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Die Neutralität und andere ideelle Konzepte als Faktoren einer tendenziell isolationistischen...

Date post: 24-Feb-2023
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0 Masterarbeit eingereicht bei der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg (CH) Die Neutralität und andere ideelle Konzepte als Faktoren einer tendenziell isolationistischen Schweizer Aussenpolitik. Der Fall der Nichtbeteiligung der Schweizer Armee am Anti- Piraterie-Einsatz EU-NAVFOR Atalanta. Autor: Oliver Rölli Heimatort: Luzern Eingereicht im Jahr: 2012 Betreuer der Masterarbeit: Prof. Dr. Gilbert Casasus (& Bernhard Altermatt)
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Masterarbeit eingereicht bei der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg (CH)

Die Neutralität und andere ideelle Konzepte als

Faktoren einer tendenziell isolationistischen

Schweizer Aussenpolitik.

Der Fall der Nichtbeteiligung der Schweizer Armee a m Anti-

Piraterie-Einsatz EU-NAVFOR Atalanta.

Autor: Oliver Rölli

Heimatort: Luzern

Eingereicht im Jahr: 2012

Betreuer der Masterarbeit: Prof. Dr. Gilbert Casasus (& Bernhard Altermatt)

1

Inhaltsverzeichnis

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ............................................................................................... 4

1. EINLEITUNG .................................................................................................................. 6

2. ATALANTA: POLITISCH-HISTORISCHER KONTEXT, RECHTLICHE ASPEKTE ....................... 10

2.1 PIRATERIE AM HORN VON AFRIKA: URSACHEN UND AUSPRÄGUNG ................................................ 10

2.1.1 Die politisch-historische Entwicklung Somalias seit 1991 ........................................ 11

2.1.2 Die Ausprägung der Piraterie am Horn von Afrika und ihre Folgen ........................ 13

2.2 MASSNAHMEN GEGEN DIE PIRATERIE ....................................................................................... 17

2.2.1 Militärische Massnahmen der USA, NATO und anderer Staaten ............................ 17

2.2.2 EU-NAVFOR Atalanta ............................................................................................... 19

2.2.3 Internationale Rechtsgrundlagen für militärisches/seepolizeiliches Vorgehen gegen

Piraten ............................................................................................................................... 24

3. DER POLITISCHE PROZESS UND DIE DEBATTE BETREFFEND EU-NAVFOR ATALANTA IN

DER SCHWEIZ .................................................................................................................. 28

3.1 AUSGANGSLAGE ................................................................................................................... 28

3.2 DIE BOTSCHAFT DES BUNDESRATES ZUR BETEILIGUNG AN EU-NAVFOR ATALANTA ......................... 31

3.2.1 Art der Schweizer Beteiligung/ Ziele ........................................................................ 31

3.2.2 Allgemeine Argumentation des Bundesrates........................................................... 33

3.2.3 Rechtliche Belange und Argumentation .................................................................. 35

3.3 ÖFFENTLICHE DEBATTE: POSITIONEN VON PARTEIEN, VERBÄNDEN UND ORGANISATIONEN SOWIE IN DEN

MEDIEN VERTRETENE EINSCHÄTZUNGEN......................................................................................... 40

3.3.1 Vernehmlassung zur Gesetzesänderung .................................................................. 40

3.3.2 Die Communiqués der befürwortenden Parteien .................................................... 41

3.3.3 Die Communiqués der ablehnenden Parteien .......................................................... 45

3.3.4 Positionen ausgewählter Verbände und Organisationen zu Atalanta .................... 47

3.3.5 Berichterstattung in der Presse, Kommentare und Hintergründe ........................... 51

2

3.4 DIE BEHANDLUNG DER ATALANTA-VORLAGE DURCH DIE KOMMISSIONEN ....................................... 54

3.4.1 Grundsätzliches zu den Kommissionen und Vorgehen ............................................ 54

3.4.2 Die Beratung der Vorlage durch die Kommissionen des Ständerats ....................... 56

3.4.3 Die Beratung der Vorlage durch die Kommissionen des Nationalrats ..................... 60

3.5 DIE ABLEHNUNG DER BETEILIGUNG AN EU-NAVFOR ATALANTA – ÜBERSICHT UND AUSZÜGE AUS DEN

PARLAMENTSDEBATTEN .............................................................................................................. 70

