für gelingen-de Partizipation deutlich. Empowerment beschreibt einen Entwicklungspro-zess im Alltag, in dem Individuen, Gruppen oder ganze Organisationen die eigenen Stärken entdecken und ihre Lebenswelt (mit)gestalten. Mit der Ent-wicklung von (sozialen) Kompetenzen wird es den jungen Menschen dann möglich, einen selbstverantwortlichen Einfluss auf die eigenen Lebensver-hältnisse zu nehmen.

Die Praxis von SPRINT orientiert sich an den Kompetenzen der Teilneh-menden; d.h. sie bringen ihre Vorstellungen, Erfahrungen und ihr Wissen ein; wir verstehen sie als Experten ihrer Lebenswelt. Darüber wird es für die SPRINT-Anleitenden möglich, die Jugendlichen in ihren Aussagen und Be-langen ernst zu nehmen und mit ihnen in einen Dialog zu treten. Indem die Teilnehmer ihre Expertenschaft einbringen, füllen sie die Ziele und bestim-men die Inhalte mit. Unsere Haltung dabei ist zu motivieren und positiv zu

Zusammengefasst verstehen wir es als unsere (pädagogische) Aufgabe, • junge Menschen in schwierigen Lebenslagen zu unterstützen,• sie zu persönlicher und gesellschaftlicher Mitverantwortung anzuregen

und• sie "zu guten Schwimmern im Fluss des Lebens" (Antonovsky 1997) zu

machen. Mit diesem Bild kommen wir zur Leitidee von SPRINT.

Salutogenese als gesundheitspädagogisches Rahmenkonzept

Die Leitidee von SPRINT lehnt sich an das gesundheitssoziologische Mo-dell der Salutogenese von Aaron Antonovsky (1997) an. Hier wird die Fra-ge nach Gesundheit positiv formuliert: Was hält Menschen gesund? Anstatt Risikofaktoren in den Vordergrund zu stellen (= Pathogenese: "Was macht Menschen krank?") ist der Blick auf die Förderung individueller Ressourcen gerichtet. Mit dieser Perspektive rückt die Bedeutung der Wechselwirkung zwischen dem einzelnen Menschen und seiner Umwelt in den Fokus. Demzu-folge ist es notwendig, die Lebenswelt (Setting) in die gesundheitsfördernde Arbeit mit einzubeziehen.

Der Setting-Ansatz ist die Kernstrategie der Gesundheitsförderung. Maß-geblich ist, dass der Mensch nicht isoliert von seiner Umwelt gesehen werden kann, sondern immer mit ihr in Verbindung steht.

Bsp.: Wird in einem Freundeskreis hoher Alkoholkonsum als normal und besonders männlich angesehen, so fällt es einem Mitglied des Kreises schwer, auf Alkohol zu verzichten, ohne dabei seine Stellung in der Gruppe zu ver-lieren. Hier muss die Gesundheitsförderung ansetzen, um auch den Hinter-grund des gesundheitsabträglichen Verhaltens des Einzelnen verstehen zu können. Gesundheitsförderliches oder -abträgliches Verhalten entsteht nicht selten innerhalb einer Gruppendynamik. Nur wenn diese Gruppe von der Gesundheitsförderung mit betrachtet wird, kann das Verhalten des Einzel-nen verstanden und dieser ggf. dabei unterstützt werden, es zu ändern. Die

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Was den partizipativen Aspekt der Freiwilligkeit betrifft, gilt diesbezüglich für schul- und berufsbegleitende Maßnahmen eine andere Voraussetzung als im Offenen Jugendvollzug. In der Schule sind Anwesenheit und Teilnahme verpflichtend. Insofern bleiben Freiwilligkeit/ Wahlmöglichkeit auf die Art der Mitwirkung innerhalb von SPRINT beschränkt. Den Teilnehmenden bleibt es überlassen, in welcher Form sie sich beteiligen und die Einheiten mitgestalten.

Wir gehen davon aus, dass das Maß an Partizipation, das unter den Bedin-gungen eingeschränkter Freiwilligkeit (wie im Offenen Jugendvollzug) mög-lich ist, umso eher noch unter den Bedingungen von Freiwilligkeit erreichbar sein wird. Allerdings lehrt uns die Erfahrung im OJV, dass die von den Ju-gendlichen erhoffte Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit nicht immer gegeben ist.

Teamer als „Experten“

Nach dem ersten Durchgang fragten einige Jugendliche: Können wir noch-mal mitmachen? Darauf basierend entstand die Idee, junge Inhaftierte, die bereits SPRINT durchlaufen hatten, als Teamer, also als Unterstützer und Multiplikatoren, einzubinden und durch ihre sprachliche, erfahrungs- und altersbezogene Nähe den Zugang zu anderen Jugendlichen zu erleichtern. Als Experten ihrer eigenen Gesundheit können sie ihr erfahrungsgestütztes Wissen nun an gleichaltrige junge Menschen in ähnlichen prekären Lebens-situationen vermitteln. Dieses Vorgehen nach dem Prinzip der peer-to-peer-education fördert die Kompetenzentwicklung auf beiden Seiten – also der Inhaftierten wie auch der (noch einsitzenden) Teamer. Die peer-to-peer edu-cation wird zudem genutzt, indem die Teamer auch die Durchgänge in den genannten Institutionen „draußen“ begleiten. Dies ist mittlerweile zum festen Bestandteil des SPRINT-Konzepts geworden.

verstärken. Fühlen sich die Jugendlichen ernst genommen, sind sie in der Re-gel gleichzeitig motiviert. Dieses Vorgehen schafft Raum und Vertrauen, um über Probleme, Ängste und Sorgen zu sprechen.

Je mehr Einfluss auf einen Entscheidungsprozess genommen werden kann, desto mehr Partizipation kann realisiert werden. Eine erfolgreiche gesund-heitspädagogische Arbeit kann nur gelingen, wenn eine Vernetzung aller Le-bens- und Lernbereiche (im Alltagsbezug) angestrebt und „Gesundheit“ als (all)täglicher Entwicklungs- und Lernprozess im Sinne eines „lebenslangen Lernens“ begriffen wird. Die Erfahrung zeigt, dass Jugendliche umso besser erreicht werden können, je stärker die Angebote an ihre Lebenswelt angepasst sind. Es hat sich bewährt, ihrer Expertenschaft auch da Rechnung zu tragen, wo sich diese zunächst in „unangepasstem“ Verhalten zeigt (z.B. Drogen- oder Mediensucht). Inwieweit Strukturveränderungen durch die SPRINT-Praxis tatsächlich umsetzbar sind, ist derzeit noch nicht absehbar. Aber es zeichnen sich bereits einige Veränderungen/ Entwicklungen im Vollzugsalltag ab (vgl. Fazit).

Freiwilligkeit als partizipatives Element

Anlässe für die Beteiligung am Projekt bieten „Mund-zu-Mund-Propa-ganda“, direkte Ansprache und auch Eigeninitiative der Jugendlichen bei der Auswahl des Sport-Freizeitprogramms. Die jungen Inhaftierten des Offenen Jugendvollzugs sind verpflichtet, unter verschiedenen Angeboten der Abtei-lung „Sport und Freizeit“ zu wählen. Entscheiden sie sich für das Angebot von SPRINT, haben sie selbst die Wahl, in welcher Form sie sich z.B. an Gesprä-chen und Aktionen beteiligen bzw. diese mitgestalten. Anwesenheit ist nach Anmeldung bei SPRINT jedoch verpflichtend. Durch die Wahlmöglichkeit, aber auch die Verbindlichkeit nach der Wahl sollen die Jugendlichen dabei un-terstützt werden, Verantwortung für sich und ihre Entscheidungen zu über-nehmen. Über die Wahlfreiheit wird eine wertschätzende Haltung gegenüber ihren individuellen Bedürfnissen ausgedrückt, die zum Vertrauensaufbau bei-trägt. Die geringe Abbrecherquote im Projekt (Ramola 2008, 2010) und die dauerhafte Nachfrage durch die Jugendlichen sprechen für den Erfolg dieses Vorgehens.

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• Offener Jugendstrafvollzug• Jugendberufshilfe / Beschäftigungsförderung • Förderschule

Das umfassende Gesundheitstraining, das insgesamt ca. 30 Seminarstunden umfasst, ist als Gruppenangebot für sechs bis 15 Teilnehmer konzipiert. Das Training wird in einem Zeitraum von 6 Wochen 2 x wöchentlich für 1,5 Stun-den durchgeführt. Im OJV beinhaltet SPRINT auch das Angebot zu vertie-fenden Einzelgesprächen.

SPRINT wurde bisher in insgesamt 11 Durchgängen im Offenen Jugend-vollzug Göttingen durchgeführt. Im zweiten Schritt wurde das Konzept für die Umsetzung in Schule und beruflicher Förderung für beiderlei Geschlecht angelegt und in 3 Durchgängen in der Beschäftigungsförderung und schul-jahresbegleitend an der Martin-Luther-King Schule erprobt. Dabei wurden Jugendliche, die im Offenen Vollzug an SPRINT teilgenommen hatten, als Teamer einbezogen. Daraus haben sich unterschiedliche Modelle entwickelt: • als regelmäßiges Angebot (OJV) mit einer festen Gruppe (8–12 TN) über

jeweils sechs Wochen mit ca. 30 Std.• als Projektwoche (BF) mit einem Stundenumfang von ca. 30–35 Std.• Schuljahresbegleitend (MLK): 3 Blöcke à 2 Tage zu den unterschiedlichen

Themenschwerpunkten

Alle Angebote finden unter Beteiligung und in gemeinsamer Entwicklung der Netzwerkpartner statt. Die Kooperationspartner von SPRINT (Offener Jugendvollzug, Beschäftigungsförderung Göttingen, Förderschule etc.) sind durch die gemeinsame Arbeit im Qualitätszirkel in die Projektentwicklung und den Evaluationsprozess eingebunden (Bahrs 2010). Entsprechend wer-den die Einheiten den jeweiligen institutionellen Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren angepasst.

Mit dem Blick auf Verankerung und Nachhaltigkeit ist es ein Ziel von SPRINT, die Teilnehmenden und die jeweiligen Institutionen dahingehend zu sensibilisieren, gesundheitsrelevante Themen effektiv umzusetzen. Zu Be-

Gesundheitsförderung als Entwicklungsprozess

Wir verstehen das Gesundheitstraining SPRINT als Entwicklungsprozess. Praktisch bedeutet das z.B., ein Spiel, eine Übung, eine Aufgabe nicht zwin-gend zum Erfolg zu bringen, sondern als Lernprozess zu verstehen. Hier gilt es eher zu fragen: Warum hat es geklappt? Warum hat es nicht geklappt? Und was ist zu tun? Das bedeutet aber auch, dass jeder Durchgang anders verläuft und sich entsprechend der Teilnehmenden entwickelt. „Teilnehmende“ sind unserem Verständnis zufolge sowohl die Jugendlichen, als auch die LehrerIn-nen/ BetreuerInnen und die Institution selbst. Alle Beteiligten können sich als Lehrende und Lernende zugleich verstehen. Unter diesen Bedingungen und Anforderungen kann unserer Meinung nach Gesundheitsförderung zum Ort sozialer Praxis und damit lebensweltnah werden.In der Projektumsetzung lassen sich verschiedene Ebenen der Partizipation aufzeigen: • zwischen SPRINT-Mitarbeitern und Jugendlichen • zwischen den Jugendlichen (Teamer-TN)• zwischen SPRINT-Mitarbeitern und Professionellen (kooperierende Ge-

sundheitsfördererInnen, u.a. im Rahmen des Qualitätszirkels)• zwischen den Institutionen• zwischen SPRINT-Mitarbeitern und Begleitforschung (im Rahmen des

QZ, im Rahmen der Treffen mit der Projektbegleitung).

Alltagsnähe durch Settingansatz

In der Gesundheitsförderung gelten aufsuchende Maßnahmen als beson-ders erfolgversprechend, weil dadurch die jeweilige Klientel in ihren jewei-ligen Lebenswelten erreicht werden kann. Um nachhaltig wirken zu können, müssen Strategien der Verhaltensänderung in den Alltag eingebracht werden. SPRINT arbeitet mit Einrichtungen wie:

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wirken zu können. Nachhaltigkeit kann nur durch Kontinuität im Sozialraum erhofft und gesichert werden. Gesundheit bleibt so kein abstraktes Ziel, son-dern wird im Alltag hergestellt und aufrechterhalten.

Umsetzung in der Praxis

In der gesundheitspädagogischen Arbeit von SPRINT steht weniger die kognitive Auseinandersetzung im Vordergrund. Daher findet sich ein großer Anteil von Bewegung, Spiel und Aktion in den Gruppentreffen:• Elemente aus dem Sport und Fitnessbereich• Elemente aus Körperwahrnehmung• Elemente aus Entspannungstechniken• Elemente aus dem Team-Coaching, Interaktionsspiele

Mit der Vorstellung eines beispielhaften SPRINT-Durchgangs geben wir im Folgenden einen kleinen Einblick in den wesentlichen Teil unserer Arbeit.

Jeder Durchgang beginnt mit einer Einführungsveranstaltung. Der Ablauf und die inhaltlichen Schwerpunkte werden vorgestellt. Neugier und Motiva-tion sollen bei den Teilnehmenden geweckt werden, und es ist sehr wichtig, dass ihre Erwartungen, Vorstellungen und Wünsche aufgedeckt werden. Ein Eingangsfragebogen dient dabei als Einstimmung in das Thema. Eine Selbst-einschätzung der psychischen und körperlichen Befindlichkeit sowie vor-handenes gesundheitsbezogenes Wissen werden erfragt. Darüber gewinnen wir einen Eindruck über den individuellen Gesundheitszustand und das Ge-sundheitsverhalten. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse dienen als Anlass zur Auseinandersetzung und werden in der inhaltlichen und methodischen Durchführung berücksichtigt (Ramola 2010).

Mit der Einführungsveranstaltung wird die „SPRINT-Inszenierung“ trans-parent gemacht. Inszenierung meint in diesem Fall das Herstellen einer be-sonderen Form der Gruppentreffen, die sich von bekannten und eher Misser-folg geprägten Schul- oder Unterrichtssituationen abgrenzt.

ginn gab es die Überlegung, z.B. BeamtInnen/LehrerInnen/BetreuerInnen nicht in die Durchführung der Praxis mit einzubeziehen, weil sie möglicher-weise den Gruppenprozess oder die Bereitschaft und Offenheit der Jugend-lichen beeinträchtigen könnten. Unsere Erfahrung hat aber gezeigt, dass es bereichernd ist, die Professionellen dabei zu haben. So nehmen die LehrerIn-nen und BetreuerInnen aus Schule und Jugendberufshilfe mittlerweile an der praktischen Durchführung von SPRINT teil. Wichtig dabei ist die Zurück-haltung in ihrer alltäglichen Rolle als LehrerInnen und BetreuerInnen. Bei sensiblen Themen (Sexualpädagogik, Drogen) nehmen sie nur eingeschränkt oder gar nicht teil.

Im Anschluss an die jeweiligen Einheiten findet eine gemeinsame Reflexion mit dem Blick auf zukünftige Praxis und ihrer (Veränderungs-) Möglichkei-ten statt: Wie ist es gelaufen? Was ist gut gelaufen, was nicht? Es können z.B. Rückmeldungen von den Jugendlichen aufgenommen und im Austausch mit den BetreuerInnen/LehrerInnen Möglichkeiten der Integration in den Schul-alltag besprochen werden. Ebenso können gemeinsame Erfahrungen und Er-kenntnisse unter Beteiligung der Jugendlichen in den Schulalltag eingebracht werden; z.B. das gemeinsame Herausarbeiten von Gewalt- und Konfliktsitu-ationen in der Klasse und das Diskutieren von Wünschen und Möglichkeiten einer Veränderung im Umgang miteinander. Die Kernprobleme der Schüler zeigen für die Lehrenden einen Weg auf, entsprechende (fehlende) Kern-kompetenzen zu vermitteln bzw. zu erarbeiten. Durch Reflexion des Erlebten kann eine Aussicht auf alltägliche Veränderung erfolgen. Erkenntnisse und Formen der Auseinandersetzung können für das Schullernen genutzt werden. Es lassen sich dabei ebenso Ressourcen der Lehrenden aufdecken; bezüglich gesundheitsförderlicher Aktivitäten: Was könnt Ihr schon? Was macht Ihr be-reits? Z.B. in regelmäßigen Abständen ein gemeinsames Frühstück initiieren, „Traumreisen“ als kleine Entspannungseinheiten in den Unterrichtsalltag ein-bringen o. ä.

Die Projektarbeit belegt, dass die Gesundheitsförderungspraxis als partizi-pativer und lebensweltakzeptierender Ansatz eine notwendige Grundlage da-für darstellt, um eine erfolgreiche Umsetzung zu ermöglichen und nachhaltig

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gagiert lösen wollen und welche, die sich eher zurückhalten, dennoch sind alle involviert. Wenn die Gruppe erfolgreich sein will, ist es notwendig, dass sich jeder entsprechend seiner Möglichkeiten und Befindlichkeiten einbringt.

Im konkreten Tun in der Gruppe liegen die Möglichkeiten Erfahrungen zu machen. Dies schafft wiederum Impulse, die zum gemeinsamen Erfah-rungsaustausch anregen. Der Austausch in der Gruppe dient der Förderung von Wahrnehmung und Verbalisierung von Gefühlen, Befindlichkeiten und Stimmungen. Der zeitliche Rahmen und die feste Gruppe sollen gegenseiti-ges Vertrauen stärken und über die Auseinandersetzung in der Gruppe soziale Kompetenzen fördern. Ziel der einzelnen Bestandteile des Gesundheitstrai-nings ist, die Körperwahrnehmung der Jugendlichen zu schulen, sie zur Re-flexion über sich und ihr Handeln anzuregen und mit ihnen Handlungsalter-nativen zu entwickeln. Über die Auseinandersetzung in der Gruppe werden soziale Kompetenzen gefördert und darüber hinaus wird das Gruppengefühl gestärkt.

Dies gelingt zum Einen durch die äußere Form:• Die ritualisierte Blitzlichtrunde zu Beginn und am Ende jedes Treffens

fragt nach aktueller Befindlichkeit – jeder kann hier zu Wort kommen. • Mit einfachen Mitteln versuchen wir die Sinne anzusprechen: Durch die

Raumgestaltung, das Umräumen des Klassenzimmers; bei Entspannungs-übungen kommen Kleinigkeiten zum Einsatz – eine Kerze, ein Räucher-stäbchen.

• Einige Treffen verlegen wir gerne nach draußen; wir gehen in die Natur.• Nicht zuletzt „nerven“ wir mit Obst, aufgeschnittenem Gemüse oder Voll-

kornkeksen – unserer Erfahrung nach greift spätestens beim 4. oder 5. Mal auch der selbsternannte Gemüsehasser zu den Möhren.

Weiterhin versprechen wir etwas Besonderes: Wir laden den einzelnen Teil-nehmenden ein, Erfahrungen zu machen und Gesundheit zu erleben. Wir stel-len in Aussicht, dass sich das Gruppenklima im Laufe des Trainings verändern wird. Das fordert heraus, weckt Erwartungen und macht neugierig. Zum An-deren spielt die Haltung der Durchführenden eine große Rolle bei dieser In-szenierung. Dies wird den Teilnehmenden von Anfang an deutlich gemacht:• Nicht wir sind „die Gesundheitsexperten“, sondern wir helfen den Jugend-

lichen, selbst zu Experten ihrer eigenen Gesundheit zu werden.• Wir halten keine Vorträge, wie z. B. gesunde Ernährung auszusehen hat.• Wir nehmen möglichst keine Bewertungen nach dem Motto: es ist schlecht

ständig nur Cola zu trinken, vor.• Wir fragen nach Vorstellungen, Ideen und Gefühlen der Teilnehmenden.• Wir regen grundsätzlich zu gegenseitigem Erfahrungsaustausch an.

In der Einführungsveranstaltung verdeutlichen wir dieses Vorgehen mit Hilfe einer kleinen Aufgabe: Eine Plane wird auf dem Boden ausgebreitet, auf der alle TN gerade stehend Platz finden. Die Plane soll nun umgedreht werden, ohne dass ein TN diese verlässt. Die TN werden zu Experten dieser Situation und können die Aufgabe nur gemeinsam lösen. Ideen werden entwickelt, aus-getauscht und gemeinsam ausprobiert. Es wird TN geben, die die Aufgabe en-

56

Plenarvortrag

57

Karin Hilgendorf und Uwe Wolf

das Erarbeiten von Strategien zum kritischen Umgang mit Drogen und Medi-en. Im Weiteren werden Wege zur Stressregulation aufgezeigt und gemeinsam erarbeitet. Hier „spielen“ wir z. B. Werbeagentur. Die Teilnehmenden sind aufgefordert, Ideen zu entwickeln und kreativ umzusetzen, was oder wodurch sich andere Jugendliche angesprochen fühlen, sich mit Gefahren/Problemen auseinanderzusetzen. In der Förderschule wurde daraus „Deutschland sucht den Superstar“. Die Schülerinnen und Schüler rappten gegen Alkohol und Zi-garetten um die Wette. Die Teamer (zwei Inhaftierte) schlüpften spontan in die Rolle der Juroren.

Im Schwerpunkt Soziale Beziehung, wir nennen ihn „Ich und die Anderen“, liegt ein Hauptaugenmerk auf der Auseinandersetzung mit den Ursachen und Hintergründen von Konflikten und Gewalt. Durch Methoden aus Konflikt- und Antiaggressionstrainings werden gemeinsam über die Wahrnehmung und Anerkennung von Wut, Angst und Misstrauen Konfliktlösungsmöglich-keiten erarbeitet. Auch hier waren wir immer wieder überrascht, wie vorsich-

Thematisch haben wir SPRINT inhaltlich in die drei Bereiche Ernährung, Sucht und soziale Beziehungen unterteilt. Ziele und Arbeitsformen lassen sich für die einzelnen Bereiche folgendermaßen skizzieren:

Im Themenbereich Ernährung wird über Medien wie „Ernährungsquiz“, „Kochduell“, Biohofbesuch u. ä. theoretisch und praktisch zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch angeregt. Dabei steht im Vordergrund, dass Wissen über gesunde Ernährung herauszuarbeiten und zur Auseinandersetzung um das ei-gene Essverhalten anzuregen. Wir hätten nicht gedacht, dass junge Inhaftierte beim „Lebensmittel-Memorie“ so viel Spaß haben können und sich nebenbei über ihre Essgewohnheiten austauschen. Ebenso, dass die Jugendlichen beim Besuch auf dem Bio-Bauernhof so sehr von der artgerechten Tierhaltung be-eindruckt sind. Dieser Besuch war bislang mit jeder Gruppe eines der High-lights.

Im Rahmen des Themas Sucht geht es im kreativen, Lebenswelt akzeptie-renden Erfahrungsaustausch um gegenseitiges Sensibilisieren für Risiken und

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Plenarvortrag

59

Karin Hilgendorf und Uwe Wolf

tig und achtsam jugendliche Gewalttäter miteinander umgehen können. Ein weiterer Aspekt dieses Schwerpunktes ist Liebe und Sexualität. Hier wird über eine sexualpädagogische Einheit zur Auseinandersetzung über Erfahrungen, Ängste und Zweifel mit dem Thema Liebe und Sexualität (Lust, Partnerschaft, Vaterschaft, Mutterschaft, Krankheit, Homosexualität) ermutigt.

Ein abschließender Auswertungsfragebogen dient der Ergebnisauswer-tung. Jede Einheit, sowie jeder Durchgang wird mit einer gemeinsamen Re-flexion abgeschlossen.

Im Rahmen einer Dokumentation und Reflexion jeder praktischen Einheit erfolgt die Selbstevaluation. Dies generiert systematisch Erkenntnisse und Wissen mit Bezug auf jeden Durchgang. Damit wird die Möglichkeit geschaf-fen, das pädagogische Vorgehen zu hinterfragen und dem aktuellen Gruppen-prozess anzupassen.

Ergebnisse und Fazit

Durch die gelungene Implementierung von SPRINT als Bildungs- und För-dermaßnahme im Rahmen des Sport-Freizeitangebots einerseits und durch die aktive Teilnahme einzelner MitarbeiterInnen des offenen Jugendvollzugs am Qualitätszirkel andererseits konnte insgesamt eine Sensibilisierung bzgl. Gesundheitsförderung festgestellt werden. Der von SPRINT initiierte Blick auf Gesundheit ist innerhalb des Jugendvollzugs zum Thema geworden. Dies findet im Vollzugalltag durchaus auf mehreren Ebenen seinen Ausdruck.

Hierzu einige Beispiele:• Bei der Erstellung der Förderpläne für die Inhaftierten durch die Erzie-

hungsgruppenleitung bzw. den Sozialdienst wird auf SPRINT hingewie-sen und zur Teilnahme motiviert.

• Bei der Weiterentwicklung des Förder- und Behandlungskonzeptes für den offenen Jugendvollzug ist angedacht, im Rahmen der Wahlpf licht des Sport- und Freizeitbereiches mindestens eine Teilnahme an einem Sportangebot verpf lichtend für die Inhaftierten festzuschreiben.

• Einzelne MitarbeiterInnen des Vollzugsdienstes achten insgesamt mehr auf die Ernährungsgewohnheiten und den Umgang der Inhaftierten mit dem Essen: sie unterstützen die Inhaftierten in ihrer Kritik bezüglich der Essensversorgung und nehmen Initiativen der Inhaftierten auf, in den Gruppen gemeinsam zu frühstücken. Eine regelmäßige Kochgruppe wird zurzeit angeboten.

Veränderungen lassen sich beispielsweise auch in der Gruppendynamik feststellen. Auf den Wohngruppen bzw. untereinander sind Veränderungen im Kontakt untereinander zu erkennen. Ein Beispiel:

Als Teilnehmer bei SPRINT nahm ein Inhaftierter das Angebot der Einzel-gespräche bei einer Mitarbeiterin von SPRINT wahr. Es ging konkret darum, vom Konsum weicher Drogen, in dem Fall Marijuana, Abstand zu nehmen. Zunächst wurde eine individuelle Strategie erarbeitet: wie gehe ich z. B. mit innerer Unruhe und Frust um? Schnell wurde dabei deutlich, dass eine indivi-duelle Lösung schwierig ist, da in der entsprechenden Vollzugsgruppe häufig gemeinsam Marijuana konsumiert wurde. Auf Initiative des Inhaftierten wur-de das Problem innerhalb der Gruppe thematisiert. In diesem Prozess haben sich schließlich alle Inhaftierten der Vollzugswohngruppe dazu entschlossen, den Konsum gemeinsam einzustellen und mit Unterstützung der JA-Mitar-beiterInnen Alternativen (mehr gemeinsame Aktionen, offenere Atmosphäre usw.) in ihren Gruppenalltag zu etablieren.

Zum Schluss ein für uns sehr wichtiges Ergebnis aus der Abschlussbefra-gung: mehr als 2/3 der Teilnehmenden haben sich während des Trainings ernstgenommen gefühlt (Ramola 2010). Das heißt, wir scheinen mit unserer Idee angekommen zu sein. Unser Vorgehen, nicht einzig aufzuklären, lässt womöglich zusätzlich Raum für Vertrauen und Authentizität. Nach unserer täglichen Erfahrung bekommen wir mit dem Thema Gesundheit Zugang zu einer recht schwierigen Klientel. Das zeigt sich u.a. im Engagement der Tea-mer und auch im Sich-Einlassen jedes einzelnen Teilnehmers.

60

Plenarvortrag

61

Mit diesen jungen Menschen passiert mehr, als diese erwartet haben. Sie haben nicht nur etwas über gesundes Essen gelernt, sondern auch vieles über sich selbst und ihre Gesundheit.

Danksagung

Unser Dank gilt an dieser Stelle der Aktion Mensch, die das Projekt geför-dert und ermöglicht hat! Wir danken weiterhin den Jugendlichen, die sich engagiert am Projekt beteiligt haben, den MitarbeiterInnen in den Träger-institutionen (JVA, Beschäftigungsförderung, Martin-Luther-King-Schule Göttingen) sowie den TeilnehmerInnen des Qualitätszirkels, die uns bei der Projektentwicklung unterstützt haben.

Literatur

Antonovsky A. Salutogenese (1997). Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Dt. erweiterte Herausga-be v. A. Franke. Tübingen: GDVT;

Bahrs, O. Vom Projekt zum Netzwerk – Der Qualitätszirkel als partizipatives Instrument in Begleitfor-schung und Qualitätsentwicklung von Gesundheitsförderung; in diesem Band S.85ff

Geene, R . Desintegration und Teilhabedefizit – Determinanten und Ansätze für familiäre Armutsbe-kämpfung und Gesundheitsförderung; in diesem Band S. 31ff

Gille, M., Sardei-Biermann, S., Gaiser, W., de Rijke, J. (Hrsg.) (2006). Jugendliche und junge Er-wachsene in Deutschland. Lebensverhältnisse, Werte und politische Beteilung 12–29 Jähriger. Jugend-survey, Band 3. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Ramola, W. (2008) Chancen der Gesundheitsförderung untersoziale benachteiligten Jugendlichen im offenen Strafvollzug dargestellt am Projekt „SPRINT“; sozialwissenschaftliche Diplom-Arbeit, Göt-tingen

Ramola W. SPRINT aus Sicht der beteiligten Jugendlichen – Ausgewählte Ergebnisse aus der Eingangs- und Abschlussbefragung; in diesem Band S.61ff

Weltgesundheitsorganisation (WHO). (1986). Ottawa Charta for Health Promotion.

SPRINT aus Sicht der beteiligten

Jugendlichen

Ausgewählte Ergebnisse aus der Eingangs- und Abschlussbefragung

Wendy Ramola

Im Rahmen eines mehrwöchigen Praktikums, der sich anschließenden Diplom-Arbeit (Ramola 2008) sowie der zunehmenden praktischen Einbin-dung in die Projektarbeit hatte ich Gelegenheit, aus unterschiedlichen Pers-pektiven die Sicht der Jugendlichen auf das SPRINT-Projekt kennenzulernen. Die Erfahrungen aus meiner teilnehmenden Beobachtung sowie den offenen Befragungen mit fünf Jugendlichen werden im Folgenden aus Platzgründen nicht zum Thema, bilden aber den Hintergrund für die Interpretation der hier vorgestellten Daten. Letztere beruhen auf der Eingangs- und Abschlussbe-fragung der an SPRINT beteiligten Jugendlichen mittels teilstandardisierter Fragebögen, die von der Jugendhilfe Göttingen eigens für SPRINT entwickelt wurden. Die Fragebögen ermöglichen es, biographische Daten, Informationen zu den Lebensbedingungen und Lebenswelten, sowie gesundheitsbezogene Daten wie z.B. eigenes Gesundheitsempfinden und Gesundheitszustand der inhaftierten Jugendlichen zu ermitteln. Die schriftlichen Befragungen fanden im Zeitraum von November 2007 bis November 2009 in der JA Hameln Ab-teilung Offener Jugendvollzug Göttingen im Rahmen der Einführungs- und Abschlussstunde im Projekt SPRINT statt. Es handelte sich um zwei ver-

62 63

Rücklaufquote und methodische Schwierigkeiten

Aus der Eingangsbefragung liegen Informationen von insgesamt 88 Jugend-lichen aus neun Durchgängen vor. Die Auswertung der Abschlussbefragung stützt sich auf 58 Fragebögen aus acht Durchgängen. Die Rücklaufquote be-trägt insgesamt ca. 70%, war jedoch bei den einzelnen Durchgängen unter-schiedlich ausgeprägt. Werden die Abbrecher aus der Auswertung rausgenom-men (n=9, d.h. ca. 11%; s. Tab. 1), so ergibt sich insgesamt eine Rücklaufquote von 79%. Die Eingangsbefragung war ursprünglich weniger als wissenschaft-liches Erhebungsinstrument denn dazu gedacht, den ProjektmitarbeiterInnen den Zugang zu den Jugendlichen zu erleichtern und eine Basis für die gemein-same Diskussion zur Verfügung zu stellen. Einige Fragen erwiesen sich zudem

schiedene Fragebögen. Die schriftliche Befragung wurde jeweils zu Beginn und zum Ende der einzelnen Durchgänge von den ProjektmitarbeiterInnen durchgeführt. Die Erhebung erfolgte zwar anonymisiert, aber dennoch in der Gruppe. Die Fragen waren überwiegend als Multiple-Choice-Fragen aufge-baut. Bei einigen Fragen bestand für die Jugendlichen die Möglichkeit, selbst formulierte Anmerkungen hinzuzufügen. Die Datenaufbereitung und Aus-wertung erfolgte PC-gestützt im Hinblick auf Häufigkeitsverteilungen.

Plenarvortrag Wendy Ramola

Durchgang Zeitraum Teilnehmer Teilnehmer mit

Migrations-

hintergrund

Teamer Teamer mit

Migrations-

hintergrund

Abbrüche Grund des Abbruchs Teilnehmer

Gesamt

1 11.09.-30.10.2007 09 3 0 1 1 freiwillig 09

2 14.01.-07.03.2008 10 3 4 0 1 Verlegung 14

3 25.03.-16.05.2008 10 3 3 0 0 13

4 10.06.-29.07.2008 10 0 3 0 0 13

5 14.10.-02.12.2008 11 4 3 2 2 Verlegung freiwillig 14

6 10.02.-31.03.2009 09 3 3 0 1 Verlegung 12

7 28.05.-16.06.2009 13 4 1 1 2 Verlegung freiwillig 14

8 23.06.-13.08.2009 08 4 3 1 2 Verlegung Praktikum 11

9 28.09.-04.11.2009 08 3 2 0 0 10

10 09.11.-17.12.2009 06 2 3 0 1 freiwillig 09

11 11.01.-18.02.2010 12 3 2 0 7 Verlegung 14

106 32 27 4 17 13% haben abgebrochen.

Davon wurden 71% verlegt, 23%

haben freiwillig Abgebrochen u.

6% haben ein Praktikum

begonnen.

134

Tab. 1: Teilnehmerübersicht

64 65

es sich überwiegend um sozial Benachteiligte. Die Insassen weisen verstärkt Merkmale wie geringes Schul- und Ausbildungsniveau, hohe Arbeitslosigkeit oder problematische Familienverhältnisse auf. Die hier untersuchten Jugend-lichen sind jedoch nicht nur Angehörige der homogenen Gruppe von Inhaf-tierten; es handelt sich bei ihnen auch ausschließlich um männliche Jugend-liche relativ gleichen Alters. Neben den zuvor beschriebenen soziallagenbe-zogenen Unterschieden im Bezug auf Gesundheit sind Geschlechter- und Al-tersunterschiede von großer gesundheitlicher Relevanz. Im Jugendalter steigt das potentielle Gesundheitsrisiko durch gesundheitsschädigendes Verhalten, wie beispielsweise erhöhte Risikobereitschaft und der damit einhergehenden Verletzungsgefahr. Gesundheitsrelevantes Verhalten bei Jugendlichen kann im Kontext jugendlicher Entwicklung gesehen werden. Die Phase ist geprägt durch diverse Veränderungen, die innovative Handlungsstrategien erforder-lich machen. Das Gesundheitsverhalten kann hierbei eng mit den Problemen der Bewältigung von diesen Anforderungen gesehen werden (Ramola 2008: 3). Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass sich die Gesundheitsri-siken bei männlichen Jugendlichen aus sozial benachteiligten Schichten der Bevölkerung häufen. Im Jugendstrafvollzug treffen alle drei genannten Fakto-ren (soziale Benachteiligung, männliches Geschlecht und Jugendalter) aufei-nander, was dann zu einer erneuten Risikosteigerung führen kann. Inwieweit sich die beschriebene Benachteiligung negativ auf den Gesundheitszustand auswirkt, hängt von den Ressourcen ab, die den Jugendlichen gegeben sind. Hierbei fördern beispielsweise ein günstiges Familien-, Schul- oder Arbeits-klima sowie Freundschaften die Ausbildung eines positiven Selbstbildes, was wiederum zur Ausprägung sozialer Kompetenzen beitragen und damit den Umgang mit gesundheitsbelastenden Lebenssituationen erleichtern kann. Risiken und Ressourcen variieren, so dass auf Gesundheitsförderung zielen-de Maßnahmen das jeweilige Anforderungsprofil der Zielgruppe bestimmen sollten. Vor diesem Hintergrund wurden die Eingangsfragebögen entwickelt, um die individuelle Ausgangslage der Teilnehmer jeden Durchgangs beurtei-len zu können, während die Abschlussbefragung eine Evaluation des jeweili-gen Kurses aus Sicht der Jugendlichen ermöglichen sollte.

als nur eingeschränkt auswertbar, und es zeigte sich, dass einige Fragen von manchen Jugendlichen nur unzureichend beantwortet wurden.2 Dieses lässt sich wahrscheinlich auf Unverständnis der Fragen, Unwissenheit oder Recht-schreib- und Leseschwäche der Jugendlichen zurückführen. An dieser Stelle hätten die Fragen wahrscheinlich eindeutiger und einfacher gestaltet werden müssen. Hinzu kam, trotz der anonymen Behandlung der Fragebögen, das Problem der Jugendlichen, sozial erwünscht antworten zu wollen (Ramola 2008: 49).

Ausgangslage

Die Gesundheit von Jugendlichen erfährt in der Forschung oft nur wenig Beachtung, da diese Altersgruppe im Vergleich zu höheren Altersgruppen einen guten Gesundheitszustand aufweist. Dennoch zeigen sich bereits im Kindes- und Jugendalter bei Personen mit niedrigem sozialem Status häufi-ger gesundheitliche Beschwerden, was darauf schließen lässt, dass sozial be-nachteiligte Menschen einen erschwerten Zugang zum Thema Gesundheit besitzen (Ramola 2008: 2). Es ist wissenschaftlich belegt, dass es einen en-gen Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheitsstatus gibt: „Dieser Zusammenhang existiert unabhängig davon, ob der soziale Status über die Bildung oder das Einkommen erfasst wird“ (Richter 2005:199). Durch di-verse Faktoren, wie geringere finanzielle Möglichkeiten, unausgewogene Er-nährung, Drogenkonsum, mangelnde Bewegung, riskante Lebensstile, man-gelndes Vorhandensein von sozialen Ressourcen (wie z.B. Familie, Freunde oder Kollegen) sowie durch die Tatsache, dass sie weniger von bestehenden Angeboten der Gesundheitsversorgung erreicht werden, tragen sie insgesamt ein erhöhtes Risiko zu erkranken. Gesundheitliche Belastungen mindern zu-dem die Entwicklungschancen auf verschiedenen Gebieten, wie beispielswei-se im Bereich der Bildung. Bei der Klientel der Justizvollzugsanstalten handelt

2 Angesichts der daraus resultierenden Schwankungen wird in der Analyse bei jeder Frage der Rücklauf mit „n =“ gekennzeichnet sein.

Plenarvortrag Wendy Ramola

66 67

Verhaltensweisen, wie zum Beispiel in erhöhter Risikobereitschaft, Drogen-konsum sowie delinquentem3 und deviantem Verhalten äußern. Hurrelmann fasst zusammen: „Kriminalität im Jugendalter ist ein extremes Symptom für die Nichtbewältigung meist mehrerer Entwicklungsaufgaben“ (Hurrelmann 2004: 163).

