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Die Emanationslehre des Albertus Magnus: Genese, Gestalt und Bedeutung

Date post: 14-Mar-2023
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Subsidia Albertina II Via Alberti Texte – Quellen – Interpretationen Herausgegeben von Ludger Honnefelder · Hannes Möhle Susana Bullido del Barrio Sonderdruck ASCHENDORFF VERLAG MÜNSTER
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Subsidia Albertina II

Via AlbertiTexte – Quellen – Interpretationen

Herausgegeben vonLudger Honnefelder · Hannes Möhle

Susana Bullido del Barrio

Sonderdruck

ASCHENDORFF VERLAG MÜNSTER

Bibliographische Informationen der deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind

im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

© 2009 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, desNachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oderähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Ver-wertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die VerwertungsgesellschaftWort wahrgenommen.

Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier

Satz: MTR & SBB, Trier/BonnDruck: Aschendorff Druck und Dienstleistungen GmbH & Co. KG,

Druckhaus Aschendorff, Münster

ISBN 978–3–402–11715–6

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Wissenschaft und Methode

Ludger HonnefelderWisdom on the Way of Science: Christian Theology and the Universe ofSciences According to St. Albert the Great . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Maria Burgerfides et ratio als Erkenntnisprinzipien der Theologie bei Albertus Magnus 37

Intellektlehre

Jörg A. TellkampWhy does Albert the Great Criticize Averroes’ Theory of the PossibleIntellect? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Michele Trizio»Qui fere in hoc sensu exponunt Aristotelem«. Notes on the ByzantineSources of the Albertinian Notion of »Intellectus Possessus« . . . . . . . . 79

Hannes MöhleDer Wille in der Intellektlehre Alberts des Großen . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Alessandro PalazzoAlbert the Great’s Doctrine of Fascination in the Context of his philo-sophical System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

Emanationslehre

Henryk AnzulewiczDie Emanationslehre des Albertus Magnus: Genese, Gestalt und Be-deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

Isabelle MoulinEduction et emanation chez Albert le Grand: des commentaires sur Denys lePseudo-Areopagite au De causis et processu universitatis a prima causa . . . . . . 243

Ethik

Martin J. TraceyPrudentia in the Parisian theological summae of William of Auxerre, Philipthe Chancellor, and Albert the Great . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

6 Inhalt

Jörn MüllerFelicitas civilis und felicitas contemplativa: Zur Verhältnisbestimmung derbeiden aristotelischen Glücksformen in den Ethikkommentaren desAlbertus Magnus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

Exegese

Ruth Meyer»Hanc autem disputationem solus Deus determinare potest«. Das BuchHiob als disputatio bei Albertus Magnus und Thomas von Aquin . . . . . 325

Susana Bullido del Barrio»Non est in aliquo opere modus nobilior« – De muliere forti ein WerkAlberts des Großen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385

Julia SchneiderThe Role of the Liturgy in De mysterio missae : a Study of the RitualSurrounding the Proclamation of the Gospel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429

Quellenstudien

Amos BertolacciThe Reception of Averroes’ Long Commentary on the Metaphysics inLatin Medieval Philosophy until Albertus Magnus . . . . . . . . . . . . . . . . 457

Carlos SteelAlbert’s use of Kilwardby’s Notulae in his Paraphrase of the Categories . . . 481

Silvia DonatiAlbert der Große als Kommentator der Translatio Vetus der Schrift Dememoria et reminiscentia des Aristoteles: Seine Vorlage und seine Kommen-tierungsmethode am Beispiel von Mem. 2,453a14-b4 . . . . . . . . . . . . . . . 509

Maria BurgerThomas Aquinas’s Glosses on the Dionysius Commentaries of Albertthe Great in Codex 30 of the Cologne Cathedral Library . . . . . . . . . . 561

Indices

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587

Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595

Handschriftenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601

Die Emanationslehre des Albertus Magnus:Genese, Gestalt und Bedeutung

Henryk Anzulewicz, Bonn

I

Schon aus den ersten Seiten der als die früheste geltenden Schrift De naturaboni des Albertus Magnus lässt sich ein ganzheitlicher Ansatz ablesen, der fürdie Denk- und Arbeitsweise des Doctor universalis eigentümlich ist. DerGegenstand dieser Schrift, der sittliche Aspekt des Guten, wird im Ausgangvom transzendenten Guten als dem Grund alles Guten in eine umfassendePerspektive gestellt, welche die schöpfungstheologischen, metaphysischen undmoralphilosophischen Traditionen umfasst.1 Alberts wissenschaftliches Anlie-gen hingegen, das er im Frühwerk zielstrebig verfolgte, kam schon im Verlaufder Kommentierung der Sententiae des Petrus Lombardus an einen Wende-punkt. Bis 1246 vertrat der Theologe gegenüber der Philosophie eine überausaufgeschlossene, aber zugleich reduktionistische Haltung. Was ist damit ge-meint?

Von einigen älteren Theologen der Pariser Universität wie Wilhelm vonAuxerre und Philipp dem Kanzler2 beeinflusst, bemühte sich Albert um einenkonstruktiven Dialog zwischen Theologie und Philosophie und um ein har-monisches Verhältnis der beiden Bereiche zueinander.3 Sein angestrebtes Ziel

1 Vgl. Albertus Magnus, De nat. boni prol. (Ed. Colon. 25/1), 1, 4–8, 16–23. Bereits imersten Traktat des Werkes (ebd. 1–8) werden die Vermittler der genannten Traditionennamentlich zitiert, die Albert seinem Begriff des Guten zugrunde legt. Hierzu gehörenneben der Bibel (Altes und Neues Testament): Aristoteles, Cicero, Augustinus, Boethiusund Ps.-Dionysius Areopagita. Der ganzheitliche Ansatz lässt sich auch am Begriff desGuten erkennen, der im Werk De bono erarbeitet wird, ferner an den Begriffen derSchöpfung (creatio), des Urstoffs (materia prima), des Himmels (caelum), der Zeit (aeternitas/aevum/tempus), des Engels (angelus) und des Menschen (homo) – Themenkreise, die in denFrühschriften De IV coaequaevis und De homine erörtert werden – sowie für den Begriff desLebens. Hierzu vgl. Anzulewicz 1998a; ders. 2001a; ders. 2001b; für die anthropo-logische Synthese vgl. Anzulewicz 1998b.

2 Vgl. Albertus Magnus, II Sent. d. 3, a. 18 (Ed. Paris. 27), 98a-b; ders., Super Dion. Decael. hier. c. 6 (Ed. Colon. 36/1), 86, 27–29. Lottin 1930, 311–312, 321–326; Anzu-lewicz 2007, 140–143, 150–156.

3 Vgl. Anzulewicz 1996, 47–53b.

220 Henryk Anzulewicz

war jedoch, wie er später bei der Kommentierung des zweiten Buches derSententiae des Petrus Lombardus ausdrücklich zugab,4 die Philosophie mitallem Weltwissen auf die Theologie der biblischen Offenbarung zurückzufüh-ren. Er schrieb dort mit Blick auf seine im Frühwerk vertretene Auffassung desVerhältnisses von Theologie und Philosophie: »Wir sind der Lehre einigerTheologieprofessoren gefolgt, welche die Meinungen der Naturphilosophenauf die Theologie zurückführen wollten [. . .]«.5 Nicht eine Abgrenzung derauf unterschiedlichen Prinzipien gründenden Erkenntnismodi und Wissens-formen, sondern deren Harmonisierung und Synthese unter dem Primat derTheologie waren also ursprünglich sein Ziel.6 Ab 1246 jedoch – bei derAbfassung von Super II Sententiarum7 – betrachtete er Theologie und Philo-sophie als eigenständige Wissenschaften und grenzte sie voneinander ab.8

Synthesebestrebungen und ein unvoreingenommener Umgang mit den Tra-ditionen nach dem Kriterium der Rationalität und der Übereinstimmung mitdem christlichen Glauben sind in seinem Werk als die Konsequenz des in-tegralen Denkansatzes und der Überzeugung, Philosophie widerspreche nichtder göttlichen Wahrheit, die der Glaube überliefert, und der Glaube richtesich nicht gegen die Vernunft, erhalten geblieben.9 Wir können sie vielleichtam deutlichsten bei der Verhältnisbestimmung der Philosophie des Platon und

4 Albertus Magnus, II Sent. d. 14, a. 6 (Ed. Paris. 27), 266b: »Alibi etiam disputatum estde ista materia multum et prolixe, et ibi secuti sumus dicta quorundam magistrorumtheologiae, qui voluerunt opiniones naturalium ad theologiam reducere dicendo quodangeli deserviunt deo in motibus caelorum, et quod illi ab eis animae dicuntur«. Vgl.Twetten 1999, 36–41; Rigo 2005, 351–354.

5 Albertus Magnus, ebd. (wie Anm.4).6 Vgl. Albertus Magnus, De IV coaeq. tr. 3, q. 16, a. 2 sol. (Ed. Paris. 34), 443a-b, 445a-b.7 Grundlage für diese Datierung ist Alberts Aussage in II Sent. d. 6, a. 9 (Ed. Paris. 27),

139a: »jam enim elapsi sunt mille ducenti quadraginta sex anni«.8 Vgl. Albertus Magnus, II Sent. d. 3, a. 16 (Ed. Paris. 27), 94b; ebd. d. 13, a. 2 (247a); ebd.

d. 14, a. 6 (266b).9 Einige Beispiele für diese Haltung: Albertus Magnus, IV Sent. d. 12, a. 16 (Ed. Paris.