3.5.1 Grundsätzliches zum parlamentarischen Prozess und Vorgehen ............................ 70

3.5.2 Die Ständeratsdebatte vom 8. September 2009 ...................................................... 71

3.5.3 Die Nationalratsdebatten vom 9., 15. Und 16. September 2009 ............................. 76

3.5.4 Differenzbereinigungsverfahren/ Endgültige Ablehnung der Vorlage .................... 83

3.5.5 Die Umstände der Ablehnung – eine erste Einordnung ........................................... 87

4. VERTIEFTE ANALYSE DER IDEOLOGISCHEN HINTERGRÜNDE DER ATALANTA-GEGNER... 91

4.1 DAS POLITISCHE KONZEPT DER NEUTRALITÄT ............................................................................. 91

4.1.1 Entstehung und Grundsätze ..................................................................................... 91

4.1.2 Die Neutralität in der Geschichte der Schweiz ......................................................... 95

4.2 DAS NEUTRALITÄTSVERSTÄNDNIS DER POLITISCHEN RECHTEN ..................................................... 106

4.3 ÜBERSICHT ÜBER DIE PAZIFISTISCHE GESINNUNG UND DAS NEUTRALITÄTSVERSTÄNDNIS DER GRÜNEN

PARTEI DER SCHWEIZ ................................................................................................................ 113

4.3.1 Entstehung und Wurzeln der Grünen Partei der Schweiz ...................................... 113

4.3.2 Aktuelle pazifistische Gesinnung, Neutralitätsverständnis und aussenpolitisches

Leitbild der GPS ............................................................................................................... 115

5. EINORDNUNG DES FALLS ATALANTA IN DEN KONTEXT DER ALLGEMEINEN SCHWEIZER

AUSSENPOLITIK ............................................................................................................. 121

6. BIBLIOGRAPHIE .......................................................................................................... 130

6.1 PRIMÄRQUELLEN ................................................................................................................ 130

6.2 SEKUNDÄRQUELLEN: ........................................................................................................... 136

3

ANHANG 1 ............................................................................................................................. 143

Karte: Die politische Situation in Somalia, Stand 25. Mai 2012

ANHANG 2 ............................................................................................................................. 144

Chronologische Übersicht über den politischen Prozess im Zuge der Atalanta-Vorlage und

der MG-Revision

ANHANG 3 ............................................................................................................................. 146

Art. 69 und Art. 70 des Bundesgesetzes über die Armee und die Militärverwaltung vom 3.

Februar 1995 (Stand am 1. Januar 2011)

ANHANG 4 ............................................................................................................................. 147

Die politischen Kräfteverhältnisse in National- und Ständerat während der 48.

Legislaturperiode (2007-2011)

ANHANG 5 ............................................................................................................................. 148

1. Abstimmungsprotokoll der Nationalratssitzung vom 16. September 2009

2. Abstimmungsprotokoll der Nationalratssitzung vom 24. September 2009

ANHANG 6 ............................................................................................................................. 151