Lebenssituation der untersuchten Jugendlichen

Aus den Daten der quantitativen Befragung wird deutlich, dass der Anteil der Eltern der Jugendlichen, die geschieden sind oder getrennt leben, mit 54% über dem der Gesamtbevölkerung Deutschlands liegt. 2005 lag der Anteil ge-schiedener Ehen mit Kindern bei 49,2 % (Emmerling 2005: 159). Der Verlust der Elternsolidarität kann sich in psychischen und sozialen Belastungen be-merkbar machen, da das Auseinanderbrechen der Beziehung für die betroffe-nen Kinder oftmals als nicht nachvollziehbar erscheint. Sie stehen häufig unter großem Druck, welchem Elternteil sie sich zuwenden sollen. Hinzu kommt, dass sich aufgrund des Aufwachsens bei einem Elternteil Konsequenzen im Sozialisationsprozess ergeben können, da der vollständige Sozialisationspro-zess, in dem beide Elternteile unterstützend wirken sollten, erschwert wird. Die Konsequenzen des plötzlichen Aufwachsens bei nur einem Elternteil kön-nen unter anderem darin liegen, dass das Vertrauen in andere Menschen be-einträchtigt wird, was Einfluss auf spätere Beziehungen haben und zu Verän-derungen der Persönlichkeit der Betroffenen führen kann. Mit der Trennung der Eltern geht häufig ein Wohnort- oder Wohnungswechsel einher. Kontakte zu Freunden und zum anderen Elternteil werden hierdurch eingeschränkt. Die Trennung bringt also Neuordnung des Lebens für die Betroffenen mit sich. Häufig kommen die alleinerziehenden Elternteile in starke psychische aber auch finanzielle Bedrängnis, letzteres kann beispielsweise mit vermehr-ter Arbeitszeit einhergehen. Dieses kann eine distanziertere Eltern-Kind-Be-ziehung zur Folge haben bzw. bereits bestehende Probleme vergrößern. Die betroffenen Kinder sind dann eher auf sich allein gestellt, was zu Isolation und

3 Delinquentes Verhalten ist eine Form von Devianz, die gegen die Rechtsnorm verstößt. Hierfür liegen eine Reihe von Erklärungsmodellen vor, die in dieser Arbeit jedoch nicht thematisiert werden sollen. Sie lassen sich in indivi-duumszentrierte und sozialstrukturelle Theorien unterteilen. Vgl. Kaiser (1997).

Ausgewählte Ergebnisse der Eingangsbefragung

Teilnehmende Jugendliche

Die Teilnehmer (s. Tab. 1) der erhobenen neun Durchläufe (n=88) des Pro-jekts SPRINT im offenen Jugendvollzug sind zum Erhebungszeitpunkt zwi-schen 16 und 24 Jahre alt. Die größte Altersgruppe ist die der 19 bis 21jährigen. Der Durchschnitt der Altersverteilung der untersuchten Durchgänge liegt bei 19,8 Jahren. Die Altersverteilung stimmt somit exakt mit dem Altersdurch-schnitt der gesamten Abteilung des Offenen Jugendvollzugs überein (Ramola 2008: 57). Die Untersuchungsgruppe befindet sich in der Übergangsphase vom Jugend- ins Erwachsenenalter, mit der hier – Hurrelmann folgend – der Zeitraum zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr gemeint ist. Er untergliedert hierbei die Lebensphasen in frühe, mittlere und späte Jugendphase (Hurrel-mann 2004: 41). Die jeweiligen Definitionskriterien, wie die Ablösung vom Elternhaus, Berufstätigkeit und finanzielle Unabhängigkeit, sowie eigene Fa-miliengründung sind wesentlich für die Einordnung in die jeweilige Lebens-phase. So bleibt zum Beispiel ein Studierender in der Regel länger Jugendli-cher als ein bereits mit 16 Jahren ins Erwerbsleben tretender ungelernter Ar-beiter. Mit Bezug auf Hurrelmann können die untersuchten Jugendlichen der mittleren und späten Jugendphase zugeordnet werden, wobei der Übergang als fließend betrachtet werden muss (Ramola 2008: 58).

In der Übergangsphase ins Erwachsenenalter stehen Persönlichkeitsent-wicklung und Selbstbestimmungsfähigkeit im Vordergrund. Soziale und psychische Ablösung vom Elternhaus und die Hinbewegung zur Peer Group dienen hierbei als wichtige Zwischenschritte zur Gewinnung von Autonomie. In dieser Zeit besteht eine Diskrepanz zwischen physischem und psychischem Entwicklungsstand, die je nach Ausprägungsgrad die Gefahr der Über- oder Unterforderung durch die einwirkende Umwelt mit sich bringt. Es ist auch die Zeit, in der die ersten Niederlagen und Enttäuschungen verarbeitet wer-den müssen. Auch zeigen sich insbesondere in der Jugendphase deutlich die Resultate problematischer und ungesicherter Lebenssituationen sowie abwei-chender Sozialisationsstile. Viele Jugendliche stoßen hierbei an die Grenzen ihrer Bewältigungsfähigkeit (Ramola 2008: 58). Dieses kann sich letztlich in

Plenarvortrag Wendy Ramola

68 69

hier zum Teil auch Mithäftlinge. Die Schwerpunkte der Befragung lagen hier-bei auf der Frage nach dem Vorhandensein einer Freundin oder eines Freun-deskreises.

Ausgehend von der Freundin als Bezugsperson und somit als möglicher so-zialer Ressource kann aus der quantitativen Befragung entnommen werden, dass Belastungen – gemessen an der Schwierigkeit eine Freundin zu finden – überdurchschnittlich als „nicht vorhanden“ angegeben werden. Die meisten der befragten Jugendlichen leben in häufig wechselnden Beziehungen zu Frau-en. Sie geben hierbei an, sich schnell zu verlieben, was aber auch schnell wieder vergessen sein kann. Da sie meist keine Schwierigkeiten haben eine Freundin zu finden, geben sie hier auch an, keine Schwierigkeiten in Bezug auf soziale Beziehungen zu haben. Nicht berücksichtigt wird hierbei, dass die Beziehun-gen meist nicht lange halten. Aufgrund dessen ist das Ergebnis, dass nur 67% der Befragten angeben eine Bezugsperson zu haben, die sie lieben und die sie liebt, nicht verwunderlich, da die Beziehungen meist nicht von langer Dauer sind (Ramola 2008: 66).

Überforderung führen kann. Die Verlusterfahrungen und die Schwächung des sozialen Netzes können als starke Belastung erlebt werden (Ramola 2008: 62). In der Befragung geben 18% der Jugendlichen an, die Scheidung der El-tern als stark belastend zu empfinden. Aber auch andere Lebensbereiche ber-gen Belastungen für die Jugendlichen. Werden einzelne Lebensbereiche mit-einander verglichen, so zeigt sich, dass die stärkste Belastung innerhalb der Familie mit 42% vom Tod einer nahe stehenden Person ausgeht.4 Der Verlust oder sogar der Tod eines Familienmitglieds stellt insbesondere für Kinder und Jugendliche eine harte Herausforderung dar. Sie müssen erst lernen, Strategi-en für die Verarbeitung des Verlustes zu entwickeln (Ramola 2008: 63). 19% der Jugendlichen geben an, dass allgemeine Probleme aus dem familiären Be-reich teilweise bis stark belastend sind. Das Thema Arbeitslosigkeit innerhalb der Familie wird demgegenüber vergleichsweise als weniger belastend erlebt. Eine weitere starke Belastung zeichnet sich mit 13% durch einen Umzug in eine fremde Stadt ab. Den Ergebnissen zufolge liegt die Vermutung nahe, dass die befragten Jugendlichen häufiger als ihre Altersgenossen relevante Bezugs-personen aufgrund von Tod, Trennung oder emotionaler Distanzierung ver-loren haben.

Soziale Ressourcen der Jugendlichen

Das Projekt SPRINT orientiert sich am Salutogenese-Konzept, dass die Frage hervorhebt, wie ein Gesundbleiben auch unter belastenden Bedingun-gen gelingen kann. Die Fragebögen zielten daher auch auf eine Exploration der sozialen Ressourcen bei den befragten Jugendlichen ab. Es wurde deut-lich, dass trotz der vorgenannten meist problematischen Lebenssituationen alle Befragten – wenn auch in unterschiedlicher Weise – über Schutzfaktoren verfügen, die eine Hilfe zur Bewältigung der Belastungen darstellen (Ramola 2008: 65).

Soziale Ressourcen beinhalten alle Faktoren, die in belastenden Situationen unterstützend eingreifen, wie zum Beispiel Familie, Freunde, Kollegen oder

4 Zu dieser Aussage sind keine Vergleichsdaten verfügbar. Es ist aber zu vermuten, dass die untersuchte Gruppe in erhöhtem Ausmaß Verluste nahestehender Personen erlitten hat.

Plenarvortrag Wendy Ramola

Abb. 1: Bezugspersonen (Angaben in Prozent)

immer oft

selten nie

Ich habe jemanden, mit dem ich entspanne

Ich habe jemanden, der mir zuhört

Ich habe jemanden, mit dem ich Spaß habe

Ich habe jemanden, der mich liebt56

167

4

6018

54

6614

71

571314

3

70 71

sichertes Einkommen. Ein niedriger Bildungsstand wird daher als wichtiger Indikator der sozialen Benachteiligung gesehen (Geene 2010; Ramola 2008: 69). Unserer Befragung zufolge ist das Schulbildungsniveau der Inhaftierten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung Deutschlands unterdurchschnittlich (s. Tab.2).5

Tab. 2: Schulbildung der Teilnehmer (Angaben in Prozent)

Erreichter Schulabschluss (Angaben in Prozent)

Untersuchungsgruppe in

der JVA 2009 (n=88)

Situation in

Deutschland 20061

Ohne allgemeinen

Schulabschluss

43 3,4

Förderschulabschluss 4 Keine Angabe

Hauptschulabschluss 44 41

Realschulabschluss 9 20,7

Abitur 0 14,2

Hoch- /Fachhochschul-

abschluss

0 20,7

Bildungschancen und -erfolg hängen unter anderem stark mit dem Bil-dungsstand der Eltern zusammen. Deshalb sollen im Folgenden die Bildungs-abschlüsse sowohl der Mütter als auch der Väter dargestellt werden. Auffällig ist zunächst der im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung hohe Anteil an feh-lenden Angaben.

5 Dabei überschätzen die von den Jugendlichen gemachten Angaben vermutlich noch das tatsächlich erreichte Bil-dungsniveau. Laut Löprick (1. Vorsitzender Jugendhilfe Göttingen) mit Vorsicht zu betrachten. Es ist davon auszu-gehen, dass die meisten der befragten Jugendlichen nicht zwischen Abschlusszeugnis und Abgangszeugnis unter-scheiden. Seiner Meinung nach liegt der Anteil der jugendlichen Insassen mit bei ca. 25 %, was einem Drittel der von den Jugendlichen selbst gemachten Angaben entsprechen würde.

Der Bereich der Peer Group kann ebenfalls als soziale Ressource fungieren. Insbesondere in der Jugendphase haben Gleichaltrige eine große sozialisato-rische Bedeutung. Durch die Ablösung vom Elternhaus richtet sich der Blick-punkt verstärkt auf freundschaftliche Beziehungen. Die Peer Group spielt eine wichtige Rolle in Bezug auf gemeinsames Erleben und Entdecken. In der quantitativen Befragung geben hier nur 45% der Jugendlichen an, keine Probleme zu haben einen netten Freundeskreis zu finden. Das Ergebnis lässt sich vermutlich durch die teilweise schlechten Erfahrungen mit Freunden er-klären, da die meisten Straftaten gemeinsam mit Freunden begangen wurden, was dann zum Teil mit Verrat und Vertrauensmissbrauch bei der Festnahme einher ging. So geben zum einen nur knapp über die Hälfte der Jugendlichen an, über eine Person zu verfügen, mit der sie über alles reden können. Vertrau-en spielt hierbei eine bedeutsame Rolle, welches die meisten jedoch aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen nur schwer aufbauen können (Ramola 2008: 67).

Dies zeigt auch das Ergebnis, dass nur 68% der Befragten angeben, eine Per-son in ihrem Umfeld zu haben, mit der sie sich entspannen können. Zum an-deren geben 75% der Jugendlichen an, eine Person zu haben, mit der sie Spaß haben können, was deutlich macht, dass Freundschaften bei ihnen eher dem Vergnügen als dem sozialen Rückhalt dienen (Ramola 2008: 67).

Anhand der Ergebnisse ist zu erkennen, dass die Gleichaltrigengruppe viel-fältige Formen annehmen kann. Sie reicht von Zweckgemeinschaften über Cliquen bis hin zu festen Freundschaften. Je nach Struktur stellen sie für die jeweiligen Jugendlichen ein umfassendes Bezugssystem dar. Die Untersu-chungsgruppe weist hierbei alle Formen auf und zeigt, wie unterschiedlich den Jugendlichen die Peer Group als soziale Ressource zur Verfügung steht (Ramola 2008: 68). Die gesamten Ergebnisse sind in Abbildung 1 einzuse-hen.

Bildungsniveaus der Untersuchungsgruppe

Erbrachte schulische Leistung ist ein entscheidendes Kriterium für die Stellung einer Person innerhalb einer Gesellschaft. Eine höhere Bildung er-leichtert den Übergang in die Erwerbstätigkeit und damit einhergehend ge-

Plenarvortrag Wendy Ramola

1 Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung: 22

72 73

chungspersonen scheinen durchschnittlich nicht das Schulniveau ihrer Eltern zu erreichen. Dabei ist insbesondere der hohe Anteil fehlender Schulabschlüs-se auffällig (Ramola 2008: 70).

Die Angaben zur Berufsausbildung der befragten Jugendlichen bestätigen den Eindruck, dass die Gruppe der Insassen im Vergleich zur Gesamtbevöl-kerung Deutschlands unterdurchschnittlich qualifiziert ist. 65% der Jugend-lichen geben an, keine Berufsausbildung angefangen zu haben. 35% der Be-fragten haben eine Berufsausbildung begonnen, jedoch nicht beendet. Hier-bei wurden die Berufszweige KFZ-Mechaniker, Koch, Gebäudereiniger und Einzelhandelskaufmann genannt.

Die Problemlagen der schulischen und beruflichen Misserfolge kennzeich-nen die Lebenssituationen der untersuchten Jugendlichen. Die daraus resul-tierenden Frustrationen können sich in psychosozialen Belastungen nieder-schlagen. In der Eingangsbefragung wurde nach verschiedenen Belastungs-momenten in Bezug auf Bildung gefragt. 72 % der befragten Jugendlichen geben an, eine Klasse wiederholt zu haben. Trotzdem geben lediglich 38% an, dass schulische Überforderung sich teilweise belastend ausgewirkt habe; eine starke Belastung ist in diesen Bereichen nicht genannt worden (s.Tab.4). Hier bleibt die Frage offen, warum sie dann eine Klasse wiederholt haben. Die Jugendlichen sehen den Grund des Wiederholens anscheinend nicht in ihrer Überforderung. Die höchste Belastung stellt für die Jugendlichen offenbar die Wiederholung einer Klasse dar. Immerhin 30% der befragten Jugendlichen geben hierbei an, dieses als teilweise belastend empfunden zu haben. Des Wei-teren geben 23% der Befragten an, dass die Jobsuche sie stark belastet hätte. Der Übergang zum Erwerbsleben ist ein wichtiger Scheideweg der Jugend-lichen hinsichtlich ihrer künftigen Lebenslage und deshalb sehr bedeutsam. Bei den Befragten ergeben sich hier jedoch verstärkt Probleme. So haben sie höchstwahrscheinlich allein aufgrund ihrer niedrigeren Schulbildung ge-ringere Chancen auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz: Jugendliche mit Förderschulabschluss oder ohne Hauptschulabschluss sind besonders von Arbeitslosigkeit betroffen (Hurrelmann 2004: 91). Hinzu kommt, dass die Chancen hinsichtlich einer Ausbildungsstelle durch ihre Inhaftierung noch mehr erschwert werden. Die meisten Jugendlichen haben bereits vor ihrer In-

Wie aus Tabelle 3 zu entnehmen ist, wissen die befragten Jugendlichen über den Bildungsstand der Väter weniger als über den der Mütter, was vermuten lässt, dass dieser in ihrem Alltag weniger Thema war. Dies könnte darauf zu-rückzuführen sein, dass die Väter aus unterschiedlichen Gründen abwesend waren und deshalb als Ansprechpartner weniger oder gar nicht zur Verfügung standen. Vorstellbar ist weiterhin, dass schulische Bildung bei den Vätern ins-gesamt weniger Thema ist. Vergleicht man die Bildungsabschlüsse der Eltern miteinander, so zeigt sich, dass die Väter zwar etwas häufiger hohe Qualifi-kationen (Studium, FH-Abschluss), aber seltener mittlere Qualifikationen (Realschulabschluss) aufweisen. Die Vergleichsgruppe der 35–40 jährigen Allgemeinbevölkerung weist höhere Bildungsabschlüsse auf. Die geschlechts-spezifischen Unterschiede weisen eine ähnliche Struktur auf. Die Untersu-

Plenarvortrag Wendy Ramola

Schulabschluss der Eltern im Vergleich zur altersähnlichen Gesamtbevölkerung2

Schulabschluss Väter Vergleichsgruppe

35-40-jährige

Männer

Mütter Vergleichsgruppe

35-40-jährige Frauen

Ohne Allgemeinen

Abschluss

5 3 6 3

Hauptschule 25 33 22 26

Polytechnische

Oberschule3

12 13

Realschule 25 21 35 30

Abitur 12 30 6 28

Fach-/Hochschule 5 (19)4 7 (15)8

Ohne Angaben 33 1 24 1

Tab. 3: Schulabschluss der Eltern im Vergleich zur alters ähnlichen

Gesamtbevölkerung (Angaben in Prozent)

2 Quelle der Vergleichsdaten: Bundesministerium für Forschung und Bildung 2006: 2253 Dieser Abschluss wurde im SPRINT-Projekt nicht erfragt.4 Quelle: Bundesministerium für Forschung und Bildung 2006: 226; die Angabe zum (Fach-)Hochschulabschluss

entstammt der Darstellung zu den Ausbildungsabschlüssen

74 75

stand als gut ein (Datenreport 2006: 464). Der Selbsteinschätzung zufolge ist der aktuelle Gesundheitszustand bei den befragten Jugendlichen im offenen Vollzug demnach geringfügig schlechter als bei der am schlechtesten qualifi-zierten Vergleichsgruppe aus dem Datenreport. Dieses Ergebnis liefert einen Hinweis auf eine zumindest von den Jugendlichen empfundene gesundheitli-che Schlechterstellung (Ramola 2008: 78).

Ausgewählte Daten gesundheitlicher Belastungen der

Jugendlichen

Zur Einschätzung der Qualität der gesundheitlichen Beschwerden wur-den die Jugendlichen nach Häufigkeit der Art des Auftretens verschiedener Befindlichkeitsstörungen gefragt. Näheren Aufschluss über die empfundene gesundheitliche Belastung zeigen die Angaben über Art und Häufigkeit spezi-fischer Befindlichkeitsstörungen (s. Abb. 2).

haftierung schlechte Erfahrungen bei ihrer Ausbildungsplatz- oder Jobsuche gemacht und sehen deshalb wahrscheinlich auch in der Zukunft eher wenige Chancen, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen (Ramola 2008: 73).

Wiederholung der Klasse Schulische Überforderung

Habe ich nicht erlebt 28 35

Wenig belastend 26 23

Teilweise belastend 30 38

Ziemlich belastend 11 3

Stark belastend 5 1

Die gesundheitliche Situation der untersuchten

Jugendlichen

Bei der Erhebung sollten die befragten Jugendlichen ihren aktuellen Ge-sundheitszustand aus eigener Sicht einschätzen. 38% der Jugendlichen emp-fanden ihren Gesundheitszustand als gut, 9% gar als ausgezeichnet. 38% sa-hen ihren Gesundheitszustand als mittelmäßig an, 14% als schlecht und 1% sogar als sehr schlecht.

Vergleichsdaten liefert der Datenreport von 20066. Hier zeigt sich, dass 50% der befragten Männer ihren Gesundheitszustand als gut einzuschätzten, 18% hingegen als schlecht. Der Studie ist weiter zu entnehmen, dass die Gesund-heitszustände mit steigendem Bildungsniveau und höherem Einkommen auch als besser empfunden wurden. So schätzten 48% der Befragten ohne Schulab-schluss gegenüber 53% mit Fach- und Hochschulreife ihren Gesundheitszu-

6 Es werden bei den Angaben des Datenreports keine Altersunterschiede vorgenommen.

Plenarvortrag Wendy Ramola

Tab. 4: Belastungen im Bildungsbereich der Befragten (Angaben in Prozent)

Abb. 2: Gesundheitliche Belastungen

täglich 1-2 pro Woche

1 mal im Monat selten

Gereitztheit

Zahnschmerzen

Erschöpfung

Schlafstörung

Gelenkschmerzen

Nackenschmerzen

Rückenschmerzen

Bauchschmerzen

Kopfschmerzen

Nervosität

76 77

Veränderung fehlt. Allerdings geben 80% der Jugendlichen an, dass sie glau-ben, ihre Gesundheit positiv beeinflussen zu können: gute Voraussetzung also dafür, sich im Rahmen von SPRINT anregen zu lassen (Ramola 2008: 80).

Ergebnisse der Abschlussbefragung

Beurteilung des SPRINT Projekts durch die Jugendlichen

Am Ende jeden SPRINT-Durchgangs erhielten die Jugendlichen einen Fragebogen, mit dem sie die verschiedenen Einheiten, Unternehmungen und KursleiterInnen beurteilen konnten. Hieraus ergibt sich folgendes Bild (s. Tab.5).

Tabelle 5 zeigt, dass insgesamt gesehen KursleiterInnen, Gruppe, Events und soziales Lernen von den Jugendlichen positiv bewertet wurden, wobei sich deutliche Unterschiede zwischen den Kursen zeigten. Durchgang eins ragt mit seinen positiven Ergebnissen heraus, aber auch die Durchgänge fünf und sieben weisen gute Werte auf. Demgegenüber weisen die Bewertungen auf Schwierigkeiten insbesondere in Durchgang drei hin. Werden die Bewertung der einzelnen Aspekte angeschaut, so scheint hier die Gruppe selbst – nicht die Anleitenden – das Problem dargestellt zu haben. Thematisch gesehen zeigt sich, dass die Sporteinheiten von den Jugendlichen am besten angenommen wurden. Das Thema soziale Beziehungen liegt in der Rangskala vor dem The-ma Ernährung. Das Thema Sucht schnitt am schlechtesten ab. Das Thema So-ziale Beziehungen hatte zwar den höheren Zustimmungswert gemessen an der Antwortquote „zufrieden“ als das Thema Ernährung, allerdings offenbar auch den größeren Anteil Unzufriedener, so dass die Durchschnittsnote schlech-ter war. Insgesamt zeigt sich, dass die Beurteilung der thematischen Arbeit schlechter als die Bewertung des Gruppenlernens ist.

Der Außentermin auf dem Biohof zum Thema Ernährung wurde von allen befragten Durchgängen gut angenommen. Die Außentermine bei Profamilia und Drobs, die zu den Themen Soziale Beziehungen und Sucht gehören, wur-den hingegen schlechter beurteilt. Die thematische Beurteilung änderte sich aber nach Übernahme der Inhalte durch die SPRINT-MitarbeiterInnen. Die

Bei der Befragung zur Häufigkeit des Auftretens verschiedener psychoso-matisch bedingter Erkrankungen zeigen die Ergebnisse, dass 10% der Jugend-lichen täglich an Rücken- und 6% an Nackenschmerzen leiden. Wöchentli-che Beschwerden gehen ebenfalls von dieser Form von Schmerzen aus, wobei Nackenschmerzen mit 13% an erster Stelle stehen. Rückenschmerzen ist mit 29% die am häufigsten genannte Beschwerde, die einmal im Monat auftritt.7 Ein eher geringer Anteil der inhaftierten Jugendlichen leidet unter Bauch-, Kopf-, Zahn-, Nacken- und Gelenkschmerzen. Psychische Beeinträchtigun-gen äußern sich in täglicher Erschöpfung und Schlafstörungen. Diese werden in der schriftlichen Befragung von 19% der Jugendlichen angegeben. In der Eingangsbefragung klagen 14% über tägliche Gereiztheit und 10% über Ner-vosität. Gerade psychisch bedingte Beschwerden treten häufiger bei Jugend-lichen aus niedrigeren sozialen Schichten auf (Jungbauer-Gans/Kriwy 2004: 14). Werden hierzu keine Bewältigungsstrategien entwickelt, können diese Symptome chronifizieren und die Betroffenen in ihrer Lebensqualität und in ihren Entwicklungschancen weiter beeinträchtigen (Ramola 2008: 77).

Selbstreflexion des eigenen Gesundheitszustands der jugendli-

chen Teilnehmer

Im Hinblick auf die Beteiligung an SPRINT interessierte, inwieweit sich die Jugendlichen für ihre gesundheitliche Situation interessieren. Gefragt wurde zunächst nach einer möglichen Besorgnis über den eigenen Gesundheits-zustand. Immerhin 42% der befragten Jugendlichen geben hier „häufig“ an, weitere 31% „manchmal“. Den Daten zufolge sind also fast ¾ der Befragten um ihren Gesundheitszustand besorgt. Dieses Ergebnis sollte Anreiz für die Arbeit der Gesundheitsförderer geben, hier unterstützend anzusetzen. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die Jugendlichen dazu bereit sind, diese in Anspruch zu nehmen. Dies ist eher unwahrscheinlich, wenn die Hoffnung auf

7 Auch Franzkowiak nennt als typische Auswirkungen von Stress chronische Kopf- und Rückenschmerzen (Franzko-wiak 2003: 19).

Plenarvortrag Wendy Ramola

78 79

Plenarvortrag Wendy Ramola

Frage K u r s 1

(n=4)

Kurs2

(n=8)

Kurs3

(n=8)

Kurs4

(n=8)

Kurs5

(n=9)

Kurs6

(n=5)

Kurs7

(n=6)

Kurs8

(n=8)

Gesamt

(n=56)

Zufrieden in %

Verpflichtung zu regelmäßiger

Teilnahme

1 1,25 1,87 1,12 1,37 k.A. k.A. k.A. 1,361 Ca. 70%

Ernährung 1 1,25 1,5 1,25 1,55 1,4 1,33 1,75 1,41 Ca. 59%

Suchtprävention 1 1,87 2,12 1,87 1,37 1,2 1,33 1,43 1,6 Ca. 50%

Soziale Beziehungen 1 1,62 2,37 1,25 1,37 1,2 1 1,43 1,49 Ca. 62%

Sporteinheiten 1,5 1,25 1,87 1,375 1,22 1,6 1 1,43 1,4 Ca. 67%

Spiele 1,6 1 1,29 Ca. 71%

Phantasiereise/Ent-spannung 1,2 1,4 1,43 1,35 Ca. 71%

Wanderung 1 1 100%

Biohof 1 1 1,62 1,25 1,66 2 1,33 1,41 Ca. 67%

Drops 1,25 1,875 2,33 2,125 1,96 Ca. 35%

Profamilia 1,25 1,83 2,12 1,5 1,73 Ca. 42%

Neue Erfahrungen gemacht 1 1,37 1,62 1,25 1,1 1,4 1,16 1,75 1,35 Ca. 70%

In der Gruppe wohl-gefühlt 1 1,25 1,62 1,125 1,44 1,6 1,16 1,28 Ca. 71%

Eigenengagement 1 1,62 1,57 1,5 1,22 1,6 1,33 1,12 1,42 Ca. 60%

Fremdengagement 1 1,625 2 1,75 1,44 1,4 1,16 1,375 1,49 Ca. 49%

Bedürfnisse berück-sichtigt 1 1,25 1,16 1,375 1 1,2 1,16 1,375 1,2 Ca. 80%

Ernst genommen gefühlt 1 1,25 1,16 1,375 1,12 1 1 1,25 1,1 Ca. 87%

Trainer verständlich? 1 1 1,62 1.125 1 1 1 1,25 1,14 Ca. 89%

Mit Anleitung zufrieden 1 1,25 1,62 1,125 1 1,2 1 1 1,16 Ca. 86%

Einstellung zu Gesundheit

verändert

1,5 1,4 1,83 2,25 2 Ca. 30%

ANTWORTQUOTE 4/9

(0.44)

8/10

(0.8)

8/10

(0.8)

8/10

(0.8)

9/11 (0.82) 5/9

(0.55)

6/13

(0.46)

8/8 (1) 56/80

(0.7)

(Kodierung: 1=gut/sehr gut; ja/eher ja; 2=mittel;

3=schlecht/sehr schlecht; nein; Gruppenmittelwerte)

Tab. 5: Auswertung der Abschlussfragebögen

80 81

heitsförderung mit der Zielgruppe „Männliche Jugendliche im offenen Voll-zug“ aufgrund der vorliegenden Lebensumstände und Risikoverhaltensweisen der Adressaten mit besonderen Schwierigkeiten zu rechnen. Die Jugendlichen stammen aus sozial benachteiligten Milieus, sie rauchen, sie trinken, sie kon-sumieren andere Drogen, sie sind gewalttätig und kriminell. Wird an diesen Gedanken angesetzt, werden zwei Gründe sichtbar, warum insbesondere die-se männlichen Jugendlichen von Gesundheitsförderung schwerer erreichbar sind und Gesundheitserziehung im engeren Sinne hier weder sinnvoll noch erfolgsversprechend ist. Im Hinblick auf die genannten Verhaltensweisen wird Gesundheit von den meisten mit Verzicht und Verboten gleichgesetzt (Ramola 2008: 119). Die Jugendlichen fühlen sich ihrer Männlichkeit, Identi-tät und Lust beraubt, denn im Endeffekt sind viele der genannten ungesunden Verhaltensweisen „Teil einer männlichen somatischen Kultur und unmittelbar ge-koppelt mit der Selbstkonstruktion des eigenen Geschlechts“ (Winter u. Neubauer 2004: 244).

Das SPRINT-Projekt versucht dieses Problem durch einen Perspektiven-wechsel zu lösen: an die Stelle des Verbots eines krankmachenden Verhaltens tritt die Erlaubnis gesund zu leben. Dieses wird in alters- und alltagsbezogenen Ansätzen in die Arbeit mit Jugendlichen in der JVA integriert, um die Jugend-lichen mit ihren Problemen, Ängsten und Sorgen zu erreichen. Die Ergebnisse der Eingangsbefragung erleichterten ein Erreichen der Jugendlichen und wur-den bei jeder Maßnahmeplanung berücksichtigt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass jede Maßnahme biographisch anschlussfähig sein muss, um die Jugendlichen individuell erreichen zu können.

Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass sich die Jugendlichen vielen Be-lastungen im Leben ausgesetzt fühlen, denen sie zum Teil machtlos gegen-überstehen. Die Befragten weisen in vielen Bereichen Merkmale sozialer Be-nachteiligung auf. Ihr Leben ist demnach bereits vor der Inhaftierung durch diverse belastende Lebensereignisse, die sich nachteilig auswirken können, geprägt worden. Der überwiegende Teil der Jugendlichen ist in einem prob-lematischen Familienumfeld aufgewachsen. Trennung und Scheidung der Eltern, Arbeitslosigkeit und persönliche Verluste haben ihre Kindheit und Jugend geprägt. Die Eingangsbefragung konnte den ProjektmitarbeiterInnen

schlechten Bewertungen in den Ausgangsfragebögen wurden mithin unmit-telbar im Sinne einer formativen Evaluation aufgegriffen und führten zu einer Veränderung der Kursgestaltung: Die Außentermine Profamilia und Drobs fielen weg. Die Themen wurden in der Gruppe selbst bearbeitet und neue Ele-mente, wie Phantasiereisen, Spiele und eine Wanderung eingeführt. Die Beur-teilungen zu den Themen Soziale Beziehungen und Sucht haben sich danach deutlich verbessert.

Die gesteigerte Zufriedenheit der Jugendlichen zeigt sich insbesondere im vierten Durchgang. Nachdem im dritten Durchgang der Unmut geäußert wurde, war der darauffolgende Kurs hochzufrieden. Die Berücksichtigung der Teilnehmerbedürfnisse ist aber weiterhin ein Problem geblieben. Nach der kurzfristigen Verbesserung der Ergebnisse wurden die Bewertungen in der Folge wieder schlechter.

Anders sehen die Beurteilungen bzgl. der Verständlichkeit der Kursleiter Innen aus: Auch hier gibt es zwar dieselbe Veränderung nach dem dritten Durchgang, die Veränderung scheint aber anzuhalten. Das Ergebnis kann so interpretiert werden, dass sich die ProjektmitarbeiterInnen eingespielt und auf die Jugendlichen eingestellt haben und diese sich auch ernst genommen fühlten.

Veränderungen bzgl. der Einstellung zur Gesundheit der Jugendlichen scheint es nach Beendigung des Durchgangs eher seltener zu geben. Das Bes-te an diesem Ergebnis ist, dass es auf Realismus hinweist. Health behaviour change gilt als schwierig, Initiativen zur Qualitätsförderung sprechen von Er-folg, wenn sich bei 10% Veränderungen im Zusammenhang mit einer Maß-nahme nachweisen lassen. Wenn also tatsächlich 30% der Jugendlichen ihr Gesundheitsverhalten geändert hätten, wäre dies ein großer Erfolg der Maß-nahme.

Fazit

Gesundheitsförderung heißt die Voraussetzung für Gesundheit zu fördern. Geht man von den Ergebnissen der Eingangsbefragung aus, so hat Gesund-

Plenarvortrag Wendy Ramola

82 83

so als Grundlage für Gruppengespräche dienen, das in den jeweiligen Grup-pen bereits vorhandene Wissen besser eingeschätzt und mutmaßliche Grup-penerwartungen berücksichtigt werden. Aber auch Vertrautheit mit dem Bil-dungsniveau spielte bei der Gestaltung der Kurse eine große Rolle. Wie die Ergebnisse zeigen, lagen Schul- und Ausbildungsniveau deutlich unter dem der Gesamtbevölkerung, was den Eintritt ins Arbeitsleben und damit Unab-hängigkeit der Jugendlichen gegenüber ihren Eltern deutlich erschwert. Ihre Schulzeit und ihr Berufsweg waren gekennzeichnet durch Misserfolge. Die aufgeführten Rahmenbedingungen erschwerten es den Jugendlichen, ihre Identität zu entwickeln und ein positives Selbstwertgefühl zu erlangen. In der Konsequenz war es eine wesentliche Aufgabe in der Kursgestaltung, den Ju-gendlichen zu ermöglichen, auch kleine Erfolge wahrzunehmen und diese zu honorieren.

Die persönliche Ressourcenförderung stand bei der Projektarbeit im Mittel-punkt. Hier hat die Eingangsfragung gezeigt, dass trotz der scheinbar relativ erhöhten Risiken den Jugendlichen ebenso eine Reihe an Schutzfaktoren zur Verfügung standen. So wird in der Arbeit von SPRINT nicht vor Risikofak-toren gewarnt, sondern vorhandene Protektivfaktoren werden offengelegt und gefördert. Wichtig ist es hierbei, dass die Jugendlichen erkennen lernen, welchen Nutzen sie daraus ziehen können. Dieses Erkennen und Nutzen der vorhandenen Ressourcen kann hier als ein Erfolg verbucht werden.

Die Eingangsbefragung scheint die Chance zu bieten, Probleme der einzel-nen Jugendlichen zu erkennen, darauf eingehen und die Jugendlichen dabei unterstützen zu können, mit den Problemen umzugehen und diese zu lösen. Dadurch könnten Ängste und Unsicherheiten der Teilnehmer offengelegt und reduziert werden. Durch positive Erlebnisse wird dann eine Stärkung des Selbstvertrauens und der Zuversicht bei den Teilnehmern erreicht. Diese Stärkung trägt zur psychischen und physischen Gesundheit bei und ist zudem Voraussetzung für den Prozess der Wiedereingliederung Strafgefangener. Gesundung und Wiedereingliederung hängen insofern zusammen, als die Ausbildung von Krankheitssymptomen ebenso wie delinquentes Verhalten (auch) als Ausdruck misslingender Problemlösung begriffen werden können. Dann kann erwartet werden, dass ein Gesundheitsförderungsprojekt – wie

z.B. SPRINT – exemplarisch zur Stärkung von Ich-Identität derart beiträgt, dass die Jugendlichen insgesamt besser mit ihrem Leben zurechtkommen, also auch weniger straffällig werden. Damit würde das Risiko sowohl von Pati-entenkarrieren wie auch von kriminellen Karrieren langfristig sinken. Die Er-fahrung hat gezeigt, dass die Jugendlichen insbesondere beim Vertrauenkön-nen und -wollen unterstützt werden müssen; Gespräche und Biographiearbeit sollten hierbei im Vordergrund stehen, wobei die Fragebögen als Grundlage dienen können. Die Abschlussbefragung liefert hingegen Ergebnisse, die bei der Gestaltung weiterer Maßnahmen genutzt werden können. Sie zeigen, wel-che Mittel zum Erfolg oder nicht zum Erfolg führen.

Literatur

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Jungbauer-Gans, M.; Kriwy, P. (2004): Soziale Benachteiligung und Gesundheit bei Kindern und Ju-gendlichen. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften

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offenen Strafvollzug dargestellt am Projekt „SPRINT“.Richter, A. (2005): Armutsprävention Ein Auftrag für die Gesundheitsförderung. In: Zander, M.

(Hsrg.): Kinderarmut. Einführendes Handbuch für Forschung und soziale Praxis, Wiesbaden. VS-Verlag für Sozialwissenschaften: 198–216

Winter, R., Neubauer, G. (2004): Ein normales „Muss“: Jungen und Gesundheit. In: Altgeld, T. (Hrsg.): Männergesundheit Neue Herausforderungen für Gesundheitsförderung und Prävention. Weinheim und München: JUVENTA: S. 35–48.

Plenarvortrag Wendy Ramola

85

Vom Projekt zum Netzwerk

Der Qualitätszirkel als partizipatives Instrument in Begleitforschung und Qualitätsentwicklung von Gesundheitsförderung

Ottomar Bahrs

Einleitung

Ebenso wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen stehen Gesundheitsför-derung und Prävention zunehmend vor der Notwendigkeit, die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen nachzuweisen (Kolip u. Müller 2009). Dies stellt eine be-sondere Herausforderung dar. Denn 1. ist Gesundheit kein übertragbares Gut, sondern wird immer erneut herge-

stellt;2. ist die Herstellung von „Gesundheit“ ein hochkomplexes Geschehen, das

u.a. von sozialstrukturellen, regionalen, biographischen und situationalen „Faktoren“ beeinf lusst wird, so dass eindeutige Zuschreibungen von Ursa-che-Wirkungs-Relationen nicht möglich sind;

3. zielen die Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention auf lang-fristige Wirkungen, so dass Evaluation ebenfalls langfristig angelegt sein müsste;

4. sind demgegenüber aber schon die Gesundheitsförderungsmaßnamen selbst häufig projektförmig und kurzfristig angelegt, oft unterfinanziert

86

Plenarvortrag

87

Ottomar Bahrs

erhalten. Der Fokus sollte dabei auf den Aspekt der Nachhaltigkeit der Ge-sundheitsförderungsmaßnahme gerichtet werden, die sich auf unterschiedli-che Ebenen beziehen konnte: 1. Veränderungen von Verhaltensweisen und Einstellungen der Adressaten-

gruppe in Folge der Projektarbeit derart, dass gesundheitsbezogene As-pekte situationsangemessen und individuell in das jeweilige Alltagsleben integriert werden und (idealerweise) ein höheres Maß an Wohlbefinden erreicht wird („Ergebnisqualität“);

2. Veränderungen von Verhaltensweisen und Einstellungen bei den Pro-jektmitarbeitern derart, dass die projektleitenden Prinzipien in den Ar-beitsalltag integriert werden („Prozessqualität“)

3. Veränderungen in den Strukturen, Wertmustern und Abläufen der betei-ligten Institutionen derart, dass projektleitende Prinzipien in das Selbst-verständnis der Organisation integriert werden und die im Projekt speziell durchgeführten Maßnahmen zur Routinepraxis werden („Strukturquali-tät“)

4. Erarbeitung von Produkten, die sich unabhängig vom Projekt erfolgreich einsetzen lassen (Implementierbarkeit von Maßnahmen) („Konzeptqua-lität“)

Vorgeschlagen wurde eine Fallstudie, die zur Qualitätsförderung auf jeder der angesprochenen Ebenen beitragen könnte. Im Hinblick auf Ergebnis- und Konzeptqualität sollte an Vorstellungen angeknüpft werden, die in der Pro-jektbeschreibung von SPRINT bereits entwickelt waren. Die Hauptaufgabe der wissenschaftlichen Begleitung sollte hier darin bestehen, die Projektmit-arbeiter bei der Entwicklung von Erhebungsinstrumenten zu unterstützen, die der Fragestellung angemessen sind und die unter den Bedingungen der Projektarbeit umsetzbar sind. (Wissenschaftliche Beratung)

Im Hinblick auf strukturelle Gesichtspunkte sollte den institutionellen Rah-menbedingungen Rechnung getragen werden. Das Projekt SPRINT startete in einer Zeit im offenen Jugendvollzug, zu der sich erhebliche Veränderungen in der Justizvollzugsanstalt Göttingen-Rosdorf ereigneten. Die Projektarbeit knüpfte an bestehende Angebote der Jugendhilfe e.V. und der Justizvollzugs-

und selten wissenschaftlich begleitet. Der Schatz des in der Gesundheits-förderungspraxis lokal erzeugten Wissens kann damit selten gehoben wer-den.