29), 328a: »respondendum est obiectis per ordinem tenendo quidem fidem, sed phi-losophiam non sequentes nisi quantum possumus salva fide«; ders., Super Dion. De div.nom. c. 2 (Ed. Colon. 37), 73, 41–42: »ideo sequimur opinionem Aristotelis, quae magisvidetur catholica«; ders., Super Dion. Epist. 7 (Ed. Colon. 37/2), 505, 30–34: »Quamvisenim philosophia nihil probet contra divinam veritatem, quam tradit fides, tamen nonpertingit ad ipsam, sed habet aliquem terminum, usquequo devenit, et scit se tamen nontotum comprehendere«; ders., Super Ethica l. 1, lec. 13 (Ed. Colon. 14), 71, 80–83:»contra ea quae fide determinata sunt, nihil potest demonstratio esse, eo quod fides nonest contra rationem, quia nulla veritas alii discordat, sed est supra rationem«; ebd. l. 10,lec. 11 (Ed. Colon. 14), 751, 5–7: »quia haec opinio est magis rationalis et magissecundum fidem, ideo tenentes hanc viam concedimus ultimas rationes«.

221Die Emanationslehre des Albertus Magnus

des Aristoteles10 sowie bei der philosophischen Lösung der Frage nach demWeltanfang wahrnehmen.11

Es nimmt deshalb nicht wunder, dass Albert auch die philosophischenLehren der Neuplatoniker, deren Assimilation in der Scholastik teilweise mitgravierenden doktrinellen Schwierigkeiten verbunden war,12 mit christlichenund aristotelischen Positionen vermittelte und adaptierte. Dies gilt besondersfür die Emanationslehre, mit der er durch das corpus Dionysiacum und den Liberde causis sowie die Schriften zur Kosmologie, Metaphysik, Seelen- und Intel-lekttheorie vor allem arabischer und jüdischer Autoren, insbesondere desAvicenna und Algazel, Isaac Israeli und Moses Maimonides, sowie einigerLateiner, wie Dominicus Gundissalinus oder Alfred von Sareshel konfrontiertwurde. Über Herausforderungen und Nutzen, die dieses Lehrstück für dieTheologie bot, und über seine philosophische Tragfähigkeit, hat Albert sichbei seinen Erläuterungen der verschiedenen Wendungen des Schöpfungsbe-griffs wie creatio, processus, productio und auch fluxus rerum a primo zu vergewissernbemüht. Im Folgenden gehen wir der bisher unbeachteten Genese der Ema-nationslehre in Alberts Frühwerk nach und nähern uns den Fragen nach ihrerWeiterentwicklung, Gestalt und Stellung im Gesamtwerk des Doctor universalis.

10 Ders., II Sent. d. 1, a. 4 (Ed. Paris. 27), 15a: »Hoc enim (meo judicio) omnis causa fuitcontroversiae inter Platonem et Aristotelem, quod ille rationes universalium sequivoluit, et ex illis rerum principia quaesivit. Aristoteles autem non sic, sed ex naturisrerum quaesivit principia rei«; ders., De nat. et orig. an. tr. 1, c. 2 (Ed. Colon. 12), 5,45–58: »Nec est differentia inter Platonem et Aristotelem in re aliqua, sed tantum inmodo, quoniam Aristoteles probat, quod omnes formae naturales sint ab intellectuconferente virtutem formativam, qua ad formam formantem educuntur de materia, eoquod in ipsa sint omnes per incohationem. Sed Plato et Pythagoras idem quidem dicereintendebant, sed nescierunt exprimere materiae potentiam, quae est formae incohatio.Et ideo dixerunt a datore primo dari formas et non esse in materia, sed tamen materiammereri formam, meritum materiae vocantes id quod Aristoteles vocavit formae inco-hationem sive potentiam sive privationem«; ders., Metaph. l. 1, tr. 5, c. 15 (Ed. Colon.16/1), 89, 42–87. Vgl. Booth 1983, 188; Anzulewicz 2002, 239.

11 Albertus Magnus, Phys. l. 8, tr. 1, c. 13–15 (Ed. Colon. 4/2), 574, 63–581, 8; bereitszuvor: De homine (Ed. Colon. 27/2), 579, 1–588, 36; II Sent. d. 1, a. 1–12 (Ed. Paris. 27),6b-35b. Vgl. Dales 1987, 188–189.

12 Erwähnt seien Vorbehalte, welche gegenüber den neuplatonischen, von Ps.-Dionysiusinspirierten Lehransichten des Johannes Scotus Eriugena an der Pariser Universitätgeltend gemacht wurden, die zur Zensur (1210) und zur Verurteilung (1225) seinerSchrift Periphyseon führten (vgl. CUP I, 106–107 n. 50; Dondaine 1952, 73; Lucentini1987); hinzu kam das Problem der kosmischen Intelligenzen und ihrer Gleichsetzungmit den Engeln (vgl. Winkler 2007, 251–259), sowie damit zusammenhängende Fra-gen nach dem kosmischen Determinismus (vgl. Anzulewicz 2001) und der Lehre vomgetrennten, tätigen Intellekt (vgl. Hödl 1992, 84).

222 Henryk Anzulewicz

II

Die Emanationslehre des Albertus Magnus, deren reifste Gestalt in der SchriftDe causis et processu universitatis a prima causa vorliegt und als die ›Metaphysik desFließens‹ bezeichnet wird,13 hatte bei ihm offensichtlich eine lange Entwick-lungsgeschichte.14 Sie begann mit einer doktrinellen Bewährungsprobe imKontext der Schöpfungslehre der Frühwerke (De IV coaequaevis, Super II Sen-tentiarum) und setzte sich in den nachfolgenden theologischen und philoso-phischen Schriften, u. a. in Super Dionysium De divinis nominibus, im Physikkom-mentar (Buch VIII) und in De intellectu et intelligibili (Buch II) mit vielen Facettenfort. Es zeigte sich dabei, dass die Assimilation dieser Lehre in der Gestalt, diedurch das Werk des Ps.-Dionysius Areopagita und durch den Liber de causisvermittelt wurde, für Albert kaum Schwierigkeiten bereitete. Die späterenInterpretationen arabischer und jüdischer Philosophen ( posteriores Peripatetici )hingegen, insbesondere des Avicenna (und des Algazel), bereiteten ihm Schwie-rigkeiten und boten Anlass zur Kritik oder gar Ablehnung aufgrund ihrerUnvereinbarkeit mit seinem Schöpfungsbegriff,15 seiner Auffassung des Engelsund der getrennten Intelligenzen16 und seinem Verständnis der formalenEmanation.17 Das Letztere bewog ihn, sich mit den vier wichtigsten voraristo-telischen und den im Anschluss an Aristoteles vertretenen philosophischenTheorien des Ursprungs der Formen kritisch auseinanderzusetzen, Lösungender christlichen Theologen (nostri doctores, doctores sacrae scripturae) vorzustellenund ihnen gegenüber eigene Position zu beziehen.18

An das neuplatonische Lehrstück vom ›Fließen der Allheit aus der erstenUrsache‹ knüpfte Albert zum ersten Mal, soweit wir sehen, im Kontext derSchöpfungslehre bei der Analyse des Schöpfungsbegriffs im Frühwerk De IV

coaequaevis an.19 Gestützt auf den Liber de causis stellte er der biblischen Schöp-fungslehre die neuplatonische Auffassung der Weltschöpfung als Emanationzur Seite, allerdings als Gegenargument zum Lehrsatz des christlichen Glau-bens, das Erschaffen sei ausschließlich Gottes eigene Handlung.20 Er schreibt:

13 Vgl. de Libera 1990, 117sqq.14 Indes urteilt Sturlese 1993, 356, dass »Albert die emanatistische Lehre erstmals in De

causis et processu universitatis vertrat«.15 Vgl. unten Anm. 26. Anzulewicz 2000b, 258–261.16 Vgl. Albertus Magnus, II Sent. d. 2, a. 1 (Ed. Paris. 27), 45b; ebd. d. 3, a. 3 (65a-b); ebd.

a. 16 (94b).17 Vgl. ders., Super Dion. De div. nom. c. 1 (Ed. Colon. 37/1), 15, 23–16, 16; ebd. c. 2 (72, 35– 75,

11); ebd. c. 4 (194, 55–195, 27); ders., De nat. et orig. an. tr. 1, c. 2 (Ed. Colon. 12), 4, 47–6, 4.18 Ders., II Sent. d. 1, a. 12 (Ed. Paris. 27), 33b-35b.19 Ders., De IV coaeq. tr. 1, q. 1, a. 1 (Ed. Paris. 34), 308b, 310a; ebd. a. 3 (312b).20 Ebd. a. 3–4 (Ed. Paris. 34), 311b-314a.