Artikel in der Wochenzeitung: „Klimmzüge für Calmy-Rey“

4

Abkürzungsverzeichnis

AMISOM African Union Mission in Somalia

APK Aussenpolitische Kommission

AUNS Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz

BDP Bürgerlich-Demokratische Partei Schweiz

BV Bundesverfassung

CVP Christlichdemokratische Volkspartei

EDA Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten

ESVP Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik

EU NAVFOR Atalanta European Union Naval Force Somalia – Operation

Atalanta

FDP Freisinnige Partei der Schweiz

FPÖ Freiheitliche Partei Österreichs

GASP Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik

GLP Grünliberale Partei Schweiz

GPS Grüne Partei der Schweiz

GSOA Gruppe für eine Schweiz ohne Armee

MG Militärgesetz

NR Nationalrat

NZZ Neue Zürcher Zeitung

OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in

Europa

SALT Strategic Arms Limitation Talks

5

SiK Sicherheitspolitische Kommission

SIPOL B Sicherheitspolitscher Bericht

SOG Schweizerische Offiziersgesellschaft

SP Sozialdemokratische Partei Schweiz

SR Ständerat

START Strategic Arms Reduction Treaty

SVP Schweizerische Volkspartei

VBS Eidg. Departement für Verteidigung, Bevölkerungs-

schutz und Sport

6

1. Einleitung

Die Region am Horn von Afrika und insbesondere die Problematik der Piraterie vor

den Küsten Somalias stehen spätestens seit der Entführung des saudi-arabischen

Öltankers „Sirius-Star“ und des Waffen transportierenden ukrainischen Frachtschiffs

„MS Faina“ im Spätjahr 2008 im Brennpunkt der Weltöffentlichkeit. Militäreinheiten

und -verbände diverser Länder versuchen seither jene in der Region neu entflammte

Problematik einzudämmen. Die Gewässer am Horn von Afrika, respektive der Golf

von Aden, bilden die Pforte zum Roten Meer und dem für den Handel zwischen

Europa und Asien eminent wichtigen Suezkanal. Die von der Piraterie ausgehende

Gefährdung dieser Handelsroute beeinträchtigt einerseits die Einkünfte der Reeder,

betrifft aber in seinem Gesamtausmass die wirtschaftlichen Interessen der

Seehandel treibenden Nationen und schlussendlich die Prosperität des gesamten

Welthandels.

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 10. November 2008 die Operation

EU-NAVFOR Atalanta als militärisch-polizeiliche Massnahme gegen die Piraterie vor

den Küsten Somalias. Im Dezember desselben Jahres wurden die ersten

Kriegsschiffe und Militäreinheiten in die Region entsandt. An der Militäroperation

beteiligten und beteiligen sich heute noch hauptsächlich EU-Mitgliedstaaten, jedoch

temporär und in kleinerem Umfang auch einige Nicht-EU-Mitgliedstaaten wie

Norwegen, Kroatien, Montenegro und die Ukraine. Der Schweizer Bundesrat plante

ab Ende 2008 ebenfalls eine Beteiligung von Schweizer Armeeeinheiten an EU-

NAVFOR Atalanta. Die Schweiz ist zwar ein Binnenland, verfügt jedoch über eine

eigene Überseehandelsflotte, womit auch direkt Schweizer Interessen von der

Piraterie am Horn von Afrika betroffen sind. Die Planung des Bundesrates sah vor,

ein ungefähr 30-Köpfiges Team (davon 12-14 bewaffnete Elitesoldaten) in die

Region zu entsenden, welches dort auf einer deutschen Fregatte stationiert gewesen

wäre. Es ist anzunehmen, dass sich der direkte militärische Nutzen jenes kleinen

Kontingents für die Gesamtoperation in engen Grenzen gehalten hätte; als

symbolische Aktion hingegen wäre eine solche Beteiligung gegenüber der

Europäischen Union und der Weltgemeinschaft durchaus von Bedeutung gewesen.

Der Fokus dieser Arbeit liegt jedoch auf der innenpolitischen Dimension der

7

möglichen Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta und der dazu

stattgefundenen Debatte.

Für die Schweiz hätte eine Teilnahme an Operation Atalanta in verschiedener

Hinsicht ein Novum bedeutet: Bewaffnete Schweizer Soldaten hätten sich zum ersten

Mal im Rahmen einer internationalen Polizeiaktion in einer fernab von Europa

gelegenen Region beteiligt. Dabei wären sie auf einem Kriegsschiff einer anderen

Nation stationiert und somit auch in deren Kommandostrukturen integriert gewesen.