Eine zentrale Aufgabe der Gesundheitswissenschaften kann damit darin gesehen werden, die Diskrepanz zwischen dem wirksam werdenden lokalen Wissen der Praktiker und dem wissenschaftlich belegten Nutzen kontinuier-lich zu verringern. Mit dem u.a. in Modellprojekten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erprobten Konzept des Qualitätszirkels im Ge-sundheitsweisens (QuiG)® soll hier ein Instrument vorgestellt werden, das in kontinuierlicher Projektbegleitung einen Beitrag zur Erforschung und Quali-tätsentwicklung der Gesundheitsförderungspraxis liefert und die in der Ge-sundheitsförderung Tätigen aktiv am Forschungsprozess beteiligt (Bahrs u.a. 2005; BZgA 2005; Bahrs u. Matthiessen 2007; Kuhn u.a. 2008).

Begleitforschung zum Projekt SPRINT

Eine eigenständige wissenschaftliche Begleitung war bei der Projektbean-tragung von SPRINT nicht vorgesehen. Dementsprechend standen dafür we-der eigenständige finanzielle Mittel zur Verfügung noch bestand die Chance, vor Projektbeginn eine Ist-Analyse durchzuführen. Dennoch sind wir8 der Anfrage der Jugendhilfe Göttingen e.V. gern nachgekommen und haben nicht gezögert, die Möglichkeit zur Kooperation bei diesem innovativen Vorhaben aufzugreifen.

Um die erforderlichen Ressourcen zu organisieren und eine strukturelle Verankerung aufzubauen, haben wir versucht, die Zusammenarbeit ihrerseits projektförmig zu organisieren und dafür eine zeitlich befristete Förderung zu

8 An der wissenschaftlichen Begleitung waren Dr. Gerd Ziegeler, Abteilung Medizinische Psychologie und Medizi-nische Soziologie der Universität Göttingen, und Susanne Heim, Gesellschaft zur Förderung Medizinischer Kom-munikation e.V., beteiligt. Gerd Ziegeler hat mit mir gemeinschaftlich die Projektbesprechungen durchgeführt, Su-sanne Heim hat mit mir gemeinsam den Qualitätszirkel moderiert. Transkriptionen und Dateneingabe wurden von Ralph Schumacher, Gesellschaft zur Förderung Medizinischer Kommunikation e.V., übernommen. Allen dreien möchte ich an dieser Stelle herzlich danken.

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Plenarvortrag

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Ottomar Bahrs

Mit der vorgeschlagenen wissenschaftlichen Begleitung wurden Analyse und Förderung des Projekts SPRINT auf allen vier genannten Ebenen an-gezielt. Auf jeder Ebene wurden Hemmnisse und Entwicklungsmöglichkei-ten erwartet, die typische Charakteristika aufweisen und insofern exempla-rische Einsichten ermöglichen würden. Die Prozesse sollten dokumentiert, Auswertungsergebnisse kontinuierlich zurückgemeldet und die gewonnenen Einsichten in einer kondensierten Fallstudie zusammengeführt werden. Mit der (kontinuierlichen) Berichterstattung sollte damit zugleich ein Beitrag zum Qualitätsmanagement des Projekts und zur Organisationsentwicklung der Trägerinstitution geleistet werden. (Begleitforschung)

Insgesamt betrachtet wurde eine Einzelfallstudie konzipiert, die sich klas-sischer qualitativer Erhebungs- und Auswertungsmethoden bedienen sollte: Teilnehmende Beobachtung, Gruppendiskussion, Dokumentenanalyse, Be-fragung. Wo sachlich angemessen (z.B. bzgl. Prozess- und Ergebnisqualität), sollten ergänzend quantitative Erhebungsinstrumente (z.B. Tests, Fragebö-gen, Evaluationsbögen) verwandt werden.

Es erwies sich allerdings als unmöglich, für die wissenschaftliche Beglei-tung eine eigenständige Finanzierung zu erhalten – nicht zuletzt, weil das Praxisprojekt selbst bereits gefördert wurde. Ziele, Aufwand und Ansprüche mussten daher deutlich gesenkt werden. Ohne eigene Informationen aus teil-nehmender Beobachtung, Befragung und Dokumentenanalyse waren wis-senschaftlich begründete Aussagen zur Struktur- und Ergebnisqualität nicht möglich. Die regelmäßig durchgeführten (insgesamt ca. 20) Besprechungen mit den Projektmitarbeitern sowie die insgesamt 16 Qualitätszirkeltreffen er-lauben demgegenüber Aussagen über die Konzeptentwicklung und die Verän-derung von Interaktionsprozessen im Verlaufe des Projekts. Insoweit konnte die wissenschaftliche Begleitung einen Beitrag zur Projektentwicklung leisten und ist insgesamt als formative Evaluation zu begreifen. Im Folgenden wird insbesondere die Qualitätszirkelarbeit vorgestellt.

anstalt an und stand vor dem Problem, bisherige Routinen im Interesse der Trägerorganisationen aufrechterhalten und diese zugleich im Sinne der Pro-jektarbeit überschreiten zu müssen. Aus Sicht der wissenschaftlichen Beglei-tung lag es nahe, dass in dieser Situation Rollenprobleme und die Notwen-digkeit, Prioritäten neu auszuhandeln, entstehen konnten. Erfolgreiche Pro-jektdurchführung bedurfte daher der Organisationsentwicklung und konnte umgekehrt hierzu auch einen Beitrag leisten. Regelmäßige Treffen mit den Beteiligten und mit den für den Projekterfolg relevanten Entscheidungsträ-gern in der Institution sollten diesen Prozess unterstützen, in der den Wissen-schaftlern eine moderierende Funktion zukommen sollte. (Supervision)

Im Zentrum der wissenschaftlichen Begleitung sollte die Erforschung und Förderung von Prozess- und der Konzeptqualität stehen. Mit dem im Projekt SPRINT gewählten Ansatz, mit Jugendlichen im offenen Strafvollzug ge-meinsam Module für eine auf Gesundheitsförderung bezogene Jugendarbeit zu entwickeln, die sich auch in der offenen Jugendarbeit "draußen" bewähren können, wurde in der sozialarbeiterischen Praxis Neuland betreten, so dass die Projektmitarbeiter erwartbar Unterstützungsbedarf bei der Entwicklung neuer Handlungsroutinen haben würden. Um im geschützten Rahmen eine kontinuierliche Reflexion der Arbeitspraxis zu ermöglichen, sollte ein Qua-litätszirkel initiiert werden, in dem die Projektbeteiligten und an Kooperati-on interessierte Experten aus dem regionalen Umfeld fallbezogen ihren Ar-beitsalltag zur Diskussion stellten. Die wissenschaftliche Begleitung sollte hierbei die Moderation übernehmen und die Diskussionsergebnisse aufberei-ten. (Qualitätszirkel)

Die wissenschaftliche Begleitung wurde als Projektbegleitung konzipiert und teilte insofern die Grenzen, denen Gesundheitsförderung und Prävention bei einem Nachhaltigkeitsnachweis ständig ausgesetzt ist: erst in langfristi-gen prospektiven Studien würden sich tatsächlich dauerhafte Effekte belegen lassen. An die Stelle der – hier nicht realisierbaren – extensiven Betrachtung sollte eine intensive Erforschung des Verlaufs treten, die regelhafte Verände-rungen und deren Entwicklungslogik erkennbar und nachvollziehbar werden lassen sollte.

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Plenarvortrag

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Ottomar Bahrs

seit den 1980er Jahren in den angelsächsischen Ländern, den Niederlanden und Belgien entwickelt. Angesichts der Schwierigkeit, dass die Erkenntnisse der Hochleistungsmedizin an immer spezifischeren Gruppen entwickelt und nur begrenzt in die Primärversorgung übertragbar sind, zielen Peer Review Groups darauf, den Erfahrungsschatz von in vergleichbaren Situationen prak-tizierenden Hausärzten („peers“) zu nutzen, um ihren Arbeitsbedingungen entsprechende Vereinbarungen („Leitlinien“) über sachangemessenes Han-deln zu treffen. In Deutschland sind die unterschiedlichen Traditionslinien seit Ende der 1980er Jahre vor dem Hintergrund der Qualitätssicherungsde-batte in der Medizin zusammengekommen, und es haben sich ausgehend vom hausärztlichen Bereich je nach Entscheidungsautonomie und Qualifikation der Teilnehmenden sowie dem Erfahrungsstand der Gruppe als Gruppe un-terschiedliche Qualitätszirkeltypen ausgebildet. So können auf Erfahrungs-austausch und Kooperationsförderung zielende Zirkel, der Fortbildung und Supervision dienende Zirkel und forschungsbezogene Zirkel unterschieden werden (Bahrs u.a. 2001). Mit zunehmendem Erfahrungsstand der Gruppe und veränderter Fragestellung sind auch Verlaufswechsel möglich (Derboven u.a. 2003). Weiterhin fällt auf, dass Qualitätszirkel im Krankenhaus eher den Struktureigentümlichkeiten von Großorganisationen Rechnung tragen und tendenziell dem in der Industrie entwickelten Modell folgen, während Quali-tätszirkel in der Primärversorgung mit einzelunternehmerisch tätigen Prakti-kern sich eher am Vorbild der Balint- bzw. der peer-review-Gruppen orientie-ren (Bahrs 2009).

Spezifischer auf den Bereich von Gesundheitsförderung und Prävention be-zogen wurde angesichts der großen Bandbreite und Kontextbedingungen der Angebote ein Modellprojekt zur Erprobung von Qualitätszirkeln unter unter-schiedlichen Bedingungen durchgeführt. Qualitätszirkel waren insbesonde-re in der Kommunalen Gesundheitsförderung, der Selbsthilfeförderung, der Betrieblichen Gesundheitsförderung, der Ernährungsberatung, bei Rücken-schulen und mit Bezug auf Stressmanagement (Überblick in BZgA 2005) um-setzbar. Weiterhin wurden Qualitätszirkel verschiedentlich im Rahmen von Forschungsprojekten (Bahrs u. Matthiessen 2007; Kuhn u.a. 2008) etabliert

Traditionslinien von Qualitätszirkeln

Der Begriff Qualitätszirkel ist zunächst im industriellen Bereich entstanden. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass Problemsituationen häufig auf der Basis von Informationen bewältigt werden können, über die die unmittelba-ren Produzenten, nicht aber die Entscheidungsträger verfügen. Um dieses Ex-pertenwissen nutzen zu können, wurden Freiwillige befristet von der Alltags-arbeit freigestellt und in moderierten Kleingruppen zusammengeführt, deren Aufgabe in der Erarbeitung von Vorschlägen zur Problemlösung bestand. Im ersten Schritt handelte es sich also um Problemlösegruppen, die einen Bei-trag zur Optimierung von Arbeitsprozessen einerseits und zur – zumindest zeitweiligen – Aufwertung der Gruppenteilnehmer andererseits leisten konn-ten. Das Verfahren hat sich breit durchgesetzt und gehört insbesondere in Großbetrieben mittlerweile zum Standard. Es ist weiterhin als Verfahren der Qualitätsentwicklung auch in der Verwaltung und im Dienstleistungsbereich gebräuchlich.

Im Gesundheits- und Sozialbereich wurden neben den Erfahrungen aus dem industriellen Bereich auch Anregungen aus der Balintgruppen-Arbeit und der auf Professionsentwicklung mittels Leitlinienerstellung zielenden „Peer Review Groups“ (Grol 1994) aufgenommen. Bereits in den 1950er Jah-ren hatte der Psychoanalytiker Michael Balint in Großbritannien gemeinsam mit niedergelassenen Ärzten in kontinuierlichen Treffen die Gestaltung der Arzt-Patienten-Beziehung erfahrungsbezogen zum Thema gemacht. Ausge-hend von den vom Arzt wahrgenommenen „Angeboten“ des Patienten – in de-nen sich dessen Art Beziehungen zu sich und der Welt zu gestalten reflektierte – wurden die Arztreaktionen in der Gruppe analysiert. Die „training-cum-re-search-groups“ (Balint 1969) führten auf dem Wege der patientenbezogenen Selbsterfahrung zu exemplarischen Einsichten in Struktureigentümlichkei-ten der Beziehungsgestaltung und sind zum Vorbild von Supervisionsgrup-pen in Primärmedizin, Psychotherapie und der Sozialen Arbeit geworden. Ihre gruppendynamischen Erkenntnisse haben Niederschlag in jeder Art von Qualitätszirkelpraxis gefunden. Peer Review Groups machen demgegenüber instrumentelle Aspekte des ärztlichen Handelns zum Thema und haben sich

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Plenarvortrag

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Ottomar Bahrs

• Dokumentation / Ist-Analyse der zu beurteilenden Gesundheitsförde-rungspraxis

• Fallvorstellung auf Basis nachvollziehbarer Daten/Handlungsprotokolle; exemplarische Analyse einer zeitlich und inhaltlich abgrenzbaren Sequenz eines auf Gesundheitsförderung bezogenen Handelns

• Erarbeitung von Lösungsvorschlägen (zunächst fallbezogen, sodann fall-übergreifend)

• Umsetzung in den beruf lichen Alltag• Evaluation bzgl. Umsetzbarkeit sowie bzgl. gewünschter und unerwünsch-

ter Folgen• Abschluss, ggf. Neu-Initiierung

Qualitätszirkel ermöglichen einen Prozess der kontinuierlichen Qualitäts-verbesserung und betonen die Notwendigkeit immer erneuter Evaluationen. Der Kreislauf stellt einen Orientierungsrahmen dar, die Schritte müssen nicht ganz streng in der Reihenfolge abgehandelt werden. Ein bereits durchlaufener Schritt kann in der weiteren Qualitätszirkel-Arbeit wieder aktuell werden, z.B. wenn die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Modifikationen der zuvor definierten Qualitätskriterien nach sich zieht. Die Diskussionen werden lösungsorientiert geführt und zu Protokollen zusammengefasst, so dass Ent-wicklungsprozesse nachvollziehbar werden.

Die Fallrekonstruktion bildet den Kern der Arbeit von Qualitätszirkeln im Gesundheits- und Sozialwesen (QuiG®, vgl. www.gemeko.de). Befreit vom Entscheidungsdruck der Alltagspraxis können in der Diskussion unterschied-liche Interaktionsverläufe simuliert werden. Dabei wird deutlich, welche Op-tionen in der Routine bislang regelmäßig genutzt werden und welche grund-sätzlich vorstellbaren Möglichkeiten außer Betracht bleiben. Wo es Alterna-tiven gibt, steht grundsätzlich jeder Vorschlag unter Begründungszwang, so dass die handlungsleitenden Theorien der Akteure auch in ihrer Diskrepanz zur beobachtbaren Handlungslogik erkennbar werden (vgl. auch Keller 1999). So können individuelle Präferenzen und professionstypische Deutungsmus-ter deutlich und unterscheidbar sowie die jeweiligen Stärken und ggf. auch

und die Ergebnisse der Zirkelarbeit im Forschungsprozess weiter verwendet. Explizit mit dem Ziel einer Projektunterstützung aber wurde ein Qualitätszir-kel erstmalig im Projekt SPRINT genutzt.

Arbeitsweise von Qualitätszirkeln

Qualitätszirkel sind moderierte Kleingruppen (6–15 Teilnehmende), die sich für einen zunächst befristeten Zeitraum (ca. 1 ½ Jahre) kontinuierlich (alle 4–6 Wochen für je ca. 2–3 Stunden) freiwillig treffen, um selbst gesetzte Themen er-fahrungsbezogen zu diskutieren (Bahrs u.a. 2001). Alle Teilnehmenden wer-den als Experten ihres Alltagshandelns angesehen und gelten für die Zeit des Treffens als gleichrangig („peers“), welches auch immer ihre Stellung in der Hi-erarchie im beruflichen Alltag sein mag. Ziel der Gruppenarbeit ist die Verbes-serung der Qualität des beruflichen Handelns, Nebeneffekte sind typischerweise das Gefühl emotionaler Entlastung, verbesserte Kollegialität sowie Aufbau und Stabilisierung von Kooperationsbeziehungen. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass Wissen in Arbeitsprozessen – welches immer diese sind – nicht nur angewendet, sondern stets auch neu produziert wird (Derboven u.a. 2003), typischerweise aber implizit bleibt. Der Erfahrungsaustausch im Quali-tätszirkel bietet die Chance zur Explikation. Hierfür ist neben grundsätzlicher Offenheit der Teilnehmenden – nicht Fehlersuche, sondern Optimierung eines grundsätzlich als gut unterstellten Alltagshandelns, lautet die Devise9 – ein systematisches Vorgehen erforderlich. Dieses folgt dem Konzept des Qualitäts-kreislaufs, der im Rahmen eines Qualitätszirkelzyklus die folgenden Stufen umfasst (ausführlich in BZgA 2005):• Initiierung und Themenwahl• Erstellung einer Liste relevanter Probleme (Brainstorming und Priorisie-

rung)• Benennung von Kriterien, an denen im Folgenden Qualität zu messen ist

9 Dem sogenannten Optimierungsparadigma folgend werden Fehler mithin nicht als zu eliminierende Ereignisse, sondern als Schätze, an denen Entwicklungsprozesse initiiert werden können, begriffen.

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aus Institutionen, mit denen im Laufe des Projekts Kooperationsbeziehungen aufgebaut wurden (Schule, Beschäftigungsförderung), an mindestens 50% der Treffen. Bei 11 Treffen wurden konkrete Handlungssituationen („Fälle“) vor-gestellt, wobei das Vorgehen der Professionellen unter dem Gesichtspunkt der Ausschöpfung von Verhaltensoptionen („Prozessqualität“) im Vordergrund stand. Die Mehrzahl der Fallvorstellungen (5) betraf das SPRINT-Projekt, je dreimal ging es um die teilnehmenden Kooperationspartnerinnen aus Be-schäftigungsförderung und Schule. Die Diskussionen wurden auf Tonträger aufgezeichnet, transkribiert und zu Protokollen verdichtet.

Im ersten Jahr der Zirkelarbeit standen die Umsetzung von SPRINT im of-fenen Jugendvollzug sowie ein Kennenlernen der Arbeitsfelder der am Zirkel Beteiligten im Vordergrund. Dabei wurden die Projektmitarbeiter als Exper-ten für Gesundheitsförderung angesehen, die SPRINT entwickeln und dann den anderen Module für die Umsetzung in ihren Institutionen zur Verfügung stellen oder die Umsetzung selbst übernehmen sollten. Bei den Falldiskussi-

blinden Flecken in den Fokus treten10. Betreffen die vorgestellten Fälle das berufliche Handeln mehrerer am Zirkel Beteiligter, so können Fragen der Kooperation thematisiert und die Diskussion zum Modell für die alltäglichen Aushandlungsprobleme werden. Die Erfahrung zeigt, dass die so gefundenen Lösungen selbstverpflichtend wirken und eine höhere Umsetzungschance ha-ben als Empfehlungen von Experten oder Leitlinien von Fachgesellschaften, Institutionen usw.

Wie der Qualitätszirkelkreislauf in einem Qualitätszyklus umgesetzt wird, wird unten am Beispiel eines Treffens des Qualitätszirkels „Gesundheitsför-derung mit sozial benachteiligten Jugendlichen“ angedeutet.

Qualitätszirkel zum Projekt SPRINT

Der Zielsetzung von SPRINT entsprechend wurde ein Qualitätszirkel initi-iert, an dem neben den drei Projektmitarbeitenden sowie einem Projektleiter von SPRINT Praktiker aus den Arbeitsfeldern teilnahmen, in denen das Pro-jekt umgesetzt werden sollte: zwei Mitarbeitende der Jugendvollzugsanstalt, drei Lehrerinnen, eine Mitarbeiterin aus der freien Jugendarbeit, eine Mitar-beiterin der Beschäftigungsförderung, zwei in der Stadtteilarbeit Tätige (Nie-dersächsisches Kooperations- und Bildungsprojekt (NiKo)), eine mit der Kri-minalprävention befasste Polizistin sowie zwei Moderierende (vgl. Schaubild 1). Die Moderation und Dokumentation wurde vom Verfasser in Kooperation mit Susanne Heim (Gesellschaft zur Förderung Medizinischer Kommunika-tion e.V.) durchgeführt.

Insgesamt wurden in der Zeit von Dezember 2007 bis Januar 2010 16 Qua-litätszirkeltreffen durchgeführt, an denen 16 Personen teilnahmen (durch-schnittlich 8,6). Die Teilnahmehäufigkeit stand in direktem Bezug zum Grad der Einbeziehung in das Projekt SPRINT. Alle unmittelbar an SPRINT Be-teiligten haben an mindestens 75% der Treffen teilgenommen, Mitarbeitende

10 Die Diskussion fördert in kurzer Zeit eine Vielzahl von Perspektiven zutage, die jedem Einzelnen nicht gegenwärtig gewesen wären. Anders gesagt: Die Gruppe wirkt als zusätzliche Produktivkraft.

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war nicht so ´ne dolle Idee oder das hätte man anders machen können, dann nehme ich ja auch was mit für meine Arbeit wieder und wüsste z.B., so ´ne ganze Woche würde ich nicht anbieten, als Gesundheitsförderung.“ (Auszug aus dem Protokoll des 7. Zirkeltreffens)

Dass gerade bei „heiklen“ Themen wie Suchtverhalten, Sexualität oder Um-gang mit Gewalt vor allem das Vermögen gefragt ist, mit den Widerständen der Jugendlichen umzugehen und diesen einen offenen Umgang mit ihren Er-fahrungen zu ermöglichen, entsprach den Eindrücken der Projektgruppe, die dementsprechend zunehmend auf Einschaltung von externen Dozenten von pro familia und Drogenberatungsstellen verzichtete und die Einheiten selbst gestaltete. Andererseits zeichneten sich über die gemeinsame Arbeit im Qua-litätszirkel neue Formen der Kooperation für die Umsetzung von SPRINT in der Beschäftigungsförderung und in der Schule ab. Lag es nicht angesichts der intimen Kenntnis von Kontextbedingungen – wie z.B. biographischer Hintergründe von als „schwierig“ anmutenden Jugendlichen – nahe, die am Zirkel Teilnehmenden direkt in die Projektdurchführung in ihrer Institution einzubeziehen? Wäre dies nicht eine gute Möglichkeit, Multiplikatoren zu ge-winnen, die die Gewähr für nachhaltige Umsetzung bieten könnten? Was an-fänglich bei beiden Seiten auf Zurückhaltung stieß, wurde im Projektverlauf zunehmend praktiziert. In den die Umsetzung in Beschäftigungsförderung und Schule betreffenden und nun gemeinsam durchgeführten Fallvorstellun-gen wurden Chancen und Schwierigkeiten deutlich. Die Lehrerinnen hoben beispielsweise als Positivum hervor, über die vom Schulalltag abweichenden Interaktionssituationen Einblicke in gruppendynamische Prozesse und An-regungen für ihre pädagogische Praxis erhalten zu haben. Andererseits gab es offenbar Unklarheiten bezüglich der Aufgabenteilung bei der SPRINT-Um-setzung: Angesichts der Videoaufzeichnung einer Übung, in der die Schüler merkwürdig gehemmt wirkten, fühlte sich mancher Zirkelteilnehmer beim 16. Zirkeltreffen an Prüfungssituationen erinnert, so dass sich neue Fragen stellten: ist SPRINT in der Schule nun Unterricht oder ein Gesundheitsför-

onen – alle Beteiligten stellten mindestens bei einem Treffen ihre Tätigkeit nachvollziehbar vor – wurde allerdings deutlich, dass jeder auf seine Art unter welcher Chiffre auch immer gesundheitsförderlich tätig war, so dass jeder so-wohl Anregungen geben wie auch aufgreifen konnte. Hinweise bezogen sich zunächst auf die thematische Arbeit (z.B. „gesundes Ernährung“) und auf organisatorische Aspekte (z.B. Acquisition von finanzieller Unterstützung). Mit der Fallvorstellung aus der Beschäftigungsförderung wurde die didakti-sche Umsetzung angesprochen. Die Mitarbeiterin berichtete über eine Fort-bildungseinheit zum Thema Mediensucht, die sie mit Jugendlichen gemacht habe, die sich damit teilweise besser auskannten als sie selbst. Sie habe dem Rechnung getragen und den Jugendlichen den Status von Experten gegeben. Diese seien mit Feuereifer dabei gewesen und hätten am Beispiel von Freun-den, Geschwistern – vielleicht auch sich selbst? – sehr anschaulich Gefahren der Spielsucht dargelegt. Einer habe ausgeführt, dass der Betreffende „15 Stunden am Stück gespielt“ habe, Essen und Toilettengang hätten zurückste-hen müssen, bis er völlig fertig gewesen sei. Auffällig sei gewesen, zu welchen Konzentrationsleistungen die Jugendlichen in der Lage seien, wenn ein Thema alltagsnah behandelt werde, während sie doch gleichzeitig nicht die Disziplin aufbrächten, eine Bewerbung zu Ende zu schreiben. Anders gesagt: in der Ver-haltensauffälligkeit verberge sich zugleich eine mögliche Ressource. Zu fol-gern sei, dass sich die Gesundheitsförderungsangebote an der Lebenswelt der Jugendlichen zu orientieren hätten. Die damit angesprochene professionelle Haltung wurde beim folgenden Treffen explizit zum Thema:

„Aber um ’ne Nachhaltigkeit in meinem Beruf zu erzielen, kann ich nur versu-chen, es einigermaßen gut zu machen und hoffen, dass das nicht nur bei den Jugend-lichen, sondern auch bei allen, die da drum herum schwirren, irgendwas bewegt. Oder halt die Haltung, die Du den Jugendlichen gegenüber hast. Ich glaube, wir haben so wahnsinnig viel Macht, ohne dass wir es wissen. Das ist das, was ich aus diesem Zirkel mitnehme. Wir sind hier die Experten! Und jeder von uns hat ir-gendwas Cooles vielleicht schon gemacht oder ’n tolles Projekt oder ne gute Idee, und wenn wir die zusammen packen – und dann wird es halt erst mal in der JVA gemacht, dann in der Beschäftigungsförderung und vielleicht noch an der Schule. Wenn man sich nächstes Jahr im Sommer hinsetzt und sagt: Das hat geklappt. Das

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Angesprochene Dimension QZ-Treffen

Inhaltliche Anregungen für die eigene Arbeit (z.B.

zum Thema Ernährung)

2. Treffen

Anregungen für eigene Projektarbeit (Inhalte, An-

sprechpartner, Finanzierungsmöglichkeiten)

Ab 3. Treffen

Einblick in Arbeitsbedingungen und Arbeitsweise

von (potentiellen) Kooperationspartnern

Ab 3. Treffen

Anregungen für die Umsetzung im nächsten SPRINT-

Durchlauf

8. Treffen

Bedeutung der eigenen inneren Haltung gegenüber

Jugendlichen

9. Treffen

Ideen zur gemeinsamen Arbeit mit Kooperations-

partnern

9. Treffen

Mitwirkung von Kooperationspartnern als Anleiter

bei SPRINT

11. Treffen

Bedeutung der Rahmenbedingungen in der koope-

rierenden Institution

12. Treffen

Verstetigungspläne über SPRINT hinaus 12. Treffen

Ideen zur Förderung von Partizipation in den Unter-

richt aufnehmen – Themen von SPRINT-Durchlauf

im Schulalltag verankern

16. Treffen

Diverse Anregungen zur eigenen pädagogischen

Praxis (z.B. Alltagssprache der Schüler reflektieren

und über deren Alltagssituation nachdenken; sich

selbst als Lehrer mehr zurückhalten)

16. Treffen

derungsangebot? Ist die Gestaltung abhängig von der Rolle des Anbietenden oder ist dessen Haltung entscheidend? Ergeben sich daraus möglicherweise Konsequenzen für die pädagogische Praxis in einer „gesunden Schule“?

Jedes Treffen wurde mit einem Blitzlicht sowie mittels strukturierter schrift-licher Kurzbefragung evaluiert. Bei summarischer Auswertung wird deutlich, dass die Gruppenatmosphäre besonders geschätzt wurde (Durchschnittswert in Schulnoten: 1,7). Der sachliche Ertrag, die Moderation und die Gesamt-bewertung (Durchschnitt: 2,1) sowie die Orientierung am jeweiligen Thema (Durchschnitt 2,3) wurden geringfügig schlechter bewertet. Die schlechtes-ten Noten gaben sich die Teilnehmenden für ihren eigenen Beitrag (2,4) – ein Phänomen, das auch bei anderen Qualitätszirkeln zu beobachten war (Bahrs u.a. 2005; Kuhn u.a. 2008). Je erfahrungs- und lösungsorientierter die Dis-kussionen, umso besser waren die Bewertungen. Die Teilnehmenden würdig-ten es besonders, wenn sie umsetzbare Vorschläge erarbeiten und mit nach Hause nehmen konnten, während die – aus gruppendynamischen Gründen auch erforderlichen – Abstimmungen über die Gruppenarbeit selbst weniger geschätzt wurden.

In jeder vierten Rückmeldung (24 von 97 auswertbaren Bewertungsbögen) gaben die Teilnehmenden explizit an, umsetzbare Anregungen mitgenommen zu haben, die dann auch im Freitext benannt wurden. Diskussionsrichtung und Lernprozess der Gruppe werden deutlich erkennbar (vgl. nachfolgende Tabelle):

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SPRINT-Mitarbeiter über eine Einheit zum Thema „Gesunde Ernährung“. Das Rahmenthema „Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Ju-gendlichen“ war damit konkretisiert. Eine Problemliste war bereits beim ers-ten Zirkeltreffen erstellt worden und stellte die folgenden Aspekte heraus:• fehlende Motivation bei den Jugendlichen (bgzl. außerschulischer Angebo-

te allgemein und Gesundheitsförderung im Besonderen)• Unzuverlässigkeit der Jugendlichen• Kooperationsprobleme innerhalb der Institution und zwischen Institutio-

nen• fehlende Nachhaltigkeit (Begrenzung durch strukturelle Übermacht)• Freiwilligkeit der Teilnahme versus institutionellem Zwang (Inhaftierung,

Schulpf licht usw.)• geringer Stellenwert von Gesundheit innerhalb der Institution

Das Lernen im Qualitätszirkel lässt sich insgesamt als gerichteter Prozess beschreiben. Auf die themenbezogenen Einsichten, wie sie grundsätzlich bei jeder Fortbildungsveranstaltung zu haben wären, folgte das zunächst noch unverbindliche Kennenlernen potentieller Kooperationspartner. Im nächsten Schritt wurden die Diskussionen konkreter; je nachvollziehbarer die Fallvor-stellungen umso produktiver wurde das Erfahrungslernen, das nun sowohl Bestätigung geben als auch Selbstreflexion evozieren konnte. Die soziale Praxis wurde zunehmend im Dreieck institutioneller Anforderungen, je spe-zifischer Bedarfe des Klientels und der eigenen Haltung begreifbar. Professi-onalisierung meinte nun auch, den eigenen Anteil an der Strukturierung der „Fälle“ und damit Entwicklungsmöglichkeiten der Teilnehmenden selbst zum Thema werden zu lassen. Zunehmend zeigten sich Möglichkeiten gemeinsa-mer Aktivitäten, so dass im zweiten Jahr konkrete Kooperationen im Rah-men der SPRINT-Umsetzung initiiert und reflektiert wurden. Damit wurden neue Formen der Arbeitsteilung möglich und notwendig, die Diskussionen über unterschiedliche berufliche Selbstverständnisse und deren institutionel-le Hintergründe beleuchten und Lernprozesse initiieren konnten. SPRINT wurde nicht mehr als Modul begriffen, sondern als Gesamtkonzept, das situ-ationsangemessen unter Berücksichtigung von Bedarfen und Möglichkeiten bei Klientel, Institutionen und Kooperationspartnern je spezifisch umzuset-zen ist. Es deutete sich damit an, dass die im Projekt SPRINT entwickelte und verkörperte Philosophie in dem entstehenden Netzwerk einen Niederschlag finden könnte, das über die Laufzeit des Projekts selbst hinaus Bestand haben und damit eine strukturelle Voraussetzung für die Sicherung von Nachhaltig-keit darstellen könnte.

Zur Veranschaulichung: Qualitätskreislauf im Rah-men einer Falldiskussion

Auch die fallbezogene Diskussion orientiert sich grundsätzlich am Qua-litätskreislauf. Dies soll im Folgenden am Beispiel des zweiten Zirkeltref-fens dargelegt werden (vgl. Schaubild 2). Bei diesem Treffen berichteten die

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pendrucks "dürfe" kein Insasse sagen, dass das Knastessen schmecke. Ob das positive Erlebnis mehr als einen Event darstelle, dessen Bedeutung sich aus der Abweichung vom Alltag ergebe, sei fraglich. Es komme darauf an, im All-tag selbst Strukturveränderungen zu erreichen. Die Diskussion führte zu fol-genden Empfehlungen:• Gesundheit erlebbar machen („Erlebt ist besser als erzählt“);• Kleine Strukturveränderungen ermöglichen, um Veränderung von Verhal-

tensgewohnheiten dauerhaft zu gewährleisten;• Widerständen innerhalb der Institution Rechnung tragen und gezieltes An-

gebot für potentielle Multiplikatoren machen;• Kontexte berücksichtigen, Erzeugungsregel für adressatenbezogene Ge-

sundheitsförderungsangebote mit ganzheitlichem Ansatz statt „fertigem“ Curriculum machen („Der Weg ist das Ziel“).

Bei den nachfolgenden Zirkeltreffen wurde die Umsetzung der Maximen re-gelmäßig zum Thema. Dabei zeigte sich, dass sich die Projektphilosophie zu-nehmend konkretisierte und ausdifferenzierte, die Akzeptanz von SPRINT bei den Jugendlichen und innerhalb der JVA zunahm und eine Übertragung in andere Institutionen in Zusammenarbeit mit Zirkelbeteiligten möglich wur-de. Das ins Auge gefasste Angebot für Multiplikatoren gibt es allerdings bis-lang nicht, so dass unter strukturellen Gesichtspunkten betrachtet der Nach-haltigkeit des Angebots Grenzen gesetzt sind.

Bezug von Projekt und Qualitätszirkel I: Partizipation als Mittel und als Ziel

Partizipation war für das Projekt und seine wissenschaftliche Begleitung durch Qualitätszirkel gleichermaßen Thema. Dabei sind systematisch drei Ebenen zu unterscheiden:• Ebene der Jugendlichen: Die Jugendlichen wurden bei Kursbeginn über

Erwartungen und Befürchtungen befragt und insofern an der Prioritäten-setzung beteiligt. In den einzelnen Kursstunden knüpfte die thematische

Auf eine explizite Benennung von Qualitätskriterien wurde zunächst ver-zichtet; sie sollten aus den Zirkeldiskussionen entwickelt werden. Die Projekt-mitarbeiter stellten dann das folgende Beispiel zur Diskussion:

Das Fallbeispiel

Gesunde Ernährung ist einer der Schwerpunkte im Projekt SPRINT. Hier-zu habe man sich in der zweiten Woche morgens zunächst einen Biohof an-geschaut und dort für das für den Abend geplante gemeinsame Kochen und Essen eingekauft. Gekocht habe man unter sehr spartanischen, beengten Be-dingungen in der Küche einer Abteilung. Man habe Arbeitsaufträge an jeden verteilt. Ohne Ausnahme hätten sich alle beteiligt: Während einige schnippel-ten und kochten, deckten andere die Tische schön ein. Auch beim Essen selbst zeigten die Jugendlichen gutes Benehmen und waren sehr kommunikativ. Man habe darüber geredet, wer bei ihnen zuhause koche, was ihr Lieblingses-sen sei und wie sie die Essenssituation in den Gruppen und in der JVA im All-gemeinen erlebten. Sie beklagten sich über das JVA-Essen, es gebe kaum mal was Frisches und Leckeres wie bspw. Salat. Man würde deshalb zwar immer mal in den Wohngruppen selber kochen, dort würde aber in den Küchen und auch beim Essen häufig ‚rumgesaut’.

Nach dem Essen seien alle satt und zufrieden gewesen; einhellig wurde be-tont, dass man selten so gut gegessen habe. Danach habe man in angenehmer Atmosphäre aufgeräumt und abgewaschen. Wieder beteiligten sich alle.

Für die beiden Projektmitarbeitenden war dies ein gelungenes Beispiel da-für, wie das Projektziel Gesundheit(-sförderung) im Tun erfahrbar zu machen und Wohlbefinden herzustellen, umgesetzt werden kann. Man musste den Ju-gendlichen offenbar nur einen Rahmen bieten, den sie dankbar aufgriffen.

In der angeregten Diskussion, zu der die Teilnehmenden auch Erfahrungen aus ihrer jeweiligen Tätigkeit beisteuerten, wurde einhellig die Bedeutung der sozialen Erfahrung betont. Im Hinblick auf Gesundheitsförderung geht es of-fenbar weniger um „gesunde Ernährung“ als um die Erfahrung gemeinschaft-lichen und genussvollen Essens. Die Mitarbeiter aus dem Vollzug gaben die kontextuelle Rahmung der Bewertungen zu bedenken: Angesichts des Grup-

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lung aufmerksam machten. Kriterien für Qualität und Erfolg der einzelnen Maßnahme wie des Projekts insgesamt wurden gemeinschaftlich von Pro-jektgruppe und wissenschaftlicher Begleitung – auch im Rahmen weiterer interner Gruppentreffen – festgelegt, kontinuierlich überprüft und ggf. im Verlauf angepasst.

Bezug von Projekt und Qualitätszirkel II: Reflexionen zur Nachhaltigkeit

Auch Nachhaltigkeit ist sowohl für das Projekt – hier im Hinblick auf die Jugendlichen – wie für den Qualitätszirkel – hier bezogen auf die Professio-nellen – bedeutsam. Das Bindeglied stellen die Institutionen dar, die durch Strukturveränderungen Nachhaltigkeit ermöglichen könnten. Somit sind wiederum drei Ebenen zu unterscheiden:• Ebene der Jugendlichen: Auch wenn das Angebot zeitlich befristet war,

ist davon auszugehen, dass die damit ermöglichten Kontrasterfahrungen deutliche Spuren hinterlassen. Die Wahrnehmung eigener Stärken und Res-sourcen sowie erfahrene Solidarität zeigen exemplarisch auf, was möglich sein könnte und sind insofern handlungswirksam. Der Lerneffekt konnte durch Wiederholung und zunehmende Identifikation (Teamer) gesteigert werden. Inwieweit dies dazu führt, dass die Jugendlichen aktiv Einf luss auf Veränderungen des „Knastalltags“ nehmen, muss offen bleiben; Versuche, auf Gruppenebene ein gemeinsames Frühstücken einzuführen, sind ver-einzelt geblieben. Über Auswirkungen auf die Alltagsgestaltung „draußen“ liegen bislang keine Informationen vor.