223Die Emanationslehre des Albertus Magnus

»Die erste Ursache ist gemäß dem Buch der Ursachen weder Intelligenz noch Seele nochNatur, vielmehr ist sie, die alle Dinge erschafft, über Intelligenz, Seele und Naturerhaben; gleichwohl erschafft sie Intelligenz unmittelbar, und sie erschafft Seele, Naturund andere Dinge mittels der Intelligenz«.21

Bei der Erläuterung dieser emanatistischen Formel des Liber de causis schränktAlbert mit Blick auf das schöpferisch-instrumentelle Wirken, das diese Formelder Intelligenz zuweist, ihre Geltung, ähnlich wie die des Timaios 41A–D,22 aufdie allgemeine Kausalität ein. Er vermag sie zwar als formale Emanation,aber nicht als Erschaffung im eigentlichen Sinn aufzufassen:

»es gibt eine gewisse Tätigkeit, die dem Körper zur Aufnahme der Vernunftseele ent-spricht, insofern sie Akt des menschlichen Körpers ist, denn zwischen Vermögen und Aktbesteht eine Entsprechung; und darauf richtet sich die Tätigkeit der Engel ( Intelligenzen)durch die Bewegung des Himmels oder der Himmelssphäre [. . .]. Gott bewegt nämlichim Naturgeschehnis das Niedrigere durch das Höhere, d. h. durch die Beweger und dieBewegungen der Himmelssphären. Ähnlich bewegt auch die Seele bei Entstehung undbei Untergang des Belebten. Daher wird der Terminus ›Erschaffen‹ in der zitiertenAutorität (des Liber de causis) für jedwede Kausalität verwendet, und nicht für die Her-vorbringung aus dem Nichts ins Sein«.23

Mit der Emanationslehre, die Avicenna, Algazel und Isaac Israeli vertraten,wurde Albert ebenfalls schon im Frühwerk vertraut. Seine Aufmerksamkeitgalt zunächst ihren intellekt- und seelentheoretischen Aspekten, die er mit derAusnahme der Lehre vom getrennten, aktiven Intellekt weitgehend als adap-tationsfähig für seine Anthropologie befand.24 Behielt Albert in De homine

21 Ebd. a. 3 (312b): »Item, in libro de Causis: Causa prima non est intelligentia, nequeanima, neque natura: immo est super intelligentiam, animam, et naturam, quae estcreans omnes res: verumtamen est creans intelligentiam absque medio, et creans ani-mam et naturam et reliquas res mediante intelligentia«. Vgl. Liber de causis § 8 (9), ed.Pattin, 68, 85–69, 90.

22 Albertus Magnus, De IV coaeq. tr. 1, q. 1, a. 3 (Ed. Paris. 34), 312a: »Plato in Timaeoinducit Deum loquentem diis motoribus orbium dicens, sic: ›Imitantes meam juxtaeffectum vestrum solertiam [. . .]‹«.

23 Ebd. (312b, 313a): »quaedam operatio est, quae proportionatur corpori ad suscipiendamanimam rationalem secundum quod ipsa est actus corporis humani: inter potentiamenim et actum proportio est: et respectu illius est operatio Angelorum per motum coelivel per motum orbis [. . .] Deus enim in opere naturae infima movet per superiora,scilicet per motores et motus orbium. Et similiter anima movet etiam in generatione etanimatorum corruptione. Unde creatio ponitur in auctoritate pro causalitate quacum-que, et non pro eductione in esse de nihilo«. Die allgemeine, dreifache – formale, finaleund wirkursächliche – Kausalität spricht Albert allen natürlichen Formen und der animarationalis im Anschluss an die Physik des Aristoteles II 7 (198a24–27) und den Liber decausis § 18 (19) bereits in De homine (Ed. Colon. 27/2), 96, 20–69 zu.

24 Vgl. Albertus Magnus, De homine (Ed. Colon. 27/2), 38, 13–50; 40, 73–41, 66; 76,65–69; 138, 57–65; 408, 55–409, 6; 413, 19–48. Bezüglich des aktiven Intellekts sei

224 Henryk Anzulewicz

gegenüber der psychologischen Lehre des Avicenna, Algazel und Isaac Israelitendenziell noch eine konkordistische Haltung und bemühte er sich um eineharmonisierende Interpretation und Adaptation seiner Ansichten, lehnte erdie als platonisch gewertete und mit der Formel des Formgebers (dator for-marum) gekennzeichnete Emanationslehre ab.25 Eingehender und mit deutli-cher Kritik setzte er sich in Super II Sententiarum mit der Emanationstheorie desAvicenna auseinander.26 Diese frühe, im schöpfungstheologischen Kontextbegonnene Auseinandersetzung mit der Emanationslehre des Avicenna be-einflusste auf Dauer, wie sich im Folgenden zeigen wird, sein Verhältnis zuden theologisch und philosophisch brisanten Punkten dieses Lehrstücks.27

Wie schon festgehalten, ist den Ausführungen zu Beginn von De IV coae-quaevis zu entnehmen, dass Albert bereits in diesem Frühwerk die neuplato-nische, emanatistisch aufgefasste Ursachenlehre des Liber de causis adaptierte.Bei ihrer Auslegung machte er aber sowohl im Frühwerk als auch in späterenSchriften bis zu den Kommentaren zum corpus Dionysiacum und zur Physik desAristoteles eine wesentliche Einschränkung. Nur das Naturgeschehnis (opusnaturae), das sich auf die Erhaltung und Fortpflanzung der Schöpfung (propa-gatio, generatio continua)28 erstreckt, fasste er philosophisch als die formale Ema-nation auf. Im Anschluss an Aristoteles und Averroes deutete er die Ema-nation in Abgrenzung von der platonisch-avicennianischen, mit der Formeldes ›Formgebers‹ gekennzeichneten Interpretation zu einer von Aristotelesund Averroes inspirierten Theorie der Formgründung (inchoatio formarum) um.29

angemerkt, dass Albert im Unterschied zu Avicenna die Auffassung vertrat, der intel-lectus agens sei ein konstitutiver, immanenter Teil des menschlichen Intellektes (Vgl.Anzulewicz 2003, 186–187) und nicht eine getrennte, kosmische Intelligenz der zehn-ten Himmelssphäre [vgl. De homine (408, 55–70)]. Ein weiterer, wesentlicher Unter-schied zu Avicenna (und auch zu Aristoteles sowie den posteriores Peripatetici ) bestand inder Bestimmung der Rolle des Willens in der Emanationstheorie. Nicht nur am Anfangder creativen Emanation aus dem Ersten stand der absolut freie Wille, sondern er stehtnach Albert auch am Anfang des kognitiven Prozesses des geschaffenen Intellektes,indem er – der Wille – die aktuierende, emanative Einwirkung des intellectus agens aufden intellectus possibilis in Gang setzt, vgl. De homine (442, 23–25; 492, 57–59); De animal. 3, tr. 3, c. 11 (Ed. Colon. 7/1), 221, 81–86.

25 Albertus Magnus, De homine (Ed. Colon. 27/2), 134, 46–50; 137, 62–138, 9.26 Ders., II Sent. d. 1, a. 10 (Ed. Paris. 27), 27b-28a; ebd. a. 12 (34a); ebd. d. 3, a. 3,

(65a-66a).27 Vgl. Bonin 2001, 53–65.28 Vgl. Albertus Magnus, De IV coaeq. tr. 1, q. 1, a. 5–6 (Ed. Paris. 34), 314a-317a; ders.,

De homine (Ed. Colon. 27/2), 72, 34–43; II Sent. d. 1, a. 12 (Ed. Paris. 27), 34b; Phys. l. 8,tr. 1, c. 13 (Ed. Colon. 4/2), 575, 43–49.

29 Ders., De IV coaeq. tr. 1, q. 1, a. 6 (Ed. Paris. 34), 314b-317a; vgl. unten Anm. 37, 38und 50. Die Theorie der inchoatio formarum hat ebenfalls einen emanatistischen Kern,

225Die Emanationslehre des Albertus Magnus

Die Erschaffung aus dem Nichts wurde hingegen nicht als die Emanation ausder ersten Ursache unter Vermittlung der übrigen primären Ursachen (intel-ligentia, anima nobilis, natura) gemäß dem Liber de causis gedacht. Warum?

Alberts konkordistische Bestrebungen in der Frage nach der Identifikationder Beweger der Himmelssphären mit den Engeln spielte in diesem Zusam-menhang kaum eine Rolle. Denn er trat bis 1246 weder entschieden für derenUnivozität ein noch lehnte er sie konsequent ab; vielmehr zeigte er sichaufgeschlossen gegenüber den unterschiedlichen Lösungsansätzen.30 Wie ei-nige angesehene Theologen vor ihm, ließ er zunächst den Gebrauch destheologischen Begriffs ›Engel‹ für die Beweger der Himmelssphären geltenund bemerkte dazu, dass es dem Glauben nicht widerspräche, wenn ›gewisseIntelligenzen oder Engel‹ das Naturgeschehnis im Auftrag Gottes durch Be-wegung und Lenkung der Himmelssphären unterstützten.31 Die Auffassung,

abgesehen davon, dass auch sie später – in Super Dionysium De divinis nominibus – alsErschaffung in der Weise der Emanation erklärt wird, denn nach Albert gilt für dieMaterie als das Substrat des Naturprozesses und für den Naturprozess selbst dasneuplatonische Axiom »opus naturae est opus intelligentiae«. Diesem Grundsatz zu-folge werden die Formen, die in der Materie angelegt sind, aus ihr nicht ohne eineMitwirkung der virtus caeli herausgeführt. Das Naturgeschehnis erklärt er im Licht derneuplatonischen Kosmologie emanatistisch, indem er auf die Ursachenlehre des Liber decausis zurückgreift und die vier primären Ursachen zum einheitlichen Begriff der seins-konstitutiv wirkenden Intelligenz zusammenfasst [De causis et proc. univ. l. 2, tr. 1, c. 2 (Ed.Colon. 17/2), 62, 2–3, 11–14: »Quattuor autem sunt causae primariae in una rationecausalitatis sumptae [. . .] causa prima, intelligentia, anima nobilis et natura, proutnatura forma diffusa est in primis naturantibus principiis omnia constituentibus inincohatione et motu et perfecto esse naturali«]. Hierzu vgl. Well 1932, 76–78; Nardi1960; Weisheipl 1980; Both 1983, 182; Hödl 1994; Weber 1994, 153; Snyder 1996;Schönberger 2001, 70–73.

