0
Masterarbeit eingereicht bei der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg (CH)
Die Neutralität und andere ideelle Konzepte als
Faktoren einer tendenziell isolationistischen
Schweizer Aussenpolitik.
Der Fall der Nichtbeteiligung der Schweizer Armee a m Anti-
Piraterie-Einsatz EU-NAVFOR Atalanta.
Autor: Oliver Rölli
Heimatort: Luzern
Eingereicht im Jahr: 2012
Betreuer der Masterarbeit: Prof. Dr. Gilbert Casasus (& Bernhard Altermatt)
1
Inhaltsverzeichnis
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ............................................................................................... 4
1. EINLEITUNG .................................................................................................................. 6
2. ATALANTA: POLITISCH-HISTORISCHER KONTEXT, RECHTLICHE ASPEKTE ....................... 10
2.1 PIRATERIE AM HORN VON AFRIKA: URSACHEN UND AUSPRÄGUNG ................................................ 10
2.1.1 Die politisch-historische Entwicklung Somalias seit 1991 ........................................ 11
2.1.2 Die Ausprägung der Piraterie am Horn von Afrika und ihre Folgen ........................ 13
2.2 MASSNAHMEN GEGEN DIE PIRATERIE ....................................................................................... 17
2.2.1 Militärische Massnahmen der USA, NATO und anderer Staaten ............................ 17
2.2.2 EU-NAVFOR Atalanta ............................................................................................... 19
2.2.3 Internationale Rechtsgrundlagen für militärisches/seepolizeiliches Vorgehen gegen
Piraten ............................................................................................................................... 24
3. DER POLITISCHE PROZESS UND DIE DEBATTE BETREFFEND EU-NAVFOR ATALANTA IN
DER SCHWEIZ .................................................................................................................. 28
3.1 AUSGANGSLAGE ................................................................................................................... 28
3.2 DIE BOTSCHAFT DES BUNDESRATES ZUR BETEILIGUNG AN EU-NAVFOR ATALANTA ......................... 31
3.2.1 Art der Schweizer Beteiligung/ Ziele ........................................................................ 31
3.2.2 Allgemeine Argumentation des Bundesrates........................................................... 33
3.2.3 Rechtliche Belange und Argumentation .................................................................. 35
3.3 ÖFFENTLICHE DEBATTE: POSITIONEN VON PARTEIEN, VERBÄNDEN UND ORGANISATIONEN SOWIE IN DEN
MEDIEN VERTRETENE EINSCHÄTZUNGEN......................................................................................... 40
3.3.1 Vernehmlassung zur Gesetzesänderung .................................................................. 40
3.3.2 Die Communiqués der befürwortenden Parteien .................................................... 41
3.3.3 Die Communiqués der ablehnenden Parteien .......................................................... 45
3.3.4 Positionen ausgewählter Verbände und Organisationen zu Atalanta .................... 47
3.3.5 Berichterstattung in der Presse, Kommentare und Hintergründe ........................... 51
2
3.4 DIE BEHANDLUNG DER ATALANTA-VORLAGE DURCH DIE KOMMISSIONEN ....................................... 54
3.4.1 Grundsätzliches zu den Kommissionen und Vorgehen ............................................ 54
3.4.2 Die Beratung der Vorlage durch die Kommissionen des Ständerats ....................... 56
3.4.3 Die Beratung der Vorlage durch die Kommissionen des Nationalrats ..................... 60
3.5 DIE ABLEHNUNG DER BETEILIGUNG AN EU-NAVFOR ATALANTA – ÜBERSICHT UND AUSZÜGE AUS DEN
PARLAMENTSDEBATTEN .............................................................................................................. 70
3.5.1 Grundsätzliches zum parlamentarischen Prozess und Vorgehen ............................ 70
3.5.2 Die Ständeratsdebatte vom 8. September 2009 ...................................................... 71
3.5.3 Die Nationalratsdebatten vom 9., 15. Und 16. September 2009 ............................. 76
3.5.4 Differenzbereinigungsverfahren/ Endgültige Ablehnung der Vorlage .................... 83
3.5.5 Die Umstände der Ablehnung – eine erste Einordnung ........................................... 87
4. VERTIEFTE ANALYSE DER IDEOLOGISCHEN HINTERGRÜNDE DER ATALANTA-GEGNER... 91
4.1 DAS POLITISCHE KONZEPT DER NEUTRALITÄT ............................................................................. 91
4.1.1 Entstehung und Grundsätze ..................................................................................... 91
4.1.2 Die Neutralität in der Geschichte der Schweiz ......................................................... 95
4.2 DAS NEUTRALITÄTSVERSTÄNDNIS DER POLITISCHEN RECHTEN ..................................................... 106
4.3 ÜBERSICHT ÜBER DIE PAZIFISTISCHE GESINNUNG UND DAS NEUTRALITÄTSVERSTÄNDNIS DER GRÜNEN
PARTEI DER SCHWEIZ ................................................................................................................ 113
4.3.1 Entstehung und Wurzeln der Grünen Partei der Schweiz ...................................... 113
4.3.2 Aktuelle pazifistische Gesinnung, Neutralitätsverständnis und aussenpolitisches
Leitbild der GPS ............................................................................................................... 115
5. EINORDNUNG DES FALLS ATALANTA IN DEN KONTEXT DER ALLGEMEINEN SCHWEIZER
AUSSENPOLITIK ............................................................................................................. 121
6. BIBLIOGRAPHIE .......................................................................................................... 130
6.1 PRIMÄRQUELLEN ................................................................................................................ 130
6.2 SEKUNDÄRQUELLEN: ........................................................................................................... 136
3
ANHANG 1 ............................................................................................................................. 143
Karte: Die politische Situation in Somalia, Stand 25. Mai 2012
ANHANG 2 ............................................................................................................................. 144
Chronologische Übersicht über den politischen Prozess im Zuge der Atalanta-Vorlage und
der MG-Revision
ANHANG 3 ............................................................................................................................. 146
Art. 69 und Art. 70 des Bundesgesetzes über die Armee und die Militärverwaltung vom 3.
Februar 1995 (Stand am 1. Januar 2011)
ANHANG 4 ............................................................................................................................. 147
Die politischen Kräfteverhältnisse in National- und Ständerat während der 48.
Legislaturperiode (2007-2011)
ANHANG 5 ............................................................................................................................. 148
1. Abstimmungsprotokoll der Nationalratssitzung vom 16. September 2009
2. Abstimmungsprotokoll der Nationalratssitzung vom 24. September 2009
ANHANG 6 ............................................................................................................................. 151
Artikel in der Wochenzeitung: „Klimmzüge für Calmy-Rey“
4
Abkürzungsverzeichnis
AMISOM African Union Mission in Somalia
APK Aussenpolitische Kommission
AUNS Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz
BDP Bürgerlich-Demokratische Partei Schweiz
BV Bundesverfassung
CVP Christlichdemokratische Volkspartei
EDA Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten
ESVP Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
EU NAVFOR Atalanta European Union Naval Force Somalia – Operation
Atalanta
FDP Freisinnige Partei der Schweiz
FPÖ Freiheitliche Partei Österreichs
GASP Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik
GLP Grünliberale Partei Schweiz
GPS Grüne Partei der Schweiz
GSOA Gruppe für eine Schweiz ohne Armee
MG Militärgesetz
NR Nationalrat
NZZ Neue Zürcher Zeitung
OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa
SALT Strategic Arms Limitation Talks
5
SiK Sicherheitspolitische Kommission
SIPOL B Sicherheitspolitscher Bericht
SOG Schweizerische Offiziersgesellschaft
SP Sozialdemokratische Partei Schweiz
SR Ständerat
START Strategic Arms Reduction Treaty
SVP Schweizerische Volkspartei
VBS Eidg. Departement für Verteidigung, Bevölkerungs-
schutz und Sport
6
1. Einleitung
Die Region am Horn von Afrika und insbesondere die Problematik der Piraterie vor
den Küsten Somalias stehen spätestens seit der Entführung des saudi-arabischen
Öltankers „Sirius-Star“ und des Waffen transportierenden ukrainischen Frachtschiffs
„MS Faina“ im Spätjahr 2008 im Brennpunkt der Weltöffentlichkeit. Militäreinheiten
und -verbände diverser Länder versuchen seither jene in der Region neu entflammte
Problematik einzudämmen. Die Gewässer am Horn von Afrika, respektive der Golf
von Aden, bilden die Pforte zum Roten Meer und dem für den Handel zwischen
Europa und Asien eminent wichtigen Suezkanal. Die von der Piraterie ausgehende
Gefährdung dieser Handelsroute beeinträchtigt einerseits die Einkünfte der Reeder,
betrifft aber in seinem Gesamtausmass die wirtschaftlichen Interessen der
Seehandel treibenden Nationen und schlussendlich die Prosperität des gesamten
Welthandels.
Der Rat der Europäischen Union beschloss am 10. November 2008 die Operation
EU-NAVFOR Atalanta als militärisch-polizeiliche Massnahme gegen die Piraterie vor
den Küsten Somalias. Im Dezember desselben Jahres wurden die ersten
Kriegsschiffe und Militäreinheiten in die Region entsandt. An der Militäroperation
beteiligten und beteiligen sich heute noch hauptsächlich EU-Mitgliedstaaten, jedoch
temporär und in kleinerem Umfang auch einige Nicht-EU-Mitgliedstaaten wie
Norwegen, Kroatien, Montenegro und die Ukraine. Der Schweizer Bundesrat plante
ab Ende 2008 ebenfalls eine Beteiligung von Schweizer Armeeeinheiten an EU-
NAVFOR Atalanta. Die Schweiz ist zwar ein Binnenland, verfügt jedoch über eine
eigene Überseehandelsflotte, womit auch direkt Schweizer Interessen von der
Piraterie am Horn von Afrika betroffen sind. Die Planung des Bundesrates sah vor,
ein ungefähr 30-Köpfiges Team (davon 12-14 bewaffnete Elitesoldaten) in die
Region zu entsenden, welches dort auf einer deutschen Fregatte stationiert gewesen
wäre. Es ist anzunehmen, dass sich der direkte militärische Nutzen jenes kleinen
Kontingents für die Gesamtoperation in engen Grenzen gehalten hätte; als
symbolische Aktion hingegen wäre eine solche Beteiligung gegenüber der
Europäischen Union und der Weltgemeinschaft durchaus von Bedeutung gewesen.
Der Fokus dieser Arbeit liegt jedoch auf der innenpolitischen Dimension der
7
möglichen Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta und der dazu
stattgefundenen Debatte.
Für die Schweiz hätte eine Teilnahme an Operation Atalanta in verschiedener
Hinsicht ein Novum bedeutet: Bewaffnete Schweizer Soldaten hätten sich zum ersten
Mal im Rahmen einer internationalen Polizeiaktion in einer fernab von Europa
gelegenen Region beteiligt. Dabei wären sie auf einem Kriegsschiff einer anderen
Nation stationiert und somit auch in deren Kommandostrukturen integriert gewesen.
Die bewaffneten militärischen Auslandengagements der Schweiz beschränkten sich
bisher auf die Teilnahme an humanitären oder friedensfördernden Operationen der
UNO (oder unter UNO-Mandat), der OSZE sowie auf die Bewachung von Schweizer
Botschaften im Ausland. Auf politischer Ebene hätte eine Beteiligung an EU-
NAVFOR Atalanta für die Schweiz einen Schritt in Richtung verstärkter
internationaler (militärischer) Zusammenarbeit und somit auch einer veränderten
Interpretation ihres neutralen Status bedeutet. Die vom Bundesrat vorbereitete
Vorlage zu einer Schweizer Beteiligung an Atalanta wurde vom Schweizer Parlament
im September 2009 allerdings abgelehnt.
Das Ziel dieser Arbeit ist einerseits, den gesamten politischen Prozess, welcher die
Debatte und den Entscheid über die Atalanta-Vorlage begleitete, aufzurollen:
Berücksichtigt wurden dabei die vom Bundesrat verfasste Botschaft zur Vorlage
inklusive der rechtlichen Aspekte, die zur Vorlage durchgeführte Vernehmlassung,
ein Teil der in den Medien stattgefundenen Debatten sowie der öffentliche
Positionsbezug der politischen Parteien im Vorfeld der Abstimmung. Darüber hinaus
wurde den Sitzungen, der für die Behandlung der Vorlage zuständigen
Kommissionen sowie den in National- und Ständerat zum Thema geführten Debatten
besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Bei der Analyse und der Betrachtung jener
Debatten wurden die von Atalanta-Gegnern und Befürwortern verwendeten
Argumente näher betrachtet. Die Arbeit bietet einerseits einen vertieften Einblick in
die komplexen Abläufe des politischen Systems der Schweiz. Andererseits sollen die
Argumente der Atalanta-Gegnerschaft vor dem Hintergrund von deren ideologischen
Beweggründen einer nähren Analyse unterzogen werden.
Bei der Gegnerschaft aus dem rechten politischen Spektrum, namentlich der
Schweizerischen Volkspartei, werden deswegen deren Interpretation der Neutralität
8
und deren allgemeines aussenpolitisches Leitbild untersucht. Dieses war zu einem
Grossteil für deren ablehnende Haltung verantwortlich. Zum Zweck eines besseren
Verständnisses und im Sinne einer Einordnung jenes aussenpolitischen
Verhaltensgrundsatzes gibt es ein zusätzliches Kapitel, welches sich mit der
allgemeinen Geschichte der Neutralität auseinandersetzt, wie auch ein Kapitel,
welches auf die Neutralität in der Geschichte der Schweiz und deren Einfluss auf die
Schweizer Aussenpolitik im Speziellen eingeht. Bei der Atalanta-Gegnerschaft aus
dem linken Lager, insbesondere der Grünen Partei, waren es vor allem pazifistische
Beweggründe, die sie zu einer Ablehnung der Beteiligung an der Militäroperation
veranlassten. Ein Kapitel wird deswegen der Grünen Partei und der dort verbreiteten
pazifistischen Grundhaltung gewidmet.
Das Aufrollen des politischen Prozesses, die Analyse von Argumenten und
ideologischen Beweggründen der Gegnerschaft sowie die Abhandlung über die
Neutralität in der Geschichte der Schweiz (und deren Auswirkung auf die
schweizerische Aussenpolitik) dienten der Einordnung jenes (Einzel-)Falls Atalanta in
den Gesamtkontext der generellen Ausgestaltung der Schweizer Aussen- und
Sicherheitspolitik. Die Analyse der Umstände der Nicht-Beteiligung an EU-NAVFOR
Atalanta führte die Schwierigkeit vor Augen, in jenem zur Zeit in der Schweizer Politik
herrschenden Spannungsfeld zwischen liberal-internationalistischen auf der einen
und konservativ-isolationistischen resp. pazifistischen/nicht-interventionistischen
Kräften auf der anderen Seite eine klare aussenpolitische Linie zu definieren und vor
allem zu verfolgen. Es wurde in diesem Zusammenhang eine Einschätzung
vorgenommen, inwiefern die Ablehnung der Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR
Atalanta einen nachhaltigen Einfluss auf die Ausgestaltung der Schweizer
Aussenpolitik hatte und in welchem Ausmass diese als Versinnbildlichung des in der
Schweizer Aussenpolitik herrschenden Status Quo gesehen werden kann.
Der erste Teil dieser Arbeit befasst sich mit der Geschichte Somalias und des dort
wiederaufgekommenen Phänomens der Piraterie, welches den eigentlichen
Ausgangspunkt jeglicher darauf folgender politischer und militärischer Bestrebungen
und Massnahmen bildete. Jene Gegenmassnahmen und Bestrebungen werden in
den nachfolgenden Kapiteln ebenfalls näher beschrieben; darunter eine
Beschreibung von EU-NAVFOR Atalanta, an der sich Schweizer Soldaten nach dem
9
Willen des Bundesrates hätten beteiligen sollen und sich die Geister der politischen
Schweiz schieden.
10
2. Atalanta: Politisch-historischer Kontext, rechtliche Aspekte 2.1 Piraterie am Horn von Afrika: Ursachen und Ausp rägung
Das Phänomen der Piraterie an sich ist alles andere als neu. Bis vor nicht allzu
langer Zeit wurde dieses oftmals am ehesten mit vergangenen Zeiten, Romanen und
Filmen, die in der Epoche zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert spielen,
assoziiert. Das eklatante Problem der Piraterie am Horn von Afrika, die durch
mehrere UNO-Resolutionen abgesegneten Gegenmassnahmen u.a. seitens der EU
und der NATO und die dazugehörige Medienberichterstattung, verschafften der
Thematik jedoch von neuem den Stellenwert eines relevanten Problems für die
globale Sicherheit. In seiner Resolution 1851 vom 16. Dezember 2008 zeigt sich der
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen „zutiefst besorgt über die Zunahme von
Vorfällen von Seeräuberei und bewaffneter Raubüberfälle auf See vor der Küste
Somalias“1
Bevor die Piraterie am Horn von Afrika ein solches Ausmass annahm, dass sich der
UNO-Sicherheitsrat mit ihr beschäftigte, gab es eine jahrelange relative
Nichtbeachtung seitens der Industrienationen gegenüber der Piraterie und sonstiger
Problematiken in Ostafrika (Horn von Afrika) und Westafrika (Nigerdelta, Golf von
Guinea). Dies war einer der Gründe, weshalb die Piraterie in Afrika immer
erfolgreicher werden konnte. Auf der anderen Seite war im Falle Somalias die
jahrzehntelange Abwesenheit staatlicher Strukturen dafür verantwortlich, dass sich
dort die Piraterie im besonderen Masse etablieren konnte2. Die folgenden Kapitel
betrachten die Ursachen und Hintergründe der Piraterie in Somalia, beginnend mit
der politischen Entwicklung Somalias seit 1991.
1 Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, Resolution 1851 (2008). Verabschiedet auf der 6046. Sitzung des
Sicherheitsrats am 16. Dezember 2008, in: http:// www.un.org/depts/german/sr/sr_08/sr1851.pdf (16.
Januar 2012). 2 Vgl. Ceska/Ashkenazi, Piraterie vor den afrikanischen Küsten und ihre Ursachen, 33.
11
2.1.1 Die politisch-historische Entwicklung Somalia s seit 1991
Im Jahr 1991 wurden der ehemalige Diktator Siad Barre und sein Regime gestürzt,
welches zuvor während rund 20 Jahren Somalia brutal regierte, dem Grossteil des
Landes aber auch politische Stabilität verschaffte. Nachdem das System Siad Barres
1991 kollabierte, begann ein blutiger Bürgerkrieg, in welchem sich verschiedene
Warlords und Stämme gegenseitig bekriegten. Noch im selben Jahr erklärten
Stämme im Nordwesten des Landes die Unabhängigkeit ihrer Region und riefen
unter dem Namen Somaliland einen neuen Staat aus. Jenes Staatsgebilde, welches
sich auf dem Gebiet des ehemals britischen Protektorats Somaliland befindet, ist bis
heute international zwar nicht anerkannt, gilt aber für lokale Verhältnisse als recht
stabiles Gebilde.3
Nach einem Waffenstillstandsabkommen der wesentlichen Bürgerkriegsparteien
startete die UNO im April 1992 ihre erste Mission in Somalia unter dem Namen
UNOSOM I. Deren Auftrag bestand in der Überwachung des Waffenstillstands und
der Schaffung eines sicheren Umfelds für die Verteilung von Hilfsgütern. Da die
Mission nicht den gewünschten Erfolg zeigte, wurde deren Mandat erweitert und
durch die von den USA angeführte multinationale „United Task Force“ (UNITAF)
unterstützt. Deren Auftrag beinhaltete nebst demjenigen der UNOSOM I auch die
Entwaffnung der verschiedenen Milizen. Der UNO-Sicherheitsrat ermächtigte die
Beteiligten der Task Force, notfalls auch Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele
anzuwenden. Ab März 1993 hiess die UNITAF neu UNOSOM II und wurde mit einem
zusätzlich erweiterten Mandat ausgestattet. Nach Angriffen von Milizen des damals
bedeutenden somalischen Clanführers und Warlords Mohammed Farah Aidid auf
UNO-Soldaten und weiteren Behinderungen derer Mission, kam es im Oktober 1993
zu einer primär von den USA geführten Militäraktion, deren Ziel die Festnahme
Aidids war. Aufgrund unerwartet heftiger Gegenwehr misslang die Aktion, 16 US-
Soldaten und ungefähr 1000 Somalier verloren dabei ihr Leben. Die Niederlage hatte
den Abzug der amerikanischen Truppen im Jahr 1994 zur Folge, welche einen
Grossteil der Mission in Somalia ausmachten. Die gesamte UNO-Mission UNOSOM
II zog 1995 ohne vorzuweisende nachhaltige Erfolge aus Somalia ab. Es folgten
darauf internationales Desinteresse und ein allgemeiner Rückgang ausländischer 3 Vgl. Friedrichs Hauke, Hort der Piraten, Warlords und Terroristen, in: http://www.zeit.de/
politik/ausland/2010-08/somalia-50-jahre-unabhaengigkeit/seite-1(16. Januar 2012).
12
Unterstützung. Der Abzug der UNO hatte kein Wiederaufflammen des Bürgerkriegs
zur Folge, jedoch machten sich weitere innere Spaltungstendenzen bemerkbar:4
1998 schlossen sich drei nordöstliche Provinzen zur selbstverwalteten Region
Puntland zusammen. Die teilunabhängige Region Puntland gilt heute als jenes
Gebiet Somalias, in welchem die meisten Piratenbanden aktiv sind.5
2004 kam es im Exil in Kenia erstmals zur Bildung einer offiziellen
Übergangsregierung für Somalia (genannt Transitional Federal Government, TFG).
Der Sitz jener Übergansregierung befand sich ursprünglich in Nairobi, Kenia, danach
ab 2005 in Baidoa und somit erstmals auf somalischem Boden. Im Jahr 2006
begannen äthiopische Streitkräfte eine Militäroffensive, die sich gegen die „Al-
Shabab“ und andere radikalislamische Milizen in Somalia richtete. Ziel war es, die
Durchsetzungskraft der somalischen Übergangsregierung zu stärken. Die „Al-
Shabab“, resp. ihre Dachorganisation „Union islamischer Gerichte“ kontrollierte zu
dieser Zeit weite Teile Süd- und Zentralsomalias, inklusive der Hauptstadt
Mogadischu. Mithilfe der äthiopischen Truppen vermochte die somalische
Übergansregierung die Kontrolle über einen Grossteil der Hauptstadt Mogadischu zu
erlangen. Trotz dieses Teilerfolgs konnten die „Al-Shabab“-Milizen durch die
äthiopische Militärpräsenz, welche bis Januar 2009 dauerte, nicht nachhaltig
vertrieben werden; die Verhältnisse in Somalia blieben äusserst instabil. Nach dem
Rückzug des äthiopischen Militärs gelang es den „Al-Shabab“-Milizen, mit Ausnahme
von Teilen Mogadischus, die Kontrolle über viele ihrer zuvor kontrollierten Gebiete im
Süden des Landes wiederzuerlangen.6
Die von der UNO und den USA unterstützte Übergangsregierung übt heute eine
faktisch sehr eingeschränkte staatliche Souveränität aus, die sich auf den Grossraum
Mogadischu und (unter Vorbehalt) auf einige von Verbündeten kontrollierte Gebiete
beschränkt. Seit 2007 erhält die Übergangsregierung militärischen Schutz von der
4 Vgl. Hainzl Gerald/ Feichtinger Walter, Piraten und Islamisten. Wen interessiert Somalia?, in: IFK Aktuell 1
(2010), http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/ifk_aktuell_10_01_piraten_islamisten
_somalia_hainzl_16.pdf (4. Februar 2012). 5 Vgl. Friedrichs Hauke, Hort der Piraten, Warlords und Terroristen, in: http://www.zeit.de/
politik/ausland/2010-08/somalia-50-jahre-unabhaengigkeit/seite-1(16. Januar 2012). 6 Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320 (16.
Januar 2012).
13
„African Union Mission in Somalia“ (AMISOM).7 Die ca. 6000 Mann starke
Friedenstruppe setzt sich bisher aus ugandischen und burundischen Soldaten
zusammen und operiert unter UNO-Mandat.8 Der übrige südliche Teil des Landes
wird weiterhin zu einem beträchtlichen Teil von der islamistischen „Al-Shabab“-Miliz
kontrolliert. In Anhang 1 findet sich eine Karte, welche eine grobe Übersicht über die
aktuellen Machtbereiche und politischen Entitäten Somalias enthält. Die Grenzen
jener Machtbereiche verschoben sich in den vergangenen Jahren stetig. Nebst den
verschiedenen Milizen, lokal aktiven Regierungen und Verwaltungen sind es auch
rivalisierende Stämme und Warlords, die sich seit 20 Jahren an den Machtkämpfen
beteiligen und für das enorme innenpolitische Zerwürfnis Somalias mitverantwortlich
sind. Als Konsequenz dieser Konflikte geriet das Land auf eine politisch,
wirtschaftlich und sozial desaströse Bahn. Die Symptome davon sind u.a. humanitäre
Katastrophen, Bürgerkrieg, Engpässe in der Lebensmittelversorgung, schwache
soziale und wirtschaftliche Strukturen und eine weit verbreitete Perspektiv- und
Arbeitslosigkeit. Man spricht deswegen in politischer Hinsicht von Somalia als einem
„failed state“.9
2.1.2 Die Ausprägung der Piraterie am Horn von Afri ka und ihre Folgen
Das Phänomen der Piraterie zeigte sich in Somalia erstmals in den 80er Jahren und
nahm nach dem Sturz der Regierung 1991 markant zu. Anfänglich machten viele
Piraten geltend, dass ihre Aktionen gegen die illegale Ausbeutung der
Fischvorkommen und die Entsorgung von Giftmüll an Somalias Küsten, gerichtet
seien.10 Tatsächlich stellt das Wildern von Meeresressourcen ein existenzielles
Problem für viele lokale Fischer dar; dies nicht nur in Somalia. Mit ihren grossen
Fangnetzen fischen ausländische Trawler (Schleppnetzfischer) lokale Fischgründe
oftmals beinahe leer und entziehen damit der lokalen Bevölkerung ihre
Lebensgrundlage. Dieses Problem gehört mitunter zu den Ursachen, weshalb sich
somalische Fischer Piratenbanden anschliessen. Die mangelnde
7 Vgl. Hainzl Gerald/ Feichtinger Walter, Piraten und Islamisten. Wen interessiert Somalia?, in: IFK Aktuell 1
(2010), http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/ifk_aktuell_10_01_piraten_islamisten
_somalia_hainzl_16.pdf (4. Februar 2012). 8 Vgl. AMISOM, Frequently Asked Questions, in http://amisom-au.org/about/frequently-asked-questions/ (9.
Februar 2012). 9 Vgl. Ceska/Ashkenazi, Piraterie vor den afrikanischen Küsten und ihre Ursachen, 33.
10 Vgl.Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320 (16.
Januar 2012).
14
Regierungskontrolle über die Hoheitsgewässer ermöglicht einerseits das Wildern der
Fischgründe durch ausländische Schiffe und begünstigt andererseits die Piraterie.
Ebenso sollen Schiffe, u.a. mit mutmasslichen Verbindungen zur italienischen Mafia,
wiederholt Giftmüll vor der somalischen Küste abgeladen haben. Die dadurch
verursachte Umweltverschmutzung zu Wasser und zu Land kann ebenso zu einem
Existenzproblem für Fischer und Bauern werden.11
Bei einem Grossteil der Piraten soll es sich um junge Somalier aus armen
Verhältnissen aus der Region Puntland handeln.12 Die typischen
Fortbewegungsmittel der Piraten sind normalerweise schmale, schnelle Skiff-
Holzboote. Zusätzlich dazu werden vermehrt sogenannte Mutterschiffe eingesetzt
von denen aus die kleinen Schnellboote operieren; ihr Operationsgebiet hat sich
dadurch auf bis zu 1600 Kilometern von der somalischen Küste entfernt in den
Indischen Ozean ausgeweitet. Ihre Bewaffnung besteht gewöhnlich aus AK-47
Sturmgewehren, RPG-Raketenwerfern und Maschinengewehren grösseren Kalibers.
Die Operationen somalischer Piraten haben im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts
generell an Kühnheit, Reichweite und Raffinesse gewonnen13: Grosse Tanker,
Frachter, Containerschiffe, wie auch Luxusjachten, die oft in grösserer Entfernung
zur Küste fahren, wurden in der Folge zum Opfer von Übergriffen.14
Man geht davon aus, dass die grossen Piratengruppen über weit verzweigte
Informationsnetzwerke mit eigenen Informanten und Verbindungsleuten in
Reedereien und Schifffahrtsbehörden verfügen. Jene Mittel ermöglichen den Piraten,
im Vorfeld einer geplanten Attacke, über Informationen wie die Grösse der
Besatzung, die Art der Fracht und die genaue Route eines Schiffes zu verfügen.15
2009 wurden laut des International Maritime Bureau Jahresreports 217
Piratenangriffe vor der Küste Somalias gezählt. 47 Schiffe wurden dabei entführt,
867 Besatzungsmitglieder als Geiseln genommen. Mit 217 Angriffen zeichneten die
Piraten Somalias für über die Hälfte der weltweit 406 gezählten Piraten-Zwischenfälle
11
Vgl. Ceska/Ashkenazi, Piraterie vor den afrikanischen Küsten und ihre Ursachen, 34. 12
Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320
(16. Januar 2012). 13
Vgl. Ceska/Ashkenazi, Piraterie vor den afrikanischen Küsten und ihre Ursachen, 34. 14
Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320
(16. Januar 2012). 15
Vgl. Bauer Wolfgang, Der gefährlichste Auftrag der Welt, in: http://www.zeit.de/2011/09/DOS-Somalia/seite-
1 (22. Januar 2012).
15
verantwortlich; die Zahl der Übergriffe hatte sich im Vergleich zu 2008 (111
Piratenangriffe) zudem fast verdoppelt.16
Der Golf von Aden ist die Pforte für eine für den Welthandel äusserst wichtige
Seepassage: Ungefähr 20‘000 Schiffe passieren auf der Fahrt von Asien nach
Europa jährlich den Suez-Kanal. Die Route durch den Kanal ermöglicht eine
Zeiteinsparung von bis zu 2 Wochen gegenüber der Fahrt um das Kap der Guten
Hoffnung.17 Die Bedeutung der Seepassage zeigt sich auch darin, dass mit 3,3
Millionen Barrel Rohöl täglich, 12 Prozent des weltweiten Volumens an Öltransporten
jene Gewässer durchqueren.18 Durch spektakuläre Piratenüberfälle auf grosse
Tanker und Frachtschiffe mit heikler Fracht stieg die Verunsicherung der Reedereien,
Versicherungen und Seehandel treibenden Nationen. Weltweit für Aufsehen sorgte
dabei die Kaperung des ukrainischen Frachters „MV Faina“ am 25. September 2008,
an dessen Bord sich Gewehre, schwere Waffen und 33 sowjetische T-72 Panzer
befanden. Ebenso hohe Wellen schlug die Entführung des saudi-arabischen
Supertankers „MV Sirius Star“ im November desselben Jahrs: Schiffe jener Grösse
galten bisher als gegenüber Piratenangriffen ungefährdet. An Bord des Schiffes
befanden sich nebst 25 Crewmitgliedern 2 Millionen Barrel Rohöl im Wert von 100
Millionen Dollar. Nach Verhandlungen wurden Besatzung und Schiff schliesslich
gegen ein Lösegeld von 3 Millionen Dollar freigelassen.19
Die Piraterie stellt in Somalia eine Art Schattengesellschaft dar, die alle
Gesellschaftsschichten durchdringt. Die erpressten Lösegelder - Millionenbeträge
sind dabei keine Seltenheit - sind eine Erwerbsquelle, die einerseits viele
Perspektivlose Somalis anzieht und andererseits über verschiedenste Kanäle ihren
Weg in die Gesellschaft finden: Piratengelder finanzieren beispielsweise mancherorts
Bauprojekte, von denen das lokale Gewerbe profitiert. Piratengruppen sollen
ebenfalls den Bau von Krankenhäusern unterstützt haben und bieten teilweise sogar
16
Vgl. ICC – Commercial Crime Services, 2009 Worldwide piracy figures surpass 400, in: http://www.icc-
ccs.org/news/385-2009-worldwide-piracy-figures-surpass-400 (23. Januar 2012). 17
Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320
(16. Januar 2012). 18
Vgl. Perras Arne/Wiegand Ralf, Erster grosser Piratenprozess in Hamburg seit Störtebecker, in:
http://www.sueddeutsche.de/politik/somalische-piraten-vor-gericht-erster-piratenprozess-in-hamburg-seit-
stoertebeker-1.1026614 (1. Februar 2012). 19
Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320
(16. Januar 2012).
16
Kleinkredite an. Durch ihre finanzielle Potenz und bis zu 10‘000 bewaffnete und
einsatzbereite Männer in ihren Diensten, stellen die verschiedenen Piratenbanden in
Somalia einen sehr ernstzunehmenden Wirtschafts- und Machtfaktor dar.20 Ihr
lukratives Geschäft erlaubt den Piraten Beziehungen über die Stammeslinien hinweg;
ebenso soll eine beträchtliche Zahl an Amtsträgern der verschiedenen regionalen
Verwaltungseinheiten mit den Piraten kooperieren. Im somalischen Kontext stellen
sie durch ihre wirtschaftliche und machtpolitische Bedeutung einen
destabilisierenden Faktor dar, der die fragilen, teils inexistenten politischen
Strukturen Somalias zusätzlich schwächt und die bereits sehr komplexen
Gesellschaftsstrukturen sowie die politische Situation zusätzlich verkompliziert.
Im internationalen Kontext sorgt die hohe Zahl an Überfällen für Unsicherheit auf den
Weltmärkten und erhöhten Kosten für die Beteiligten. Aufgrund des erhöhten Risikos
von Überfällen für Schiffe die den Suez-Kanal befahren, sind die Versicherungs-
prämien markant angestiegen. Betroffene Reeder müssen zudem teure
Zusatzpolicen für Schiffe abschliessen, die jene Route befahren.21 Durch die
deutliche Zunahme von Übergriffen seit 2007, änderte sich die Wahrnehmung der
Piraterie grundsätzlich: Wurde diese zuvor als ein lokales Problem, welches ein
gewisses ökonomisches Risiko für den Handel darstellt, wahrgenommen, so sprach
man von nun an vermehrt von einem zentralen Problem für die internationale
Sicherheit. Die Bereitschaft und das Verlangen nach politisch-militärischem Handeln
stiegen dadurch deutlich an.22 Von verschiedener Seite wurden Gegenmassnahmen
beschlossen und eingeleitet.
20
Vgl. Bauer Wolfgang, Der gefährlichste Auftrag der Welt, in: http://www.zeit.de /2011/09/DOS-
Somalia/seite-1(22. Januar 2012). 21
Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320
(16. Januar 2012). 22
Vgl. Bueger/Stockbrügger/Werthes, Strategische Fehler der Pirateriebekämpfung, 6.
17
2.2 Massnahmen gegen die Piraterie
2.2.1 Militärische Massnahmen der USA, NATO und and erer Staaten
Die Massnahmen gegen die Piraterie vor den Küsten Somalias bestehen vorwiegend
aus militärischen Engagements: Marineeinheiten und Flugzeuge verschiedener
Länder patrouillieren die Gewässer um das Horn von Afrika, mit der hauptsächlichen
Aufgabe Piratenangriffen vorzubeugen und im Fall von Angriffen, diesen zu Hilfe zu
eilen. Die Piraten werden bei der Abwehr eines Angriffs meistens in die Flucht
geschlagen oder nach Möglichkeit verhaftet. Eine weitere Massnahme gegen die
Piratenangriffe besteht in der Einrichtung eines „sicheren Korridors“, welcher durch
die Seepassage führt (International Recommended Transit Corridor). Entlang von
diesem Korridor sind Marineeinheiten positioniert, welche die Sicherheit der
passierenden Schiffe gewährleisten und Piraten abschrecken sollen. Verwaltet wird
der Korridor vom „Maritime Security Center – Horn of Africa“ der EU in Northwood
(GB), welches den Informationsaustausch zwischen Handels- und Kriegsschiffen
unterstützt. So können sich beispielsweise Handelsschiffe vor der Einfahrt in die
Risikozone beim „Maritime Security Center“ anmelden. Global betrachtet handelt es
sich hierbei um eine Strategie der militärischen Abschreckung: Es wird davon
ausgegangen, dass die Überwachung des Seeraums zu einem erhöhten Risiko für
Piraterie führt, weswegen weniger Schiffe attackiert und entführt werden.23
In der Region um das Horn von Afrika befinden sich seit längerem internationale
Flottenverbände. Als Folge des „War on Terrorism“, welcher von der Administration
des ehemaligen amerikanischen Präsidenten George Bush ausgerufen wurde,
befindet sich seit November 2002 die „Combined Task Force 150“ im indischen
Ozean und in den Gewässern um die arabische Halbinsel. Dem Flottenverband
gehören Marineeinheiten verschiedener mit den USA verbündeter Staaten an. Die
primäre Aufgabe der multinationalen Seestreitkraft besteht jedoch nicht in der
Bekämpfung der Piraterie, sondern in der Überwachung und Verfolgung
terroristischer Aktivitäten im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“.24 Trotz
dieser Einsatzbeschränkung beteiligten sich in der Praxis mehrmals Schiffe jenes
Flottenverbandes an Schutzmassnahmen oder Hilfeleistungen gegen 23
Vgl. Bueger/Stockbrügger/Werthes, Strategische Fehler der Pirateriebekämpfung, 8-9. 24
Vgl. Guemo/Sergein, La mutualisation des moyens de lutte contre les actes de piraterie dans la sous-région
CEEAC, 138.
18
Piratenübergriffe. Seit Januar 2009 besteht die von den USA angeführte „Combined
Task Force 151“, deren Aufgabe ausdrücklich in der Bekämpfung der Piraterie in der
Region um das Horn von Afrika besteht. Der Flottenverband besteht in der Mehrheit
aus Schiffen, Helikoptern und Truppen der US-Navy. Daneben beteiligen sich unter
anderem Schiffe und Militäreinheiten der Türkei, Singapurs, Südkoreas und
Neuseelands.25
Die NATO entsandte im Oktober 2008 auf Antrag des UNO-Generalsekretärs Ban Ki-
Moon unter dem Namen „Allied Provider“ fünf Kriegsschiffe zum Schutz der Schiffe
des Welternährungsprogramms in die Region. Die Schiffe des Welternährungs-
programms transportieren humanitäre Hilfslieferungen nach Somalia. Den
Schutzauftrag für jene Schiffe übernahm ab Dezember 2008 die EU-NAVFOR
Atalanta. Auf das zeitlich begrenzte Engagement der NATO im Rahmen von „Allied
Provider“ folgte im März 2009 die Operation „Allied Protector“, deren Aufgabe in der
Bekämpfung und dem Schutz vor Piraterie am Horn von Afrika bestand. Deren
Nachfolgeoperation „Ocean Shield“ (seit August 2009) verfolgt zusätzlich das Ziel,
den Staaten in der Region zu helfen, ihre eigenen Kapazitäten in der
Piratenbekämpfung zu entwickeln. Die Legitimität und die Legalität des NATO-
Engagements sind intern teilweise umstritten. Es geht dabei um die Frage der
Einschätzung, inwiefern eine Gefahr für Handelsschiffe von NATO-Mitgliedsstaaten
eine direkte Sicherheitsbedrohung für die europäisch-nordatlantische Region
darstellt.
Nebst den erwähnten multinationalen Verbänden haben verschiedene Länder
Kriegsschiffe ans Horn von Afrika entsandt; vorwiegend zum Schutz ihrer eigenen
Handelsschiffe. Es handelt sich dabei um China, Indien, Iran, Japan, Malaysia,
Russland und Saudi-Arabien. Nebst der Verfolgung von Eigeninteressen, die
teilweise auch geostrategischer Natur sind, wollen aufstrebende Nationen wie China,
Indien und Japan damit auch ihre Bereitschaft demonstrieren, Verantwortung in
globalen Krisensituationen übernehmen zu können.26
25
Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320
(16. Januar 2012). 26
Vgl. Kupferschmidt, Multinational Military Engagement, 63-64 & Comnick/Paulus, The Role of the German
Navy and Federal Police, 75.
19
Zusätzlich zu den hier aufgezählten militärischen Operationen defensiver Natur gibt
es Stimmen, die eine Offensive gegen die Akteure und Infrastruktur der Piraten an
Land fordern, um deren Strukturen und Einsatzfähigkeit nachhaltig zu schwächen.
Eine derartige Intervention könnte Luftangriffe oder auch Bodentruppen
miteinschliessen. Die gezielte Ausschaltung von Anführern oder einzelne Luftschläge
gegen Piratenhäfen scheinen dabei noch am ehesten wahrscheinlich. Wenn man die
(schlechten) Erfahrungen aus vergangenen Militärinterventionen in dieser Region
berücksichtigt, ist es durchaus zweifelhaft, dass es je zu einer grossangelegten
Operation an Land kommen wird. Eine Intervention dieser Art könnte überdies zu
einer Verschlimmerung der prekären Lage Somalias führen und in Hinblick auf
mögliche zivile Opfer und Schäden eine Radikalisierung weiter Teile der Bevölkerung
begünstigen - antiwestliche Ressentiments sind dort bereits heute verbreitet.
Zusätzlich handelt es sich bei den aktiven Piratenbanden um einen schwierig
auszumachenden, asymmetrischen Gegner. Dessen Infrastruktur und Mitglieder sind
flexibel und oft in zivile Strukturen eingebettet.27
2.2.2 EU-NAVFOR Atalanta
Die EU beteiligt sich im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungs-
politk (ESVP) seit Dezember 2008 an den militärischen Massnahmen gegen die
Piraterie am Horn von Afrika. Der Rat der europäischen Union beschloss zuvor am
10. November 2008 die „Gemeinsame Aktion 2008/851/GASP über die
Militäroperation der Europäischen Union als Beitrag zur Abschreckung, Verhütung
und Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen und bewaffneten Raubüberfällen
vor der Küste Somalias“.28 Die Operation trägt den Namen „European Union Naval
Force Somalia – Operation Atalanta (EU-NAVFOR Atalanta); es handelt sich um die
erste gemeinsame maritime Militäroperation der EU. Ihr Auftrag beinhaltet laut
Eigenangaben die folgenden Punkte:
• Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms sowie Schutz von
Lieferungen an die „African Union Mission on Somalia“ (AMISOM)
27
Vgl. Bueger/Stockbrügger/Werthes, Strategische Fehler der Pirateriebekämpfung, 12-13. 28
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee im Assistenzdienst im
Ausland zur Unterstützung der Operation NAVFOR Atalanta der Europäischen Union sowie zur Änderung des
Militärgesetzes, 22. April 2009, in: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2009/4535.pdf (6. Februar 2012), 4538-
4539.
20
• Abschreckung, Bekämpfung und Verhinderung von Akten der Piraterie und
bewaffneten Überfalls vor der somalischen Küste
• Spezieller Schutz von Schiffen mit heikler Ladung
• Überwachung der Fischerei vor Somalia
Das Operationsgebiet von EU-NAVFOR Atalanta erstreckt sich vom südlichen roten
Meer über den Golf von Aden, bis hin zum westlichen indischen Ozean inklusive der
Seychellen. Es handelt sich hierbei um eine Fläche, welche in etwa einem
zehnfachen Deutschlands entspricht. Das operative Hauptquartier der Seestreitkraft
befindet sich in Northwood, Grossbritannien.29 An der Operation beteiligt sind die EU-
Mitglieder Deutschland, Frankreich, Spanien und die Niederlande als ständige
Beteiligte. Überdies stellen Italien, Griechenland, Schweden, Luxemburg und Belgien
Militärschiffe sowie Überwachungs- und Aufklärungsflugzeuge zur Verfügung.30
Ebenfalls zum Einsatz kommen aus Infanteristen bestehende Schutz-Teams, welche
an Bord von Handelsschiffen stationiert werden. Als erstes Nicht-EU-Mitglied
beteiligte sich 2009 Norwegen mit einem Kriegsschiff an der Operation. Darüber
hinaus haben Kroatien und die Ukraine Stabsoffiziere für das Hauptquartier und
Montenegro Marineoffiziere für den Einsatz an Bord von Kriegsschiffen zur
Verfügung gestellt.
Die gesamte Truppenstärke von EU-NAVFOR Atalanta besteht derzeit aus ungefähr
1500 Militärangehörigen inklusive des Personals an Land.31 Die Mission der EU
erfolgt im Verbund mit den anderen internationalen Flottenverbänden, die sich in der
Region befinden.32 Ein wichtiges Mittel der militärischen Koordinierung bilden die
allmonatlichen Treffen unter dem Namen „Shared Awareness and Deconfliction“
(SHADE), an welchem jeweils Vertreter von bis zu 27 in der Region präsenten
Nationen teilnehmen.33 Die zivil-militärische Koordinierung zwischen Streitkräften und
Reedern geschieht grösstenteils über das zuvor schon erwähnte „Maritime Security
29
Vgl. EU NAVFOR Somalia, Mission, in: http://www.eunavfor.eu/about-us/mission/ (7. Februar 2012). 30
Vgl. Hainzl Gerald/ Feichtinger Walter, Piraten und Islamisten. Wen interessiert Somalia?, in: IFK Aktuell 1
(2010), http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/ifk_aktuell_10_01_piraten_islamisten
_somalia_hainzl_16.pdf (4. Februar 2012). 31
Vgl. EU NAVFOR Somalia, Mission, in: http://www.eunavfor.eu/about-us/mission/ (7. Februar 2012). 32
Vgl. Hainzl Gerald/ Feichtinger Walter, Piraten und Islamisten. Wen interessiert Somalia?, in: IFK Aktuell 1
(2010), http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/ifk_aktuell_10_01_piraten_islamisten
_somalia_hainzl_16.pdf (4. Februar 2012). 33
Vgl. Combined Maritime Forces, CMF hosts 22nd SHADE Meeting, in:
http://combinedmaritimeforces.com/2011/12/23/cmf-host-22nd-shade-meeting/ (7. Februar 2012).