• Ebene der Professionellen: Auch für diese Gruppe gilt, dass die Gruppen-erfahrung grundsätzlich bestärkend wirkte und die erfahrenen Strukturen verinnerlicht wurden. Die Falldiskussionen ermöglichten ein Lernen am eigenen Beispiel, wobei der wahrgenommene Kontrast zwischen Selbst- und Fremdbild im Sinne des Bestrebens zur Verminderung kognitiver Dis-sonanz besonders lernintensiv war. Andere Zirkelteilnehmer konnten im Sinne des Modelllernens als Vorbilder dienen, im Zuge der Beteiligung an

Arbeit systematisch an ihren jeweiligen Erfahrungen an, die damit hand-lungsleitend für die konkrete inhaltliche Ausgestaltung waren. Im Zuge der Projektdurchführung und am Ende der Maßnahme war ihre Rückmel-dung zur Durchführung gefragt und hat zu Veränderungen des Angebots geführt. Schließlich wurde dem Wunsch mancher Jugendlicher, auch nach Abschluss des Kurses weiter zu „sprinten“, insofern Rechnung getragen, als diese als Teamer bei der Durchführung weiterer Maßnahmen in und außerhalb der JVA mitwirken konnten. Dies betraf immerhin 25% der teil-nehmenden Jugendlichen und indiziert eine hohe Identifikation mit dem Angebot.

• Ebene von Projektgruppe und Kooperationspartnern im QuiG: Wie oben gezeigt, konnte das „lokale Wissens“ von Zirkelteilnehmenden bei der Konzeptweiterentwicklung und beim Transfer von SPRINT in Beschäfti-gungsförderung und Schule genutzt werden. Mehr noch: die Experten aus diesen Institutionen wurden unmittelbar an der Kursdurchführung in ih-rer „Hausinstitution“ beteiligt. Umgekehrt wurden die Erfahrungen, die die Projektmitarbeiter im offenen Vollzug mit SPRINT gemacht haben, bei den Überlegungen zur Verstetigung von Gesundheitsförderungsange-boten insbesondere im Schulbereich genutzt. Die Projektmitarbeiter gaben hier ihr im Rahmen des Projekts erworbenes Wissen weiter, auch wenn dies nicht die Form einer Multiplikatorenausbildung angenommen hat.

• Ebene von Projektgruppe und wissenschaftlicher Begleitung: Die Initiierung eines Qualitätszirkels im Zusammenhang mit dem Projekt SPRINT machte aus der Not eine Tugend. Das Projekt war finanziell nicht ausreichend ausgestattet, um eine empirische Analyse von Strukturen, Prozessen und Ergebnissen mittels direkter Beobachtung und Befragung zu ermöglichen. Der Zugang zum Feld musste daher ausschließlich über die Fallvorstellungen erfolgen, mittels derer die Projektmitarbeitenden im Qualitätszirkel ihre Arbeit veranschaulichten. Insofern wurde die Exper-tenschaft der Praktiker bei Datenerhebung und -interpretation genutzt. In den Qualitätszirkeldiskussionen, deren Dokumentation und Protokollie-rung kam umgekehrt die Expertenschaft der Wissenschaftler zum Tragen, die auf gruppendynamische und strukturelle Aspekte der Projektentwick-

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der Umsetzung wurden neue Lernerfahrungen gemacht sowie konzeptu-elle und praktische Unterstützung für die künftige gesundheitsförderliche Praxis gewonnen. Den Diskussionsprozessen zufolge zeichnet sich eine Veränderung in der professionellen Haltung ab – inwieweit dies im beruf li-chen Alltag wirksam wird, ist derzeit noch nicht zu beurteilen.

• Ebene der Institutionen: Der Projektverlauf zeigt, dass eine Implemen-tierung von auf Gesundheitsförderung zielenden Angeboten innerhalb der Institutionen nur erhofft werden kann, wenn Entscheidungsträger von vornherein eingebunden werden. In der JVA wurde das Projekt im Herbst 2007 öffentlich vorgestellt und bei Mitarbeitern für Beteiligung geworben. Bei dieser Gelegenheit wurde auch auf den zu gründenden Qualitätszirkel aufmerksam gemacht und Mitarbeiter aus Schulen, Beschäftigungsförde-rung usw. zur Beteiligung eingeladen. Verantwortungsträger dieser Insti-tutionen machten sich in der Folge noch einmal explizit ihr eigenes Bild. Für die Entscheidungsträger kann der Hinweis auf die Vorbildfunktion ge-genüber anderen Institutionen, die der eigenen Außendarstellung dienen kann, förderlich sein – für die potentiellen Durchführenden war hingegen die in Aussicht gestellte Unterstützung durch Vernetzung bedeutsamer.

Insgesamt ist festzuhalten, dass es notwendig und hilfreich ist, frühzeitig die Bedingungen zu bedenken, die Verstetigung erleichtern können und sich der entsprechenden Unterstützung zu vergewissern. Inwieweit eine Strukturbil-dung mit dem hier vorgestellten Projekt gelingt, ist bislang nicht absehbar.

Schlussfolgerungen

Partizipation war Leitgedanke des Projekts selbst im Verhältnis von Mitar-beitern und Jugendlichen einerseits sowie Projektmitarbeitern und Adressaten in den Zielinstitutionen andererseits. Partizipation war aber auch handlungs-leitend für die Projektbegleitung im Qualitätszirkel: die Projektpraxis wurde kontinuierlich an den von der Projektgruppe selbst genannten Qualitätszielen gemessen und beides in Auseinandersetzung mit kooperierenden Kollegen er-

fahrungsbezogen weiterentwickelt. Was bei Projektbeginn noch als Verspre-chen gewirkt haben mag, wurde im Projektverlauf zunehmend eingeholt und umgesetzt. Insbesondere im Hinblick auf „Nachhaltigkeit“ wurden kontinu-ierlich Ideen weiterentwickelt, das Projekt ist zum Netz geworden. SPRINT kann damit als „promising intervention“ im Sinne von Rolf Rosenbrock ange-sehen werden, der eine Wirksamkeit zugeschrieben werden kann, auch wenn über Strukturqualität (institutionelle und sozialstrukturelle Aspekte) und Ergebnisqualität (Wirkungen bei der „Zielgruppe“) keine verbindlichen Aus-sagen gemacht werden können (Rosenbrock 2005).

Das Konzept des fallrekonstruktiv arbeitenden Qualitätszirkels hat sich in verschiedenen Arbeitsfeldern als geeignet erwiesen, das Expertenwissen der praktisch Tätigen zum Sprechen zu bringen (Bahrs u.a. 2001; Bahrs u.a. 2005; BZgA 2005; Bahrs u. Matthiessen 2007; Bahrs 2009, Derboven u.a. 2003; Kuhn et al. 2008). Auch für den Qualitätszirkel „Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen“, der als Projektbegleitung zu SPRINT initiiert wurde, ließ sich zeigen, dass die gemeinsame reflexive Anstrengung zur Verdeutlichung des zumeist impliziten Regelwissen der „Informanden“ führt, den Kontextbezügen ihrer Tätigkeit spezifisch Rechnung getragen und die Situationsbezogenheit gleichwohl generalisierend überschritten werden konnte, so dass neues Wissen für alle Beteiligten resultierte. Neben der Ver-netzung besteht der größte Gewinn offenbar in der Verankerung einer am Salutogenese-Konzept Antonovskys orientierten Philosophie, die gleichsam als Erzeugungsregel das Handeln begleiten kann. In diesem Sinne profitierten die praktisch Tätigen im Sinne eines Kompetenzgewinns, die Wissenschaft-ler im Sinne der Weiterentwicklung und Grundierung der Überlegungen zur Professionsentwicklung. Damit konnte der fallrekonstruktiv arbeitende Qua-litätszirkel insgesamt als Instrument der Qualitätsentwicklung wirksam wer-den.

Die Arbeitsweise im Qualitätszirkel ist strukturanalog zu einer salutogene-tisch ausgerichteten Gesundheitsförderungspraxis. Lebensweltliche Veranke-rung von Gesundheitsförderung unterstellt das grundsätzliche Vorhandensein einer – nicht auf den ersten Blick erkennbaren – Rationalität des Verhaltens der „Zielgruppe“, eine „Expertenschaft“ also, an die es anzuknüpfen gilt. Dann

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aber können die Ziele einer Gesundheitsförderungspraxis nicht ohne die Be-troffenen selbst bestimmt und „Zielerreichung“ nicht aufgrund von a priori formulierten Maßstäben gemessen werden. Auch aus konzeptuellen Gründen liegt es damit nahe, Evaluation partizipativ und projektbegleitend anzulegen und sich dabei auch des Instruments des fallrekonstruktiv arbeitenden Quali-tätszirkels zu bedienen.

Wie im Verlauf des hier zur Veranschaulichung beschriebenen Projekts „SPRINT – Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen“ deutlich wurde, wirkt Partizipation ansteckend: selbst erfahrene Beteiligung ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, seinerseits Partizipation überzeu-gend zu ermöglichen.

Literatur:

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Bahrs O., Jung B., Nave M., Schmidt U.(2005): Qualitätszirkel in der Gesundheitsförderung und Prä-vention; BZgA, Köln

Bahrs O., Matthiessen P.F. (Hrsg.) (2007): Gesundheitsfördernde Praxen – Die Chance einer saluto-genetischen Orientierung in der hausärztlichen Praxis; Verlag Hans Huber, Bern

Balint M. (1969): The structure of the training-cum-research-seminars. Its implications for medicine; J R Coll Gen Pract. 1969; 17(81): 201–211

BZgA (Hrsg.) (2005): Qualitätszirkel in der Gesundheitsförderung und Prävention – Handbuch für Moderatorinnen und Moderatoren; BZgA, Köln

Derboven W., Dick M., Wehner T. (2003): Zirkel als Räume zur Schaffung, Aneignung und Diffusion von Wissen; Wirtschaftspsychologie, Heft 3: 72–78

Grol R. (1994): Quality improvement by peer review in primary care: a practical guide; Qual Health Care. 1994 September; 3(3): 147–152.

Horn K. (Hrsg.) (1979): Aktionsforschung – Balanceakt ohne Netz?; Syndikat, Frankfurt 1979Keller V. (1999): Congruence of theories: applying the theoretical work of Argyris and Schön to physician-

patient-communication. Unveröffentlichtes Manuskript, ChicagoKolip P., Müller V.E. (2009): Qualität von Gesundheitsförderung und Prävention; Huber, BernKuhn R., Schmidt U., Dewald A., Bruder A., Jung B., Bahrs O., Riehl-Emde A. (2008): Interpro-

fessionelle Qualitätszirkel in der Pränataldiagnostik; Forschung und Praxis der Sexualaufklärung und Familienplanung, Band 30, BZgA, Köln 2008

Rosenbrock R. (2006): Verlag Gesundheit Berlin, Berlin: 9–14, Wirksamkeit und Qualität in der Primärprävention: Wissenschaft – Praxis – Wissenschaft; in: Geene R., Kilian H., Ryl L., Schütte C. (Hrsg): Qualitäten der Gesundheitsförderung – Konzepte für die Praxis; Dokumentation einer Work-shoptagung, 22.6.2005 in Berlin;

Wright M.T., Block M., Unger H.v.: Partizipative Qualitätsentwicklung; in: Kolip P, Müller V.E. (Hrsg.) (2009): Qualität von Gesundheitsförderung und Prävention; Verlag Hans Huber, Bern: 157–175

1. Workshop: Gesund Leben Drinnen und Draußen

2. Workshop: Gesundes Lernen

3. Workshop: Gesunder Start ins Arbeitsleben

Workshops

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1. Workshop: Gesund leben –

Drinnen und Draußen

Moderation und Berichterstattung:

Christian Hölscher und Wendy Ramola

Der erste Workshop gestaltete sich rund um das Thema Gesundheitsförde-rung in Jugendvollzug und Jugendhilfe. Ein Impulsvortrag von Prof. Dr. Jür-gen Schröder (Universität Göttingen) führte umfassend in das Thema ein.

Zu Beginn seiner Präsentation stellte Prof. Dr. Jürgen Schröder die Bedeu-tung von sozialen Benachteiligungen für junge Menschen und ihre Bezugs-systeme (Familien, peers, etc.) dar. Die mit sozialen Benachteiligungen ein-hergehenden negativen Auswirkungen für Gesundheit und Bildung führten dazu, dass junge sozial benachteiligte Menschen mit den herkömmlichen Angeboten durch z.B. Sportvereine nicht mehr erreicht werden. Mitgliedsbei-träge in Vereinen hielten zudem Familien mit geringem Familieneinkommen davon ab, die Angebote der Vereine wahrzunehmen. Vereine verlieren da-durch zunehmend ihre integrativen Funktionen. Für Jürgen Schröder bedeu-tet Gesundheitsförderung zudem mehr als die Verbesserung der körperlichen Fitness oder Leistungsfähigkeit. Einen großen Stellenwert nimmt für ihn die Bedeutung von Sport- und Gemeinschaftserlebnissen im Kontext einer sinn-vollen Freizeitgestaltung ein. Dazu gehört für Schröder auch die Vermittlung von Körperkompetenzen (Körperwahrnehmung, Körperbild usw.), soziale Erfahrungen und Stärkung der Ich-Kompetenz. Diese prinzipiellen Überle-gungen treffen für ihn auch auf den Sport im Justizvollzug zu.

114

1. Workshop

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Wendy Ramola, die die konkrete praktische Arbeit von SPRINT von Be-ginn an begleitet und wissenschaftlich ausgewertet hat, fasste an dieser Stelle zentrale Aussagen der praktischen Erfahrungen von SPRINT und Anregun-gen zur Implementierung im Hinblick auf Nachhaltigkeit zusammen.

Zentrale Workshop-Ergebnisse haben zu folgenden Thesen geführt: • Sportvereine verlieren ihre sozial-integrativen Funktionen, wenn Mit-

gliedsbeiträge weiter auch von Familien mit geringem Einkommen erhoben werden und Angebote nicht an die Bedürfnisse junger Menschen (zeitliche und inhaltliche Flexibilität) angepasst werden

• viele Kinder sind bereits bei der Einschulung in keinem guten gesundheit-lichen Zustand (schlechte motorische Fähigkeiten, Übergewicht, schlech-te Beweglichkeit, etc.). Daher: Gesundheitsförderung sollte bereits in der KiTa erfolgen und Familien einbeziehen

• mangelndes Wissen von Lehrkräften zum Thema Gesundheitsförderung. Daher: Fortbildungen bzw. Aufnahme des Themas Gesundheitsförderung in die Lehramtsausbildung

• Gesundheitsförderung muss als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe be-griffen werden

• regelmäßige und gesunde Ernährung sind elementare Voraussetzungen für gesundes Aufwachsen. Sie müssen auf jeder Ebene (KiTa, Schulverpf le-gung, Jugendanstalt, etc.) unterstützt und gefördert werden

• die Vernetzung der verschiedenen Projekte, die sich dieser Aufgabe anneh-men, ist immens wichtig

• ganzheitliche Gesundheitsförderung fördert partizipative Elemente für junge Inhaftierte (gemeinsames Essen organisieren, eigenständige Klein-gruppen, Beteiligung der Gefangenen-Mitverwaltung (GMV))

• mit der Implementierung einer ganzheitlich verstandenen Gesundheitsför-derung ließen sich im Jugendvollzug soziales Lernen, gesunde Ernährung sowie Sport- bzw. Freizeiterziehung subsumieren. Ziel: gesellschaftliche Integration und Resozialisierung.

Gesund leben –

Drinnen und Draußen

Gesundheitsförderung in Jugendvollzug und Jugendhilfe

Jürgen Schröder

Jugendliche und soziale Benachteiligung: Abgrenzung und Bestandsaufnahme

Zunächst geht es darum, den Kreis der jungen Menschen, die sich im Ju-gendvollzug befinden, und diejenigen, die durch die Jugendhilfe betreut wer-den, näher zu bestimmen. Unstrittig dürfte in diesem Zusammenhang sein, dass die hier angesprochenen Jugendlichen als sozial benachteiligt gelten. Die Verantwortung dafür tragen nicht die Betroffenen sondern Eltern oder Erziehungsberechtigte. Deren Sozialstatus wird im Allgemeinen und etwas pauschal durch die schulische und berufliche Ausbildung, die gegenwärtige berufliche Stellung und das Haushaltsnettoeinkommen bestimmt (vgl. Lange u. a. 2007, 584). Unter diesen Voraussetzungen haben 28% der Kinder und Jugendlichen in unserer Gesellschaft einen niedrigen Sozialstatus, 27% einen hohen und 45% einen mittleren (vgl. ebda, 2007, 584).

Damit ist also die Gruppe junger Menschen im Jugendvollzug und in der Jugendhilfe näher eingegrenzt, aber keinesfalls genau definiert. Sozial benach-teiligt zu sein ist keineswegs identisch damit kriminell zu sein. Allerdings ist

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Jürgen Schröder

es richtig, dass Inhaftierte in aller Regel einen niedrigen Sozialstatus haben. Diese Aussage ist deshalb wichtig, weil sich die Ergebnisse des repräsentativ erhobenen Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (2007) auf die hier ange-sprochenen Jugendlichen übertragen lassen. Zu berücksichtigen ist die Ein-schränkung, dass Jugendliche und Heranwachsende im Jugendvollzug von 14 bis maximal 25 Jahre alt sein können, während in der KiGGS-Studie Kinder und Jugendliche von 0 bis 17 Jahren erfasst werden. Die von der Jugendhilfe Göttingen betreuten jungen Menschen sind zwischen 12 und 25 Jahren alt.

Der wichtigste und einleuchtende Grund, warum die Ergebnisse der KiGGS-Studie und nicht repräsentative empirische Untersuchungen über den Gesundheitsstatus junger Menschen im Jugendvollzug herangezogen werden, ist darin zu sehen, dass es diese Untersuchungen im Jugendvollzug nicht gibt.

Nach diesen formalen Festlegungen und auch Einschränkungen über die doch unterschiedlichen Altersgruppen soll eine Bestandsaufnahme für den Gesundheitszustand der sozial benachteiligten Jugendlichen vorgestellt wer-den.

Eines der gesundheitlichen Risiken ist Übergewicht bzw. Adipositas (vgl. Kurth / Schaffrath Rosario 2007: 737):• 15% der 3–17jährigen sind übergewichtig,• 8,5% der 14–17jährigen sind übergewichtig,• Seit den 80er/90er Jahren ist es zu einer Zunahme von ca. 50% gekom-

men, • Der Anteil adipöser Jugendlicher im Alter von 14–17 Jahren hat sich ver-

dreifacht• Risikogruppen sind Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus und

Kinder mit Migrationshintergrund.

Eine weitere gesundheitliche Beeinträchtigung sind Essstörungen (vgl. Höl-ling / Schlack 2007: 795 f):• 21,9% der 11–17jährigen zeigen Symptome von Essstörungen,• Der Anteil der Mädchen ist mit 28,9% fast doppelt so hoch wie der der Jun-

gen (15,2%),

• Jugendliche mit niedrigem Sozialstatus sind zu 27,6% betroffen,• Jugendliche mit hohem Sozialstatus sind zu 15,6% betroffen,• Migranten erreichen im Vergleich mit Nicht-Migranten eine um 50% höhe-

re Quote

Eine dritte gesundheitliche Problematik liegt mit Rauchen und Drogenkon-sum vor (vgl. Lampert/Thamm 2007: 600 ff):• 20% der 11–17jährigen Jungen und Mädchen rauchen,• 1/3 der Jungen und 1/4 der Mädchen trinken mindestens 1 x pro Woche Alko-

hol,• Jugendliche aus Familien mit niedrigem Sozialstatus rauchen häufiger,• Es gibt keine Unterschiede für den Sozialstatus beim Alkoholkonsum.

In der ebenfalls repräsentativ erhobenen Shell-Jugendstudie der 12–25jähri-gen wird in diesem Zusammenhang berichtet (vgl. 2006: 90): • 38% der Jugendlichen rauchen täglich oder gelegentlich (vgl. ebda., 2006: 90),• “Regelmäßiges Rauchen nimmt mit steigendem Alter der Jugendlichen zu“

(ebda.: 90)• “Jugendliche rauchen umso häufiger, je niedriger die soziale Schicht ist, der

sie angehören (ebda.: 90),• 39% der Jugendlichen konsumieren regelmäßig Alkohol, d. h. mindestens

einmal pro Woche (vgl. ebda., 2006: 91), • Der regelmäßige Konsum von Alkohol ist zwar geschlechtsspezifisch, aber

nicht schichtspezifisch verteilt (vgl. ebda., 2006: 91 f).

Die psychische Gesundheit ist ein weiteres Symptom, das in der KiGGS-Studie erfasst wurde (vgl. Hölling / Erhart / Ravens-Sieberer / Schlack 2007: 785 f). • Ca. 15% der Kinder und Jugendlichen sind verhaltensauffällig bzw. grenz-

wertig auffällig,• Psychische Probleme haben: → 8,1% der Kinder und Jugendlichen mit hohem Sozialstatus,

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→ 13,4% mit mittlerem Sozialstatus und → 23,3% mit niedrigem Sozialstatus → Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sind häufiger betrof-

fen.

Die gesundheitliche Bedeutung von Bewegungsaktivitäten

“Regelmäßige körperliche Aktivität ist einer der wichtigsten Einflussfakto-ren auf die Gesundheit und das Wohlbefinden“ (Lampert / Mensink / Ro-mahn / Woll 2007: 634). Daher sollen im folgenden Abschnitt repräsentative, empirische Untersuchungsergebnisse über Sport und Bewegungsaktivitäten im Kindes- und Jugendalter vorgestellt werden.

Eine repräsentative empirische Untersuchung liegt mit der Shell Jugendstudie (2006) vor. 2500 Jugendliche im Alter von 12–25 Jahren sind u. a. nach ihren Sport- und Bewegungsaktivitäten befragt worden:• 28% der Jugendlichen treiben im Verein Sport,• 26% treiben in ihrer Freizeit Sport außerhalb des Vereins (vgl. 2006: 78),• “Je höher die soziale Schicht, desto häufiger berichten Jugendliche von re-

gelmäßigen sportlichen Aktivitäten“ (2006: 95 f),• “38% der Jugendlichen aus der Unterschicht treiben gar keinen Sport,• im Gegensatz zu 14% der Jugendlichen aus der Oberschicht“ (2006: 96).

Die KiGGS-Studie setzt sich intensiv mit Sport und Bewegungsaktivitäten der Kinder und Jugendlichen auseinander und kommt zu folgenden Ergebnissen (vgl. Lampert u. a. 2007: 639):• Mit zunehmendem Alter lässt die körperliche Aktivität nach,• Mädchen sind in ihrer Freizeit seltener aktiv und schätzen ihre körperliche

Leistungsfähigkeit schlechter ein,• Mädchen mit niedrigem Sozialstatus oder Migrationshintergrund sind

sportlich inaktiver.

Aber nicht nur die Erhebung, ob und wie häufig Kinder und Jugendliche sportlich aktiv sind, sondern auch die sportliche Leistungsfähigkeit der 12–

17jährigen ist Gegenstand der KiGGS-Studie, gemessen mit einem Fahrrad-Ausdauertest: (vgl. Starker / Lampert / Worth /Oberger / Kahl /Bös 2007: 781)• Jugendliche mit Migrationshintergrund sind signifikant weniger ausdauer-

leistungsfähig,• Jugendliche mit niedrigem Sozialstatus weisen signifikant schlechtere Er-

gebnisse im Fahrrad-Ausdauertest auf.

Die hier vorgestellten Ergebnisse von zwei wichtigen repräsentativen em-pirischen Untersuchungen über den Gesundheitsstatus von Kindern und Jugendlichen (KiGGS-Studie 2007 und Shell-Jugendstudie 2006) belegen immer wieder, dass sozial benachteiligte bzw. Jugendliche mit niedrigem So-zialstatus und Jugendliche mit Migrationshintergrund z.T. erheblichen ge-sundheitlichen Einschränkungen unterliegen.

Gesundheitsförderung im Jugendalter

Bevor die Frage nach den gesundheitlichen Fördermöglichkeiten beantwor-tet werden soll, wird das Augenmerk auf die Lebenserfahrungen junger Men-schen mit niedrigem Sozialstatus gelenkt. Hier liegen keine direkten reprä-sentativen empirischen Untersuchungsergebnisse zugrunde; allerdings lassen sich Rückschlüsse insbesondere aus einer problematischen Schullaufbahn und / oder einer ebenso schwierigen beruflichen Bildung auf das konkrete Erleben und Verhalten der Betroffenen ziehen (vgl. Shell-Jugendstudie 2006: 65 ff):• Mißerfolgserlebnisse im schulischen und beruf lichen Werdegang,• Frühzeitiger Abbruch der Schullauf bahn und der beruf lichen Bildung,• Unzureichende Unterstützung durch das Elternhaus für Bildungs- und Ge-

sundheitsförderung,• Konflikte im Elternhaus, in der Schule und im Beruf,• Aggressive Auseinandersetzungen im Elternhaus, in der Schule und im Be-

ruf,• Mangelndes Selbstvertrauen,

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Jürgen Schröder

• Unzureichende Leistungsbereitschaft und• Unzureichendes Durchhaltevermögen.

Neben den beschriebenen Einschränkungen im Gesundheitsbereich ergibt sich außerdem eine Vielzahl von Beeinträchtigungen im individuellen und so-zialen Verhalten. Insgesamt stellt sich also die Frage, wie gesundheitliche und psychosoziale Widerstandskräfte gestärkt werden können.

Am Beispiel von Bewegungsaktivitäten sollen nunmehr Überlegungen zur Förderung einer gesunden Lebensführung vorgestellt werden. Sowohl die KiGGS-Studie als auch die Shell-Jugendstudie unterstreichen die Bedeutung von Bewegungsaktivitäten im Kindes- und Jugendalter:

“Für Kinder und Jugendliche ist körperliche Aktivität eine wesentliche Vorausset-zung für ein gesundes Aufwachsen. Neben positiven Effekten auf die organische und motorische Entwicklung ist auf die Bedeutung für das psychosoziale Wohlbefinden, die Persönlichkeitsentwicklung und das Erlernen sozialer Kompetenzen zu verwei-sen“ (Lampert / Mensink / Romahn / Woll 2007: 634).

Die Shell-Jugendstudie stellt ebenfalls die Wichtigkeit von Bewegungsaktivi-täten heraus:

“So kann mit regelmäßiger Bewegung körperlichen Krankheiten vorgebeugt wer-den. Zudem bietet Sport die Möglichkeit, Sensibilität im Umgang mit dem eigenen Körper auszubilden, Wahrnehmungen von Sinnesreizen und Muskeln zu schulen und soziale Erfahrungen zu machen“ (2006: 94).

Prävention und Intervention im Jugendvollzug

Während also der Umfang an Bewegungsaktivitäten außerhalb des Straf-vollzugs für jugendliche Benachteiligte nicht ausreichend ist, verschärft sich die Situation im gesamten Vollzug der Freiheitsstrafe und auch im Jugend-vollzug. Institutionell bedingter Bewegungsmangel, die Einschränkung der

sozialen Kontakte innerhalb der Anstalt und mit der Außenwelt, Stress und Spannung während der Inhaftierung, Entzug von Verantwortung und Selbst-ständigkeit, Monotonie des Anstaltslebens und nicht zuletzt Drogenkonsum stellen ungünstige Rahmenbedingungen, aber zugleich auch wichtige An-haltspunkte für die Stärkung der psychosozialen Ressourcen dar.

Im Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe in Schleswig-Holstein – Ju-gendstrafvollzugsgesetz – (JStVollzG) vom 19. Dezember 2007 wird dem Sport im § 39 ein hoher Stellenwert zugesichert:

“Dem Sport kommt bei der Erreichung des Vollzugsziels besondere Bedeutung zu. Er kann neben der sinnvollen Freizeitgestaltung auch zur Diagnostik und ge-zielten Behandlung eingesetzt werden. Es sind ausreichende und geeignete Angebo-te vorzuhalten, um den Gefangenen eine sportliche Betätigung von mindestens zwei Stunden wöchentlich zu ermöglichen“.

Im Niedersächsischen Jugendvollzugsgesetz wird im “§ 128, Freizeit, Sport“ darauf verwiesen: “(1) Die Vollzugsbehörde hat für ein ausreichendes Freizeit- und Sportangebot zu sorgen“. Im Abschnitt (3) wird fortgesetzt: “Dem Sport kommt im Jugendstrafvollzug besondere Bedeutung zu. Die oder der Gefan-gene erhält Gelegenheit, das Sportangebot zu nutzen. Ihre oder seine Bereit-schaft hierzu ist zu wecken und zu fördern“.

Hier wird zwar verbal auf die “besondere Bedeutung“ des Sports im Jugend-strafvollzug verwiesen, allerdings ohne jegliche Konsequenzen, die beispiels-weise das Angebot und den Umfang (wie in Schleswig-Holstein) betreffen. Sport als Mittel der Diagnostik oder Behandlung wird im Niedersächsischen Gesetz überhaupt nicht angesprochen.

Welche Voraussetzungen sollten also in den Jugendvollzugsan-

stalten für Bewegung, Spiel und Sport erfüllt werden?

Zunächst müsste zwischen Freizeit- und Gesundheitssport auf der einen und Sport als Mittel der Diagnose und der Behandlung in Zusammenarbeit mit an-deren Fachdiensten auf der anderen Seite unterschieden werden. Wenn durch Sport- und Bewegungsaktivitäten Kompetenzen vermittelt werden sollen, die

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Jürgen Schröder

die Voraussetzungen für das Leben in Freiheit in sozialer Verantwortung för-dern, dann werden hier andere Schwerpunkte gesetzt, als wenn Jugendliche beispielsweise für das Deutsche Sportabzeichen trainieren.Konkrete Beispiele für gezielte Behandlung sind:• Sport zur Förderung der sozialen Kompetenz,• Sport mit suchtmittelabhängigen Gefangenen,• Sport mit dem Ziel, Stress und Spannungen abzubauen,• Sport zur Förderung der Ich-Identität und des Selbstvertrauens,• Sport für durchsetzungsschwache Gefangene,• Sport zur Förderung von Körperkompetenzen (Körperbild, Körpergefühl,

Körperwahrnehmung usw.).

Das Bewegungsangebot sollte für den Freizeit-, aber auch für den Diagnose- und Behandlungssport möglichst vielfältig sein und unterschiedliche Schwer-punkte haben: Fitness und Gesundheit, Leistungssteigerung und Leistungs-vergleich, Abenteuer, Spannung, Risiko, Entspannung und Geselligkeit.

Durch die Angebote sollten möglichst viele Jugendliche erreicht werden: Ziel ist nicht, dass einige wenige Jugendliche möglichst häufig am Sport teil-nehmen, sondern möglichst viele Jugendliche so oft wie möglich.

Wichtig ist, dass die unterschiedlichen sportlichen Betätigungen regelmä-ßig und auch kontinuierlich über eine längere Zeit angeboten werden.

Das Sportangebot sollte sowohl sportartspezifisch als auch adressatenspe-zifisch ausgerichtet sein, also z. B. Angebote für Einsteiger vorhalten. Wichtig ist, dass neben dem traditionellem Sport, und das sind vor allem die Großen Sportspiele mit Fußball, Basketball, Handball, auch neuere Sportentwicklun-gen berücksichtigt werden: Beachbasketball, Beachvolleyball, Inline Skating, Spiele ohne Sieger, Streetball, Futsal usw.

Alle Angebote sollten von qualifizierten Sportfachkräften angeleitet wer-den. In vielen Bundesländern gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen Landessportbund und der Justiz, die gemeinsam Sportübungsleiter/innen mit dem Schwerpunkt Sport im Justizvollzug ausbilden.

Aber auch der Erwerb von Spiel- und Sportabzeichen kann dazu beitragen, dass Jugendliche an Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen gewinnen. Das

gilt vor allem auch für die sicherlich geringe Zahl der Jugendlichen, die eine Jugendleiter-, Schiedsrichter- oder sogar Trainerlizenz erwerben. Nach der Entlassung aus der Haft haben diese Jugendlichen es besonders leicht, in einen Sportverein integriert zu werden.

Prävention und Intervention in verschiedenen Einrichtungen

Bewegungsaktivitäten können präventive gesundheitliche Funktionen übernehmen, mit Hilfe von Bewegung und Sport kann aber auch interveniert werden, so z. B. im Fall von Übergewicht. Beide Möglichkeiten bieten sich in verschiedenen Institutionen oder auch im freien, nicht organisierten Sport. Daher sollen im Folgenden Sportvereine, Fitness-Studios und Kampfsport-schulen, die Kommunen und der Schulsport daraufhin überprüft werden, welche Ziele sie verfolgen und ob sie tatsächlich für Kinder und Jugendliche geeignet sind.

Sportvereine

Sportvereine haben gesellschaftliche Verpflichtungen, da sie durch die Ge-sellschaft, und das ist in erster Linie die Kommune, finanziell gefördert wer-den. Daher müssen sie sich auch das Ziel setzen, benachteiligte Jugendliche zu integrieren und zu fördern.

Die für den Sportverein typischen Rahmenbedingungen, wie z. B. pünktlich sein, regelmäßig an Training und Wettkampf teilnehmen, haben für viele be-nachteiligte Jugendliche ausschließenden Charakter, da sie nicht in der Lage sind, diese Verpflichtungen zu erfüllen. Deshalb müssen diese Rahmenbedin-gungen großzügig ausgelegt und dürfen erst allmählich verbindlich gemacht werden.

Die Sportangebote im Verein müssen sich auch an den Interessen und Be-dürfnissen benachteiligter Jugendlicher ausrichten, und das bedeutet, dass die starke Betonung des vereinstypischen Auslese- und Wettkampfbetriebs mit den einschlägigen Rahmenbedingungen eingeschränkt werden muss.

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Jürgen Schröder

Schließlich darf die Mitgliedschaft im Sportverein nicht an der Erfüllung finanzieller Anforderungen scheitern, und das ist nicht nur der Mitgliedsbei-trag, sondern auch die Ausstattung mit Sportschuhe, Trainingsanzug, T-Shirt usw. Jungen Menschen darf nicht aufgrund unzureichender finanzieller Mittel der Zugang zum Sportverein verwehrt werden.

Fitness-Studios und Kampfsportschulen

Diese Einrichtungen für kommerzielles, organisiertes Sporttreiben sind in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden und erreichen einen im-mer größer werdenden Teil junger Menschen.

Ziel der körperlichen Aktivitäten in Fitness-Studios darf nicht darin beste-hen, körperliche Überlegenheit aufzubauen, diese zu trainieren und zu ver-bessern und schließlich gegenüber anderen Menschen zu deren Nachteil und illegal anzuwenden (vgl. Schröder 2001: 21ff). Gemeint sind Bodybuilding- Studios, die einseitiges Langhanteltraining in den Mittelpunkt des Trainings stellen, um die Muskulatur des Oberkörpers und der Oberarme für jedermann sichtbar zu gestalten. Bodybuilding-Studios sind daher zweifelhafte Einrich-tungen, die lediglich für eine absolute Minderheit junger Menschen wirklich hilfreich sein können, und das sind Jugendliche mit gering ausgebildetem Muskelapparat, deren Ich-Identität unter dieser körperlichen Benachteiligung leidet.

Der Besuch von Kampfsportschulen, deren Ziel darin besteht, den Gegner außerhalb des regulierten sportlichen Wettkampfbetriebs außer Gefecht zu setzen und ihm körperlichen Schaden zuzufügen, ist ebenfalls abzulehnen. Auch hier – wie bei den Bodybuilding-Studios – bleibt die Vermittlung grund-legender sportlicher Werte auf der Strecke.

Die Förderung der allgemeinen körperlichen Fitness und der Gesundheit kann – mit relativ hohen finanziellen Aufwendungen – in geeigneten Studi-os betrieben werden, von denen in jeder Kommune eine Vielzahl existiert. Kampfsport, wie beispielsweise Judo, Karate, Ringen kann in Sportvereinen betrieben werden, so dass die Mitglieder sicher sein können, dass die sportli-che, Regel geleitete Ausrichtung im Mittelpunkt steht.

Kommunen als Förderer von Bewegungsaktivitäten

Die Kommunen sind in unserem öffentlich geförderten Sportsystem die wichtigsten Unterstützer. Dabei handelt es sich nicht nur um die direkte finan-zielle Bezuschussung der Sportvereine und Sportverbände, sondern vor allem auch um die Bereitstellung von Anlagen zur Förderung von Bewegungsaktivi-täten. Neben dem Bau genormter Sportanlagen für Sportvereine geht es hier insbesondere um Spielplätze, Bolzplätze, Freiplätze, Abenteuerspielplätze, Spielwiesen, Spielberge usw., mit deren Hilfe freie, ungebundene Bewegungs-aktivitäten möglich sind.

Freie Bewegungsgelegenheiten sollten möglichst in unmittelbarer Nähe von Wohnanlagen vorhanden und für Kinder und Jugendliche leicht erreich-bar sein. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Hausordnungen von Wohnungsgesellschaften die Bewegungsaktivitäten von Kindern und Jugend-lichen unterstützen und nicht einschränken oder behindern.

Die freien, ungebundenen Bewegungsgelegenheiten für Kinder und Jugend-liche sind auch deshalb von großer Bedeutung, weil hier keine Erwachsenen, wie Eltern, Übungsleiter/innen oder Lehrkräfte usw. ihre Spiel- und Bewe-gungserfahrungen anleiten oder kontrollieren und die jungen Menschen al-lein für ihr sportliches Handeln verantwortlich sind.

Schulsport

Im Vergleich mit allen anderen Einrichtungen, die Bewegungsangebote oder die Voraussetzungen für Bewegungsaktivitäten zur Verfügung stellen, hat der Schulsport den großen Vorteil und die große Chance, dass er alle Kin-der und Jugendlichen erreicht, weil die Teilnahme am Schulsport für alle ver-pflichtend ist.

Die zentrale Aufgabe des Sports in der Schule besteht darin, alle Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu fördern. Das ist nur dann möglich, wenn auch die Bedürfnisse und Interessen von benachteiligten Kindern und Jugendlichen berücksichtigt werden. Ziele, Sportangebote und Umgangsformen müssen sich auch an unerfahreneren Schülerinnen und Schülern im Sport ausrichten. Und das Verhalten der Sportlehrkräfte darf sich nicht nur an den sportlichen, leistungsstarken Schüler/innen orientieren.

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1. Workshop

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Jürgen Schröder

Schlussüberlegungen

• Die Charakterisierung “soziale Benachteiligung“ stellt keine ausreichende Basis für eine konkrete Handlungsorientierung dar,

• Sport fördert nicht automatisch die Gesundheit,• Sport kann auch krank machen,• Sport besitzt keine übernatürlichen oder urwüchsigen Kräfte, die geeignet

sind, sozial angemessenes Verhalten automatisch zu fördern,• Wenn Sport erzieherische oder behandlerische Aufgaben erfüllen soll, müs-

sen diese zum Thema von Lehr-, Lern- und Erfahrungsprozessen gemacht werden,

• Das Verhalten während sportlicher Aktionen kann zusätzlich zum Verhal-ten in Gesprächssituationen wertvolle Informationen für Veränderungs-prozesse liefern,

• Wenn Sport einen wichtigen Beitrag zur Erziehung junger Menschen leis-tet, sollte die Teilnahme am Sport im Jugendvollzug verpf lichtend sein.

Literatur

Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe in Schleswig-Holstein – Jugendstrafvollzugsgesetz – (JStVollzG). Kiel (2007).

Hölling, H. / R. Schlack (2007): Essstörungen im Kindes- und Jugendalter. In: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz Band 50, Heft 5/6, Mai / Juni 2007, 794–799.