30 Vgl. Albertus Magnus, II Sent. d. 2, a. 1 (Ed. Paris. 27), 45b: »Dubium enim est quis sitmotor coeli. Ptolemaeus, et Abbategni, et Albumasar, et omnes astronomi dicuntcoelum moveri a voluntate Dei, et haec est nostra confessio. Aristoteles autem et omnesnaturales Philosophi dicunt ipsum moveri ab intelligentia, sicut desiderans movetur adesiderato, et utrum Angeli deserviant Deo in motu orbium, vel non, incertum estnobis: hoc tamen certissime tenemus secundum sanctos Patres, quod non omnes oc-cupantur circa motum coelorum, etiamsi tot essent coeli quot sunt stellae, sicut quidameorum praesumpserunt dicere: quia nobis traditur quosdam assistere, quosdam circanos ministrare: tamen quod quidam etiam moveant coelum, videtur secundum expo-sitionem unius sancti per illud verbum Matthaei XXIV, 20: ›Et virtutes coelorumcommovebuntur‹. Hoc enim in libro ad Eugenium Bernardus exponit de Angelis«.Weitere Stellennachweise bei Albert: Twetten 1999, 29–41.

31 Albertus Magnus, De IV coaeq. tr. 3, q. 16, a. 2 (Ed. Paris. 34), 445b: »Ista omniadiximus secundum Philosophos qui non contradicunt quibusdam Sanctis negantibuscoelum animam habere, nisi in nomine solo, qui abhorrent nomen animae, et tamenbene concedunt, quod intelligentiae quaedam sive Angeli movent coelum jussu Dei.

226 Henryk Anzulewicz

die Seele des Himmels sei univok mit der Seele eines Sinnenwesens, teilte erjedoch nicht und lehnte sie stets ab. Aber er lehnte nicht die Existenz einergetrennten, mit dem Himmelskörper unverbundenen Intelligenz ab, einer dervier im Liber de causis eingeführten primären Ursachen. Die getrennte Intel-ligenz scheint er im Frühwerk mit den Bewegern der Himmelssphären gleich-zusetzen und sogar alle primären Ursachen mit Ausnahme der causa primaunter dem einheitlichen Begriff der intelligentia, wie er später im Liber de causistat, zusammenzufassen.32 Im Kommentar zum zweiten Sentenzenbuch, derseine theologische Qualifikationsschrift war, schränkte er in dieser Frage seinenoch kurz zuvor im selben Werk (d. 2, a. 1)33 vertretene Ansicht ein, da er siefür nicht zureichend durch den kommentierten Text des Lombarden oder

Sicut ponimus secundum Catholicam fidem quosdam Angelos miraculosa facere, etlegibus naturae concurrere: ita non est contrarium fidei quosdam Angelos juvare na-turam in movendo et gubernando sphaeras coelorum, quos Angelos moventes siveintelligentias Philosophi dicunt animas. Sancti vero timentes ne forte dicere coganturcoelos esse animalia, si concedunt ipsos habere animas, negant motores coelorum esseanimas. Et ita patet, quod non est contradictio inter eos: antqui enim Deos et Angelosdicebant animas mundi«. Vgl. ders., De homine (Ed. Colon. 27/2), 42, 3–15: »Unde sisancti contradicunt hic dictis philosophorum, non erit contradictio in re, sed in nominetantum. Non enim contra sanctos est nec contra catholicam fidem angelos aliquos deosubservire in hoc quod movent sphaeras ad generationem et corruptionem inferiorum.Quod autem sic intelligentia pura moveat motores sphaerarum influendo bonitates, etilli moti moveant ulterius ad naturalem productionem rerum, patet ex VII propositioneLibri causarum, quae sic dicit: ›Omnis intelligentia scit, quod est supra se et quod estsub se. Sed hoc quod est sub se, scit, quoniam est causa ei, et scit, quod est supra se,quoniam acquirit ab eo bonitates‹«; ders, ebd. (412, 69–72): »Sequentes enim Aristo-telem et Averroem dicimus caelum non habere animam praeter intelligentiam, ut suprain quaestione de caelo determinatum est«; ebd. (467, 35–38): »Videmus autem in entibusnaturam esse spiritualem separatam a corpore intellectivam et incorruptibilem, sicut estangelus, qui etiam ponitur a philosophis, licet sub nomine intelligentiae separatae«.

32 Vgl. oben Anm. 21 und 29. Albertus Magnus, De IV coaeq. tr. 3, q. 16, a. 2 (Ed. Paris.34), 445a-b: »motor qui est intelligentia, et motor qui est ex parte naturae corporis, suntdiversi: quia licet comparentur ad unum motum, non tamen eadem ratione: in coeloenim motum est considerare dupliciter, scilicet secundum circulum simplicem: et sicordinatur motus ad motorem qui est natura et forma substantialis corporis coelestis, etdispositiones naturales ad ipsum sunt lumen et figura. Item, invenitur in motu ratiodextrae unde incipit motus, et ratio sinistrae per quam est regyratio motus, et ratio anteet retro secundum quam est obligatio motus, et ratio supra et ratio infra secundumquarum immobilitatem mobile non egreditur de loco suo: et secundum has rationescomparatur motus ad intelligentiam quae dicitur anima et motor coeli«; ders., De homine(Ed. Colon. 27/2), 412, 69–72: »Sequentes enim Aristotelem et Averroem dicimus caelumnon habere animam praeter intelligentiam, ut supra in quaestione de caelo determinatumest«. Diesbezügliche Ausführungen von Sturlese 1993, 350–357, teilen wir nicht.

33 Vgl. oben Anm. 30.

227Die Emanationslehre des Albertus Magnus

eine andere theologische Autorität legitimiert befand. Diesen Schritt begrün-dete er auch philosophisch mit der Tatsache, dass die Gleichsetzung derIntelligenzen mit den Engeln und deren Einbeziehung bei der Interpretationdes Emanationsprozesses aufgrund ungenügender Differenzierung zwischenihnen und unter falschen Voraussetzungen erfolge. Er beanstandete die Gleich-setzung nicht nur hinsichtlich der ihr zugrundeliegenden, philosophisch un-haltbaren Auffassung der Beweger und der Bewegung der Himmelssphären,sondern auch hinsichtlich der ihnen – den Bewegern der Himmelssphären –zugesprochenen Kausalität, die sich mittels der Emanation aus der erstenIntelligenz, einem notwendigen Sein (ens necesse), durch eine voneinanderabsteigende Reihe von zehn Intelligenzen hindurch realisiere. Anhand derskizzierten Variante der Emanationslehre, die offensichtlich auf Avicenna undAlgazel zurückgeht, stellte er klar, dass sie nicht auf die Engel übertragbarist.34 Seine eigene, auf dem Boden der Theologie formulierte Position in dieserFrage drückte er wie folgt aus:

»Ich stimme in diesem Punkt zu, dass Engel nicht dasselbe ist, was die PhilosophenIntelligenz nennen; und ich behaupte auch nicht, dass es Intelligenzen gibt, wie dernachfolgenden Abhandlung über das Schöpfungswerk des vierten Tages und über denHimmel zu entnehmen ist, weil es mir scheint, dass dies im christlichen Sinn (Catholice)nicht vertreten werden kann«.35

34 Albertus Magnus, II Sent. d. 3, a. 3 (Ed. Paris. 27), 65a-b: »Potest autem esse, quodaliquis dicat, quod ego non intelligam Philosophos loquentes de intelligentiis. Sed adhoc respondeo, quod verum est me parum intelligere: sed non est incertum mihi quiniste sit intellectus Philosophorum loquentium de intelligentiis, et quod certum est mihi,quod loquens Angelos esse intelligentias, et moveri localiter, vel etiam immediatemovere coelos, et non tantum sicut desideratum movet desiderantem, quod ille num-quam scivit nec intelligentiae naturam, nec Philosophos loquentes de intelligentiisintellexit: ipsi enim ponunt unam intelligentiam solam, quae sit ens necesse, et exsplendore illius et possibili quod numquam deest ei, ut dicunt, educit intelligentiamprimi ordinis, et ex illa secundum orbem et cum anima orbis intelligentiam secundiordinis, et ex illa orbem tertium et intelligentiam tertii ordinis, et ita usque ad intelli-gentiam decimi ordinis, quae est movens ut desideratum sphaeram activorum et pas-sivorum, quae educitur a distinctione locorum sub orbe lunae, cujus intelligentiaedicunt esse splendorem omnem formam materiae generabilium et corruptibilium, etformam intellectus possibilis: et haec omnia reputamus erronea quando de Angelisdicuntur«.

35 Hierzu und zum folgenden: Albertus Magnus, II Sent. d. 3, a. 3 (Ed. Paris. 27), 65b: »Etideo consentio in hanc partem, quod Angelus non sit idem quod Philosophi intelligen-tiam esse dixerunt, nec etiam dico esse intelligentias, ut infra in quaestione de operibusquartae diei et de coelis habetur, quia mihi videtur quod Catholice hoc poni nonpotest«. Vgl. ebd. a. 16 (94b): »Unde Isaac et Rabbi Moyses, Philosophi Judaeorum hacdifficultate coacti, auferebant ab Angelis quos secundum legem coacti sunt ponere,notitiam particularium, et dicebant ipsos Angelos esse intelligentias moventes orbes, et

228 Henryk Anzulewicz

Mit dieser Aussage hat Albert eine nominelle und sachliche Gleichsetzung derkosmischen Intelligenzen mit Engeln, wie es die jüdischen und arabischenDenker in ihren ins Lateinische übersetzten Schriften zu tun schienen, aus derPosition des biblisch-christlichen Schöpfungsglaubens abgelehnt. Sie kam ihmals theologisch nicht ausgewiesen und auch im Licht der Vernunft als zweifel-haft vor.