21
Centre“, welches von der EU eingerichtet wurde. Nebst der Durchführung bewachter
Konvois und der Verwaltung des „sicheren Korridors“ stellt das Zentrum zudem
Informationen über Piratenaktivitäten sowie Hinweise und Anleitungen zur
Verfügung, die der Minimierung von Risiken und Verhaltensweisen bei allfälligen
Angriffsversuchen dienen.34
Die EU selbst betrachtet Operation Atalanta als Teilelement einer umfassenden
militärisch-zivilen Strategie für Somalia. Das selbsterklärte Ziel der EU ist es, zum
Aufbau einer friedlichen, stabilen und demokratischen Nation beizutragen,
nachhaltige Entwicklung zu fördern und damit auch die Grundursachen der Piraterie
zu beseitigen.35 Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären
Hilfe ist die Europäische Union der grösste Geldgeber Somalias. Ebenso wurde der
Dschibuti-Friedensprozess für Somalia unterstützt; im April 2009 fand ausserdem
eine Geberkonferenz zur Stärkung der somalischen Sicherheitsinstitutionen und der
Friedensmission der Afrikanischen Union (AMISOM) in Brüssel statt.36 Darüber
hinaus erhält AMISOM direkte finanzielle Unterstützung vom EU-Entwicklungsfond
„African Peace Facility“. Unter dem Namen „EU Training Mission (EUTM) Somalia“
bildet die EU ausserdem in Uganda somalische Sicherheitskräfte aus, welche zur
Stärkung der somalischen Übergangsregierung beitragen sollen.37
Die Strategie der europäischen Gemeinschaft und deren Umsetzung stösst auch auf
Kritik: Christian Büeger und sein Forschungsteam vom Institut für Entwicklung und
Frieden in Duisburg kritisieren beispielsweise in ihrer Studie „Strategische Fehler der
Pirateriebekämpfung“ das Vorgehen der EU. Dieses beschränke sich in der Praxis zu
sehr auf militärische und juristische Massnahmen. Den lokalen Verhältnissen, in
denen Piraterie entsteht, werde zu wenig Rechnung getragen; es gehe vorwiegend
um das Erzielen schneller Effekte und Resultate. Die Konsequenz jener wenig
umfassenden Strategie sei ein geringes Mass an nachhaltigen Effekten, die damit
erzielt werden könne. Das überwiegend auf militärische Repression setzende
34
Vgl. Venus Vincent, Experiment Atalanta, Der Kampf gegen die Piraten beweist, dass die EU eine
Militärmacht werden könnte, in: Treffpunkt Europa, 30. August 2011, http://www.treffpunkteuropa.de
/Experiment-Atalanta (7. Februar 2012) 35
Vgl. EU NAVFOR Somalia, Mission, in: http://www.eunavfor.eu/about-us/mission/ (7. Februar 2012). 36
Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.), Operation Atalanta: Piraterie und Schweizer
Sicherheitspolitik, in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 55 (2009),
http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-55.pdf (5. April 2012). 37
Vgl. EU NAVFOR Somalia, Mission, in: http://www.eunavfor.eu/about-us/mission/ (7. Februar 2012).
22
Vorgehen der EU interpretieren Bueger et al. als Konsequenz der Suche nach einer
gemeinsamen europäischen Sicherheitsidentität oder auch im Zusammenhang mit
den geostrategischen Ambitionen der EU.38
Die europäische Union stellt in der Region das grösste Flottenkontingent und gilt
auch aufgrund ihrer Rolle als Realisator und Organisator des „Maritime Security
Centre“ als treibende Kraft am Horn von Afrika. Die Operation Atalanta und die
allgemeine Führungsrolle, welche die Union bei den Anti-Piraterie-Massnahmen vor
den Küsten Somalias einnimmt, kann als ein erstes Zeichen dafür interpretiert
werden, dass die EU als ernstzunehmender, kollektiver geostrategischer Akteur
auftreten kann.39 Viel wichtiger als die Fähigkeit ist jedoch der politische Wille der
Mitgliedsländer, künftig aussenpolitisch als kollektiver Akteur aufzutreten. Mit dem
Vertrag von Lissabon wurden institutionelle Neuerungen zur Steigerung der
aussenpolitischen Handlungsfähigkeit der EU getroffen: Die aussenpolitischen
Zuständigkeiten der EU-Institutionen wurden im Amt des hohen Vertreters für die
Aussen- und Sicherheitspolitik gebündelt, welcher die gemeinsame Aussen- und
Sicherheitspolitik (GASP) leitet. Unterstützung erhält das Amt vom neu geschaffenen
Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), der aus Diplomaten der Mitgliedsländer
und EU-Kommissionsmitarbeitern besteht. Das formulierte Ziel ist die Umsetzung
einer kohärenten EU-Aussenpolitik.40 Auf Gesetzesebene besagen die „Allgemeinen
Bestimmungen über das auswärtige Handeln“ (Art. 21 Abs. 2(c)) des Vertrags von
Lissabon, dass die Ziele der EU im Bereich der internationalen Beziehungen die
Wahrung des Friedens, die Konfliktprävention und die Stärkung der internationalen
Sicherheit in Übereinkunft mit den Zielen und Massgaben der Vereinten Nationen
beinhalten. Die Durchführung der Operation Atalanta ist unter diesem Aspekt zu
sehen. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung hinsichtlich der gemeinsamen
Aussen- und Sicherheitspolitik ist ebenfalls Artikel 42 Absatz 7 des Lissabonner
Vertrags: Darin steht, dass im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet
eines Mitgliedsstaats die anderen Mitgliedsländer dazu verpflichtet sind, diesem alle
38
Vgl. Bueger/Stockbrügger/Werthes, Strategische Fehler der Pirateriebekämpfung,14. 39
Vgl. Venus Vincent, Experiment Atalanta, Der Kampf gegen die Piraten beweist, dass die EU eine
Militärmacht werden könnte, in: Treffpunkt Europa, 30. August 2011,
http://www.treffpunkteuropa.de/Experiment-Atalanta (7. Februar 2012) 40
Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.), EU-Aussenpolitik: Neue Strukturen, alte Schwächen,
in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 96 (2011), http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-96-
DE.pdf (25. Mai 2012).
23
in ihrer Macht stehende Unterstützung und Hilfe zukommen zu lassen. Aufgrund von
Artikel 42 Abs. 7 erhielt die EU zusätzlich zu den bisherigen Komponenten ihrer
gemeinsamen Aussenpolitik den Charakter eines kollektiven Sicherheits-
bündnisses.41
In Bezug auf EU-NAVFOR Operation Atalanta setzte und setzt die EU ihre
Möglichkeiten des kollektiven Handelns auf internationaler Ebene um. Dies stellt
jedoch keine Selbstverständlichkeit dar. Die Entscheidungen über die Ausgestaltung
der GASP unterliegen intergouvernementalen Entscheidungsprozessen, welche eine
Konsensbereitschaft der Mitgliedsländer für eine wirkliche Umsetzung jener Politik
erfordern. Die Leistungsfähigkeit der in Folge der Implementierung der GASP
geschaffenen Strukturen hängt somit davon ab, inwieweit sich die einzelnen
Mitgliedsstaaten freiwillig in deren Dienst stellen, wie auch von deren Bereitschaft,
ihre eigene nationale Aussenpolitik einer gemeinsamen Agenda unterzuordnen. Oft
dominieren in jener Frage die nationalen gegenüber den gemeinschaftlichen
Interessen.42 In Bezug auf Operation Atalanta hat der Rat der Europäischen Union
entschieden, diese bis zum Dezember 2012 zu verlängern.43
Als internationale Rechtsgrundlage für die Operation dienen mehrere Resolutionen
des UNO-Sicherheitsrats. Nichtsdestotrotz gibt es eine Reihe juristischer
Ungewissheiten betreffend des Einsatzes. Das folgende Kapitel geht näher auf
dessen rechtliche Aspekte und deren Auswirkung in der Praxis ein.
41
Vgl. Comnick/Paulus, The Role of the German Navy and Federal Police, 75-76. 42
Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.), EU-Aussenpolitik: Neue Strukturen, alte Schwächen,
in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 96 (2011), http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-96-
DE.pdf (25. Mai 2012). 43
Vgl. EU NAVFOR Somalia, Mission, in: http://www.eunavfor.eu/about-us/mission/ (7. Februar 2012).
24
2.2.3 Internationale Rechtsgrundlagen für militäris ches/seepolizeiliches
Vorgehen gegen Piraten
Die allgemeine völkerrechtliche Grundlage für ein polizeiliches oder militärisches
Vorgehen gegen Piraterie liefert Artikel 105 des seit 1982 bestehenden
Seerechtsabkommens der Vereinten Nationen. Darin ist folgendes festgehalten:
„Jeder Staat kann auf Hoher See oder an jedem anderen Ort, der keiner staatlichen
Hoheitsgewalt untersteht, ein Seeräuberschiff oder -luftfahrzeug oder ein durch
Seeräuberei erbeutetes und in der Gewalt von Seeräubern stehendes Schiff oder
Luftfahrzeug aufbringen, die Personen an Bord des Schiffes oder Luftfahrzeugs
festnehmen und die dort befindlichen Vermögenswerte beschlagnahmen. Die
Gerichte des Staates, der das Schiff oder Luftfahrzeug aufgebracht hat, können über
die zu verhängenden Strafen entscheiden sowie die Massnahmen festlegen, die
hinsichtlich des Schiffes, des Luftfahrzeugs oder der Vermögenswerte zu ergreifen
sind [..]“44
Das Seerechtsabkommen bietet somit eine erste allgemeine rechtliche Grundlage für
ein Vorgehen gegen Piraterie, erlaubt es jedoch nicht, zwecks Piratenverfolgung in
die Küstengewässer eines anderen Landes einzudringen. Gegen Vorfälle der
Piraterie, die sich in den Hoheitsgewässern eines souveränen Staates ereignen, darf
ausschliesslich der Küstenstaat selbst Massnahmen ergreifen. Aus diesem Grund
erliess der UNO-Sicherheitsrat eine Reihe von Resolutionen, welche erweiterte
Befugnisse in der militärisch/polizeilichen Bekämpfung von Piraterie vor den Küsten
Somalias einräumen.
Die erste Resolution, welche die Piraterie am Horn von Afrika betraf, war
Sicherheitsresolution 1814; es wurde darin unter anderem zum Schutz von Schiffen
des Welternährungsprogramms aufgerufen. Explizit im Sinne der Bekämpfung der
Piraterie wurde im Juni 2008 die richtungsweisende Resolution 1816 des UNO-
Sicherheitsrates im Einverständnis mit der somalischen Übergangsregierung
verabschiedet. Darin wurde anderen Ländern erlaubt in die somalischen
Hoheitsgewässer einzudringen und in Einklang mit internationalem Recht alle
notwendigen Mittel zur Erkennung, Verhinderung und Bekämpfung von Akten der
44
Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, Art. 105, in: http://www.admin.ch/ch/d/sr/
0_747_305_15/a105.html (30. Januar 2011).
25
Piraterie und bewaffneten Überfalls einzusetzen. Ebenso wurden die Dursuchung
und Beschlagnahmung von verdächtigen Schiffen sowie die Festnahme von
Straftätern autorisiert. Als Voraussetzung für derlei Aktionen galt die
Zusammenarbeit mit der somalischen Übergangsregierung und die Benachrichtigung
des UNO-Generalsekretärs. Die ebenfalls 2008 verabschiedeten Resolutionen 1838
und 1846 bestätigten im Wesentlichen die Beschlüsse von Resolution 1814.
Ausserdem in Zusammenhang mit den militärischen Engagements zur Piraterie-
Bekämpfung steht Resolution 1844 (November 2008 verabschiedet). Diese zielt
darauf ab, die Geldflüsse der Piraten zu hemmen und deren kriminelle Netzwerke zu
bekämpfen. Zudem werden darin Individuen oder Organisationen, welche Piraterie
betreiben, Waffen schmuggeln, die humanitäre Hilfe behindern oder anderweitig für
Instabilität in Somalia sorgen, mit Sanktionen belegt. Jene Sanktionen beinhalten die
Einfrierung von Konten und Vermögen, sowie Einreiseverbote für solche, die jener
Taten verdächtigt werden. Ebenso wird in Resolution 1844 das bereits 1992 gegen
Somalia verhängte Waffenembargo und das Verbot der Bereitstellung sonstiger
militärischer Unterstützung bekräftigt.45
Die im Dezember 2008 verabschiedete UNO-Sicherheitsresolution 1851 schliesslich
erlaubt allen Staaten, zusätzlich zu den vorhergehend ausgesprochenen
Kompetenzen, in Absprache oder Zusammenarbeit mit der somalischen
Übergangsregierung ebenfalls Massnahmen gegen die Piraterie auf dem Festland zu
ergreifen. Ebenfalls werden in der Resolution Staaten und regionale Organisationen
dazu aufgerufen, für eine verbesserte und einheitlichere Strafverfolgung von
festgenommenen Piraten zu sorgen.46 Als Resultat der Sicherheitsresolution wurde
am 14. Januar 2009 die UNO-Kontaktgruppe „Contact Group on Piracy off the coast
of Somalia“ geschaffen, welche der internationalen Gemeinschaft ein Forum sowie
die nötigen Mechanismen für die Koordination und Kooperation im Kampf gegen die
Piraterie vor Somalia bereitstellen soll.47 Die meisten Staaten mit einer
Marinepräsenz am Horn von Afrika setzen in der Praxis auf bilaterale Abkommen, die
45
Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320
(16. Januar 2012). 46
Vgl. Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, Resolution 1851 (2008). Verabschiedet auf der 6046. Sitzung des
Sicherheitsrats am 16. Dezember 2008, in: http:// www.un.org/depts/german/sr/sr_08/sr1851.pdf (16.
Januar 2012). 47
Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320
(16. Januar 2012).
26
es ermöglichen, mutmassliche Piraten an Anrainerstaaten in der Region zu
überstellen. Diese übernehmen in einem solchen Fall sowohl die Prozessführung
gegen die Angeklagten als auch eine allfällige Inhaftierung. Vereinbarungen dieser
Art bestehen mittlerweile zwischen der EU, Frankreich, den USA und
Grossbritannien als in der Region präsente Staaten oder Staatenverbünde auf der
einen Seite und Kenia und die Seychellen als Anrainerstaaten der Problemzone auf
der anderen Seite. Die Mehrzahl der gefangengenommenen Piraten wird mittlerweile
an einer der beiden Staaten überstellt. Dort kam es bereits zu ersten Anklagen und
Verurteilungen. Eine Problematik besteht dabei darin, dass in Kenia und den
Seychellen die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards im Rahmen von
Verfahren und Vollzug nicht garantiert werden kann. Das kenianische Rechtssystem
zeigte zudem Anzeichen von Überlastung, weshalb das Abkommen 2010
aufgekündigt wurde.
Der Fakt, dass die EU-Mitglieder Frankreich und Grossbritannien nebst den EU-
Abkommen jeweils noch separate bilaterale Abkommen haben, veranschaulicht
zudem die Problematik, dass bisher keineswegs ein einheitliches Vorgehen im Falle
einer Verhaftung von somalischen Piraten besteht. Frankreich liefert beispielweise
Piraterieverdächtige auch an Somalia, insbesondere an die Regionalregierung
Puntlands aus. Die USA, Spanien, Deutschland, Frankreich und die Niederlande
haben bereits Prozesse vor den eigenen Gerichten gegen somalische Piraten
geführt. Zu Verurteilungen durch europäische oder amerikanische Gerichte kommt es
jedoch nur in Ausnahmefällen. Dies geschah bisher vor allem dann, wenn die Opfer
von Piratenübergriffen Staatsbürger des prozessführenden Landes waren oder unter
dessen Flagge segelten.48 Ein Beispiel für einen solchen Prozess nahm am 22.
November 2010 seinen Anfang: Zehn Somalier sind von der Hamburger Justiz
angeklagt, am 5. April desselben Jahres das deutsche Handelsschiff „MS Taipan“ der
Hamburger Reederei Komrowski gekapert zu haben. Die Besatzung des Schiffs
setzte einen Notruf an die EU-NAVFOR Atalanta ab; holländische Soldaten konnten
die Piraten noch an Bord des Schiffes überwältigen und festnehmen. Die
48
Vgl. Bueger/Stockbrügger/Werthes, Strategische Fehler der Pirateriebekämpfung, 10-11.
27
Staatsanwaltschaft fordert Gefängnisstrafen von bis zu elf Jahren. Der langwierige
Prozess ist zu diesem Zeitpunkt noch am Laufen.49
Aufgrund der höchst unterschiedlichen Herangehensweisen in der Strafverfolgung
von festgenommen Piraten und weiteren Unzulänglichkeiten juristischer Natur, wurde
bereits 2009 die Gründung eines neuen internationalen Strafgerichthofs für Piraterie
erwogen.50 Aufgrund der fehlenden juristischen Strukturen sind Marineeinheiten, die
am Horn von Afrika patrouillieren, oft dazu gezwungen, festgenommene Verdächtige
wieder freizulassen. Experten sehen darin einen der Mitgründe, weshalb die Piraterie
vor den Küsten Somalias in den letzten Jahren geradezu florieren konnte. Jack Lang,
ehemaliger französischer Minister und heutiger UNO-Sondergesandte für die
Bekämpfung der Piraterie, schlug in seinem Report vom Januar 2011 unter anderem
die Schaffung von regionalen Spezialgerichten für Piraterie inklusive zugehöriger
Gefängnisse in Somaliland und Puntland vor.51 Es blieb bisher bei Vorschlägen, die
rechtliche Situation in der Piratenfrage bleibt insgesamt vage.
Soweit die rechtlichen Aspekte der internationalen Militäreinsätze am Horn von
Afrika. Kapitel 3 beinhaltet die Aufarbeitung des politischen Prozesses, der sich in
Bezug auf die Debatte und die Ablehnung der Schweizer Beteiligung an Operation
Atalanta abspielte.
49
Vgl. Perras Arne/Wiegand Ralf, Erster grosser Piratenprozess in Hamburg seit Störtebecker, in:
http://www.sueddeutsche.de/politik/somalische-piraten-vor-gericht-erster-piratenprozess-in-hamburg-seit-
stoertebeker-1.1026614 (1. Februar 2012). 50
Vgl. Bueger/Stockbrügger/Werthes, Strategische Fehler der Pirateriebekämpfung,11. 51
Vgl. Rice Xan, Somali Pirates should face special courts, says UN envoy, in: http://www.guardian.co.uk
/world/2011/jan/26/somali-pirates-jack-lang-report (1.Februar 2012).
28
3. Der politische Prozess und die Debatte betreffend EU -NAVFOR Atalanta in der Schweiz Die Aufarbeitung des politischen Prozess und der Debatte rund um die Ablehnung
der Schweizer Beteiligung an Operation Atalanta beginnt mit der ersten Erwägung
eines Einsatzes von Schweizer Militärangehörigen im Rahmen von EU-NAVFOR
Atalanta durch den Bundesrat Ende 2008 und endet mit der Ablehnung des
Einsatzes durch den Nationalrat im September 2009. In der Zeitspanne dazwischen
spielte sich ein vielschichtiger und komplexer politscher Prozess ab, in dem u.a. der
Bundesrat seine Botschaft zur Vorlage veröffentlichte, die politischen Parteien der
Schweiz dazu Stellung bezogen, Diskussionen und Meinungsäusserungen in der
Presse und anderen Medien publik gemacht wurden und schlussendlich die beiden
Kammern des Parlaments sowie die zuständigen Kommissionen darüber debattierten
und entschieden. Kapitel 3 bietet einen vertieften Einblick in die verschiedenen
Elemente jenes Gesamtprozess. Das Ziel dabei ist zum einen die Dokumentation
jenes politischen (und medial-gesellschaftlichen) Vorgangs, zum andern liegt der
Fokus auf den Argumentationen von Befürwortern und Gegnern des Einsatzes. Im
Sinne einer vereinfachten Übersicht über den Ablauf der Vorlage(n) findet sich in
Anhang 2 eine chronologisch angeordnete Übersichtsdarstellung des politischen
Prozesses im Zuge der Atalanta-Vorlage und der Militärgesetzrevision.
3.1 Ausgangslage
Als Erster brachte der Schweizerische Reederverband ein mögliches
Militärengagement der Schweiz am Horn von Afrika zur Sprache: In einer Anfrage
wollte dieser wissen, welche Schutzmassnahmen der Bundesrat für die Schweizer
Handelsschiffe, die den Golf von Aden passieren, plane.52 Darauf folgte im
Dezember 2008 ein offizielles Schreiben an die Schweiz vom damaligen
Generalsekretär der Europäischen Union, Javier Solana. In jenem Schreiben wurde
die Schweiz um einen Beitrag zur Operation Atalanta als Drittstaat gebeten und
52
Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.), Operation Atalanta: Piraterie und Schweizer
Sicherheitspolitik, in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 55 (2009),
http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-55.pdf (5. April 2012).
29
eingeladen, an der Truppenstellerkonferenz vom 16. Dezember 2008
teilzunehmen.53
Im Januar 2009 informierten darauf hochrangige Schweizer Diplomaten an einem
Mediengespräch darüber, dass sich die Schweiz mit eigenen Militärverbänden an der
Operation beteiligen möchte. Bereits anlässlich dieses Gesprächs wurde die
grundsätzliche aussenpolitische Dimension jenes möglichen Einsatzes betont: Es
handle sich um eine Grundsatzfrage für oder gegen ein stärkeres militärisches
Engagement im Ausland. Benedikt Wechsler, Kabinettschef der damaligen
Aussenministerin Micheline Calmy-Rey, äusserte sich in der Form, dass die Schweiz
nicht einfach bei der EU Schutz vor Piraten einkaufen könne, sondern sich aktiv mit
eigenen Mitteln an Massnahmen gegen die Piraterie beteiligen soll.54
Nach einer Reihe von Abklärungen und Absprachen bewilligte der Bundesrat am 25.
Februar 2009, unter Vorbehalt der Zustimmung der Eidgenössischen Räte (National-
und Ständerat), einen Assistenzdienst zur Unterstützung der Operation NAVFOR
Atalanta der EU. Der Bundesrat beauftragte darauf das Eidgenössische Departement
für auswärtige Angelegenheiten (EDA) in Zusammenarbeit mit dem Departement für
Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), ein Abkommen mit der EU über
eine Schweizer Beteiligung am Anti-Piraterie-Einsatz Atalanta auszuhandeln.55 Am
22. April 2009 folgte die Verabschiedung der Botschaft des Bundesrates, welche die
geplante Beteiligung mitsamt ihren militärischen, politischen, juristischen und
finanziellen Implikationen und Relevanz den Eidgenössischen Räten darlegte. Die
formelle Genehmigung des Einsatzes der Armee zur Unterstützung von Operation
Atalanta hatte die Form eines einfachen Bundesbeschlusses. Ein solcher hätte den
Bundesrat dazu ermächtigt, mit der EU ein Abkommen über die Beteiligung der
Schweiz an Operation Atalanta auszuhandeln.
53
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee im Assistenzdienst im
Ausland zur Unterstützung der Operation NAVFOR Atalanta der Europäischen Union sowie zur Änderung des
Militärgesetzes, 22. April 2009, in: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2009/4535.pdf (6. Februar 2012), 4539. 54
Vgl. Gemperli Simon, Der "Atalanta "-Einsatz als Grundsatzfrage, in: NZZ Online, 27. Januar 2009,
http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/schweiz/der_atalanta-einsatz_als_grundsatzfrage_1.1794061.html
(26. Februar 2012). 55
Vgl. EDA, Beteiligung der Schweiz am Anti-Piraterie-Einsatz Atalanta, in: Medienmitteilungen des
Bundesrates, 25. Februar 2009, http://www.eda.admin.ch/eda/de/home
/recent/media/single.html?id=25540 (25. Februar 2012).
30
Nebst dem Auslandeinsatz der Armee beinhaltete der Bundesbeschluss eine
Änderung des Militärgesetzes, welcher zum Ziel hatte, Auslandseinsätzen der Armee
eine umfassendere gesetzliche Basis zu verschaffen. Jene Änderung des
Militärgesetzes wäre durch ein Bundesgesetz erfolgt, das dem fakultativen
Referendum untersteht;56 d.h. wenn 50 000 Stimmberechtigte oder acht Kantone
innerhalb von 100 Tagen seit der amtlichen Veröffentlichung eines Erlasses es
verlangen, wird eine Gesetzesänderung dem Volk zur Abstimmung vorgelegt.57
Ebenso stand eine Anhörung der politischen Parteien auf dem Programm. Die
Botschaft des Bundesrates zur Atalanta-Vorlage ist für diese Arbeit von hoher
Relevanz, da deren Inhalt den Ausganspunkt für die nachfolgende politische Debatte
bildete. Es folgt aus diesem Grund eine Übersicht über den Inhalt der Botschaft.
56
Vgl. EDA, Botschaft zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee im Assistenzdienst im Ausland zur
Unterstützung der Operation NAVFOR Atalanta der Europäischen Union sowie zur Revision des
Bundesgesetzes über die Armee und die Militärverwaltung, in Medienmitteilungen des Bundesrates, 23. April
2009, http://www.eda.admin.ch/eda/de/home/recent /media/single.html?id=26550 (26. Februar 2012). 57
Vgl. Schweiz. Eidgenossenschaft (Bundesversammlung), Landesrecht, Fakultatives Referendum, Art. 141, in:
http://www.admin.ch/ch/d /sr/101/a141.html (27.2.2012).
31
3.2 Die Botschaft des Bundesrates zur Beteiligung a n EU-NAVFOR Atalanta
3.2.1 Art der Schweizer Beteiligung/ Ziele
Die Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta sah vor, die Operation mit
bewaffneten Militärangehörigen zu unterstützen, welche Schiffe des Welternährungs-
programms schützen sollen und als Schiffs-Schutzdetachements auf Schweizer
Schiffen eingesetzt werden können, sofern diese als gefährdet angesehen werden.
Eine Teilnahme an anderen Missionen wie Offensivoperationen gegen Piraten oder
deren Verfolgung sowie Einsätze auf Handelsschiffen anderer Nationen werden in
der Botschaft explizit ausgeschlossen. Im Detail sollte die Schweizer Beteiligung aus
folgenden Personalbeständen bestehen:
• Zwei sechs- bis achtköpfige Teams der Sonderoperationskräfte der Armee
(Armee-Aufklärungsdetachement AAD 10)
• Ein medizinisches Team, dem ein Arzt und zwei Pflegepersonen angehören
• Höchstens vier Stabsoffiziere
• Drei Völkerrechtsspezialisten58
Die personelle Obergrenze wurde auf 30 Personen festgelegt, die eingeschränkten
Einsatzmöglichkeiten des Schweizer Detachements an die EU kommuniziert und
festgehalten. Formell hätte die Schweiz mit der EU ein Beteiligungsabkommen
abgeschlossen, welche einerseits eine Verpflichtung und Beteiligung der Schweiz an
Atalanta ermöglicht, andererseits die Grundsätze der Schweizer Beteiligung im
Rahmen der Operation festgehalten hätte. Unter jenen Grundsätzen sind nebst den
genannten Operationsbeschränkungen finanzielle Aspekte, die Art der Eingliederung
in die Befehlskette und vor allem auch juristische Fragen zu verstehen.
Bezüglich der Dauer des Einsatzes sah der Beschluss des Bundes vor, diesen auf
ein Jahr zu beschränken mit der Möglichkeit, je nach Entwicklung der Situation, bei
den Eidgenössischen Räten eine Verlängerung beantragen zu können. Gestützt auf
die bisherigen Einsätze der Schweizer Armee im Ausland, wurden die Gesamtkosten
des Einsatzes für ein Jahr auf 16 Millionen Franken beziffert. An den gemeinsamen
Kosten der Gesamtoperation wäre die Schweiz nicht beteiligt gewesen. Da die
58
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4542.
32
Schweiz weder über eine Hochseemarine noch über Langstreckentransportflugzeuge
verfügt, wäre sie in organisatorischer und logistischer Hinsicht in einigen Belangen
auf die Zusammenarbeit mit einem EU-Partnerland angewiesen gewesen. Dies
betraf vor allem den Transport, die Unterkunft und die Verpflegung des eingesetzten
Personals.59 Aufgrund des angebotenen hohen Integrationsgrades für die Schweizer
Armeeangehörigen fiel die Wahl des Bundesrates und der verantwortlichen Stellen in
EDA und VBS auf Deutschland. Die Idee bestand darin, das Schweizer Personal in
ein deutsches Kontingent zu integrieren. Die von der Schweiz bereitgestellten Mittel
wären dabei anstelle der Mittel Deutschlands eingesetzt worden. Konkret heisst dies,
dass die Schweizer Militärangehörigen auf einem deutschen Schiff stationiert
gewesen wären, welches diese zu den zu beschützenden Schiffen des
Welternährungsprogramms oder zu Schweizer Handelsschiffen transportiert hätte.
Ebenso hätte Deutschland den Transport der Truppe in den Einschiffungshafen
übernommen.60
Ein anderer Punkt der Botschaft betraf die Interessen der Schweiz, welche mit einer
Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta hätten vertreten werden können. Es werden
dabei folgende Punkte genannt:
• Die Schweiz könne zur Sicherheit der humanitären Lieferungen für Somalia
beitragen. 2008 engagierte sich die Schweiz mit humanitärer Hilfe in Höhe von
7.8 Millionen Franken in Somalia. Die Piraterie vor den Küsten Somalias
gefährdet diese Hilfslieferungen.
• Mit der Entsendung eigener Truppen wahre die Schweiz ihre Interessen als
Flaggenstaat mit einer eigenen Handelsflotte: Die Schweizer Handelsflotte ist
ein strategisches Instrument zur Sicherung der wirtschaftlichen
Landesversorgung, die vom Bund mit einem Bürgschaftsrahmenkredit im
Umfang von 1,1 Milliarden Franken unterstützt wird und auf welche er im
Krisenfall zurückgreifen kann. Es ging in dem Sinne um den Schutz einer
Investition und um die Weiterführung der Handelsschifffahrt.
• Mithilfe der Präsenz eigener Schiffsschutzdetachements auf Schweizer
Schiffen, könne das Risiko einer Geiselnahme und die damit verbundenen
finanziellen und politischen Auswirkungen verringert werden.
59
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4546-4547. 60
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4542-4543.
33
• Als letzter Punkt wurde angefügt, dass ein Engagement dem Interesse der
rigorosen Anwendung des von der Schweiz ratifizierten Seerechts-
übereinkommens der UNO diene.61
Über die Beteiligung an Atalanta als eine Form schweizerischer Interessenvertretung
hinaus argumentierte der Bundesrat auf einer Reihe anderer Ebenen für die
Annahme der Vorlage.
3.2.2 Allgemeine Argumentation des Bundesrates
Der Bundesrat verweist in seiner Botschaft an erster Stelle auf die Dringlichkeit hin,
auf die durch die Piraterie vor den Küsten Somalias entstandene
Sicherheitsbedrohung zu reagieren. Das Auftreten von „failed states“ komme
zunehmend häufiger vor und die Schweiz teile mit der internationalen Gemeinschaft
die Verwundbarkeit gegenüber den Gefahren, die vom Zerfall staatlicher Strukturen
ausgehe. Operation Atalanta sei überdies nur ein Teil des Engagements der EU zur
Stabilisierung der Situation am Horn von Afrika. Darüber hinaus wird auf die durch
mehrere verabschiedete UN-Resolutionen gegebene internationale Legitimität des
Einsatzes hingewiesen. Der Bundesrat betont, dass Die Schweiz wie jedes UNO-
Mitglied von dessen Sicherheitsrat dazu aufgerufen wurde, einen Beitrag zum Schutz
der Schiffe des Welternährungsprogramms zu leisten und sich an der Bekämpfung
der Piraterie vor den Küsten Somalias zu beteiligen.62
In operationeller Hinsicht wird Atalanta als Polizeiaktion auf hoher See deklariert,
welche eine relativ zuverlässige Risikoabschätzung erlaube: Es handle sich beim
„Gegner“ weder um bewaffnete Militäreinheiten noch um Terroristen, welche bereit
seien, bei einem Überfall ihr Leben zu lassen. Es handle sich vielmehr um Kriminelle,
deren Interesse im monetären Gewinn läge und sich deshalb wehrlose Opfer
aussuchen würden. Aus diesem Gründen wird die Vermutung aufgestellt, dass
Schweizer Militäreinheiten im Falle einer Beteiligung an der Operation vor allem
Abschreckungsmassnahmen ergreifen müssten, welche bis hin zur Abgabe von
Warnschüssen gehen könnten. Eine bewaffnete Auseinandersetzung sei kaum
wahrscheinlich, gänzlich ausgeschlossen wird eine solche jedoch nicht.63 Als
61
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4540. 62
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4536. 63
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4541.
34
Referenz in der Frage, ob eine Beteiligung dieser Art den sicherheitspolitischen
Zielen der Schweiz entspreche, wird auf den Sicherheitspolitischen Bericht 2000
hingewiesen. In SIPOL B 2000 ist u.a. das Konzept „Sicherheit durch Kooperation“
aufgeführt.64 Entsprechend dieser Strategie kooperativer länderübergreifender
Sicherheitsbemühungen spricht der Bundesrat in seiner Botschaft an mehreren
Stellen von einem wichtigen Zeichen der Solidarität mit der internationalen
Gemeinschaft. Da die Militäroperation zudem für die Europäische Union im Rahmen
ihrer gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik von grosser Bedeutung sei,
komme eine Teilnahme den Beziehungen mit der EU zugute.65
Die Botschaft des Bundesrates nennt die Überfälle durch Piraten eine ernsthafte
Bedrohung für die Seeschifffahrt und damit auch für die internationalen und
schweizerischen Wirtschaftsinteressen.66 Der Bundesrat argumentiert weiter, dass
das vorgesehene Beteiligungsabkommen, welches ein begrenztes operationelles
Wirken der Schweizer Armeekräfte vorsieht, als Entgegenkommen seitens der EU
betrachtet werden muss: Ausgehend von der derzeitigen rechtlichen Ausgangslage
in Bezug auf Auslandeinsätze der Armee biete die geplante Beteiligung der Schweiz
die Gelegenheit, ihre eigene Interessen zu vertreten und dabei ihm Rahmen von
Operation Atalanta gleichzeitig Unterstützung von der internationalen Gemeinschaft
zu erhalten. Dies ohne Erwartung einer vergleichbaren Gegenleistung der Schweiz.
Das aktuelle Militärgesetz erlaubt polizeiliche Schutzaufgaben im Rahmen
humanitärer Operationen oder zum Schutz von „schutzwürdigen Schweizer Sachen
im Ausland“ – in diesem Fall Schweizer Schiffen; für den Schutz von Schiffen
anderer Nationen fehlt jedoch eine gesetzliche Grundlage. Der Schutz, welchen
Schweizer Schiffe im Rahmen der multinationalen Operation erhalten, könne deshalb
von der Schweiz nicht solidarisch erwidert werden.
Aus diesem Grund beschloss der Bundesrat, dem Parlament nebst der
Genehmigung des Einsatzes im Rahmen von Operation Atalanta, ebenfalls eine
Änderung des Militärgesetzes zu unterbreiten, welches die grundsätzliche Teilnahme
an internationalen Polizeiaktionen erlauben sollte.67 Diese beabsichtigte
64
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4547-4548. 65
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4540. 66
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4538. 67
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4537.
35
Gesetzesänderung sowie die bestehende rechtliche Grundlage, welche eine
Schweizer Beteiligung an Atalanta hätte ermöglichen sollen, werden im folgenden
Kapitel näher betrachtet.
3.2.3 Rechtliche Belange und Argumentation
Assistenzdienste der Armee im Ausland wurden erstmals durch Artikel 69 des
Militärgesetzes vom 3. Februar 1995 ermöglicht. Dieser beschränkte sich vorerst auf
unbewaffnete Hilfeleistungen im Falle von Katastrophen. Im Jahr 2004 wurde das
Aufgabenspektrum für den Assistenzdienst im Ausland allgemein auf humanitäre
Operationen erweitert.68 Die Legalität einer militärischen Beteiligung an Operation
Atalanta begründete der Bundesrat in seiner Botschaft vom 23. April 2009 mit Artikel
69 des Militärgesetzes (MG). Artikel 69 („Assistenzdienst im Ausland“) definiert den
Einsatz der Schweizer Armee im Rahmen subsidiärer Einsätze im Ausland bei
Katastrophen, humanitären Hilfsmissionen oder zur Unterstützung der
Zivilbevölkerung in Zusammenhang mit einem Konflikt. Laut der Botschaft zur
Armeereform XXI und zur Revision der Militärgesetzgebung muss sich jeder
Armeeeinsatz nach Art. 69 Abs. 1 MG grundsätzlich auf die Bereiche Schutz, Logistik
sowie Rettung beschränken. Die Armee hat den Auftrag, die zivilen Hilfsbemühungen
zu unterstützen und das Zivilpersonal vor Ort zu schützen.69 Art. 69 Abs. 1 MG
besagt zudem, dass auf Ersuchen einzelner Staaten oder internationaler
Organisationen Truppen, Material und Versorgungsgüter der Armee zur
Unterstützung humanitärer Hilfsleistungen entsandt und zur Verfügung gestellt
werden können.70 Basierend auf Art. 69 Abs. 1 MG hätte laut Bundesrat der Schutz
von Schiffen des Welternährungsprogramms gewährt werden können, da die Schiffe
Teil einer humanitären Mission sind.
Für den Schutz von Schiffen der Schweizer Handelsflotte bezog sich der Bundesrat
auf Art. 69 Absatz 2 MG.71 Darin steht: „Soweit schweizerische Interessen zu wahren
sind, können Truppen zum Schutz von Personen und besonders schutzwürdigen
Sachen im Ausland eingesetzt werden. Der Bundesrat bestimmt die Art der
68
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4550. 69
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4544-4545. 70
Vgl. Schweiz. Eidgenossenschaft (Bundesversammlung), Bundesgesetz
über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG), 3. Februar 1995, Art. 69 Abs. 1, in:
http://www.admin.ch/ch/d/sr/5/510.10.de.pdf (6. März 2012). 71
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4545.
36
Bewaffnung.“72 In der Botschaft zur Armeereform XXI und zur Revision der
Militärgesetzgebung sind zwar in erster Linie Liegenschaften, in denen Vertretungen
der Schweiz untergebracht sind, als Beispiel für „besonders Schutzwürdige Sachen“
aufgeführt. Der Bundesrat argumentiert jedoch, dass nicht die Meinung bestand,
dass sich jener Schutz auf Auslandsvertretungen beschränke. Der entscheidende
Punkt im Bezug auf Schutzmassnahmen im Rahmen von Assistenzdiensten sei
vielmehr, dass Sachen aus nationalem Interesse geschützt werden müssten. Diese
Voraussetzung sei im vorliegenden Fall erfüllt. Die Schweizer Handelsflotte erfülle
einen Landesversorgungsauftrag, werde vom Bund mit Bürgschaftskrediten
unterstützt und sei deshalb eine schutzwürdige Sache. In Anhang 3 finden sich Art.
69 sowie Art. 70 des Militärgesetzes in ihrer originalen Formulierung.
Im Übrigen weist die Botschaft darauf hin, dass der Einsatz von Schweizer
Armeeangehörigen im öffentlichen Interesse liege und zivile Behörden nicht in der
Lage seien, diese Aufgaben wahrzunehmen. Aufgaben dieser Art bedingten den
Einsatz von Militärpersonal und militärischen Mitteln. Nach Artikel 107 des
Seerechtsübereinkommens der UNO sowie den Resolutionen 1846 und 1851 des
UNO-Sicherheitsrates müsse die Piraterie überdies mit militärischen Mitteln bekämpft
werden.73 Basierend auf Art. 92 des Militärgesetzes, welcher die Polizeibefugnisse
der Armee regelt, sei Schweizer Armeeangehörigen der Waffengebrauch nur im Fall
von Notwehr, Notstand oder als letztes Mittel zur Erfüllung des Auftrags gestattet.
Der Artikel ermöglicht ferner Personen anzuhalten, ihre Identität festzustellen und
vorübergehend festzunehmen sowie das Kontrollieren und Beschlagnahmen von
Sachen (wenn nötig).74
Auf der Grundlage der besprochenen rechtlichen Aspekte wäre eine Beteiligung an
Operation Atalanta in der geplanten Form juristisch vertretbar gewesen. Allerdings
liesse sich Artikel 69 auch anders interpretieren. Eine explizite Rechtsgrundlage für
eine Beteiligung des Schweizer Militärs an internationalen Polizeiaktionen ist darin
bis heute nicht enthalten. Der Bundesrat beabsichtigte deswegen, im Zuge der 72
Vgl. Schweiz. Eidgenossenschaft (Bundesversammlung), Bundesgesetz
über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG), 3. Februar 1995, Art. 69 Abs. 2, in:
http://www.admin.ch/ch/d/sr/5/510.10.de.pdf (6. März 2012). 73
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4545. 74
Vgl. Schweiz. Eidgenossenschaft (Bundesversammlung), Bundesgesetz
über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG), 3. Februar 1995, Art. 92 Abs. 2 und 3, in:
http://www.admin.ch/ch/d/sr/5/510.10.de.pdf (6. März 2012).
37
Beteiligung an Operation Atalanta, eine Änderung des Militärgesetzes
vorzunehmen.75
Die beabsichtigten Änderungen des Militärgesetzes wurden in der Botschaft des
Bundesrates detailliert erläutert. Die quasi-Kopplung der Beteiligung an Operation
Atalanta mit einer Änderung des Militärgesetzes war für die politischen Debatten und
Entscheide bezüglich der Atalanta-Vorlage von beträchtlicher Relevanz. Die
Militärgesetzrevision sollte für die Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta eine
makellose juristische Grundlage schaffen, wurde jedoch von einer grossen Mehrheit
der Parlamentarier verworfen. Die vom Bund beabsichtigten Änderungen betrafen
primär Art. 69 MG. Dieser Artikel sollte um die Möglichkeit der Teilnahme an
internationalen Polizeioperationen ergänzt werden, wenn zivile oder militärische
Behörden vor Ort diese Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können und
schweizerische Interessen direkt oder indirekt betroffen sind. Der Bundesrat bezieht
sich in diesem Kontext auf die Gefahr, welche vom Zerfall von Staaten für die
internationale Gemeinschaft und damit direkt oder indirekt für die Schweiz ausgeht.
Konkret wird die Möglichkeit von Polizeiaktionen zum Schutz von international
bedeutsamen Infrastrukturanlagen, Transportrouten oder Energiewegen wie Öl- oder
Erdgaspipelines, welche die internationale Energieversorgung sicherstellen, genannt.
Ebenso könnten massive Gefährdungen der Umwelt wie Atomunfälle,
Ölverschmutzungen und dergleichen im Machtbereich eines „failed state“ solcherlei
Aktionen notwendig machen. Auch eine Beteiligung an internationalen
Grenzschutzaufgaben zur Kanalisierung und Absicherung von Migrationsströmen
wird aufgeführt.76 Zu beachten gelte dabei, dass ein solcher Einsatz den
Grundsätzen der schweizerischen Aussen- und Sicherheitspolitik entsprechen müsse
und sich nicht gegen einen bestimmten Staat richten dürfe.
Der Bundesrat präzisiert, dass es der rechtlichen Natur von Polizeieinsätzen
entspreche, dass diese keine kriegerischen Handlungen seien und sich somit solche
Einsätze weder gegen einen Staat noch gegen Kombattanten im Sinne des
humanitären Völkerrechts richten können. Offensivoperationen zur
Friedenserzwingung werden in der Folge ausgeschlossen. Als weitere
75
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4537. 76
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4549-4550.
38
Voraussetzung für die Beteiligung an einem internationalen Polizeieinsatz wird die
Zustimmung des betroffenen Staates festgehalten. Falls die staatlichen Strukturen
nicht genügend gefestigt seien, um selbst Unterstützung anzufordern, könne ein
solcher Einsatz nur auf der Grundlage eines UNO-Mandats erfolgen.