Hurrelmann, K. / M. Albert / TNS Infratest Sozialforschung (2006): 15. Shell Jugendstudie. Ham-burg

Kurth, B.-M. / A. Schaffrath Rosario (2007): Die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. In: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Ge-sundheitsschutz Band 50, Heft 5/6, Mai / Juni 2007, 736–743.

Lange, M. / P. Kamtsiuris, / C. Lange / A. Schaffrath Rosario / H. Stolzenberg / T. Lampert (2007): Messung sozialdemographischer Merkmale im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) und ihre Bedeutung am Beispiel des allgemeinen Gesundheitszustands. In: Bundesgesundheitsblatt Ge-sundheitsforschung Gesundheitsschutz Band 50, Heft 5/6, Mai / Juni 2007, 578–589.

Lampert, T. / M. Thamm (2007): Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum von Jugendlichen in Deutsch-land. In: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz Band 50, Heft 5/6, Mai / Juni 2007, 600–608.

Lampert, T. / G.B.M. Mensink / N. Romahn / A. Woll (2007): Körperlich-sportliche Aktivität von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. In: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Ge-sundheitsschutz Band 50, Heft 5/6, Mai / Juni 2007, 634–642.

Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz (NJVollzG). Hannover (2007). Schröder, J. (2001): Vom Kraftsport zum Fitness- und Gesundheitssport im Justizvollzug. In: Zeit-

schrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe, Heft 1, Februar 2001, Jahrgang 50, 21–25.

Starker, A. / T. Lampert / A. Worth / J. Oberger / H. Kahl / K. Bös (2007): Motorische Leitungsfä-higkeit. In: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz Band 50, Heft 5/6, Mai / Juni 2007, 775–783.

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2. Workshop: Gesundes Lernen –

Gesundheitsförderung

in der Schule

Moderation und Berichterstattung:

Gerd Ziegeler

In diesem Workshop wurde der Schwerpunkt der Diskussion auf Möglich-keiten der Gesundheitsförderung bei sozial benachteiligten Jugendlichen in-nerhalb der Institution Schule gelegt. Die insgesamt 18 Teilnehmer, von denen die Hälfte Lehrer bzw. Sozialpädagogen aus unterschiedlichen Schulformen waren, diskutierten ihre Erfahrungen mit gesundheitsförderlichen Maßnah-men im Schulalltag, ergänzt durch die Perspektiven von freiberuflichen Ge-sundheitsförderern und Vertretern der Wissenschaft. In dem vorgegebenen Zeitrahmen konnte es nicht darum gehen, in aller gebotenen Breite soziale Benachteiligung von Jugendlichen in seinen gesundheitlichen Folgen zu be-schreiben und zu erklären, sondern vor allem darum, Möglichkeiten und Er-fahrungen bei der Reduktion von gesundheitlicher Ungleichheit in und durch Schule zu thematisieren.

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2. Workshop - Bericht

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Gerd Ziegler

Ziel war es, folgende Fragen aufzunehmen und zu klären:• Ist Schule überhaupt ein geeigneter Ort, um gesundheitliche Ungleichhei-

ten bei Jugendlichen überwinden zu helfen und an welche Anforderungen auf Seiten der Institution sind spezifische gesundheitsförderliche Angebote geknüpft?

• Wie lässt sich Partizipation, im Sinne von Gehört-Werden, von Mitsprache und von Mitentscheiden aller Akteure herstellen?

• Welche Ziele können sinnvollerweise für die Schüler selbst, für die Lehrer, für die Institution Schule und für die Eltern angestrebt werden? Und wie kann man überprüfen, ob diese Ziele auch erreicht werden?

• Gibt es Erfahrungen in der Herstellung von Nachhaltigkeit von Gesund-heitsförderung im Schulalltag?

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde hielt Frau Prof. Krause (Universität Göttingen) den Impulsvortrag „Gesundheitsförderung in Schulen“, wobei im Mittelpunkt ihrer Ausführungen Ergebnisse ihres mehrjährigen Projektes „Selbstwert stärken – Gesundheit fördern“ bei Grundschülern stand. Die zen-tralen Thesen ihres Vortrages lauteten:• Gesundheitsförderung solle so früh wie möglich bei Kindern ansetzen, um

über die Stärkung von Selbstwirksamkeit, von Konfliktfähigkeit und von Resilienz persönliche und soziale Ressourcen zu entwickeln, die so gesund-heitlicher Ungleichheit entgegenwirken können.

• Schule stelle einen geeigneten Ort für Gesundheitsförderung dar, weil hier neben der Wissensvermittlung der Bildungsauftrag die Verfolgung solcher Ziele nicht nur zulasse, sondern im Sinne der Fürsorglichkeit und sozialen Unterstützung auch nahe lege.

Die vorgestellten Ergebnisse ihres Forschungsprojektes bestätigen die Möglichkeit der Steigerung von psychischem Wohlbefinden, von Selbstwirk-samkeit und von Erweiterung von Bewältigungskompetenzen durch Gesund-heitsförderung in Grundschulklassen. Studentische Teams unterstützten die LehrerInnen bei der kontinuierlichen Umsetzung und Implementierung der zuvor vom Projektteam entwickelten Unterrichtseinheiten. Deutlich wurde,

dass solche Interventionen nur in einem Setting-Ansatz und nicht als isolierte Angebote sinnvoll und wirksam sind. Zudem zeigte sich immer wieder, dass für deren nachhaltigen Erfolg dabei die Person der Lehrerin/des Lehrers und das Maß ihrer/seiner Identifikation mit dieser Aufgabe ausschlaggebend sind und es einer unterstützenden Partizipation von Schulleitung, Kollegen und vor allem der Eltern bedarf. Trotz solcher positiven Erfahrungen stelle sich aber weiterhin die grundsätzliche Frage, wie Frau Prof. Krause kritisch anmerkte, ob unter den gegenwärtigen strukturellen Bedingungen des Bildungssystems (z.B. gegliedertes Schulsystem, hohe Klassenstärke, hohes Stundensoll für Lehrer, Schulstress für Kinder, finanzielle und personelle Minderausstattung etc.) in den Schulen soziale Chancengleichheit schon kaum vermieden, ge-schweige denn gesundheitlicher Ungleichheit begegnet werden kann – und so Gesundheitsförderung eher den aufwändigen und zusätzlichen Bemühungen einzelner LehrerInnen und einzelner Schulleitungen geschuldet bleibt.

Diese Thesen des Vortrages regten dazu an, zuerst einmal allgemein über strukturelle Bedingungen für Gesundheitsförderung in Schulen nachzuden-ken. Konsens zwischen allen Beteiligten war, dass der Ort Schule durchaus ge-eignet sei, solche Maßnahmen zu entwickeln. Der Bildungsauftrag umschließe eben nicht nur die Vermittlung von Wissen, sondern auch von Grundhaltun-gen und Wertorientierungen auf der einen Seite und sozialen Kompetenzen auf der anderen Seite. Ein Gesundheitsbezug pädagogischer Bemühungen, z.B. im Hinblick auf die Förderung von Selbstwirksamkeit, eines starken Ko-härenzgefühls und von Resilienz bis hin zu Hygieneerziehung, Entwicklung eines gesünderen Ernährungsverhaltens, der Freude an Bewegung und dem Engagement für eine gesunde Umwelt ließe sich so leicht begründen. Solchen erweiterten Bildungsauftrag umzusetzen, erfordere, so die Meinung ver-schiedener Teilnehmer, im Grunde einen Setting-Ansatz, in dem die gesamte Schule sich zum Ziel setzt, ein „gesundes Lernen“ zu ermöglichen. Nach einer konsensualen Einigung auf den zugrunde zu legenden Begriff von Gesundheit und daran geknüpfter Teilziele könnten gesundheitsförderliche Elemente in den Unterricht sowie in den Schulalltag integriert werden. Wünschenswert

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2. Workshop - Bericht

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Gerd Ziegler

wäre eine zu entwickelnde „Du-bist-willkommen“-Grundhaltung, die auf Schüler wie auf Lehrer Anwendung finden müsste. Oder wie eine Teilneh-merin ausführte:

„ ... dass man überlegt, nicht, wie kann ich denn das einfach in meinen Unterricht einbauen, sondern wie kann ich den so gestalten, dass sich hier jeder angenommen fühlt. Du bist hier gut aufgehoben, wenn Du ein Problem hast, ich bin für Dich da! Es ist sicherlich schwer, solch eine Stimmung herzustellen. Wir haben z.B. an Gesundheitstagen beschlossen, keine Wertungen auszusprechen oder die Kinder auszuschimpfen – da darf jeder so sein, wie er will. Gut, den Kindern wird damit viel Freude bereitet – und dann ist es zu Ende und hinterher geht es so weiter wie immer. Das hilft überhaupt nichts! Eine Sensibilisierung für das Wohl des Kindes muss erreicht werden, da dieses auch die wichtigste Grundlage für den Lernerfolg in allen Belangen ist.“

Solch eine Grundhaltung bei allen Lehrern zu erzeugen stößt allerdings häufig auf erhebliche Schwierigkeiten, wie verschiedene Teilnehmer berich-teten. Lehrer seien bspw. im Rahmen ihrer Ausbildung meist viel zu wenig mit psychologischen Grundkenntnissen ausgestattet. Im Vordergrund stünde noch immer eine didaktisch-methodische Fachausrichtung, die den Lehrer damit als verantwortlich für eine Wissensvermittlung und für den Lernerfolg seiner Schüler mache. Aufmerksamkeit für altersgemäße Fragen und Proble-me, für Grundbefindlichkeiten unterschiedlicher Schülergruppen, für deren Lebensgefühl, für jugendliche Lebensstile, für deren Lernstrategien würden so wenig auf Lehrerseite entfaltet. Dieses Problem mangelhafter Vorbereitung auf die Vielfalt der pädagogischen Aufgaben wird bei vielen Lehrern noch ver-stärkt durch deren mangelnden Bezug zu den unterschiedlichen Lebenswel-ten vieler Jugendlicher. Nach dem Abitur an die Universität zu wechseln und danach ohne bemerkenswerte Lebenserfahrung in anderen Arbeits- und Le-bensbereichen an die Schule zu gehen, treffe heute noch für die Mehrheit der Lehrer zu – und erkläre so auch ein oft unterentwickeltes Problembewusstsein bezüglich des Zusammenhanges zwischen sozialer Lage und gesundheitlicher Ungleichheiten.

Die anschließende Frage, ob und wie denn innerhalb von Schulen sozial benachteiligte Jugendliche konkret gesundheitlich gefördert werden können, wurde am Beispiel von Haupt- und Förderschulen, als den maßgeblichen Sam-melbecken solcher Schüler, behandelt. Konkrete Erfahrungen von Teilneh-mern zeigten, dass auch hier die Schwierigkeiten gegenwärtig noch erheblich sind. Den Sinn von Gesundheitsförderung den Kollegen und der Schulleitung zu vermitteln, falle oftmals nicht schwer, konkrete Unterstützung wird dann aber von vielen abgelehnt mit dem Verweis auf mangelnde persönliche Res-sourcen durch das eigene hohe Stundensoll und die Einhaltung des Lehrpla-nes. Gesundheitsförderung gilt dann als zusätzliche neue Aufgabe, die neben-her zu erledigen sei.

Der Lehrer einer Hauptschule berichtete, dass er lange Zeit geradezu als ein Einzelkämpfer sich fühlte, der sein Projekt allein entwickelt und durchgeführt hat. Von der Schulleitung zwar genehmigt, hat er auf sich allein gestellt ge-sonderten Sportunterricht für adipöse Kinder angeboten. Aufgrund eigener Scham und vielfältiger Stigmatisierungserfahrungen im Umkleideraum, un-ter der Dusche und erst recht während der regulären Sportstunden hatten vie-le dieser Schüler eine Aversion gegen den Sportunterricht entwickelt. Erst die rege Teilnahme an diesem spezifischen Angebot und die sichtbare Verände-rung der Einstellung gegenüber der Bewegung bei zahlreichen Jugendlichen habe dann bei einigen wenigen Kollegen für Interesse und Bereitschaft zur Teilnahme gesorgt.

Solch eine Erfahrung von erheblichen persönlichen Vorarbeiten, um ein Problembewusstsein innerhalb des Kollegiums zu erzeugen und so vielleicht den Prozess einer Teambildung einzuleiten, wurde von weiteren Teilnehmern bestätigt. In allen vertretenen Schulen hatten sich im Grunde die immer glei-chen Kollegen engagiert und waren darauf verwiesen, stetig für die eigene Sa-che zu werben und andere Kollegen für ihre Ideen aufzuschließen.

Als weitere Beispiele wurden eine gemeinsame Frühstücksrunde genannt, um sicherzustellen, dass alle Schüler vor Beginn des Unterrichts auch aus-reichend und gesunde Nahrung zu sich genommen haben. Das Frühstück musste von zu Hause mitgebracht werden, wobei, nur nebenbei angemerkt, der Lehrer nicht nur über die Zusammensetzung des Frühstücks aufklären,

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2. Workshop - Bericht

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Gerd Ziegler

sondern Schüler dabei unterstützen musste, sich zu Hause durchzusetzen und diese Dinge im heimischen Haushalt zu besorgen. Ein weiteres eher schlicht anmutendes Beispiel stellt die Möglichkeit des Wassertrinkens während des Unterrichts dar. Auch hier hatte es einer lang währenden Überzeugungsarbeit bedurft, um die ablehnende Haltung bei der Mehrheit der Kollegen zu über-winden.

Ein besonderes Beispiel in Hauptschulen berichteten zwei Sozialpädagogin-nen. Beide stellten in ihren Schulen sozusagen die Anwältin für benachteiligte Schüler dar. Sie werden von Schulleitung und Lehrerkollegen als die primären Ansprechpartner in Fragen von Gesundheitsförderung betrachtet und sind für Einzelberatung, Einleitung von Fördermaßnahmen, aber auch die Organisa-tion und Durchführung erlebnispädagogischer Fahrten und anderer Projekte wie z.B. Selbstbehauptungskurse oder die Hospitation einer achten Klasse bei Hebammen in der Klinik zuständig. Zwar werden über solche Funktionsstel-len zahlreiche Angebote erfolgreich umgesetzt und auch in den Schulalltag integriert, die Ausweitung von Maßnahmen unter der kontinuierlichen Betei-ligung von Lehrern wird aber entweder als nicht notwendig betrachtet oder gestaltet sich als schwierig.

Alle diese Beispiele verdeutlichen zugleich, dass hier in erster Linie einzelne Projekte oder einzelne Angebote für Schülergruppen mit spezifischen Proble-men auf den Weg gebracht wurden. Der zu Beginn der Diskussion umrissene Setting-Ansatz wurde zwar von allen Teilnehmern weiterhin als erstrebens-wert und sinnvoll betrachtet, aber noch als ein fernes Ziel definiert.

Gleichwohl wurden in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich beson-ders günstige strukturelle Bedingungen für gesundheitsförderliche Initiativen in Schulen genannt, wie sie sich aus der Reform der „eigenverantwortlichen Schule“ ebenso ergeben wie aus der wachsenden Einrichtung von Ganztags-schulen. Die „eigenverantwortliche Schule“ enthielte z.B. vielfältige Freiräu-me für neue Unterrichtsinhalte und -formen, so wie für den Einsatz von Leh-rern in fachfremdem Unterricht1 oder eben für die Einrichtung spezifischer

1 Als Beispiele wurden besondere Ideen für den Hauswirtschaftsunterricht oder das Sportangebot für adipöse Ju-gendliche genannt; beides verwirklicht von nicht dafür ausgebildeten Lehrern

Arbeitsgruppen oder Wahlpflichtkurse. Bei der ganztägigen Betreuung wurde auf die Möglichkeit der Kooperation mit Sportvereinen verwiesen in der Ab-sicht, Schüler für neue Sportarten aufzuschließen und vice versa den Sportver-einen Interessenten zuzuführen.

Allerdings seien vielen Kollegen diese Freiräume und damit verknüpfte Möglichkeiten häufig noch zu wenig bewusst. Und auch hier zeigt die Erfah-rung einzelner Teilnehmer, dass der Anstoß zur Nutzung solcher Spielräume meist auf dem Engagement von einzelnen Lehrerkollegen in der Doppelfunk-tion von Ideengeber und Instanz zur Erschließung von personellen, finanziel-len, zeitlichen und auch räumlichen Ressourcen gründet.

Angesichts dieser vielfältigen dargestellten Probleme bei der Initiierung und Verstetigung von gesundheitsförderlichen Angeboten in Haupt- und För-derschulen wurde die Frage aufgeworfen, ob der „Einkauf “ von “Experten von außen“ Vorteile zur Überwindung der gegenwärtigen Situation bietet. Eine Mitarbeiterin von SPRINT skizzierte einige ihrer Erfahrungen in der Koope-ration mit einer Förderschule. Angefragt über Lehrer dieser Schule, die auch Mitglieder des projektbezogenen Qualitätszirkels waren, wurde im gemeinsa-men Team von SPRINT-Mitarbeitern und Lehrern das zuvor im Justizvollzug erprobte Konzept auf die Bedingungen des Unterrichts und die Möglichkeiten und Vorstellungen der teilnehmenden Lehrer abgestimmt. Angeboten wur-den drei Blöcke, die über jeweils zwei Tage schuljahresbegleitend die Themen „Gesunde Ernährung“, „Bewegung“ und „Soziale Beziehungen“ behandelten. Das Expertenteam bestand immer aus zwei Mitarbeitern; einer war für die In-halte verantwortlich, der andere für das Gruppengeschehen. Zugleich wurde Wert darauf gelegt, dass immer Frau und Mann als ein Team auftreten, um günstige Voraussetzungen für den Rapport zu Schülern beiderlei Geschlechts zu schaffen. Der Lehrer war während dieser Stunden zwar anwesend, nahm aber mehr als Beobachter teil und konnte so vorübergehend aus seiner klas-sischen Rolle aussteigen. Die Erfahrungen mit solcher Kooperation zeigten eine Reihe von Vorteilen für alle beteiligten Akteure. Bei den Schülern stieg das Interesse und die Freude, je häufiger das Team in der Schule auftrat; de-ren Angebote stellten nicht nur inhaltlich eine Abwechslung vom normalen Schulunterricht dar, sondern schafften auch eine neue Lernsituation, in der

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2. Workshop - Bericht

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Gerd Ziegler

zum einen die Schüler mit eigenen Vorschlägen und Beiträgen in hohem Maße partizipierten und zum anderen deren Lernerfolg nicht bewertet wurde. Die Lehrer beschrieben in anschließenden gemeinsamen Auswertungsgesprächen den Vorzug, sozusagen einmal bei den eigenen Schülern zu hospitieren, sie lernten zum Teil neue Stärken einiger Schüler oder eine insgesamt positiv ver-änderte Gruppen- und Lernatmosphäre kennen. Die Hälfte von ihnen war an-schließend bereit und sah sich in der Lage, solche Themenblöcke mit Gesund-heitsbezug selbst durchzuführen und in das Unterrichtsangebot der eigenen Schule zu implementieren. Die Mitarbeiter von SPRINT waren beeindruckt von dem regen Interesse der Schüler und von deren Engagement und erstaunt darüber, wie rasch sie als schulfremde Akteure Akzeptanz und Vertrauen er-fahren konnten. Ihre Absicht, die teilnehmenden Lehrer als Multiplikatoren auszubilden, konnte umgesetzt werden, wobei eben nicht nur deren teilneh-mende Beobachtung, sondern vor allem deren Partizipation bei der Überar-beitung des Konzeptes und bei der gemeinsamen Auswertung maßgebliche Voraussetzungen für diesen Entwicklungsprozess darstellten. Deutlich wurde aber auch hier, dass die Bereitschaft zu einem Transfer solcher Themen in den Schulalltag entscheidend von der Motivation und dem Engagement einzelner LehrerInnen abhängt. Ob über diesen Weg schulinterne Ressourcen geschaf-fen und so Nachhaltigkeit erzeugt werden kann, muss nach Auffassung der SPRINT-Mitarbeiterin offen bleiben. Denn auch der Transfer bezieht sich erst einmal auf gesonderte, aus dem üblichen Rahmen heraus fallende und zu-gleich begrenzte Angebote. Denn die Durchführung bedeutet jedes Mal einen Neuanfang für eine neue Gruppe oder Klasse, eine Verstetigung oder gar Ver-tiefung solcher Inhalte bei interessierten, weil „erfahrenen“ Schülern sei kaum vorstellbar. Zugleich bleibe abzuwarten, ob und inwieweit es den LehrerInnen gelingt, ihr klassisches Rollenverhalten in diesen Kontexten zu überwinden.

Bei der abschließenden Diskussionsrunde wurde die Forderung nach Eva-luation solcher Initiativen wie SPRINT, aber auch die der übrigen genannten Beispiele aus den Haupt- und Förderschulen thematisiert. Eine Ergebniseva-luation erschien den Teilnehmern zwar wünschenswert, aber kaum machbar. Denn die vielfältigen und weit gesteckten Zielsetzungen, wie Steigerung von Selbstwirksamkeit, Resilienz und Bewältigungskompetenzen auf Seiten der

Schüler und etwa die Förderung von Zufriedenheit und von neuen Kompe-tenzen auf Seiten der LehrerInnen wurden zwar vorbehaltlos als sinnvoll be-trachtet, aber ohne eine wissenschaftliche Begleitung dürfte nur schwerlich zu überprüfen sein, ob diese Ziele auch erreicht werden. Daher wurde einer Pro-zessevaluation in der gegenwärtigen Situation der Vorrang eingeräumt. Wie das Beispiel des SPRINT-Projektes zeigt, kann Qualitätszirkelarbeit von Per-sonen, die im Bereich Schule schon Gesundheitsförderung betreiben oder sich dafür interessieren, als eine geeignete Methode genutzt werden. Gerade weil sie die systematische Möglichkeit der gemeinsamen Reflektion von Konzep-ten und Zielen, von Erfahrungen sowie von Erfolgen und Misserfolgen bietet. So wäre denkbar, um nur einige Beispiel zu nennen, dass in diesem Kreis über Weiterbildung und Qualifizierung von Kollegen für diese Aufgaben genauso diskutiert wird wie über die Steigerung der Partizipationschancen von Schü-lern und von den Eltern. Ein anderes Thema könnten Sinn und Reichweite der Veränderung der klassischen Lehrerrolle sein.

In Zusammenfassung der Diskussion über gesundheitsfördernde Praxis für sozial benachteiligte Jugendliche in Schulen zeichnet sich die folgende Situa-tion ab:• Haupt- und besonders Förderschulen können als ein geeigneter Ort für sol-

che Initiativen betrachtet werden, weil sie ein Sammelbecken von Schülern sind, die eben auch die Folgen gesundheitlicher Ungleichheit zu gewärtigen haben;

• die gezielte Förderung solcher Gruppen sieht sich aber derzeit offenbar noch größeren Problemen ausgesetzt und steht am Anfang eines Entwick-lungsprozesses;

• ein generelles Problem besteht in den strukturellen Begrenzungen der Lehrertätigkeit durch hohes Stundensoll, die Verbindlichkeit der Rahmen-richtlinien und das professionelle Selbstverständnis vieler Lehrer;

• die „eigenverantwortliche Schule“ oder auch die Ganztagesschule bieten hier allerdings vielfältige, noch zu wenig genutzte Handlungsspielräume für die Umsetzung von Initiativen mit Gesundheitsbezug;

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2. Workshop - Bericht

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Gerd Ziegler

• gelungene Beispiele von gesundheitsförderlichen Initiativen gehen zumeist auf das besondere Engagement und die Ausdauer einzelner Kollegen zu-rück;

• der Prozess der Teambildung stellt sich entsprechend als aufwändig, lang anhaltend und oft frustrierend dar; Unterstützung von Kollegen ist dabei am ehesten durch den Nachweis einer effektiv durchgeführten Maßnahme zu erschließen;

• die Unterstützung von „Experten von außen“ kann einige der gegenwärti-gen Probleme an Schulen beheben, wenn die Kooperation auf Partizipation der LehrerInnen angelegt und die Qualifizierung von Multiplikatoren be-absichtigt ist;

• die Herstellung von Nachhaltigkeit solcher gesundheitsförderlicher Praxis und die Umsetzung eines Setting-Ansatzes sind akzeptierte Ziele, deren Realisierung offenbar noch in den Kinderschuhen steckt; und schließlich

• ist eine Prozess- einer Ergebnisevaluation vorzuziehen; die Einrichtung ei-nes Qualitätszirkels hat sich hier als geeignete Methode erwiesen.

Mit einigem zeitlichen Abstand bleibt aus Sicht des Moderators festzuhal-ten, dass in diesem Workshop die Partizipationsmöglichkeiten für die Jugend-lichen selbst und die gezielte Förderung von sozial benachteiligten Schüler-gruppen kaum und überdies zu wenig konkret zum Thema wurden. Die Ver-mutung liegt nahe, dass dieser Sachverhalt nicht nur der begrenzten Zeit und der Zusammensetzung der Teilnehmergruppe geschuldet ist, sondern auch der Realität eines noch erheblichen Entwicklungsbedarfs in diesem Praxisfeld entspricht. In der Diskussion der verschiedenen Beispiele wurde zudem deut-lich, dass die Lehrer oder Gesundheitsförderer vor allen Dingen das anbieten, was sie selbst als gesundheitsförderlich betrachten. Inwieweit diese Themen als anschlussfähig an Jugendkultur, an spezifisches Lebensgefühl, an Lebens-situation und Schlüsselthemen der Jugendlichen sich erweisen bzw. wie durch stärkere Partizipation der Adressaten von Beginn an hier Anschluss hergestellt werden kann, hätte sicherlich noch einer breiteren Diskussion bedurft; nicht zuletzt vor dem beschriebenen Problem eines oft geringen Bezuges vieler Leh-rer zu den verschiedenen Lebenswelten gerade von sozial benachteiligten Ju-

gendlichen. Selbst wenn die verschiedenen beschriebenen Initiativen von Ge-sundheitspraxis in Haupt- oder Förderschule einen gelungenen Einstieg mar-kieren, so blieb im Workshop weitgehend noch unbeleuchtet, wie genau hier was an gesundheitlicher Ungleichheit bei welchen Jugendlichen kompensiert oder reduziert werden kann. Diese Fragen aufzunehmen und zu klären, kann sicherlich auch eine bedeutsame Aufgabe für die in einem Qualitätszirkel von Interessenten anzubahnende Vernetzung von Aktivitäten sein.

141

Gesundheitsförderung in Schulen

Christina Krause

Was soll/will Gesundheitsförderung?

In der Ottawa Charta der WHO von 1986 wurden in Weiterentwicklung des neuen Verständnisses von Gesundheit Ziele für die Gesundheitsförderung vorgegeben. Wenn Gesundheit als fundamentales Menschenrecht verstanden wird, dann müssen bestimmte Grundvoraussetzungen für jeden Menschen der Erde gewährleistet sein. Dazu gehören Frieden, Nahrung, Wohnung und ein stabiles Ökosystem. Darauf aufbauend können Maßnahmen zur Gesund-heitsförderung entwickelt werden.

„Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höhe-res Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie dadurch zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen“ (Ottawa Charta 1986). Maßnahmen zur Gesundheitsförderung sind:• Entwicklung einer gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik• Schaffung förderlicher Lebenswelten• Entwicklung und Stärkung individueller Kompetenzen• Unterstützung gesundheitsbezogener Gemeinschaftsaktionen• Neuorientierung der Gesundheitsdienste.

Gesundheitsförderung hat das Ziel, allen Menschen Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohl-

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2. Workshop

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Christina Krause

befinden zu erlangen, ist es notwendig, dass jeder Mensch seine Bedürfnisse befriedigen, Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen so-wie die Umwelt meistern bzw. verändern kann.

Um die Gesundheit erhalten und stärken zu können, sind sowohl die oben genannten gesellschaftlich garantierten Grundvoraussetzungen als auch die durch Erziehung geförderten individuellen Fähigkeiten notwendig. Die WHO hat diese 1993 als „Life Skills“ (Alltagskompetenzen und -fähigkeiten) beschrieben. Zu den Life Skills gehören zum Beispiel Entscheidungs- und Problemlösefähigkeit, Selbstbewusstheit und Selbstwert, Emotionsregulie-rung und kommunikative Fähigkeiten. Es sind Voraussetzungen, die für die Förderung des Wohlbefindens hilfreich sein können. Selbstbestimmtes Han-deln ermöglicht den Menschen eine bessere Kontrolle über eigene Entschei-dungen, die ihre Gesundheit beeinflussen.

Die von der WHO benannten Lebensfertigkeiten wurden in der Folge weiter erforscht und konkretisiert. Die Resilienzforschung hat Schutzfaktoren gefun-den, Antonovsky (1997) spricht von generalisierten Widerstandsfaktoren bzw. Gesundheitsfaktoren, wobei das Adjektiv generalisiert bedeutet, dass Wider-standsressourcen in unterschiedlichen Situationen eingesetzt werden können. Antonovsky wollte mit dem Begriff ausdrücken, dass dem Menschen Ressour-cen zur Verfügung stehen, die seine Fähigkeit, den Belastungen seines Lebens zu widerstehen, erhöhen. Die generalisierten Widerstandsressourcen bezie-hen sich bei Antonovsky vor allem auf die Merkmale im Umgang mit Stresso-ren, deren Bewertung und Bewältigung. Das Selbstwertgefühl zum Beispiel, das solch eine generalisierte Widerstandsressource ist, kann bei einem Miss-erfolg helfen, ihn selbstwertdienlich zu bewerten, die Aufgabe noch einmal zu wagen und nicht zu resignieren. Die Widerstandsressourcen nehmen einer-seits Einfluss auf die Entstehung grundlegender Lebenseinstellungen, die das Kohärenzgefühl bestimmen, andererseits wirken sie als Potenzial, welches in Stresssituationen aktiviert werden kann. Es handelt sich um Ressourcen, die eine erfolgreiche Stressbewältigung ermöglichen und damit einen Einfluss auf die Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit ausüben.

Gesundheitsförderung hat im Kindes- und Jugendalter eine besondere Be-deutung und sollte als zentrale Aufgabe der Bildungsinstitutionen angenom-men und realisiert werden. In den 1990er Jahren führte diese Erkenntnis dazu, dass eine Reihe von Programmen zur Gesundheitsförderung entwickelt wurde. Damit verbunden war die Hoffnung, dass dieser neue Ansatz – in Er-gänzung zu den bis dahin üblichen Präventionsmaßnahmen – zu nachhaltigen Effekten führen könnte, dass also zum Beispiel die Förderung von Life Skills bzw. Widerstandsressourcen die Heranwachsenden vor gesundheitsschädli-chen Verhaltensweisen schützen könnte, dass sie als Schutzfaktoren wirken und damit sozusagen wie ein Puffer zwischen den Belastungen und deren Be-wältigung zur Geltung kommen.

Wie gelingt Gesundheitsförderung?

Die Herausbildung von gesundheitsförderlichem Verhalten kann nicht früh genug beginnen, denn grundlegende Einstellungen und Gewohnheiten entstehen in den ersten Lebensjahren und sind oft verantwortlich für späte-re Gesundheitsprobleme, wie zum Beispiel Sucht und Übergewicht. Zu den Zielen der Gesundheitserziehung im Kindes- und Jugendalter gehört, dass die Heranwachsenden lernen, ihre eigene Gesundheit zu erhalten und zu fördern. Schwerpunktmäßig geht es dabei um folgende Inhalte:• Erziehung zur regelmäßigen Körperpf lege und Sauberkeit,• Entwicklung eines gesunden Ernährungsverhaltens,• Erhaltung und Förderung der Freude an Bewegung, • Erziehung zum Engagement für eine gesunde Umwelt,• Befähigung zum Umgang mit den alltäglichen Stressoren,→ Entwicklung von Widerstandsfähigkeit und Stärkung der Gesundheits-

faktoren→ Herausbildung eines starken Kohärenzgefühls.

Wenn jedoch die Grundvoraussetzungen, wie zum Beispiel Nahrung, Woh-nung und ökonomische Sicherheit nicht gegeben sind und Kinder unter sehr

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2. Workshop

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Christina Krause

ungleichen Lebensbedingungen aufwachsen, wirkt sich das auf die Gesund-heit und auf das Wohlbefinden von Heranwachsenden langfristig aus, ihre körperliche, psychische und soziale Entwicklung wird unterschiedlich verlau-fen. Alle verfügbaren Daten zeigen, dass soziale Benachteiligung und Armut – besonders, wenn sie Heranwachsende mit Migrationshintergrund betreffen – mit gesundheitlichen Belastungen verbunden sind.

Die erste große, bundesweit angelegte Untersuchung zur Kindergesundheit (KiGGS) des Robert-Koch-Instituts dokumentiert erstmals repräsentativ den Gesundheitszustand der deutschen Kinder und Jugendlichen (Ravens-Sie-berer/Ellert/Erhart 2007). Danach steht einem Rückgang von akuten soma-tischen Krankheiten ein deutlicher Anstieg chronischer Erkrankungen und psychischer Störungen gegenüber. Die Untersuchung zeigte, dass sich soziale Benachteiligung stark auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aus-wirkt. Die Forscher des Robert-Koch-Instituts unterstreichen die große Be-deutung von Selbstwertgefühl, Eigenaktivität, Verantwortungsgefühl, Kon-flikt- und Genussfähigkeit für ein gesundes Aufwachsen. Diese Fähigkeiten müssen gezielt gefördert werden.

Die Ergebnisse aller bisherigen PISA-Studien zeigen:• Deutschland ist im internationalen Vergleich das Schlusslicht bei der Inte-

gration von Migrantenkindern. Bei gleich guten Leistungen erhalten Kin-der mit einer niedrigen sozialen Herkunft seltener eine Empfehlung fürs Gymnasium.

• Migrantenkinder der zweiten Generation liegen in ihrer kognitiven Ent-wicklung hinter ihren Mitschülern und Mitschülerinnen rund zwei Jahre zurück.

• Es existiert keine geregelte Vorschulbildung, was sich als nachteilig beson-ders für Kinder aus sozialen Problemlagen und mit Migrationshintergrund erweist.

Gesundheitsförderung in der Schule kann nicht wie eine Arznei die Bil-dungsungerechtigkeit im deutschen Schulwesen beseitigen. Und sie kann auch nicht die Misere, in der sich die Lehrer und Lehrerinnen täglich befinden –

ganz zu schweigen von den Erzieherinnen, deren Arbeit erst in der letzten Zeit ansatzweise an Bedeutung und Akzeptanz gewonnen hat –, verringern bzw. beseitigen. Joachim Bauer meint, dass Schulen scheitern, weil „sie als Orte des Grauens erlebt werden, denen man, kaum hat man sie morgens gezwungener-maßen betreten, so schnell es geht wieder entkommen möchte.“ (Bauer 2008, S. 12). Schule ist sowohl für Schüler und Schülerinnen als auch für ihre Lehrer- innen und Lehrer kein gesundheitsförderlicher Lebensort.

Unter den gegenwärtigen Bedingungen erweist sich schulische Gesund-heitsförderung wie ein Versuch, gegen die Wand zu laufen. Unsere jahrelan-gen Erfahrungen bei der Unterstützung von Gesundheitsförderung in Schu-len und Kindergärten haben das bestätigt.

Einige Ergebnisse aus der Evaluation des Gesundheitsför-

derprogramms „Selbstwert stärken – Gesundheit fördern“ in

Grundschulen

Die Abbildung 1 zeigt ein Ergebnis aus der Evaluation des von uns initiier-ten Projektes zur Implementation und Evaluation eines Gesundheitsförder-programms. Über alle vier Grundschuljahre hinweg wurde das Programm „Selbstwert stärken – Gesundheit fördern“ in 35 Schulklassen kontinuierlich durchgeführt (vgl. Krause 2008). Zu Beginn des ersten Schuljahres und da-nach regelmäßig am Ende des Schuljahres wurde ein Instrument zur Messung der Befindlichkeit der Schüler eingesetzt. Die Abbildung zeigt die Aussagen auf die Frage „Wie fühlst Du dich meistens?“. Die Kinder konnten zwischen den Aussagen „fröhlich“, „traurig“, „müde“, durcheinander“, „wütend“ „ängst-lich“ wählen. In allen beteiligten Schulen der Göttinger Population2 war die Ausgangssituation sehr ähnlich. Betrachtet man die Entwicklung über die Grundschulzeit, dann fällt auf, dass im dritten Schuljahr die meisten Kinder weniger glücklich sind und dass am Ende des Projektes die Ergebnisse sehr unterschiedlich ausfallen.

2 Das Projekt wurde außerdem in 5 Schulen in Dortmund durchgeführt.

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2. Workshop

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Christina Krause

Obwohl insgesamt eine Verbesserung des Wohlbefindens der Kinder in den am Projekt beteiligten Klassen zu verzeichnen war und die Versuchsklassen sich signifikant von den Kontrollklassen unterschieden, traf dies nicht für alle Schulklassen zu. In der Schule „L“ zum Beispiel waren am Schulanfang 80% der Kinder glücklich, am Ende des zweiten und dritten Schuljahres nur noch 71% und am Ende der Grundschulzeit 78%. Das war das eigentlich bedeutsa-me Ergebnis, weil es auch zeigt, dass der statistische Nachweis der Wirksam-keit des Programms nur in einigen Schulklassen möglich war. Die Ergebnis-evaluation in Feldexperimenten, die häufig in der üblichen Weise (Versuchs- und Kontrollgruppe und Einsatz von Messinstrumenten) durchgeführt wird, kann zwar häufig eine positive Veränderung auf Grund einer Maßnahme be-stätigen, sagt aber wenig über die tatsächlichen Veränderungen in den Popu-lationen aus.

Die unterschiedlichen Ergebnisse in dem hier genannten Projekt waren auf der Grundlage der Erfahrungen, die bei der Begleitung des Programms ge-macht wurden, nicht überraschend und sind erklärbar. Das Programm wurde von den Lehrkräften durchgeführt, die von der Forschungsgruppe (vorwie-gend waren es Studierende der Pädagogik) darauf vorbereitet und während der Umsetzung in der Schule auch unterstützt wurden.

Dort, wo die Lehrerin selbst begeistert war, sich mit dem Programm iden-tifizierte, es flexibel und auf die Situation ihrer Kinder angepasst umsetzte, war der Effekt bei den Kindern groß. Der Erfolg jeder pädagogischen Einfluss-nahme – in diesem Fall mit dem Ziel der Gesundheitsförderung – steht und fällt mit der Lehrperson. Deren Beziehung zum Kind, zu ihrer Klasse, zu dem, was sie tut und erreichen will, ist der wichtigste Faktor bei der Wirksamkeit jeglicher Maßnahmen.

Ein Blick auf die Abbildung zeigt außerdem, dass zum Untersuchungszeit-punkt t4 eine deutliche Verschlechterung des Wohlbefindens eingetreten war. Am Ende des dritten Schuljahres gab es erstmals Zensuren. Der damit ver-bundene Stress, das Erleben von Misserfolg oder Unbehagen, hatte unmittel-bare Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Kinder. Trotz der inzwischen systematisch erfolgten Arbeit an der Stärkung des Selbstwertgefühls, ist die Wirkung dieser Bewertung in Form der Zensuren (schwarz auf weiß in den

Abb. 1: Meistens fühle ich mich frohDie Glücklichen

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Zeugnissen) so stark, dass die positiven Effekte der Gesundheitsförderung verloren zu gehen scheinen. Nur in der Schule „H“ gelang es der Lehrerin, das Wohlbefinden der Kinder zu erhalten.

In der Abbildung 2 ist die Entwicklung der Häufigkeit jener Antworten, die eine eher bedenkliche Befindlichkeit der Grundschüler/innen ausdrücken, gezeigt. Am häufigsten bezeichneten sich die Kinder als „müde“ und „durch-einander“.

Unter den Nicht-Glücklichen sind vor allem jene Kinder, die am Ende ihrer Grundschulzeit die diskriminierende Entscheidung, zur Hauptschule zu müs-sen oder auch die Entscheidung, nicht das Gymnasium besuchen zu dürfen, erhalten hatten. Am Ende des 4. Schuljahres, als die Kinder schon wussten, welchen Schulweg sie nach der 4. Klasse gehen dürfen, wurden sie noch ein-mal befragt (Walczyk 2009).