Wenn Albert in dem nur wenige Jahre nach der Fertigstellung von Super II

Sententiarum verfassten Kommentar zu De divinis nominibus des Ps.-DionysiusAreopagita seine in De IV coaequaevis geäußerte Auffassung, die Ansicht, dieEngel bewegten die Himmelssphären, spräche weder für noch gegen denGlauben, wiederholte, gab er seinen theologisch und philosophisch geläuter-ten Begriff des Engels nicht preis.36 Als neu hingegen sehen wir in diesemWerk die Interpretation der Emanationslehre in Anlehnung an den platoni-schen Gedanken der Teilhabe und der Seinsanalogie. Die Emanation er-scheint hier zunächst von der Schöpfungsfrage völlig getrennt, da sie zurErklärung der Existenz der Materie nicht herangezogen war, die letztere aberAristoteles37 und Averroes38 zufolge als bereits existent und mit potenziellenFormen ausgestattet vorausgesetzt wurde:

»[Nichts], was im ersten Beweger ist, nimmt man in der Materie an, sondern durchdessen Bewegung wird (aus der Materie) das herausgeführt, was in ihr dem Vermögennach angelegt war; und die Bewegung der Materie wird in der größtmöglichen Verähn-lichung mit dem ersten Beweger beendet, wodurch die Materie einen geordneterenZustand erlangt«.39

non cognoscere particularia, sed potius influere orbibus vel motoribus orbium formassimplices, quae ad particularia determinantur per diversitatem motus [. . .]. Sed omniahaec fide refutamus nostra, et oportet nos quaerere viam competentem fidei [. . .]«; ebd.d. 14, a. 6 (265b-266a).

36 Ders., Super Dion. De div. nom. c. 4 (Ed. Colon. 37/1), 123, 3–4: »Sed hoc non est pro fidenec contra fidem, quod angeli moveant caelos«; vgl. oben Anm. 31. Seinen definitivenStandpunkt in dieser Frage stellte er in De causis et proc. univ. l. 1, tr. 4, c. 8 (Ed. Colon.17/2), 58, 19–29 heraus: »Ordines autem intelligentiarum, quas nos determinavimus,quidam dicunt esse ordines angelorum et intelligentias vocant angelos. Et hoc quidemdicunt Isaac et Rabbi Moyses et ceteri philosophi Iudaeorum. Sed nos hoc verum essenon credimus. Ordines enim angelorum distinguuntur secundum differentias illumi-nationum et theophaniarum, quae revelatione accipiuntur et fide creduntur et adperfectionem regni caelestis ordinantur in gratia et beatitudine. De quibus philosophianihil potest per rationem philosophicam determinare«.

37 Aristoteles, Metaph. XII 4 (1070b30–35); VII 7 (1032b5–30).38 Averroes, Metaph. XII comm. 18.39 Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 2 (Ed. Colon. 37/1), 74, 2–4: »nihil, quod

sit in primo motore, ponitur in materia, sed per motum eius educitur, quod erat in ipsain potentia, et terminabitur motus materiae in similitudinem motoris primi plus et plus,secundum quod materia est magis disposita«.

229Die Emanationslehre des Albertus Magnus

Albert macht nunmehr einen weiteren Schritt und stellt unter Beweis, dass erauch den Ursprung der Materie und ihre inchoative Ausstattung mit Formenals Erschaffung aus dem Nichts emanatistisch zu interpretieren vermag, dennnur auf diese Weise kann er die Entstehung des Universums vollständig undim Einklang mit dem theologischen Schöpfungsgedanken philosophisch er-klären:

»Wenn wir diese Auffassung (i. e. des Aristoteles von der inchoatio formarum in der prä-existenten Materie) dahingehend ergänzen, dass das Erste aufgrund seiner Wirkmäch-tigkeit die ganze Sache der Materie und Form nach hervorbringt, wird sie zu einer mitdem christlichen Glauben konformen Auffassung, und dann werden die in der Materieangelegten, potenziellen Formen durch Erschaffung sein. Und folglich wird verständlich,was hier Dionysius sagt, dass das Erste exemplarisch und wirkursächlich, nicht aberwesensmäßig in alles Verursachte fortschreitet [. . .]«.40

Einer Differenzierung zwischen der Erschaffung von Wesenheiten aller For-men einerseits und andererseits der Hervorbringung von deren Sein durch dieNatur begegnete Albert bei den späteren, nicht namentlich, sondern nur alsquidam moderni bezeichneten Autoren mit Kritik und Ablehnung. Er schlosssich der Auffassung des Aristoteles an, die er als stringenter, tragfähiger undmit dem Glauben konformer wertete, da er sie im Anschluss an Ps.-DionysiusAreopagita kreationistisch in Bezug auf das erste Prinzip ( primum ) und inBezug auf die sekundären Ursachen emanatistisch explizieren konnte.41

Das exemplarische und wirkursächliche Fortschreiten des Ersten in dasverursachte Seiende verstand Albert in Super Dionysium De divinis nominibus alseine processio formalis, deren Vollzug er als eine intellektuelle, aus dem Erstenausgehende Bewegung (motus rationis) definierte. Das was diese intellektuelleBewegung des Ersten inhaltlich ausmachte, war das Emanieren abgebildeterForm aus dem Urbild.42 Denn nur dem Ersten eignete, so Albert, jene schöp-ferische Wirkursächlichkeit, die sich im Einflößen des analogen Seins mani-festierte. Alle nachfolgenden Ursachen, eine Reihe von getrennten Intelligen-zen, hätten nur an der Kraft des Ersten in je unterschiedlicher Weise teil undbildeten gleichsam die Saat für das jeweils Nächstfolgende. Diesen Gedanken, indem die Emanation durch Teilhabe erklärt wird, formuliert Albert offensichtlich

40 Ebd. (74, 7–14): »Cum autem huic positioni addiderimus, quod primum propter effi-caciam suae actionis producit totam rem secundum materiam et formam, erit opiniocatholica, et tunc potentiae ad formas erunt in materia per creationem. Et secundumhoc intelligitur, quod hic dicit Dionysius, quod primum procedit in omnia causataexemplariter et efficienter et non essentialiter«.

41 Ebd. (74, 14–20).42 Ebd. (74, 22–27): »ista processio est primi in secundum [. . .], et est processio formalis, et

quamvis sit motus ex parte eius quod movetur ad formam, ex parte tamen primi non estaliquis motus nisi rationis, secundum quod forma exemplata procedit a primo exemplari«.

230 Henryk Anzulewicz

in Anspielung auf die neuplatonische Lehre des Isaak Israeli von der Ema-nation der Seelenstufen:

»Und wir sagen nicht, dass die Intelligenz die Vernunftseele erschafft, auch nicht, dassdie Vernunftseele die sinnenhafte Seele erschafft, sondern dass sie das analoge Sein vonihnen durch Teilhabe am göttlichen Licht gemäß ihrer Entsprechung empfangen, so dassinsofern jener Lichtstrahl vom ersten Prinzip empfangen wird, er im ersten von ihnendas Urbild und gleichsam die Saat des zweiten ist«.43

Sachlich in derselben Weise, jedoch ausführlicher und präziser erklärt Albertspäter die Emanation des Universums in De causis et processu universitatis a primacausa. Dort hält er fest, dass das Fliessen aus dem Ersten durch die Ursa-chenreihe der Gattung der Wirkursache nach nicht völlig äquivok aufzufassensei, denn sonst wäre das, was durch sie und aus ihnen fließe, in seiner Formnicht dasselbe. Da das Erste vom Sekundären der Gattung nach verschiedensei, könne es nicht in dem sein, was eine gattungsmäßig völlig univoke Reihedarstelle. Deshalb sei das Erste nicht darunter, was eine univoke oder einevöllig äquivoke Reihe bildet, sondern darunter, was im Analogieverhältniszueinander steht, wo das Nachfolgende gegenüber dem Ersten gleichsam dasWerkzeug sei. Mit Rekurs auf die Analogie erklärt Albert, dass das, was in derUrsachenkette vom Ersten bis zum letzten Glied fließt, nur der Form nachdasselbe ist, dem Sein nach aber jeweils ein anderes.44 Auf diese emanatisti-sche Weise begreift er in De causis et processu universitatis a prima causa philoso-phisch die Erschaffung aus dem Nichts als den eigentümlichen Akt der erstenUrsache.45

43 Ebd. c. 4 (132, 84–133, 27, hier 133, 13–19): »Nec tamen dicimus, quod intelligentiacreet animam rationalem nec rationalis animam sensitivam, sed quod recipiunt esseanalogum ab eis per participationem talis luminis secundum suam proportionem, itaquod, secundum quod recipitur radius ille a primo principio, in primo horum estexemplar et quasi seminale secundi«. Vgl. Isaac Israeli, Lib. de def., ed. Muckle, 313,22–314, 9; 315, 3–12.

44 Ders., De causis et proc. univ. l. 1, tr. 4, c. 6 (Ed. Colon. 17/2), 49, 75–50, 11: »(fluxus iste)non requiretur in genere causae efficientis aequivoce omnino, quia tunc non esset unumin forma, quod fluit per ipsa et ex ipsis. Et cum primum iterum non sit in eodem generecum aliquo secundorum, patet iterum, quod non erit inter ea quae omnino univocasunt. Erit ergo inter ea quae dicuntur per analogiam sive per prius et posterius, inquibus secundum quasi instrumentale est ad primum. Et forma, qua fluit primum,magis et magis determinatur et coarctatur, secundum quod fluit in secundo vel tertio veldeinceps. [. . .] In omnibus enim his idem est quod fluit, licet secundum aliud esse sit inprimo et secundum aliud in secundo et secundum aliud in tertio et sic deinceps«.