Der Bundesrat sieht die beabsichtigte Ergänzung des Aufgabenspektrums der Armee
als Antwort auf die neue (globale) Bedrohungslage sowie als Massnahme, welche
den Eigeninteressen der Schweiz wie auch der internationalen Solidarität diene.77 Zu
erwähnen ist abschliessend, dass der Bundesrat aus rein juristischer Perspektive
nicht dazu verpflichtet gewesen wäre, vorgängig die Zustimmung der
Eidgenössischen Räte für den Abschluss eines Beteiligungsabkommens für die
Teilnahme an Operation Atalanta einzuholen.78 Art. 70 Abs. 1 MG regelt die
Zuständigkeit für das Aufgebot und die Zuweisung an die zivilen Behörden bei einem
Assistenzdienst der Armee im Ausland in folgender Weise: Zuständig ist, ausser bei
Katastrophen im Inland, der Bundesrat. Art. 70 Abs. 2 MG beinhaltet die Ergänzung,
dass wenn mehr als 2000 Angehörige der Armee aufgeboten werden oder der
Einsatz länger als drei Wochen dauert, die Bundesversammlung den Einsatz in der
nächsten Session genehmigen muss.79
Der Bundesrat wollte aufgrund politischer Erwägungen den umstrittenen Beschluss
vorgängig durch die Räte absegnen lassen, um diesem umfassenderen politischen
Rückhalt und Legitimität zu verschaffen.80 In Zusammenhang mit der beabsichtigten
Militärgesetzrevision konnte man aus verschiedenen Quellen die These vernehmen,
es handle sich bei der Kopplung der Atalanta-Beteiligung mit einer
Gesetzesänderung um ein politisches Manöver der damaligen Justizministerin
Eveline Widmer-Schlumpf, welche als erklärte Gegnerin einer Schweizer Beteiligung
galt. Die Genfer Tageszeitung „Le Temps“ beispielsweise sah in der Verknüpfung
einen Schachzug mit dem Ziel, den politischen Prozess in die Länge zu ziehen, da
77
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4550-4552. 78
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4541. 79
Vgl. Schweiz. Eidgenossenschaft (Bundesversammlung), Bundesgesetz
über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG), 3. Februar 1995, Art. 70, in:
http://www.admin.ch/ch/d/sr/5/510.10.de.pdf (6. März 2012). 80
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 29-30.
39
eine solche Gesetzesrevision formell nicht nötig gewesen sei.81 Auch die „NZZ“
berichtete, die Verbindung der Atalanta-Beteiligung mit der Revision des
Militärgesetzes sei auf Drängen der damaligen Justizministerin Eveline Widmer-
Schlumpf sowie von Verteidigungsminister Ueli Maurer geschehen. Letzterer war
einer Beteiligung an Atalanta gegenüber ebenfalls kritisch eingestellt.82 Ebenso
berichtete die „Weltwoche“ Anfang Januar, man wisse, „dass sowohl die Vorsteherin
des EJPD [Eveline Widmer –Schlumpf, Anm. d. Rede] wie der neue Vorsteher des
VBS [Ueli Maurer, Anm. d. Rede] einem bewaffneten Einsatz ablehnend
gegenüberstehen.“83
Die Uneinigkeit zwischen den Parteien und anderen politischen Interessenverbänden
in der Atalanta-Frage sowie einer möglichen Änderung des Militärgesetzes wurde
nach der Veröffentlichung der Botschaft des Bundesrates im April 2009 schnell
ersichtlich. Die Parteien und Interessenverbände bekundeten in Pressemitteilungen
und über die Medien ihre Meinungen und Argumente zur Thematik. Zur Änderung
des Militärgesetzes fand am 11. und am 13. Mai eine Vernehmlassung statt, auf
welche im folgenden Kapitel eingegangen wird.
81
Miéville, D.S., L’engagement contre les pirates somaliens torpilié, in : Le Temps, 24. April 2009,
http://www.letemps.ch/Page/Uuid/a29cc496-3046-11de-9290-327d70d663fd/
Lengagement_contre_les_pirates_somaliens _torpillé (13. März 2012). 82
Vgl. Nuspliger, Spiel auf Zeit um die Piratenjagd, 13. 83
Frenkel Max, Und schon gar nicht anständig, in Weltwoche 1 (2009),
http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2009-01/artikel-2009-01-kommentar-und-sc.html (21. März 2012).
40
3.3 Öffentliche Debatte: Positionen von Parteien, V erbänden und Organisationen sowie in den Medien vertretene Einsc hätzungen
3.3.1 Vernehmlassung zur Gesetzesänderung
Betreffend die Änderung des Militärgesetzes führte das VBS am 11. und am 13. Mai
2009 eine „beschleunigte Vernehmlassung“ in Form von Anhörungen durch. Daran
nahmen Vertreter der Kantone, verschiedener interessierter Verbände und
Organisationen sowie die politischen Parteien der Schweiz teil. Zusammenfassend
kann über das Ergebnis der Anhörungen folgendes gesagt werden: Alle politischen
Parteien inklusive der vier Bundesratsparteien (SVP, SP, CVP und FDP) lehnten die
vorgeschlagene Änderung des Militärgesetzes grundsätzlich ab; zumindest zum
damaligen Zeitpunkt. Klare Zustimmung gab es nur bei einer Mehrheit der
teilnehmenden Kantone sowie bei humanitären und im europapolitischen Bereich
tätigen Organisationen. Gesamthaft stiess die Vorlage eher auf Ablehnung. Die
Verbindung zwischen dem Vorschlag der Schweizer Beteiligung an Atalanta und der
Revision des Militärgesetzes wurde wiederholt kritisiert. Die zwei „Geschäfte“ seien
voneinander getrennt den Räten vorzulegen, hiess es unter anderem Seitens der
Vertreter von SP und FDP.84
Die Vernehmlassung zeigte auf, dass die Parteien der Vorlage zur
Militärgesetzrevision bereits kurz nach deren Veröffentlichung sehr kritisch
gegenüberstanden. In Bezug auf die Ausgangslage und das politische Klima im
Vorfeld des Entscheids über die Beteiligung an Operation Atalanta, liefern die
Medienmitteilungen der Parteien aufschlussreiche Hinweise. Als erstes werden die
Communiqués der politischen Fraktionen in den beiden eidgenössischen Räten
betrachtet. Weitere Informationen über das politische Klima im Vorfeld der Atalanta-
Abstimmung liefern die Communiqués von Organisationen und Verbänden sowie
ausgesuchte Artikel renommierter Schweizer Tageszeitungen.
84
VBS, Ergebnisse der Anhörung vom 11. und 13. Mai 2009 zur Änderung des Militärgesetzes, 15. Mai 2009, in:
http://www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents /1749/Ergebnis_korr.pdf (13. März 2012).
41
3.3.2 Die Communiqués der befürwortenden Parteien
Als erste klare Befürworterin einer Beteiligung an Operation Atalanta trat am 25.
Februar 2009 (am Tag der Bekanntgabe der geplanten Beteiligung durch das EDA)
die Freisinnig-Demokratische Partei der Schweiz (FDP) mit einer Pressemitteilung an
die Öffentlichkeit. Deren Titel lautete: „Kein Spiel mit der Sicherheit der Schweiz!
FDP unterstützt die Entsendung Schweizer Elitesoldaten in die Gewässer vor
Somalia“85. Die FDP begründet darin ihre Befürwortung des Einsatzes auf der einen
Seite mit der Notwendigkeit, als souveräner Staat selbst seine sicherheitspolitischen
Interessen wahrzunehmen. Auf der anderen Seite werden die rechtlichen
Voraussetzungen für einen Einsatz als ausreichend betrachtet. Dank der
Zustimmung der Vereinten Nationen zu Atalanta und weil sich der Einsatz nicht
gegen ein anderes Land sondern Kriminelle richte, fände zudem keine Verletzung
der Schweizer Neutralität statt. Offene Handelsrouten und eine eigene Hochseeflotte
gehörten zu den Kerninteressen eines kleinen, exportorientierten Landes wie der
Schweiz. Andere Staaten für die Sicherheit der Schweizer Schiffe zu bezahlen,
würde laut der Pressemitteilung die Souveränität der Schweiz untergraben und sei
zudem eines unabhängigen Landes unwürdig, welches selbst über eine moderne,
einsatzbereite Armee verfüge. Den linken und rechten Parteien, welche gegen die
Entsendung von Elitesoldaten in die Gewässer vor Somalia sind, wird ausserdem
verantwortungsloses und unpatriotisches Handeln vorgeworfen, welches eine
Gefährdung der nationalen Sicherheit darstelle.86
In einer zweiten Pressemitteilung der FDP vom 23. April 2009 (ein Tag nach der
Verabschiedung der Botschaft des Bundesrates zu Atalanta) werden ähnliche Pro-
Argumente in etwas diplomatischerer Form aufgeführt. Darüber hinaus wird
nochmals betont, dass sich die Teilnahme an Atalanta auf dem geltenden Gesetz
abstützen liesse und rasch entschieden werden müsse. Für die Änderung des
Militärgesetzes sieht die FDP hingegen den Bedarf nach einer vertieften Diskussion.
Sie lehnt die Verbindung des Entscheids über die Teilnahme an EU-NAVFOR
85
Pressemitteilung der FDP Schweiz, Kein Spiel mit der Sicherheit der Schweiz! FDP unterstützt die Entsendung
Schweizer Elitesoldaten in die Gewässer vor Somalia, 26. Februar 2009, in: http://www.wahlen.ch/new/
index.php?sid =33e5ecab5ca..&item=./news/detail&NewsID=36127 (9. Februar 2012). 86
Vgl. Pressemitteilung der FDP Schweiz, Kein Spiel mit der Sicherheit der Schweiz! FDP unterstützt die
Entsendung Schweizer Elitesoldaten in die Gewässer vor Somalia, 26. Februar 2009, in:
http://www.wahlen.ch/new/ index.php?sid =33e5ecab5ca..&item=./news/detail&NewsID=36127 (9. Februar
2012).
42
Atalanta mit der Änderung des Militärgesetzes ab: Jene Verknüpfung liefere den
Atalanta-Gegnern einen Vorwand, eine polemische Grundsatzdiskussion über
Auslandeinsätze zu provozieren und so den raschen und aktiven Schutz von
Schweizer Interessen in Form einer klar begrenzten militärischen Beteiligung zu
verhindern. Das Communiqué fordert deshalb die getrennte Behandlung der
Atalanta-Vorlage in der Juni-Session 2009.87
Im Juni 2009 meldeten sich die Christlich-Demokratische Volkspartei (CVP) und ihre
damaligen Fraktionspartner von der Evangelischen Volkspartei (EVP) und der
Grünliberalen Partei (GLP) erstmals in Form einer gemeinsamen Pressemitteilung zu
Wort. Die in juristischer Form gehaltene Mitteilung spricht dem Bundesrat die
gesetzliche Grundlage zu, gestützt auf Artikel 69 in Verbindung mit Art. 70 Abs. 1 des
Militärgesetzes über eine Teilnahme an Atalanta zu entscheiden. Die
Bundesversammlung habe aufgrund dessen den Einsatz in der kommenden Session
zu genehmigen. Die Revision des Militärgesetzes zum damaligen Zeitpunkt wird
abgelehnt, weil diese für eine Beteiligung an Atalanta nicht notwendig sei. Im Hinblick
auf mögliche weitere Einsätze könne diese aber in Aussicht genommen werden;
wichtig sei in diesem Punkt auch der Einbezug des auf Ende 2009 erwarteten
Sicherheitspolitischen Berichts. Die CVP-EVP-GLP Fraktion fordert abschliessend,
der Bundesrat könne und müsse seine gesetzlich vorgeschriebene Verantwortung
wahrnehmen und im Alleingang einen formellen Entscheid (im Sinne von Art. 69 MG
fällen), welcher danach dem Parlament vorzulegen sei. Aufgrund der als eindeutig
betrachteten Gesetzeslage wird die vorgesehene Konsultation der
Aussenpolitischen- und Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats zum
Thema als unnötig betrachtet.88
Bei der sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) liess sich anhand der
unterschiedlichen Argumentationen bei der Anhörung zur Änderung des
Militärgesetzes im Mai 2009 erstmals eine interne Spaltung in der Atalanta-Frage
87
Vgl. Pressemitteilung der FDP Schweiz, Piraten in Somalia: Sicherheit und Souveränität der Schweiz sichern.
FDP unterstützt die Teilnahme der Schweiz bei Atalanta, 23. April 2009, in: http://www.wahlen.ch/
new/index.php?lang=DE&item=./news/detail&NewsID=36314 (9. März 2012). 88
Vgl. Pressemitteilung der Fraktion CVP-EVP-glp, Endlich Klarheit schaffen, 10. Juni 2009, in:
http://www.wahlen07.ch/new/index.php?sid=a7f59fce6e771464fa37ae90edda8db5&item=.
/news/detail&NewsID=36492 (9. März 2012).
43
beobachten.89 Ihre damalige Bundesrätin und Vorsteherin des EDA, Micheline
Calmy-Rey, agierte hingegen als ausgesprochene Befürworterin einer Schweizer
Beteiligung. Dies belegen mehrere Quellen: Ein Zeitungsartikel der „Neuen Zürcher
Zeitung“ (NZZ) vom 23. April 2009 spricht davon, dass Micheline Calmy-Rey die
beiden Vorlagen mit grossem Eifer bereits in der Juni-Session ins Parlament bringen
wolle.90 Die Wochenzeitung (WOZ) berichtete am 27. August 2009 über Calmy-Rey
als Bundesrätin „die mit allen Mitteln versucht, Parlamentarier für eine Mission zu
gewinnen“. Verschiedene NationalrätInnen bezeichneten das Engagement von
Bundesrätin Calmy-Rey im „Atalanta-Diskurs“ zudem als ausserordentlich.91 Die
gespaltene Haltung in ihrer eigenen Sozialdemokratischen Partei konnte sie jedoch
nicht verhindern. In der Öffentlichkeit zeigte sich dies spätestens als die Partei am 8.
September 2009 zwei Communiqués veröffentlichte, welche unterschiedliche
Positionen in der Atalanta-Frage beinhalteten.
„Atalanta-Beteiligung ist eine humanitäre Pflicht“ lautet dabei der Titel des ersten
Communiqués, in welchem eine Schweizer Beteiligung an der Operation befürwortet
wird. Die Piraten Somalias werden darin als „Zahnräder im Uhrwerk des
organisierten Verbrechens“ bezeichnet. Diese seien keineswegs als moderne Robin
Hoods zu verstehen, sondern würden das Elend der in äussert prekären
Verhältnissen lebenden somalischen Bevölkerung verschlimmern. Es wird ferner
betont, dass die Piraterie nicht nur die Handelsschiffe, welche das Horn von Afrika
passieren, bedrohen, sondern auch die Schiffe des Welternährungsprogramms der
UNO, welches die somalische Bevölkerung mit humanitären Hilfsgütern versorgt. Da
das Hauptziel von Operation Atalanta der Schutz jener Hilfslieferungen sei,
entspreche es der humanitären Pflicht aller Staaten dazu beizutragen, dass diese
Hilfe den Bedürftigen zukomme und nicht den Piraten in die Hände falle. Die SP
habe sich überdies in der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats mit
Erfolg dafür eingesetzt, entgegen einer blossen Symptombekämpfung, nicht nur eine
militärische Missionsteilnahme zu bewilligen. Vielmehr habe man für konkrete
Massnahmen für die Wiederherstellung demokratischer und rechtsstaatlicher
89
Vgl. VBS, Ergebnisse der Anhörung vom 11. und 13. Mai 2009 zur Änderung des Militärgesetzes, 15. Mai
2009, in: http://www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents /1749/Ergebnis_korr.pdf (13. März 2012). 90
Vgl. Nuspliger, Spiel auf Zeit um die Piratenjagd, 13. 91
Vgl. Hanimann Carlos, Klimmzüge für Calmy-Rey, in: Die Wochenzeitung (WOZ), 27.8.2009,
http://www.woz.ch/0935/mission-atalanta/klimmzuege-fuer-calmy-rey (14. März 2012).
44
Institutionen plädiert, welche die notleidende Bevölkerung Somalias bei der Rückkehr
zu Frieden, Stabilität und öffentlicher Ordnung unterstützen sollen. Zum Schluss wird
betont, dass es sich um einen sicherheitspolitischen Richtungsentscheid handle,
welcher im Falle einer Ablehnung von rechtsorientierten Kräften als Präjudiz gegen
friedensfördernde Auslandeinsätze der Armee und gegen jegliche
sicherheitspolitische Öffnung der Schweiz missbraucht werden könnte.92
Das Communiqué der Atalanta-Gegner in den Reihen der SP trägt den Titel „Atalanta
ist keine Friedensmission“. Die Schweiz sei kein Land, welches bisher international
dadurch aufgefallen sei, sich auf imperialistische Weise als Weltpolizei aufspielen zu
wollen, heisst es darin. Die Rolle der Schweiz im internationalen Bereich liege
vielmehr in der Vermittlung, der Friedensförderung und –erhaltung sowie der
humanitären Hilfe. Besonders kritisiert wird an Atalanta, dass die Operation die
Piraterie nur als Symptom, nicht aber deren Ursache bekämpfe. Für den Schutz der
Handelswege würden etliche Millionen investiert und Dutzende Kriegsschiffe und
Tausende Soldaten aufgeboten. Das wirkliche Problem aber - die am Boden
liegende Infrastruktur, die Arbeitslosigkeit und die fehlenden Perspektiven – würden
nicht an der Wurzel angepackt. Zum Schluss wird in Frage gestellt, ob das Armee-
Aufklärungsdetachements AAD 10 überhaupt die benötigten Fähigkeiten für einen
Einsatz auf hoher See mitbringe. Da im Rahmen der Mission keine
Offensivoperationen vorgesehen seien, erschöpfe sich die Argumentation für den
Einsatz dieser Sondereinheit offenbar in deren Existenzberechtigung.93
Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass die Existenz der Sondereinheit der Armee
AAD 10 an sich umstritten ist. Sowohl von gewissen linken wie auch von rechten
Kreisen wurde die Einheit schon als unnötig bezeichnet und sollte deren Meinung
nach abgeschafft werden.94 Bei denjenigen Kräften innerhalb der SP, die sich gegen
eine Teilnahme an Atalanta stellten, handelte sich meist um Politiker, welche der
Armee gegenüber allgemein kritisch eingestellt sind und eine pazifistische
92
Vgl. Kasermann Andreas, Atalanta-Beteiligung ist eine humanitäre Pflicht, in: SP-Pressedienst,
http://www.sp-ps.ch/ger/Medien/Pressedienst/2009/ATALANTA-Beteiligung-ist-eine-humanitaere-Pflicht
(14. März 2012). 93
Vgl. Kasermann Andreas, Atalanta ist keine Friedensmission, in: SP-Pressedienst, http://www.sp-
ps.ch/ger/Medien/Pressedienst/2009/ATALANTA-ist-keine-Friedensmission (14. März 2012). 94
Vgl. Knüsel Jan, SVP will Spezialeinheit AAD 10 abschaffen, in: Tagesanzeiger Online, 23. Juni 2010,
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/SVP-will-Spezialeinheit-AAD-10-
abschaffen/story/15295557?track (14. März 2012).
45
Grundhaltung pflegen. Eine ausführliche Analyse der grundsätzlichen Haltung der
pazifistischen Linken sowie der politischen Rechten gegenüber Auslandeinsätzen der
Armee findet sich in Kapitel 4. Als nächstes stehen die öffentlichen Positionierungen
derjenigen Parteien im Fokus, die sich im Vorfeld der Atalanta-Abstimmung
geschlossen gegen eine Teilnahme stellten.
3.3.3 Die Communiqués der ablehnenden Parteien
Nebst eines Teils der SP war es auf linker Seite vor allem die Grüne Partei der
Schweiz (GPS), welche sich als klare Gegnerin eines Auslandeinsatzes der
Schweizer Armee im Rahmen von EU-NAVFOR Atalanta positionierte. Die erste
Medienmitteilung der Grünen zur Thematik, welche bereits am 12. Dezember 2008
veröffentlicht wurde, bekräftigt ein erstes Mal jene ablehnende Haltung. Das
Communiqué betont vorab die Problematik der (illegalen) Ausbeutung der
Fischbestände entlang der somalischen Küste sowie der illegalen Entsorgung von
Giftmüll, welche die Hauptgründe für das Entstehen der dortigen Piraterie seien. Es
wird die Frage aufgeworfen, wieso der Bundesrat nie einen Vorschlag mache, der
sich gegen die „Fischerpiraten“ und „Giftmülldealer“ richte. Der Bundesrat wird aus
diesen Gründen dazu aufgefordert, sich auf die zivile Lösung der sozialen Ursachen
des Problems zu konzentrieren. Ein Einsatz im Rahmen von Atalanta sei überdies
auch aus militärischer Sicht fragwürdig: Dies einerseits aufgrund des Risikos Verluste
an Menschenleben zu erleiden. Andererseits bedeute ein schweizerisches
Militärengagement eine Hypothek für die Schweizer Friedens- und Neutralitätspolitik,
wenn sie sich an einer Grossaktion in Afrika zusammen mit Armeen, die eine
Kolonialtradition besitzen, beteilige. Es wird zudem gefordert, der Bundesrat müsse
einen allfälligen Beschluss vorgängig dem Parlament vorlegen.95
In einer weiteren Medienmitteilung der Grünen Partei vom 25. Februar 2009 werden
die in der vorangegangen Mitteilung aufgeführten Argumente gegen eine Beteiligung
erneut ausgeführt und bekräftigt: Die Schweiz solle endlich mehr Initiative zeigen im
Vorgehen gegen das Leerfischen der Fischgründe durch Grosstrawlers. Wenn diese
Ausbeutung der Meere ein Ende habe, würde auch der Piraterie der Boden
entzogen. Der Einsatz sei ausserdem auch rechtlich fragwürdig und bei den 95
Vgl. Grüne Partei der Schweiz, Grüne lehnen Somalia-Einsatz ab, in: Medienmitteilungen Friedenspolitik, 22.
Dezember 2008, http://www.gruene.ch/web/gruene/de/positionen/internationales/friedenspolitik/
medienmitteilungen/somalia-einsatz-ablehnen_22-12-08.html (14. März 2012).
46
Schweizer Bürgerinnen und Bürgern ohnehin unpopulär. Die Partei versichert
deswegen in ihrem Communiqué der gemeinsamen Petition der Jungen Grünen,
JUSO und der GSOA gegen einen Armeeinsatz vor Somalia ihre Unterstützung.96
Auf der rechten Seite des Politspektrums, namentlich von der Schweizerischen
Volkspartei (SVP), wurde die geplante Schweizer Beteiligung an der EU-NAVFOR
Atalanta ebenfalls klar abgelehnt. Eine Medienmitteilung der SVP vom 23. April 2009
erlaubt einen ersten Einblick in deren Position gegenüber dem Atalanta-Einsatz wie
auch gegenüber Auslandsengagements der schweizerischen Armee an sich: Die
SVP verurteilt in ihrem Communiqué den Entscheid des Bundesrates über einen
Auslandeinsatz der Armee aufs Schärfste. Der totale Bruch mit der auf die
Verteidigung unseres Landes ausgerichteten Armee komme der Zerstörung der
Neutralität gleich. Es gehe bei der Vorlage in keiner Art und Weise um die
Verteidigung von Schweizer Schiffen. Vielmehr sieht die SVP darin eine „Einführung
des Aktivdienstes der Schweizer Armee im Ausland unter der Führung der EU bzw.
ausländischer Kampftruppen.“ Es ist ferner von einer „bunt zusammengewürfelten
Truppe von Soldaten, Krankenschwestern und Juristen“ die Rede, welche in den Golf
von Aden entsendet würden. Die Landesregierung schicke mit diesem
Grundsatzentscheid Schweizer Soldaten in einen internationalen Krieg. Dies sei Teil
einer schrittweisen Abkehr von der „immerwährenden, bewaffneten, integralen
Neutralität“, welche vom Bundesrat ungebremst vorangetrieben werde. In diesem
Sinne würden die Interessen der internationalen Grossmächte über die Schweizer
Grundsätze der Unabhängigkeit, Souveränität und Neutralität gestellt. „Die SVP
warnt zudem davor, die von den Grossmächten im Hintergrund verfolgten Interessen
um die strategische Vorherrschaft der Verbindungsstrasse zwischen Europa und
Asien zu unterschätzen“.
Der finanzielle Aufwand für einen solchen Aktivdienst im Ausland stehe überdies in
keinem Verhältnis zu den vorgegebenen „schützenswerten Interessen“ der Schweiz.
Zudem könne Art. 69, Abs. 2. MG nicht in der vom Bundesrat vertretenen Form
interpretiert werden: Der damalige Verteidigungsminister Samuel Schmid (SVP) hätte
bei der Verabschiedung des Militärgesetzes eine Ausweitung des Begriffs
96
Vgl. Grüne Partei der Schweiz, Somalia-Einsatz löst keine Probleme, in Medienmitteilungen Friedenspolitik,
25. Februar 2009, http://www.gruene.ch/web/gruene/de/positionen/internationales/friedenspolitik/
medienmitteilungen/somalia-einsatz_25-02-09.html (14. März 2012).
47
„schutzwürdige Sachen“ explizit ausgeschlossen und dabei nur die Schweizer
Botschaften explizit genannt. Auch Art. 69 Abs. 1 MG verschaffe dem geplanten
Einsatz keine rechtliche Grundlage, da es sich bei Atalanta um eine militärische und
nicht um eine humanitäre Operation handle. Am Ende ihrer Mitteilung kündigt die
SVP an, im Falle einer Annahme der Vorlage das Referendum ergreifen zu wollen.97
In der Schweizerzeit, einer nationalkonservativen Zeitung, die vom ehemaligen SVP-
Nationalrat Ullrich Schlüer herausgegeben wird, erschien im Juni 2009 ein Artikel, in
dem Schlüer die rechtlichen Aspekte eines Atalanta-Einsatzes aus seiner
Perspektive näher erläutert. Darin gelangt dieser zum Fazit, dass einem Schweizer
Armeeeinsatz im Rahmen von Operation Atalanta nicht nur die Rechtsgrundlage
fehle, sondern ein solcher auch verfassungswidrig sei.98 Als Ergänzung zu den
öffentlichen Positionen der politischen Parteien zur Atlanta-Vorlage folgen nun
Stimmen und Positionen von interessierten oder involvierten Organisationen und
Verbänden.
3.3.4 Positionen ausgewählter Verbände und Organisa tionen zu Atalanta
Die Schweizer Armee bereitete einen möglichen Einsatz auf hoher See vor und wäre
für dessen praktische Umsetzung verantwortlich gewesen. Die Position der höheren
Armeekader in der Atalanta-Frage ist demzufolge von beträchtlicher Relevanz. In der
allmonatlich erscheinenden Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift (ASMZ),
welche von der Schweizerischen Offiziersgesellschaft herausgegeben wird,
erschienen eine Reihe von Artikeln und Kommentaren, die sich mit der möglichen
Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta auseinandersetzten. Die
Äusserungen und Argumentationen in der ASMZ lassen auf eine befürwortende
Haltung gegenüber Atalanta im Kreis der Armeekader schliessen. Die Artikel
enthalten – der Betätigung ihrer Verfasser entsprechend – eine Vielzahl an
Beurteilungen aus militärischer und sicherheitstechnischer Perspektive. Im Editorial
der Januar-Ausgabe 2009 zeigt sich der Chefredaktor der Zeitschrift gleichwohl der
schwierigen und kontroversen politischen Dimension der Vorlage bewusst: Eine
97
Vgl. SVP Communiqués, Nein zum Aktivdienst im Ausland, 23. April 2009, in: http://www.svp.ch/g3.cms/
s_page/83050/s_name/communiquesmobile/s_element/132280/news_id/69/news_newsContractor_display
_type/detail/news_newsContractor_year/2009/searchkey/aktivdienst%20im%20ausland (16. März 2012). 98
Vgl. Schlüer Ullrich, Rechtsbruch aus Kriegslüsternheit. Atalanta ist verfassungswidrig, in: Schweizerzeit Nr.
16., 16. Juni 2009, http://www.schweizerzeit.ch/1609/rechtsbruch.html (15. März 2012).
48
Unterstellung von Schweizer Soldaten unter die Kommandozentrale der Operation
Atalanta würde eine neues Kapitel im Bereich der Auslandeinsätze aufschlagen und
bewusst auch mögliche Waffeneinsätze von Schweizer Soldaten im Ausland in Kauf
nehmen.99
In einem weiteren Beitrag zum Thema in der Januarausgabe der ASMZ wird betont,
dass die Schweizer Armee mit dem „hoch professionell ausgebildeten“
Aufklärungsdetachement AAD 10 über ein passables militärisches Mittel für den
geplanten Einsatz verfüge. Die Schweiz habe nationale Interessen, die es zuhause
wie im Ausland zu wahren gelte. Interessant im Zusammenhang mit der
Gesamtausrichtung der Schweizer Aussenpolitik ist sicher die Aussage, die Schweiz
sei in einer zunehmend vernetzten Welt zu Leistungen gefordert, die nicht bloss mit
Geld abgegolten werden dürften. Finanzielle Unterstützung alleine fände in der
internationalen Gemeinschaft kaum mehr Anerkennung. Es sei vielmehr
substanzielle Unterstützung gefordert, auch wenn diese in einem kleinen Rahmen
bleibe. Im Fall der (kleinen) Schweiz mit ihren beschränkten militärischen Mitteln
gelte es ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Der Autor geht auch davon aus, dass
die von der EU, NATO etc. getroffenen Massnahmen ihre Wirkung zeigen würden.100
In der Juni-Ausgabe 2009 wird seitens des Vorstandes der Schweizerischen
Offiziersgesellschaft (SOG) informiert, man habe im Rahmen der vom VBS
durchgeführten Anhörungen in der Sache der Militärgesetzänderung teilgenommen
und dort eine positive Haltung der Gesetzesänderung gegenüber eingenommen.
Zusätzlich betont die Offiziersgesellschaft, das AAD 10 sei in der Lage, den
vorgesehenen Einsatz durchzuführen. Ein Entscheid für oder wider einen Einsatz
von Armeeangehörigen gegen die Piraterie sei rein politischer Natur.101
Ein zivilgesellschaftlicher Akteur der sich klar für eine Schweizer Beteiligung an
Operation Atalanta aussprach, war die Neue Europäische Bewegung Schweiz
(nebs). Die überparteiliche Organisation befürwortete im Mai 2009 in einem
Positionspapier sowohl die Teilnahme an Operation Atalanta wie auch die Revision
des Militärgesetzes. Die Teilnahme von Schweizer Armeeangehörigen an
internationalen Militäroperationen wie Atalanta sei ein wichtiger Beitrag unseres
99
Vgl. Beck, Einsatz auf hoher See, 3. 100
Vgl. Kürsener, Schutz der Schweizer Hochseeflotte, 26-27. 101
Vgl. SOG Vorstand, Meinungsaustausch mit bürgerlichen Parlamentariern, 35.
49
Landes an die kollektive Sicherheit Europas. Jener Beitrag würde von der
Staatengemeinschaft erwartet und sei im Interesse der Schweiz; eine Nicht-
Teilnahme an Atalanta würde dem Ansehen der Schweiz im Ausland schaden.102
Eine deutlich andere Perspektive vertrat die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee
(GSOA) im Vorfeld der Abstimmung. Die Gruppe ist eine linksorientierte
basisdemokratische Organisation, welche pazifistische Ideologien vertritt. Eines ihrer
Hauptziele ist die Abschaffung der Schweizer Armee.103 In einer Stellungnahme
„Dokumentation zur Operation Atalanta“ macht sie darauf aufmerksam, dass ein
Armeeeinsatz blosse Symptombekämpfung sei, der keine Probleme längerfristig zu
lösen vermöge. In Somalia sei der Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen und eines
demokratischen Staatsystems vonnöten, wenn man das Piratenproblem nachhaltig
angehen wolle. Die GSOA macht auch auf das Problem der illegalen „Leerfischung“
der somalischen Küstengewässer aufmerksam, welche den lokalen Fischern ihre
Lebengrundlage entzieht und deswegen für das Aufkommen der Piraterie
verantwortlich sei. Die GSOA spricht sich deswegen klar gegen einen
Assistenzdienst der Schweizer Armee im Rahmen der EU-Operation Atalanta aus.
Nebst der allgemeinen Ausrichtung des Einsatzes wird dessen rechtliche Grundlage
zusätzlich als ungenügend und vage bezeichnet: Art. 69 Abs. 1 MG sei dafür
ungenügend, da die Abwehr von Piratenangriffen einer Kampfhandlung und nicht
einer humanitären Aktion im Sinne einer Hilfeleistung in Katastrophenfällen, wie dies
in der Botschaft des Bundesrates zum Militärgesetz von 1995 umschrieben ist,
entspreche. Der Schutz von Schweizer Schiffen könne allenfalls mit Art. 69 Abs. 2
MG abgedeckt sein. Dass der Bund jedoch in seiner Botschaft zu Atalanta und der
beabsichtigten Änderung des Militärgesetzes davon spricht, Atalanta mit der
Gesetzesänderung eine klare Rechtsgrundlage zu verschaffen, heisse in der
Konsequenz, dass nach heutigem Recht die Gesetzeslage ungenügend sei.104
Jene Änderung des Militärgesetzes wurde von der GSOA ebenfalls abgelehnt. Sie
würde eine Grundlage für eine weitgehende Beteiligung der Armee an militärischen
102
Vgl. Nebs, Operation Atalanta und Revision vom Art. 69 des Militärgesetzes, in: Stand und Entwicklung der
Beziehung Schweiz-EU auf einen Blick, 20. Mai 2009,
http://www.europa.ch/Files/pdf/090520_relations_bilaterales_ch-ue_2_09_de.pdf (20. März 2009). 103
Vgl. GSOA, über die GSOA, in: http://www.gsoa.ch/gsoa/uber/ (20. März 2012). 104
Vgl. GSOA, Dokumentation zur Operation Atalanta, 25. März 2009, in: http://www.gsoa.ch/themen/armee-
und-zivildienst/00787/dokumentation-zur-operation-atalanta/ (20. März 2012).
50
Interventionen schaffen. Es müsse in der Folge eine Militarisierung der Aussenpolitik
befürchtet werden, bei der sich die Schweiz am globalen Kampf um Ressourcen und
Einfluss beteilige. Die Schweiz solle sich stattdessen verstärkt mit zivilen,
diplomatischen und aussenpolitischen Mitteln für die Lösung von Konfliktursachen
engagieren. Im Falle einer Annahme kündigte die GSOA an, das Referendum zu
ergreifen.105 Gemeinsam mit den Jungen Grünen und der JungsozialistInnen
Schweiz (JUSO) lancierte die Gruppe Ende Februar 2009 zudem eine Online-
Petition, welche den Verzicht auf den Einsatz von Schweizer Soldaten in Somalia
forderte.106
Die rechtskonservative politische Vereinigung AUNS (Aktion für eine unabhängige
und neutrale Schweiz) machte ihren Standpunkt gegenüber Operation Atalanta im
März 2009 in Form einer Stellungnahme in ihrem Publikumsorgan „AUNS Klartext“
deutlich: Der Entscheid zugunsten einer Teilnahme von Schweizer Soldaten an einer
Militäroperation der EU gegen Piraten vor der Küste Somalias sei grotesk,
neutralitätswidrig und folgenschwer. Dieser bundesrätliche Fehlentscheid öffne „Tür
und Tor für künftige Kampf- und Kriegseinsätze von Schweizer Soldaten unter
fremdem Kommando irgendwo auf der Welt.“ Der beschlossene Kampf- und
Kriegseinsatz habe zusätzlich nichts mit einem Assistenzdienst für humanitäre
Operationen gemäss Art. 69 Abs. 1 MG zu tun. Atalanta bringe vielmehr eine
dramatische Ausweitung des Ausland-Einsatzes von Schweizer Soldaten. Am Ende
der Stellungnahme macht die AUNS deutlich, sie werde alles tun „um diesen
gravierenden Irrweg zu stoppen.“107 Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass viele
AUNS-Mitglieder der SVP angehören und umgekehrt.
105
Vgl. GSOA, Positionspapier der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSOA zur Revision des Militärgesetzes,
in: http://www.gsoa.ch/media/filecontent /Positionspapier_Revision_MG.pdf (20. März 2012). 106
Vgl. GSOA, Keine Soldaten nach Somalia, 25. Februar 2009, in: http://www.gsoa.ch/themen/armee-und-
zivildienst/00753/keine-soldaten-nach-somalia/ (20. März 2012). 107
Vgl. AUNS, Piratenjagd: Ist der Bundesrat von allen guten Geistern verlassen?, in: AUNS Klartext, März
(2009), 5
51
3.3.5 Berichterstattung in der Presse, Kommentare u nd Hintergründe
Vom Zeitpunkt der Bekanntgabe der geplanten Beteiligung an Operation Atalanta
Ende 2008 bis zur Ablehnung der bundesrätlichen Vorlage im September 2009
wurden in der Schweizer Presse diverse Artikel und Kommentare zum Thema
veröffentlicht. Die Konsultation von Artikeln und Kommentaren in Schweizer
Qualitätszeitungen machten es möglich, an relevante Hintergrundinformationen zum
politischen Prozess rund um die Vorlage zu gelangen. Zusätzlich verschaffen die
Kommentare in den Medien einen (Grob-)Eindruck über das Medienecho der
Vorlage. Es soll an dieser Stelle vermerkt sein, dass es sich hierbei um keine
umfassende Medienanalyse handelt, sondern vielmehr um eine selektive
zusammengestellte Auswahl an Informationen und Kommentaren im Zusammenhang
mit dem politischen Prozess betreffend des „Atalanta-Diskurses“. Hierzu eine Reihe
von Presseartikeln und Kommentaren im Vorfeld der Abstimmung, welche als
relevant betrachtet wurden:
In einem Kommentar in der Genfer Tageszeitung „Le Temps“ vom 14. Januar 2009
wird aufgeführt, dass die Schweiz entweder die Möglichkeit habe, auf nationaler
Ebene mit der Stationierung von Soldaten auf ihren Handelsschiffen für deren
Sicherheit zu sorgen oder aber sich in einem multinationalen Rahmen an der EU-
Operation gegen die Piraterie vor Somalia engagieren könne. Werde keine dieser
beiden Optionen verfolgt, so nähme die Schweiz von der Maxime Abstand, ihre
staatliche Souveränität zu verteidigen, da Schiffe, die unter Schweizer Flagge fahren,
aus juristischer Perspektive eine Erweiterung des staatlichen Territoriums
darstellen.108 „Le Temps“ ging in einem weiteren Artikel vom 24. April 2009 auf die
politischen Manöver, die den politischen Prozess um die Atalanta-Vorlage
begleiteten, ein. „Le Temps“ vertritt die Meinung, die Atalanta-Vorlage sei (wie in
Kapitel 3.2.3 erwähnt) mit einer Änderung des Militärgesetzes verknüpft worden, um
eine Entscheidung darüber hinauszuzögern und zu erschweren. Die beanspruchte
Zeit für die mit der Gesetzesänderung verbundene Vernehmlassung hätte es erlaubt,
das Parlament erst im Herbst anstelle, wie vorgesehen im Mai, über die Vorlage
entscheiden zu lassen. Allerdings seien die meisten Protagonisten in dieser
108
Vgl. Germond Basil, Piraterie maritime: un choix épineux pour la Suisse, in: Le Temps, 14, Januar 2009,
http://www.letemps.ch/Page/Uuid/ed88d09e-eefb-11dd-b87c-
1c3fffea55dc/Piraterie_maritime_un_choix_%C3%A9pineux _pour_la_Suisse (21. März 2012).
52
Angelegenheit weit davon entfernt, über das Hinauszögern jenes delikaten Dossiers
unglücklich zu sein. Mit entsprechendem Willen wäre ein beschleunigtes Verfahren
durchaus möglich gewesen heisst es weiter, jedoch hätte sich ausser der FDP in der
Angelegenheit niemand wirklich exponieren wollen. Juristisch gesehen wäre es dem
Bundesrat zudem möglich gewesen, in erster Instanz ohne die Konsultation des
Parlamentes einen Entscheid über eine Beteiligung mit Schweizer Soldaten an
NAVFOR-Atalanta zu fällen. Aufgrund des grossen Widerstands seitens der SVP und
ihres Bundesrates Ueli Maurer sei dies jedoch nicht geschehen.109
Die tendenziell dem rechtskonservativen politischen Spektrum zuzuordnende
Wochenzeitung „Weltwoche“ sprach in der Ausgabe vom 4. Februar 2009
gleichermassen davon, VBS-Chef Ueli Maurer torpediere das Atalanta-Engagement
nach Kräften. Er bediene sich dabei einer Zermürbungspolitik, in welcher seitens des
VBS allerlei Informationen eingefordert würden, die längst erörtert worden seien.
Damit setze man auf das Kalkül, dass das Thema an Fahrt verliere, je länger der
Bundesrat mit der Ausarbeitung seines Berichts zögere. Bundesrat Ueli Maurer wird
einhergehend mit diesen Vorwürfen ein Armeeleitbild, welches sich an einer strikten
Territorialverteidigung „à la guerre froide“ orientiert, beschieden. Die „Weltwoche“
kommentiert weiter, es stünde einer souveränen Nation, die über taugliche
Wehrmittel verfüge schlecht an, den Schutz ihrer Flotte über eine rein finanzielle
Beteiligung an fremde Mächte zu delegieren. Die rechtlichen Voraussetzungen für
einen solchen Einsatz seien ebenfalls gegeben.110 In ihrer Erstausgabe 2009
äusserte ein anderer Kommentator die Befürchtung, ein Polizeieinsatz auf hoher See
müsse irgendwann fast notwendigerweise zu einem bewaffneten Einsatz in Somalia
selbst führen.111
Die „Neue Zürcher Zeitung“ argumentiert in einem am 2. September 2009
erschienenen Artikel mit dem Titel „Im Schweizer Eigeninteresse“ für einen
Schweizer Militäreinsatz im Rahmen der EU-NAVFOR Atalanta: Das Schweizer
Parlament müsse sich darüber Rechenschaft geben, dass die internationale
Gemeinschaft mit der Operation Atalanta und dem damit implizierten Schutz der
109
Vgl. Miéville, D.S., L’engagement contre les pirates somaliens torpilié, in : Le Temps, 24. April 2009,
http://www.letemps.ch/Page/Uuid/a29cc496-3046-11de-9290-327d70d663fd/Lengagement
_contre_les_pirates_somaliens _torpillé (13. März 2012). 110
Vgl. Gehriger, Operation Atalanta. 111
Vgl. Frenkel Max, Und schon gar nicht anständig.
53
internationalen Seehandelswege mithin auch im vitalen Interesse der Schweiz
handle. Unter dem Aspekt der Solidarität erscheine ein – im Gesamtrahmen recht
bescheiden bemessener – eigener Beitrag angebracht. Den Einwand linker Kritiker,
bei Atalanta handle es sich um reine Symptom- anstelle von Ursachenbekämpfung,
entgegnet der Autor in Form eines Gleichnisses: Man rufe üblicherweise auch nach
der Feuerwehr, um ein Feuer zu bekämpfen, ohne dass zuerst die Brandursache
erörtert werde. Die „Neue Zürcher Zeitung“ prognostizierte ausserdem eine heftige
und ausdauernde Debatte im Nationalrat, bei der die intern gespaltene SP den
Ausschlag geben dürfte. Die Sozialdemokraten seien einmal mehr in einen
pazifistischen, die Armee ablehnenden Teil auf der einen und eine
„internationalistische Fraktion“ auf der anderen Seite gespalten.112
In Zusammenhang mit dem politischen Prozess um die Vorlagen der Beteiligung an
Atalanta und der Änderung des Militärgesetzes ist eine Information, welche die
Berner Tageszeitung „Der Bund“ Ende Mai publizierte zu erwähnen: Laut dem Bund
informierte der Bundesrat die beiden Vorlagen seien rechtlich nicht miteinander
verkoppelt. Dem Parlament stehe es frei, ob es die „Geschäfte“ gemeinsam behandle
und wann es das tue. Diese Entkopplung sei ganz im Sinn von Aussenministerin
Micheline Calmy-Rey, welche sich für den Einsatz stark mache, denn im Gegensatz
zur Militärgesetzrevision zeichne sich bei Atalanta ein Ja des Parlaments ab.113
Bevor die Atalanta-Vorlage vor den National- und den Ständerat kam, befassten sich
die Sicherheitspolitischen Kommissionen des National- und Ständerats, wie auch die
Aussenpolitischen Kommissionen der beiden Räte mit dem Dossier „Operation
NAVFOR Atalanta. Assistenzdienst im Ausland sowie Änderung des Militärgesetzes“.
Die folgenden Kapitel behandeln die Debatten, die in jenen Kommissionen zur
Atalanta-Thematik geführt worden sind. Für ein besseres Verständnis der Abläufe im
politischen System der Schweiz bezüglich der Verfahrensweise bei
Parlamentsdebatten und –entscheiden sowie den im Vorfeld stattfindenden
Kommissionssitzungen, folgt dazu eine kurze theoretische Einführung. Ebenso wird
die bei der Analyse und der Wiedergabe der schriftlichen Protokolle der
Kommissionssitzungen angewandte Vorgehensweise beschrieben.
112
Vgl. Mettler Hanspeter, Im Schweizer Eigeninteresse, in: Neue Zürcher Zeitung, 2. September 2009, 17. 113
Vgl. Schaffner David, Bundesrat trennt Vorlagen, in: Der Bund, 22. Mai 2009,
http://www.derbund.ch/zeitungen/schweiz/Bundesrat-trennt-Vorlagen/story/19625006 (23. März 2012).
54
3.4 Die Behandlung der Atalanta-Vorlage durch die Kommissionen
3.4.1 Grundsätzliches zu den Kommissionen und Vorge hen
Mit den Vorlagen über eine Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta und der
Änderung der Artikel 69 und 70 des Militärgesetzes befassten sich mehrmals die
Sicherheitspolitische (SiK) und die Aussenpolitische Kommission (APK) beider Räte
des Schweizer Parlaments. Mittels eines Gesuches an das Zentrale Sekretariat der
Parlamentsdienste konnte Einsicht in die schriftlichen Kommissionsprotokolle erlangt
werden. Im Sinne eines vertieften Einblicks in den demokratischen Prozess, der sich
im Zuge der oben erwähnten Vorlagen abspielte und der Analyse der Argumente der
Gegnerschaft der Atalanta-Vorlage ist der Inhalt dieser Protokolle von beträchtlicher
Relevanz.