Die beiden Abbildungen machen die Misere, in der sich Kinder mit Mig-rationshintergrund befinden, deutlich. Zum einen wird die Empfehlung der Schule für die Hauptschule nur von der Hälfte der Eltern realisiert, was die dis-kriminierende Bedeutung, die dieser Schultyp in unserem Lande inzwischen hat, belegt. Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund jedoch werden sogar häufiger in die Hauptschule geschickt als empfohlen wurde. Jene Kin-der, die schließlich zur Hauptschule wechseln, stammen zu 76,5% aus Migra-tionsfamilien. Die Abbildung 5 verdeutlicht die Auswirkungen dieser diskri-minierenden Maßnahmen auf das Wohlbefinden der Kinder. Bemerkenswert dabei ist, dass über die Hälfte aller Kinder angaben, „erschöpft“ zu sein. Sie haben die Schulwegentscheidungen und alle damit verbundenen Stresssitu-ationen als hohe Belastung erlebt. Am meisten erschöpft waren jene Kinder, die zur Realschule wechseln mussten. Wahrscheinlich haben sie den „Kampf “ ums Gymnasium besonders hautnah gespürt und mussten dann doch kapitu-lieren. Es gerade so nicht geschafft zu haben – das ist sicherlich eine Niederla-ge, ein Versagen, unter dem das Kind (und meist die ganze Familie) besonders leiden. Der hohe Wert für „ich konnte nicht schlafen“ (48,6%) bestätigt diese Hypothese ebenfalls. Wer am Schluss eines Wettkampfes auf dem 2. Platz lan-det und den 1. Platz verfehlt hat, leidet darunter wesentlich mehr als derjenige, der auf dem 3. Podest steht. Denn für den Drittplazierten bedeutet es, dabei zu

Abb.3: Schulwege nach Schulempfehlung und Entscheidung der Eltern

Schultyp Empfehlung Entscheidung

Gymnasium 51,0 45,9

Realschule 32,8 27,8

Gesamtschule keine 17,7

Hauptschule 16,2 8,1

Waldorfschule keine 0,5

210 Schüler/innen, Angaben in Prozent

Abb.4: Empfehlung und Entscheidung für Hauptschule bzw. Gymnasium in Abhängigkeit vom Migrationshintergrund

Kinder mit Migrationshintergrund

Kinder ohne Migrationshintergrund

Hauptschule Gymnasium Hauptschule Gymnasium

Empfehlung 61,8 14,0 32,2 86,0

Entscheidung 76,5 18,8 23,5 81,2

210 Schüler/innen, Angaben in Prozent

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sein, „noch“ dazu zugehören. Für den Hauptschüler schwingt wahrscheinlich sogar noch die Erleichterung mit, die Schule, die so viel Schmerz verursacht hat, verlassen zu dürfen. Die meisten Kinder mit Schulproblemen verbinden mit einem Neuanfang, mit einem Schul- oder Lehrerwechsel die Hoffnung, dass sich ihre Situation verändert, dass sie sich verbessern können, dass sie es endlich „schaffen“ werden.

Anregungen zur Diskussion

Die Frage, ob Gesundheitsförderung in Schulen sinnvoll ist, kann sicherlich eindeutig mit “ja“ beantwortet werden. Präventionsprogramme hatten in den meisten Fällen keine nachhaltige Wirkung gebracht. Kinder und Jugendliche, die zum Beispiel an Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung des frühen Rauchens teilnahmen, rauchten danach nicht weniger als jene, die daran nicht teilgenommen hatten (vgl. z. B. Petersen/Kealey et al. 2000). Mit dem Be-kanntwerden neuer Konzepte von Gesundheit (Salutogenese-, Resilienz- und Empowermentansätze) und der Schwerpunktverlagerung auf mental health verlagerte sich die Arbeit auf Gesundheitsförderung mit den Überlegungen zur Frage, welche Schutz- bzw. Gesundheitsfaktoren gefördert werden sollten.

Aber auch Gesundheitsförderung scheint nicht den gewünschten Effekt zu bringen. Die Bemühungen sind zwar vielfältig, viele engagierte Menschen, Verbände, freie Träger u.a. bemühen sich um die Gesundheit der Heranwach-senden. Was müsste getan werden, um die Gesundheit unserer Kinder erhal-ten und fördern zu können? Sind die mit Gesundheitsförderung verbundenen Ziele in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Strukturen überhaupt möglich? Mangelnde Chancengleichheit wird als ungerecht empfunden und kann nicht nur den sozialen Frieden gefährden, sondern hat auch Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Die von der gegenwärtigen Regierung geplante „Ge-sundheitsreform“ würde diesen sozialen Frieden noch mehr gefährden. Das immer wieder von den Politikern und einem Teil unserer Bevölkerung vertei-digte gegliederte Schulsystem zementiert die ungleichen Entwicklungschan-cen von Heranwachsenden bereits in der Kindheit und macht Kinder krank

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2. Workshop

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Christina Krause

(vgl. Abbildung 5). Ängste, Depressionen, aggressives Verhalten, Gewalt und Drogeneinnahme – das sind einige der Folgeerscheinungen, deren Zunahme auch im UNICEF-Bericht 2008 konstatiert wird (Bertram 2008). Nach der dritten PISA-Studie im Jahre 2006 stellte das Bundesministerium für Bildung fest, dass in keinem anderen Industriestaat die sozio-ökonomische Herkunft so sehr über den Schulerfolg und die Bildungschancen entscheidet wie in Deutschland.

Lehrer und Lehrerinnen sind selbst einem immanenten Stress ausgesetzt. Sie wurden verantwortlich gemacht für das schlechte Abschneiden bei den PISA-Studien und in der Folge einem Kontrollsystem unterworfen, das zwar viel Aufwand für alle Beteiligten bringt, aber die Situation im Bildungssys-tem keinesfalls verbessert. In einigen Gymnasien setzen sich Eltern auf die Schulbank, um den Stoff zu lernen, den sie zu Hause mit ihren Kindern üben müssen (ZDF, Frontal, Sendung v. 20.4.2010). Denn ohne die Unterstützung im Elternhaus „schaffen unsere Kinder den Stoff nicht“, sagte eine Mutter in dieser Sendung. Ist das der Weg zu besserer Gesundheit? Für Kinder bedeutet das, dass der Schulstress sich im Elternhaus fortsetzt, und damit auch die Fa-milie zum „Ort des Grauens“ werden kann. Eltern aus sozial benachteiligten Schichten werden sich kaum an diesem „Elternunterricht“ beteiligen, womit die Benachteiligung ihrer Kinder weiter gefestigt wird.

Ein letzter Gedanke und Diskussionsimpuls betrifft die finanzielle Unter-stützung von Gesundheitsförderung oder auch die Schaffung gesundheits-förderlicher Lebensbedingungen. Was ist das für ein Land, das nicht einmal garantiert, dass alle Kinder in Schulen und Kindergärten ein warmes Mittag-essen erhalten? Viele Kinder sind von morgens 7 Uhr bis nachmittags 16 Uhr (es sind nicht Kinder aus Ganztagsschulen gemeint) unterwegs. Wie soll Er-ziehung zum Hygieneverhalten funktionieren, wenn die Schulen verschmutzt sind und die Toiletten eigentlich gesperrt werden müssten? Warum sind Mil-liarden für Banken sofort verfügbar, wenn staatliche Bildungseinrichtungen nicht die grundlegendsten Bedingungen für gesundes Aufwachsen garantie-ren können? Kann Gesundheitsförderung unter diesen Bedingungen funkti-onieren?

Literatur

Antonovsky, A. (1997): Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: Dvgt-Verlag. Bauer, J. (2008): Lob der Schule. 5. Auflage, Hamburg: Hoffmann und Campe.Bertram, H. (Hrsg.) (2008): Mittelmaß für Kinder. Der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in

Deutschland. München: Verlag C.H. Beck.Krause, Ch. (2008): Was Kinder stark macht – ein Settingansatz von Gesundheitsförderung in Schu-

le und Kindergarten. Der Mensch. Zeitschrift für Salutogenese und anthropologische Medizin, 39, I: 37–43.

Petersen, A. K./Kealey et al. (2000): Hutchinson smoking prevention project: long-termed randomized trial in school-based tobacco use prevention-results on smoking. J Nat Cancer Inst 92(24); 1979–91.

Ravens-Sieberer, U./Ellert, U./Erhart, M. (2007): Gesundheitsbezogene Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. In Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz, 5/6, Springer Medizin Verlag: 810–818.

Walczyk, J. (2009): Der Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe. Studie zur subjektiven Befind-lichkeit von Grundschulkindern unmittelbar vor dem Wechsel in die weiterführenden Schulen. Unver-öff. Magisterarbeit. Sozialwissenschaftliche Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen.

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3. Workshop:

Gesunder Start ins Arbeitsleben

Moderation und Berichterstattung:

Ottomar Bahrs

Der dritte Workshop diskutierte zum Thema Gesundheitsförderung im Übergang Schule – Beruf unter der Idee „Gesunder Start in das Arbeitsleben“. Die insgesamt 20 Teilnehmenden brachten überwiegend Erfahrungen aus der institutionellen Arbeit mit Jugendlichen (Arbeitsamt, Jugendgerichtspflege, Justizvollzug) oder der Freien Jugendarbeit mit sozial benachteiligten Jugend-lichen ein, die aus der Perspektive von Vertretern aus anderen Bereichen der Gesundheitsförderung, der Wissenschaft und der Presse ergänzt wurden. Ziel war es, die folgenden Fragen zu klären:• Wie kann Gesundheitsförderung für sozial benachteiligte Jugendliche

beim Übergang in den Beruf – als zentraler Schaltstelle von Lebenschan-cen – sozialkompensatorisch wirken?

• Wer kann Träger von entsprechenden Gesundheitsförderungsangeboten sein?

• Welche Erfahrungen liegen in diesem Bereich bereits vor?• Welche institutionellen, personellen und ggf. sonstigen Bedingungen

braucht es für eine erfolgreiche Umsetzung entsprechender Maßnahmen?

Im Anschluss an eine kurze Vorstellungsrunde stellte Prof. Dr. Andreas Han-ses (TU Dresden) Erfahrungen aus der wissenschaftlichen Begleitung zum

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3. Workshop - Bericht

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Ottomar Bahrs

Projekt „BodyGuard“ des Internationalen Bundes vor (Hanses 2010). In der folgenden Diskussion wurden seine aus dem Projekt abgeleiteten Thesen mit Erfahrungen der Teilnehmenden abgeglichen und zum Abschluss der einein-halbstündigen Veranstaltung zusammenfassend ein Anforderungsprofil für gesundheitsförderliche Praxis skizziert.

Die zentrale These des Impulsvortrags von Prof. Hanses lautete: Die Un-terstützung von sozial benachteiligten Jugendlichen ist als umfassender Bil-dungsprozess zu gestalten. Die jeweilige Maßnahme muss biographisch an-schlussfähig sein, d.h. vom Jugendlichen als individuell bedeutsam erlebt wer-den, und soziales Lernen muss im Vordergrund stehen, weil in diesem Bereich bei den Jugendlich ein großes Entwicklungspotential besteht und sie unab-hängig davon profitieren, ob eine Vermittlung in den Beruf gelingt oder nicht. Sozial benachteiligte Jugendliche brauchen verbindliche Angebote – verbind-liche Orte, zuverlässige Ansprechpartner und Regeln, die auch eingeklagt und umgesetzt werden. Es kommt darauf an, einen sozialen Erfahrungsprozess zu organisieren, in dem positive Gruppenerlebnisse („Wir-Gefühl“) gemacht werden können. Dadurch werden den Jugendlichen, die in der Regel immer erneut verohnmächtigt worden sind, exemplarisch kontrastierende Erfahrun-gen ermöglicht, die ihnen zeigen, dass auch Anderes möglich ist. Dies ist ih-nen dann, wie beschränkt auch immer die Maßnahme sein mag, nicht mehr zu nehmen.

Der Impulsvortrag regte zu einer lebhaften Diskussion an, die hier unter den Stichworten Ergebnisorientierung, Empowerment, Erreichbarkeit der Ziel-gruppe, Nachhaltigkeit, Verhältnis von neuen Initiativen und bestehenden Angeboten sowie Unterstützungsbedarf bei den Anbietenden referiert wird.

Prof. Hanses These, die Suche nach Effekten sei mit Bezug auf gesundheits-förderliche Angebote tendenziell kontraproduktiv, stieß auf ein geteiltes Echo. Einige Teilnehmer hatten die Erfahrung gemacht, dass der Hinweis auf lang-fristig – vermutlich – nachweisbare betriebs- und volkswirtschaftliche Vor-teile bei der Acquisition von Projektmitteln hilfreich und in der Außendar-stellung wirksam sein kann. Andere erlebten die Frage nach kurzfristigen Er-folgen eher als Gefahr. Die Nachhaltigkeit von Verhaltensänderungen durch Gesundheitsförderungsprojekte sei insbesondere bei der Gruppe der sozial

benachteiligten Jugendlichen erwartbar begrenzt, wenn die umgebenden Strukturen nicht beeinflusst werden könnten. Hier sei ein anderes Denken erforderlich. Eine Arbeitsberaterin fasste zusammen:

„Die Ergebnisorientierung finde ich sehr problematisch. Jeder, der in einem Projekt arbeitet, weiß, wie viele Daten und Zahlen man erheben muss und wie die Ergebnisse aussehen müssen. Schule, Arbeit und Ausbildung sind die einzigen Er-gebnisse, die zählen. Die kleinschrittigen Ergebnisse, die man erreicht und die auch wirklich für die Jugendlichen teilweise viel bedeuten – also: Termine einhalten, Morgens früh aufstehen können und solche Dinge –, die werden nirgendwo erho-ben, das zählt nicht, und dass sich daraus nachhaltig längerfristig eine Struktur entwickeln kann, wird überhaupt nicht gesehen und nicht gewürdigt.“

Die Professionellen reagieren auf diese Situation mit einer Art doppelter Buchführung. Wenn ein Jugendlicher, der selten vor 13 Uhr aufgestanden sei, es schafft, regelmäßig zu kommen, dann ist dies ein Erfolg, auf den beide Be-teiligten auch stolz sein können. „Das ist sozusagen die Vermittlungsquote für uns selbst.“ Bevor Fördern und Fordern beginnen können, muss es eine Akti-vierung geben. Dabei ist es wichtig, solche kleinen Erfolgserlebnisse für die Jugendlichen selbst begreifbar zu machen und ihnen die Erfahrung zu ermög-lichen, dass sie wirklich etwas können. Verbindlich erreichbare soziale Orte – wie in diesem Fall die Arbeitsberatung – können einen wichtigen Rahmen geben, wenn sie das Gefühl vermitteln, dass man dort hinkommen kann und als Person angenommen wird. Oft stehen dem aber institutionelle Hindernis-se entgegen:

„Die Selbstverortung ist total wichtig für die psychische Gesundheit, wird aber vom Gesetzgeber für die besonders benachteiligte Gruppe von Jugendlichen gar nicht vorgesehen. Die Hartz-IV-Empfänger haben gar nicht die Möglichkeit, sich selbst zu verorten oder selbst zu entscheiden. Das System ist so repressiv geworden – hier in Göttingen ist das noch relativ human, aber in anderen Gegenden kriegen die Jugendlichen, sobald sie sich anmelden, drei Angebote, da ist vielleicht das Passende nicht dabei. Sie müssen sich aber trotzdem entscheiden, sonst kriegen sie eben kein

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Geld mehr. Die als nicht vermittelbar geltenden Jugendlichen werden im Grunde genommen oft abgeschoben, weil sie halt nicht in die Statistik passen oder aus der Statistik raus sollen. Als Arbeitende im Sozialen System kann ich auch nicht begrei-fen, dass nicht anerkannt wird, dass es diese Möglichkeit zur Selbstverortung geben muss.“ (Arbeitsberaterin)

Neben „verbindlichen Orten“ sind auch verbindliche Personen3 bedeutsam, die als Vorbilder wirken und mit denen sich die Jugendlichen auseinander setzen können. Ihnen kommt die wichtige Aufgabe zu, Gruppenprozesse zu organisieren, in denen die Jugendlichen Vertrauen entwickeln können. Denn zu vertrauen fällt diesen Jugendlichen, so die Projekterfahrungen der Teilneh-menden, sehr schwer, weil sie im Leben oft „verarscht worden seien“. Es sei aber beeindruckend zu sehen, wie glücklich dieselben Jugendlichen sein konnten, wenn sie spielerisch die Erfahrung machten, dass zumindest momentweise Vertraut-Werden und Vertrauen-Dürfen möglich sind. Exemplarisches Ler-nen zeitigt so wichtige Kontrasterfahrungen. Die solcherart initiierten Ent-wicklungsprozesse benötigen Zeit, die aufgrund der häufig projektförmig organisierten Angebote nur begrenzt zur Verfügung steht. Die Flüchtigkeit stellt dabei sowohl für die Professionellen (befristete Arbeitsverträge) wie für die Jugendlichen (befristete Maßnahme) ein Problem dar. Uwe Wolf ver-deutlichte die Schwierigkeit an einem Beispiel aus dem SPRINT-Angebot in der Beschäftigungsförderung, in dem der Gruppenprozess aufgrund von Teil-nehmerwechseln immer wieder gestört wurde (Hilgendorf u. Wolf 2010). Ein Stück weit teilen die Professionellen also die Ohnmachtserfahrungen ihrer Klientel. In der Diskussion wurde allerdings auch hervorgehoben, dass es we-niger auf die zeitliche Dauer als auf die Intensität der Prozesse ankomme. Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen im Rehabilitationsbereich formulierte eine freischaffende Gesundheitsförderin, dass man auch in sehr kurzen Zeit-

3 In der Diskussion bestand Einigkeit darüber, dass Verbindlichkeit mutmaßlich entscheidend über signifikante An-dere – wie z.B. Betreuer – vermittelt wird. Allerdings wies Prof. Hanses darauf hin, dass in den Interviews zum BodyGuard-Projekt der Erzählstruktur zufolge Personen eine geringere Bedeutung zugemessen werde als sozialen Orten.

räumen „sehr viel Gesundheit auf den Weg bringen kann“. Entscheidend sei, dass eine Umorientierung ermöglicht werde, wofür die klare Präsenz einer Bezugs-person und Beteiligungsmöglichkeiten der Teilnehmer erforderlich seien.

Damit soziales Lernen in der Gruppe stattfinden kann, muss die Zielgruppe erreicht und motiviert werden. Dabei sind zwei zentrale Probleme zu lösen. Zunächst gilt es, den Bezug zur Lebenswelt der Jugendlichen herzustellen und dort die Gesundheitsangebote zu machen. Insofern ist es konsequent, dass das BodyGuard-Projekt die gesundheitsfördernden Initiativen in die Arbeitsför-derungsmaßnahmen integriert und auch SPRINT mit dem offenen Jugend-vollzug einen settingbezogenen Ansatz gewählt hat. Ein weiteres Problem besteht darin, die Jugendlichen einzeln für die Beteiligung an einer Gruppen-maßnahme zu gewinnen, bei der auch Ängste vor sozialem Druck der Gruppe evoziert werden. Eine Mitarbeiterin von ProActiv berichtete, dass einige er-lebnispädagogische Maßnahmen nicht zustande gekommen waren, obgleich sie aufgrund von expliziten Klientenwünschen geplant wurden. Sicher ist zu bedenken, dass die Wünsche nicht sofort in Angebote umsetzbar waren und der unvermeidliche Zeitverzug ein Hindernis dargestellt haben kann. Doch brachte die Äußerung der Mitarbeiterin darüber hinaus auch Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass die im Einzelgespräch geäußerten Wünsche aus Sicht der Jugendlichen offenbar nur begrenzt verbindlich waren. Ein Sich-Einlassen zu ermöglichen aber wäre gerade der Sinn der Maßnahme gewesen. Auf ein ähnliches Problem machte der Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe aufmerksam. Er hob die gute Zusammenarbeit mit Sportvereinen hervor, in denen straffällig gewordene Jugendliche ihre Sozialstunden ableisten können. Seiner Erfahrung nach wird es aber zunehmend schwieriger, die Jugendlichen in Sportvereine zu vermitteln, weil viele den Fitness-Club vorziehen. Dieser ermöglicht zwar auch größere Fitness sowie ein Treffen mit Kumpels und ist in gewisser Weise sicher auch gesundheitsförderlich, aber er zeichnet sich durch Unverbindlichkeit aus und steht insofern der gruppenbezogenen Päd-agogik entgegen. Diese Vereinzelung wurde in der Diskussion in Verbindung mit der von Prof. Geene angesprochenen Benachteiligungsspirale (Geene 2010) gebracht und als Versuch interpretiert, sich beschämenden Situationen in Gruppen zu entziehen. Hier gelte es, an das gleichwohl auch bestehende

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Bedürfnis nach Verbindlichkeit und Gemeinschaftlichkeit anzuknüpfen. Dies gelinge den Jugendlichen aber kaum aus eigener Kraft, so dass Multiplikato-ren (Professionelle, Ehrenamtliche, Peers) in besonderer Weise gefordert sei-en. In der Konsequenz wurde angeregt, Jugendliche dort zu erreichen, wo sie sich gruppenförmig organisieren (z.B. im Stadtteil oder in der Schule). Auch sei zu überlegen, ob die Einzelberatung um Gruppenangebote ergänzt werden könnte, die im Hinblick auf die Maßnahme vermutlich mit größerer Verbind-lichkeit einher gehe.

Der Hinweis auf die Sportvereine zeigte, dass es bereits eine Reihe von Akti-vitäten gibt, die mit einer auf Gesundheitsförderung bezogenen Orientierung erfolgen – möglicherweise allerdings unter einem anderen Label. Die unter-schiedlichen Angebote sind nicht gegeneinander auszuspielen, sondern es gilt, Bezüge herzustellen. Allerdings sind selbst den Anbietern die bereits beste-henden Angebote wechselseitig nicht ausreichend bekannt, hier bietet es sich an, durch Vernetzung gegenzusteuern.

Gesundheitsförderung beim Übergang von Schule und Arbeitswelt kann in jedem Bereich – Arbeit, Schule, Stadtteil, Freizeit – ansetzen. Gemeinsam zu reflektieren sind die jeweiligen Grenzen des Angebots. So steht z.B. der Wert der Jugendarbeit in Sportvereinen völlig außer Frage, allerdings wird auf-grund der starken Leistungsorientierung über den Sport ein Teil der Zielgrup-pe nicht erreicht. Ein ähnliches Problem besteht bei der beruflichen Bildung, ist doch allen Beteiligten unausgesprochen klar, dass die angezielte berufli-che Eingliederung für die meisten Jugendlichen schon aufgrund der Arbeits-marktlage nicht erreichbar ist. Entscheidend ist daher, der Zielorientierung gleichberechtigt eine Entwicklungsperspektive an die Seite zu stellen. Das Gewinnen neuer Impulse wird selbst ein Ziel und der dahin führende Prozess ggf. wichtiger als das Ergebnis.

Die auf Gesundheitsförderung zielenden Angebote sind so verschieden wie die Anbietenden selbst. Eine Gemeinsamkeit scheint in der hohen Bedeutung des Engagements der Anbietenden zu bestehen. In der Diskussion schien es, als ob die Professionellen den Jugendlichen häufig jeweils das anbieten, was sie selbst für der Gesundheit dienlich halten. Michael Balint hat diese Figur im ärztlichen Bereich bereits in den 1950er Jahren beobachtet und als „apostoli-

sche Funktion“ bezeichnet (Balint 1980). Das Sendungsbewusstsein scheint dabei einen Teil der Wirksamkeit auszumachen, doch sollte darüber nicht der Bezug zum Bedarf der Adressaten vergessen werden. Für die Nachhaltigkeit der Wirkung sei die Beteiligungsmöglichkeit der Jugendlichen entscheidend. Bezogen auf das von Prof. Hanses vorgestellte Marathonlaufprojekt ist z.B. vorstellbar, dass Anbieter und Jugendliche gemeinsam klären, wie und wann trainieren werden soll, woher man Sponsoren bekommen kann, wie diese an-gesprochen werden sollen und wer die Aufgabe übernimmt.

Eine Teilnehmerin entwickelte schließlich die Perspektive, dass vor dem Hintergrund der stets begrenzten Projektförderungen die Eigendynamik der Projekte selbst vorangetrieben werden muss und – wie z.B. im SPRINT be-gleitenden Qualitätszirkel – die Professionellen ihre eigene Haltung gegen-über der Gesundheitsförderung weiter entwickeln (vgl. Bahrs 2010). Das kann auch außerhalb eines Projektrahmens weiterlaufen. Ziel ist es, unabhängig von der Projektförmigkeit mit den vorhandenen Mitteln wirksam zu werden.4

In Zusammenfassung der Diskussion zeichnet sich das folgende Anforde-rungsprofil für erfolgversprechende gesundheitsförderliche Praxis mit so-zial benachteiligten Jugendlichen ab: • verbindliche Orte, an denen und auf die sich Jugendliche einlassen kön-

nen;• an diesen Orten Personen, die als verbindlich erlebt werden können;• verlässliche Beziehungen;• freiwillige, dann aber verbindliche Teilnahme an den Angeboten;• Angebote mit klaren Regeln, deren Einhaltung von allen Beteiligten ein-

geklagt und durchgesetzt werden kann;• vom Sinn der Angebote überzeugte Personen, die dies überzeugend trans-

portieren können;• förderliche Gruppenatmosphäre;

4 Anders gesagt: im Hinblick auf Effektivität und Effizienz ist es entscheidend, dass die Anbieter als Ansprechpartner und Identifikationsfiguren überzeugend sein können. Weil die Anbieter in diesem Feld aufgrund begrenzter Res-sourcen ständig selbst Ohnmachtserfahrungen machen, benötigen auch sie Unterstützung. Es bedarf einer Investi-tion in die Anbieter und der kontinuierlichen Qualitätsentwicklung.

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• Förderung und Ermöglichung von Partizipation der Jugendlichen;• Ermöglichung von Erfahrungen, die zur erfahrenen Ohnmacht der Ju-

gendlichen kontrastieren;• Förderung der Weiterentwicklung von Entscheidungskompetenzen;• Teilnehmende – Anbieter wie Jugendliche – als aktive Gestalter, die sich

als bedeutsam erfahren können;• Kontinuität der Angebote;• Vernetzung regionaler Angebote zur Abstimmung und wechselseitigen

Unterstützung der Anbietenden;• Investition in Haltungsänderung bei Anbietenden und Jugendlichen: Be-

fähigung zu und Stützung von Beziehungsfähigkeit als zentrale Aufgabe aller Beteiligten

Literatur:

Bahrs O (2010): Vom Projekt zum Netzwerk – Der Qualitätszirkel als partizipatives Instrument in Be-gleitforschung und Qualitätsentwicklung von Gesundheitsförderung; in diesem Band S.85ff

Balint M: Der Arzt, sein Patient und die Krankheit, Klett-Kotta, 5. Auflage Stuttgart 1980Geene R (2010): Desintegration und Teilhabedefizit – Determinanten und Ansätze für familiäre Ar-

mutsbekämpfung und Gesundheitsförderung; in diesem Band S. 31ffHanses A, Sander K. (2010): Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten jungen Menschen in der

beruflichen Bildung – Einblicke aus der Begleitforschung zu dem Modellprojekt BodyGuard des IB: in diesem Band S.163ff

Hilgendorf K, Wolf U (2010): SPRINT – Expertenschaft fördern und nutzen; in diesem Band S. 41ff

Gesundheitsförderung mit sozial

benachteiligten jungen Menschen

in der beruflichen Bildung

Einblicke aus der Begleitforschung zu dem Modellpro-jekt BodyGuard des IB

Andreas Hanses und Kirsten Sander

Die folgende Darstellung bezieht sich auf ein Kooperationsprojekt des In-ternationalen Bundes (IB) und dem Lehrstuhl für Sozialpädagogik mit den Schwerpunkten für Prävention und Gesundheitsförderung an der TU Dres-den (von 04/2007 bis 04/2009). Die Konzeptentwicklung und praktische Durchführung des Gesundheitsförderungsprojekts BodyGuard lagen in Ver-antwortung des IB. Im Laufe des ersten Projektjahrs ist der IB mit der Bitte um wissenschaftliche Begleitung an das Institut für Sozialpädagogik, Sozi-alarbeit und Wohlfahrtswissenschaften der TU Dresden herangetreten. Alle Beteiligten haben mit dem Pilotprojekt in der Praxis wie in der Forschung re-latives Neuland betreten. Darin bestand ein besonderer Reiz und es konnten trotz großer Zeitknappheit und geringer Ressourcen interessante Einsichten gewonnen werden. Die qualitative Begleitforschung verstand sich als Prozess-

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Andreas Hanses & Kirsten Sander

begleitung und versuchte, die gewonnenen Eindrücke im Rahmen von Feed-back-Runden an die Projektdurchführenden zurückzumelden.5 Im Rahmen dieses Beitrags sollen Einblicke in das Projekt, seinen Entstehungshinter-grund sowie in die Arbeit der wissenschaftlichen Begleitung gegeben werden. Darauf aufbauend sollen Perspektiven für Gesundheitsförderung und Präven-tion aus der Sicht der Sozialen Arbeit fokussiert werden.

BodyGuard: Gesundheitsförderung mit Jugendlichen – ein Modellprojekt

Das Projekt ist unter dem Namen „BodyGuard“ vom Internationalen Bund im Jahre 2006 für die Laufzeit von drei Jahren konzeptualisiert worden. Der Internationale Bund ist ein Wohlfahrtsverband, der sich stark in der berufli-chen Bildung engagiert. Er fördert insbesondere sozial benachteiligte Jugend-liche mit geringen schulischen Qualifikationen, um ihnen berufliche Ausbil-dungen und Berufseinmündungen zu ermöglichen. Die Förderprogramme werden vor allem über das Arbeitsamt finanziert.

„BodyGuard“ ist als Modellprojekt sowohl von der Leitung des IB als auch auf Initiative der an den bestehenden Fördermaßnahmen beteiligten Sozial-pädagogen und Sozialpädagoginnen sowie den Werkstattleitern gleicherma-ßen hervorgebracht worden. Ausgangspunkt war die Wahrnehmung, dass die gesundheitliche Situation der Jugendlichen nicht gut ist. Ihr Lebensstil und ihre Lebenssituation wurden als „problematisch“ bezeichnet. Beides führ-te zu einer Beeinträchtigung des Durchhaltevermögens in den beruflichen Fördermaßnahmen. Die Überlegungen, diesbezüglich etwas zu verändern, gingen mit der klaren Vorstellung einher, dass weitergehende Maßnahmen die gesundheitliche Situation der Jugendlichen mit einbeziehen müssten. Das Augenmerk lag dabei nicht auf dem medizinisch-therapeutischen Ange-bot, sondern insbesondere auf Ansätzen der Gesundheitsförderung. Gleich-

5 Das Projekt„BodyGuard“ des Internationalen Bundes (IB) erhält als erstes Angebot bundesweit die Auszeichnung „Good Practice Programm“ vom Kooperationsverbund „Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten“ (2010).

zeitig sollte mit dem Modellprojekt auch die Innovationsbereitschaft des IB im Kontext von Prävention und Gesundheitsförderung sozial benachteilig-ter Jugendlichen dokumentiert werden. Vor diesem Hintergrund wurde das Modellprojekt an mehreren Standorten des IB initiiert: in Frankfurt an der Oder, Hirschfelde und Klingenberg in Sachsen, Mannheim sowie Pirmasens. Hier hatten sich jeweils Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefunden, die be-reits unterschiedliche Konzepte zur Gesundheitsförderung der Jugendlichen durchführten. Fünf weitere Standorte (Darmstadt, Freiburg, Karsdorf, Op-penheim, Rotenburg a.d. Wümme) waren am Ende des Modellprojekts von der Idee so überzeugt, dass sie diesen Ansatz ebenfalls integrieren, umsetzen und weiterführen wollen. Gegenwärtig ist das Gesundheitsförderungsprojekt BodyGuard an 10 Standorten vertreten. Auf der Webseite des IB (http://www.ib-bodyguard.de/regweb/public/commonProducts/bodyguard/projekt.html) fin-det sich unter der Überschrift „BodyGuard: ein bundesweites Projekt des IB“ die folgende Charakterisierung:

„Mit BodyGuard setzt der Internationale Bund (IB) neue Maßstäbe in der Ju-gendsozialarbeit. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit ihrer Jugendaktion GUT DRAUF ist dabei unser Partner. BodyGuard wird zur Zeit in zehn unserer Einrichtungen vor Ort umgesetzt. In der Ausbildung, der berufsvor-bereitenden Maßnahme, der offenen Jugendarbeit: Tischlerinnen und Tischler trai-nieren für den Marathon und entspannen bei Yoga, Mädchen und Jungen kochen gemeinsam, Kanutouren und Biken sind Teil des Stundenplans.“

Die Konzeptumsetzung orientierte sich an den jeweiligen Möglichkeiten der an den jeweiligen Standorten Tätigen und den dortigen Rahmenbedingungen und ist somit individuell ausgerichtet. Es wurde bewusst auf ein für alle ver-bindliches Vorgehen verzichtet. Der gemeinsame Ansatzpunkt der jeweiligen Konzepte vor Ort liegt in den basalen Themen gegenwärtiger Gesundheits-förderungsdebatten zu Bewegung, Entspannung und Ernährung. Aus diesen thematischen Gegenstandsbereichen sind gesundheitsbezogene Angebote für die Jugendlichen entwickelt worden. Im Hinblick auf Ernährung sollte über-all ein gesundes Frühstück und ein grundständiges Angebot von Wasser und

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Andreas Hanses & Kirsten Sander

Obst zur Verfügung gestellt werden. Zudem wurden Gespräche durchgeführt, um die Jugendlichen für eine gesunde Ernährung zu sensibilisieren und sie für alternative Ernährungsformen zu interessieren.

Die Themenbereiche Bewegung und Entspannung wurden sehr unterschied-lich ausgestaltet:• In Mannheim ist vor allem durch einen Mitarbeiter eine Marathon-Gruppe

eingerichtet worden. Ziel war nicht nur ein Lauftraining, sondern die Teil-nahme an einem öffentlichen Marathonlauf. Dies bedeutete eine intensive Arbeit an der Motivation und dem Durchhaltevermögen der Jugendlichen. Durch die persönliche Kontakt- und Motivationsarbeit haben sehr viele der beteiligten Jugendlichen sowohl das halbjährige Training wie den Mara-thonlauf durchgehalten. Dies wurde aus der Perspektive der Jugendlichen als eine persönlich bedeutsame Erfahrung markiert. Im Zentrum dieser „Bewegungs-Arbeit“ stand die Konstanz einer verbindlichen Gruppenar-beit.

• In Hirschfelde ist zusammen mit Fachkräften in der Region ein Bildungsan-gebot entwickelt worden, dass Volleyball, Walking, Kickboxen und andere Selbsterfahrungsangebote zu Bewegung beinhaltete. Damit waren für die Jugendlichen in offenen und freiwilligen Angeboten neue Erfahrungsräu-me möglich.

• In Frankfurt/Oder wurde den Jugendlichen z.B. die Teilnahme an eigens für sie konzipierten Yoga- und Fitnesskursen ermöglicht. Zudem wurde von einer Gruppe eine BMX-Fahrradstrecke auf dem Gelände der Einrich-tung gebaut.

• In Pirmasens lag der Schwerpunkt auf Events, die in Form von Naturerfah-rungen oder als Wettkämpfe (z.B. überregionale Fußballturniere) gestaltet wurden. Zudem wurden regelmäßig stattfindende Bewegungsangebote wie Volleyball oder Tanzen organisiert.

• In Klingenberg wurde eine intensive Kooperation mit einem regionalen Fitnesscenter aufgebaut, welches spezielle Angebote für die Gruppe der Ju-gendlichen entwickelte. Zudem wurden Gruppenaktivitäten wie Bowling, Fahrradausf lüge und Wanderungen organisiert.

Die vor Ort entwickelten Lösungen ergaben sich aus den Motivationen der MitarbeiterInnen und den Gelegenheitsstrukturen vor Ort. Die Angebote wurden in die jeweiligen Berufsförderungsmaßnahmen zeitlich und organi-satorisch integriert, um den Jugendlichen einen möglichst leichten Zugang zu ermöglichen.6 So entstanden weitgehend keine Extratermine für die Jugendli-chen. Der IB als Organisation übernahm mit einer halben Stelle die Koordina-tion. Es wurden halbjährliche Arbeitstreffen mit den Beteiligten durchgeführt, die dem Erfahrungsaustausch dienten. An diesen Treffen war die Leitung des IB ebenso beteiligt wie das Wissenschaftliche Begleitteam (Frau Sander, Herr Hanses), das in diesem Rahmen seine wissenschaftlichen Erkenntnisse ein-gebracht hat. Weiterhin gab es interne Tagungen und Workshops seitens des IB, bei denen das Projekt wie die wissenschaftlichen Ergebnisse ausführlich thematisiert werden konnte.

Begleitforschung zum Projekt: Vorgehensweise und Ergebnisse

„Eine normale Berufsausbildung in einem Betrieb hätte Johann nie geschafft. Auf Grund seiner psychischen Beeinträchtigung und seiner Lernschwäche brauchte er besondere Hilfen. Daher förderte die Agentur für Arbeit Johanns Ausbildung zum Holzarbeiter im IB-Bildungszentrum in Mannheim. Aber auch hier gab es im Ausbildungsverlauf immer wieder Probleme mit seiner Motivation und der Inte- gration in die Ausbildungsgruppe. Manchmal war es fraglich, ob er die Ausbildung durchhalten würde. Dann begann das Lauftraining im Rahmen des Gesundheits-projektes. Die Auszubildenden bereiteten sich auf die Teilnahme am Mannheimer Marathon vor. Sie wollten als Staffel antreten. Jeder musste dazu elf Kilometer durchhalten. Bei jedem Wetter wurde zweimal wöchentlich im Wald trainiert. Die Gruppe wuchs zusammen, jeder war wichtig, auch Johann, der nun zusätzlich in seiner Freizeit mit dem Laufen begann. Auch nach dem erfolgreichen Abschluss in seiner Ausbildung blieb Johann beim Laufen. Er nahm 15 Kilo ab. Aber was noch

6 Die Teilnahme war für die Jugendlichen freiwillig, aber nach erfolgter Anmeldung verbindlich.

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wichtiger ist, durch das Laufen gewann er zunehmend Selbstvertrauen. Das kör-perliche Training wirkte sich positiv auf seine gesamte Persönlichkeit aus. Behand-lung wegen seiner psychischen Störung braucht er jetzt nicht mehr. BodyGuard hat Johanns Chancen auf eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt wesentlich verbessert.“ ( http://www.ib-bodyguard.de/regweb/public/commonProducts/bo-dyguard/aktuell.html)

Diese „Erfolgsgeschichte“ ist sympathisch, denn sie markiert, wie erfolgreich eine Veränderung der Alltagspraxis, eine Erweiterung des Erfahrungsraumes des Jugendlichen durch einen Gesundheitsförderungsansatz sein kann. Gleich-zeitig droht die hier vorgestellte Geschichte eine Überbewertung zu erhalten. Es scheint so, als seien während der Situation des Marathonlaufs und der mit der Gruppenarbeit verknüpften Verbindlichkeit eine Reihe gesundheitsbezo-gener Wirkungen entstanden. Hinsichtlich der vorliegenden Geschichte von Johann ist dies durchaus zutreffend und konstruktiv. Problematisch wird es, wenn externe Indikatoren den Nachweis für das Gelingen belegen sollen. Die grundlegende Schwierigkeit liegt darin, dass damit ein Versprechen suggeriert wird, Gesundheitsförderung könne in diesem hier praktizierten Sinne ein-deutige und nachweisbare Effekte haben. Dies ist in einem evidenzbasierten Sinne weder durch die Begleitforschung von BodyGuard noch durch andere Forschungen im Kontext der Gesundheitsförderung mit sozial benachteilig-ten Jugendlichen hinreichend zu belegen. Die Bedeutsamkeit der Geschichte von Johann liegt für eine Gesundheitsförderungsperspektive insbesondere bei dieser Gruppe von Jugendlichen gerade darin, nach den Bedingungen zu fragen, die solche Erfahrungskontexte eröffnen. Aus sozialpädagogischer Sicht lässt sich der „Erfolg“ des vorliegenden Projekts „BodyGuard“ allerdings wesentlich besser würdigen, wenn man die Gruppenprozesse und die Kontex-te der unterschiedlichen Maßnahmen näher untersucht. Es ist also nach den Prozessen zu fragen, die geschehen können, wenn sich z. B. eine Gruppe von Jugendlichen darauf einlässt, wöchentlich zu trainieren, um die Anstrengung eines Staffelmarathonlaufs durchzuhalten. Der analytische Blick der Begleit-forschung richtet sich deshalb nicht auf die Messung einzelner Gesundheits-effekte, sondern auf die Analyse der Verläufe der Erfahrungen der Jugendli-

chen mit den Gesundheitsförderungsangeboten sowie auf die Relevanz der sie umgebenden Rahmen und institutionellen Bedingungen (vgl. u.a. Hanses 2008, Hanses/Sander 2010). Die Begleitforschung wurde aus diesem Grund explizit als qualitativer Forschungsansatz konzeptualisiert. In dem ersten Jahr der wissenschaftlichen Begleitung sind Gruppendiskussionen mit den Jugend-lichen sowie unterstützende Experteninterviews durchgeführt worden. Nach dem Abschluss des ersten Forschungsjahres wurde vor dem Hintergrund der Zwischenergebnisse in gemeinsamer Überlegung und Absprache mit der Lei-tung des IB und des BodyGuard-Projekts eine biographieanalytische Studie mit den Jugendlichen durchgeführt. In dem ersten Forschungsjahr standen die Erfahrungen und die sozialen Praxen der Jugendlichen mit den Gesund-heitsförderungsangeboten im Vordergrund. Im zweiten Jahr sollte die Bedeu-tung dieser Ergebnisse vor dem Hintergrund des biographischen Erfahrungs- und Deutungsraumes der Jugendlichen vertieft werden.