45 Ebd. l. 1, tr. 4, c. 8 (55, 62–58, 30); ebd. l. 2, tr. 1, c. 13 (75, 55–77, 18, bes. 75, 56–62):»Primae autem causae, quae causat non causante quodam alio, proprius actus creare est.Quod enim causat non causante quodam alio ante se, ex nihilo facit omne quod facit. Siautem praesupponeret aliud ante se causans, non ex nihilo faceret, sed id quod iam est,

231Die Emanationslehre des Albertus Magnus

Kehren wir zum Ausgangspunkt von Alberts Deutung der Emanation imSinn der Teilhabe und Seinsanalogie, die er im Kommentar zu De divinisnominibus entwickelte, zurück. Hier erfahren wir, dass Albert in dem vonPs.-Dionysius bestimmten, theologischen Kontext eine Emanationstheorieformuliert, in der verschiedene philosophische Traditionen zu einem kohä-renten Ganzen integriert werden. Neben Ps.-Dionysius als leitende Autorität,neben den Scholien zu dessen Werk, Augustinus und anderen, auch nichtnamentlich genannten Theologen zieht er gleichsam als Bausteine für seineKonzeption philosophiesystematisch unterschiedliche Quellen heran, darun-ter Platon und Aristoteles, den Liber de causis, Isaac Israeli und Moses Mai-monides, Avicenna und Averroes.46 Die dionysische Tradition scheint dieVermittlung der Emanationslehre mit dem Gedanken der Teilhabe und sogarihre Anwendung auf die im Wesentlichen aristotelische Psychologie zu be-günstigen. Der Intelligenz, der Vernunftseele und der sinnenhaften Seele,denen die Teilhabe an der Erkenntniskraft (virtus cognoscitiva) gemeinsam sei,werde diese vom Ersten wie aus ihrer Quelle, die Albert ausdrücklich mit Gottidentifiziert, durch die jeweils übergeordnete Natur eingeflößt. Den Begriff›Intelligenz‹ erläuterte er im unmittelbaren Kontext zwar nicht, aber ausseinen zurückliegenden Ausführungen, an die er später anknüpfen wird, gehthervor, dass mit der Intelligenz ›engelsgleiche Natur‹ gemeint ist. Die Philoso-phen nannten sie, so Albert, »himmlische Substanz«, während der Ps.-Areopa-gite und andere Theologen sie als ›Verstand‹, ›Intellekt‹ und ähnliches be-zeichneten.47 In diesem Zusammenhang wird ebenfalls deutlich, dass Albert

formaret in id quod facit et causat. Actus igitur primae causae proprie creatio est«; ebd. (76,79–77, 1): »Et sic dixerunt antiqui Peripatetici, quod prima causa creat animam nobilemintellectualem mediante intelligentia, non quod intelligentia, quae est causa secunda, utaturpro medio, sed quia lumine eiusdem intellectus agentis, quo constitutit intelligentiam,constituit et nobilem animam et hominis animam, in quantum nobilis est, in esse naturaeintellectualis. Quod tamen in anima nobili et anima hominis minus sincerum est quam sit inintelligentia, cuius substantia est intelligentiam esse, in quantum proportionatur ad corpusmobile, cuius ipsa per intellectum motor est«. Vgl. Bächli-Hinz 2004, 188.

46 Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 2 (Ed. Colon. 37/1), 72, 35–74, 65: Platon,Aristoteles, Avicenna, Averroes, Moses Maimonides, ›philosophi‹, ›quidam moderno-rum‹, Augustinus, Ps.-Dionysius Areopagita; ebd. c. 4 (121, 54 u. 132, 12): ›philosophi‹;ebd. (121, 58): Liber de causis; ebd. (121, 62): Avicenna; ebd. (122, 51; 132, 27): IsaacIsraeli; ebd. (132, 19.61.77): Aristoteles.

47 Ebd. c. 4 (122, 28–33): »concedimus, quod intellectuale est differentia constitutiva na-turae angelicae in esse specifico, quamvis quidam hoc non concedant; sed hoc videtursecundum intentionem omnium philosophorum et sanctorum, qui dicunt eas intelli-gentias et intellectus et mentes«; ebd. (120, 34–37): »substantiae autem supercaelestes aphilosophis vocantur intelligentiae, a Dionysio vero et aliis sanctis vocantur mentes etintellectus et huiusmodi nominibus«.

232 Henryk Anzulewicz

die ›engelsgleiche Natur‹, sei damit Engel oder kosmische Intelligenz gemeint,emanatistisch auffasst, indem er sie als die aus dem Licht der ersten Ursacheausgeflossene, von diesem Licht numerisch verschiedene, formale Wirklichkeit(actus) begreift. Die Emanation selbst, die er, wie schon gesehen, als intellek-tuellen Ausfluss der Exemplarform aus dem Ersten und zugleich als reinintellektuelle Teilhabe an dessen Licht interpretiert, setze die Differenz zwi-schen der göttlichen Form und der Form der Engel bzw. der Intelligenz, mitanderen Worten die Differenz zwischen dem Ersten und allem, was aus ihmemaniert.48

Für unsere Fragestellung ist ferner die Tatsache wichtig, dass sich Albert imKommentar zu De divinis nominibus mit der Interpretation der neuplatonischenEmanationslehre des Avicenna, die er als die Theorie der Formgebung be-zeichnete und auf Platon zurückführte, mehrfach kritisch auseinandersetzteund sie konsequent zurückwies.49 Er kritisierte ihre theologische und philo-sophische Inkonsistenz und suchte nach einer Lösung, die der theologischenSchöpfungslehre Rechnung trägt. Folglich entwickelte er hier seine in Super II

Sententiarum50 in wesentlichen Zügen umrissene, inhaltlich schon zuvor in DeIV coaequaevis und in De homine51 weitestgehend vorbereitete Theorie der Form-gründung (inchoatio formarum), in der er die Emanationslehre mit aristotelischenElementen verband und, wie festgehalten, mit dem theologischen Schöp-fungsbegriff in Einklang brachte.

Auch im Physikkommentar hob Albert die Vorzüge seiner kreationistischen,philosophisch explizierten Theorie des Weltanfanges, die dem biblischenGlauben Rechnung trägt, hervor und zeigte, wie sie mit der Emanationslehrevermittelbar ist.52 Er kündigte an, alle Fragen nach dem Hervorgang desUniversums aus der ersten Ursache in der Metaphysik sorgfältig und differen-ziert zu untersuchen.53 Sein Versprechen löste er in der Schrift De causis et processuuniversitatis a prima causa ein, in der er sich der Emanationslehre widmete und sie

48 Ebd. (122, 35–38): »lux causae primae est actus angelicae naturae non eadem numero,quae est in substantia causae primae, quia sic esset eadem forma divina et angelorum,quod est impossibile, sed effluxa ab illa«; vgl. ebd. (120, 40–51).

49 Hierzu und zum folgenden vgl. Albertus Magnus, ebd. c. 1 (15, 23–64); c. 2 (72, 35–74,20); c. 4 (194, 55–75). Anzulewicz 2000b, 258–260.

50 Albertus Magnus, II Sent. d. 1, a. 12 (Ed. Paris. 27), 34a-b.51 Ders., De IV coaeq. tr. 1, q. 1, a. 6 (Ed. Paris. 34), 315a-317a; De homine (Ed. Colon.

27/2), 137, 62–138, 9.52 Ders., Phys. l. 8, tr. 1, c. 13.15 (Ed. Colon. 4/2), 574, 63sqq., 579, 48sqq.53 Ebd. c. 15 (580, 66–69): »Nos autem omnia ista cum diligenti studio in prima philoso-

phia tractabimus et inquiremus etiam disquisite, ubi etiam ponemus nomina auctorum,qui haec scripserunt«.

233Die Emanationslehre des Albertus Magnus

historisch und systematisch im großen Stil aufarbeitete.54 Es wäre aber einIrrtum zu glauben, dass er in diesem Werk seine früheren Einwände gegenüberder Emanationslehre ungelöst zur Seite schob und das ihn leitende Prinzip derRationalität und der Konvenienz mit dem biblisch-christlichen Glauben aufgab.

Blicken wir aber auf die entscheidende Stelle für die Adaptation der Ema-nationslehre in Alberts Werk – Super II Sententiarum – zurück, wo es, wieeingangs festgehalten, zu einer Grenzziehung zwischen Theologie und Phi-losophie und einer Neukonstituierung des Verhältnisses der beiden Bereichezueinander kam. Die Folgen, die diese Veränderung nach sich zog, lassen sichan Alberts andauerndem Ringen um eine philosophisch stringente und gleich-zeitig theologisch kompatible Emanationslehre ablesen. Wir können im Früh-werk am deutlichsten sehen, dass die Schöpfungslehre der Genesis dem Theo-logen absolut unaufgebbar war und keinen Raum für Interpretationen bot,die mit der biblischen Offenbarung und der Tradition in wesentlichen Punk-ten unvereinbar zu sein schienen. Albert sah mehrere Schwierigkeiten grund-sätzlicher Natur, die ihm eine Annahme der emanatistischen, vor allem vonden arabischen Philosophen Avicenna und Algazel vertretenen, mit dem Ma-kel des Pantheismus und Nezessitarismus behafteten Konzeption der Weltent-stehung, unmöglich machten.55 Denn im Lichte dieser Theorie schien es, als obIntelligenzen, Himmel, Welt und alles andere, was unterhalb von Gott exis-tiert, von ihm ihr Wesen (substantia) empfangen würden, anders ausgedrückt:Gott wäre die Ursache der Substanz von allem, eine Behauptung, die Albertfür die unvermeidliche Konsequenz des von Avicenna selbst und auch all-gemein anerkannten philosophischen Axioms hielt, alles gehe auf Eines, dasErste, zurück wie auf das Seinsprinzip von allem (omnia reducuntur ad unum sicutad principium universi esse). Weitere neuralgische Punkte dieser Theorie warenu. a. die Frage nach dem Ursprung der Materie und nach dem Grund derVerschiedenheit der Materie des Himmels und der Himmelskörper sowie diedem Emanationsprozess zugrunde liegende, natürliche Notwendigkeit (agereper necessitatem naturae). Sie ließ sich aber in keiner Weise mit dem schöpferi-schen, dem freien Willensentschluss und der Gutheit entspringenden WirkenGottes vermitteln.