Die bewaffneten militärischen Auslandengagements der Schweiz beschränkten sich

bisher auf die Teilnahme an humanitären oder friedensfördernden Operationen der

UNO (oder unter UNO-Mandat), der OSZE sowie auf die Bewachung von Schweizer

Botschaften im Ausland. Auf politischer Ebene hätte eine Beteiligung an EU-

NAVFOR Atalanta für die Schweiz einen Schritt in Richtung verstärkter

internationaler (militärischer) Zusammenarbeit und somit auch einer veränderten

Interpretation ihres neutralen Status bedeutet. Die vom Bundesrat vorbereitete

Vorlage zu einer Schweizer Beteiligung an Atalanta wurde vom Schweizer Parlament

im September 2009 allerdings abgelehnt.

Das Ziel dieser Arbeit ist einerseits, den gesamten politischen Prozess, welcher die

Debatte und den Entscheid über die Atalanta-Vorlage begleitete, aufzurollen:

Berücksichtigt wurden dabei die vom Bundesrat verfasste Botschaft zur Vorlage

inklusive der rechtlichen Aspekte, die zur Vorlage durchgeführte Vernehmlassung,

ein Teil der in den Medien stattgefundenen Debatten sowie der öffentliche

Positionsbezug der politischen Parteien im Vorfeld der Abstimmung. Darüber hinaus

wurde den Sitzungen, der für die Behandlung der Vorlage zuständigen

Kommissionen sowie den in National- und Ständerat zum Thema geführten Debatten

besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Bei der Analyse und der Betrachtung jener

Debatten wurden die von Atalanta-Gegnern und Befürwortern verwendeten

Argumente näher betrachtet. Die Arbeit bietet einerseits einen vertieften Einblick in

die komplexen Abläufe des politischen Systems der Schweiz. Andererseits sollen die

Argumente der Atalanta-Gegnerschaft vor dem Hintergrund von deren ideologischen

Beweggründen einer nähren Analyse unterzogen werden.

Bei der Gegnerschaft aus dem rechten politischen Spektrum, namentlich der

Schweizerischen Volkspartei, werden deswegen deren Interpretation der Neutralität

8

und deren allgemeines aussenpolitisches Leitbild untersucht. Dieses war zu einem

Grossteil für deren ablehnende Haltung verantwortlich. Zum Zweck eines besseren

Verständnisses und im Sinne einer Einordnung jenes aussenpolitischen

Verhaltensgrundsatzes gibt es ein zusätzliches Kapitel, welches sich mit der

allgemeinen Geschichte der Neutralität auseinandersetzt, wie auch ein Kapitel,

welches auf die Neutralität in der Geschichte der Schweiz und deren Einfluss auf die

Schweizer Aussenpolitik im Speziellen eingeht. Bei der Atalanta-Gegnerschaft aus

dem linken Lager, insbesondere der Grünen Partei, waren es vor allem pazifistische

Beweggründe, die sie zu einer Ablehnung der Beteiligung an der Militäroperation

veranlassten. Ein Kapitel wird deswegen der Grünen Partei und der dort verbreiteten

pazifistischen Grundhaltung gewidmet.

Das Aufrollen des politischen Prozesses, die Analyse von Argumenten und

ideologischen Beweggründen der Gegnerschaft sowie die Abhandlung über die

Neutralität in der Geschichte der Schweiz (und deren Auswirkung auf die

schweizerische Aussenpolitik) dienten der Einordnung jenes (Einzel-)Falls Atalanta in

den Gesamtkontext der generellen Ausgestaltung der Schweizer Aussen- und

Sicherheitspolitik. Die Analyse der Umstände der Nicht-Beteiligung an EU-NAVFOR

Atalanta führte die Schwierigkeit vor Augen, in jenem zur Zeit in der Schweizer Politik

herrschenden Spannungsfeld zwischen liberal-internationalistischen auf der einen

und konservativ-isolationistischen resp. pazifistischen/nicht-interventionistischen

Kräften auf der anderen Seite eine klare aussenpolitische Linie zu definieren und vor

allem zu verfolgen. Es wurde in diesem Zusammenhang eine Einschätzung

vorgenommen, inwiefern die Ablehnung der Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR

Atalanta einen nachhaltigen Einfluss auf die Ausgestaltung der Schweizer

Aussenpolitik hatte und in welchem Ausmass diese als Versinnbildlichung des in der

Schweizer Aussenpolitik herrschenden Status Quo gesehen werden kann.