Generell besitzen laut Bundesverfassung sowohl das Parlament wie auch der
Bundesrat aussenpolitische Befugnisse. Die in Art. 152 des Parlamentsgesetzes
verankerten Informations- und Konsultationsrechte in Sachen Aussenpolitik sehen
unter anderem vor, dass der Bundesrat die für die Aussenpolitik zuständigen
Kommissionen zu wesentlichen Vorhaben sowie bei bedeutenden internationalen
Verhandlungen konsultiert, bevor er diese festlegt oder abändert. Die
Aussenpolitischen Kommissionen haben somit die Möglichkeit, in ständigem Dialog
mit dem Bundesrat am aussenpolitischen Prozess teilzunehmen und diesen
mitzubestimmen.114 Das Schweizer Parlament wird in den Politikwissenschaften als
Arbeitsparlament bezeichnet. Dies bedeutet, dass ein grosser Teil der
parlamentarischen Arbeit nicht in den öffentlichen Plenarsitzungen, sondern in den
vertraulichen Kommissionssitzungen geleistet wird. Seit der Reform des
Kommissionssystems im Jahr 1992 setzen beide Räte je zwölf ständige
Kommissionen ein. Bei zehn von diesen handelt es sich um
Fachbereichskommissionen, die je für einen bestimmten Sachbereich der
Bundespolitik zuständig sind. Diese haben die Aufgabe, die ihnen vom Ratsbüro115
zugewiesenen „Geschäfte“ im Vorfeld von Plenarsitzungen (zuhanden der Räte) zu
beraten und Anträge auf Eintreten oder Nichteintreten auf die jeweiligen „Geschäfte“ 114
Vgl. Lüthi, Das Parlament, 139. 115
Das Ratsbüro setzt sich aus dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten der beiden Kammern sowie den acht
Stimmzählern des Nationalrates bzw. den drei Stimmzählern des Ständerates zusammen. Das Ratsbüro setzt
die Traktanden fest, wählt die Kommissionsmitglieder und beaufsichtigt Abstimmungen und Wahlen. Quelle:
http://www.bundeshaus.ch/regierung/content.php?katid=910
55
zu machen. Ferner gehört es zu den Aufgaben der Kommissionsmitglieder, generell
die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in ihrem Sachbereich zu
verfolgen. Die Mitglieder der Kommissionen bestehen aus National- und Ständeräten
und werden von den Ratsbüros gewählt; die Sitzzuteilung erfolgt proportional zur
Stärke der Fraktionen. Die Mitgliederzahl der nationalrätlichen Kommissionen beträgt
normalerweise 25, die der ständerätlichen 13 Mitglieder.116
Zu den Kommissionsprotokollen (welche für diese Arbeit zur Verfügung standen) ist
Folgendes anzumerken: Die Protokolle sind nicht öffentlich, stehen aber nach
Erledigung der „Geschäfte“ für die Zwecke der Wissenschaft und der
Rechtsanwendung zur Verfügung. Die anlässlich der Kommissionssitzungen
abgegeben Voten sind darin nicht wörtlich protokolliert, sondern in Form von
zusammenfassenden Darstellungen der Voten verfasst. Die Parlamentsdienste bitten
zudem darum, gegenüber der Öffentlichkeit auf direkte Zitate sowie die Nennung von
Namen der Sitzungsteilnehmenden wie auch Parteien und Fraktionen zu verzichten.
Aufgrund der genannten Einschränkungen wurden alle Voten in paraphrasierter
Form mit Hinweis auf die politische Ausrichtung des jeweiligen Kommissionsmitglieds
wiedergegeben. Voten französischsprachiger Mitglieder der Kommissionen wurden
sinngemäss ins Deutsche übersetzt. Die nachfolgenden Abhandlungen über die
Kommissionsitzungen, die zu den Themen Operation Atalanta und Revision des
Militärgesetzes gehalten wurden, bieten eine Übersicht über die Empfehlungen, die
von den Kommissionen abgegeben wurden sowie Auszüge der wichtigsten Voten in
Zusammenhang mit dem Forschungsgegenstand dieser Arbeit.
Es wurden deswegen einerseits die Voten von Atalanta-Gegnern berücksichtigt; dies
mit Fokus auf jene Gegenargumente, welche mit der Auslegung der Schweizer
Neutralität und anderen Ansichten und Ideologien, die mit der generellen Gestaltung
der Schweizer Aussenpolitik zusammenhängen, korrespondieren. Auf der anderen
Seite wurden als relevant betrachtete Voten von Befürwortern eines Militäreinsatzes
im Rahmen von NAVFOR Atlanta berücksichtigt, wie auch Aussagen, die in sonstiger
Weise Ansichten über die Ausgestaltung der Schweizer Aussenpolitik beinhalteten.
Bestimmte Personen, wie beispielsweise die ehemalige Aussenministerin, nahmen
an den Sitzungen mehrerer Kommissionen teil. Da sich deren Aussagen in den
116
Vgl. Lüthi, Das Parlament, 130.
56
verschiedenen Kommissionen oftmals überschnitten, wurde diese im
Wiederholungsfall nur noch in zusammengefasster Form wiedergegeben oder
teilwiese nicht mehr berücksichtigt. Die nächsten zwei Unterkapitel beinhalten die
Debatten, die in den Kommissionssitzungen von National- und Ständerat zur
Atalanta-Thematik geführt worden sind und die daraus gefolgten Empfehlungen der
Kommissionen. Die Wiedergabe der Kommissionsdebatten erfolgt nicht
chronologisch, sondern getrennt nach der Ratszugehörigkeit der Kommissionen.
Beginnend mit den Kommissionen des Ständerats, da dieser als Erstrat über die
Vorlagen debattierte.
3.4.2 Die Beratung der Vorlage durch die Kommission en des Ständerats
APK des Ständerates
Als Erste tagte die Aussenpolitische Kommission (APK) des Ständerates am 18. Juni
2009 zu den Themen Assistenzdienst im Rahmen der EU-NAVFOR Atalanta und der
Revision des Militärgesetzes. Die anwesende ehemalige Aussenministerin hielt zu
Beginn der Sitzung eine Präsentation, in welcher sie über die Ausprägung, Sinn und
Zweck einer Schweizer Beteiligung an Operation Atalanta referierte. Da sich der
Grossteil jenes Referats nicht merklich vom Inhalt und der Argumentation der
Botschaft des Bundesrates unterschied, wird dieser nicht näher erläutert. Zu
erwähnen ist jedoch der letzte Teil der Präsentation, in dem die Bundesrätin zum
einen von einem Zeichen der Solidarität gegenüber der internationalen Gemeinschaft
sprach, zum andern auch erwähnte, die Bedeutung der Vorlage hinsichtlich der
Beziehungen zur EU sei klar; eine Schweizer Beteiligung biete sich an, gäbe es doch
zur Zeit einige schwierige Diskussionspunkte bei den Verhandlungen mit der
Union117 (z.b. der Streitpunkt des Bankengeheimnisses, Anm. d. Rede).
In kritischer Weise äusserte sich als erstes ein Mitglied der politischen Rechten zur
Atalanta-Vorlage: Er brachte Bedenken hinsichtlich der Neutralität und der
Rechtsgrundlagen einer Schweizer Beteiligung vor. Wie hätten sich unter dem
Vorzeichen der Neutralität Schweizer Soldaten zu verhalten, wenn beispielsweise ein
Schiff einer anderen Nation angegriffen würde und ein Schiff mit darauf stationierten
Schweizer Soldaten diesem zu Hilfe eilte? Würden die Schweizer Soldaten in einem
117
Vgl. Parlamentsdienste, APK-S, Protokoll der Sitzungen vom 18. Juni 2009 und 19. Juni 2009, 1-4.
57
solchen Fall nicht eingreifen, da sie rechtlich gesehen nur Schweizer Schiffe und
Schiffe des Welternährungsprogramms beschützen dürfen? Er warf zudem die Frage
auf, was mit allenfalls verhafteten Piraten geschehen soll; dafür würden die
Rechtsgrundlagen fehlen. Skeptisch äusserte er sich auch über die geplante Dauer
des Einsatzes: Es handle sich bei Atalanta um eine blosse „Pflästerlipolitik“, die
Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass es früher oder später zu einer gross angelegten
Offensive gegen die Infrastruktur der Piraten zu Land kommen werde. Die Frage
einer etwaigen Beteiligung oder Nichtbeteiligung in einem solchen Fall könnte erneut
dazu führen, dass die Schweiz bei einer Nichtbeteiligung an einer möglichen
Offensive zu Land als unsolidarisch bezeichnet würde.118 Ein weiterer Vertreter der
politischen Rechten befürchtete ebenfalls, der Status Quo von Operation Atalanta im
Jahr 2009 könnte schnell zu einem bewaffneten Einsatz gegen die Strukturen der
Piraten an Land verkommen. Es bestünde die Gefahr, in einen gefährlichen Konflikt
verwickelt zu werden. Würde die Schweiz in einem solchen Fall plötzlich aussteigen,
würde sie sich komplett lächerlich machen.119
Ein Mitglied des pazifistisch gesinnten Flügels der politischen Linken monierte, die
Beteiligung an einem Militäreinsatz zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen
zur EU entspreche nicht der Vorstellung seiner Partei, auf welche Weise diese
Beziehungen verbessert werden sollten. Ferner zweifelte sie an der Wirksamkeit von
Operation Atalanta und warf die Frage auf, ob es sich nicht vielmehr um eine
geostrategische Positionierung der EU in der Region des Golfs von Aden denn um
die blosse Bekämpfung der Piraterie ginge. Sie sei überdies immer sehr skeptisch
gegenüber Einsätzen von Schweizer Soldaten im Ausland gewesen. Die
Aussenpolitische Kommission des Ständerates sprach sich schliesslich mit einem
Verhältnis von 9 zu 4 Stimmen für ein Eintreten auf den Bundesbeschluss zur
Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta aus. Mit 10 zu 1 Stimmen bei zwei
Enthaltungen beantragte die Kommission ausserdem, nicht auf die Änderung des
Militärgesetzes einzutreten.120
118
Vgl. Parlamentsdienste, APK-S, Protokoll der Sitzungen vom 18. Juni 2009 und 19. Juni 2009, 4-5. 119
Vgl. Parlamentsdienste, APK-S, Protokoll der Sitzungen vom 18. Juni 2009 und 19. Juni 2009, 5-6. 120
Vgl. Parlamentsdienste, APK-S, Protokoll der Sitzungen vom 18. Juni 2009 und 19. Juni 2009, 6-11.
58
SiK des Ständerates
Am 25. und am 26. Juni 2009 tagte die Sicherheitspolitische Kommission des
Ständerates zum „Geschäft“ über den Assistenzdienst im Rahmen der EU-NAVFOR
Atalanta und der Revision des Militärgesetzes. Die damalige Aussenministerin hielt
zu Beginn der Sitzung ein Referat, in welchem sie in ähnlicher Weise - wie in der
Botschaft des Bundesrates zu Atalanta festgehalten - Details zur geplanten
Schweizer Beteiligung an Operation Atalanta präsentierte. Ebenfalls anwesend an
der Sitzung war der damalige Verteidigungsminister. Dieser beschränkte sich bei
seinen Voten auf Erläuterungen und Ansichten einsatztechnischer Natur.121
Ein Mitglied der umweltorientierten Linken sah zwar die grundsätzliche Notwendigkeit
von Schiffsschutzprogrammen wie Atalanta als kurzfristiges Mittel gegen Piraterie.
Die Schweiz solle sich jedoch besser an Lösungen zur Bekämpfung der
Grundursachen der Piraterie beteiligen. Das Entsenden von Schweizer Militärs in die
Region schade dem Image der zwar aktiven Neutralität der Schweiz, welche aber auf
den humanitären Bereich fokussiert sei und die Selbstverteidigung nur im Falle eines
Angriffs erlaube. Der geringe militärische Nutzen eines bewaffneten Schweizer
Detachements für Operation Atalanta stehe in keinem Verhältnis zu dem möglichen
Image-Schaden für die Schweiz. Man solle sich aus diesem Grund auf das
Entsenden unbewaffneter Einheiten beschränken. Die Sicherheitspolitische
Kommission des Ständerates sprach sich am Ende mit 10 zu 1 Stimmen (bei einer
Enthaltung) für das Eintreten auf den Bundesbeschluss über die Beteiligung an EU-
NAVFOR Atalanta aus.122
Hinsichtlich der geplanten Revision des Militärgesetzes äusserte ein Mitglied der
politischen Mitte seine Mühe mit gewissen Abläufe im Schweizer Parlament: Überall
wo Entscheide anstünden würden erst die Berichte zum Thema abgewartet. (Im Falle
der Militärgesetzrevision äusserten sich viele Politiker in der Form, man wolle erst
den neuen Sicherheitspolitischen Bericht abwarten, bevor Änderungen an jenem
Gesetz vorgenommen werden sollten Anm. d. Rede.) Der Ständerat führte weiter
aus, man habe in der Sicherheitspolitischen Kommission in diesem Bereich sehr viel
Erfahrung, man diskutiere seit Jahren über Auslandeinsätze. Das Eintreten auf die
121
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-S, Protokoll der Sitzungen vom 25. Juni 2009 und 26. Juni 2009, 1-15. 122
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-S, Protokoll der Sitzungen vom 25. Juni 2009 und 26. Juni 2009, 12-13.
59
Gesetzesänderung wurde laut Protokoll von der SiK des Ständerates mit 6 zu 4
Stimmen abgelehnt (bei 0 Enthaltungen).123
Am 22. September 2009 tagte die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates
ein letztes Mal zur Atalanta-Vorlage. Dies nachdem die Vorlage am 8. September
vom Ständerat angenommen wurde124, vom Nationalrat hingegen am 16. September
abgelehnt wurde. Das „Geschäft“ ging deswegen an den Ständerat zurück, welcher
sich erneut damit beschäftigte125 (siehe zur Verfahrensweise Kapitel 3.5.1). Die
Sicherheitspolitische Kommission traf sich im Vorfeld jener zweiten Abstimmung, um
erneut ihre Empfehlung dazu abzugeben. Dasselbe Mitglied der umweltorientierten
politischen Linken, welches sich bereits anlässlich der ersten SiK-Sitzung gegen ein
Eintreten auf die Vorlage äusserte, führte erneut Gegenargumente ins Feld: Die
Schweiz würde mit einer Beteiligung unnötig das Risiko in Kauf nehmen, dass ihr
Image als neutrales Land und Mediator darunter leiden könnte. Die Erhaltung dieses
Images sei jedoch wichtiger, als darauf zu achten, gewisse (europäische) Partner mit
einer Nicht-Beteiligung zu verärgern.126
Ein Vertreter der politischen Mitte vermutete, das Nicht-Eintreten auf die Revision
des Militärgesetzes habe dazu geführt, dass keine Grundsatzdiskussion über
Auslandeinsätze der Armee stattfinde. Eine Ablehnung des Atalanta-Einsatzes sei
zum jetzigen Zeitpunkt gegenüber dem Ausland ein verheerendes Signal; er fragte
deshalb, ob es rechtlich möglich sei, das „Geschäft“ zu sistieren (und in der
Wintersession 2009 weiter zu beraten). Weitere Vertreter der politischen Mitte
erwähnten anschliessend, man müsse sich der Signalwirkung einer Ablehnung
bewusst sein, die Schweiz müsse ihre Interessen auch im Ausland vertreten können.
Ein Mitglied der wirtschaftlich orientierten politischen Kräfte meinte, wenn die
Schweiz nicht einmal im Rahmen einer durch ein UNO-Mandat abgesegneten,
zeitliche beschränkten Operation (bei der zudem noch Schweizer Interessen
vertreten würden) mitmache, könne sie gleich auf Auslandeinsätze verzichten.127
123
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-S, Protokoll der Sitzungen vom 25. Juni 2009 und 26. Juni 2009, 19-20. 124
Vgl. Nuspliger, Aufwind für den Anti-Piraten-Einsatz, 16. 125
Vgl. Mettler, Beteiligung an Operation „Atalanta“ im Nationalrat deutlich gescheitert, 19. 126
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-S, Protokoll der Sitzung vom 22. September 2009, 1. 127
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-S, Protokoll der Sitzung vom 22. September 2009, 1-2.
60
Ein Vertreter der politischen Rechten äusserte sich in der Weise, dass die Politik auf
gesetzlicher Ebene oder im Rahmen einer Diskussion darüber Klarheit schaffen
solle, für welche Arten von Auslandeinsätzen die Armee eingesetzt werden könne.128
Die ehemalige Aussenministerin machte nochmals darauf aufmerksam, wie wichtig
eine Schweizer Beteiligung für das Image im Ausland sei. Sie sei bereits dabei, mit
den Verantwortlichen bei der EU Abklärungen zu treffen, in welcher Form die
Schweiz bei einer allfälligen Ablehnung einer militärischen Beteiligung anderweitig an
Atalanta partizipieren könnte. Der Antrag auf Sistierung und Vertagung der Vorlage
lehnte die Kommission ab, am Eintreten auf den Bundesbeschluss wurde mit 11 zu 2
Stimmen festgehalten.129
Mit der Vorlage über die Teilnahme an EU-Navfor Atalanta und der Änderung des
Militärgesetzes befassten sich ebenfalls die beiden zuständigen Kommissionen des
Nationalrats.
3.4.3 Die Beratung der Vorlage durch die Kommission en des Nationalrats
APK des Nationalrates
Als erstes befasste sich die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates am 11.
Juni 2009 mit den Vorlagen über die Teilnahme an EU-NAVFOR Atalanta und der
Änderung des Militärgesetzes. Diese Sitzung wurde wie die Sitzungen des
Ständerates mit einer Präsentation durch die ehemalige Aussenministerin eröffnet.
Sie gab darin eine Einführung in die Problematik und wies auf die Bedeutung eines
Schweizer Engagements hin, respektive machte darauf aufmerksam, inwiefern durch
Operation Atalanta Schweizer Interessen (auch bezüglich ihres humanitären
Engagements) vertreten würden.130
Nach einer längeren Diskussion juristischer Natur formulierte ein Vertreter der
umweltorientierten Linken eine erste Kritik am allgemeinen Charakter von Operation
Atalanta. Er vertrat die Meinung, bei Atalanta handle es sich um eine rein militärische
Operation. Wenn von „solidarité avec la communauté internationale“ die Rede sei,
frage er sich, um welche der beiden betroffenen „communautés“ es sich dabei
handle: Die der reichen Länder, welche die Transportwege (am Horn von Afrika) 128
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-S, Protokoll der Sitzung vom 22. September 2009, 1-2. 129
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-S, Protokoll der Sitzung vom 22. September 2009, 2-4. 130
Vgl. Parlamentsdienste, APK-N, Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009, 1-3.
61
nutzten oder diejenige der afrikanischen Länder, in denen die Bevölkerung
verhungere. Er verwies dabei auf die Problematik des Leerfischens der somalischen
Fischbestände durch ausländische, mitunter europäische Trawler.131
Die ehemalige Aussenministerin antwortete darauf mit einem längeren Exkurs, in
welchem u.a. ihre generellen Ansichten über die Ausgestaltung der Schweizer
Aussenpolitik deutlich zur Sprache kamen: Sie führte aus, es handle sich um einen
ganzheitlichen Ansatz, welcher die Schweiz einerseits in Form ihrer Friedenspolitik
und der humanitären Hilfe aber auch in Form des geplanten militärischen
Engagements verfolgen würde. Eine Beteiligung an der EU-Operation Atalanta
bedeute auch eine Öffnung sowie ein Akt der Solidarität mit den an Atalanta
beteiligten Staaten. Man könne nicht immer annehmen, die anderen Staaten würden
die Interessen der Schweiz vertreten. Es gäbe verschiedene Abkommen zwischen
der Schweiz und anderen europäischen Ländern, welche beispielsweise die
Heimführung von Schweizer Bürgern im Ausland im Fall von Krisen oder Kriegen
durch ebendiese Staaten ermögliche. Jedoch könne man sich nicht in jedem Fall
darauf verlassen und es sei zudem unangebracht, sich nur im Krisenfall auf die Hilfe
anderer Staaten zu verlassen, sich gleichzeitig aber nicht an einer Operation der
internationalen Gemeinschaft zu beteiligen. Es sei deshalb nötig, dass die Schweiz
über Armeekontingente verfüge, die im Sinne des Wohlergehens der Schweiz und
der Verfolgung externer sicherheitspolitischer Bedürfnisse bei Bedarf eingesetzt
werden könnten.132
Ein Mitglied der umweltorientierten Linken äusserte sich in der Form, dass die
rechtlichen Gegebenheiten basierend auf dem heutigen Militärgesetz für eine
Beteiligung nicht gegeben seien. Die geplante Änderung des Militärgesetzes lehnte
er rundum ab. Er kritisierte dabei vor allem folgende Passage der vom Bundesrat
vorgeschlagenen Gesetzesänderung: „Denkbar sind zum Beispiel internationale
Polizeiaktionen zum Schutz von international bedeutsamen Infrastrukturanlagen,
Transportrouten oder Energiewegen wie Öl- und Erdgaspipelines, welche die
internationale Energieversorgung sicherstellen“133. Im 19. Jahrhundert seien mit den
fast gleichen Worten koloniale Operationen legitimiert worden. Die Schweiz habe
131
Vgl. Parlamentsdienste, APK-N, Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009, 6. 132
Vgl. Parlamentsdienste, APK-N, Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009, 8-9. 133
Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4550.
62
andere Qualitäten als kriegerische und militärische. Ihre Qualitäten lägen im zivilen
Bereich.134
Ein Vertreter der wirtschaftlich orientierten politischen Kräfte entgegnete dem, er
sehe die gesetzliche Grundlage für einen Einsatz der Schweizer Armee im Rahmen
von Atalanta als gegeben. Wenn die Schweiz ihre eigenen Schiffe verteidige,
entspreche dies ausserdem dem ursprünglichen Neutralitätsgedanken: Einer
Verteidigung ihres Territoriums, ihrer Werte und ihres Volkes. Wer die Schweiz
angreife, habe mit Gegenwehr zu rechnen.135 Ein Mitglied der politischen Rechten
warnte vor den möglichen Folgen, sich auf kriegerische Handlungen einzulassen;
dies umso mehr dann, wenn die rechtlichen Bedingungen dafür nicht klar seien. Er
wies auf Spannungen und die geopolitische Bedeutung der Region hin, in welcher
Operation Atalanta stattfindet. Unter anderem würden sich dort Chinesische und
Amerikanische Interessen gegenüberstehen. Mit einer Beteiligung würde sich die
Schweiz in ein gefährliches Umfeld begeben, in der ihre geringen militärischen Kräfte
erst noch fremdem Kommando unterstellt wären.136
Die Aussenpolitische Kommission lehnte sowohl die Revision des Militärgesetzes (20
zu 5 Stimmen) wie auch das Eintreten auf die Atalanta-Vorlage mit 13 zu 11 Stimmen
bei einer Enthaltung ab. Es wurde beschlossen, dass ein Mitglied der APK der
Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats in mündlicher Form über die
Ergebnisse der APK-Sitzung unterrichten solle.137 Es ist noch anzumerken, dass in
vielen Fällen die Mitglieder der APK auch in der SiK vertreten sind. In einer
Medienmitteilung liess die APK nach ihrer Sitzung verlauten, sie sei aus folgenden
Gründen gegen einen Militäreinsatz im Golf von Aden: Laut der
Kommissionsmehrheit stelle eine Teilnahme an EU-NAVFOR Atalanta einen
Präzedenzfall für weitere „neutralitätsproblematische“ Auslandeinsätze dar. Die
Mehrheit sei der Meinung, die Probleme rund um die Piraterie müssten auf
134
Vgl. Parlamentsdienste, APK-N, Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009, 11-12. 135
Vgl. Parlamentsdienste, APK-N, Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009, 13. 136
Vgl. Parlamentsdienste, APK-N, Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009, 13-14. 137
Vgl. Parlamentsdienste, APK-N, Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009, 15-16.
63
diplomatischer Ebene und mit entwicklungspolitischen Instrumenten angegangen
werden.138
SiK des Nationalrates
Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats tagte erstmals am 15. und am
16. Juni 2009. Die Besprechung der SiK des Nationalrats war die längste aller
Kommissionsitzungen zur Thematik Atalanta sowie Änderung des Militärgesetzes. An
ihr nahmen im Vergleich zu den anderen Sitzungen am meisten interne wie externe
Experten und Departements-Verantwortliche teil. Die Sitzung eröffnete ein Schweizer
Professor für Recht mit einer Stellungnahme zu den Vorlagen. Sein Referat ging auf
verschiedene rechtliche Belange einer Atalanta-Beteiligung der Schweiz ein und
beleuchtete dies aus der Perspektive des Schweizer Militärgesetzes, des
Völkerrechts, des Seerechtsübereinkommens und weiterer internationaler Verträge:
Dem Vorhaben des Bundesrates wurde grundsätzlich ausreichende rechtliche
Voraussetzungen beschieden. Voraussetzung sei aber, dass Art. 69 Absatz 2 des
Militärgesetzes auf Basis eines Konsenses in den Räten weiter gefasst interpretiert
würde (d.h. Schiffe unter Schweizer Flagge fallen unter den „Schutz besonders
schutzwürdiger Sachen im Ausland“). Falls trotzdem Bedenken hinsichtlich der
Gesetzesgrundlage bestehen würden, könnten solche auch in Form eines einfachen
dringlichen Bundesbeschlusses beigelegt werden; konkret hiesse das Art. 69 MG zu
erweitern. Ein Engagement in Zusammenhang mit EU-NAVFOR Atalanta sei
ebenfalls mit den verfassungsrechtlichen Zielen der Aussenpolitik der Schweiz
vereinbar.139
Die Bekämpfung der Piraterie und dementsprechend Operation-Atalanta sei klar eine
seerechtspolizeiliche Aufgabe auch wenn dafür militärische Kräfte eingesetzt würden.
Wenn sich die Schweiz nicht an Atalanta beteilige, müssten Schiffe anderer Nationen
aufgrund des internationalen Seerechtsübereinkommens Schweizer Schiffen in
jedem Fall Hilfe leisten. Es handle sich bei der Frage einer Beteiligung an Atalanta
138
Vgl. Sekretariat der Aussenpolitischen Kommissionen, Medienmitteilung APK-N. Aussenpolitische
Kommission des Nationalrates: Ablehnung des Pirateneinsatzes und der Militärgesetz-Revision,
http://www.parlament.ch/d/mm/2009/Seiten/mm-apk-n-2009-06-11.aspx (30. März 2012). 139
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 1-3.
64
vor allem um eine politisch-moralische Frage, bei der es darum gehe nicht einfach
Trittbrettfahrer jener Sicherheitsleistung zu sein.140
Ein Mitglied des Bundesamtes für Justiz betrachtete in der Anfangsphase der Sitzung
einen Schweizer Armeeeinsatz am Horn von Afrika ebenfalls aus juristischer
Perspektive: Die rechtlichen Grundlagen in Bezug auf das Militärgesetz und die
Schweizer Verfassung sah er als gegeben an. Aufgrund der verschiedenen UNO-
Resolutionen besitze die Militäroperation zudem internationale Legitimität. Relevant
im Zusammenhang mit dem Forschungsgegenstand dieser Arbeit ist seine Aussage,
die Frage der Neutralität stelle sich in jenem Fall nicht, da es sich nicht um einen
bewaffneten Konflikt zwischen Staaten handle.141
Ein Exponent der politischen Rechte bemängelte in juristischer Hinsicht die
Unklarheit in den Fragen betreffend der Möglichkeiten, Verhaftungen durchzuführen
sowie von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Da dies für die Schweizer
Soldaten nur in begrenztem Umfang möglich wäre, betonte der Exponent der
politischen Rechten die daraus folgende Einbindung und Unterstellung der
Schweizer Soldaten unter das Kommando von Atalanta-Partnernationen.142 Das
Kommissionsmitglied spielte damit wohl auf einen eigentlichen Souveränitätsverlust
der schweizerischen Armeekräfte an. Von linker wie von rechter Seite wurde in der
Debatte der SiK des Nationalrats verschiedentlich die gesetzliche Grundlage für
einen Einsatz wie auch die einsatztechnische Praktikabilität unter den gegebenen
juristischen Voraussetzungen in Frage gestellt.143 Die Vermutung, dass hinter jenen
juristischen Einwänden primär ideologischen Überzeugungen stehen, liegt nahe. Ein
Vertreter der pazifistischen linken Kräfte warf zusätzlich die Frage auf, wo der Protest
der Schweiz gegen den völkerrechtswidrigen Einmarsch des äthiopischen Militärs in
Somalia im Jahr 2006 oder gegen die Lehrfischung der somalischen Fischbestände
gewesen sei.144
Zu erwähnen ist, dass der damalige Verteidigungsminister wie auch die damalige
Aussenministerin an der SiK-Sitzung anwesend waren. Da sich deren Ausführungen
140
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 5. 141
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 6-9. 142
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 9. 143
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 9-12. 144
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 14.
65
zu Beginn der Beratung nicht wesentlich von der bereits erläuterten Position des
Gesamtbundesrates und der ehemaligen Aussenministerin im Speziellen
unterschieden, wird darauf nicht näher eingegangen.
Der ehemalige Verteidigungsminister erklärte zu einem späteren Zeitpunkt der
Sitzung, er halte es für unwahrscheinlich, dass es eine direkte Auswirkung auf die
bilateralen Beziehungen geben könnte, wenn sich die Schweiz nicht an Atalanta
beteilige. Es sei aber klar, dass von der Schweiz im internationalen Kontext eine
gewisse Solidarität erwartet würde. Man brauche grundsätzlich eine etwas
längerfristige Perspektive davon, wo und in welcher Form man sich künftig
engagieren wolle; sei dies wie bisher im humanitären oder aber vermehrt auch im
sicherheitstechnischen Bereich. Eine Grundsatzdiskussion sei in diesem Bereich
nötig und angebracht, damit man sich längerfristig im Kontext des internationalen
Engagements einordnen könne. Der Bundesrat habe deswegen nicht von sich selbst
eine Beteiligung beschlossen (wie dies rein juristisch möglich gewesen wäre), da es
sich um eine politisch sensible Frage handle. Die öffentliche Meinung zu einem
Einsatz sei im Verhältnis von 51 zu 49 Prozent geteilt. Das Parlament hätte zuvor
selbst Wiederholungskurse für Armeeangehörige im Ausland nicht bewilligt.
Angesichts der Sensibilität und der geplanten Dauer der Beteiligung an Operation
Atalanta (1 Jahr Anm. d. Rede), sei es richtig, wenn hier das Parlament eine
Entscheidung treffe. Die Gefahren einsatztechnischer Natur sah der ehemalige
Verteidigungsminister als gering an. In den meisten Fällen hätten Piraten in dem
Moment von einem Angriff auf ein Schiff abgesehen, wenn sie gemerkt hatten, dass
dieses bewacht ist. Hinsichtlich der geplanten Revision des Militärgesetzes machte
der Verteidigungsminister die Aussage, diese biete die Voraussetzung dafür, dass
die Schweiz künftig bei fast allen UNO-Aufrufen in dem Umfang mittun könnte wie
dies andere Staaten auch könnten.
Der damals dem VBS vorstehende Bundesrat sprach während der SiK-Sitzung
grossmehrheitlich als Bundesratsmitglied, welches dessen kollektiv getroffene
Meinung vertrat. Eine Aussage zu der geopolitischen Bedeutung der Region um das
Horn von Afrika und der damit verbundenen Schifffahrtsroute durch den Suezkanal
liess jedoch die persönlich kritische Haltung des ehemaligen Verteidigungsminister
gegenüber einer Schweizer Beteiligung an Atalanta recht klar durchschimmern: Die
66
geopolitische Bedeutung der Region zeige sich wenn man die Staaten, welche dort
mit Kriegsschiffen vertreten seien, betrachte. Es hätte seit dem 2. Weltkrieg zwei
Situationen gegeben, welche zum Ausbruch eines 3. Weltkriegs hätten führen
können: Die Kuba- sowie die Suezkrise. Das Engagement aller „grossen Staaten“
und der UNO deuteten darauf hin, dass es sich um ein geostrategisch wichtiges
Gebiet handle. Damit stelle sich die Frage, ob die Schweiz hier mittun wolle.145
Man könnte diese Aussage in der Weise interpretieren, dass eine militärische
Beteiligung an Operation Atalanta die Schweiz in eine gefährliche Situation bringen
könnte und sich die Schweiz (beruhend auf dem „traditionell-konservativen
Neutralitätsgedanken“ und ihrer „angestammten Rolle“ auf der Weltbühne) aus den
„Händeln“ der Grossmächte heraushalten sollte. (Eine vertiefte Abhandlung zum
Konzept und der Interpretation von Neutralität findet sich in Kapitel 4).
Die ehemalige Aussenministerin machte demgegenüber in ihrem Votum, welches
direkt auf dasjenige des ehemaligen Aussenministers folgte, ihre Haltung nochmals
klar: Es sei wichtig, dass in der gegenwärtigen Krisensituation in Somalia auf alle
verfügbaren Mittel der Aussenpolitik wie auch auf gewisse Mittel
sicherheitstechnischer Natur zurückgegriffen werde. Ohne Entwicklungshilfe,
humanitäre Hilfe und Bemühungen auf diplomatischer Ebene gäbe es keine
Sicherheit. Die Schweiz unterhalte Entwicklungsprojekte in Somalia, die sich
insbesondere auch im Kampf gegen die illegale Fischerei vor Somalias Küsten
engagieren würden. Diese Hilfestellung könne jedoch nur durchgeführt werden, wenn
in der Region ein Minimum an Stabilität und Sicherheit bestehe. Das militärische
Engagement in der Form von Operation Atalanta sei deshalb als Ergänzung der
zivilen Bemühungen zu betrachten. Falls die Schweiz nicht an Atalanta teilnehme,
zeige man sich von einer egoistischen Seite und müsse das Wohlwollen anderer
Staaten, namentlich der Europäischen Union, bei der Verteidigung der eigenen
Interessen in Anspruch nehmen. Der Fakt, dass sich die Schweiz auf die
Bemühungen anderer Staaten bei der Durchsetzung ihrer Interessen verlasse,
empfinde sie manchmal als beschämend. Es sei möglich, dass jene Länder
145
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 29-30.
67
irgendwann genug davon hätten und die Schweiz dann selbst für sich schauen
müsste.146
Die nachfolgende Diskussion drehte sich fast ausschliesslich um rechtliche Belange
betreffend einer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta, wobei linke und rechte Kräfte
die Rechtmässigkeit eines Schweizer Militäreinsatzes anzweifelten. Ein Exponent der
politischen Rechte interpretierte an späterer Stelle die Schweizer Neutralität in der
Form, dass auch eine Intervention gegen einen Staat mit nicht vorhandenen
Strukturen (wie Somalia) eine Verletzung ebendieser Neutralität darstelle. In einigen
Weltregionen könnten die Rebellen von heute schnell zur Regierung von morgen
werden. Ein Einsatz könnte eine Gefahr für die Schweizer Soldaten bedeuten; auch
eine Eskalierung des Konflikts sei nicht auszuschliessen. Bei einem militärischen
Engagement in der Region sei es zudem schwierig, parallel dazu dort seine „Guten
Dienste“ anbieten zu können. Jene „Guten Dienste“ wären ein wichtiger Bestandteil
des (positiven) Images der Schweiz. Seine Partei lehne die Atalanta-Vorlage
insgesamt ab, da es bei diesem Einsatz zu viele unbekannte Faktoren gäbe.147
Ein Mitglied der politischen Mitte fand demgegenüber unterstützende Worte für die
Atalanta-Vorlage: Ohne Sicherheit gäbe es keine humanitäre Hilfe. Die Schweiz
besässe eigene Schiffe und lasse es nicht zu, dass diese gekapert würden. Die
Schweiz sei eine Handelsnation und ein Exportland, welches sichere Seewege
benötige. Seine Partei sei deshalb für ein Eintreten auf die Vorlage. Auch die
wirtschaftlich orientierten politischen Kräfte bekannten sich nochmals klar für die
Annahme des Bundesbeschlusses über eine Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta.
Ein Vertreter der politischen Linken votierte ebenfalls für ein Eintreten auf die
Vorlage: Die Rolle der Schweiz verändern, die Aussenpolitik müsse sich daran
anpassen. Anzeichen für jene Veränderung machte er im Volksentscheid über den
Beitritt der Schweiz zur UNO wie auch in der Teilnahme am Schengener Abkommen
aus. Da die Schweiz auch in der Problematik/Prävention von Migrationsströmen aktiv
146
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 31-32. 147
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 36.
68
sei und das Horn von Afrika zu den Gebieten mit hoher Priorität in dieser Frage
zähle, solle man sich an Operation Atalanta beteiligen.148
In der Schlussabstimmung sprach sich die Sicherheitspolitische Kommission des
Nationalrates im Gegensatz zur Aussenpolitischen Kommission mit 15 zu 11
Stimmen für ein Eintreten auf die Atalanta-Vorlage des Bundesrates aus.149 Auf die
Militärgesetzrevision wollte die SiK nicht eintreten. Als Argumente gegen ein
Eintreten auf die Gesetzrevision führte ein Vertreter der
pazifistischen/umweltorientierten Linken aus, eine solche Revision ermögliche die
Beteiligung an Kampfhandlungen und verschiebe darüber hinaus Kompetenzen vom
Parlament zur Exekutive. Ein Mitglied der politischen Linken meinte dazu, das
geltende Gesetz beinhalte bereits genügend Möglichkeiten für Auslandeinsätze. Man
solle zuerst Erfahrungen mit Einsätzen sammeln, die sich auf das geltende Recht
stützen. Eine zu grosse gesetzliche Dynamik solle nicht entfacht werden; das in der
Revision nicht enthaltene Verbot der Teilnahme an Kampfhandlungen sei nicht
akzeptabel. Vertreter der wirtschaftlich orientierten politischen Kräfte, verwiesen
darauf, man wolle vor einer allfälligen Gesetzesänderung den für Ende 2009
erwarteten Sicherheitspolitischen Bericht abwarten.
Die politische Rechte versuchte sich schliesslich in einem politischen Manöver und
stimmte für Eintreten auf die Gesetzesrevision. Dies jedoch nur aus dem Grund – wie
eines ihrer Mitglieder verlautete - damit ein Gesetz entstehe, gegen welches das
Referendum ergriffen werden könne. Das Eintreten auf den Bundesbeschluss über
die Änderung des Militärgesetzes wurde am Ende der Kommissionssitzung mit 16 zu
7 Stimmen bei 2 Enthaltungen abgelehnt.150
Auf die Sitzung der SiK des Nationalrats welche am 24. September 2009 stattfand
(nach der ersten Plenardebatte im NR), wird an dieser Stelle nicht eingegangen.
Jene Sitzung beinhaltete keine relevanten Argumente von Atalanta-Gegnern und –
Befürwortern, sondern Anträge verfahrenstechnischer Natur. Da jedoch ein Einfluss
jener Anträge auf das politische Verfahren möglich gewesen wäre, beinhaltet Kapitel
3.5.4 Auszüge aus jener Sitzung.
148
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 38. 149
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 43. 150
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 43-45.
69
Das nachfolgende Kapitel behandelt die öffentlichen Plenardebatten, die in National-
und Ständerat zur Atalanta-Thematik geführt worden sind. Für ein besseres
Verständnis des parlamentarischen Entscheidungsfindungs-Prozesses folgt dazu
zuerst kurze theoretische Abhandlung. Ebenfalls erläutert wird die Vorgehensweise
bei der Analyse und der Wiedergabe von Auszügen aus den Debatten der beiden
Kammern.
70
3.5 Die Ablehnung der Beteiligung an EU-NAVFOR Atal anta – Übersicht und Auszüge aus den Parlamentsdebatten
3.5.1 Grundsätzliches zum parlamentarischen Prozess und Vorgehen
Die öffentlich zugänglichen Protokolle der Plenardebatten in National- und Ständerat
ermöglichen einen vertieften Einblick in die Argumentationen von Befürwortern und
Gegnern der Atalanta-Vorlage. Bevor näher auf deren Inhalt eingegangen wird,
sollen die generellen Abläufe des politischen Systems der Schweiz bei der
Bewilligung eines Bundesbeschlusses durch National- und Ständerat erläutert
werden.
Vorlagen des Bundesrates werden, nachdem sie in den zuständigen Kommissionen
besprochen und je nach dem umgestaltet worden sind, den beiden Kammern des
Schweizer Parlaments zur Absegnung vorgelegt. Die Kommissionen stellen ihren
Räten Anträge über Eintreten oder Nicht-Eintreten auf eine Vorlage. Die Räte folgen
in der Regel (in Rund 95 % der Fälle) den Anträgen ihrer Kommissionen.151 National-
und Ständerat sind generell gleichgestellt, verfahrenstechnisch wird die Gleichheit
streng beachtet. Aufgrund seiner höheren Mitgliederzahl und der sich daraus
ergebenen umfassenderen Repräsentativität, kommt dem Nationalrat jedoch faktisch
das grössere politische Gewicht zu. Bei den Entscheiden über Bundesratsvoralgen
wird abwechselnd ein Erstrat bestimmt, d.h. ein Rat der die Vorlage zuerst und ggf.
auch intensiver bearbeitet.152 In den Plenumsversammlungen der Räte können von
allen Parlamentsmitgliedern Abänderungsanträge zu den Vorlagen zur Diskussion
gestellt werden. Nach abgeschlossener Beratung im Erstrat geht das „Geschäft“ an
den Zweitrat über. Falls die Beschlüsse von National- und Ständerat voneinander
abweichen, kommt es zum sogenannten Differenzbereinigungsverfahren; das
„Geschäft“ geht zurück an den Erstrat. Besteht nach je drei Beratungen in jedem Rat
keine Einigung, so wird eine Einigungskonferenz bestehend aus je 13
Ratsmitgliedern eingesetzt, welche eine Lösung zu finden hat.153 Bei Vorlagen, zu
welchen die Räte nur ja oder nein sagen können kommt hingegen ein verkürztes
Verfahren zum Zug: Falls derjenige Rat, der eine Vorlage ablehnt, bei seiner zweiten
Beratung auf diesem Beschluss beharrt, ist eine Vorlage nicht zustande gekommen
151
Vgl. Lüthi, Das Parlament, 133. 152
Vgl. Neidhart, Die politische Schweiz, 324. 153
Vgl. Lüthi, Das Parlament, 133.
71
und ist von der „Geschäftsliste“ zu streichen.154 Dieses Verfahren wurde beim
„Geschäft“ über die Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta angewandt.
Für die nachfolgenden Resumés relevanter Voten in National- und Ständerat wurden
dieselben Auswahlkriterien wie bei den Kommissionssitzungsprotokollen angewandt:
Im Hinblick auf die Forschungsfrage wurden in erster Linie die Voten und
Argumentationen von Atalanta-Gegnern berücksichtigt; dies mit Fokus auf jene
Gegenargumente, welche mit der Auslegung der Schweizer Neutralität und anderen
Ansichten und Ideologien, die mit der generellen Gestaltung der Schweizer
Aussenpolitik zusammenhängen, korrespondieren. Auf der anderen Seite wurden als
relevant betrachtete Voten von Befürwortern eines Militäreinsatzes im Rahmen von
NAVFOR Atlanta berücksichtigt, wie auch Aussagen, die in sonstiger Weise
Ansichten über die Ausgestaltung der Schweizer Aussenpolitik beinhalteten. Anders
als die Sitzungsprotokolle der Kommissionen sind die Wortprotokolle der
eidgenössischen Räte öffentlich zugänglich; die Namen und Parteizugehörigkeiten
von Ratsmitgliedern werden deshalb hier genannt.
Im Rahmen der Thematik „Operation Navfor Atalanta. Assistenzdienst im Ausland
sowie Änderung des Militärgesetzes“ wurde der Ständerat als Erstrat festgelegt.
Seine erste Plenarsitzung fand im Rahmen der Herbstsession am 8. September 2009
statt.
3.5.2 Die Ständeratsdebatte vom 8. September 2009
Eröffnet wurde die Sitzung vom Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission des
Ständerats, Hans Altherr. Der freisinnige Politiker gab in seiner Rede eine Übersicht
über das Vorhaben des Bundesrates und die in den zuständigen Kommissionen
geäusserten Meinungen und Empfehlungen. Die Debatte drehte sich in erster Linie
um den von der Sicherheitspolitischen Kommission vorgebrachten Ordnungsantrag,
der vorsah, die Vorlage zum Einsatz der Armee im Rahmen der Operation Atalanta
vor der Revision des Militärgesetzes zu behandeln. Maximilian Reimann von der
rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) bemängelte, dass die
rechtliche Grundlage für einen Einsatz der Schweizer Armee im Rahmen von EU-
154
Vgl. Parlamentswörterbuch der Bundesversammlung, Differenzbereinigung, in: http://www.parlament.ch
/d/wissen/parlamentswoerterbuch/seiten/differenzbereinigung.aspx (19. April 2012).
72
NAVFOR Atalanta nicht klar gegeben sei; man müsse deshalb erst über eine
Anpassung des Militärgesetzes entscheiden.155
Theo Maissen von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) trat ebenso dafür
ein, dass zuerst eine klare Rechtsgrundlage für den Einsatz geschaffen wird. Er ging
dabei von der Perspektive aus, dass die Schweiz aufgrund neuer Gefährdungen
ausserhalb des traditionellen militärischen Bereiches auch in Zukunft für
Polizeiaktionen gebraucht werde. Wenn man bereits heute wisse oder annehmen
könne, dass solche Fälle eintreten würden, sehe er nicht ein, wieso man nicht auch
jetzt die Rechtsgrundlagen anpassen und entsprechend den künftigen Bedürfnissen
ändern solle. Maissen bekundete ausserdem seine Mühe damit, dass Schweizer
Politiker bei Entscheidungen im sicherheitspolitischen Bereich immer erst den
künftigen Sicherheitspolitischen Bericht abwarten wollen oder auf diesen verweisen.