Es wäre also verwunderlich, wenn Albert die im Frühwerk, im Kommentarzu De divinis nominibus und auch im Physikkommentar behandelte Frage nach derWeltentstehung gemäß der zuvor beanstandeten Gesetzlichkeit der avicennia-nischen Emanationstheorie beantwortete, ohne die scheinbar unüberbrückbaren

54 Vgl. oben Anm. 44 und 45.55 Hierzu und zum Folgenden: Albertus Magnus, II Sent. d. 1, a. 10 (Ed. Paris. 27),

27a-28b, 30a.

234 Henryk Anzulewicz

Differenzen dieser Theorie mit der theologischen Lösung auszuräumen. Sei-nen theologischen Standpunkt wusste er jedoch philosophisch an einer pro-minenten Stelle zu begründen und dessen Vorzüge herauszustellen.56 Die vonihm schrittweise erarbeitete Lösung erwies sich als durch die proklisch-dio-nysische Variante der Emanationslehre gedeckt, mit der er die Erschaffung alsabsolut freien, »zeitlichen Hervorgang der Geschöpfe aus Gott« begriff.57 Das›Theologumenon‹ von der Erschaffung der Welt durch Gott als dessen freier,willentlicher, unmittelbarer und nur ihm eigentümlicher Akt vermochte undbrauchte er niemals aufzugeben. Notwendig waren hingegen Korrekturen ander Emanationstheorie des Avicenna und Algazel nach ihrem ursprünglichen,proklisch-dionysischen Muster. An diesem in Super Dionysium De divinis nomi-nibus erarbeiteten Verständnis der Emanation der Welt aus dem Ersten hielt ernicht nur im Physikkommentar, sondern auch in De causis et processu universitatis aprima causa fest, jenem Werk, in dem er unter seine Auslegung der Emana-tionslehre den letzten Strich setzte.58

Durchaus wichtig ist dabei die Tatsache, dass Albert nicht nur die Weltent-stehung, sondern auch das Bestehen im Sein und die Rückkehr der Welt zuihrem schöpferischen Ursprung – Fragen, denen er bei Avicenna und Algazeloffenbar nicht begegnete – im Einklang mit der theologischen Schöpfungs-und Erlösungslehre als den emanativen Hervorgang aus dem Ersten und dieRückkehr zu ihm philosophisch interpretieren konnte. Auf dieselbe Weiseerläuterte er schon im Frühwerk seinen Lebensbegriff und speziell den Her-vorgang der menschlichen Seele aus dem göttlichen Ursprung sowie ihreRückkehr zu ihm. Man muss deshalb hervorheben, dass Albert nicht erstnach der Kommentierung der Metaphysik des Aristoteles, sondern in seinemschöpfungstheologischen Frühwerk De IV coaequaevis die neuplatonische Ema-nationslehre des Ps.-Dionysius Areopagita und des Liber de causis bereits in nuceund in Super II Sententiarum in wesentlichen Teilen assimiliert und adaptierthat.59 Die avicennianische Lesart dieser Theorie hat er in der Tat erst inDe causis et processu universitatis a prima causa endgültig entschärft, korrigiert undin sein Gesamtkonzept des Lehrstücks adaptiert.

56 Ders., Phys. l. 8, tr. 1, c. 13 (Ed. Colon. 4/2), 574, 63–577, 50.57 Vgl. ders., Super Dion. De div. nom. c. 2 (Ed. Colon. 37/1), 70, 50sqq. Beierwaltes 1997,

81–82.58 Vgl. oben Anm. 45, ferner Albertus Magnus, De causis et proc. univ. l. 1, tr. 3, c. 1–3 (Ed.

Colon. 17/2), 35, 9–39, 13 (De libertate primi, De voluntate primi, De omnipotentia primi ).59 Dieser Befund deckt sich nicht mit der Annahme, dass »Albert die emanatistische Lehre

erstmals in De causis et processu universitatis vertrat« (Sturlese 1993, 356).

235Die Emanationslehre des Albertus Magnus

Zur Verdeutlichung, wann, wie und wo Albert die entscheidende Wei-chenstellung in Bezug auf die Emanationstheorie vornahm, lassen wir nocheinmal den Schlüsseltext aus dem schöpfungstheologischen Zusammenhangseines Sentenzenkommentars das Wort reden. Darin stellt Albert die Emana-tionslehre nicht ohne eine gewisse Zuspitzung auf den Prüfstand. Die Fragenach dem ›Fließen von allem Geschaffenen aus Gott‹ leitet er mit der Fest-stellung ein, sie sei von grundlegender Bedeutung und ihre Erschließung ernteals Frucht das ganze Wissen um ihren Gegenstand.60 Mit jeweils drei theo-logischen und philosophischen Argumenten untermauert er zunächst dieThese, dass alle natürlichen Dinge und Formen ihre Ursache im Schöpfungs-akt Gottes haben. Von gleicher Provenienz und Anzahl sind die Einwände zuder These. Gegen eine vermittelnde Position, die Natur und Gott brächtengemeinsam Formen aus der Materie hervor, führt er drei Vernunftgründe an.Bevor er seinen eigenen Standpunkt darlegt, nimmt er eine Bestandsaufnah-me bisheriger Lösungsversuche seitens der Philosophen und Theologen vor.In dieser ganzheitlichen, philosophisch-theologischen Perspektive, die sichvon den Epikureern bis Platon und von Aristoteles bis Averroes erstreckt undzwei theologische Lösungswege einschließt, verdichtete sich die Eingangsfragenach der Emanation von allem Geschaffenen zur Frage nach dem Ursprungder Formen aller Dinge. In der Bestandsaufnahme zeigten sich die systema-tischen Voraussetzungen der Emanationstheorie und ihre avicennianischeAusprägungsform sowie die Gründe für ihre Kritik seitens des Averroes, dieAlbert inhaltlich teilte und in seine Theorie der Formgründung aufnahm.61

Alberts Darstellung philosophischer Lehrmeinungen (von den Epikureernbis zu Platon) zur Frage nach dem Ursprung der Formen übergehen wir undnehmen nur seine Ausführungen zur diesbezüglichen Auffassung des Aristotelesin den Blick. Diese liege, so Albert, in zwei unterschiedlichen Interpretationenvor, deren Vertreter um Avicenna und Averroes gruppiert werden. AvicennasName steht für die Lehre vom Ursprung aller Formen im ›Formgeber‹, von dem

60 Albertus Magnus, II Sent. d. 1, a. 12 (Ed. Paris. 27), 32a: »Gravis autem quaestio inciditcirca primum, de fluxu omnium creatorum a Deo, et tenet haec quaestio fructus totiusscientiae istius, si posset bene investigari«.

61 Alberts Theorie der Formgründung (inchoatio formarum), die er vor allem in De natura etorigine animae entfaltet, ist im wesentlichen von Averroes (Metaph. XII comm. 18) in-spiriert, wie es in II Sent. d. 1, a. 12 (Ed. Paris. 27), 34a-b ausdrücklich heißt: »SedAverroes non convenit secum (sc. cum Avicenna) in hoc: quia ipse dicit Aristotelemsentire, quod omnes formae sunt potentia in materia, et omnes extrahuntur ex ipsa permotores proximos, secundum communicationem triplicis virtutis, scilicet elementalis, etcoeli, et formativae virtutis in semine [. . .] et hoc est magis probabile«. Vgl. oben Anm.37 und 38.

236 Henryk Anzulewicz

sie in die Materie eingeflößt würden. Averroes weise diese Ansicht zurückund nehme mit Aristoteles an, dass die Materie mit Formen aller Dingepotentiell ausgestattet sei; die Formen würden aus der Materie durch dieKraft der Elemente, des Himmels und des Samens herausgeführt. Von denbeiden Interpretationen wertet Albert die Auffassung des Averroes als plau-sibler.62

Wie sahen die Theologen diese Frage? Sie stützten sich auf den biblischenSchöpfungsbericht, gingen aber mit ihren Lösungen in zwei Richtungen. EineMinderheit von ihnen war der Ansicht, dass alle Formen erschaffen werdenund dass der Schöpfungsakt jede Bewegung in der Natur vollendet. Der Anteilder Natur am schöpferischen Geschehen beschränke sich auf die Vorberei-tung der Materie – eine Auffassung, die Albert selbst, wie gesehen, im Früh-werk vertrat. Die geläufigere Lehrmeinung war aber, dass Gott in der Naturund durch die Natur wirke, indem er ihr Sein und Wirken verleihe und vorallem sie in ihr selbst zusammenhalte.63

Die letztgenannte Lehransicht macht sich Albert nunmehr zueigen undentfaltet an ihr als Leitfaden seine Interpretation der Emanation der Ge-schöpfe aus Gott. Die Erschaffung der Welt aus dem Nichts sei, mit dem BuchGenesis gesprochen, im Sechstagewerk vollzogen worden; danach wurdenichts Neues erschaffen. Die Fortpflanzung der Schöpfung ( propagatio) setzehingegen eine Tätigkeit der Natur voraus, die geordnet sein müsse. Sie gründeim Rückbezug der geschaffenen Dinge auf die Bewegung des Himmelskreisesund dessen unterschiedliche Neigungen der Kreisbahnen; die letzteren seienüber die Reihen der Beweger bis auf den ersten Beweger und Gott rückbe-zogen, dessen Kraft und Wesenheit (virtus et essentia) vom ersten bis zum letztenGlied die Seinshierarchie durchwirke. »Auf diese Weise besteht« – schreibtAlbert – »die Allheit in ihm gleichsam in ihrer Quelle und ihrem Herz, weilsie ganz aus ihm fließt, von ihm zusammengehalten und gelenkt wird und zuihm zurückkehrt«.64 In dieser prägnanten Formel liegt unseres Erachtens derSchlüssel nicht nur zu Alberts eigenem Verständnis der Emanationslehre,dessen Gültigkeit sich später in den Kommentaren zu De divinis nominibus undDe caelesti hierarchia des Ps.-Dionysius, im Physikkommentar, in De intellectu etintelligibili und in De causis et processu universitatis a prima causa bestätigen wird,

62 Albertus Magnus, ebd. Vgl. Anzulewicz 2000b, 258–264; oben Anm. 51.63 Albertus Magnus, II Sent. d. 1, a. 12 (Ed. Paris. 27), 34b: »Deus operetur in natura et cum

ipsa, in hoc quod dat ei esse et operari et continet ipsam principaliter in ipsa: et quod suaoperatio non est separata ab opere naturae, ut ipse agat in parte una, et natura in alia«.