Gruppendiskussionen mit den Jugendlichen: Die Bedeutung des Sozialen

Die im ersten Jahr mit den beteiligten PädagogInnen geführten leitfadenge-stützten Expertengespräche verfolgten das Ziel, Kontextwissen über die jewei-ligen konkreten Angebote und die bei der Umsetzung gemachten Erfahrun-gen zu erhalten. Mit den Jugendlichen selbst wurden an den fünf Standorten Gruppendiskussionen geführt. Mit einer offenen Fragestruktur wurden die Jugendlichen eingeladen, über ihre Erfahrungen zu berichten. Die Gruppensi-tuation als Rahmen für Gespräche erschien viel versprechend, da aus anderen Forschungskontexten Erfahrungen beschrieben wurden, dass Gruppenmit-glieder sich in der Erörterung eines Themas wechselseitig anregen. Diese An-nahme ließ sich allerdings nicht in allen in der Begleitforschung durchgeführ-ten Gruppengesprächen bestätigen. In einigen Gruppengesprächen haben sich die Jugendlichen teilweise in der Erörterung der Erfahrungen mit den Body-Guard Angeboten blockiert und kontrolliert. Dies hatte unterschiedliche Hin-tergründe, ein zentraler Aspekt ist der Tatsache geschuldet, dass es sich um Ju-

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gendliche aus sozial benachteiligten Lebenslagen handelt, die es bisher wenig gewohnt sind, sich in sozialen und nicht „geschützten“ Räumen argumentativ offen zu positionieren. Ein Sachverhalt der sich bei den später erhoben bio-graphischen Interviews als noch viel bedeutsamer zeigte. Dennoch waren die Interviews inhaltlich sehr aufschlussreich und ermöglichten wichtige Einsich-ten in die Erfahrungsdimensionen, die mit den unterschiedlichen Angeboten gemacht wurden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Idee von dem Gewinn der vor Ort durchgeführten Gesundheitsförderungsmaßnahmen nur zu erfassen ist, wenn man nach der Bedeutung des Sozialen in den Erfahrungs-prozessen fragt. Es geht nicht nur darum, ob die Maßnahme den Jugendli-chen „gut tut“, d.h. auf der körperlichen Ebene „Spuren“ hinterlässt, sondern um den sozialen Prozess, der dadurch entsteht, dass sich die Jugendlichen auf eine gemeinsame und gleichsam besondere soziale Praxis einlassen. Die Einlassung auf ein neues soziales Beziehungsgefüge, auf einen gleichsam her-ausfordernden Erfahrungsraum eröffnete für die Jugendlichen Formen neuer Erfahrungskontexte, andere Arten der Handlungskompetenz und erschließt Anerkennungsprozesse als Erfahrungen sozialer Zugehörigkeit. Diese neuen sozialen Erfahrungs- und Erlebnisdimensionen können – wie in der geschil-derten „Erfolgsgeschichte“ – positive körperliche Veränderungen entstehen lassen. Aber die zentrale Erkenntnis der Begleitforschung bleibt, dass zwar die Verbesserung der gesundheitlichen Situation wünschenswert ist, aber nicht das eigentliche innovative Ergebnis der Begleitforschung ausmacht (vgl. auch Hanses/Sander 2009).

Erfahrungen innerhalb der Angebote

Das spezifische Erfahrungsspektrum, das mit den Angeboten verbunden ist, lässt sich unter vier Aspekte zusammenfassen und reflektieren: a. Entwicklung eines Wir-Gefühls innerhalb der Gruppen, b. mit den Situationen verbundene Selbst- und Fremdanerkennungsmöglich-

keiten, c. durch das Arrangement aufgehobene Geschlechtergrenzen und

d. Aneignung und Auseinandersetzung mit den normativen Vorgaben einer „gesunden Ernährung“. Zur Veranschaulichung einige Beispiele aus dem Datenmaterial:

Zu (a): Für die Entstehung eines Wir-Gefühls ist die Sichtbarkeit des „Wir“ bedeutsam. Dieses kann z.B. durch einen spezifischen, für das Angebot ge-nutzten Raum oder ein gemeinsames T-Shirt mit einem Logo entstehen. Die Abgrenzung der „Wir-Gruppe“ vom Ausbildungsalltag und seinen Routinen birgt einen positiven Gewinn: „Wir hatten wirklich unsere Ruhe. Die Tür war zu und hier kam keiner stören, kam keiner reingeplatzt, keiner hat uns genervt und wollte was von uns. Da konnten wir uns einfach mal nur Zeit für uns nehmen, also für uns als Gruppe konnten wir uns mal Zeit nehmen. Wir haben auch gequatscht miteinander, uns über irgendwas unterhalten und vielleicht mal gefragt. War schon was anderes als sonst“ (F. G-Stadt).

Zu (b): Anerkennung vermittelt sich in den Erfahrungen von Stärke und Kompetenz als Selbstanerkennung: „Also beim Tanzen war es am Anfang voll cool. Ich war da immer so die Leiterin und da waren wir einmal zu viert und da habe ich den das dann so beigebracht. Das war voll schön, wo er [weist auf einen Mitschüler] hingekriegt hat. Die Drehung und alles. Ich war voll stolz auf deine Choreo, Mario“ (F. O-Stadt). Eine andere, relevante Form der Selbstanerken-nung liegt insbesondere für die jungen Männer in der Wahrnehmung und Re-flexion ihres erfolgreichen „Durchhaltens“ bei besonders hohen körperlichen Leistungsanforderungen. Ebenso wichtig sind die Erfahrungen von Anerken-nung durch relevante Andere, z.B. durch Mitschülerinnen und Mitschüler oder durch Pädagogen sowie durch eine Öffentlichkeit. Eine der Gruppen nahm beispielsweise an einem Staffelmarathon teil. Der Marathon wurde für die Jugendlichen zu einem bedeutsamen Erlebnis ihrer eigenen Leistungsfä-higkeit und der Anerkennung durch eine Öffentlichkeit: „Außen rum, alle ha-ben uns angefeuert, sind wir eigentlich nur da runter gelaufen, gelaufen und gelau-fen, gelaufen. Ja, das war einfach Hammer. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben

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soll (…). Also für mich zumindest, wie auf Droge so, wie so ein Andrenalinkick, den du ständig kriegst, wenn dich dann die Leute angucken an der ganzen Seite“ (M. N-Stadt).

Zu (c): Die unterschiedlichen angebotenen Aktivitäten sind für die jungen Männer und Frauen häufig direkt oder indirekt mit ihren Ausbildungssituati-onen verbunden. Es erstaunt somit wenig, dass sich sowohl in der Angebots-struktur wie in der Nutzung eine starke Geschlechtergrenze nachzeichnen lässt. Während z.B. die in der beruflichen Bildung der Hauswirtschaft be-schäftigten Frauen an ernährungsbezogenen Angeboten teilnahmen, nahmen die in den „Männerberufen“ tätigen Auszubildenden, z.B. aus der Holztech-nik, eher bewegungs- und kraftsportbezogene Angebote wahr. Die beson-deren Bildungschancen einer durch gemeinsame Aktivitäten wie Volleyball, Wandern, Tanzen situativ aufgehobene Geschlechtertrennung liegt darin, dass sowohl Geschlechterungleichheiten kritisch reflektiert werden können, „Also wir fanden das irgendwie ungerecht, dass nur montags die Kerle Fußball spie-len dürfen. Wir Weiber wollen auch mal mitgehen Fußball spielen“ (F. O-Stadt), als auch damit, dass mit stereotypen Geschlechterrollenbildern karikativ und provozierend „gespielt“ werden kann.

Zu (d): Durch die Thematisierung und die Angebote zu „gesunder Ernäh-rung“ indirekt oder direkt vermittelte normative Verhaltensvorgaben wurden von den Jugendlichen differenziert und kritisch reflektiert. Die anhand des BodyGuard-Angebots „Gesundes Frühstück“ überwiegend positiven Genuss- erfahrungen und der damit verbundene Kompetenzerwerb (insbesondere der angehenden Hauswirtschafterinnen) sind aus ihrer Perspektive zugleich eng mit zwei Problemwahrnehmungen verbunden: Zum einen beschäftigt sie die Frage, was überhaupt heute als „gesunde Ernährung“ gelten kann. Zum anderen stehen ihre Vorlieben und Gewohnheiten oft im Gegensatz zu den so genannten „gesunden“ Produkten, die im BodyGuard-Projekt angeboten wurden, als auch zu deren Preis. Sie können oder wollen sich die als „gesund“ deklarierten Lebensmittel nicht leisten: „Ich esse schon 21 Jahre das Essen von meiner Mutter, genau das Selbe, und die lässt sich jetzt nicht groß was Neues ein-

fallen (…). Meine Mutter kauft halt nicht im Bioladen ein“ (M. L-Stadt). Die Einstellungen der Jugendlichen sind ambivalent: Sie können die Erfahrungen mit „gesunden Lebensmitteln“ schätzen, doch bleiben sie häufig „Ausnahme-Erfahrungen“, die wenig oder gar nichts mit ihren alltäglichen Ernährungsge-wohnheiten zu tun haben.

Die rekonstruierten Erfahrungen der Jugendlichen mit den Angeboten ver-weisen darauf, dass sie vor allem die sozialen Merkmale der Gesundheitsför-derungssituationen als bedeutsam ansehen. Ihre subjektiven Bezugnahmen reflektieren den sozialen Rahmen, in dem sie mit den Gesundheitsangeboten konfrontiert werden. Dieser Befund ist für die sozialpädagogisch orientierte Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen bedeutsam. Er betont, dass Gesundheit vor allem in sozialen Prozessen der Aneignung und Abgrenzung gestärkt und gefördert werden kann. Gesundheitsförderung soll-te in diesem Sinne nicht ausschließlich auf eine Verbesserung eines Gesund-heitszustands (z.B. dem der körperlichen Fitness) abzielen, sondern als eine komplexe, eng mit den Bezugnahmen und Aneignungsweisen der Jugendli-chen verbundene soziale Praxis gestaltet werden. Zusammenfassend erschei-nen uns drei Aspekte für eine konzeptionelle Weiterentwicklung von Gesund-heitsförderungsangeboten in der Sozialen Arbeit besonders relevant: 1. Durch die Angebote zur Gesundheitsförderung können soziale Prozesse

der Anerkennung, des Erfolgserlebnisses, der Gemeinschaftsbildung ange-regt und gestärkt werden.

2. Die Gesundheitsförderungsangebote können und sollten in diesem Sinne als soziale Gesundheitsbildungsangebote darauf hin befragt und ref lektiert werden, ob und in welcher Weise sie an die sozialen Bedeutungszuschrei-bungen und lebensweltlichen Bezüge der Jugendlichen anschließen kön-nen.

3. Als konstruktive „Gegenimpulse“ zur derzeit dominanten Debatte um das defizitäre Gesundheitsverständnis, die mangelnde Gesundheitsselbstsorge und den schlechten Gesundheitsstatus der sozial wie gesundheitlich be-nachteiligten Jugendlichen bietet die hier eingenommene Perspektive auf

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Andreas Hanses & Kirsten Sander

die soziale Praxis der Gesundheitsförderung die Chance, Bildungs- und Entwicklungspotentiale der Jugendlichen aufzudecken und zu stärken (vgl. Sander/Hanses 2009; Hanses/Sander 2008)

Biographische Interviews: Die Relevanz der Verortung

Während die Gruppeninterviews unter der Fragestellung standen, wie die Jugendlichen ihr Tun im Rahmen der jeweiligen Maßnahme gegenwärtig erle-ben, sollte mit der zweiten Erhebung exploriert werden, welche Bedeutsamkeit die gemachten Erfahrungen mit den BodyGuard-Angeboten vor dem Hinter-grund der biographischen Erfahrungen haben. Die zentralen Erfahrungen aus anderen biographieanalytischen Studien zur Krankheitsbewältigung und Ge-sundheitshandeln haben gezeigt, dass das biographische Wissen, die lebens-geschichtlichen Selbst- und Weltkonstruktionen maßgeblich dazu beitragen, wie soziale Situationen und somit auch professionelle und institutionelle An-gebotsstrukturen aufgegriffen oder abgelehnt werden und somit welche Be-deutsamkeit oder Reichweite sie erhalten (vgl. Hanses 2010a, 2010b; Hanses/Richter 2009). Bei einem biographischen Interview werden die interviewten Personen durch eine offene biographische Fragestellung eingeladen, über ihr Leben frei zu erzählen. Die Erzählung wird nicht unterbrochen, sondern die betreffenden Personen sollen die Freiheit haben, ihre Perspektive auf ihr Leben auf ihre je eigene Art und Weise erzählen zu können. Die Formen der Selbstpräsentation geben bedeutsame Auskunft über Selbstkonstruktionen und die Selbst- und Weltbezüge der Protagonisten.

Im Projektzusammenhang ergaben sich bei den biographischen Interviews zunächst einige Schwierigkeiten. Vordergründig schienen die Interviews nicht wirklich zu gelingen. Die Jugendlichen haben sehr knapp, geradezu brüchig erzählt und die Erzählungen erhielten wenig narrative Passagen oder größere biographische Gesamtgestalten. Aus den Kontexten biographischer Forschungen ist bekannt, dass Interviews mit Jugendlichen „schwierig“ sein können. In unserem Fall spielte sicherlich eine Rolle, dass es sich nicht um bil-

dungsstarke Jugendliche handelte, sondern die Befragten häufig aus prekären Lebensmilieus kommen. Gleichzeitig zeigte sich bei genauerer Betrachtung der Interviews, dass die Eigensinnigkeit der Erzählung nicht einfach Aus-druck eines Misslingens der Methode des biographischen Interviews mit die-ser Gruppe von Jugendlichen war. Vielmehr wurde deutlich, dass die Art und Weise der vorliegenden Erzählungen Ausdruck der Lebensperspektive der Ju-gendlichen war und somit auf Formen ihres Sinnverständnisses gegenüber ih-rer Lebenswelt verweist. Die Erzählungen der Jugendlichen organisierten sich stark um die Frage ihrer biographischen Verortung. Die gesamte biographi-sche Selbstdarstellung wurde nicht über die Kohärenz einer biographischen Zeitgestalt aufgebaut, sondern erwies sich stärker als eine lose Aneinanderrei-hung lebensgeschichtlicher Praxen der Verortung, z.B. eines Schulwechsels, Umzugs, Wechsel einer Lehrstelle oder anderer sozialräumlicher Ereignisse. Diese wurden von den Jugendlichen oftmals nicht selbst initiiert, sondern wurden durch andere gesetzt. Dennoch machen diese Erfahrungen für die Ju-gendlichen einen biographierelevanten sozialen Raum aus, der ihre zentralen Selbst- und Weltbezüge markiert. Das eigene Leben lag aus der Perspektive der Jugendlichen oftmals gar nicht in ihrer Hand, vielmehr war es eine Welt, die durch sie nicht selbst gewählt werden konnte, sondern in die sie hinein geworfen sind. Die bürgerliche Idee eines selbst gestaltbaren eigenen Lebens, erweist sich in den vorliegenden Narrationen der Jugendlichen als nicht er-reichbare Fremde. Um diese Struktur und die ihr innewohnende Dramatik zu verstehen, sollen im Folgenden zwei Bespiele vorgestellt werden.

Beispiel einer Fremdverortung:

„Also ich war erst in A-Stadt, habe dort ein Vorbereitungsjahr gemacht. So. Nach dem Vorbereitungsjahr war ich erst mal so ein bisschen arbeitslos. Und da sollte ich mich beim Arbeitsamt melden. Und die haben mich halt gefragt, was ich mal gerne machen will. Und da habe ich gesagt, ‚Na halt mit Autos und so.‘ Und das ging aber nicht und da habe ich gesagt, ‚Na ja, wenn es geht, mit Holz.‘ Und da haben sie gesagt, ‚Ja, wir melden uns.‘ So. Und dann haben sie sich gemeldet und da haben sie gesagt, ‚Ja, G-Kleinstadt, müssen Sie fahren.‘ Ich: ‚Hä? G-Kleinstadt?‘

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Andreas Hanses & Kirsten Sander

Ich wusste erst mal nicht, wo ist denn das. Das ist doch bestimmt irgendwo, weiß ich nicht. Und, na ja, das konnte ich mir halt nicht aussuchen. Die haben mich halt hier rein gesteckt.“

„Also dort in dem Dorf, wo ich jetzt zurzeit bin, da ist eine Mühle. Und da ma-chen die Mehl und so. Und ich hatte ja schon einmal gefragt dort, wo ich die Lehre noch nicht hatte, wo ich arbeitslos war, da habe ich da mal nachgefragt wegen Aus-hilfe. Und da hat der Chef zu mir gesagt, ‚na ja, werden wir erst mal weitersehen, wie es mit deiner Lehre ist. Wenn du deine Lehre fertig hast‘, soll ich noch mal hin-kommen. Und höchstwahrscheinlich nimmt er mich, wie er es so gesagt hat. (…). Ich hatte ja schon ein Jahr dort Praktikum mal gemacht. Ja. Und der Chef hat sich halt übelst gefreut und so, hat gesagt, ‚bin gut und so‘. War zufrieden mit mir. Ja.“ (Sandy H., 21 J.)

Sandy hatte nur begrenzt aktiven Zugriff auf die ihr institutionell zugewie-senen Orte. Dies galt analog für die familiär bedingten Umzüge, sie erfuhr sich als von Ort zu Ort versetzt. Einer dieser Orte ist der Ausbildungsplatz, der zum zentralen Bezugspunkt ihres „In-die-Welt-geworfen-Seins“ wird. In-nerhalb des positiv besetzten Nahraums („das Dorf, wo ich jetzt zur Zeit bin“) werden Gegenerfahrungen möglich, hier finden Anerkennung und soziale Unterstützung statt. Dieses Muster soll zusammenfassend als „Verortung als institutionelle Zwangsstruktur – Biographisierung beruflicher Umwege“ bezeich-net werden. Eine andere Figur der Verortungspraxis wird im zweiten Beispiel deutlich – Beispiel einer Selbstverortung:

„Ja, als Schüler war ich auf der Förderschule gewesen. Und wir sind von F-Dorf, wo ich aufgewachsen bin, wo ich in den Kindergarten gegangen bin, sind wir nach O-Dorf gezogen, sprich, nach E-Dorf. Und da dann halt zwei Jahre gewohnt. Dann sind wir nach N-Dorf gezogen, also sprich, einen Ort weiter. Sind in N-Dorf zwei-mal umgezogen. […] Und dann sind wir halt nach P-Dorf gezogen. Weil ein Kum-pel von mir damals zu mir gesagt hat, der wohnte schon in P-Dorf, der meinte, ‚Ich bin bei der Jugendfeuerwehr‘, und da wollte ich mir das eigentlich bloß mal angu-

cken. Na ja und wie die Leute halt so gut in P-Dorf sind bei der Feuerwehr, meinten sie: ‚Ach, komm mal, Kerl, mach mit.‘ Habe ich halt mitgemacht, das ging dann ein Jahr so, dass ich immer von N-Dorf dann nach P-Dorf gefahren bin, bei der Feu-erwehr war, Jugendfeuerwehr. Und dann hab ich halt zu meinen Eltern gesagt, wie wär’s, wenn wir nach P-Dorf ziehen. Und meine Eltern, weil die Probleme mit dem Vermieter hatten, meinten, die wollten dann ja sowieso umziehen, aber hatten sich eigentlich eine Wohnung in N-Dorf wieder ausgeguckt. Da habe ich gesagt, ‚Wie wär es denn, wenn wir schlau sind und halt nach P-Dorf ziehen. Da ist bestimmt auch irgendwo eine Wohnung frei.‘ Und es war auch eine frei. Da sind wir halt jetzt sind wir halt nach P-Dorf gezogen. Ich konnte wieder, ich konnte zur Feuerwehr gehen und meine Eltern hatten halt dann da auch ein bisschen Arbeit gefunden.“ (Stefan F., 19 Jahre)

Stefan stellt die Art der erlebten sozialen Positionierung als Aneinanderrei-hung von Ortswechseln dar, Umzug folgt auf Umzug. Soziale Anbindung wird ihm über die Feuerwehr ermöglicht, die als positiv besetzte Gemeinschaft er-scheint („gute Leute“). Die Ansprache als „Kerl“ vermittelt offenbar männliche Anerkennung, so dass biographische Zugehörigkeit entstehen kann: „Mach mit.“ Die Feuerwehr wird damit zu einem sinnstiftenden Bindeglied, d.h. zu einem „Biographiegenerator“, und ermöglicht das Gefühl von Zugehörigkeit und Handlungsmacht. Diese Figur lässt sich zusammenfassend als „Verortung als Aneignung: Biographisierung von sozial-räumlicher Zugehörigkeit“ charakte-risieren (vgl. Hanses/Sander 2009; Sander/Hanses 2009).

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Perspektiven einer Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen

Die biographischen Fragmente – wie sie hier nur sehr begrenzt angedeu-tet werden können – werfen die notwendige Frage auf, welche Relevanz von diesen Beobachtungen für das Konzept einer Gesundheitsförderung mit Ju-gendlichen aus sozial benachteiligten Lebenslagen ausgeht. Die Berichte der Jugendlichen bringen immer wieder zum Ausdruck, dass sie sich als „Gegen-stände“ von Bildungsprozessen erleben, auf die sie keinen oder nur einen sehr begrenzten Einfluss nehmen können. Die grundlegende Erfahrungsstruktur aus der Sicht der Jugendlichen ist eine durch Institutionen generierte Fremd-verortung. Diese erfahrungsgesättigte Weltsicht der Jugendlichen reproduziert ihren Weltbezug, der nur in sehr begrenztem Maße durch Erfahrungen au-tonomer Selbstgestaltung getragen ist. Darum ist es entscheidend, dass Bil-dungseinrichtungen und die hier diskutierten Gesundheitsförderungskon-zepte sich nicht nur auf Angebote von Bewegung, Ernährung und Entspan-nung beschränken. Vielmehr geht es zentral darum, die Jugendlichen in ihren Selbstverortungsprozessen zu unterstützen. Die Orte, in die die Jugendlichen hinein geworfen sind, müssen selbst in ihrer institutionalisierten Wirkung re-flexiv erfasst werden, sie sollten als Gegenstand eines im Settingansatz konzi-pierten Gesundheitsförderungsprogramms integriert werden (vgl. u.a. Hanses 2008). Über die oben skizzierte Bedeutung der sozialen Teilhabe, der Aner-kennungspraxis und Erlebniskultur in den Gruppenprozessen der vorgestell-ten Programme hinaus, muss die Frage gestellt werden, wie die Institutionen selbst Praxisformen der Ermöglichung eröffnen können. Gesundheitsförde-rung und Gesundheitsbildung müssten zugleich daran arbeiten, dass Prozesse der Selbstverortung als autonome und gemeinschaftliche Praxis organisiert werden kann. Darum als These zum Abschluss: Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen ist nicht an verhaltensbezogenen, kognitiven, rationalen Konzepten von Prävention zur Verbesserung des Gesundheitshandelns zu orientieren. Vielmehr braucht es konstruktive Ermöglichungsstrukturen, um die Jugendlichen zu unterstützen, sich ein Stück in ihrer Art der Selbstverortung weiter selbst befähigen zu können.

Literatur:

Hanses, Andreas (2010a): Biografie. In: Bock, Karin; Miethe, Ingrid (Hg.): Handbuch qualitativer Me-thoden in der Sozialen Arbeit. Opladen: Budrich, S. 111–121.

Hanses, Andreas (2010b): Gesundheit und Biographie – eine Gradwanderung zwischen Selbstoptimie-rung und Selbstsorge als gesellschaftliche Kritik. In: Paul, Bettina; Schmidt-Semisch, Henning (Hg.): Risiko Gesundheit. Über Risiken und Nebenwirkungen der Gesundheitsgesellschaft. Wiesbaden, S. 89–104.

Hanses, Andreas (2008): Zur Aktualität des Setting-Ansatzes in der Gesundheitsförderung. Zwischen gesundheitspolitischer Notwendigkeit und theoretischer Neubestimmung. In: Bals, Thomas; Hanses, Andreas; Melzer, Wolfgang (Hg.): Gesundheitsförderung in pädagogischen Settings. Ein Überblick über Präventionsansätze in zielgruppenorientierten Lebenswelten. Weinheim; München: Juventa, S. 11–25.

Hanses, Andreas; Richter, Petra (2009): Biographieforschung. In: Straß, Katharina; Darmann-Finck, Ingrid; Böhnke, Ulrike (Hg.): Fallrekonstruktives Lernen. Ein Beitrag zur Professionalisierung in den Berufsfeldern Pflege und Gesundheit. Frankfurt am Main: Mabuse, S. 63–82.

Hanses, Andreas; Sander, Kirsten (2010): Gesundheitsförderung in der außerschulischen Jugend-arbeit. In: Sachverständigenkommission 13. Kinder und Jugendbericht (Hg.): Mehr Chancen für ge-sundes Aufwachsen. Gesundheitsförderung und gesundheitsbezogene Prävention in der Kinder und Jugendhilfe. München: Verlag Deutsches Jugendinstitut, S. 373–416.

Hanses, Andreas; Sander, Kirsten (2009): Evaluation und wissenschaftliche Begleitung zum Modell-projekt Gesundheitsförderung „BodyGuard – Das IB Gesundheitsprogramm für Jugendliche“. Ab-schlussbericht einer Evaluationsstudie. TU Dresden, Dresden.

Hanses, Andreas; Sander, Kirsten (2008): Evaluation und wissenschaftliche Begleitung zum Modell-projekt Gesundheitsförderung „BodyGuard – Das IB Gesundheitsprogramm für Jugendliche“. Zwi-schenbericht. TU Dresden.

Sander, Kirsten; Hanses, Andreas (2009): Gesundheitsförderung als Ansatz in der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen – ein Praxisbeispiel. In: Busse, Stefan; Ehlert, Gudrun (Hg.): Soziale Arbeit und Region. Lebenslagen, Institutionen, Professionalität. Berlin, RabenStück, S. 445–462.

Zusammenfassung und Ausblick

Schlusswort

Danksagung

Schlussbetrachtung

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Zusammenfassung und Ausblick

Ottomar Bahrs und Gerd Ziegeler

Mit diesen abschließenden Bemerkungen sollen die Tagungsbeiträge in der aktuellen Diskussion über die Gesundheitsförderung mit sozial benachteilig-ten Jugendlichen verortet und weitere Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

Es besteht mittlerweile eine breite Übereinstimmung darüber, dass soziale und gesundheitliche Ungleichheit eng miteinander verknüpft sind und daher kompensatorische Maßnahmen der Gesundheitsförderung für sozial benach-teiligte Gruppen notwendig sind. Weil die Risiken im Sinne einer „Armutsspi-rale“ im Verlaufe der je individuellen Entwicklung regelhaft kumulieren (Alt-geld 2005, vgl. Schaubild), sollten Fördermaßnahmen möglichst frühzeitig angeboten werden. Anzusetzen ist dabei auf jeder Ebene der gesundheitlichen Versorgung, des Bildungs- und des Sozialwesens (Vonneilich u. Trojan 2009; Collatz 2010b).7 Dabei zeichnet sich die deutsche Situation durch Fragmentie-rung und Fehlen einer maßnahmeübergreifenden Gesamtverantwortung aus, so dass Jürgen Collatz fehlende Vernetzung pointiert als Risiko bezeichnet und grundlegende Veränderungen der Versorgungsstruktur fordert (Collatz 2010b).

7 Collatz weist darauf hin, dass „Krankheitsrisiken und Störungen des Wohlbefindens (…) in den sozialen Unter-schichten umso mehr erhöht (sind), je größer die soziale Ungleichheit in einem Land ist.“ (Collatz 2010b: 41) Teil-habegleichheit zu ermöglichen würde daher insgesamt einen signifikanten Beitrag zur Förderung der gesundheit-lichen Situation in einem gegebenen Land leisten. Anders formuliert: Gesundheitsförderung ist eine gesamtgesell-schaftliche Aufgabe (vgl. auch Kuhn, Papies-Winkler u. Sommer 2009).

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Zusammenfassung und Ausblick

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Ottomar Bahrs und Gerd Ziegeler

Gerade Angebote der Gesundheitsförderung mit sozial Benachteiligten stehen vor der Schwierigkeit, die Zielgruppe zu erreichen. Settingbezogenen Ansätzen werden daher größere Erfolgschancen zugeschrieben, Maßnahmen also, die die Menschen dort erreichen, wo Gesundheit alltäglich hergestellt wird: im Stadtteil, im Betrieb sowie in Institutionen der (Re-)Sozialisierung wie Schule, Kindertagesstätte, Krankenhaus oder Gefängnis. Die Komm-Struktur von Hilfsmaßnahmen wird hier – z.B. bei Menschen mit Migrati-onshintergrund – mit oft gutem Erfolg durch aufsuchende Angebote ergänzt (Grabow 2009). Dies kann umso eher gelingen, je besser der Lebenswelt der Zielgruppe Rechnung getragen werden kann.

Nun teilen die in der Gesundheitsförderung im weitesten Sinne Tätigen – z.B. Gesundheitsfachkräfte, Lehrer oder Sozialarbeiter – typischerweise gera-de nicht die Lebenswelt ihrer Zielgruppe (vgl. Ziegeler 2010). Sie stehen daher beständig in der Gefahr, stellvertretend zu definieren, was für die Betroffenen „gesund“ ist. Der am Risikofaktorenmodell entwickelte Blick auf die zu kom-pensierenden Defizite geht insofern mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einher, die „sozial Benachteiligten“ noch einmal zu marginalisieren. Geene

hält dem zu Recht entgegen, dass Gesundheitsförderung eine dienende Funk-tion hat und ihr Gelingen eine dieser entsprechende professionelle Haltung voraussetzt (Geene 2010; vgl. auch Bestmann 2009). Wenn Gesundheitsför-derung normativ entgleist, entstehen Akzeptanz- und Umsetzungsprobleme, hinter denen sich ungeklärte Angemessenheitsdefinitionen verbergen. Es ist daher sinnvoll, die Maßnahmen partizipativ zu gestalten und die Zielgruppe systematisch an der Entwicklung von Zielkriterien, der praktischen Umset-zung sowie der Erfolgsbewertung zu beteiligen (Block u. Wright 2009). Gute Erfahrungen liegen mit der Einbeziehung von MediatorInnen vor, die gleich-sam zwischen Zielgruppe und Professionellen dolmetschen (Papies-Winkler u. Kuhn 2009, Grabow 2009) und im Sinne einer peer education tätig werden (Backes 2003, Hilgendorf u. Wolf 2010). Die Chancen für nachhaltige Wir-kungen steigen, wenn aus Betroffenen Beteiligte werden, die ihr Lebensumfeld selbst aktiv gestalten können und wollen (Ohm 2009: 261f).

„Bei jedem Menschen gibt es prinzipiell immer einen Ansatzpunkt des Gelingens, an dem man anknüpfen kann, weil jeder Mensch etwas will und grundsätzlich die dafür notwendigen Potenziale in sich trägt.“ (Bestmann 2009: 61)

Mit dieser ressourcenorientierten Haltung wird der potentiellen Experten-schaft der Adressaten Rechnung getragen, deren Werte, Ziele und Möglichkei-ten damit zum Maßstab des auf Gesundheitsförderung bezogenen Handelns werden können. In salutogenetischer Orientierung ist Unterstützungsbedarf dann je individuell zu bestimmen. Dementsprechend können standardisier-te Schulungsprogramme zur Verhaltensmodifikation nur begrenzt wirksam sein; dagegen gelten komplexe und unspezifische Maßnahmen für die Ziel-gruppe der sozial Benachteiligten als besonders aussichtsreich (Rosenbrock 2004). Wie dies praktisch umsetzbar ist, hat Bestmann mit Bezug auf sozial-raumorientierte Gesundheitsförderung bei Familien mit sogenanntem Mig-rationshintergrund z.B. mit der „Ressourcenkarte“ und den Arbeitsprinzipien „Sehen, was schon da ist“ sowie „Suchen, was noch brach liegt“ hervorragend nachvollziehbar gemacht (Bestmann 2009).

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Zusammenfassung und Ausblick

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Ottomar Bahrs und Gerd Ziegeler

Die im Rahmen des hier dokumentierten Symposiums vorgestellten Pro-jekterfahrungen zeigen, dass gerade Jugendliche aus benachteiligten Gruppen vor dem Hintergrund der individuellen Bildungsgeschichten ihr grundsätzlich verfügbares Potential nur begrenzt abrufen können. Sie brauchen verlässliche Angebote, verlässliche Bezugspartner und Regeln, an denen sie sich abarbeiten können. Dass Kontinuität (Objektpermanenz und -konstanz) so wesentlich ist, hängt mit vorlaufenden Ohnmachtserfahrungen zusammen, die den Be-fragungsergebnissen zufolge (auch) im Nahraum der Familie gründen und die die Jugendlichen gerade nicht ohne Weiteres versprachlichen (Ramola 2008, 2010; Hanses und Sander 2010). Umso wichtiger wäre eine explizit biographi-sche Perspektive. Martina Goblirsch hat in einer mehrgenerationalen Analyse von Biographien verhaltensschwieriger Jugendlicher und ihrer Mütter luzide aufzeigen können, wie Strukturmerkmale von als abweichend auffallenden Interaktionsstilen familiengeschichtlich verankert sind und sich Beziehungs-modi und familiäre Aufträge in der Interaktion mit Professionellen re-insze-nieren. Sie werden umso mehr zum Bestandteil erneut aufgeführter Dramen, je weniger die Geschichte selbst zum Thema wird (Goblirsch 2010).

Schwierige Hilfeverläufe sind damit im Dreieck von Klientensystem, Hilfe-system und deren Interaktion zu verorten, die je für sich spezifische Risiken aufweisen:

Risikofaktoren schwieriger Hilfeverläufe

Risiken im Klientensystem Risiken im Hilfesystem

Materielle Not Mangelnde Binnen- und

Trägerkooperation

Individuelle Beeinträchtigung der

Eltern bzw. Erziehungspersonen

Übergewicht normativer

Orientierungen

Eingeschränkte

Erziehungskompetenz

Symptomorientierung

Gewalterfahrung von Kindern Überbewertung eigener

Interessen

Bindungs- und

Beziehungslosigkeit

Unreflektierte „Verstrickung“ in

die Familiendynamik

Migration Ausblendung des „subjektiven

Faktors“

Soziale Isolation Ausgrenzungsmechanismen

im Hilfesystem

Nähe zu subkulturellen

Milieus

Dysfunktionale Arbeitsweisen

und Konzepte

Eigene tabellarische Darstellung nach Goblirsch 2010: 350

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Zusammenfassung und Ausblick

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Ottomar Bahrs und Gerd Ziegeler

Weil auch die Anbieter von Fördermaßnahmen und die Rahmenbedingun-gen der Tätigkeit „schwierige“ Hilfeverläufe begünstigen können, bedarf es auch einer Investition in professionelle Haltungen einerseits und Strukturen des Hilfesystems andererseits, damit die notwendig erscheinende Verlässlich-keit der Angebote gewährleistet werden kann. Die Projektförmigkeit vieler Gesundheitsförderungsmaßnahmen wirkt dabei oft eher kontraproduktiv; sie mag zwar Innovation befördern, steht einer kontinuierlichen Arbeit jedoch ent-gegen. In der Konsequenz teilen viele Professionelle die Ohnmacht ihres Kli-entels und können so auch nur begrenzt wirksam werden. Umso wesentlicher sind Gelingenserfahrungen, die alle Beteiligten exemplarisch erleben lassen, dass veränderndes Handeln möglich ist und sich die Anstrengung lohnt (vgl. Hanses u. Sander 2010; Hilgendorf u. Wolf 2010). Damit können gleichsam die generalisierten Widerstandsressourcen gestärkt werden und alle Akteure neue Kraft tanken. Auf Dauer reicht dies jedoch nicht aus, und so ist bei ge-sundheitsfördernde Maßnahmen von vornherein die Frage mitzudenken, wie in Projekten entwickelte Strukturen verankert und Nachhaltigkeit gesichert werden kann – für die Professionellen ebenso wie für die Zielgruppe. Quali-tätszirkel haben sich dabei als wirksames Instrument der Qualitätsförderung erwiesen, die je nach Bedarf Aspekte der Prozessoptimierung, der Habitusfor-mation oder der Organisationsentwicklung in den Vordergrund rücken und fallbezogen konkrete Lösungen erarbeiten können (Bahrs 2009, 2010a).

Als Letztes soll hier ein Aspekt herausgestellt werden, der in der Projektar-beit wie in den Tagungsdiskussionen nur am Rande berührt werden konnte: die Bedeutung des Systems Familie für die Gesundheitsförderung. Zwar ist unbestritten, welch überragende Bedeutung die Familie als primäre Soziali-sationsinstanz für die Gesundheitsbildung besitzt (Schnabel 2001; Herlth 2008), und Familie wird geradezu als ein zentrales Setting der Gesundheits-förderung beschrieben (Bals, Hanses u. Melzer 2008, Collatz 2010b). Auch im Rahmen des Symposiums wurde – gerade mit Bezug auf Gesundheitsförde-rung in Kindertagesstätten und Schulen – die Wichtigkeit der Einbeziehung der Eltern betont (Krause 2010, Ziegeler 2010). Jugendliche aber werden eher im Kontext ihrer peer groups gesehen, die Familien werden auch von den Ju-gendlichen selbst eher selten thematisiert. Als Bedeutung zuweisende Instanz

sind Familien jedoch weiterhin wirksam – wir alle tragen unsere Familien in Form habitualisierter Bewältigungsformen und sinnstiftender Lebensaufga-ben auch dann in uns, wenn andere Familienmitglieder nicht anwesend sind. Aus diesen familiären Bedeutungszuweisungen leitet sich mit ab, wie die für Nachhaltigkeit von Fördermaßnahmen wesentliche Frage „Gesundheit wo-für?“ beantwortet werden kann. Fördermaßnahmen müssen daher biogra-phisch anschlussfähig sein, um wirksam werden zu können (Hanses u. Sander 2010). Notwendig sind erweiterte Konzepte, in denen u.a. Biographiearbeit eine stärkere Rolle spielen kann. Es gibt erste Hinweise dafür, dass damit eine Neukonstruktion der eigenen Geschichte (und damit das Vermögen, sich selbst zum Handelnden zu machen) begünstigt wird („agency“, Goblirsch 2010). Die praktische Umsetzung steht noch in den Anfängen. Hier besteht weiterer Forschungs- und Entwicklungsbedarf.