Der für Ende 2009 erwartete Sicherheitspolitische Bericht (SIPOL B) werde in der
Thematik der Auslandeinsätze der Armee keine grossen neuen Erkenntnisse
bringen, sondern eine Fortschreibung dessen sein, was man bereits heute wisse.156
Claude Hêche, ein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP), teilte
die Auffassung, das beabsichtigte Engagement im Rahmen von Atalanta entspreche
den Interessen der Schweiz und sei sowohl mit ihrem Recht wie auch mit ihrer
Neutralität zu vereinen. Die ökonomischen Interessen der Schweiz seien durch die
Gefährdung der internationalen Seehandelswege im Zuge der Piraterie und der
Gefährdung der eigenen Hochseeflotte betroffen. Zusätzlich unterstütze die
Operation indirekt die humanitären Bemühungen der Schweiz in Somalia und
schütze direkt die Lieferungen des Welternährungsprogramms. Laut Hêche stellt eine
Beteiligung an Operation Atalanta aus den folgenden Gründen keine Infragestellung
der Schweizer Neutralität dar: Die Operation stehe einerseits nicht unter dem
Kommando der NATO. Andererseits sei die Ausweitung des Assistenzdienstes auf
internationale Polizeiaktionen neutralitätskompatibel, da derlei Aktionen keine
Kriegsakte darstellten, weil sie sich nicht gegen einen Staat, sondern gegen Piraten
richteten. Das Ansehen der Schweiz als neutraler Staat würde laut Hêche im Falle
155
Vgl. Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat. Herbstsession 2009,
Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 805-816, in: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/s/4811
/306539/d_s_4811_306539 _306556.htm (19. April 2012), 805-806. 156
Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 807.
73
einer Beteiligung keinen Schaden nehmen; vielmehr könne ein Engagement zu einer
Verbesserung des Images beitragen. Es sein nun trotz der Risiken an der Zeit, Mut
zu zeigen und deshalb Mittel und qualifiziertes Personal für eine koordinierte Aktion
zur Verfügung zu stellen. Um zu einer nachhaltigen Verbesserung der Verhältnisse in
der Region beizutragen, müsse dem Engagement im militärischen/sicherheits-
technischen Bereich ein Engagement im zivilen Bereich folgen.157
Luc Recordon von der Grünen Partei der Schweiz (GPS) hegte mehrere Bedenken
gegen einen Militäreinsatz im Rahmen von Operation Atalanta: Er argumentierte, die
Schweiz verfüge über keine angemessen ausgebildeten und ausgerüsteten Truppen
für einen solche Einsatz. Den möglichen Nutzen in Form verbesserter Beziehungen
zur Europäischen Union stufte er als gering ein. Die Gefahr, dass das Image der
Schweiz (insbesondere in der dritten Welt) durch eine Beteiligung Schaden erleiden
könnte, erachtete er hingegen als durchaus möglich. Die Schweiz solle sich lieber im
Rahmen ihrer bewährten Hilfeleistungen im internationalen Rahmen engagieren,
namentlich in den Bereichen der Mediation, der Friedensbemühungen und sonstigen
Hilfestellungen verschiedener Art.158
Bruno Frick von der CVP befürwortete die Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR
Atalanta: Die Interessen der Schweiz würden diesen verlangen, die rechtlichen
Grundlagen seien vorhanden, die Strukturen und Mittel des Einsatzes seien richtig
gewählt. In der Streitfrage der Vereinbarkeit eines Einsatzes mit dem Schweizer
Recht sagte Frick, es treffe zu, dass bei der Beratung über die Bestimmung des
Militärgesetzes in Sachen Auslandeinsätze der Armee (Art. 69 Abs. 2 Anm. d. Rede)
nicht an Piratenakte gedacht worden sei. Jedoch habe man bei der Schaffung der
kantonalen Polizeigesetze vor dreissig Jahren auch nicht an Kreditkartenbetrüger
gedacht. Er glaube deshalb, wenn die Klausel den Einsatz allgemein abdecke, dass
diese auch für neue Delikte genügen müsse. Die Piraterie sei gegenwärtig ein Delikt,
welches sich weltweit breitgemacht habe. Ein möglicher Einsatz hätte zudem die
Dauer eines Jahres. In dieser Zeit könne man Erfahrungen sammeln und schliesslich
Bilanz über dessen Wirksamkeit ziehen. Sei diese nicht gegeben, so könnten andere
157
Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 807-808. 158
Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 809.
74
Massnahmen für den Schutz der Schweizer Flotte angestrebt werden wie
beispielsweise das Verkehren auf anderen Routen.159
Anita Fetz von der Sozialdemokratischen Partei befürwortete eine Schweizer
Beteiligung an Operation Atalanta unter anderem aus folgenden Gründen: Das
Hauptziel der Mission sei der Schutz der Schiffe des UNO-
Welternährungsprogramms, dessen Lieferungen täglich ca. 3 Millionen Menschen
vor dem Hungertod retteten. Jene humanitäre Hilfe und andere Hilfsprojekte seien
von grosser Wichtigkeit. Engagements im Sinne der Entwicklungszusammenarbeit
seien in der heutigen Zeit jedoch oft auch mit einem Engagement zur
Aufrechterhaltung der Sicherheit verbunden. Ferner müsse die Schweiz ihre eigenen
Interessen schützen. Als Handelsnation profitiere die Schweiz in hohem von der
Sicherheit, die andere Nationen bereitstellen würden. Es sei angebracht, sich im
Rahmen der Völkergemeinschaft – mit aller Vorsicht – für die Wahrung der
kollektiven Sicherheit zu engagieren. Zudem bestünde ein grosses Interesse daran,
die Armutsmigration vor Ort zu bekämpfen; sonst müsse man sich nicht wundern,
wenn immer mehr Leute in die reiche Schweiz kämen.160
Liliane Maury Pasquier, ebenfalls Sozialdemokratin, vertrat eine gegenüber ihrer
Parteikollegin abweichende Meinung, welche die interne Gespaltenheit der SP in der
Atalanta-Frage erneut aufzeigte. In ähnlicher Weise wie die Grünen und die GSOA
bemängelte Pasquier unter anderem, dass es sich bei Atalanta bloss um Symptom-
und nicht um Ursachenbekämpfung handle. Sie sprach ausserdem die Militarisierung
und das geopolitische Wettringen in der betroffenen Region an; die EU-Operation
Atalanta sei Teil von dieser Entwicklung. Ebenfalls erwähnte Pasquier die nicht
erfolgten Interventionen der internationalen Gemeinschaft bei Problemen wie der
Überfischung der somalischen Gewässer sowie der illegalen Entsorgung von Giftmüll
an den dortigen Küsten. Sie plädierte für ein ziviles Engagement der Schweiz auf
internationaler Ebene und sprach auch vom Missverhältnis der Kosten für eine
militärische Beteiligung an Atalanta gegenüber den bisher ausgegeben Beträgen für
zivile Engagements in der Region am Horn von Afrika.161
159
Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 810. 160
Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 810-811. 161
Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 811-812.
75
Die bei der Debatte des Ständerats ebenfalls anwesende ehemalige
Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hielt gegen Ende der Debatte ein längeres
Plädoyer. Sie nahm dabei Bezug auf eine Reihe von Kritikpunkten, die von Gegnern
der Atalanta-Vorlage anlässlich der öffentlichen Debatte sowie der
Kommissionssitzungen geäussert wurden. In Bezug auf die vornehmlich von Seite
der Schweizerischen Volkspartei geäusserten neutralitätspolitischen Bedenken
betonte sie nochmals, dass EU-NAVFOR Atalanta im Rahmen einer Reihe von UNO-
Resolutionen durchgeführt werde. Es handle sich um eine internationale
Polizeiaktion, welche in keiner Weise der NATO untergeordnet sei. Der vor allem von
linker Seite geäusserten Kritik, ein militärisches Engagement zur Bekämpfung der
Piraterie sei blosse Symptombekämpfung, entgegnete Calmy-Rey wie bereits bei
anderer Gelegenheit, ohne Sicherheit gäbe es keine Entwicklung, ohne Entwicklung
wiederum keine Sicherheit. Sie hob dabei die zahlreichen Bemühungen der Schweiz
in Form ziviler Projekte in Somalia hervor. Ohne ein Minimum an gewährleisteter
Sicherheit könnten die verantwortlichen Teams dort nicht operieren. Operation
Atalanta verstärke zudem die lokale Zusammenarbeit; die Bekämpfung krimineller
Banden (Piraten) und deren Einkommensquellen begünstige die Rückkehr von Recht
und Ordnung in der Region. Ferner erläuterte die ehemalige Bundesrätin Calmy-Rey
die Gesamtproblematik der von Instabilität, Konflikten und humanitären Katastrophen
geprägten Region am Horn von Afrika und deren weitreichende Folgen. Auf diese
Ausführungen soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, da ähnliche
Exkurse Calmy-Reys bereits in der Besprechung der Kommissionsitzungen
wiedergegeben wurden.162
Verteidigungsminister Ueli Maurer referierte abschliessend über die vom Bundesrat
vorgeschlagene Militärgesetzrevision. Darunter fanden sich interessante Aussagen
betreffend der Verknüpfung und der allgemeinen Natur der beiden Vorlagen. Der
Grund dafür, dass jene Vorlage zusammen mit dem Atalanta-Beschluss den Räten
vorgelegt wurde, läge wohl in der politischen Sensibilität einer Beteiligung der
Schweiz an einer solchen internationalen Polizeiaktion. Atalanta stelle für die
Schweiz eine neue Richtung von Armeeisätzen dar. Angesichts dieser Sensibilität sei
der Bundesrat der Meinung, man müsse im Rahmen der Militärgesetzrevision eine
Grundsatzdiskussion darüber führen, ob man sich zukünftig vermehrt an
162
Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 813-814.
76
internationalen Polizeioperationen beteiligen wolle oder sich auf die bisher
vorgesehenen humanitären Einsätze und den Schutz von Schweizer Interessen
beschränkten möchte.163
Der Ständerat stimmte am Schluss mit 33 zu 5 Gegenstimmen für Eintreten auf den
Bundesbeschluss über die Teilnahme an EU-NAVFOR Atalanta. Mit 22 zu 12
Stimmen verzichtete der Ständerat hingegen darauf, auf die Revision des
Militärgesetzes einzugehen.164
3.5.3 Die Nationalratsdebatten vom 9., 15. Und 16. September 2009
Bevor im Nationalrat über die Vorlage der Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta und
der Revision des Militärgesetzes anlässlich der Herbstsession debattiert werden
konnte, musste dafür ein Ordnungsantrag gestellt werden. Auf Bestreben der SVP
sowie unter Mithilfe der Grünen Partei strich das Büro des Nationalrats das
„Geschäft“ aus der Traktandenliste der Herbstsession.165 Die Gegner der Vorlage
wollten damit einen Entscheid über einen Militäreinsatz am Horn von Afrika weiter
hinauszögern. Peter Malama von der Freisinnigen Partei stellte darauf anlässlich der
Nationalratssitzung vom 9. September den Antrag, das „Geschäft“ in der
Herbstsession zu beraten. Malama betonte in seinem Votum, nicht nur die
Bürgerinnen und Bürger würden einen Entscheid erwarten, sondern auch das
Ausland. Namentlich die UNO, welche die Schweiz zu einem Beitrag bei der
Bekämpfung der Piraterie aufgerufen habe, wie auch die allfälligen europäischen
Einsatzpartner. Man sei in einer Zeit, in der das Image der Schweiz leicht belastet
sei, gut beraten, jenes Image ein Stück weit zu korrigieren, in dem man seine
Handlungs- und Entscheidungsfreiheit in globalen Fragen zeitgerecht unter Beweis
stelle und gleichzeitig ein Zeichen internationaler Solidarität setze.166
Caspar Baader von der Schweizerischen Volkspartei entgegnete, mit der Streichung
des „Geschäfts“ von der Traktandenliste könnten drei bis vier Stunden Redezeit für
jene innenpolitischen „Geschäfte“ gewonnen werden, welche in der heutigen Zeit von
163
Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 814-815. 164
Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 816. 165
Vgl. Nuspliger, Aufwind für den Anti-Piraten-Einsatz, 16. 166
Vgl. Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat. Herbstsession 2009,
Nationalratssitzung vom 9. September 2009, 1406-1409, in: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n
/4811/306875/d_n_4811_306875 _307051.htm (26. April 2012), 1406-1407.
77
Rezession und steigender Arbeitslosigkeit für die Bevölkerung von grosser
Bedeutung seien (Baader erwähnte dabei u.a. die Familienbesteuerungsreform
sowie den Ausgleich der kalten Progression). Beim „Geschäft“ Atalanta gehe es um
eine ideologische Grundsatzdiskussion: Um 15 Soldaten, 14 Juristen und
Krankenschwestern und einen Arzt, die vor Somalia für 20 Millionen Franken auf
deutschen Schiffen Piraten bekämpfen sollen. Der Nutzen dieser Aktion für die
Schweizer Bevölkerung sei gleich null. Baader kritisierte zudem, Peter Malamas
Forderung in dessen Ordnungsantrag, die Redezeiten bei der Atalanta-Debatte zu
beschränken; eine derartige Zensur bei einer solch grundsätzlichen Frage sei eines
Parlaments unwürdig.167
Der Nationalrat nahm den Antrag von Peter Malama, die Atalanta-Frage in der
Herbstsession zu beraten, mit 90 zu 79 Stimmen an. Den Antrag auf Beschränkung
der Redezeit lehnte er hingegen auf Antrag von Jo Lang von der Grünen Partei
Schweiz mit 163 zu 22 Stimmen klar ab.168 Am 15. September 2009 fand darauf die
erste offizielle Nationalratssitzung zum Thema der Beteiligung an Operation Atalanta
und der Militärgesetzrevision statt. Der Auftakt der Sitzung war geprägt von einer
Diskussion auf rechtlicher Ebene: Jo Lang, Mitglied der Grünen Partei wie auch der
GSOA, stellte die allgemeine Rechtmässigkeit eines solchen Einsatzes der
Schweizer Armee in Frage. Yvan Perrin von der SVP hegte keine Bedenken über die
Legalität einer Beteiligung an Atalanta in der Theorie, gab aber zu bedenken, dass
sich in der Praxis diffizile Situationen für die am Einsatz beteiligten Schweizer
Soldaten ergeben könnten: Wie würden sich diese beispielsweise verhalten wenn die
deutsche Fregatte, auf welcher sie stationiert wären einen Hilferuf eines Schiffs
erhält, welches weder zum Welternährungsprogramm gehört noch unter Schweizer
Flagge fährt. Würden die Schweizer Soldaten in einem solchen Fall untätig bleiben?
Was wenn die Soldaten in einem solchen Fall in Aktion treten würden und dabei
Piraten festnehmen oder erschiessen würden?169
Verschiedene Gegner des Einsatzes plädierten dafür, mit einer Änderung des
Militärgesetzes erst eine eindeutige Gesetzesgrundlage für eine Beteiligung an
167
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 9. September 2009, 1407. 168
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 9. September 2009, 1407-1408. 169
Vgl. Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat. Herbstsession 2009,
Nationalratssitzung vom 15. September 2009, 1555-1562, in: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d
/n/4811/308344/d_n_ 4811_308344_308553.htm (26. April 2012).
78
Atalanta zu schaffen.170 Es darf vermutet werden, dass es sich dabei in beträchtlicher
Anzahl um Versuche handelte, das „Geschäft“ weiter hinauszuzögern. Wie die
Kommissionssitzungen von National- und Ständerat gezeigt haben, war es höchst
unwahrscheinlich, dass zur damaligen Zeit eine Mehrheit für eine
Militärgesetzrevision hätte zustande kommen können. Ein Eintreten auf die Vorlage
der Revision und eine darauf folgende Ablehnung hätte von den Atalanta-Gegnern
als klares Signal gegen einen Auslandeinsatz der Armee im Rahmen von EU-
NAVFOR Atalanta geltend gemacht werden können.
Der Sozialdemokrat Eric Voruz gab gegenüber den Gegnern von Atalanta zu
bedenken, dass die Grenzen der Schweiz über Genf, Basel, Konstanz und Chiasso
hinausgehen würden und dass die Schweiz Mitglied der UNO sei. Zwar sei man nicht
Mitglied der EU, geografisch gesehen aber in deren Mitte. Da sich die Schweiz oft
der EU unterordnen müsse, sei sie ein Passivmitglied der Union. Da man sowohl von
der UNO wie auch von der EU für eine Beteiligung angefragt worden sei, befürworte
er eine Beteiligung an Operation Atalanta.171
Josef Lang, Mitglied der Grünen Partei sowie der Gesellschaft für eine Schweiz ohne
Armee, vertrat sowohl in den Plenarsitzungen wie auch in den vorbereitenden
Kommissionen eine klar Ablehnende Position gegenüber einem Schweizer
Militäreinsatz am Horn von Afrika. Seine Argumentation bezog sich vor allem auf die
bereits angesprochene Problematik der „Leerfischung“ der somalischen
Fischbestände, die Deponie von Giftmüll und die ausgebliebene Intervention der EU
und der Schweiz in jener Sache. Es sei ausgesprochen ironisch, dass viele der
Nationen, deren Kriegsschiffe derzeit am Horn von Afrika patrouillieren, unmittelbar
mit den Fischereiflotten verbunden sind, die geschäftig Somalias Meeresschätze
plündern. Atalanta bedeute nicht Solidarität mit den Armen sondern Solidarität mit
der NATO. Atalanta sei Solidarität mit dem "war on terror", der an Land gescheitert
sei und jetzt vor der Küste Somalias weitergeführt werden solle. Im Falle einer
Beteiligung würde die neutrale Schweiz im Verbund mit Armeen operieren, welche
eine belastende, in Afrika unvergessene Kolonialvergangenheit aufweisen. Lang
170
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 15. September 2009, 1555-1559. 171
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 15. September 2009, 1559.
79
plädierte deshalb für die zivile Lösung von Konflikten im Sinne des Wiederaufbaus
von Somalia anstelle einer militärischen Symptombekämpfung.172
Yvan Perrin von der SVP machte in einem erneuten Plädoyer auf die problematische
Lage bei der Strafverfolgung von verhafteten Piraten aufmerksam: Die internationale
Gemeinschaft habe vorgesehen, festgenommene Piraten an Länder wie Kenia zu
überstellen, welche dann den Strafprozess respektive den Strafvollzug von Piraten
übernähmen. Die Situation im Bereich der Menschenrechte in jenen Ländern sei
prekär. Beim Thema der Zusage zur Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta gehe es
zudem bei weitem nicht bloss um die Entsendung von 30 Schweizer Soldaten in die
somalische See; es gehe vielmehr um die Schaffung eines Präzedenzfalles. Existiere
ein solcher Präzedenzfall einmal, so sei die Verlängerung und Ausweitung des
Engagements auf andere Schauplätze bloss noch Formsache. Eine Annahme der
Atalanta-Vorlage werde ferner der Rechtfertigung und Begründung der
Militärgesetzrevision dienen, dies im Hinblick darauf, dass jenes Gesetz der neuen
Praktik entspreche.173
Ursula Haller von der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) gab zu verstehen,
man müsse endlich realisieren, dass die Schweiz nicht immer abseitsstehen und sich
bestimmte Leistungen nur über Drittstaaten einkaufen könne. Irgendwann werde die
Glaubwürdigkeit der Nation ernsthaft auf dem Spiel stehen. Man müsse Solidarität
praktizieren, auch dort wo es gegebenenfalls nicht einfach sei. Die Zeit der
Trittbrettfahrerei und „Rosinenpickerei“ sei vorbei; ein solches Verhalten werde auch
von Ländern, die der Schweiz gut gesinnt seien, nicht mehr akzeptiert. Mit
humanitären Aktionen allein sei es laut Haller auch nicht getan; man müsse hie und
da auch Unbequemes tun und nicht erst dann humanitär vorgehen, wenn andere an
den jeweiligen Orten die Voraussetzungen dafür geschaffen hätten. Die aktuelle
Auseinandersetzung um die Schweizer Geiseln in Libyen zeigten, dass man nicht mit
grosser Unterstützung durch Freunde rechnen könne. Die Schweiz stehe oft isoliert
und weitgehend alleine da; Einigeln und Abseitsstehen verschärfe diese Situation
noch zusätzlich. Die Schweiz habe wie jede andere Nation nationale Interessen, wie
zum Beispiel Wohlstand und Sicherheit. Dazu gehörten nicht nur wirtschaftliche,
172
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 15. September 2009, 1560. 173
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 15. September 2009, 1561-1562.
80
kulturelle und bildungspolitische, sondern eben auch sicherheitspolitische Interessen.
Nicht zu vergessen sei dabei, der enge Zusammenhang jener verschiedenen
Interessen. Jene die behaupteten, man wolle mit einer Atalanta-Beteiligung
Kriegsspielchen auf hoher See nachgehen, würden polemisch argumentieren und
gefährdeten bewusst die Wahrnehmung der erwähnten Interessen. Die BDP-Fraktion
befürworte die Vorlage klar.174 Betrachtet man die Aussagen Hallers und das
Verhalten der BDP-Fraktion, so schlug die Partei, welche 2008 aus einer inneren
Spaltung der Schweizerischen Volkspartei hervorging, in der Atalanta-Frage komplett
andere Töne wie ihre ehemaligen Parteikollegen an.
Die Nationalratssitzung wurde am darauffolgenden 16. September mit denselben
Traktanden weitergeführt. Anita Lachenmeier-Thüring und Francine John-Calame
von der Grünen Partei Schweiz legten zu Beginn der Sitzung erneut den Standpunkt
ihrer Fraktion dar. Nebst bereits erwähnten Argumenten gegen den Atalanta-Einsatz
machte Lachemeier-Thüring darauf aufmerksam, mit einem Verzicht an einer
Beteiligung an der EU-Operation könnten die bisherigen Mittel für die humanitäre
Hilfe verdoppelt werden (bis anhin gab die Schweiz jährlich 17 Millionen für zivile
Hilfe am Horn von Afrika aus). Sie betonte auch, mit einer aktiven Unterstützung von
Atalanta würde die Neutralität der Schweiz gefährdet. Die grössten Zweifel an der
Operation hege man jedoch bei deren Wirkung: Piraterie gäbe es auf allen
Weltmeeren, insbesondere auch an der Westküste Afrikas. Operation Atalanta
bewirke allenfalls eine Verlagerung, jedoch keine wirkliche Bekämpfung und schon
gar nicht eine Lösung des Problems. Die grossen Drahtzieher hinter den Piraten
würden nicht gefasst, für die Probleme Somalias keine Lösung erreicht. Der Einsatz
sei sinnlos und fragwürdig, „es hiesse 16 Millionen Franken in den Ozean zu
werfen.“175
Verschiedene Vertreter der Sozialdemokraten sowie der Christlichdemokratischen
Volkspartei betonten darauf, wirtschaftliche Entwicklung sei ohne Sicherheit nicht
möglich.176 Der Sozialdemokrat Ricardo Lumengo, ein Befürworter des Einsatzes,
kritisierte die Aussagen der Vertreter der Grünen Partei, mit der Frage, ob diese nicht
174
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 15. September 2009, 1562. 175
Vgl. Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat. Herbstsession 2009,
Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1563-1571, in: http://www.parlament.ch/ab/frameset
/f/n/4811/308884/f_n_4811_ 308884_308885.htm (30. April 2012), 1563-1564. 176
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1564-1566.
81
sähen, dass ihre Ideen etwas unrealistisch seien. Ihre Argumente gegen Operation
Atalanta hätten für ihn nichts mit Pazifismus zu tun und entsprächen nicht der
afrikanischen Realität.177 Evi Allemann, ebenfalls von der SP, machte die Aussagen,
es entspreche der humanitären Pflicht aller Staaten, dafür zu sorgen, dass die Hilfe
des Welternährungsprogramms den Bedürftigen in Somalia zukomme. Es sei
vielleicht bequemer und entspreche der ideologisch reinen Lehre aber es sei allzu
einfach, sich mit einem Nichteintreten aus der Verantwortung zu stehlen. Sie bat im
Namen der Mehrheit ihrer Partei darum, auf das „Geschäft“ über die Beteiligung an
Operation Atalanta einzutreten.178
Hans Widmer von den Sozialdemokraten ordnete den Entscheid über die Atalanta-
Vorlage aus seiner Perspektive in einen grösseren Kontext ein: Es gäbe in der Welt
aufgrund der globalen Vernetzung weder bloss eindimensionale Bedrohungslagen
noch ausschliesslich national isolierte Sicherheitspolitiken. Eine Bedrohungslage wie
sie im Fall der Piraterie vor Somalias Küsten bestünde, könne nicht von einzelnen
Staaten bewältigt werden. Eine Zusammenarbeit mit der EU sei in dieser Sache
naheliegend. Eine solche Zusammenarbeit hätte denn auch eine grosse Bedeutung
für eine nichtisolationistische Aussenpolitik der Schweiz. Würde Atalanta abgelehnt,
so gäbe die Schweiz europapolitisch wie auch mit Blick auf den nächsten
Sicherheitspolitischen Bericht ein fatales Signal; nämlich dass denkbare
Auslandeinsätze im Verlaufe des parlamentarischen Entscheidungsprozesses nach
und nach begraben würden. Zum Schluss seines Plädoyers bat Widmer die anderen
Ratsmitglieder darum, die europapolitische und sicherheitspolitische Dimension jener
Angelegenheit nicht zu unterschätzen.179
Vertreter der SVP und der Grünen torpedierten darauf bis zum Ende der Debatte in
mehreren Voten erneut die Vorlage, indem sie Bedenken (operations-) technischer
Natur aufführten oder im Fall der Grünen, auf in der Vergangenheit nicht erfolgte
Interventionen bei völkerrechtswidrigen Geschehnissen in der Region aufmerksam
machten. Die Diskussion wurde von nun an von gewissen Parlamentariern recht
hitzig geführt.180 Ullrich Schlüer von der SVP warf die Frage auf, ob es nicht möglich
177
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1564. 178
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1564-1565. 179
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1565. 180
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1565-1569.
82
sei, die Schweizer Hochseeschiffe durch den Panamakanal statt durch den Golf von
Aden in den Fernen Osten fahren zu lassen. Dies dauere vielleicht ein paar Tage
länger und sei etwas teurer; die Befürworter des Einsatzes seien indes derart auf
Krieg fixiert, dass sie solche Varianten gar nicht mehr sähen.181
Arthur Loepfe von der CVP richtete an Jo Lang von der GPS die Kritik, die Schweiz
leiste Entwicklungshilfe und unterstütze das Welternährungsprogramm; ohne
Sicherheit gäbe es jedoch keine Hilfe für die notleidende Bevölkerung Somalias. Mit
Ideologie und schönen Sprüchen alleine könne man diesen Völkern nicht helfen. An
den rechtskonservativen Nationalrat Ullrich Schlüer richtete Loepfe den Vorwurf, er
vermisse bei ihm etwas Nationalstolz und Selbstbewusstsein; „Sie geben die
Schweizer Schiffe einfach Preis“. Auf jenen Schiffen gelte Schweizer Recht, womit
diese praktisch Schweizer Territorium seien. Auf die Frage von Teophil Pfister (SVP),
ob die Entsendung von 15 Schweizer Soldaten nicht einen weiteren Schritt hin zur
Aufgabe der Neutralität bedeuten würde, entgegnete Loepfe: Wenn man neutral sein
wolle heisse dies auch, seine Interessen und sein Territorium zu schützen. Da die
Schiffe unter Schweizer Flagge Schweizer Territorium darstellen würden, habe man
das Recht diese zu schützen.182
Gegen Ende der Debatte kam wie bei den vorhergehenden Kommissions- und
Parlamentssitzungen die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zu Wort,
welche die Parlamentarier in einer sehr ausführlichen Rede nochmals von einer
Bewilligung des Atalanta-Einsatzes zu überzeugen versuchte. Die Argumente und
Aussagen entsprachen weitgehend denjenigen, welche von der Ex-Bundesrätin
bereits in vorhergehenden Sitzungen und Plenardebatten gemacht wurden; es soll
deshalb an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen werden.183 Die Argumente
der Einsatz-Befürworter und die Empfehlung der Sicherheitspolitischen Kommission
des Nationalrats schienen schlussendlich ihre Wirkung verfehlt zu haben: Die
Beteiligung an Operation Atalanta wurde vom Nationalrat mit 103 zu 84 Stimmen bei
11 Enthaltungen abgelehnt.184 Die Vorlage über eine Änderung des Militärgesetzes
fand (gleich wie im Ständerat) wie erwartet im Nationalrat keine Mehrheit und wurde
181
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1566. 182
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1566-1567. 183
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1567-1568. 184
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1569.
83
von Bundesrat Ueli Maurer schliesslich zurückgezogen. Er meinte diesbezüglich, es
brauche realistisch gesehen wohl einen Marschhalt und eine generelle Aussprache
darüber, was die Armee im Ausland soll, wie sich die Schweiz beteiligen wolle und
wie man der immer wieder geforderten Solidarität Ausdruck verleihen wolle.185
3.5.4 Differenzbereinigungsverfahren/ Endgültige Ab lehnung der Vorlage
Da National- und Ständerat bei der Beurteilung des „Geschäfts“ über die Beteiligung
an EU-NAVFOR Atalanta zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen, ging das
„Geschäft“ zur erneuten Beratung zurück an den Ständerat. Am Morgen des 22.
September traf sich vorab die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates zu
einer letzten Besprechung zur Atalanta-Vorlage. Der Inhalt jener Sitzung wurde
bereits in Kapitel 3.4.2 behandelt. Es ist jedoch noch zu erwähnen, dass ein Vertreter
der politischen Mitte in jener Sitzung den Antrag stellte, den Entscheid über eine
Beteiligung an Atalanta zu sistieren und allenfalls in der Wintersession 2009 weiter
zu beraten. Die Idee dahinter war, den Atalanta-Einsatz vor dem drohenden
Untergang zu retten. Die Zeichen für eine Abkehr des Nationalrats von seinem
Negativentscheid standen schlecht. Eine mögliche Sistierung hätte dem Bundesrat
Zeit verschaffen sollen, den Militäreinsatz in einen Einsatz mit rein zivilem Charakter
umzuwandeln und diesem somit eine mögliche Mehrheit in der kommenden
Parlamentssession zu verschaffen. Die Kommission lehnte den Antrag auf Sistierung
des „Geschäfts“ jedoch ab und hielt an ihrer Empfehlung der Annahme der Vorlage
fest.186
Das Ständeratsplenum tagte im Anschluss an die Kommissionsitzung ebenfalls am
22. September 2009. Der Ständerat hielt sich erneut an die Empfehlung seiner
Sicherheitspolitischen Kommission und stimmte am Ende einer äusserst kurzen
Debatte, welche keine neuartigen Argumentationslinien beinhaltete, mit 29 zu 9
Gegenstimmen für ein Eintreten auf die Atalanta-Vorlage.187 Das „Geschäft“ ging
deshalb zu einer erneuten Beratung zurück an den Nationalrat.
185
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1571. 186
Vgl. Parlamentsdienste, SiK- S, Protokoll der Sitzung vom 22. September 2009, 1-4. 187
Vgl. Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat. Herbstsession 2009,
Ständeratssitzung vom 22. September 2009, 929-930, in: http://www.parlament.ch
/ab/frameset/d/s/4811/309848/d_s_4811_309848_309849.htm (2. Mai 2012).
84
Vor der letzten Plenumsdebatte im Nationalrat befasste sich am 24. September
nochmals die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats mit der Atalanta-
Vorlage. Laut „NZZ“ versuchten hier, ähnlich wie bei der SiK-Sitzung des
Ständerates vom 22. September, die Einsatzbefürworter diesen Mittels einer
Sistierung des „Geschäfts“ vor dem drohenden Aus zu bewahren: Evi Allemann von
der SP wollte mittels eines Ordnungsantrags die Sistierung der Atalanta-Vorlage in
der bisherigen Form erreichen und gleichzeitig dem Bundesrat den Auftrag zur
Aushandlung eines zivilen Engagements in Übereinkunft mit der EU erteilen.
Ebenfalls einen Antrag auf Sistierung des „Geschäfts“ stellte der freisinnige
Nationalrat Peter Malama; dieser wollte die Atalanta-Beteiligung in ein primär ziviles
Engagement umwandeln, bei welchem sich die Armee in Form von Stabsoffizieren,
Logistikern, Medizinern und Völkerrechtsspezialisten, nicht aber mit Kampftruppen
beteiligt hätte.188
Betreffend den Inhalt der Kommissionssitzung wurden die von den
Parlamentsdiensten zur Verfügung gestellten Sitzungsprotokolle verwendet, weshalb
die Namen der Teilnehmenden an dieser Stelle nicht erwähnt werden durften. Eine
Vertreterin der politischen Linken begründete den Antrag ihrer Fraktion
folgendermassen: Sie hofften mit dieser Form eines Einsatzes zu einer
mehrheitsfähigen Lösung zu kommen und der Staatengemeinschaft was man ihr
schuldig sei, bieten zu können; nämlich einen Beitrag für Stabilität, mehr öffentliche
Ordnung und Entwicklung am Horn von Afrika.189 Der ehemalige
Verteidigungsminister gab zu bedenken, dass eine Abänderung des Einsatzes
aufgrund der bereits getroffenen Vereinbarung zwischen der Schweiz und der EU
sowie mit der Partnernation Deutschland alles andere als einfach wäre. Ob und zu
welchem Zeitpunkt ein solcher Einsatz durgeführt werden könnte, sei nicht klar.190
Die SiK des Nationalrates lehnte beide Anträge auf Sistierung des „Geschäfts“ ab,
ebenso empfahl sie, anders als bei ihrer Sitzung im Vorfeld der Parlamentsdebatte,
mit 13 zu 12 Stimmen nicht auf die Vorlage einzutreten.191
188
Vgl. Nuspliger, Kurzer Prozess mit « Atalanta ». 189
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzung vom 24. September 2009, 1. 190
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzung vom 24. September 2009, 2-3. 191
Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzung vom 24. September 2009, 6.
85
Die entscheidende Plenarsitzung des Nationalrats zum Thema EU-NAVFOR Atalanta
fand im Anschluss an die Sitzung der SiK, gleichwohl am 24. September 2009 statt.
Die Einsatzbefürworter versuchten zu Beginn der Debatte nochmals mit allen Mitteln
und Argumenten das drohende Nichteintreten abzuwenden. Die Sozialdemokratin
Evi Alleman bemerkte zusätzlich, die (drohende) Ablehnung von Atalanta sei
keinesfalls mit einer generellen Ablehnung von Auslandeinsätzen und speziell
Friedensförderungseinsätzen gleichzusetzen. Die in derselben Herbstsession
behandelte parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion für einen generellen Verzicht
auf Auslandeinsätze sei mit einer haushohen Mehrheit von 104 zu 60 Stimmen
verworfen worden, womit der Nationalrat ein Zeichen für die Öffnung gesetzt hätte.192
Ein Politiker, welcher sich während des gesamten politischen Prozess wiederholt als
entschiedener Gegner der Atalanta-Vorlage hervortat, war Ullrich Schlüer von der
Schweizerischen Volkspartei. Schlüer meldete sich in jener letzten Debatte des
Nationalrats nochmals zu Wort und warf den Einsatzbefürwortern in den Reihen der
Sozialdemokraten vor, sie wollten sich – blindlings ihrer Anführerin Micheline Calmy-
Rey folgend – unüberlegt in ein Kriegsabenteuer stürzen. Den ebenfalls
befürwortenden Mitteparteien warf er vor, sie würden Helferdienste dazu leisten,
dass eine Volksbefragung zur Atalanta-Beteiligung der Schweiz umgangen werden
könnte.193 In Anspielung auf die im Jahr 2001 vom Schweizer Stimmvolk
angenommene Militärgesetzrevision194 kritisierte Schlüer, es sei damals hinsichtlich
bewaffneter Auslandeinsätzen nie die Rede von Piratenjagd im Indischen Ozean
gewesen; vielmehr von einer Bewaffnung zum Selbstschutz im Rahmen gesetzlich
vorgesehener Auslandeinsätze des Militärs. Wenn man nun plötzlich in einer
weltpolitisch umstrittenen Region wie dem Indischen Ozean Einsätze auf
Kriegsschiffen fahren wolle, müsse das Volk dazu befragt werden. Die Vorlage sei
insgesamt unüberlegt und nicht durchdacht und somit abzulehnen.195
192
Vgl. Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat. Herbstsession 2009,
Nationalratssitzung vom 24. September 2009, 1761-1767, in: http://www.parlament.ch/ab/
frameset/d/n/4811/310868/d_n_4811 _310868_310942.htm (2. Mai 2012). 1761-1762. 193
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 24. September 2009, 1764. 194
Vgl. Netzwerk Schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitik (SSN) der ETH Zürich, Chronologie zur
Schweizer Sicherheitspolitik, in: http://www.ssn.ethz.ch/Aktuell/Chronologie-zur-Schweizer-
Sicherheitspolitik/?fecvnodeid=133735&dom=28&fecvid=120&lng=de&ord364=Grp1&v120=133745&
click414=133745 (3. Mai 2012). 195
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 24. September 2009, 1764.
86
Ursula Haller von der Bürgerlich-Demokratischen Partei beklagte, dass sich einmal
mehr eine sogenannt unheilige Allianz zwischen Parteien abzeichne, welche jenes
„Geschäft“ aus ganz unterschiedlichen Gründen ablehnen würden: Auf der einen
Seite diejenigen, welche die Rechtsgrundlage in Frage stellten und grundsätzliche
Bedenken gegen Auslandeinsätze der Armee ins Feld führen würden, auf der
anderen Seite jene, welche generell gegen die Armee seien und deshalb Atalanta
ablehnen würden. Haller betonte zudem nochmals die Wichtigkeit von sicheren
Seewegen für die Schweizer Wirtschaft und forderte den Rat zur Annahme des
„Atalanta-Geschäfts“ auf.196
Bundesrat Ueli Maurer plädierte zum Schluss der Debatte ein letztes Mal als
Bundesrat für die Annahme der Vorlage: Wenn man sich beteiligen wolle, müsse dies
jetzt geschehen, da das Mandat für den Einsatz 2010 auslaufe. Die Schweiz würde
in der internationalen Völkergemeinschaft ins Zwielicht geraten wenn der vom Bund
beschlossene Einsatz nun vom Parlament abgelehnt würde. Die oft als Kritik am
Einsatz aufgeführte Infragestellung der adäquaten militärischen Mittel für einen
solchen Einsatz sei überdies unangebracht; die Fähigkeiten des AAD 10 stünden
ausser Diskussion. Abschliessend betonte Maurer nochmals, es brauche eine
Grundsatzdiskussion darüber, welche Art von Auslandeinsätzen von der Armee
durchgeführt werden könnten, damit nicht über jeden Einsatz von 15 Soldaten eine
einjährige Diskussion geführt werden müsse. Wenn die Armee in Sachen
Auslandeinsätze generell flexibler sein solle, brauche es dafür auch eine solide
politische Mehrheit.
Der Nationalrat lehnte die Beteiligung an Operation Atalanta ein zweites Mal und
somit definitiv mit 102 zu 81 Stimmen bei 10 Enthaltungen ab.197 Den Ursachen und
näheren Umständen der Ablehnung widmet sich das nächste Kapitel.
196
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 24. September 2009, 1765-1766. 197
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 24. September 2009, 1766-1767.
87
3.5.5 Die Umstände der Ablehnung – eine erste Einor dnung
Während des gesamten politischen Prozesses in Zusammenhang mit dem
Bundesbeschluss über eine Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR taten sich die
Schweizerische Volkspartei sowie die Grüne Partei Schweiz als deren vehementeste
Gegner hervor.
Im Ständerat, der den Atalanta-Einsatz zweimal klar befürwortete, gab es in der 48.
Legislaturperiode (2007-2011) eine klare Mehrheit der bürgerlichen Parteien FDP
und CVP. Die Sitzstärke jener einsatzbefürwortenden Parteifraktionen lag bei 12
(FDP) respektive 16 (CVP). Dies gegenüber 8 SVP- und 2 Sitzen der Grünen Partei.
Die Befürwortung von EU-NAVFOR Atalanta kam im Ständerat primär aufgrund der
auf Seiten der bürgerlichen Parteien stehenden Kräfteverhältnisse zu Stande. Anders
die Verhältnisse im Nationalrat: Mit 61 Sitzen verfügte die SVP dort zwischen 2007
und 2011 mit Abstand über die grösste Fraktion. Die Grüne Partei hatte damals 22
Sitze im Nationalrat, womit die Atalanta-Gegner zusammen auf 83 Volksvertreter
kamen. Die überwiegend Befürwortenden CVP, FDP und BDP kamen gemeinsam
auf 75 Sitze.198 Eine Darstellung der politischen Kräfteverhältnisse in National- und
Ständerat während der 48. Legislaturperiode (2007-2011) findet sich unter Anhang 4.
Das Zünglein an der Waage bei den eher knappen Abstimmungen im Nationalrat
spielte vor allem die in der Atalanta-Frage in sich selbst gespaltene
Sozialdemokratische Partei; zusätzlich gab es einige wenige Atalanta-Gegner in den
Reihen der CVP und der FDP. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen gestaltete
sich folgedermassen: Die Schweizerische Volkspartei stimmte bei beiden
Nationalratsentscheiden zu Atalanta mit ausserordentlicher Parteidisziplin
geschlossen Nein. Die Grüne Partei lehnte den Einsatz in ähnlicher Weise bei beiden
Nationalratsentscheiden mit 21 zu 1 Stimmen eindeutig ab. Die Sozialdemokraten
stimmten in der ersten Abstimmung des Nationalrats mit 24 zu 16 Stimmen für den
Einsatz. Bei der zweiten Abstimmung stimmte die SP-Fraktion mit 23 zu 18 Stimmen
für eine Schweizer Beteiligung an der Anti-Piraten Mission der EU. Nebst den
eindeutigen Gegnern und einigen Stimmenthaltungen in den Reihen der
198
Vgl. Die Bundesversammlung - Das Schweizer Parlament, Fraktionen der 48. Legislaturperiode 2007-2011,
in: http://www.parlament.ch/D/ORGANE-MITGLIEDER/BUNDESVERSAMMLUNG/FRAKTIONEN/
FRAKTIONEN-48-LEGISLATUR/Seiten/default.aspx (7. Mai 2012).
88
Sozialdemokraten gab es auch bei CVP und FDP eine kleine Minderheit, die gegen
Atalanta stimmte oder sich der Stimmabgabe enthielt. Die Bürgerlich-Demokratische
Partei (BDP) stimmte bei beiden Nationalratsentscheiden geschlossen für Eintreten
auf den Atalanta-Bundesbeschluss. Die vollständigen Abstimmungsprotokolle der
Nationalratsdebatten vom 16. und 24. September 2012 finden sich unter Anhang 5.
Das beschriebene Abstimmungsverhalten der Nationalratsfraktionen führte
schlussendlich zu einem Schlussresultat von 103 zu 84 Stimmen (Abstimmung vom
16. September 2009) respektive 102 zu 81 Stimmen (Abstimmung vom 24.
September 2009), welche sich gegen eine Beteiligung an Atalanta aussprachen und
somit den betreffenden Bundesbeschluss verhinderten.199 Hätten CVP und FDP
geschlossen für eine Beteiligung gestimmt und wäre die SP einer (zustimmenden)
Meinung gewesen, so hätte ein Einsatz von Schweizer Armeekräften im Rahmen von
EU-NAVFOR Atalanta zustande kommen können. Zu erwähnen ist im Kontext dieser
Arbeit, dass die SVP während dem politischen Prozess betreffend Operation Atalanta
eine parlamentarische Initiative eingereicht hatte, welche den generellen Verzicht
von Auslandeinsätzen der Armee forderte. Die Initiative wurde allerdings mit 104 zu
60 Stimmen verworfen.200 Jener Entscheid lässt darauf schliessen, dass eine
Mehrheit der politischen Fraktionen nicht am generellen Nutzen und der
Notwendigkeit einer Armee zweifelt(e), die in bestimmten Fällen im Ausland
eingesetzt werden kann. In der Frage, in welchen Fällen und unter welchen
Bedingungen dies geschehen kann, herrscht allerdings bis heute ein grosses
Zerwürfnis zwischen den politischen Fraktionen.
Der Ende der Neunzigerjahre in der Ära von Bundesrat Adolf Ogi konzipierte und im
Sicherheitspolitischen Bericht 2000 festgehaltene Grundsatz „Sicherheit durch
Kooperation“ vermochte sich bisher aufgrund innenpolitischer Differenzen nicht in
Form einer breit abgestützten und realpolitisch umgesetzten Verhaltensdoktrin
durchzusetzen. In dieser Frage einen Konsens zu finden erweist sich aufgrund der
beständigen Opposition von einem Teil der politischen Linken sowie der politischen
Rechten als äusserst schwierig. Deren Argumente gegen Auslandeinsätze der
Armee oder sonstige Kooperationen mit dem Ausland differieren zwar meist
199
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009 & Amtliches Bulletin,
Nationalratssitzung vom 24. September 2009. 200
Vgl. Nuspliger, Kurzer Prozess mit « Atalanta ».