64 Ebd.: »Et sic consistit universalitas in ipso, quasi in fonte et corde suo: quia tota fluit abipso, et continetur ab ipso, et regitur, et retorquetur in ipsum«.

237Die Emanationslehre des Albertus Magnus

sondern zu seinem Verständnis der Wirklichkeit im Ganzen. Diese Formelerklärt, wie schon andernorts festgehalten, Alberts fundamentale Denk-struktur. 65

III

Mit dieser skizzenhaften Darlegung haben wir zu zeigen versucht, dass Albertdie neuplatonische Emanationslehre arabischer Herkunft schon in seinemFrühwerk im Kontext der Schöpfungslehre rezipierte und adaptierte. Andersals bisher in der Forschung angenommen, konnten wir feststellen, dass Albertsfrüheste Begegnung mit diesem Lehrstück und die ersten Versuche seinerAdaptation bereits in der Schrift De IV coaequaevis stattgefunden haben. Allewesentlichen Aspekte seiner eigenen, emanatistischen Interpretation des Flies-sens der Geschöpfe aus Gott, die der biblisch-christlichen SchöpfungslehreRechnung trägt und die diesbezügliche Auffassung des Platon und Avicennakritisiert und zurückweist, hat Albert in Super II Sententiarum dargelegt. ImKommentar zu De divinis nominibus des Ps.-Dionysius Areopagita entwickelte erauf der Grundlage der neuplatonischen Emanationslehre und unter Einbe-ziehung der Auffassung des Aristoteles und des Averroes seine Theorie derFormgründung (inchoatio formarum), die er in den späteren Schriften (bes. in Denatura et origine animae) vertiefte. Die mit der formalen Emanation verbundeneFrage nach dem Ursprung der Substantialformen der Dinge führte er auf denBegriff der Schöpfung zurück, den er bereits in Super Dionysium De divinisnominibus emanatistisch auszulegen vermochte. Er verband dort die Emana-tion, nunmehr als einen intellektuellen Ausfluss begriffen, mit dem Gedankender Teilhabe und der Seinsanalogie. Seine philosophische Auffassung desFliessens von allem aus der ersten Ursache hat er im Physikkommentar als derLehrmeinung des Aristoteles und anderer Peripatetiker überlegen gegenüber-gestellt. Er wies dort wie schon zuvor in Super II Sententiarum deren Nezessi-tarismus und die Auffassung einer creativen, vermittelten Emanation zurück.Die Endgestalt seiner in Super II Sententiarum klar umrissenen fluxus-Theorielegte er in den beiden Büchern der Schrift De causis et processu universitatis a primacausa dar, wo er die avicennianische Konzeption nach Maßgabe der in Super II

Sententiarum erfolgten Kritik entschärfte und in sein eigenes, dem Kriteriumder Rationalität und Konformität mit dem biblisch-christlichen Glauben ver-pflichtetes System integrierte.

65 Anzulewicz 2000a; ders. 2000b; Müller 2001, 370sq.

238 Henryk Anzulewicz

Da für Albert der biblisch-theologische Schöpfungsbegriff unaufgebbarwar, schränkte er den weiten Begriff der Emanation auf das Naturgeschehnisals die Seinserhaltung und Fortpflanzung der Dinge kraft der ersten, mit Gottidentifizierten Ursache ein. Die creative Emanation, das Äquivalent der creatioex nihilo, blieb in seiner Konzeption ausschließlich das Attribut dieses erstenPrinzips. Die Emanation vollende sich nach seiner Auffassung nicht bloß im›Ausfluss‹ der Dinge aus Gott, sondern sie erreiche ihr Ziel im ›Rückfluss‹ derDinge zu ihrer Urquelle.66 In der für Albert eigentümlichen, ganzheitlichenSicht der Wirklichkeit kam also nicht nur das Fließen aus der göttlichenUrquelle zum Vorschein, sondern mit dem Fließen auch das, ›was in wasfließt‹67 und das Zurückfließen zur Urquelle. Die Emanation und das Zurück-fließen versinnbildlichen eine kreisförmige Bewegung: den Hervorgang derDinge aus Gott als ihrem Ursprung, ihre Verwirklichung in Zeit, Raum undMaterie und ihre Rückkehr zu Gott als dem Ziel, das mit dem Ursprungidentisch ist. In diesem emanatistischen Modell einer kreisläufigen Bewegung,dem wir in Alberts Frühwerk im Kontext der Schöpfungslehre begegneten,sehen wir die hermeneutische Formel des Albertschen Denkens, deren Gültigkeitdas Werk De causis et processu universitatis a prima causa eindrücklich bestätigt.

66 Vgl. oben Anm. 64.67 Albertus Magnus, De causis et proc. univ. l. 1, tr. 4, c. 4 (Ed. Colon. 17/2), 46, 68sqq.

239Die Emanationslehre des Albertus Magnus

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242 Henryk Anzulewicz

Abstract

Vom Aufweis einer Neubestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Theologie durchAlbertus Magnus in dessen Super II Sententiarum (1246) ausgehend und dadurch die umstritteneThese von der »Wende von 1250« in Frage stellend zeigt Henryk Anzulewicz in seinem Beitrag,dass Albert bereits im schöpfungstheologischen Kontext seines Frühwerkes und im Besonderenin Super II Sententiarum die neuplatonische, von Ps.-Dionysius und dem Liber de causis vermitteltefluxus-Theorie adaptiert, zugleich aber den theologischen Schöpfungsbegriff beibehält und ihnexklusiv auf die erste Ursache bezieht. Die Studie weist u.a. auf Alberts Bemühung um dieVermittlung dieser neuplatonischen Lehre mit der durch Aristoteles und Averroes inspiriertenTheorie der Formgründung (inchoatio/eductio formarum) sowie auf sein Verständnis der Emana-tion nicht nur als »Ausfluss«, sondern auch als »Rückfluss« der Dinge zu ihrer Urquelle hin. Siestellt Alberts Vorbehalte gegenüber der avicennianischen Variante dieses Lehrstücks heraus,welche der emanatistischen Deutung der Weltentstehung gelten, sie berücksichtigt die wichtigs-ten Etappen der Evolution seiner Auffassung und korrigiert dadurch die in der Forschungnachhaltig behauptete, bisher nicht beanstandete Annahme, Albert habe die neuplatonischeEmanationslehre erst in seiner Schrift De causis et processu universitatis a prima causa vertreten.

Presenting Albertus Magnus’ new account in Super II Sententiarum (1246) of the relation betweenphilosophy and theology – an account that raises doubt about the controversial thesis of Albert’s»turn in 1250« – Henryk Anzulewicz shows in his article that Albert had already adapted, in thecreation-theological context of his early works and especially in Super II Sententiarum, the Neo-platonic fluxus theory mediated by Pseudo-Dionysius and the Liber de causis. However, he at thesame time retained the theological understanding of creation and applied it exclusively to theFirst Cause. The essay points above all to Albert’s study of the mediation of this Neoplatonicteaching through the theory inspired by Aristotle and Averroes of the constitution of forms(inchoatio/eductio formarum), as well as to his understanding of emanation not only as »outflow«but as the »flowing back« of a thing to its primary source. It emphasizes Albert’s reservationsabout the Avicennian versions of this teaching, which pertain to the emanationist interpretationof origin of the world. In this way, and takes into account the most important stages in theevolution of his view. In so doing, it corrects a supposition that has long been maintained byscholars and hitherto has remained uncontested, namely, that Albert first argued for theNeoplatonic emanation theory in his work De causis et processu universitatis a prima causa.

En partant d’une nouvelle interpretation de la relation entre la philosophie et la theologie qu’Albertle Grand presente dans son Super II Sententiarum de 1246, Henryk Anzulewicz met en question lathese controversee du »tournant de 1250«. Il montre qu’Albert adapte deja dans le contexte de latheologie de la creation de ses premiers ecrits et particulierement dans le Super II Sententiarum latheorie neo-platonicienne du fluxus, transmise par Pseudo-Denys l’Areopagite et le Liber de causis,mais qu’il garde en meme temps la conception theologique de la creation et la rapporte exclusi-vement a la premiere cause. Anzulewicz attire l’attention sur les efforts qu’Albert fait pour conciliercette doctrine neo-platonicienne avec la theorie de la constitution des formes (inchoatio/eductioformarum), inspiree par Aristote et Averroes, ainsi que sur sa comprehension de l’emanation nonseulement comme »flux«, mais aussi comme »reflux« des choses a leur source d’origine. Il decrit lesreserves d’Albert envers la variante avicennisante de cette doctrine, a savoir l’interpretationemaniste de la genese du monde, et il tient compte des etapes les plus importantes de l’evolution desidees albertiennes. Ceci lui permet de corriger la these – durablement representee sans etrecritiquee jusqu’a present – selon laquelle Albert avait represente la doctrine neo-platonicienne del’emanation seulement dans son ecrit De causis et processu universitatis a prima causa.


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