Literatur:

Altgeld T. (2005): Zukunftsaufgaben der Prävention und Gesundheitsförderung: mehr Zielgruppen- und Qualitätsorientierung, weniger sektorales Denken. In: Krankenversicherung 9/2005. S.243–248.

Backes H. (2003): Peer Education; in: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.): Leit-begriffe der Gesundheitsförderung. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden in der Gesund-heitsförderung. 4. erweiterte und überarbeitete Auflage. Verlag Peter Sabo, Schwabenheim a.d.Selz: 176–179.

Bahrs O. (2009): Qualitätszirkel als Instrument der Qualitätsentwicklung; in: Kolip P, Müller V (Hg.): Qualität von Gesundheitsförderung und Prävention. Handbuch Gesundheitswissenschaften; Hans Huber, Bern: 201–221

Bahrs O. (2010a): Vom Projekt zum Netzwerk – Der Qualitätszirkel als partizipatives Instrument in Begleitforschung und Qualitätsentwicklung von Gesundheitsförderung; in: Bahrs O. (Hrsg.) (2010): SPRINT – Stärker ins Leben. Dokumentation der Fachtagung Gesundheitsförderung mit sozial be-nachteiligten Jugendlichen, S.85ff

Bahrs O, Heim S, Jung, B, Weiß M (2006): Qualitätszirkel in der Gesundheitsförderung und Präventi-on – Chancen einer teilnehmerorientierten und kontinuierlichen Qualitätsentwicklung; Gesellschaft zur Förderung Medizinischer Kommunikation e.V., Göttingen; www.gemeko.de/files/QZ-in-GF-brosch_druckvers_ Jan08.pdf

Bals T., Hanses A., Melzer W. (2008): Gesundheitsförderung in pädagogischen Settings – Ein Über-blick über Präventionsansätze in zielgruppenorientierten Lebenswelten; Juventa, Weinheim und Mün-chen

Bestmann S. (2009): „Bitte halten Sie den Zugang frei!“ Sozialräumliches Arbeiten im Bereich der Gesundheitsförderung mit Familien mit sogenanntem Migrationshintergrund; in: Kuhn D., Papies-Winkler I., Sommer D. (Hrsg.) (2009): Gesundheitsförderung mit sozial Benachteiligten – Erfahrun-gen aus der Lebenswelt Stadtteil; Mabuse Verlag, Frankfurt/M.: 55–92

Collatz J. (2010a) (Hrsg.): Familienmedizin in Deutschland. Notwendigkeit – Dilemma – Perspekti-ven. Für eine inhaltlich orientierte Gesundheitsreform. Pabst, Lengerich Berlin Bremen Miami Riga Viernheim Wien Zagreb

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Zusammenfassung und Ausblick

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Ottomar Bahrs und Gerd Ziegeler

Collatz J (2010b): Zuspitzungen der Problemlagen von Müttern/Vätern und Kindern und die Notwen-digkeit einer familienmedizinischen Orientierung des Gesundheitssystems in Deutschland; in: Col-latz J. (2010a) (Hrsg.): Familienmedizin in Deutschland. Notwendigkeit – Dilemma – Perspektiven. Für eine inhaltlich orientierte Gesundheitsreform. Pabst, Lengerich Berlin Bremen Miami Riga Viern-heim Wien Zagreb: 38–96

Franz M., Ulrich W. (2010): Die gesundheitliche Situation von Kindern in Einelternfamilien; in: Col-latz J. (2010a) (Hrsg.):Familienmedizin in Deutschland. Notwendigkeit – Dilemma – Perspektiven. Für eine inhaltlich orientierte Gesundheitsreform. Pabst, Lengerich Berlin Bremen Miami Riga Viern-heim Wien Zagreb: 288–321

Geene R. (2010): Desintegration und Teilhabedefizit – Determinanten und Ansätze für familiäre Ar-mutsbekämpfung und Gesundheitsförderung; in: Bahrs O. (Hrsg.): SPRINT – Stärker ins Leben. Do-kumentation der Fachtagung Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen, S. 31ff

Goblirsch, M. (2010): Biographien verhaltensschwieriger Jugendlicher und ihrer Mütter – Mehrgene-rationale Fallrekonstruktionen und narrativ-biographische Diagnostik in Forschung und Praxis; VS Research, Wiesbaden

Grabow K. (2009): Das Modellprojekt „Gesund sind wir stark!“ – „Sağlıklı daha güçlüyüz!“ in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg – Die Erfahrungen; Kuhn D., Papies-Winkler I., Sommer D. (Hrsg.) (2009): Gesundheitsförderung mit sozial Benachteiligten – Erfahrungen aus der Lebenswelt Stadtteil; Mabuse Verlag, Frankfurt/M.: 170–190

Hagen C., Lange C., Lampert T (2010): Gesundheitliche Situation von Kindern allein erziehender Mütter in Deutschland; Collatz J. (2010a) (Hrsg.): Familienmedizin in Deutschland. Notwendigkeit – Dilemma – Perspektiven. Für eine inhaltlich orientierte Gesundheitsreform. Pabst, Lengerich Berlin Bremen Miami Riga Viernheim Wien Zagreb: 176–200

Hanses A., Sander K. (2010): Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten jungen Menschen in der beruflichen Bildung – Einblicke aus der Begleitforschung zu dem Modellprojekt BodyGuard des IB; in: Bahrs O. (Hrsg.): SPRINT – Stärker ins Leben. Dokumentation der Fachtagung Gesundheitsförde-rung mit sozial benachteiligten Jugendlichen, S. 163ff

Herlth A. (2008): Familiale Einflussfaktoren auf die Kinder- und Jugendgesundheit und Konsequenzen für die Prävention; in: Bals T., Hanses A., Melzer W. (2008): Gesundheitsförderung in pädagogischen Settings – Ein Überblick über Präventionsansätze in zielgruppenorientierten Lebenswelten; Juventa, Weinheim und München: 29–50

Hilgendorf K., Wolf U. (2010): SPRINT- Expertenschaft fördern und nutzen; in: Bahrs O. (Hrsg.): SPRINT – Stärker ins Leben. Dokumentation der Fachtagung Gesundheitsförderung mit sozial be-nachteiligten Jugendlichen, S 41ff

Krause C. (2010): Gesundheitsförderung in Schulen; in: Bahrs O. (Hrsg.): SPRINT – Stärker ins Leben. Dokumentation der Fachtagung Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen, …

Kuhn D., Papies-Winkler I., Sommer D. (Hrsg.) (2009): Gesundheitsförderung mit sozial Benachtei-ligten – Erfahrungen aus der Lebenswelt Stadtteil; Mabuse Verlag, Frankfurt/M.

Ohm H.P. (2009): g’sund und g’scheit – das Stuttgarter Netzwerk für Gesundheit und Bildung in Kin-dertagesstätten; in: Kuhn D., Papies-Winkler I., Sommer D. (Hrsg.) (2009): Gesundheitsförderung mit sozial Benachteiligten – Erfahrungen aus der Lebenswelt Stadtteil; Mabuse Verlag, Frankfurt/M.: 260–271

Papies-Winkler I., Kuhn D. (2009): Das Modellprojekt „Gesund sind wir stark!“ – „Sağlıklı daha güçlüyüz!“ in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg – Das Konzept; in: Kuhn D., Papies-Winkler I., Som-mer D. (Hrsg.) (2009): Gesundheitsförderung mit sozial Benachteiligten – Erfahrungen aus der Le-benswelt Stadtteil; Mabuse Verlag, Frankfurt/M.: 110–120

Papies-Winkler I. (2009): Kommunale Netzwerke zur Gesundheitsförderung; in: Kuhn D., Papies-Winkler I., Sommer D. (Hrsg.) (2009): Gesundheitsförderung mit sozial Benachteiligten – Erfahrun-gen aus der Lebenswelt Stadtteil; Mabuse Verlag, Frankfurt/M.: 192–210

Ramola, W. (2008): Chancen der Gesundheitsförderung untersoziale benachteiligten Jugendlichen im offenen Strafvollzug dargestellt am Projekt „SPRINT“. Diplom-Arbeit, Göttingen

Ramola W. (2010): SPRINT aus Sicht der beteiligten Jugendlichen – Ausgewählte Ergebnisse aus der Eingangs- und Abschlussbefragung; in: Bahrs O. (Hrsg.): SPRINT – Stärker ins Leben. Dokumentati-on der Fachtagung Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen, S. 61ff

Rosenbrock R. (2004): Primäre Prävention zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Ge-sundheitschancen – Problemskizze und ein Politikvorschlag zur Umsetzung des § 20 Abs. 1 SGB V durch die GKV. In: Rosenbrock R., Bellwinkel M., Schröer A. (Hrsg.): Primärprävention im Kontext sozialer Ungleichheit. Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven: 7–150

Schnabel P.E. (2001): Familie und Gesundheit. Bedingungen, Möglichkeiten und Konzepte der Ge-sundheitsförderung; Juventa, Weinheim und München

Vonneilich N., Trojan A. (2009): Die Bestimmungsgrößen der Gesundheitschancen: Einkommen, Bildung, Herkunft, Beruf; in: Kuhn D., Papies-Winkler I., Sommer D. (Hrsg.) (2009): Gesundheits-förderung mit sozial Benachteiligten – Erfahrungen aus der Lebenswelt Stadtteil; Mabuse Verlag, Frankfurt/M.: 12–38

Ziegeler G. (2010): Workshop 2: „Gesundes Lernen – Gesundheitsförderung in der Schule“; in: Bahrs O. (Hrsg.): SPRINT – Stärker ins Leben. Dokumentation der Fachtagung Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen, S. 129 ff

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Schlusswort

Siegfried Löprick

Sehr geehrte Damen und Herren,Projekte haben eine gemeinsame Eigenschaft: sie beginnen, aber sie enden auch.

SPRINT ist ein Projekt, das Ende April beendet sein wird. Gesundheitsför-derung mit sozial benachteiligten Jugendlichen aber bleibt eine Daueraufga-be, die nicht an ein einzelnes Projekt gebunden ist.

Das ist sehr deutlich geworden in der Diskussion hier auf dem Podium, und das war auch die übereinstimmende Feststellung in allen Workshops heute Nachmittag.

Die Erfahrungen, die in der Arbeit von SPRINT bei der Gesundheitsförde-rung mit sozial benachteiligten Jugendlichen in den vergangenen drei Jahren gemacht wurden und die heute hier vorgestellt werden konnten, zeigen einen inhaltlichen Weg, wie die Aufgaben zukünftig angegangen und hoffentlich er-folgreich – vielleicht auch besser als in der Vergangenheit – bewältigt werden können.

Wir haben aber in den letzten 90 Minuten in der Podiumsdiskussion auch deutlich gesehen, wie schwer bei aller inhaltlichen Überzeugung eine gesi-cherte Finanzierung für die unumstritten notwendige Arbeit zu realisieren ist. Chancen bestehen – so auch mein persönlicher Schluss – nur in Kooperation und vernetzter Arbeit von öffentlichen und freien Trägern und in der Verbin-dung von professionellem und ehrenamtlichem Engagement.

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Sehr geehrte Damen und Herren, auch wenn das Projekt SPRINT in Kürze beendet sein wird, so wird doch das Konzept fortgeführt und die Jugendhil-fe Göttingen auch zukünftig daran arbeiten, Gesundheitsförderung mit den Zielgruppen, über die wir heute gesprochen haben, voran zu bringen. Frau Jes-se hat als Anstaltsleiterin betont, dass auch im Jugendvollzug in Niedersach-sen die Förderung von Gesundheit eine zentrale Aufgabe bleibt.

Ich bin sicher: wenn wir in drei Jahren hier oder auch an anderer Stelle ein weiteres Symposium durchführen, werden wir über weitere erfolgreiche Ar-beit berichten und diskutieren können.

Heute bleibt mir ein abschließendes Danke schön: Dank Ihnen allen für die aktive Mitarbeit im Plenum und in den Workshops, Dank besonders an die Referentinnen, Referenten und Moderatoren.

Ganz besonderer Dank aber auch all denen, die sich im Vorfeld des heutigen Symposiums und am heutigen Tag um die Organisation und den reibungslo-sen Ablauf gekümmert haben. Dazu gehören auch die Jugendlichen aus dem Ausbildungsgang Gastronomie und Service, die für „Speis und Trank“ gesorgt haben.

Nicht zuletzt noch mal unseren herzlichen Dank an die Gesellschaft zur Förderung Medizinischer Kommunikation e.V., die Klosterkammer Hanno-ver und die Technikerkrankenkasse, ohne deren Unterstützung dieses Sym-posium nicht stattgefunden hätte.

SPRINT – „Stärker ins Leben“ war die Einladung zum heutigen Symposium überschrieben. An dieser Zielsetzung werden wir gemeinsam weiter arbeiten.

Ich wünsche Ihnen einen guten Heimweg.

Danksagung

Die hier vorgelegte Dokumentation verdankt sich der Initiative und Unter-stützung vieler Einzelpersonen und Institutionen. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Es ist nicht möglich, alle hilfreichen Hände namentlich aufzuführen, deren nahezu ausschließlich ehrenamtliches Engagement dieses Buch möglich ge-macht hat. So seien die Institutionen genannt, die arbeitsteilig Verantwortung übernommen haben:• Die Jugendhilfe Göttingen e.V. und ihre Mitarbeiter haben die Tagungs-

organisation übernommen und für einen reibungslosen Ablauf gesorgt.• Die Justizvollzugsanstalt Hameln – und hier insbesondere die Abteilung

Offener Vollzug Göttingen – haben den organisatorischen Rahmen (und eine Vielzahl engagierter Teilnehmer) zur Verfügung gestellt.

• Die Gesellschaft zur Förderung Medizinischer Kommunikation e.V. und die Abteilung Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Göttingen haben die Tagungsstruktur entworfen und die Dis-kussionsbeiträge auf bereitet.

Neben ehrenamtlichem Engagement braucht Gesundheitsförderung auch finanzielle Unterstützung. Zu danken sind• Der Klosterkammer Hannover, die die Tagungsdurchführung finanziert

hat.• Der Techniker Krankenkasse, die die Tagungsdokumentation sponsert.• Der Aktion Mensch, die das Projekt „SPRINT“ gefördert hat.

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Den Input haben die Autoren und Tagungsteilnehmer geliefert. Besonderer Dank gebührt den Autoren, die trotz brütender Hitze und enger Terminka-lender ihre Beiträge ausgearbeitet und zur Verfügung gestellt haben. Stefanie Klemp hat den Beiträgen das passende Outfit gegeben und für eine anspre-chende Gestaltung gesorgt. Theo Petzold hat mit kompetenter Beratung den Abschluss ermöglicht und mit dem Verlag Gesunde Entwicklung ein geeigne-tes Forum für die Publikation zur Verfügung gestellt.

Last but not least seien die Jugendlichen hervorgehoben, die uns an ihren Erfahrungs- und Lernprozessen haben teilhaben lassen und von denen sich einige auch hier im Rahmen des Symposiums zu Wort gemeldet haben.

Leser sind Ko-Autoren – Sie also entscheiden über den Fortgang der Diskussi-on. In diesem Sinne hoffe ich auf einen fruchtbaren Austausch.

Göttingen, im August 2010

Ottomar Bahrs

Autoren

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Autoren

Dr. Ottomar Bahrs, geb. 1951.

Universität Göttingen, Abteilung Medizinische Psychologie und Medi-zinische Soziologie, Waldweg 37a37073 GöttingenE-Mail: [email protected]; Tel.: 0551-398195

Studium der Sozialwissenschaften in Göttingen, danach wissenschaftlicher Mitarbeiter in For-

schung und Lehre an den Universitäten Göttingen (Medizinische Soziologie 1978–1988; Allgemeinmedizin: 1988–1990) und der Medizinischen Hoch-schule Hannover (1992–1994: Allgemeinmedizin; 1994–1996: Medizinische Soziologie); seit 1997 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung für Medi-zinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Göttingen; seit 1990 Vorstand der Gesellschaft zur Förderung Medizinischer Kommuni-kation e.V., seit 1999 Vorstand der Akademie für patientenzentrierte Medizin (APAM) e.V.; Mitherausgeber der Zeitschrift „Der Mensch – Zeitschrift für Salutogenese und anthropologische Medizin“Arbeitsschwerpunkte:Arzt-Patienten-Kommunikation; Salutogenese; Qualitätsentwicklung durch Qualitätszirkel; Gesundheitsförderung und Prävention; Kooperationsförde-rung und Selbsthilfe; Qualitative ForschungVeröffentlichungen:Bahrs O, Wilhelm J (1989): Rehabilitierung beginnt zu Hause. Empirische Untersuchungen zu Idee, Wirklichkeit und Chancen beruflicher Rehabilitati-on bei Anfallskranken. Edition Re, GöttingenBahrs O, Jung B, Nave M, Schmidt U (2005): Projekt „Qualitätszirkel in der Gesundheitsförderung und Prävention“; Forschung und Praxis der Gesund-heitsförderung, Band 26, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Köln

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Autoren

Beispiel der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten. In: Amelung Volker/ Sydow Jörg/ Windeler Arnold (Hg.): Vernetzung im Gesundheitswe-sen. Wettbewerb und Kooperation. Stuttgart: Kohlhammer.Geene Raimund/ Gold Carola (Hg.) (2009) Kinderarmut und Kindergesund-heit. Bern: Huber.

Prof. Dr. Andreas Hanses, geb. 1958.

TU Dresden, Fakultät Erziehungswissenschaften, Institut für Sozialpädagogik, Sozialarbeit und WohlfahrtswissenschaftenWeberplatz 501062 DresdenE-mail: [email protected] Tel.: 0351-463-36141

Studium der Biologie/Chemie und Diplom-Sozialpädagogik an der Univer-sität Bremen. 1988–2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter resp. wissenschaftli-cher Assistent am Fachbereich Human- und Gesundheitswissenschaften der Universität Bremen in Forschung und Lehre. 1995 Promotion zum Thema „Epilepsie als biographische Konstruktion. Eine Analyse von Erkrankungs-prozessen anfallserkrankter Menschen anhand erzählter Lebensgeschichten“. 2005 Habilitation (kumul.) zum Thema: „Biographie und Soziale Arbeit. Zum Zusammenhang von Biographie, Institution und professionellem Han-deln im Kontext sozialer und gesundheitlicher Lebenskrisen“. 2005/2006 Professur für Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Sozialpädago-gik – Soziale Sicherung und Rehabilitation, insbesondere Altenarbeit/Soziale Geragogik an der Westfälischen Wilhelmuniversität Münster und seit Herbst 2006 Professur für Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkten Prävention und Gesundheitsförderung an der Fakultät Erziehungswissenschaften der TU Dresden.

Bahrs O, Matthiessen PF (Hrsg.) (2007): Gesundheitsfördernde Praxen – Die Chancen einer salutogenetischen Orientierung in der hausärztlichen Praxis; Hans Huber, BernBahrs O: Der Arzt als Partner – Biographie und ärztliches Handeln; Balint (im Druck)

Prof. Dr. Raimund Geene, MPH, geb. 1963.

Hochschule Magdeburg-StendalOsterburger Str. 25 39576 StendalE-Mail: [email protected] Tel.: (03931) 2187-4866

1998–2006 Geschäftsführer von Gesundheit Berlin; seit 2005 Professor an der Hochschule Magdeburg-Stendal, Lehrgebiet Kindergesund-

heit; seit 2007 Vorstand der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegrup-pen (DAG SHG)Arbeitsschwerpunkte:Gesundheitsförderung, insbesondere soziallagenbezogene Gesundheitsför-derung und Kindergesundheit; Patientenorientierung und Selbsthilfe; Ge-sundheits-, Sozial-, Kinder- und Familienpolitik.Veröffentlichungen:Geene Raimund/ Huber Ellis/ Hundertmark-Mayser Jutta/ Möller-Böck Bet-tina/ Thiel Wolfgang (2009): Selbsthilfeunterstützung in Deutschland. In: Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz (52) 11–20.Conrad Peter/ Geene Raimund (2009) Politikantizipation durch Netzwerk-bildung? Ein Beitrag zur Innovationsfähigkeit in der Gesundheitspolitik am

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der BZgA, zum EDU-Trainer beim LandesSportBund Hannover sowie in Tra-ditioneller Thai-Yoga-Massage beim Sunshine Network Centre, Lahu Village in Nord Thailand; in Ausbildung zur Yoga-Übungsleiterin an der Hindu Aka-demie, Nepal Lodh, BremenArbeitsschwerpunkte: Sozial- und freizeitpädagogische Betreuung und Unterstützung sozial benach-teiligter junger Menschen im Offenen Jugendvollzug Göttingen. Projektent-wicklung von „SPRINT – Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten jungen Menschen“, dessen Umsetzung und Evaluation, soziale Trainings, Gruppen- und Einzelbetreuung, Durchführung verschiedener Sportangebo-te.Veröffentlichungen:Hilgendorf, Karin (2003): Yoga. Zwischen Tradition und Fitnesskultur. Ma-gisterarbeit. Universität Oldenburg; Hilgendorf, Karin (2005): Yoga. Gesundheitsförderung und pädagogische Perspektiven in Theorie und Praxis. Diplomarbeit. Universität Oldenburg.

Christian Hölscher M.A.

Jugendhilfe Göttingen e.V.Untere Karspüle 4 37073 Göttingen; Tel.: 0 55 1 / 70 79 419; Fax: 0 55 1 / 70 79 418E-Mail: [email protected];http://www.jugendhilfe-goettingen.de

Nach Abitur und Zivildienst Studium der Sozi-alpädagogik, Kinder- u. Jugendpsychiatrie, Eth-

nologie und Sportwissenschaften; Ausbildung in dialogischer Gestalttherapie und -coaching; Aufbau und Geschäftsführung des Göttinger Präventionsver-eins komm.pakt e.V., seit 2000 Jugendhilfe e.V. in der Jugendanstalt Göttingen

Arbeitsschwerpunkte: Theorien der Sozialen Arbeit und der Professionalisierung, Kranken- und Ge-sundheitsforschung, Alter und Gesundheit, Qualitative Sozialforschung ins-besondere Biographieforschung Veröffentlichungen: Hanses, Andreas (2010): Gesundheit und Biographie – eine Gradwanderung zwischen Selbstoptimierung und Selbstsorge als gesellschaftliche Kritik. In: Paul, Bettina; Schmidt-Semisch, Henning (Hg.): Risiko Gesundheit. Über Risiken und Nebenwirkungen der Gesundheitsgesellschaft. Wiesbaden, S. 89–104.Bals, Thomas; Hanses, Andreas; Melzer, Wolfgang (Hg.) (2008): Gesundheits-förderung in pädagogischen Settings. Ein Überblick über Präventionsansätze in zielgruppenorientierten Lebenswelten. Weinheim; München: Juventa.Hanses, Andreas; Sander, Kirsten (2010): Gesundheitsförderung in der au-ßerschulischen Jugendarbeit. In: Sachverständigenkommission 13. Kinder und Jugendbericht (Hg.): Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen. Gesund-heitsförderung und gesundheitsbezogene Prävention in der Kinder und Ju-gendhilfe. München: Verlag Deutsches Jugendinstitut, S. 373–416.

Karin Hilgendorf, M.A. Dipl.-Päd., geb. 1967.

[email protected]

Studium der Sportwissenschaft, Pädagogik und soziale Arbeit an der Universität Oldenburg; Schwerpunkte der Diplom- und Magisterarbeit: Gesundheit/ Salutogenese, Fitness, Yoga, Life-style-Konzepte und pädagogische Perspektiven. Seit 2006 Sport- und Sozialpädagogin bei der Ju-gendhilfe Göttingen e.V., Jugendanstalt Hameln,

Abteilung Göttingen – Leineberg, Fachbereich Sport und Freizeit, Projekt SPRINT. Zusatzqualifikationen zur Multiplikatorin im Projekt „Gut Drauf “

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Vögele W, Jesse, C. (Hrsg.) (2003): Jugendvollzug: Politische, rechtliche, sozi-ale Perspektiven, Loccumer Protokolle 67/03Jesse, C., Kuhlmann, W. (2007): Vollzugskonzept für den Jugendvollzug in der Jugendanstalt Hameln, ZJJ 4/2007 S.376 ffLehmann/Jesse C/Weiss (2007): Suizidprävention in der Jugendstrafanstalt Hameln, FS 4/2007, S. 177 ffSANDMANN/ JESSE: Maßnahmen gegen Gewalt im Jugendstrafvollzug, In: BENZLER (Hg): Loccumer Protokolle 19/07, S. 149 ff

Dr. Christina Krause.

E-mail: [email protected] Tel.:0551/980113

Diplom-Pädagogin, promoviert und habilitiert in Pädagogischer Psychologie, Verhaltenstherapeu-tin und Familientherapeutin mit Approbation als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Bis 2007 tätig als Professorin für Pädagogische Psy-chologie und Beratung am Pädagogischen Semi-

nar der Georg-August-Universität Göttingen. Arbeitsschwerpunkte: Entwicklung des Selbstkonzepts und Selbstwertgefühls von Kindern, Emo-tionales Wohlbefinden und Gesundheitsförderung in Kindergarten, Schule und Familie.Veröffentlichungen: Krause, Ch. (2009). Das Ich-bin-ich-Programm. Selbstwertstärkung im Kin-dergarten mit Pauline und Emil. Berlin: Cornelsen Scriptor. Unter Mitarbeit von Greco, S./Pütt-Ivetic, L. /Schneevoigt, R. / Walczyk, J..Krause, Ch./Lorenz, R.-F. (2009). Was Kindern Halt gibt. Salutogenese in der Erziehung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Leineberg e.V., Aufbau und Leitung der Anlaufstelle Innenstadt (Die Blech-trommel) sowie weiterer Projekte; seit 2004 Geschäftsführer der Jugendhilfe Göttingen e.V., Leitung diverser Projekte. Arbeitsschwerpunkte: Jugendsozialarbeit, Kriminalprävention, Sozialraumo-rientierte Arbeit, Interkulturelle Arbeit, StreetworkVeröffentlichungen:div. Aufsätze zu Zivilcourage, Strategien zur Kriminalprävention, Partizipati-on von Kindern- und Jugendlichen u.a. in Zusammenarbeit mit dem Landes-präventionsrat Niedersachsen

Christiane Jesse, geb. 1957.

Jugendanstalt HamelnTündernsche Str. 5031789 HamelnTel.: 05151 / 904 100; Fax.:05151 / 904 902Email: christiane.jesse@ja-hm.niedersachsen.dewww.jugendanstalt-hameln.niedersachsen.de

1976 bis 1982 Studium der Psychologie in Würz-burg, 1982 Abschluss als Diplom-Psychologin

und Eintritt in den Justizvollzugsdienst des Landes Niedersachsen, Psycho-logischer Dienst und Vollzugsabteilungsleitung in der Jugendanstalt Hameln, 1991 Erziehungsurlaub, 1992 Organisationsentwicklung in der JVA Celle, 1993 Erziehungsurlaub, 1994 Organisationsentwicklung und Projektmanage-ment in der Jugendanstalt Hameln, 1996 und 1997 Referentin im Nieder-sächsischen Justizministerium, 1999 stellvertretende Leiterin und seit 2002 Leiterin der Jugendanstalt Hameln.Veröffentlichungen: Jesse, C. (2007): Gewalt im Jugendstrafvollzug, FS 1/2007 S. 23 ffJesse, C. (2009): Organisationsentwicklung in der Jugendanstalt Hameln, FS 6/2009, S. 290 ff

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Löprick S. (2006): Am wichtigsten ist, was danach kommt… Entlassungsvor-bereitung im Jugendvollzug, in: DVJJ Landesgruppe Niedersachsen, Prakti-kerrundbrief 2006, HannoverLöprick S. (2005): BASIS, ein Projekt im Offenen Jugendvollzug, in: Schrif-tenreihe der Deutschen Hochschule der Polizei 04/05, Festschrift anlässlich der Verleihung des Deutschen Förderpreises Kriminalprävention, Münster;Löprick S. (2003): Offener Jugendvollzug und neue Projekte; in: Vögele W., Jesse C. (Hrsg.): Jugendvollzug: Politische, rechtliche, soziale Perspektiven, Loccumer Protokolle 67/03

Wendy Ramola, Dipl. Sozialwirtin, geb. 1983.

E-Mail: [email protected]

2003–2008 Studium der Sozialwissenschaften in Göttingen mit den Schwerpunkten Strafrecht, Volkswirschaftslehre, Pädagogik und Soziologie. 2007–2009 Mitarbeiterin bei der Jugendhilfe e.V. Göttingen im Rahmen des Projekts SPRINT, seit 2009 Pädagogische Mitarbeiterin bei der LEB sowie freiberufliche Tätigkeiten im Bereich Me-

dienpädagogik.Arbeitsschwerpunkte:Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten Jugendlichen, Medienpäd-agogikVeröffentlichungen:Ramola W. (2008): Chancen der Gesundheitsförderung unter sozial be-nachteiligten Jugendlichen im offenen Strafvollzug, dargestellt am Projekt SPRINT; Diplom-Arbeit, Göttingen

Siegfried Löprick, geb 1952.

Jugendhilfe Göttingen e.V.Rosdorfer Weg 7637081 GöttingenE-mail: [email protected]

Studium an der Universität Göttingen (Sozial-wissenschaften, Sport, Englisch); Abschluss mit 1. und 2. Staatsexamen für das Lehramt Sekun-darstufe II; seit 1982 Tätigkeit im niedersächsi-

schen Justizvollzug: bis 2003 Fachbereichsleitung Sport und Freizeiterziehung in der offenen Jugendanstalt Göttingen Leineberg; nach Zusammenlegung der Anstalten in Südniedersachsen zur JVA Rosdorf Leitung der Fachberei-che Öffentlichkeitsarbeit und Sport- und Freizeiterziehung; seit Januar 2010 Mitarbeiter der Jugendanstalt Hameln, Abteilung Offener Vollzug Göttingen; seit 1987 Vorsitzender der „Jugendhilfe Göttingen“ e.V., seit 2001 Vorstands-mitglied der Landesgruppe Niedersachsen der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. (DVJJ), seit 2007 Mitglied des Vorstands im Landespräventionsrat Niedersachsen.Arbeitsschwerpunkte: Sozial- und freizeitpädagogische Arbeit im Jugendvollzug, kriminalpräventive Arbeit in sozialen Brennpunkten und Jugendhilfearbeit besonders mit sozia-len Randgruppen.Veröffentlichungen: Löprick S. (2007): Übergang aus der Haft in die Freiheit – Ein Beispiel aus dem Offenen Jugendvollzug Göttingen; in: Goerdeler, Walkenhorst (Hrsg.) Jugendstrafvollzug in Deutschland, Schriftenreihe der DVJJ e.V., Bad Godes-bergLöprick S. (2007): Jugendstrafvollzug und danach. Auf dem Weg zu einer kontinuierlichen Betreuung; in: Benzler S. (Hrsg.): Jugendstrafvollzug Neue Gesetze – Neue Perspektiven, Loccumer Protokolle 19/07

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Sander, Kirsten; Hanses, Andreas (2009): Gesundheitsförderung als Ansatz in der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen – ein Praxisbeispiel. In: Busse, Stefan; Ehlert, Gudrun (Hg.): Soziale Arbeit und Region. Lebenslagen, Institutionen, Professionalität. Berlin, RabenStück, S. 445–462.

Dr. phil. Dagmar Schlapeit-Beck, geb. 1958.

Stadt Göttingen, Dezernat Kultur und Soziales, Neues RathausHiroshimaplatz 1–437083 Göttingen; Email: [email protected].: 0551-400-2460

1977–1983 Studium der Sozialwissenschaften und Kunstgeschichte an der Bergischen Univer-

sität Wuppertal; Staatsexamen; 1983–1985 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Politikwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal, 1984 Promotion im Fach Kunstgeschichte, 1985–1988 Leiterin der Gleichstel-lungsstelle für Frauen der Stadt Leverkusen, seit 1988 Sozialdezernentin der Stadt Göttingen, seit 2002 zusätzlich Übernahme des Fachbereichs Kultur, seit 2007 zusätzlich Übernahme des Fachbereich Jugend, derzeit als Stadträ-tin und Dezernentin verantwortlich für die städtischen Fachbereiche Kultur, Soziales und das Gesundheitsamt, in dieser Funktion vielfältige Gremienar-beit. Mitglied des Fachausschusses der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik: „Soziales, Jugend und Familie“. Lehrauftrag an der Georg-August-Universität Göttingen sozialwissenschaftliche Fakultät.Arbeitsschwerpunkte: Soziale Stadtentwicklung, Sozial- und Arbeitsmarkt-politik, Armutsbekämpfung, Gleichstellungspolitik, Kulturentwicklungspla-nung

Dr. Kirsten Sander, geb. 1968.

TU Dresden, Fakultät Erziehungswissenschaften, Institut für Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Wohlfahrtswissenschaften Weberplatz 5 01062 DresdenE-mail: [email protected].: 0351-463-34970;

Ausbildung zur Krankenschwester, Weiterbildung zur Lehrerin für Pflegebe-rufe, Dozentin in der beruflichen Fort- und Weiterbildung von Pflegefachkräf-ten. Studium der Erziehungs- und Religionswissenschaften an der Universität Bremen, Abschluss als Diplom-Pädagogin. Promotion innerhalb eines von der DFG geförderten Forschungsprojektes zur »Interaktion von Pflege und Medizin im Krankenhaus“ in der Erziehungswissenschaft, Schwerpunkt Ge-schlechterforschung an der Universität Osnabrück. Seit 2007 wissenschaft-liche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Prävention und Gesundheitsförderung des Instituts für Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Wohlfahrtswissenschaften der TU-Dresden. Arbeitsschwerpunkte: Biographie und Geschlechterforschung, Gesundheitsförderung in der Sozia-len Arbeit, Biographiearbeit, Professionalisierung im Gesundheitswesen.Veröffentlichungen:Hanses, Andreas; Sander, Kirsten (2010): Gesundheitsförderung in der au-ßerschulischen Jugendarbeit. In: Sachverständigenkommission 13. Kinder und Jugendbericht (Hg.): Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen. Gesund-heitsförderung und gesundheitsbezogene Prävention in der Kinder und Ju-gendhilfe. München: Verlag Deutsches Jugendinstitut, S. 373–416.

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Schulsport: Bewegte Schule, Sportverein: Ehrenamtliche Mitarbeit / Jugend-arbeit, Förderung von Sportaktivitäten für sozial Benachteiligte (EU Projekt), Kommunale Sportentwicklung, Basketball als Breiten- und Freizeitsport, Sport im Justizvollzug. Veröffentlichungen: Schröder, Jürgen (1985) Sportfibel für alle – Ein Ratgeber für den Freizeit-sport. Biederstein Verlag. München Schröder, Jürgen (1987) Sport und soziales Training im Strafvollzug. Wetzlar Schröder, Jürgen (2008) Gesundheitsförderung durch Sport. In: Forum Straf-vollzug – Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe, Heft 3, S. 130– 134.

Uwe Wolf, geb. 1963.

[email protected]

Studium Ethnologie/Anthropologie in Göttin-gen. Mehrjährige Tätigkeit als Sport-und Bewe-gungstherapeut in der Sucht-und Drogenhilfe; seit 2005 Dipl. Sozialpädagoge mit den Arbeits-schwerpunkten Kinder/Jugend- und Familien-hilfe, Sexualpädagogik und Gesundheitsförde-rung, seit 2007 Mitarbeiter der Jugendhilfe Göt-

tingen e.V. im Projekt SPRINTArbeitsschwerpunkte: Sozial- und freizeitpädagogische Betreuung und Unterstützung sozial benach-teiligter junger Menschen im Offenen Jugendvollzug Göttingen. Projektent-wicklung von „SPRINT – Gesundheitsförderung mit sozial benachteiligten jungen Menschen“, dessen Umsetzung und Evaluation, soziale Trainings, Gruppen- und Einzelbetreuung, Durchführung verschiedener Sportangebo-te.

Veröffentlichungen: Schlapeit-Beck D. (2008): Masterplan gegen Kinderarmut, Stadt GöttingenSchlapeit-Beck D. (2006): Beschäftigungspakt für Ältere in der Region Göt-tingen; In: 77. Dt. Fürsorgetag, Berlin: 51–58Schlapeit-Beck D. (2005): Kommunale Gleichstellungsbeauftragte: Von der Ombudsfrau zur Gender-Managerin; in: Frauenbilder in NRW, Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfa-len, Düsseldorf: 72–78Schlapeit-Beck D. (2003): Inter- und intrakulturelle Wege der Integration in sozial segregierten Stadtteilen – Erfolge und Begrenzungen des Programms „Die soziale Stadt“; In: 76. Dt. Fürsorgetag, Frankfurt a.M.: 109–116

Prof. Dr. Jürgen Schröder, geb. 1943.

Institut für Sportwissenschaften, Universität GöttingenSprangerweg 2 37075 GöttingenE-Mail: [email protected]

Studium der Romanistik und Sportwissenschaf-ten in Tübingen, Davidson-College N.C., USA, und Göttingen; 1968–1972 Studienreferendar

und Studienassessor an der Gauß-Schule in Braunschweig; 1972–1980 Studi-enrat im Hochschuldienst am Sportinstitut und Promotion an der TU Braun-schweig; 1980–2009 Professor für Sporterziehung am Institut für Sportwis-senschaften der Georg-August-Universität Göttingen. Seit 1978 bis heute Fachberater für Sport im Justizvollzug beim Niedersächsischen Ministerium der Justiz. Zahlreiche Beratungstätigkeiten für Sport im Justizvollzug in Bay-ern, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Arbeitsschwerpunkte:

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Dr. Gerd Ziegeler, geb. 1950.

Universität Göttingen, Abteilung Medizinische Psychologie und Medi-zinische SoziologieWaldweg 37a,m 37073 GöttingenE-Mail: [email protected]; Tel.: 0551/398187

Studium der Soziologie und Pädagogik, M.A.; Akad. Rat in der Abteilung für Medizinische Psy-

chologie und Medizinische Soziologie der Georg-August-Universität. Arbeitsschwerpunkte: Psychosoziale Bewältigung chronischer Krankheiten, Familie und Krankheiten, Soziologie der Gesundheit, Prozesse beruflicher Sozialisation von Medizinern.Veröffentlichungen:Friedrich, H., Mergner, U., Mönkeberg-Tun, E., Ziegeler G. (Hg.) (1990): Ge-sundheit als gesellschaftlicher Zwang?. Psychosozial, Heft II. Darin: Mergner, U., Mönkeberg-Tun E., Ziegeler G.: Zur Fremdbestimmung von Selbstbestim-mung im Umgang mit Gesundheit, 7–21.Ziegeler, G., Friedrich H. (2002): Multiple Sklerose – das einzig Sichere an ihr ist ihre Unzuverlässigkeit! Eine Langzeitstudie über Formen der psychosozia-len Bewältigung einer chronischen Krankheit. VAS-Verlag, Frankfurt/M.

Gefördert durch:

Gesellschaft zur Förderung

Medizinischer Kommunikation e.V.


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