89
fundamental voneinander, sorgen aber nichtsdestotrotz für eine Blockade in jenem
Bereich.201 Auch das im Jahr 2005 vom Bundesrat formulierte Ziel einer umfassend
verstandenen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, bei der friedensfördernde
Aktionen im Ausland eine grosse Rolle spielen sollen, scheiterte bis anhin an
innenpolitischen Differenzen.202
Die Umstände und die Gründe für die Ablehnung der militärischen Beteiligung an
Operation Atalanta können als sinnbildlich für die politische Uneinigkeit respektive
Blockade in jenem Bereich der internationalen Kooperation betrachtet werden. Die
Gegner der Atalanta-Vorlage argumentierten in den Kommissionsitzungen und
Ratsdebatten auf sehr unterschiedlichen Ebenen: Wiederholt wurde die
Rechtmässigkeit des Einsatzes in Frage gestellt, Bedenken einsatztechnischer Natur
geäussert oder der Nutzen der Operation an sich in Frage gestellt. Hinter diesen
Argumenten standen jedoch meist grundsätzliche ideologische Beweggründe,
welche wiederholt direkt oder indirekt geäussert wurden. In den Reihen der Grünen
Partei und eines Teils der SP waren im Fall Atalanta u.a. pazifistische Motive für
deren ablehnende Haltung verantwortlich. Jene pazifistisch eingestellten Kreise
vertreten allgemein eine kritische Haltung gegenüber Auslandeinsätzen der Armee
und in den meisten Fällen gegenüber der Armee an sich.
Die SVP vertritt im Bereich der Sicherheitspolitik und der internationalen
Zusammenarbeit seit je her einen isolationistischen Kurs. In ihren
Medienmitteilungen und anlässlich von Debatten argumentierten Vertreter der
Schweizerischen Volkspartei mehrmals, eine Schweizer Beteiligung an Operation
Atalanta stelle eine Verletzung der Neutralität dar und stelle die Souveränität der
Schweiz in Frage. Bei der Frage, welche Art aussenpolitischen Handelns mit der
Neutralität vereinbar ist, geht es um die Interpretation jener aussen- uns
sicherheitspolitischen Doktrin, welche die Schweizer Politik seit mehr als einem
Jahrhundert entscheidend prägt.
Auch Atalanta-Gegner aus dem linken Lager bezogen sich in ihren Voten anlässlich
von Kommissions- und Parlamentssitzungen zur Atalanta-Vorlage auf die neutrale 201
Vgl. Zeller, Der Schweizer Kooperationswille zerschellt an „Atalanta, 23. 202
Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.) Auslandeinsätze der Armee: Stand und Optionen, in:
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 67 (2010), http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-
67.pdf (25. Juni 2012).
90
Stellung der Schweiz. Kapitel 4 beinhaltet aus diesem Grund eine allgemeine
Abhandlung über das Konzept der Neutralität wie auch einen Einblick über die
Neutralität in der Geschichte der Schweiz. Ferner wird auf die Auslegung der
Neutralität seitens der Rechtskonservativen eingegangen; handelte es sich doch um
ein wichtiges ideologisches Motiv für deren Ablehnung des Atalanta-Einsatzes. Auf
die bei den Gegnern der Atalanta-Vorlage auf linker Seite zum Ausdruck gekommene
pazifistische Haltung und weitere ideologische Motive wird ebenfalls in Form eines
Unterkapitels eingegangen.
91
4. Vertiefte A nalyse der ideologischen Hintergründe der Atalanta-Gegner 4.1 Das politische Konzept der Neutralität
4.1.1 Entstehung und Grundsätze
Das Konzept der Neutralität fand bereits im 16. Jahrhundert Eingang in das
Völkerrecht. Hugo Grotius behandelte 1625 das Recht der Neutralität unter dem Titel
„De his qui in bello medii sunt“. Jene Abhandlung fand dazumal noch im Sinne der
Idee von einem „bellum iustum“ – einem gerechten Krieges statt.203 Da jene
Vorstellung eines gerechten Krieges längst überholt ist, soll hier auf moderne
Auffassungen von Neutralität eingegangen werden: Neutralität kann im Allgemeinen
als „Rechtsstatus eines Staates der nicht am Krieg anderer Staaten teilnimmt“
umschrieben werden (Schaub, 1995).204 Etwas ausführlicher der Völkerrechts-
professor Dietrich Schindler: „Neutralität eines Staates bedeutet die Nichtteilnahme
an bewaffneten Konflikten und den Verzicht auf militärische Unterstützung von
Kriegsführenden“.205
Im Fall der Schweiz geht die vertraglich festgelegte und völkerrechtlich anerkannte
Neutralität auf den Wiener Kongress vom 20. März 1815 zurück. Auf dem Wiener
Kongress versuchten die damaligen europäischen Grossmächte unter anderem, in
Europa eine neue und dauernde Friedensordnung zu schaffen. Der Wiener Kongress
und der Vertrag von Paris vom 20. November 1815 sprachen der Schweiz „die
förmliche und rechtskräftige Anerkennung der immerwährenden Neutralität“ zu.
Diese liege „im wahren Interesse aller europäischen Staaten“.206 Die allgemeine
moderne, völkerrechtliche Verankerung der Neutralität geht auf das Haager
Abkommen vom 18. Oktober 1907, betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen
Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs, zurück. Das Abkommen wurde
auch von der Schweiz ratifiziert und erhielt erstmals während des ersten Weltkriegs
203
Vgl. Schaub, Neutralität und Kollektive Sicherheit, 3-4. 204
Schaub, Neutralität und Kollektive Sicherheit, 4. 205
Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 126. 206
Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 128.
92
praktische Relevanz. Das Haager Neutralitätsrecht gilt bis heute und umfasst im
Wesentlichen folgende Rechte und Pflichten:
• Das Recht auf die Nichtteilnahme an Kriegen sowie das Recht auf
Unversehrtheit der staatlichen Souveränität. Das Recht auf Freihandel,
welches bedeutet, dass Private mit allen Kriegsparteien unbeschränkt
Handel treiben dürfen, auch mit privatem Kriegsmaterial.
• Die Enthaltungspflicht: Staatliche Truppen, Kriegsmaterial und Kredite dürfen
nicht an kriegsführende Mächte vergeben werden. Ebenso enthalten ist die
sogenannte Verhinderungspflicht: Neutrale Staaten sind dazu verpflichtet, ihr
Territorium an Land, in der Luft und auf See zu schützen. Dies im Sinne
Kriegsparteien davon abzuhalten, die Ressourcen und das Territorium zu
ihren Zwecken zu verwenden. Ferner gibt es eine Duldungspflicht, die
neutrale Staaten dazu verpflichtet, Handelskontrollen und ggf.
Beschlagnahmungen von Frachtgut durch kriegsführende Parteien
zuzulassen, wenn diese zur Versorgung einer anderen kriegsführenden
Partei dienen.
Beim Handel mit Kriegsparteien durch Private gibt es zudem eine
Gleichbehandlungspflicht; das heisst, dass vom Staat erlassene Handels-
beschränkungen gleichsam auf alle Handelstreibenden anwendet werden. Bis heute
ist allerdings das Ausmass jener Gleichbehandlungspflicht umstritten, wie auch die
Frage, welche Waren durch sie erfasst werden bzw. für welche Art von Waren
Beschränkungen erlassen werden.207 In der Schweiz gibt es eine fortwährende
politische Kontroverse zum Thema des Rüstungsgüterexports bzw. in der Frage, an
welche Staaten solche Güter exportiert werden dürfen.
Ein weiterer Gesichtspunkt bei der Ausgestaltung der neutralen Stellung eines
Staates betrifft den zeitlichen Aspekt: Man unterscheidet hierbei zwischen
gewöhnlicher und dauernder Neutralität. Von gewöhnlicher (auch okkasioneller oder
temporärer) Neutralität ist die Rede, wenn sich ein Staat erst bei Ausbruch oder im
Verlauf eines Krieges zwischen anderen Staaten zu einer neutralen Haltung
entscheidet. Von dauernder (auch immerwährender) Neutralität spricht man
demgegenüber, wenn sich ein Staat dazu verpflichtet, sich in allen künftigen
207
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 53-54.
93
Konflikten neutral zu verhalten. Laut herrschender Meinung und dem Völkerrecht
beinhaltet dauernde Neutralität auch in Friedenszeiten die Pflicht, keine
Militärallianzen einzugehen.208 Ein äusserst wichtiges Element spielt dabei die
Glaubwürdigkeit: Will sich ein Staat langfristig auf den Status der dauernden
Neutralität festlegen, so muss der betreffende Staat der ihm gegenüber dadurch
entstandenen Erwartungshaltung bereits in Friedenszeiten nachkommen. Der
betreffende Staat kann sein Verhalten nicht erst unmittelbar im Falle eines
bevorstehenden Konflikts neu beurteilen. Der dauernd Neutrale muss in der Folge
eine langfristige Neutralitätspolitik verfolgen, welche bestimmte Neutralitäts-
verpflichtungen beinhaltet. Das Ausmass der Glaubwürdigkeit, welche einem
dauernd neutralen Staat entgegengebracht wird, hängt dabei davon ab, inwieweit
sich der betreffende Staat an seine selbst auferlegten Pflichten hält. Politisch
gesehen kann Glaubwürdigkeit dieser Art äusserst labil sein: Ihr Aufbau dauert
meistens lange, zerstört ist sie hingegen schnell.209
Weitere Fragen stellen sich in Hinsicht darauf, wie die dauernde Neutralität im Detail
verstanden und interpretiert wird bzw. was ein solcher Status erlaubt und was er
untersagt. Fraglich ist in diesem Punkt, ob ein Beitritt zu einer politischen Union wie
beispielsweise der EU mit einhergehenden Solidaritäts- und Loyalitätsverpflichtungen
den Ansprüchen an eine dauernde Neutralitätspolitik noch genügen kann.210 Im Fall
von Staaten, die das Neutralitätsrecht in seinem vollen Umfang anwenden, spricht
man von absoluter oder integraler Neutralität. Anders Staaten, welche zwar nicht an
Kriegen teilnehmen, jedoch eine Partei begünstigen oder benachteiligen. Man spricht
in einem solchen Fall von einer differentiellen Neutralität. Nach jenem Konzept ist in
bestimmten Fällen die Teilnahme an wirtschaftlichen (nicht aber militärischen!)
Sanktionen eines Systems kollektiver Sicherheit gegenüber anderen Staaten mit der
Neutralität vereinbar. In diesem Sinne kann auch von einer flexiblen Neutralität die
Rede sein. Ein Beispiel aus der Praxis liefert dazu die Schweiz mit ihrem dauernden
Neutralitätsstatus211:
208
Vgl. Schaub, Neutralität und Kollektive Sicherheit, 7-8. 209
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 59-60. 210
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 60. 211
Vgl. Schaub, Neutralität und Kollektive Sicherheit, 8-9.
94
Als 1991 der Irak völkerrechtswidrig Kuwait besetzte, schloss sich der Bundesrat
ohne Zögern den Wirtschaftssanktionen der Vereinten Nationen gegen den Irak an.
Das Verhalten der Schweiz bei der Militäroperation der NATO gegen Serbien im Jahr
1999 war hingegen differenziert: Die NATO-Operation war zwar als humanitärer
Kriegseinsatz deklariert, fand jedoch ohne UNO-Mandat statt und war völkerrechtlich
umstritten. Unter Berufung auf die Neutralität bewilligte die Schweiz keine Überflüge
von NATO-Flugzeugen, die an Kampfeinsätzen teilnahmen. Überflüge zu
humanitären Zwecken wurden erlaubt. Zusätzlich beteiligte sich die Schweiz am
Waffenembargo der UNO und an den meisten Sanktionen der Europäischen Union
gegenüber Serbien. Mit der Beteiligung an jenen EU-Zwangsmassnahmen erliess die
Schweiz erstmals Wirtschaftssanktionen, ohne dass ein entsprechender Beschluss
des UNO-Sicherheitsrats vorlag.212
Jene angesprochenen Fälle der neutralen Schweiz zeigen, dass bei der
Interpretation von Neutralität einiges an Spielraum besteht. Als gemeinhin verbrieft
gilt, dass neutrale Staaten mit langer (und konsequenter) Tradition eher damit
rechnen können, in ihrer Stellung wahrgenommen und respektiert zu werden. Zur
Tradition solcher Staaten gehört oft auch die Bereitstellung Guter Dienste, die sowohl
als Ausdruck wie auch als Verpflichtung staatlicher Neutralität gesehen werden
kann.213 Vertraglich festgelegte Normen, welche die dauernde Neutralität
umschreiben (bspw. im Haager Abkommen), gibt es nicht. Die Rechtsgrundlage für
jenen spezifischen Neutralitätsstatus entspricht deswegen dem Völkergewohnheits-
recht, was bedeutet, dass jener Status auf dem „vertrauensvollen Erwarten Dritter“
fundiert. Es ist dies eine Art von Vertrauen, welches den Neutralitätsverpflichtungen
eines Staates und vor allem deren Einhaltung entgegengebracht wird. In der Literatur
werden Österreich, die Schweiz und der Vatikanische Staat als dauernd neutrale
Staaten aufgeführt.214 Daneben gibt es eine Reihe weiterer Staaten, welche eine
neutrale Aussenpolitik verfolgen oder sich als bündnisfrei bezeichnen. Inwieweit sich
jene Staaten auch an die Grundsätze des Haager Neutralitätsrechts halten variiert
indes stark.
212
Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 130. 213
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 60. 214
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 56.
95
Die Neutralität der Schweiz wurde verschiedentlich bereits angesprochen, dies nicht
zuletzt auch deswegen, weil die Eidgenossenschaft oftmals als eine Art Inbegriff
eines neutralen Staates wahrgenommen wird. Das folgende Kapitel erläutert in
ergänzender Weise zum vorhergehenden die Besonderheiten und die Rolle der
Neutralität in der Geschichte der Schweiz. Die allgemeine Schweizer Aussenpolitik
war seit der Gründung des Bundesstaats mit dem Konzept der Neutralität verbunden.
Das folgende Kapitel zur Neutralitätsgeschichte der Schweiz beinhaltet demzufolge
auch einen Einblick in die Entwicklung und Geschichte schweizerischer
Aussenpolitik.
4.1.2 Die Neutralität in der Geschichte der Schweiz
Bevor die Schweiz im Jahr 1815 als Folge des Wiener Kongresses und des Vertrags
von Paris einen neutralen Status zugesprochen bekam, beteiligten sich Schweizer
Truppen direkt oder indirekt als Söldner im Dienste fremder Mächte an einer Vielzahl
von bewaffneten Konflikten in Europa.215 Als ein erster wichtiger Wendepunkt in der
Aussenpolitik der alten Eidgenossenschaft gilt die Schlacht von Marignano, welche
1515 vor den Toren Mailands stattfand. Das zu jener Zeit noch lockere Bündnis
eidgenössischer Kantone erlitt dabei im Kampf um das Herzogtum Mailand eine
empfindliche Niederlage gegen Frankreich und Venedig. Jene Niederlage wird
insofern von einer Reihe von Historikern als Wendepunkt betrachtet, weil sie der mit
kriegerischen Auseinandersetzungen einhergehenden Phase eidgenössischer
Expansionspolitik ein Ende setzte. Mit wenigen kleineren Ausnahmen hielt sich die
alte Eidgenossenschaft danach aus den grossen europäischen Konflikten raus, wie
zum Beispiel im Jahr 1674, als sich die eidgenössische Tagsatzung angesichts des
Krieges zwischen Holland und Frankreich zum neutralen Stand erklärte.216
Ausschlaggebend dafür, dass sich die Schweiz bereits vor der offiziellen
völkerrechtlichen Anerkennung ihrer Neutralität im Jahr 1815 in Konflikten meist
neutral verhielt, waren nebst militärischen Niederlagen auch innere
Spaltungstendenzen (v.a. aufgrund der Reformation) wie auch durch die
Söldnerdienste für fremde Mächte erfahrene Verluste, welche den inneren
215
Vgl. Auf der Maur Jost, Immer zu Diensten, in: Zeit Online, 25. August 2011,
http://www.zeit.de/2011/35/CH-Soeldnertum (18. Mai 2012). 216
Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 127.
96
Zusammenhalt und die militärische Schlagkraft schwächten.217 Der Autor und
Experte für Schweizer Söldnertum Jost auf der Maur sieht andererseits den während
Jahrhunderten andauernden Solddienst für fremde Machthaber ebenso als Grund
dafür, dass die Schweiz bereits vor ihrem offiziell neutralen Status von vielen
kriegerischen Auseinandersetzungen verschont blieb: Die mit den ausländischen
Mächten geschlossenen Soldverträge beinhalteten regelmässig die Garantie, dass
Schweizer Truppen bei eigenem Bedarf zurückgerufen werden können. Es lag
deswegen im Interesse jener Mächte, die Schweiz aus bewaffneten Konflikten
herauszuhalten; sie hätten sich sonst selbst militärisch geschwächt.218
Nebst den Solddiensten schlossen die Eidgenossenschaft oder einzelne Orte auch
Defensivbündnisse mit ausländischen Mächten ab, welche dem heutigen
Verständnis von Neutralität widersprechen. Während der französischen Besatzung
zwischen 1798 und 1814 wurde der schweizerischen Eidgenossenschaft ein
Militärbündnis mit Frankreich aufgezwungen. Die Neutralität musste in der Folge
aufgegeben werden, die Schweiz wurde zum Kriegsschauplatz und militärischen
Durchmarschgebiet. Durch die Niederlage Frankreichs unter Napoleon von 1814 und
den darauffolgenden Wiener Kongress erhielt die Schweiz 1815 ihre staatliche
Souveränität zurück. Wie bereits erwähnt erhielt die Schweiz durch den Wiener
Kongress ebenfalls die völkerrechtliche Anerkennung ihrer immerwährenden
Neutralität. Für den 1848 gegründeten Schweizer Bundesstaat besass jener
verfestigte neutrale Status einen durchaus integrierenden und identitätsstiftenden
Charakter.219 Bei der Gründung des Bundestaates verzichtete man aber bewusst
darauf, die Neutralität als rechtliche Verpflichtung in die neue Bundesverfassung
aufzunehmen. Die Tagsatzung hielt fest, die Neutralität sei kein konstitutioneller
Grundsatz, sondern ein Mittel zum Zweck, welches die Unabhängigkeit der Schweiz
sichern soll. Die Eidgenossenschaft müsse sich das Recht vorbehalten, unter
217
Vgl. De Weck Hervé, Marignano, Schlacht von, in : Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D8896.php (21. Mai 2012). 218
Vgl. Auf der Maur Jost, Immer zu Diensten, in: Zeit Online, 25. August 2011,
http://www.zeit.de/2011/35/CH-Soeldnertum (18. Mai 2012). 219
Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012).
97
Umständen im Interesse der eigenen Selbständigkeit die Neutralität verlassen zu
können.220
Die „Behauptung der Neutralität“ war demgegenüber in den Kompetenzartikeln der
Bundesversammlung und des Bundesrats enthalten. Zur Stärkung der neutralen
Unabhängigkeitspolitik verbot die Bundesverfassung den Kantonen, Bündnisse mit
ausländischen Mächten einzugehen. 1859 wurden zudem fremde Solddienste
verboten. Aus dem deutsch-französischen Krieg (1870-71) konnte sich die Schweiz
erfolgreich heraushalten. Indem die Schweiz während jenes Krieges die Grenzen
besetzte, zeigte sie demonstrativ Verteidigungsbereitschaft. Mit ihrer geografischen
Lage inmitten der Grossmächte Italien, Frankreich und Deutschland und der
Kontrolle über geostrategisch wichtige Nord-Süd-Verbindungen über die Alpen erhielt
die Schweiz nach und nach eine gewisse Gleichgewichtsfunktion in Zentraleuropa:
Sofern die Schweiz willens und fähig war, ihre Neutralität auf Dauer zu bewahren,
das heisst keine fremden Mächte zu unterstützen sowie die Errichtung von
Stützpunkten oder den Durchmarsch fremder Truppen durch ihr Territorium zu
verhindern, galt sie als berechenbares und stabilisierendes Element für das
geostrategische Gleichgewicht Europas.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich auch die Rolle der Schweiz
als Vermittler und Bereitsteller von (Guten) Diensten im Sinne der Friedensförderung
und dem Schutz der Zivilbevölkerung zu entwickeln: Im Jahr 1864 berief die Schweiz
eine Staatenkonferenz in Genf ein, welche den Grundstein für die Genfer
Konventionen und das humanitäre Kriegsvölkerrecht legte. Während des deutsch-
französischen Kriegs sorgte eine Schweizer Delegation für die Evakuierung der
Zivilbevölkerung des belagerten Strasbourgs. Ab 1870 anerbot sich die Schweiz als
Schutzmacht für die diplomatischen Interessen kriegsführender Staaten und ihrer
Angehörigen. Zusätzlichen zu diesen und weiteren Diensten profilierte sich die
Eidgenossenschaft auch als Austragungsort internationaler Konferenzen und Sitz
internationaler Organisationen wie dem Roten Kreuz. Jene Periode der Verfestigung
220
Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 128.
98
der Neutralität im 19. Jahrhundert fand ihre endgültige rechtliche Verankerung
letztlich im Haager Abkommen von 1907.221
Zusätzlich zu den im vorherigen Kapitel erläuterten rechtlichen Verpflichtungen, zu
welchen sich die Schweiz mit der Ratifizierung des Haager Abkommens verpflichtet
hatte, bekannte sie sich zu einer freiwilligen (integralen) Neutralitätspolitik mit den
folgenden Grundgeboten und Elementen:
• Rüstungsgebot: Die Schweizer Neutralität ist bewaffnet. Im Fall eines Angriffs
dient die Armee der Selbstverteidigung, im besten Falle soll sie mögliche
Angriffe im vornherein abschrecken.
• Bündnisverbot: Sowohl in Kriegs- wie auch in Friedenszeiten dürfen keine
militärischen Bündnisse eingegangen werden oder Stützpunkte ausländischer
Armeen auf Schweizer Territorium errichtet werden.
• Sanktionsverbot: Es dürfen keine Wirtschaftssanktionen gegenüber anderen
Staaten beschlossen werden. (Wird von der Schweiz heute pragmatisch
gehandhabt)
• Disponibilitätsgebot: Bereitstellung der „Guten Dienste“222
Die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts stellten allgemein eine immense
Herausforderung für die Umsetzung der schweizerischen Neutralitätspolitik und die
Behauptung der territorialen Souveränität dar. Während dem ersten Weltkrieg (1914-
1918) nahm die Neutralität eine wichtige Rolle für den inneren Zusammenhalt der
Schweiz ein: In der Anfangsphase des Krieges richteten sich die Sympathien vieler
Deutschschweizer nach Deutschland, jene der Westschweizer mehrheitlich nach
Frankreich; die Neutralität vermochte demgegenüber eine gemeinsame Identität zu
stiften. Die Schweiz vermochte ihren neutralen Status gegen aussen jedoch nicht in
allen Belangen zu behaupten. So wurde sie beispielsweise in den Wirtschaftskrieg
zwischen den Zentralmächten und der Entente involviert, indem sie eine
Treuhandstelle zur Überwachung des Warenverkehrs akzeptieren musste. Diese
kontrollierte, dass Waren der Zentralmächte nicht über die Schweiz an die Entente
gelangten. Jene Kontrollstelle stellte eine Verletzung der in den Haager
Konventionen festgelegten Freihandelsrechte der Neutralen dar. Nebst einigen
221
Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012). 222
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 56.
99
weiteren Ungereimtheiten schaffte es die Schweiz, sich aus dem verheerenden Krieg
herauszuhalten. Das wichtige Element der „Guten Dienste“ stellte die Schweiz
während des Krieges ebenfalls verschiedenen Ländern zur Verfügung, indem sie u.a.
25 Mandate für die Vertretung der diplomatischen Interessen anderer Länder
wahrnahm.223
Nach Ende des ersten Weltkriegs befand sich die Schweizer Neutralitätspolitik in
Bedrängnis: Die Gründung des Völkerbunds stellte ein System kollektiver Sicherheit
in Aussicht, welches eine Neutralitätseinbusse als akzeptabel erscheinen liess. Das
solidarische Mittragen von Sanktionen gegen Rechtsbrecher stellte dabei eine
Voraussetzung für die Teilnahme am Bund dar.224 Im Jahr 1920 trat die Schweiz dem
Völkerbund bei, dessen Hauptsitz bis zu dessen Auflösung 1946 in Genf lag. Der
Völkerbund gilt als indirekter Vorgänger der Vereinten Nationen (UNO).225 Der Beitritt
kam durch eine knappe Volksmehrheit sowie ein knappes Ständemehr zu Stande.
Durch den Beitritt zum Völkerbund hatte die Schweiz vorübergehend den offiziellen
Status eines Staates mit differentieller Neutralität inne, da sie sich an den
Wirtschaftssanktionen des Völkerbunds beteiligte. Die späteren Achsenmächte
Italien, Deutschland und Japan traten im Verlauf der 1930er Jahre aus dem
Völkerbund aus. Die Schweiz kehrte aufgrund des sich abzeichnenden
Ungleichgewichts hinsichtlich der politischen Repräsentation im Völkerbund mit
dessen Billigung zur integralen Neutralität zurück.226
Mit dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs im Jahr 1939 wurde das Scheitern des
Völkerbunds offensichtlich, die Grossmächte schauten der Aggressionspolitik des
nationalsozialistischen Deutschlands lange Zeit tatenlos zu. Die Schweiz vertrat
gegenüber den Kriegsparteien offiziell eine neutrale Haltung und liess zur Sicherung
ihrer territorialen Integrität die Armee an den Landesgrenzen in Stellung gehen.227
Der drohenden Kriegsgefahr wegen wurde die Bevölkerung auf die bewaffnete
Neutralität eingeschworen, was deren integrative und identitätsstiftende Funktion
223
Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012). 224
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 178. 225
Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 128. 226
Vgl. Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012). 227
Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 129.
100
verstärken sollte und es auch tat.228 Entgegen den Verpflichtungen, welche das
Neutralitätsrecht und die offizielle deklarierte Neutralitätspolitik der Schweiz mit sich
brachten, verletzte die Schweiz während dem zweiten Weltkrieg eine Reihe von
Wirtschafts- und Handelsrestriktionen, welche das Haager Abkommen für neutrale
Staaten vorsieht. So nahmen Schweizer Banken beispielweise Gold der deutschen
Reichsbank entgegen, dessen Herkunft von der Schweiz oft alles andere als
sorgfältig überprüft wurde. In den 90er Jahren kam es nach der Aufdeckung jener
Machenschaften zum Skandal um die nachrichtenlosen Vermögen: Auf Schweizer
Banken lagen während und nach dem zweiten Weltkrieg zahllose Vermögenswerte
meist jüdischer Opfer des Nationalsozialistischen Regimes, welche bis zur
Aufdeckung des Skandals nicht an die Hinterbliebenen zurückerstattet wurden.229
Eine weitere Verletzung des Neutralitätsrechts durch die Schweiz fand statt, indem
Kriegsmaterial an Deutschland und Italien geliefert und selbigen Ländern zusätzlich
Staatskredite gewährt wurden. Es gab während des zweiten Weltkriegs eine Reihe
weiterer Verstösse, auf die hier allerdings nicht näher eingegangen werden soll. Auf
der anderen Seite gab es auch eine Reihe von Verletzungen der Schweizer
Neutralität durch die kriegsführenden Parteien; der Schweizer Luftraum
beispielsweise wurde von diesen mehrmals verletzt, die USA erzwangen gegen
Kriegsende den Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland, was ebenfalls
dem Neutralitätsrecht widersprach. Nebst zweifelhafter Machenschaften während
des zweiten Weltkriegs leistete die Schweiz in den Kriegsjahren eine Reihe Guter
Dienste: Unter anderen vertrat die Schweiz 319 diplomatische Einzelmandate für 39
verschiedene Länder, gewährte 60‘000 Flüchtlingen Zuflucht (sehr umstritten ob
ausreichend, viele Flüchtlinge wurden auch zurückgewiesen); das internationale Rote
Kreuz beschäftigte ausserdem um die 4000 Personen, welche Kriegsgefangene
betreuten und bei der Suche nach Vermissten halfen.230
In der Zeit des alsbald auf das Ende des zweiten Weltkriegs folgenden Ost-West-
Gegensatzes, der sich bald zu einem Kalten Krieg zwischen der westlich-
kapitalistischen und der östlich-sozialistischen Einflusssphäre wandelte, verschrieb
228
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 179. 229
Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 129. 230
Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012).
101
sich die Schweiz einer restriktiven Neutralitätspolitik, die oftmals mit einer
aussenpolitischen Selbstbeschränkung einher ging.231 In den Jahren 1945/46, kurz
nach Ende des zweiten Weltkriegs, hatten die neutralen Staaten einen schweren
Stand: Sowohl die USA wie auch die UDSSR rügten die Schweiz aufgrund ihres
Abseitsstehens bei der Gestaltung einer Nachkriegsordnung, zu deren wichtigsten
Bestandteilen die Gründung der Vereinten Nationen gehörte. Auch wenn die
Schweizer Bevölkerung wohl zu einem Grossteil die Ziele der UNO unterstützte teilte
sie nicht wie die Mehrzahl der europäischen Länder dieselben einschneidenden
direkten Erfahrungen mit den beiden Weltkriegen, die eine Mitgliedschaft in einer
derartigen internationalen Organisation als Notwendigkeit erschienen liess. Der
vielzitierte „Sonderfall Schweiz“ begann sich zu konstatieren. Die Schweiz wählte in
jener Zeit unter Führung des damaligen Aussenministers Max Petitpierre (1945-
1961) bewusst den aussenpolitischen Alleingang. In den Augen des Grossteils der
Schweizer Bevölkerung gelang es der Schweiz dank ihrer Neutralität und
Wehrbereitschaft, die Schrecken des zweiten Weltkriegs weitgehend unbeschadet zu
überstehen.232 Diese Ansicht wurde wiederum von Bundesrat, Parlament und Teilen
der Wirtschaft begünstigt und gefördert, indem sie die Neutralität zur quasi-
Staatsdoktrin erhoben. Fast jede aussenpolitische Herausforderung wurde an einem
überhöhten Neutralitätsbegriff gemessen; der Beitritt zur UNO, zur Europäischen
Gemeinschaft für Kohle und Stahl, sowie zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
(EWG) wurde abgelehnt. Selbst der Beitritt der Schweiz zum Europarat verzögerte
sich bis 1963.233
Die in vielen Belangen restriktive Neutralitätspolitik der Schweiz während des Kalten
Kriegs muss jedoch differenziert betrachtet werden, denn die Schweiz galt während
des Ost-West-Konflikts als „westlicher Neutraler“. Bereits 1946 hielt der damalige
britische Premierminister Winston Churchill in Zürich eine Rede, in der er das
Gewicht nicht auf die Frage lenkte, ob man neutral sei, sondern auf welcher Seite
man neutral sei.234 Ab 1951 musste die faktisch neutrale Schweiz dem
amerikanischen Druck eines Handelsboykotts gegenüber den kommunistischen
231
Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 129. 232
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 179. 233
Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012). 234
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 180.
102
Ostblockstaaten nachgeben235: Das sogenannte Hotz-Linder-Agreement blieb lange
Zeit geheim. 1973 erliess das Schweizer Parlament unter Berufung auf die Neutralität
ein Gesetz, welches die Ausfuhr von Kriegsmaterial regelte. Es verbot den Export in
Gebiete, in denen Krieg herrscht oder unmittelbar droht oder in denen systematisch
Menschenrechte verletzt werden. In der Praxis wurde jenes Gesetz nicht immer
konsequent angewandt.236 Man kann sagen, dass die Schweiz während der Zeit des
Kalten Krieges wie schon zuvor während den beiden Weltkriegen ihren neutralen
Status pragmatisch handhabte. Die Sicherheitspolitik wurde immer wieder punktuell
an die jeweilige veränderte Lage angepasst, orientierte sich aber gleichzeitig auch
klar an den Prinzipien der Neutralität und Solidarität.
In Sachen Solidarität wurde die Tradition der „Guten Dienste“ fortgeführt und
ausgebaut. Trotz einiger Widersprüche kam der Schweiz als Staat mit einer langen
Tradition der bewaffneten Neutralität in der Zeit des Ost-West Gegensatzes die
Funktion eines von beiden Konfliktparteien akzeptierten Vermittlers zu.237 Die
Schweiz führte einerseits eine Reihe wichtiger Konferenzen durch (z.b. Salt- und
Start-Verhandlungen, Indochina und Algerien-Konferenz, Gipfeltreffen zwischen
Michail Gorbatschov und Ronald Reagan). Andererseits übernahm sie als
Schutzmacht unter anderem die Vertretung der Interessen der USA in Kuba und
später auch im Iran (Die Diplomatischen Kontakte zwischen jenen Ländern wurden
zuvor abgebrochen). Bei friedensfördernden Operationen der Vereinten Nationen
beschränkte sich die Schweiz auf materielle Hilfeleistungen.238
Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 und der Auflösung der Sowjetunion
1991 veränderte sich die Weltlage grundlegend und somit auch die Ausgangslage für
die Gestaltung der schweizerischen Aussenpolitik. Damit verband sich auch die
Frage nach der künftigen Funktion der Neutralität, bzw. die Frage nach einer
Anpassung der Neutralitätspolitik. Der Bundesrat hielt grundsätzlich an der
Neutralität fest, wollte sich aber mehr Bewegungsspielraum für seine Politik schaffen.
Mit dem am 1. Oktober 1990 veröffentlichten Sicherheitspolitischen Bericht 90
235
Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 129-130. 236
Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012). 237
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 180. 238
Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012).
103
reagierte der Bundesrat überraschend schnell auf die veränderte globale
Ausgangslage. Jener Bericht hält fest, dass sich die Neutralität als aussenpolitische
Maxime der Schweiz bewährt hat. Er sagt aber auch, diese solle kein Ziel der
schweizerischen Aussenpolitik darstellen, sondern eines unter mehreren Mitteln zur
Verwirklichung der aussenpolitischen Ziele. Die Neutralitätspolitik müsse demzufolge
ständig auf ihre Zweckmässigkeit überprüft werden und gegebenenfalls angepasst
werden. Ebenso fanden sich im Sicherheitspolitischen Bericht 90 erste Ansätze für
eine umfassende Sicherheitspolitik, welche u.a. Friedensförderung im internationalen
Rahmen in Ergänzung zu der bisher verfolgten militärischen Landesverteidigung im
klassischen Sinn ins Auge fasste.239
Es folgten in den Neunzigerjahren und um die Jahrtausendwende weitere
Konzeptberichte, die sich mit der Gestaltung der Schweizer Neutralitäts- und
Aussenpolitik befassten. Jene Berichte (u.a. Aussenpolitische Berichte des
Bundesrates 1993 u. 2000, Sicherheitspolitscher Bericht 2000, Neutralitätsstudie des
EDA 2000 u. 2005) führten die im SIPOL B 90 eingeschlagene Richtung weiter aus:
Sie forderten u.a. die Einordnung der Unabhängigkeitsbehauptung in eine
mehrdimensionale aussenpolitische Zielsetzung, die Redimensionierung der
Neutralität auf ihren völkerrechtlichen Kerngehalt, die Teilnahme an
Wirtschaftssanktionen sowie an friedenserhaltenden Operationen der UNO und der
OSZE mit eigenen Truppen sowie eine bündnisfreie Kooperation in der
Sicherheitspolitik. Ferner sahen die Berichte einen Beitritt zur UNO wie auch zur
Europäischen Union unter Wahrung der Neutralität vor.
Aufgrund innenpolitischen Widerstands und dem erfolgversprechenden
eingeschlagenen bilateralen Weg schwächte der Bundesrat später das strategische
Ziel des EU-Beitritts zu einer Optionsmöglichkeit herab.240 In innenpolitischer Hinsicht
war vor allem die äusserst knappe Ablehnung (50.3% Nein-Stimmen gegenüber
49.7% Ja-Stimmen) des Beitritts zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) im Jahr
1992 für das Einfrieren der Beitrittsverhandlungen ausschlaggebend. Das ebenfalls
1992 bei der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) deponierte Beitrittsgesuch
wurde bis heute nicht zurückgezogen. Die Volksabstimmung „Ja zu Europa“ im Jahr
239
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 181-183. 240
Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012).
104
2001 wurde mit 77 zu 23 Stimmen klar abgelehnt, womit die Bemühungen der EU-
Beitrittsbefürworter einen weiteren grossen Rückschlag erlitten, dessen
Nachwirkungen bis heute anhalten.241
Auf der anderen Seite gab es klare Zeichen und Beschlüsse seitens der Politik und
der Schweizer Bevölkerung, die für eine aussenpolitische Öffnung sowie eine
weniger restriktiv interpretierte Schweizer Neutralitätspolitik standen: 1999
befürworteten die Schweizer Stimmbürger wie auch die Stände die Verabschiedung
einer neuen Bundesverfassung, welche die mehrdimensionale aussenpolitische
Zielsetzung bestätigt.242 Mehrdimensional meint in Zusammenhang mit der
Sicherheitspolitik, dass nicht mehr ausschliesslich von einem klassisch-militärischen
Risiko eines Angriffs durch eine fremde Armee ausgegangen wird, sondern globale
Bedrohungsformen wie beispielsweise transnational organisiertes Verbrechen, die
Proliferation von waffenfähigem Nuklearmaterial oder grenzüberschreitende Konflikte
(in Europa) als Gefahren deklariert werden. Diese Bedrohungen sollten laut der
neuen Verfassung in Form von internationalen Kooperationen angegangen werden.
Jenes Konzept wurde im Sicherheitspolitischen Bericht 2000 unter dem Titel
„Sicherheit durch Kooperation“ festgehalten.243
2001 befürworteten die Stimmbürger mit 51 % Ja-Stimmen knapp eine Teilrevision
des Militärgesetzes, welche die Bewaffnung zum Selbstschutz von Schweizer
Soldaten im Rahmen friedensfördernder Operationen der UNO erlaubt. Die Schweiz
hatte zuvor bereits mit unbewaffnetem Militärpersonal an internationalen Einsätzen in
der Westsahara, Bosnien und dem Kosovo teilgenommen. Als eigentlicher
Meilenstein der aussenpolitischen Öffnung kann der Beitritt der Schweiz zu den
Vereinten Nationen gesehen werden. 2002 stimmten rund 55 Prozent der
Stimmbürger für den UNO-Beitritt. Die UNO, die offizielle Schweiz und alle anderen
neutralen Staaten halten jene Mitgliedschaft als mit der Neutralität vereinbar.244
Allerdings fand im Vorfeld jener Abstimmung eine intensive Neutralitätsdebatte statt,
241
Vgl. Netzwerk Schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitik (SSN) der ETH Zürich, Chronologie die Schweiz
und die EU seit 1951, in: http://www.ssn.ethz.ch /Themendossiers/Die-Schweiz-in-Europa/Chronologie (28.
Mai 2012). 242
Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012). 243
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 190-191. 244
Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012).
105
in welcher SVP und AUNS einen UNO-Beitritt als unvereinbar mit der Neutralität
geisselten und den möglichen Beitritt als Vorstufe zu einem EU-Beitritt und späteren
Anschluss an die NATO darstellten.245
Dieser Überblick über die Geschichte und die Entwicklung der Schweizer Neutralität
führt vor Augen, dass der neutrale Status in seinen Kernpunkten (entsprechend dem
Haager Neutralitätsrecht von 1907) eine dauerhafte allgemeine Gültigkeit für die
Gestaltung der Schweizer Aussenpolitik besass und immer noch besitzt. Einzelne
Elemente davon wurden jedoch okkasionell – oft aufgrund extremer äusserer
Umstände – aufgeweicht oder gar ignoriert. Bei der Definierung ihrer
Neutralitätspolitik behielt es sich die Schweiz zudem vor, diese jeweils entsprechend
den weltpolitischen Umständen, Herausforderungen und eigenen Interessen
anzupassen. Es kann daher nicht von einer absoluten Maxime der Aussenpolitik die
Rede sein; es handelt sich bei der Neutralität vielmehr um ein in seinem Kern
definiertes, in seiner Umsetzung und Ausgestaltung jedoch wandlungsfähiges und
wohl auch wandlungsbedürftiges Element der Schweizer Aussenpolitik.
Eine grosse Mehrheit der Schweizer Politiker sowie der Schweizer Bevölkerung
halten an der Neutralität als grundsätzliches Element der Schweizer Aussenpolitik
fest: Bundesrat, Parlament und alle massgeblichen Parteien und Verbände sprachen
sich wiederholt für deren Beibehaltung aus. Zwischen 1993 und 2008 waren zudem
79-93 Prozent der Schweizer Bevölkerung für die Beibehaltung des neutralen Status;
67-81 Prozent vertraten die Meinung, die Neutralität sei untrennbar mit dem
schweizerischen Staatsgedanken verbunden.246 Über die Umsetzung des
Neutralitätskonzepts hinsichtlich der gegenwärtigen und zukünftigen
Herausforderungen, denen sich der Kleinstaat Schweiz im 21. Jahrhundert stellen
muss, gibt es seit Jahren eine grosse politische Kontroverse. Eine sehr eng gefasste
Interpretation der Neutralität verfolgt seit geraumer Zeit die politische Rechte,
namentlich die AUNS und die Schweizerische Volkspartei. Da die SVP zu den
vehementesten Gegnern der Atalanta-Vorlage gehörte, behandelt das nächste
Kapitel deren Neutralitätsverständnis sowie die Bestrebungen von SVP und AUNS
zur Umsetzung eines restriktiven Neutralitätsverständnisses auf politischer Ebene.
245
Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 131. 246
Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012).
106
4.2 Das Neutralitätsverständnis der politischen Rec hten
In ihren Voten anlässlich von Kommissions- und Ratssitzungen, wie auch in ihren
öffentlichen Communiqués vertrat die SVP mehrmals die Meinung, eine Teilnahme
an Operation Atalanta widerspreche der Schweizer Neutralität. In Bezug auf die
zuvor dargelegten unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten der (Schweizer)
Neutralität müsste man jedoch eher davon sprechen, dass die Teilnahme an Atalanta
dem von der SVP vertretenen Verständnis der Neutralität widerspricht. Es ist
allerdings nicht nur die Interpretation, welche das Neutralitätsverständnis der
politischen Rechten ausmacht: Es findet vielmehr eine Gewichtung der Neutralität
statt, welche diese auf die Stufe einer aussenpolitischen Maxime, eines alles
bestimmenden aussenpolitischen Imperativs hebt.247 Man spricht gemeinhin auch
davon, dass die Schweizerische Volkspartei gegenwärtig für eine Neutralitätspraxis
steht wie sie von der Schweiz während des Kalten Kriegs verfolgt wurde.248
Nachdem in den 1990er Jahren in der Schweiz eine eher zaghafte aussenpolitische
Öffnung stattfand und seitens des Bundesrats wie auch von der Mehrzahl der
politischen Parteien eine offener interpretierte Form der Neutralitätspolitik angestrebt
wurde, machte sich dagegen rasch erster Widerstand aus dem nationalkonservativen
Lager bemerkbar. Eine erste Chance für eine Annäherung an die europäische
Staatengemeinschaft bot der mögliche Anschluss an den europäischen
Wirtschaftsraum (EWR). Die Schweizerische Volkspartei und Teile der Grünen Partei
lehnten dies ab; vor allem seitens der SVP und deren Exponent Christoph Blocher
wurde im Vorfeld der Abstimmung ein sehr intensiver und teils polemischer
Abstimmungskampf geführt. Die Vorlage wurde äusserst knapp abgelehnt. Für die
SVP stellte dies einen der grössten Triumphe ihrer Geschichte dar und bedeutete
gleichzeitig einen herben Rückschlag für die Befürworter der europäischen
Integration.249
Der Widerstand der SVP gegen jegliche Form der aussenpolitischen Öffnung zeigte
sich später auch an der Rückweisung des „Bericht Brunner“: Im Jahr 1996 setzte der
247
Vgl. Bü., Aktive Aussenpolitik der neutralen Schweiz, in: NZZ Online, 31. März 2007,
http://www.nzz.ch/2007/03/31/al/kommentarf2akd_1.136161.html (29. Mai 2012). 248
Vgl. Diggelmann Oliver, Wie viel Neutralität können wir uns noch leisten?, In: Zeit Online, 4. August 2011,
http://www.zeit.de/2011/32/CH-Neutralitaet (29. Mai 2012). 249
Vgl. Seitz Werner, „Melonengrüne“ und „Gurkengrüne“, 26.
107
damalige Bundesrat eine Studienkommission unter dem Vorsitz des ehemaligen
Botschafters Edouard Brunner ein, welche den Auftrag hatte, die sicherheitspolitische
Lage für die kommenden 20 bis 25 Jahre darzulegen. Der „Bericht Brunner“ wurde
1998 den Sicherheitspolitischen Kommissionen der beiden Räte vorgelegt; er gilt als
wichtiges Fundament für den später veröffentlichen Sicherheitspolitischen Bericht
2000. Der Bericht empfahl u.a. eine Annäherung an den EU-Sicherheitsraum,
betonte die Wichtigkeit internationaler Kooperation und Solidarität und forderte die
Bewaffnung von Schweizer Soldaten, die im Rahmen von friedensfördernden
Operationen der UNO eingesetzt werden. Bezüglich der Neutralität wurde darin auf
die Unvereinbarkeit des damaligen Neutralitätsverständnisses mit einem
internationalen sicherheitspolitischen Engagement hingewiesen.250
Christoph Blocher, zu jener Zeit Nationalrat, heute Vizepräsident und eigentlicher
Übervater der SVP, war ebenfalls Mitglied der aus 42 Personen bestehenden
Kommission Brunner. Blocher lehnte den Bericht ab, mit der Begründung die
Schweiz bekäme durch die vorgeschlagenen Änderungen keine bessere
Sicherheitspolitik. Vielmehr würden dadurch die Verteidigung unserer Freiheit,
Unabhängigkeit und Sicherheit entscheidend geschwächt. Christoph Blocher
veröffentlichte darauf einen eigenen strategischen Studienbericht, auch „Bericht
Blocher“ genannt. Er stellte darin u.a. folgende Forderungen:
• An der dauernden bewaffneten Neutralität sei strikte festzuhalten. Die
Neutralität wird als diplomatisches Mittel angesehen, welches die Schweiz
vom Sog und Druck fremder Mächte fernhalten soll.
• Die Schweiz solle sich auch bei künftigen Auseinandersetzungen „im Zeitalter
der amerikanischen Vorherrschaft“ mit einer klugen Sicherheitspolitik Distanz
und Zurückhaltung verschaffen.
• Bewaffnete Truppen jeglicher Art im Ausland seien abzulehnen. Die Armee
habe sich auf ihre Kernaufgaben (die Landesverteidigung Anm. d. Rede) zu
konzentrieren. Bewaffneten humanitären Einsätzen schrieb Blocher überdies
generell tiefe Erfolgsquoten zu.
250
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 185-187.
108
Aus gegenwärtiger Perspektive (vgl. ESVP und GASP der Europäischen Union)
interessant ist auch die Aussage im „Bericht Blocher“, in der EU existiere keine
gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik; die Vorstellung, die Schweiz finde in
jenem Europa Schutz vor Gefahren, sei illusorisch.251
Stellt man die eben genannten Aussagen Christoph Blochers den in den Kapiteln 3.3
bis 3.5 dieser Arbeit wiedergegeben Aussagen einzelner SVP-Vertreter gegenüber,
so zeigt sich, dass ein grosser Teil davon auch heute noch das
Neutralitätsverständnis von SVP-Politikern wiedergibt. Das aktuelle Parteiprogramm
der SVP bestätigt diese Einschätzung.252 Ulrich Schlüer, Mitglied der und der
Schweizerischen Volkspartei, ehemaliger Nationalrat und heute als Verleger tätig,
publizierte im Jahr 2000 die Schrift „Neutralität 2000 – Gedanken über Krieg,
ziellosen Interventionismus und Frieden an der Jahrtausendwende“. Die Schrift liefert
einen vertieften Einblick in die Ideologie von nationalkonservativen Kritikern von
Auslandeinsätzen der Armee und genereller aussenpolitischer Öffnung sowie die
Gewichtung und Interpretation der Schweizer Neutralität auf Seiten der SVP und der
AUNS.
Ullrich Schlüer kritisiert in seiner Schrift das in den 90er Jahren entstandene und im
SIPOL B 2000 definierte sicherheitspolitische Konzept der „Sicherheit durch
Kooperation“. Dass die Welt nach der Wende im Jahr 1989 sicherer geworden sei,
die Schweiz nur noch von Freunden umgeben sei, entspricht seiner Meinung nach
einer Illusion. Schlüer verweist in diesem Zusammenhang unter anderem auf die von
den USA unter Boykottandrohungen erwirkten Zahlungen an Holocaust-Opfer
aufgrund des Skandals um die nachrichtenlosen Vermögen auf Schweizer Banken.
Ferner erwähnt werden auch Zwangsmassnahmen der EU gegenüber ihren
Mitgliedsstaaten, wie im Fall der Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen
FPÖ im Jahr 2000 in Österreich geschehen. Da Kleinstaaten wie die Schweiz auf der
Weltbühne nur im Schatten von Grossmächten Politik machen könnten, hätte die
Schweizer Armee bei den angestrebten Auslandeinsätzen auf Geheiss von
251
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 187-188. 252
Vgl. SVP – die Partei für die Schweiz. Parteiprogramm 2011-2015, in:
http://www.svp.ch/display.cfm/id/101396 (3. Juni 2012).
109
Grossmächten zu handeln. Der humanitäre Auftrag der Schweiz werde damit
verraten; die Neutralität und staatliche Souveränität untergraben.253
Der konkrete Nutzen von Auslandeinsätzen für die Schweiz wird von Schlüer
angezweifelt: Die Entsendung von einigen hundert Schweizer Soldaten in den
Kosovo254 werde kaum für Verbesserung in der Flüchtlingsproblematik sorgen.
Vielmehr gehe es bei jenen Einsätzen auch um eine Vertuschung der
innenpolitischen Fehler, die im Rahmen der Asylpolitik passiert seien.255 Der
Beibehaltung der Neutralität als umfassender aussenpolitischer Maxime wird in
Schlüers Schrift „Neutralität 2000“ grösste Wichtigkeit beigemessen. Auf der
Grundlage der immerwährenden, bewaffneten Neutralität hätte sich der Kleinstaat
Schweiz in der Vergangenheit seine Unabhängigkeit gesichert und habe es
vermocht, Land und Volk im gewaltreichen 20. Jahrhundert vor kriegerischen
Auseinandersetzungen zu bewahren.256 Die Schweiz hätte ihre Neutralität
ausserdem nie opportunistisch verstanden und konsequent verfolgt257 – eine
Aussage, welche vor dem Hintergrund der Neutralitätsverstösse der Schweiz
während dem 2. Weltkrieg (vgl. Kapitel 4.1.2) als eine eher einseitige und
beschönigende Betrachtung der schweizerischen Neutralitätsgeschichte anmutet.
Schlüer propagiert für die Gegenwart eine Neutralitätspolitik, welche die Regierung
dazu verpflichtet, sich jeglicher Einmischungen in machtpolitische
Auseinandersetzungen und Bestrebungen anderer Staaten zu enthalten, sich aus
den Angelegenheiten anderer Staaten herauszuhalten. Durch ein solches Verhalten
sollen wenn immer möglich Leid und Not vom eigenen Land und Volk ferngehalten
werden. Die Entwicklung und das Ausmass heutiger moderner Konflikte seien oft
schwierig abzuschätzen.258 Der Kleinstaat Schweiz habe deswegen vor allem
folgendes Interesse: „Unser Land soll niemals durch unvorsichtige, unüberlegte
Politik in einen Konflikt hineingezogen werden, der unser Land direkt nichts angeht,
aus dem unter Umständen aber während Jahren nicht mehr herauszufinden ist.“259
253
Vgl. Schlüer, Neutralität 2000, 132-136. 254
Die Schweiz entsandte 1999 ein Kontingent von maximal 220 Soldaten im Rahmen einer friedensfördernden
Mission der NATO in den Kosovo. Die Schweizer Mission existiert bis heute und trägt den Namen Swisscoy. 255
Vgl. Schlüer, Neutralität 2000, 134-135. 256
Vgl. Schlüer, Neutralität 2000, 84 257
Vgl. Schlüer, Neutralität 2000, 88. 258
Vgl. Schlüer, Neutralität 2000, 84-85. 259
Schlüer, Neutralität 2000, 85.
110
Die immerwährende bewaffnete Neutralität sei ferner ein Garant für die Schweizer
Unabhängigkeit und für die Eigenständigkeit in der Ausgestaltung der für unser Land
und seine Wirtschaft erfolgsversprechenden Rahmenbedingungen. Dies sei die
Voraussetzung dafür, dass der Wirtschaftsstandort Schweiz seine einzigartige
Position behaupten könne.260 Nebst den angesprochenen aussenpolitischen und
wirtschaftlichen Vorteilen einer restriktiven Neutralitätspolitik spricht Schlüer auch die
- seiner Meinung nach - gewichtige innenpolitische Dimension der Neutralität an:
Eine überragende Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer sähen in der
Neutralität die Garantie der Bewahrung der demokratischen Besonderheiten der
Schweiz, sozusagen des „Sonderfalls Schweiz“, welcher dem Einzelnen ein weltweit
einzigartiges Höchstmass an Freiheit und demokratischer Mitbestimmung auf
föderalistischem Fundament gewährleiste.261
Jene Aussagen und Einschätzungen zur Neutralität zeigen die immense Bedeutung,
welche dieser auf Seiten der SVP und der AUNS für das Fortbestehen von
Unabhängigkeit, nationaler Identität und Prosperität beigemessen wird. Es wird von
jenen Kreisen in der Folge denn auch jegliches politische Begehren vehement
bekämpft, welches deren Ansicht nach die Neutralität untergräbt. Christoph Blocher
wurde 1997 anlässlich einer Veranstaltung der Jungen SVP in Bern dazu passend
wie folgt zitiert: „Wenn wir eine unserer obersten Staatsmaximen nach dem Willen
ausländischer Mächte statt nach dem Willen des Schweizervolkes gestalten, ist
unser Land als souveräner Staat verloren.“262
AUNS und SVP sehen die grösste Gefahr für die Neutralität jedoch nicht in
ausländischen Mächten, welche diese zu untergraben versuchen, sondern auf Seiten
der Landesregierung. Jene nationalkonservativen Kreise vertreten die Ansicht, dass
zwischen den Interessen „der Regierenden“ und „dem Volk“ grosse Divergenzen
bestehen. Kritisiert werden dabei die aussenpolitischen Zielsetzungen von Bundesrat
und Verwaltung in Richtung verstärkter internationaler Zusammenarbeit und Öffnung
gegen aussen. Eine solche aktive Aussenpolitik sei für „die Regierenden“ zwar
attraktiv, widerspreche aber den Wünschen der Bevölkerung, die laut SVP die Politik
in ihren Händen behalten möchte und kein Interesse an einer Verminderung des
260
Vgl. Schlüer, Neutralität 2000, 93. 261
Vgl. Schlüer, Neutralität 2000, 92. 262
Heller, Zwischen Autonomie und Bündnisbeitritt, 68.
111
neutralen Status bekunde.263 Die Grenzen hin zum typisch populistischen Schema
einer (angeblich) volksfremden, abgehobenen Regierungselite auf der einen Seite
und „dem Volk“ in Form eines überhöhten und idealisierten Begriffs auf der anderen
Seite sind fliessend. Oft werden moderne, weltoffene und international vernetzte
Politiker und sonstige gesellschaftliche Exponenten auch der Preisgabe und dem
Verrat von angestammten Werten und Traditionen beschuldigt.264
Die neutralitätspolitische Gesinnung der SVP und der AUNS zeigt sich einerseits in
deren ablehnender Haltung gegenüber politischen Bestrebungen, verstärkter
internationaler Kooperation und aussenpolitscher Öffnung. Andererseits lancieren die
Schweizerische Volkspartei wie auch die AUNS wiederholt Initiativen, welche einen
isolationistischen aussenpolitischen Kurs fordern. So geschehen mit der vormals
schon erwähnten parlamentarischen Initiative der SVP, die ein generelles Verbot von
Auslandeinsätzen der Armee forderte. Die Initiative wurde am 16. September 2009 –
just inmitten der Atalanta-Debatte – dem Nationalrat vorgelegt und klar abgelehnt.
Nebst der SVP, die geschlossen für die Annahme der Initiative stimmte, gab es
interessanterweise auch auf Seiten der Grünen Partei 3 Befürworter der Initiative.
Eine Mehrheit von 104 Parlamentariern lehnte die Initiative ab.265 Die AUNS gab am
25. März 2011 bekannt, dass sie eine Volksinitiative für „eine glaubwürdige
Neutralitätspolitik„ vorbereite. Die Initiative sieht u.a. vor, die immerwährende
bewaffnete Neutralität in der Bundesverfassung zu verankern. Der derzeitige Stand
der Initiative ist nicht bekannt.266
Auch bei linken Politikern, vor allem bei Vertretern der Grünen Partei, fanden im
Rahmen der Atalanta-Debatte Bedenken neutralitätspolitischer Natur Eingang in
deren Argumentationen. In einem viel gewichtigeren Umfang spielen bei Politikern
der Grünen Partei und einem gewissen Anteil sozialdemokratischer Politiker jedoch
pazifistische Argumente eine wichtige Rolle bei deren ablehnender Haltung
gegenüber Auslandeinsätzen der Armee. An der Ablehnung der Atalanta-Vorlage
waren auf linker Seite die Grüne Partei und der „pazifistische Flügel“ der
263
Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 188-189. 264
Vgl. Bü., Aktive Aussenpolitik der neutralen Schweiz, in: NZZ Online, 31. März 2007,
http://www.nzz.ch/2007/03/31/al/kommentarf2akd_1.136161.html (29. Mai 2012). 265
Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1572-1573. 266
Vgl. AUNS, AUNS bereitet Neutralitätsinitiative vor, Pressemitteilung, 25. März 2011, in:
http://www.auns.ch/meldungen/110325neutralitaetinitiative.php (6. Juni 2012).
112
Sozialdemokraten beteiligt. Das folgende Kapitel bietet einen Einblick in die
pazifistischen Motive, das Neutralitätsverständnis sowie weitere aussenpolitische
Positionen der Grünen Partei der Schweiz. Es wird an dieser Stelle davon
ausgegangen, dass „der pazifistische Flügel“ der Sozialdemokraten eine ähnliche
Haltung betreffend Auslandeinsätzen der Armee vertritt, wie die Grüne Partei. Dafür
sprechen einerseits Aussagen von (tendenziell) pazifistisch gesinnten Vertretern der
SP in der Presse (vgl. Anhang 6) sowie bestimmte Äusserungen von deren
Vertretern in Kommissionsitzungen und Ratsdebatten, die den Argumentationen der
Grünen sehr ähnlich sind (vgl. dazu die Aussagen von Liliane Maury Pasquier in
Kapitel 3.5.2 sowie 3.4.2). Dieses Kapitel legt den Fokus auf die ideologischen
Hintergründe des isolationistischen aussenpolitischen Kurses der SVP sowie auf die
pazifistische Gesinnung der Grünen. Es wurde auf eine zusätzliche Recherche über
die Ausprägung der pazifistischen Gesinnung sowie die Uneinigkeit betreffend
Auslandeinsätzen der Armee innerhalb der SP verzichtet. Ein Problem stellte dabei
auch die eher dürftige Quellenlage dar. Für zukünftige Abhandlungen könnte dies ein
interessanter Forschungsbereich darstellen.
113
4.3 Übersicht über die pazifistische Gesinnung und das Neutralitätsverständnis der Grünen Partei der Schwe iz
Da die historischen Zusammenhänge der Gründung der Grünen Partei Schweiz ein
wichtiger Faktor für die gegenwärtige pazifistische Weltanschauung einer Mehrheit
der Parteimitglieder der GPS darstellen, folgt hier ein Abriss über deren
Entstehungsgeschichte.
4.3.1 Entstehung und Wurzeln der Grünen Partei der Schweiz
Die Grüne Partei der Schweiz hat ihre Wurzeln einerseits in der Zeit der
aufkommenden Umwelt- und Dritt-Welt-Bewegung sowie feministischen,
sozialistischen und pazifistischen Gruppierungen nach 1968. Auf der anderen Seite
gab es bereits in den 50er- und 60er-Jahren eine Umweltbewegung, die sich
beispielsweise gegen den Bau einzelner Grossbauwerke wie Staudämme oder
Nationalstrassen gewehrt hatte. In den 70er- und 80er-Jahren entstand in der
Schweiz eine starke Anti-AKW-Bewegung, welche ihren Kampf mit einer allgemeinen
Gesellschaftskritik am quantitativen Wachstumsgedanken verband. Aus jenen
unterschiedlichen Bewegungen entstanden Anfang der 70er Jahre schliesslich die
ersten Umweltparteien. Die erste jener Parteien war das „Mouvement populaire pour
l’environnement“ im Kanton Neuenburg, welche 1971 primär als Reaktion auf einen
geplanten Autobahnbau am Seeufer von Neuenburg entstand. Erste Gründungen
umweltorientierter Parteien in der Deutschschweiz folgten Mitte der 70er Jahre.267
Auf nationaler Ebene kam es im Sommer 1983 zur Gründung zweier landesweit
aktiver grüner Formationen: Der gemässigten „Föderation der Grünen Parteien“ und
der „Grünen Alternative Schweiz“. „Die Föderation der Grünen Parteien“
konzentrierte sich vor allem auf Umweltschutzthemen und auf die Kritik am
wirtschaftlichen Wachstum. Die Partei sah sich zudem als ausserhalb des
herkömmlichen politischen Links-Rechtsschemas positioniert. Jene Grünen wurden
auch „Gurkengrüne“ genannt, da sie innen wie aussen grün waren. Die „Grüne
Alternative Schweiz“ verfolgte ebenfalls ein ökologisches Engagement, verband
dieses jedoch mit einer klar linken Positionierung, die ein starkes Engagement in
Drittweltpolitik und in Sachen Friedensbewegung beinhaltete. Die Alternativ-Grünen
267
Vgl. Seitz, „Melonengrüne“ und „Gurkengrüne“, 15-16.
114
erhielten deswegen den Übernahmen „Melonengrüne (da aussen grün und innen rot
Anm. d. Rede).268
Bereits seit Mitte der Achtziger-Jahre vermochte sich die „Föderation der Grünen
Parteien“ als gesamtschweizerische Partei zu etablieren und benannte sich 1986 in
Grüne Partei der Schweiz (GPS) um. Im Jahr 1990 schlossen sich eine Reihe
gewichtiger Regionalverbände der „Grünen Alternative Schweiz“ der GPS an. Es
folgten darauf die Vereinigung mit weiteren Regionalparteien, womit sich die Grüne
Partei Schweiz als gesamtschweizerische Partei zu konstituieren vermochte.
Einzelne regionale und unabhängige, alternativ-grüne Parteiverbände blieben
weiterhin bestehen, verfolgten jedoch auf nationaler Ebene eine Zusammenarbeit mit
der GPS. In Sachen Ideologie und Weltanschauung erwies sich die Partei in ihren
Anfangszeiten aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung thematisch und
ideologisch als breit gefächert: Die von ihr behandelten Themen reichten von
ökologischen Bestrebungen über die Gleichstellung der Geschlechter bis zur
Sicherheits-, Sozial- und Europapolitik.269
Hinsichtlich ihrer aussenpolitischen Ausrichtung gab es in der GPS in ihren
Anfangszeiten viele interne Kontroversen. Ein Beispiel dafür war die Abstimmung
über den Beitritt der Schweiz zum europäischen Wirtschaftsraum EWR im Jahr 1992:
Die Deutschschweizer Grünen lehnten den Vertrag in der Mehrheit ab, da sie
negative ökologische Konsequenzen und den Verlust demokratischer
Mitbestimmungsrechte befürchteten. Die Mehrheit der Westschweizer Grünen wollte
dagegen eine verstärkte Öffnung gegenüber der Europäischen Staatengemeinschaft
und damit auch den Beitritt zum EWR. Der Beitritt zum EWR wurde äusserst knapp
abgelehnt; die GPS musste sich danach den Vorwurf gefallen lassen, der SVP zur
Ablehnung des Vertrags verholfen zu haben. In den Jahren nach dem EWR-Nein
konstituierten sich die Grünen als Europa-freundliche Partei und befürworteten
Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Gemeinschaft.270
Die Militärgesetzrevision von 2001, welche unter anderem die Möglichkeit der
Bewaffnung von Schweizer Soldaten bei Auslandeinsätzen vorsah, wurde von der
268
Vgl. Seitz, „Melonengrüne“ und „Gurkengrüne“, 18-19. 269
Vgl. Seitz, „Melonengrüne“ und „Gurkengrüne“, 23-24. 270
Vgl. Seitz, „Melonengrüne“ und „Gurkengrüne“, 26-28.
115
GPS offiziell abgelehnt, wobei es auch hier parteiinterne Widersprüche gab; gewisse
Westschweizer Grüne argumentierten, es brauche bei allem Pazifismus eine Macht,
welche Ordnung als Voraussetzung für zivile Entwicklung schaffe. Die Partei
beschloss darauf die Stimmfreigabe für die Militärgesetzrevision.271
4.3.2 Aktuelle pazifistische Gesinnung, Neutralität sverständnis und
aussenpolitisches Leitbild der GPS
Die Vertreter solcher Ansichten scheinen in der gegenwärtigen Grünen Partei nicht
mehr viel Gewicht zu haben. In ihren Pressemitteilungen im Vorfeld und während der
Atalanta-Debatte wurden jeweils eindeutige pazifistische Ansichten vertreten, welche
in ihrer Form jeglichem bewaffneten Engagement der Schweizer Armee im Ausland
entgegenstehen. In einer Medienmitteilung von September 2008 mit dem Titel „Für
eine Kehrtwende in der Sicherheitspolitik“ liess die Partei folgendes verlauten: Die
Armee befinde sich in einer Sinn- und Orientierungskrise. Es sei unsinnig, jährlich
Hunderte von Millionen in einen Apparat zu investieren, über dessen Gebrauch
völlige Unklarheit herrsche. Im Gegensatz zu der Mehrzahl der anderen Parteien,
deren Programme sich vor allem an nationalen Bedürfnissen und Interessen
orientieren, formulierten die Grünen in ihrer Mitteilung Interessen und mögliche
Bedrohungen, die einem globalen Ansatz entsprechen: Die grössten Probleme
sehen sie in der Klimaerwärmung, der Rohstoffverknappung und Hunger sowie den
weltweit existierenden kriegerischen Konflikten. Jenen substanziellen Problemen sei
mit zivilen und nicht mit militärischen Massnahmen beizukommen.272
In einer weiteren von der Grünen Fraktion verabschiedeten Pressemitteilung
(publiziert am 16. September 2008) mit dem Titel „Für eine solidarische
Sicherheitspolitik“ legt die GPS ausführlicher dar, wie sie jene Probleme angehen
will: Die Grünen sprechen davon, dass die Schweiz eine aktive und offene
Neutralitätspolitik verfolgen soll, welche zu einer weltweiten Abrüstung und
Entspannung beitragen soll. Voraussetzung für eine solche friedensfördernde
271
Vgl. Zürcher, Grosse Chance für eine kleine Partei, 110. 272
Grüne Partei der Schweiz, Für eine Kehrtwende in der Sicherheitspolitik, in: Medienmitteilungen
Friedenspolitik, 3. September 2008, http://www.gruene.ch /web/gruene/de/positionen
/internationales/friedenspolitik/medienmitteilungen/kehrtwende_sicherheitspolitik_03-09-08.html (12.
Juni 2012).
116
Aussenpolitik sei die Distanz zu kriegsführenden Armeen und Militärbündnissen.
Konkret fordert die Grüne Partei darin folgende aussenpolitische Ausrichtung:
• Auf militärische Auslandeinsätze soll grundsätzlich verzichtet werden. Möglich
bleiben sollen humanitäre- und Hilfseinsätze an „sinnvollen“ UNO-Missionen.
• Die zivile Friedenspolitik soll ausgebaut werden: Die Schweiz solle sich dabei
bei der Früherkennung und Prävention von Konflikten engagieren. Das
Katastrophenhilfekorps, welches im In- und Ausland für humanitäre und
subsidiäre Aktionen eingesetzt werden kann, soll ausgebaut werden. Ebenso
gefordert wird ein verstärktes Engagement der Schweiz bei der humanitären
Minenräumung.
• Ferner solle die Schweiz alle Bestrebungen, die den Abbau von
Atomarsenalen, das Verbot von Streumunition und die Verhinderung der
Proliferation von Massenvernichtungswaffen verfolgen, unterstützen.
• Die Bestände der Schweizer Armee sollen stark reduziert, die allgemeine
Wehrpflicht abgeschafft werden. Die durch den Armeeabbau eingesparten
Ausgaben sollen laut Forderung der Grünen für die Klima- und
Entwicklungspolitik sowie die Hungerbekämpfung und Katastrophenhilfe
verwendet werden.
Aufgrund der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Lage und der sich ihrer Meinung
nach in einer Krise befindenden Schweizer Armee, kommt die GPS in ihrer
Medienmitteilung zu folgendem Schluss: Ein „militärischer Marschhalt“, „eine zivile
Denkpause“ sei angebracht, über weitere Rüstungsausgaben soll ein Moratorium
verhängt werden.273 Berücksichtigt man jene eben aufgezählten grünen Positionen
zur Sicherheitspolitik, so gestaltete sich die Ausgangslage für die Befürwortung eines
Auslandeinsatzes wie EU-NAVFOR Atalanta durch die Grünen von vornherein sehr
schlecht. Bei einer allfälligen Beteiligung hätten sich Schweizer Truppen in einer
vernachlässigten Drittweltregion im Verbund mit militärischen Grossmächten an einer
Militäroperation beteiligt – eine Vorstellung die gleich mehreren Prinzipien „Grüner
Aussenpolitik“ widerspricht.
273
Vgl. Grüne Partei der Schweiz, Für eine solidarische Sicherheitspolitik, in: Medienmitteilungen
Friedenspolitik, 16. September 2008, in: http://www.gruene.ch/web/gruene/de/positionen
/internationales/friedenspolitik/medienmitteilungen/solidarische_sicherheitspolitik_16-09-08.html (12.
Juni 2012).
117
Nebst pazifistischer Ansichten fand ebenso die Schweizer Neutralität Eingang in die
Argumentationen der Grünen Partei: Das Konzept der Neutralität wurde sowohl in
Pressemitteilungen der GPS während der Atalanta-Debatte wie auch in Aussagen
von Grünen Politikern anlässlich von Parlamentsdebatten und Kommissionsitzungen
erwähnt. Über die Auslegung der Neutralität durch die Grünen existieren nicht viele
Informationen, gehört dies in direkter Weise denn auch nicht gerade zu ihren
Kernkompetenzen, resp. Kernthemen. Auf ihrer offiziellen Homepage finden sich
erste Anhaltspunkte, wie die GPS die Schweizer Neutralität interpretiert. In ihren
politischen Positionen unter der Rubrik Friedenspolitik ist Folgendes zu entnehmen:
„Als neutrales Land könnte sich die Schweiz viel aktiver für die gewaltfreie Lösung
von Konflikten engagieren. Die Grünen wollen, dass die Schweiz auf jegliche
Rüstungszusammenarbeit und die Armee verzichtet. Stattdessen soll sie ihre ganze
Kraft für die Stärkung der UNO, für fairen Handel und mehr
Entwicklungszusammenarbeit einsetzen“.274 Ebenfalls in ihren Positionen, in der
Rubrik Aussenpolitik, wird kritisiert, dass sich die Schweizer Aussenpolitik zu fest an
wirtschaftlichen Interessen orientiere. Hier gelte es Gegensteuer zu geben: „Als
neutrales Land soll sich die Schweiz aussenpolitisch nicht an den Interessen der
Multis orientieren, sondern an denen der Ärmsten der Welt. Der Einsatz für
weltweiten Umweltschutz, für den Frieden, für die Einhaltung der Menschenrechte [..]
muss im Vordergrund stehen. Die Grünen geben den VerliererInnen der
Globalisierung eine Stimme.“275
Eine ausführlichere Abhandlung zur Neutralität findet sich in einem Artikel von Geri
Müller, Nationalrat der Grünen Partei und ehemaliger Präsident der
Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (2007-2009). Müller setzte sich in
den APK-Sitzungen im Vorfeld der Parlamentsentscheide über die Beteiligung an
EU-NAVFOR Atalanta dezidiert für eine Ablehnung der Vorlage ein. Sein Artikel
wurde am 7. November 2009 - die Beteiligung an Operation Atalanta war zu diesem
Zeitpunkt bereits abgelehnt - im linksgrünen Forum „Europa-Magazin“ publiziert.
Müller führt in seinem Nachtrag zur Atalanta-Debatte aus, die Neutralität gehöre nicht
zum alten Eisen, sie könne im Gegenteil im heutigen internationalen Umfeld wichtige
274
Vgl. Offizielle Homepage der Grünen Partei der Schweiz, Positionen. Friedenspolitik,
http://www.gruene.ch/web/gruene/de/positionen/internationales/friedenspolitik.html (14. Juni 2012). 275
Vgl. Offizielle Homepage der Grünen Partei der Schweiz, Positionen. Aussenpolitik,
http://www.gruene.ch/web/gruene/de/positionen/ internationales/aussenpolitik.html (14. Juni 2012).
118
Aufgaben erfüllen. Müller betont dabei das über Jahrzehnte aufgebaute Vertrauen,
welche die Schweiz als neutraler Vermittler in gewalttätigen Konflikten geniesse: Die
Neutralität sei die friedenspolitische Antwort auf das militaristische Modell der
Konfliktbewältigung. Die Schweiz müsse die Neutralität im internationalen Umfeld als
Beitrag zum Gemeinwohl darstellen und die Bedeutung der friedlichen
Konfliktbewältigung offensiv vertreten. Als ständig neutrales Land könne die Schweiz
den Schwerpunkt ihrer Politik darauf legen, Konflikte genau zu untersuchen,
Verständigung zu fördern und bei Bedarf Lösungsvorschläge mit den Beteiligten zu
entwickeln.
Die vom Bundesrat geplante Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta
bezeichnet Müller als illegal: Die Schweiz würde damit ihre Neutralität aufgeben, was
der Bundesverfassung widerspreche (Artikel 185 Abs. 1 BV ruft den Bundesrat zu
Massnahmen zur Wahrung der Neutralität auf, Anm. d. Rede). Nach Ansicht seiner
Partei wäre die Beteiligung an einer solchen Operation eine Massnahme, welche die
Neutralitätspolitik der Schweiz hin zu einer Konfliktbewältigungspolitik im autoritären,
militaristischen Sinn verschieben würde. Ein solcher Schritt würde in diesem Sinne
aufzeigen, dass die Schweiz ihre Armee von einer Verteidigungsarmee zu einer
Angriffsarmee umbaue. Mit der Forderung eines solchen Militäreinsatzes handle der
Bundesrat zudem entgegen der Meinung von 80 Prozent der Schweizerinnen und
Schweizer. Müller spricht dabei wohl von den ungefähr 80 Prozent der Schweizer
Bürger, die sich in verschiedenen Umfragen für die Beibehaltung der Neutralität
ausgesprochen haben. Beinahe in SVP-Manier kommentiert dies Müller damit, der
Bundesrat setze sich dem Verdacht aus, der EU dienen zu wollen statt dem Volk.276
Im Vergleich zu Grünen Parteien anderer europäischer Länder ist die Grüne Partei
der Schweiz am deutlichsten links positioniert. Dies betrifft vor allem deren Umwelt-,
Wirtschafts-, Immigrations- und Kulturpolitik.277 Seit Ende der 90er Jahre positionierte
sich die GPS zudem auch regelmässig weiter links als die Schweizer
Sozialdemokraten. Im Bereich der Aussenpolitik lehnte die Grüne Partei anders als
die Mehrheit der SP wiederholt Auslandeinsätze der Armee ab und stellte sich gegen
276
Vgl. Müller Geri, Somalia – CH Neutralität oder Anbiederung an die Grossmächte?, in: Europa-Magazin, 7.
November 2009, http://europa-magazin.ch/europamagazin/Aktuell/Dossiers Themenfokus/Frieden
/19/cmd.14 /audience.D (12. Juni 2012). 277
Vgl. Dolezal, Kein Sonderfall, 140-142.
119
internationale polizeiliche Zusammenarbeit.278 In ihrer dezidiert pazifistischen Haltung
unterscheiden sich die Schweizer Grünen im europäischen Vergleich wiederum stark
von den Grünen Deutschlands. Deren ehemalige Fraktionschefin Kerstin Müller
distanzierte sich bereits 2001 von den pazifistischen Wurzeln ihrer Partei und
proklamierte in der Sache einen pragmatischen Kurs: Die Grünen kämen zwar aus
der Friedensbewegung, als pazifistische Partei könne man jedoch nicht die
Bundesrepublik Deutschland regieren, weil man sich als Regierungspartei
automatisch in der Bündnisverpflichtung der NATO befinde.279 In der Zeit ihrer
Regierungsbeteiligung (1998-2005) trugen die Grünen Deutschlands die militärische
Beteiligung Deutschlands an den offensiven Kosovo- und Afghanistan-Operationen
der NATO mit; dies jedoch nicht ohne Kritik aus den eigenen Reihen.280 Laut
aktueller Positionierung sprechen sich die deutschen Grünen einerseits klar für die
weltweite Abrüstung sowie für ein Verbot von Rüstungsexporten aus. Andererseits
heisst es auf der offiziellen Homepage des Bündnis 90/Die Grünen auch: „Die
Bundeswehr kann in Einzelfällen einen wichtigen Beitrag zur Gewalteindämmung
und Friedenssicherung im Rahmen und Auftrag der Vereinten Nationen leisten.
Deshalb lehnen wir Auslandseinsätze der Bundeswehr als äußerstes Mittel nicht
grundsätzlich ab.“281
Von solchen pragmatischen Ansichten, welche sicher in vielerlei Hinsicht auch in
Zusammenhang mit der Phase der direkten Regierungsbeteiligung der deutschen
Grünen stehen, scheint die Grüne Partei der Schweiz weit entfernt. Deren
konsequentes Festhalten an ihrem pazifistischen Weltbild erlaubt wenig
Zugeständnisse an eine mehrheitsfähige Politik betreffend mögliche Auslandeinsätze
der Armee. Vielmehr sorgen die Grünen zusammen mit der SVP und eines Teils der
Sozialdemokraten oftmals für eine Politik der Verhinderung, ohne dabei ihr eigenes
Programm umsetzen zu können. Im nachfolgenden Schlusskapitel folgt eine
Konklusion, welche den Fall der Schweizer Nichtbeteiligung an EU-NAVFOR
278
Vgl. Hermann, Politische Zwillinge, 90-91. 279
Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Keine Pazifistische Partei mehr“, in FAZ Online,
http://www.faz.net/aktuell/politik/gruene-keine-pazifistische-partei-mehr-138113.html (14. Juni 2012). 280
Vgl. Nachtwei Winfried, Pazifismus zwischen Ideal und politischer Realität, 18. Oktober 2006,
http://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/ Gr%C3%BCne_Geschichte/Winfried
Nachtwe_Pazifismus_zwischen_Ideal_und_politischer_Realitaet.pdf (14. Juni 2012). 281
Vgl. Bündnis 90/Die Grünen, Grüne Friedens- und Sicherheitspolitik, in: Offizielle Homepage des Bündnis 90/
Die Grünen, http://www.gruene-bundestag.de/ themen/sicherheitspolitik/gruene-friedens-und-
sicherheitspolitik.html (14. Juni 2012).
120
Atalanta in die generelle Ausprägung der Schweizer Aussen- und Sicherheitspolitik
einzuordnen versucht und zusätzlich ein Resümee des generellen Status Quo
schweizerischer Aussenpolitik beinhaltet.
121
5. Einordnung des Falls Atalanta in den Kontext der allgemeinen Schw eizer Aussenpolitik Eine Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta hätte ein erster Schritt hin zu
einem verstärkten Auslandengagement bzw. verstärkter internationaler Kooperation
im sicherheitspolitischen Bereich sein können. Der Widerstand gegen die Atalanta-
Vorlage aus den Reihen der SVP, der Grünen und eines Teils der Sozialdemokraten
war gross. Jene politischen Kräfte sahen in einer möglichen Annahme der Atalanta-
Vorlage denn auch einen möglichen Präzedenzfall, welcher zukünftig den Weg für
Armeeeinsätze dieser Art geebnet hätte. Betrachtet man das Ausmass, mit welchem
die Ideologien und Ansichten der Atalanta-Gegner bewaffneten Auslandeinsätzen
der Armee zur Friedenssicherung, Friedenserzwingung oder Sicherung von
internationalen Transportrouten widersprechen, so ist fraglich, inwieweit sich die
generelle Gestaltung der Schweizer Aussenpolitik mit einer Annahme der Vorlage
tatsächlich geändert hätte.
Die SVP möchte generell die Auslandengagements der Armee aber auch sonstige
Kooperationen mit dem Ausland nach Möglichkeit unterbinden. Ihr Verständnis der
Schweizer Neutralität entspricht einer isolationistisch ausgerichteten, restriktiven
Staatsmaxime. In jeglicher aussenpolitischer Öffnung sieht die Partei eine potentielle
Gefährdung der nationalen Identität und bestimmter traditioneller Werte. Die
parlamentarische Initiative der Schweizerischen Volkspartei für einen generellen
Verzicht auf Auslandeinsätze wie auch die Initiative der SVP-nahen AUNS „für eine
glaubwürdige Neutralitätspolitik„ verdeutlichen diese Positionen. Auf Seiten der
Grünen Partei und des pazifistischen Flügels der SP herrscht hingegen ein komplett
anderes Weltbild: Internationale Zusammenarbeit, Drittweltpolitik sowie umfassende
internationale Solidarität und Friedensförderung werden in jenen Kreisen
grossgeschrieben. Bewaffnete militärische Auslandengagements im sicherheits- oder
friedenspolitischen Rahmen sind hingegen meist nicht mit deren pazifistischer
Grundhaltung zu vereinbaren. Viele pazifistisch Gesinnte sind der Armee und
militärischen Konfliktlösungen gegenüber generell sehr kritisch gestimmt, bewaffnete
122
militärische Auslandeinsätze werden zudem oftmals mit neo-imperialistischen
Vorgehensweisen der westlichen Mächte in Verbindung gebracht.
Die Folge jener strikten Ablehnungshaltung der linken und rechten Polparteien ist
eine Lähmung und Polarisierung, welche die gegenwärtige Aussen- und
Sicherheitspolitik bestimmt.282 Die ehemalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey
hat sich stark für eine Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta engagiert.
Calmy-Rey ist eine klare Verfechterin einer aktiven Neutralitätspolitik, welche
internationale Kooperation und Solidarität in verschiedenen Bereichen vorsieht. Eine
solche aktive Neutralitätspolitik beinhaltet auch die Teilnahme an militärischen
Interventionen zur Friedensförderung, Linderung humanitärer Katastrophen oder
internationaler Transportwege.283 In ihrer Zeit als Bundesrätin zwischen 2003 und
2011 versuchte Calmy-Rey in jener Hinsicht eine aussenpolitische Öffnung zu
erreichen. Sie exponierte sich dabei stark; die ihr bei jenem Vorhaben
entgegengebrachten Widerstände waren gross.
Die Ablehnung der Atalanta-Vorlage im Nationalrat erfolgte mit 103 zu 84, resp. 102
zu 81 Stimmen eher knapp. Der Ständerat sprach sich zweimal für eine Beteiligung
aus. Jene Resultate lassen den Schluss zu, dass für Auslandeinsätze der Armee
dieser Art unter Umständen Mehrheiten zu finden wären. Taktisch eher ungeschickt
war es dabei sicherlich, die Vorlage über die Teilnahme an der Operation zusammen
mit einer allgemeinen Revision des Militärgesetzes dem Parlament vorzulegen. Die
Militärgesetzrevision wurde von einer grossen Mehrheit der Parlamentarier als
unausgereift kritisiert und abgelehnt. Der Zeitpunkt für eine Revision in diesem
Umfang war verfrüht und führte zu einem umständlicheren Ablauf der Bearbeitung
der Atalanta-Vorlage. Generell wären eine Grundsatzdiskussion und eine rechtliche
Klarstellung der Einsatzmöglichkeiten der Schweizer Armee zum jetzigen Zeitpunkt
durchaus Notwendig.284 Eine solche Grundsatzdiskussion wurde anlässlich der
Kommissionssitzungen und Parlamentsdebatten auch mehrmals von
Verteidigungsminister Ueli Maurer gefordert. Seine genaue Rolle im „Fall-Atalanta“ 282
Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.), Operation Atalanta: Piraterie und Schweizer
Sicherheitspolitik, in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 55 (2009),
http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-55.pdf (5. April 2012). 283
Vgl. Calmy-Rey, Vorwort, 16-18. 284
Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.), Operation Atalanta: Piraterie und Schweizer
Sicherheitspolitik, in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 55 (2009),
http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-55.pdf (5. April 2012).
123
bleibt unklar. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass Maurer einer
Schweizer Beteiligung an Atalanta grundsätzlich ablehnend gegenüberstand. Als
Bundesratsmitglied musste er zwar gegen aussen die befürwortende Position des
Gesamtbundesrates vertreten; in den Medien gab es jedoch eine Reihe von
Mutmassungen (vgl. Kapitel 3.3.5), wonach der Verteidigungsminister das Vorhaben
des Bundesrates hinter den Kulissen torpediert hatte.
Ein Grund für die Ablehnung der Atalanta-Vorlage kann auch darin gesehen werden,
dass die Vorlage von Teilen der (grundsätzlich befürwortenden) Mitteparteien nicht
mit letzter Konsequenz verfochten worden ist: Die Teilnahme an Atalanta wurde von
kleineren Teilen der CVP und der FDP eher zurückhaltend bejaht, einige wenige
Nationalratsmitglieder jener Parteien lehnten Atalanta ganz ab. Es stellt sich nun für
die Zukunft die Frage, ob oder welche Politiker aus den Reihen der Mitteparteien
oder der Sozialdemokraten sich in ähnlicher Weise wie Micheline Calmy-Rey für eine
verstärkte internationale Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik engagieren und
exponieren werden. Angesichts der klaren Ablehnungshaltung der SVP, der Grünen
Partei und des pazifistischen Flügels der SP auf der einen Seite, bräuchte es dazu
auf der anderen Seite bedeutende politische Exponenten, die sich konsequent für
eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit dem Ausland engagieren. Eine
Schwierigkeit für die Umsetzung bestimmter politscher Ziele ist in der Schweiz
zudem systembedingt: Das Schweizer Konkordanz System erschwert die Umsetzung
von politischen Bestrebungen, bei denen klare Partei-übergreifende Mehrheiten
fehlen, massgeblich. Ein Konkurrenzsystem, in welchem nicht alle grossen Parteien
in der Regierung vertreten sind und das Parlament über weniger Mitspracherecht
verfügt, ermöglicht demgegenüber die konsequentere Umsetzung einer politischen
Linie.
Ein Wechsel des demokratischen Systems steht in der Schweiz jedoch momentan
nicht zur Debatte. Hinsichtlich der inhaltlichen Kritik an Operation Atalanta muss
festgehalten werden, dass diese in gewisser Hinsicht durchaus berechtigt war: Die
vielfach von linker Seite angebrachte Kritik beispielsweise, dass es sich bei der
Operation um blosse Symptombekämpfung handle und den Ursachen der Piraterie
zu wenig Aufmerksamkeit zukomme, ist berechtigt. Laut Zahlen des International
Maritime Bureau‘s sind die erfolgreichen Entführungen von Schiffen vor den Küsten
124
Somalias in Zusammenhang mit Piraterie merklich zurückgegangen: So hat sich die
Zahl der Schiffsentführungen von deren 47 in 2009 auf deren 28 im Jahr 2011
verringert. Die Zahl der versuchten Attacken ist jedoch bis heute hoch geblieben285,
was darauf schliessen lässt, dass sich die Zahl der Piratenbanden aufgrund der
militärischen Massnahmen nicht vermindert hat. Betrachtet man zudem die in Kapitel
2.1 beschriebene wirtschaftliche, soziale und politische Lage in Somalia, so stellt sich
die Frage was passieren wird, wenn einst keine Kriegsschiffe mehr zum Schutz der
Handelsschiffe am Horn von Afrika patrouillieren werden. Auch die von
verschiedener Seite vorgebrachten Bedenken rechtlicher Natur sind nicht aus der
Luft gegriffen. Auf Basis des bestehenden Schweizer Militärgesetzes hätte der
Einsatz mit dem entsprechen politischen Willen bestimmt durchgeführt werden
können. Eine explizite Genehmigung für Einsätze dieser Art fehlt darin jedoch. Auch
die Frage, was auf juristischer Ebene mit festgenommenen Piraten passiert wäre,
war durchaus angebracht: Wie in Kapitel 2.2.3 beschrieben tun sich die an Atalanta
beteiligten Staaten mit den Möglichkeiten zur strafrechtlichen Verfolgung und
Verurteilung von festgenommenen Piraten schwer.
Diesen Einwänden zu trotz, ist der temporäre Nutzen, welcher Militäroperationen wie
EU-NAVFOR Atalanta oder die Combined Task Force 151 erbringen, nicht zu
verneinen: Die Schiffe des Welternährungsprogramms beispielsweise müssten ihre
Hilfslieferungen an 3 Millionen notbedürftige Somalier ohne den gewährleisteten
Geleitschutz durch die gefährlichen Gewässer am Horn von Afrika wohl einstellen.
Die wichtige Handelsroute durch den Suezkanal kann dank der Militärpräsenz
weiterhin befahren werden, obschon die Seepassage immer noch zu den
gefährlichsten der Welt zählt. Ohne jene Militärpräsenz wäre die Route wohl für viele
Schiffe nicht mehr oder nur unter Inkaufnahme höchster Risiken befahrbar.286
Bei der Thematik der möglichen Schweizer Beteiligung an Operation Atalanta und
des bewaffneten Assistenzdienstes der Armee im Ausland geht es indes um weitaus
mehr als nur die Frage nach deren Sinn und Zweck. Es geht vielmehr darum, dass
285
Vgl. ICC – Commercial Crime Services, Piracy attacks in East and West Africa dominate world report, 19.
Januar 2012, in: http://www.icc-ccs.org/news/711-piracy-attacks-in-east-and-west-africa-dominate-world-
report (21. Juni 2012). 286
Vgl. ICC – Commercial Crime Services, Piracy attacks in East and West Africa dominate world report, 19.
Januar 2012, in: http://www.icc-ccs.org/news/711-piracy-attacks-in-east-and-west-africa-dominate-world-
report (21. Juni 2012).
125
die Schweiz als Kleinstaat mit beschränkten Mitteln einen Teil seiner
sicherheitspolitischen Herausforderungen, in einer vermehrt komplexen und
vernetzten Welt, nicht alleine zu meistern vermag. Die Schweiz ist für die
Gewährleistung der Gesamtheit ihrer sicherheitspolitischen Bedürfnisse sowohl auf
die Kooperation, wie auch das Wohlwollen anderer Staaten angewiesen. Während
des Kalten Krieges profitierte die Schweiz bereits stark von der Präsenz der NATO,
resp. der sie umgebenden Länder, welche Westeuropa zu einem gemeinsam zu
verteidigenden Sicherheitsraum machten.287 Gegenwärtig profitiert die Schweiz nach
wie vor von der Stabilität und den Sicherheitsbemühungen ihrer Nachbarländer, die
mit Ausnahme Österreichs alle NATO-Mitglieder sind. Hinzu kommt die verstärkt zum
Tragen kommende Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik der EU.
Mit verschiedenen EU-Ländern und anderen europäischen Staaten arbeitet die
Schweiz derzeit bereits in einigen sicherheitspolitischen Belangen zusammen: Dies
betrifft z.B. die Zusammenarbeit auf Ebene der Geheimdienste oder militärische
Kooperationen im Bereich der Rüstung und der Ausbildung.288 In vielen Fällen, wie
beispielsweise bei Geiselnahmen von Schweizer Staatsbürgern im Ausland, war die
Schweiz auf die Hilfe und Zusammenarbeit mit anderen Ländern (hauptsächlich der
EU) angewiesen. Für einen bündnisfreien Staat und Nicht-Mitglied der Europäischen
Union sind ausländische Hilfeleistungen dieser Art nicht selbstverständlich. Die
sogenannte Lybien-Affäre, in welcher 2 Schweizer Staatsangehörige willkürlich vom
ehemaligen Lybischen Machthaber Muammar al Gaddafi als Geiseln festgehalten
wurden, verdeutlichte die Schwierigkeit, sich ohne enge Partner gegen
Übertreibungen und Pressionen mächtigerer oder von staatlicher Willkür geprägter
Länder zu wehren.289 Zu Beginn der Affäre schien es alles andere als klar, ob und
von welchen Ländern die Schweiz in jener Angelegenheit Hilfe erhalten würde.
In dieser Hinsicht existiert die Problematik, dass die Schweiz oftmals als
Trittbrettfahrerin internationaler Sicherheitsbemühungen gesehen wird. Wenn es
darum geht, Truppen unter UNO-Mandat ins Ausland zu entsenden, steht die
Schweiz in vielen Fällen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern im Abseits.
287
Vgl. Fanzun/Lehmann, Die Schweiz und die Welt, 242. 288
Vgl. Bundesrat der Schweiz, Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik
der Schweiz (SIPOL B 2010), 23. Juni 2010, in: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2010/5133.pdf (21. Juni 2012). 289
Vgl. Diggelmann Oliver, Wie viel Neutralität können wir uns noch leisten?, In: Zeit Online, 4. August 2011,
http://www.zeit.de/2011/32/CH-Neutralitaet (29. Mai 2012).
126
Der Verzicht auf die Teilnahme an Atalanta hat dieses Bild von der Schweiz
konsolidiert. Zur Rechtfertigung jenes Abseitsstehens wird in den meisten Fällen auf
die Schweizer Neutralität und deren Nichtvereinbarkeit mit solchen Einsätzen
verwiesen. Der Schweizer Historiker Thomas Maissen betont, dass jener neutrale
Status immer auch von der Bereitschaft der dominierenden Staatenordnung
abhängig war, jenen Sonderstatus im eigenen Interesse zu akzeptieren. Bloss
Maxime oder historische Tradition (der Schweiz) zu sein reiche zur Behauptung der
Neutralität nicht aus. Als Staat, der vom Handel und Export von Gütern und
Dienstleistungen lebt, sei die Schweiz auf einen regen Austausch mit der Staaten-
und Völkerwelt angewiesen. Die Neutralität müsse so definiert und gelebt werden,
dass auch die anderen Staaten darin einen Mehrwert erkennen. Maissen plädiert aus
diesem Grund für eine aktive Neutralitätspolitik. Dies bedeute eine „aktive Teilnahme
an der völkerrechtlichen Gestaltung der Staatenwelt“ aus Eigeninteresse, aus
Verantwortungsbewusstsein, wie auch im Wissen um die Möglichkeiten und Grenzen
der eigenen Rolle.290
Andere neutrale Staaten in Europa wie Österreich, Finnland oder Schweden stellen
in weitaus grösserem Umfang eigene Truppen für internationale Friedensmissionen
oder Missionen unter humanitärem Aspekt zur Verfügung: Während sich zwischen
2005 und 2009 durchschnittlich 271 Schweizer Militärangehörige in
Auslandeinsätzen zur Friedensförderung befanden, waren im Falle Finnlands und
Schwedens dreimal so viele, resp. im Falle Österreichs fünfmal so viele Soldaten im
Ausland stationiert. Im Gegensatz zur Schweiz orientieren sich jene Länder heute
konsequent am Modell einer kooperativen Sicherheitspolitik im Sinne einer
gemeinsamen Bewältigung von Krisen und Risiken. Die Streitkräfte wurden
entsprechend angepasst: Die Truppenbestände wurden stark reduziert und
gleichzeitig bedeutende Teile davon für den multifunktionalen Einsatz im
internationalen Verbund ausgebildet und konzipiert.291 Österreich und Schweden
sehen in ihrer Neutralität überdies kein Hindernis für offensive Waffeneinsätze im
290
Vgl. Maissen, Wie die Eidgenossen ihre Neutralität entdeckten, 64. 291
Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.) Auslandeinsätze der Armee: Stand und Optionen, in:
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 67 (2010), http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-
67.pdf (25. Juni 2012).
127
Rahmen von UNO-Friedensmissionen (oder besser gesagt Befriedungs-
missionen).292
Vor dem Hintergrund dieser Neutralitätspolitiken kann nur bedingt Verständnis für die
tendenziell restriktiv ausgelegte Neutralitätspolitik der Schweiz erwartet werden. Der
Interpretation und Handhabung der Neutralität wird in den kommenden Jahren eine
Schlüsselrolle für die zukünftige Gestaltung der Schweizer Aussenpolitik zukommen.
Unter dem Aspekt von Sicherheitsbedrohungen mit zunehmend internationaler
Tragweite wie zum Beispiel der Gefährdung wichtiger Handels- und Transportrouten,
Extremismus und Terrorismus oder durch klimatische Veränderungen ausgelöste
Migrationsbewegungen, zeigen sich verstärkte multinationale Kooperationen an. Die
Bedeutung von aussen- und sicherheitspolitischen Netzwerken und Operationen im
institutionellen Rahmen von UNO, EU und NATO hat stark zugenommen.293 Will sich
die Schweiz im Bedarfs- oder Notfall auf ausländische Hilfe oder die Einbindung in
deren Sicherheitskonzepte verlassen können, so ist eine glaubwürdige und
beständige Aussenpolitik vonnöten, die sich auch dann solidarisch zeigt und
engagiert, wenn keine direkten Eigeninteressen betroffen sind. Jene Kritiker von
militärischen Friedenseinsätzen, welche das Schweizer Auslandengagement auf
zivile Friedensförderung und humanitäre Hilfe und Einsätze beschränkt sehen
möchten, messen dem Fakt zu wenig Bedeutung bei, dass Wiederaufbau und
Entwicklungshilfe in Krisengebieten in den meisten Fällen auch militärische
Absicherung benötigt.
Der „Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik
der Schweiz“ vom 23. Juni 2010 (SIPOL B 2010) hält bezüglich der Zusammenarbeit
mit anderen Staaten und internationalen Organisationen folgende Strategie für die
Zukunft fest: Die Schweiz wolle an ihrer dauernden und bewaffneten Neutralität
festhalten, jedoch stelle diese kein Hindernis für umfassende sicherheits- und
verteidigungspolitische Kooperationen dar. Die Ausnahme dazu bilde die
Mitgliedschaft in einer Militärallianz wie der NATO. Bei der multilateralen
Zusammenarbeit stehe für die Schweiz die Kooperation im Rahmen der UNO, mit der
EU und mit der NATO (in der Partnerschaft für den Frieden) im Vordergrund. Die in
292
Vgl. Diggelmann Oliver, Wie viel Neutralität können wir uns noch leisten?, In: Zeit Online, 4. August 2011,
http://www.zeit.de/2011/32/CH-Neutralitaet (29. Mai 2012). 293
Vgl. Lezzi, Kein Konzept in Sicht, 28.
128
Kapitel 3.3.4 besprochenen Aussagen von Exponenten der Armee im Vorfeld der
Atalanta-Abstimmung lassen darauf schliessen, dass eine Mehrzahl der Armeekader
eine verstärkte internationale Zusammenarbeit im militärischen Bereich begrüssen
würde. Der Bericht des Bundesrates spricht weiter davon, dass sich aufgrund des
zunehmend grenzüberschreitenden Charakters von Bedrohungen eine vermehrte
Beteiligung der Schweiz an der internationalen Gewährleistung von Sicherheit
aufdränge.294 Der Bundesrat skizziert in diesem Zusammenhang die Gefahr, welche
durch Auflösungsprozesse staatlicher Strukturen (vgl. „failed states“) von einer
wachsenden Anzahl von Staaten ausgehe: Die Folgen solcher struktureller Defizite
könnten sich in verminderter Sicherheit bei humanitären Operationen auswirken;
andererseits hätten diese auch Konsequenzen für die Sicherheit und Wohlfahrt
anderer Staaten. Dies etwa durch Flüchtlingsströme, die Beeinträchtigung der
Energie- und Rohstoffversorgung oder kriminelle Netzwerke, die in „failed states“
vereinfacht Fuss fassen können. Der SIPOL B 2010 erwähnt in diesem Punkt die
Möglichkeit von militärischen Assistenzdiensten im Ausland im Rahmen
internationaler Polizeieinsätze.295
Die eben beschriebene Bedrohungslage und die dazu vorgeschlagene
Gegenmassnahme entsprechen im Prinzip exakt der Beschaffenheit von EU-
NAVFOR Atalanta. Obwohl Atalanta an keiner Stelle im Sicherheitspolitischen
Bericht erwähnt wird, lässt dies den Schluss zu, dass eine Mehrheit der Exekutive,
trotz der im Nationalrat gescheiterten Teilnahme, zukünftig an Einsätzen dieser Art
teilnehmen können möchte. SIPOL B 2010 definiert dabei mögliche
Zusammenarbeiten mit anderen Staaten und internationalen Organisationen, welche
dem Konzept einer aktiven Neutralität entsprechen. Was bleibt, sind die politischen
Realitäten, die in der Legislative herrschen. Der Bundesrat hat bereits in
vorhergehenden sicherheitspolitischen Berichten ähnlich lautende aussen- und
sicherheitspolitische Strategien aufgeführt. Dessen ungeachtet war das Bild bei den
entsprechenden politischen Debatten zumeist von divergierenden politischen
Ansichten, von Ängsten und abwartend, zögerlichem Handeln einer Mehrheit der
294
Vgl. Bundesrat der Schweiz, Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik
der Schweiz (SIPOL B 2010), 23. Juni 2010, in: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2010/5133.pdf (21. Juni 2012),
28-29. 295
Vgl. Bundesrat der Schweiz, Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik
der Schweiz (SIPOL B 2010), 23. Juni 2010, in: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2010/5133.pdf (21. Juni 2012),
55.
129
Volksvertreter geprägt. Es stellt sich die Frage, ob zukünftig politische Mehrheiten für
eine generelle gesetzliche Verankerung oder nur schon der Beschluss einzelner
bewaffneter Assistenzdienste oder Friedensmissionen der Armee im Ausland
zustande kommen können.
Es ist dies nur möglich, wenn sich ein Teil der politischen Linken und/oder Rechten in
jener Frage für einen verstärkten parteipolitischen Pragmatismus entscheiden. Wer
die dafür wohl notwendige Überzeugungsarbeit machen kann und will steht
momentan offen. Eine Schlüsselrolle in einer möglichen aussenpolitischen Öffnung
könnte auch den Beziehungen zur EU beikommen: Ein im Juni 2011 von der SVP
mittels einer Motion geforderte Rückzug des auf Eis gelegten EU-Beitrittsgesuchs der
Schweiz aus dem Jahr 1992 wurde im Hinblick auf mögliche Irritationen und eine
falsche Signalwirkung vom Ständerat deutlich abgelehnt.296 In Form der bilateralen
Verträge und des autonomen Nachvollzugs von EU-Recht findet seit Jahren eine
schrittweise Annäherung der Schweiz an die Europäische Union statt. Ein EU-Beitritt
scheint momentan zwar in weite Ferne gerückt, gute Beziehungen und eine enge
Zusammenarbeit in einer Vielzahl von Bereichen bleiben für die Schweiz jedoch von
vitalem Interesse. Es ist möglich, dass sich jene bereits vorhandene Annäherung und
Zusammenarbeit einst auch im Bereich der aussenpolitischen Kooperation verstärkt
niederschlagen wird.
Fest steht, dass sich die Schweiz in absehbarer Zeit für einen eindeutiger definierten
aussenpolitischen Kurs entscheiden muss. Das politische Hin und Her in der Sache
beansprucht und verschleisst innenpolitisch viel Kraft und Zeit. Aus aussenpolitischer
Perspektive wäre ein klares, auf internationale Kooperation ausgelegtes aussen- und
sicherheitspolitisches Leitbild für das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Schweiz
im Ausland von grossem Vorteil. Zusätzlich könnte mit einem vergrösserten
Erfahrungsschatz für die Armee und vor allem auch verstärkter internationaler
Solidarität gegenüber der Schweiz in politischen und sicherheitsrelevanten
Notsituationen gerechnet werden.
296
Vgl. Tagesanzeiger, Ständerat gegen Rückzug des EU-Beitrittsgesuchs, in: Tagesanzeiger Online, 6. Juni 2011,
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/ standard/Staenderat-gegen-Rueckzug-des
EUBeitrittsgesuchs/story/31559095 (25. Juni 2012).
130
6. Bibliographie 6.1 Primärquellen
• AMISOM, Frequently Asked Questions, in http://amisom-au.org/about
/frequently-asked-questions/ (9. Februar 2012).
• Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat.
Herbstsession 2009, Nationalratssitzung vom 9. September 2009, 1406-1409,
in: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4811/306875/d_n_4811_306875
_307051.htm (26. April 2012).
• Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat.
Herbstsession 2009, Nationalratssitzung vom 15. September 2009, 1555-
1562, in: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4811/308344/d_n_
4811_308344_308553.htm (26. April 2012).
• Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat.
Herbstsession 2009, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1563-
1571, in: http://www.parlament.ch/ab/frameset/f/n/4811/308884/f_n_4811_
308884_308885.htm (30. April 2012).
• Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat.
Herbstsession 2009, Nationalratssitzung vom 24. September 2009, 1761-
1767, in: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4811/310868/d_n_4811
_310868_310942.htm (2. Mai 2012).
• Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat.
Herbstsession 2009, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 805-816, in:
http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/s/4811/306539/d_s_4811_306539
_306556.htm (19. April 2012).
• Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat.
Herbstsession 2009, Ständeratssitzung vom 22. September 2009, 929-930, in:
http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/s/4811/309848/d_s_4811_309848_309
849.htm (2. Mai 2012).
131
• AUNS, AUNS bereitet Neutralitätsinitiative vor, Pressemitteilung, 25. März
2011, in: http://www.auns.ch/meldungen/110325neutralitaetinitiative.php
(6. Juni 2012).
• AUNS, Piratenjagd: Ist der Bundesrat von allen guten Geistern verlassen?, in:
AUNS Klartext, März (2009), 5.
• Bündnis 90/Die Grünen, Grüne Friedens- und Sicherheitspolitik, in: Offizielle
Homepage des Bündnis 90/Die Grünen, http://www.gruene-bundestag.de/
themen/sicherheitspolitik/gruene-friedens-und-sicherheitspolitik.html
(14. Juni 2012).
• Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der
Armee im Assistenzdienst im Ausland zur Unterstützung der Operation
NAVFOR Atalanta der Europäischen Union sowie zur Änderung des
Militärgesetzes, 22. April 2009, in: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2009/4535.pdf
(6. Februar 2012).
• Bundesrat der Schweiz, Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung
über die Sicherheitspolitik der Schweiz (SIPOL B 2010), 23. Juni 2010, in:
http://www.admin.ch/ch/d/ff/2010/5133.pdf (21. Juni 2012).
• Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA),
Beteiligung der Schweiz am Anti-Piraterie-Einsatz Atalanta, in: Medien-
mitteilungen des Bundesrates, 25. Februar 2009, http://www.eda.admin.ch
/eda/de/home/recent/media/single.html?id=25540 (25. Februar 2012).
• Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA),
Botschaft zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee im
Assistenzdienst im Ausland zur Unterstützung der Operation NAVFOR
Atalanta der Europäischen Union sowie zur Revision des Bundesgesetzes
über die Armee und die Militärverwaltung, in Medienmitteilungen des
Bundesrates, 23. April 2009, http://www.eda.admin.ch/eda/de/home
/recent/media/single.html?id=26550 (26. Februar 2012).
132
• Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und
Sport (VBS), Ergebnisse der Anhörung vom 11. und 13. Mai 2009 zur
Änderung des Militärgesetzes, 15. Mai 2009, in:
http://www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents /1749/Ergebnis_korr.pdf
(13. März 2012).
• EU NAVFOR Somalia, Mission, in: http://www.eunavfor.eu/about-us/mission/
(7. Februar 2012).
• Grüne Partei der Schweiz, Für eine Kehrtwende in der Sicherheitspolitik, in:
Medienmitteilungen Friedenspolitik, 3. September 2008, http://www.gruene.ch
/web/gruene/de/positionen/internationales/friedenspolitik/medienmitteilungen/k
ehrtwende_sicherheitspolitik_03-09-08.html (12. Juni 2012).
• Grüne Partei der Schweiz, Für eine solidarische Sicherheitspolitik, in:
Medienmitteilungen Friedenspolitik, 16. September 2008, in:
http://www.gruene.ch/web/gruene/de/positionen/internationales/friedenspolitik/
medienmitteilungen/solidarische_sicherheitspolitik_16-09-08.html
(12. Juni 2012).
• Grüne Partei der Schweiz, Grüne lehnen Somalia-Einsatz ab, in:
Medienmitteilungen Friedenspolitik, 22. Dezember 2008, http://www.gruene.ch
/web/gruene/de/positionen/internationales/friedenspolitik/medienmitteilungen/s
omalia-einsatz-ablehnen_22-12-08.html (14. März 2012).
• Grüne Partei der Schweiz, Somalia-Einsatz löst keine Probleme, in
Medienmitteilungen Friedenspolitik, 25. Februar 2009, http://www.gruene.ch
/web/gruene/de/positionen/internationales/friedenspolitik/medienmitteilungen/s
omalia-einsatz_25-02-09.html (14. März 2012).
• GSOA, Dokumentation zur Operation Atalanta, 25. März 2009, in:
http://www.gsoa.ch/themen/armee-und-zivildienst/00787/dokumentation-zur-
operation-atalanta/ (20. März 2012).
• GSOA, Keine Soldaten nach Somalia, Pressemitteilung, 25. Februar 2009, in:
http://www.gsoa.ch/themen/armee-und-zivildienst/00753/keine-soldaten-nach-
somalia/ (20. März 2012).
133
• GSOA, Positionspapier der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSOA zur
Revision des Militärgesetzes, in: http://www.gsoa.ch/media/filecontent
/Positionspapier_Revision_MG.pdf (20. März 2012).
• GSOA, über die GSOA, in: http://www.gsoa.ch/gsoa/uber/ (20. März 2012).
• Kasermann Andreas, Atalanta-Beteiligung ist eine humanitäre Pflicht, in: SP-
Pressedienst, http://www.sp-ps.ch/ger/Medien/Pressedienst/2009/ATALANTA-
Beteiligung-ist-eine-humanitaere-Pflicht (14. März 2012).
• Kasermann Andreas, Atalanta ist keine Friedensmission, in: SP-Pressedienst,
http://www.sp-ps.ch/ger/Medien/Pressedienst/2009/ATALANTA-ist-keine-
Friedensmission (14. März 2012).
• Müller Geri, Somalia – CH Neutralität oder Anbiederung an die Grossmächte?,
in: Europa-Magazin, 7. November 2009, http://europa-magazin.ch
/europamagazin/Aktuell/Dossiers Themenfokus/Frieden/19/cmd.14
/audience.D (12. Juni 2012).
• Nebs, Operation Atalanta und Revision vom Art. 69 des Militärgesetzes, in:
Stand und Entwicklung der Beziehung Schweiz-EU auf einen Blick, 20. Mai
2009, http://www.europa.ch/Files/pdf/090520_relations_bilaterales_ch-
ue_2_09_de.pdf (20. März 2009).
• Offizielle Homepage der Grünen Partei der Schweiz, Positionen.
Aussenpolitik, http://www.gruene.ch/web/gruene/de/positionen/
internationales/aussenpolitik.html (14. Juni 2012).
• Offizielle Homepage der Grünen Partei der Schweiz, Positionen.
Friedenspolitik, http://www.gruene.ch/web/gruene/de/positionen/
internationales/friedenspolitik.html (14. Juni 2012).
• Parlamentsdienste der Bundesversammlung, Aussenpolitische Kommission
des Nationalrates (APK-N). Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009.
• Parlamentsdienste der Bundesversammlung, Aussenpolitische Kommission
des Ständerates (APK-S). Protokoll der Sitzung vom 18. Juni 2009 und 19.
Juni 2009.
134
• Parlamentsdienste der Bundesversammlung, Sicherheitspolitische
Kommission des Nationalrates (SiK-N). Protokolle der Sitzungen vom 15. und
16. Juni 2009.
• Parlamentsdienste der Bundesversammlung, Sicherheitspolitische
Kommission des Nationalrates (SiK-N). Protokoll der Sitzung vom 24.
September 2009.
• Parlamentsdienste der Bundesversammlung, Sicherheitspolitische
Kommission des Ständerates (SiK-S). Protokolle der Sitzung vom 22.
September 2009.
• Parlamentsdienste der Bundesversammlung, Sicherheitspolitische
Kommission des Ständerates (SiK-S). Protokolle der Sitzungen vom 25. Juni
2009 und 26. Juni 2009.
• Pressemitteilung der Fraktion CVP-EVP-glp, Endlich Klarheit schaffen, 10.
Juni 2009, in: http://www.wahlen07.ch/new/index.php?sid=a7f59fce6e
771464fa37ae90edda8db5&item=./news/detail&NewsID=36492
(9. März 2012).
• Pressemitteilung der FDP Schweiz, Kein Spiel mit der Sicherheit der Schweiz!
FDP unterstützt die Entsendung Schweizer Elitesoldaten in die Gewässer vor
Somalia, 26. Februar 2009, in: http://www.wahlen.ch/new/index.php?sid
=33e5ecab5ca..&item=./news/detail&NewsID=36127 (9. Februar 2012).
• Pressemitteilung der FDP Schweiz, Piraten in Somalia: Sicherheit und
Souveränität der Schweiz sichern. FDP unterstützt die Teilnahme der Schweiz
bei Atalanta, 23. April 2009, in: http://www.wahlen.ch/new/index.php?lang=
DE&item=./news/detail&NewsID=36314 (9. März 2012).
• Schlüer Ullrich, Neutralität 2000. Gedanken über Krieg, ziellosen
Interventionismus und Frieden an der Jahrtausendwende, Flaach 2000.
• Schlüer Ullrich, Rechtsbruch aus Kriegslüsternheit. Atalanta ist
verfassungswidrig, in: Schweizerzeit Nr. 16., 16. Juni 2009,
http://www.schweizerzeit.ch/1609/rechtsbruch.html (15. März 2012).
135
• Schweiz. Eidgenossenschaft (Bundesversammlung), Bundesgesetz
über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG), 3. Februar
1995, in: http://www.admin.ch/ch/d/sr/5/510.10.de.pdf (6. März 2012).
• Schweiz. Eidgenossenschaft (Bundesversammlung), Landesrecht,
Fakultatives Referendum, Art. 141, in: http://www.admin.ch/ch/d
/sr/101/a141.html (27.2.2012).
• Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, Art. 105, in:
http://www.admin.ch/ch/d/sr/0_747_305_15/a105.html (30. Januar 2011).
• Sekretariat der Aussenpolitischen Kommissionen, Medienmitteilung APK-N.
Aussenpolitische Kommission des Nationalrates: Ablehnung des
Pirateneinsatzes und der Militärgesetz-Revision, http://www.parlament.ch/
d/mm/2009/Seiten/mm-apk-n-2009-06-11.aspx (30. März 2012).
• Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, Resolution 1851 (2008). Verabschiedet
auf der 6046. Sitzung des Sicherheitsrats am 16. Dezember 2008, in: http://
www.un.org/depts/german/sr/sr_08/sr1851.pdf (16. Januar 2012).
• SVP Communiqués, Nein zum Aktivdienst im Ausland, 23. April 2009, in:
http://www.svp.ch/g3.cms/s_page/83050/s_name/communiquesmobile/s_elem
ent/132280/news_id/69/news_newsContractor_display_type/detail/news_news
Contractor_year/2009/searchkey/aktivdienst%20im%20ausland
(16. März 2012).
• SVP – die Partei für die Schweiz. Parteiprogramm 2011-2015, in:
http://www.svp.ch/display.cfm/id/101396 (3. Juni 2012).
136
6.2 Sekundärquellen:
• A. Ceska Edward/Ashkenazi Michael, Piraterie vor den afrikanischen Küsten
und ihre Ursachen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 34/35 (2009), 33-38.
• Auf der Maur Jost, Immer zu Diensten, in: Zeit Online, 25. August 2011,
http://www.zeit.de/2011/35/CH-Soeldnertum (18. Mai 2012).
• Bauer Wolfgang, Der gefährlichste Auftrag der Welt, in: Zeit Online, 28
Februar 2011, http://www.zeit.de /2011/09/DOS-Somalia/seite-1
(22. Januar 2012).
• Beck Roland, Editorial. Einsatz auf hoher See, in: Allgemeine schweizerische
Militärzeitschrift: ASMZ 1 (2009), 3.
• Bü., Aktive Aussenpolitik der neutralen Schweiz, in: NZZ Online, 31. März
2007, http://www.nzz.ch/2007/03/31/al/kommentarf2akd_1.136161.html (29.
Mai 2012).
• Bueger Christian/Stockbrügger Jan/Werthes Sascha, Strategische Fehler der
Pirateriebekämpfung. Somalia, Peacebuilding und die Notwendigkeit einer
umfassenden Strategie, Duisburg: Institut für Entwicklung und Frieden, INEF-
Report 104 (2011).
• Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.) Auslandeinsätze der
Armee: Stand und Optionen, in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 67
(2010), http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-67.pdf (25.
Juni 2012).
• Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.), EU-Aussenpolitik: Neue
Strukturen, alte Schwächen, in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 96
(2011), http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-96-DE.pdf
(25. Mai 2012).
• Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.), Operation Atalanta:
Piraterie und Schweizer Sicherheitspolitik, in: CSS Analysen zur
Sicherheitspolitik 55 (2009), http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-
Analysen-55.pdf (5. April 2012).
137
• Combined Maritime Forces, CMF hosts 22nd SHADE Meeting, in:
http://combinedmaritimeforces.com/2011/12/23/cmf-host-22nd-shade-meeting/
(7. Februar 2012).
• Comnick Micha/Paulus Andreas, The Role of the German Navy and Federal
Police, in: Mair Stefan (Hg.), Piracy and Maritime Security. Regional
characteristics and political, military, legal and economic implications, Berlin
2011.
• De Weck Hervé, Marignano, Schlacht von, in : Historisches Lexikon der
Schweiz, http://hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8896.php (21. Mai 2012).
• Die Bundesversammlung - Das Schweizer Parlament, Fraktionen der 48.
Legislaturperiode 2007-2011, in: http://www.parlament.ch/D/ORGANE-
MITGLIEDER/BUNDESVERSAMMLUNG/FRAKTIONEN/FRAKTIONEN-48-
LEGISLATUR/Seiten/default.aspx (7. Mai 2012).
• Diggelmann Oliver, Wie viel Neutralität können wir uns noch leisten?, In: Zeit
Online, 4. August 2011, http://www.zeit.de/2011/32/CH-Neutralitaet
(29. Mai 2012).
• Dolezal Martin, Kein Sonderfall. Die Schweizer Grünen im europäischen
Vergleich, in: Baer Matthias/Seitz Werner (Hg.), Die Grünen in der Schweiz.
Ihre Politik, Ihre Geschichte, Ihre Basis, Zürich/Chur 2008.
• Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Keine Pazifistische Partei mehr“, in FAZ
Online, http://www.faz.net/aktuell/politik/gruene-keine-pazifistische-partei-
mehr-138113.html (14. Juni 2012).
• Fanzun John A./Lehmann Patrick, Die Schweiz und die Welt. Aussen- und
sicherheitspolitische Beiträge der Schweiz zu Frieden, Sicherheit und
Stabilität, 1945-2000, in: Zürcher Beiträge zur Sicherheitspolitik und
Konfliktforschung Nr. 57, Zürich 2000.
• Frenkel Max, Und schon gar nicht anständig, in Weltwoche 1 (2009), 30.
Dezember 2008.
• Friedrichs Hauke, Hort der Piraten, Warlords und Terroristen, in: Zeit Online,
6. August 2010, http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-08/somalia-50-jahre-
unabhaengigkeit/seite-1(16. Januar 2012).
138
• Frik Silvan, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?. Die
Neutralität im Lichte der ESVP, Chur 2001.
• Gehriger Urs, Operation „Atalanta“, in: Weltwoche 6 (2009), 4. Februar 2009.
• Gemperli Simon, Der "Atalanta "-Einsatz als Grundsatzfrage, in: NZZ Online,
27. Januar 2009, http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/schweiz/der_atalanta-
einsatz_als_grundsatzfrage_1.1794061.html (26. Februar 2012).
• Germond Basil, Piraterie maritime: un choix épineux pour la Suisse, in: Le
Temps, 14, Januar 2009, http://www.letemps.ch/Page/Uuid/ed88d09e-eefb-
11dd-b87c-1c3fffea55dc/Piraterie_maritime_un_choix_%C3%A9pineux
_pour_la_Suisse (21. März 2012).
• Guemo Antonfack/ Sergein Cyrille, La mutualisation des moyens de lutte
contre les actes de piraterie dans la sous-région CEEAC. In: Ntuda Ebode
Joseph Vincent (Hg.), piraterie et terrorisme: de nouveaux défis sécuritaires
en Afrique centrale, Yaoundé 2010.
• Hainzl Gerald/ Feichtinger Walter, Piraten und Islamisten. Wen interessiert
Somalia?, in: IFK Aktuell 1 (2010), http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/
publikationen/ifk_aktuell_10_01_piraten_islamisten_somalia_hainzl_16.pdf
(4. Februar 2012).
• Hanimann Carlos, Klimmzüge für Calmy-Rey, in: Die Wochenzeitung (WOZ),
27.8.2009, http://www.woz.ch/0935/mission-atalanta/klimmzuege-fuer-calmy-
rey (14. März 2012).
• Heller Daniel, Zwischen Autonomie und Bündnisbeitritt: Gedanken und
Postulate zur Weiterentwicklung der nationalen Sicherheitspolitik, in: Avenir
Suisse (Hg.), Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Schweiz im 21.
Jahrhundert, Zürich 2011.
• Hermann Michael, Politische Zwillinge. Wie Grüne und SP im
Bundesparlament politisieren, in: Baer Matthias/Seitz Werner (Hg.), Die
Grünen in der Schweiz. Ihre Politik, Ihre Geschichte, Ihre Basis, Zürich/Chur
2008.
• Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009),
http://echogeo.revues.org/11320 (16. Januar 2012).
139
• ICC – Commercial Crime Services, 2009 Worldwide piracy figures surpass
400, in: http://www.icc-ccs.org/news/385-2009-worldwide-piracy-figures-,
surpass-400 (23. Januar 2012).
• ICC – Commercial Crime Services, Piracy attacks in East and West Africa
dominate world report, 19. Januar 2012, in: http://www.icc-ccs.org/news/711-
piracy-attacks-in-east-and-west-africa-dominate-world-report (21. Juni 2012).
• Knüsel Jan, SVP will Spezialeinheit AAD 10 abschaffen, in: Tagesanzeiger
Online, 23. Juni 2010, http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/SVP-
will-Spezialeinheit-AAD-10-abschaffen/story/15295557?track (14. März 2012).
• Kupferschmidt Frank, Multinational Military Engagement, in: Mair Stefan (Hg.),
Piracy and Maritime Security. Regional characteristics and political, military,
legal and economic implications, Berlin 2011.
• Kürsener Jürg, Schutz der Schweizer Hochseeflotte – Chancen und Risiken,
in: Allgemeine schweizerische Militärzeitschrift: ASMZ 1 (2009), 26-27.
• Lezzy Bruno, Kein Konzept in Sicht, in: NZZ am Sonntag, 1. November 2009,
28.
• Lüthi Ruth, Das Parlament, in: Linder Wolf (Hg.), Handbuch der Schweizer
Politik, Bd. 4, Zürich 2006, 126-145.
• Maissen Thomas, Wie die Eidgenossen ihre Neutralität entdeckten.
Frühneuzeitliche Anpassungen an eine veränderte Staatenwelt, In: Kreis
Georg (Hg.), Die Schweizer Neutralität. Beibehalten, umgestalten oder doch
abschaffen?, Zürich 2007.
• Mettler Hanspeter, Beteiligung an Operation „Atalanta“ im Nationalrat
deutlich gescheitert, in: Neue Zürcher Zeitung, 17. September 2009, 19.
• Mettler Hanspeter, Im Schweizer Eigeninteresse, in: Neue Zürcher Zeitung, 2.
September 2009, 17.
• Micheline Calmy-Rey, Vorwort, in: Kreis Georg (Hg.), Die Schweizer
Neutralität. Beibehalten, umgestalten oder doch abschaffen?, Zürich 2007.
140
• Miéville, D.S., L’engagement contre les pirates somaliens torpilié, in : Le
Temps, 24. April 2009, http://www.letemps.ch/Page/Uuid/a29cc496-3046-
11de-9290-327d70d663fd/Lengagement_contre_les_pirates_somaliens
_torpillé (13. März 2012).
• Nachtwei Winfried, Pazifismus zwischen Ideal und politischer Realität, 18.
Oktober 2006, http://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/
Gr%C3%BCne_Geschichte/WinfriedNachtwe_Pazifismus_zwischen_Ideal_un
d_politischer_Realitaet.pdf (14. Juni 2012).
• Neidhart Leonhard, Die politische Schweiz. Fundamente und Institutionen,
Zürich 2002.
• Netzwerk Schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitik (SSN) der ETH
Zürich, Auslandeinsätze der Armee, in: http://ssn.ethz.ch/Themendossiers
/Dossier-Archiv/Auslandseinsaetze-der-Armee (8. Mai 2012).
• Netzwerk Schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitik (SSN) der ETH
Zürich, Chronologie die Schweiz und die EU seit 1951, in:
http://www.ssn.ethz.ch /Themendossiers/Die-Schweiz-in-Europa/Chronologie
(28. Mai 2012).
• Netzwerk Schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitik (SSN) der ETH
Zürich, Chronologie zur Schweizer Sicherheitspolitik, in:
http://www.ssn.ethz.ch/Aktuell/Chronologie-zur-Schweizer-Sicherheitspolitik
/?fecvnodeid=133735&dom=28&fecvid=120&lng=de&ord364=Grp1&v120=13
3745&click414=133745 (3. Mai 2012).
• Nuspliger Niklaus, Aufwind für den Anti-Piraten-Einsatz, in: Neue Zürcher
Zeitung, 9. September 2009, 16.
• Nuspliger Niklaus, Kurzer Prozess mit „Atalanta, in: Neue Zürcher Zeitung, 25.
September 2009, http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/schweiz/kurzer_
prozess_mit_atalanta_1.3664281.html (2. Mai 2012).
• Nuspliger Niklaus, Spiel auf Zeit um die Piratenjagd, in: Neue Zürcher Zeitung,
24. April 2009, 13.
141
• Parlamentswörterbuch der Bundesversammlung, Differenzbereinigung, in:
http://www.parlament.ch/d/wissen/parlamentswoerterbuch/seiten/differenzbere
inigung.aspx (19. April 2012).
• Perras Arne/Wiegand Ralf, Erster grosser Piratenprozess in Hamburg seit
Störtebecker, in: Süddeutsche.de, 22 November 2010,
http://www.sueddeutsche.de/politik/somalische-piraten-vor-gericht-erster-
piratenprozess-in-hamburg-seit-stoertebeker-1.1026614 (1. Februar 2012).
• Ribi Rolf C., Neutralität – Mythos oder Chance?, in: Kreis Georg (Hg.), Die
Schweizer Neutralität. Beibehalten, umgestalten oder doch abschaffen?,
Zürich 2007.
• Rice Xan, Somali Pirates should face special courts, says UN envoy, in: the
guardian, 26. Januar 2011, http://www.guardian.co.uk/world/2011/jan/26
/somali-pirates-jack-lang-report (1. Februar 2012).
• Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012).
• Schaffner David, Bundesrat trennt Vorlagen, in: Der Bund, 22. Mai 2009,
http://www.derbund.ch/zeitungen/schweiz/Bundesrat-trennt-
Vorlagen/story/19625006 (23. März 2012).
• Schatzmann Hans, Auslandeinsätze der Armee – politisches Hüst und Hott
ohne Ende?, in Allgemeine schweizerische Militärzeitschrift: ASMZ 11 (2009),
47.
• Schaub Adrian R., Neutralität und Kollektive Sicherheit. Gegenüberstellung
zweier unvereinbarer Verhaltenskonzepte in bewaffneten Konflikten und
These zu einem zeit- und völkerrechtsgemässen modus vivendi, Basel 1995.
• Seitz Werner, „Melonengrüne“ und „Gurkengrüne“. Die Geschichte der Grünen
in der Schweiz, in: Baer Matthias/Seitz Werner (Hg.), Die Grünen in der
Schweiz. Ihre Politik, Ihre Geschichte, Ihre Basis, Zürich/Chur 2008.
• SOG Vorstand, Meinungsaustausch mit bürgerlichen Parlamentariern, in ?, in
Allgemeine schweizerische Militärzeitschrift : ASMZ 6 (2009), 35.
142
• Tagesanzeiger, Ständerat gegen Rückzug des EU-Beitrittsgesuchs, in:
Tagesanzeiger Online, 6. Juni 2011, http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/
standard/Staenderat-gegen-Rueckzug-des EUBeitrittsgesuchs/story/31559095
(25. Juni 2012).
• Venus Vincent, Experiment Atalanta, Der Kampf gegen die Piraten beweist,
dass die EU eine Militärmacht werden könnte, in: Treffpunkt Europa, 30.
August 2011, http://www.treffpunkteuropa.de/Experiment-Atalanta
(7. Februar 2012).
• Zeller René, Der Schweizer Kooperationswille zerschellt an „Atalanta“, in:
Neue Zürcher Zeitung, 25. September 2009, 23.
• Zürcher Regula, Grosse Chance für eine kleine Partei. Die Grünen und die
direkte Demokratie, in: Baer Matthias/Seitz Werner (Hg.), Die Grünen in der
Schweiz. Ihre Politik, Ihre Geschichte, Ihre Basis, Zürich/Chur 2008.
143
Anhang 1
Karte: Die politische Situation in Somalia, Stand 2 5. Mai 2012
Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Somalia_map_states_regions_districts.png
Legende :
• Blau : Federal Republic of Somalia (Übergangsregierung und Verbündete)
• Orange: Republic of Somaliland
• Grau: Islamic Emirate of Somalia (Shabab-Miliz)
• Purpur: Autonome Republik Khatumo
144
Anhang 2
Chronologische Übersicht über den politischen Proze ss im Zuge der Atalanta-
Vorlage und der MG-Revision
2. Dezember 2008 Die Schweiz erhält vom damaligen Generalsekretär der Europäischen Union Javier Solana ein offizielles Schreiben, in welchem die Schweiz um einen Beitrag zu EU-NAVFOR Atalanta gebeten wird.
27. Januar 2009 Hochrangige Schweizer Diplomaten informieren an einer Pressekonferenz dass sich die Schweiz mit eigenen Militärverbänden an EU-NAVFOR Atalanta beteiligen möchte.
25. Februar 2009 Der Bundesrat bewilligt unter Vorbehalt der Zustimmung der Eidgenössischen Räte einen Assistenzdienst zur Unterstützung von EU-NAVFOR Atalanta. Der Bundesrat beauftragt darauf das EDA zusammen mit dem VBS ein Abkommen mit der EU über eine Schweizer Beteiligung an Atalanta auszuhandeln.
22. April 2009 Der Bundesrat veröffentlicht seinen Bericht zum Bundesbeschluss über die Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta sowie der geplanten Militärgesetz- revision.
11. und 13. Mai 2009 Anhörung der Parteien und Verbände zur geplanten Änderung des Militärgesetzes (Vernehmlassung).
11. Juni 2009 Sitzung der APK des Nationalrats zur Beteiligung an Atalanta und der Militärgesetzrevision. Anträge: Atalanta-Vorlage: Nichteintreten, MG-Revision: Nichteintreten.
15. und 16. Juni 2009 Sitzungen der SiK des Nationalrats zur Beteiligung an Atalanta und der Militärgesetzrevision. Anträge: Atalanta-Vorlage: Eintreten, MG-Revision: Nichteintreten.
145
18. Juni 2009 Sitzung der APK des Ständerats zur Beteiligung an Atalanta und der Militärgesetzrevision. Anträge: Atalanta-Vorlage: Eintreten, MG-Revision: Nichteintreten.
25. und 26. Juni 2009 Sitzung der SiK des Ständerats zur Beteiligung an Atalanta und der Militärgesetzrevision. Anträge: Atalanta-Vorlage: Eintreten, MG-Revision: Nichteintreten.
8. September 2009 Verhandlung im Ständerat über die Beteiligung an Atalanta und der Militärgesetzrevision. Atalanta: Ja, MG-Revision: Nein.
9. / 15. und 16. September Verhandlungen im Nationalrat über die Beteiligung an Atalanta und der Militärgesetzrevision. Atalanta: Nein, MG-Revision: Nein. MG-Revision somit definitiv abgelehnt.
22. September 2009 Sitzung der SiK des Ständerates zur Beteiligung an Atalanta. Antrag: Eintreten.
22. September 2009 Verhandlung im Ständerat über die Beteiligung an Atalanta. Entscheid: Ja.
24. September 2009 Sitzung der SiK des Nationalrats zur Beteiligung an Atalanta. Antrag: Nichteintreten.
24. September 2009 Verhandlung im Nationalrat über die Beteiligung an Atalanta. Entscheid: Nein. Atalanta-Vorlage somit definitiv abgelehnt.
146
Anhang 3
Art. 69 und Art. 70 des Bundesgesetzes über die Arm ee und die
Militärverwaltung vom 3. Februar 1995 (Stand am 1. Januar 2011)
Quelle: http://www.admin.ch/ch/d/sr/5/510.10.de.pdf
147
Anhang 4
Die politischen Kräfteverhältnisse in National- und Ständerat während der 48.
Legislaturperiode (2007-2011)
Quelle: http://www.parlament.ch/d/organe-mitglieder/bundesversammlung/fraktionen/fraktionen-48-legislatur/Seiten/default.aspx
148
Anhang 5
1. Abstimmungsprotokoll der Nationalratssitzung vom 16. September 2009
Quelle: http://www.parlament.ch/poly/Abstimmung/48/out/vote_48_2870.pdf
2. Abstimmungsprotokoll der Nationalratssitzung vom 24. September 2009
Quelle: http://www.parlament.ch/poly/Abstimmung/48/out/vote_48_3025.pdf
Legende :
• S : Sozialdemokratische Fraktion • RL : FDP-Liberale Fraktion • V : Fraktion der SVP • BD : BDP Fraktion • CEg : CVP/EVP/GLP • G : Grüne Fraktion
151
Anhang 6
Artikel in der Wochenzeitung: „Klimmzüge für Calmy- Rey“
(27. August 2009)
Quelle:
Hanimann Carlos, Klimmzüge für Calmy-Rey, in: Die Wochenzeitung (WOZ), 27.8.2009, http://www.woz.ch/0935/mission-atalanta/klimmzuege-fuer-calmy-rey (14. März 2012).
155
Lebenslauf des Autors Oliver Rölli
Grossweidstrasse 12
6010 Kriens
Geburtsdatum: 8. Juli 1984
Geburtsort: Luzern
Ausbildung:
- Master in European Studies, Universität Fribourg seit Februar 2009
Dreisprachiges Studium: Deutsch, Französisch, Englisch
Spezialisierungsbereiche: Wirtschaft, Geschichte
Kleines Nebenfach: Medien- und Kommunikations-
wissenschaften
September 2010–Januar 2011: Auslandsemester an der Universität
La Réunion, Frankreich
- Bachelor in Medien- und Kommunikationswissenscha ften, 2005-2009 Universität Fribourg
Grosses Nebenfach: Zeitgeschichte
Kleines Nebenfach: Betriebswirtschaftslehre
Bachelorarbeit zum Thema: Social-Communities. Eine nutzerbezogene Untersuchung von StudiVZ und Facebook bezüglich des Nutzungsverhaltens, der Nutzungsmotive und der Thematik des Daten- und Privatsphärenschutzes
- Gymnasiale Matura in Latein 1997-2004
Kantonsschule Alpenquai Luzern