Der erste Teil dieser Arbeit befasst sich mit der Geschichte Somalias und des dort

wiederaufgekommenen Phänomens der Piraterie, welches den eigentlichen

Ausgangspunkt jeglicher darauf folgender politischer und militärischer Bestrebungen

und Massnahmen bildete. Jene Gegenmassnahmen und Bestrebungen werden in

den nachfolgenden Kapiteln ebenfalls näher beschrieben; darunter eine

Beschreibung von EU-NAVFOR Atalanta, an der sich Schweizer Soldaten nach dem

9

Willen des Bundesrates hätten beteiligen sollen und sich die Geister der politischen

Schweiz schieden.

10

2. Atalanta: Politisch-historischer Kontext, rechtliche Aspekte 2.1 Piraterie am Horn von Afrika: Ursachen und Ausp rägung

Das Phänomen der Piraterie an sich ist alles andere als neu. Bis vor nicht allzu

langer Zeit wurde dieses oftmals am ehesten mit vergangenen Zeiten, Romanen und

Filmen, die in der Epoche zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert spielen,

assoziiert. Das eklatante Problem der Piraterie am Horn von Afrika, die durch

mehrere UNO-Resolutionen abgesegneten Gegenmassnahmen u.a. seitens der EU

und der NATO und die dazugehörige Medienberichterstattung, verschafften der

Thematik jedoch von neuem den Stellenwert eines relevanten Problems für die

globale Sicherheit. In seiner Resolution 1851 vom 16. Dezember 2008 zeigt sich der

Sicherheitsrat der Vereinten Nationen „zutiefst besorgt über die Zunahme von

Vorfällen von Seeräuberei und bewaffneter Raubüberfälle auf See vor der Küste

Somalias“1

Bevor die Piraterie am Horn von Afrika ein solches Ausmass annahm, dass sich der

UNO-Sicherheitsrat mit ihr beschäftigte, gab es eine jahrelange relative

Nichtbeachtung seitens der Industrienationen gegenüber der Piraterie und sonstiger

Problematiken in Ostafrika (Horn von Afrika) und Westafrika (Nigerdelta, Golf von

Guinea). Dies war einer der Gründe, weshalb die Piraterie in Afrika immer

erfolgreicher werden konnte. Auf der anderen Seite war im Falle Somalias die

jahrzehntelange Abwesenheit staatlicher Strukturen dafür verantwortlich, dass sich

dort die Piraterie im besonderen Masse etablieren konnte2. Die folgenden Kapitel

betrachten die Ursachen und Hintergründe der Piraterie in Somalia, beginnend mit

der politischen Entwicklung Somalias seit 1991.

1 Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, Resolution 1851 (2008). Verabschiedet auf der 6046. Sitzung des

Sicherheitsrats am 16. Dezember 2008, in: http:// www.un.org/depts/german/sr/sr_08/sr1851.pdf (16.

Januar 2012). 2 Vgl. Ceska/Ashkenazi, Piraterie vor den afrikanischen Küsten und ihre Ursachen, 33.

11

2.1.1 Die politisch-historische Entwicklung Somalia s seit 1991

Im Jahr 1991 wurden der ehemalige Diktator Siad Barre und sein Regime gestürzt,

welches zuvor während rund 20 Jahren Somalia brutal regierte, dem Grossteil des

Landes aber auch politische Stabilität verschaffte. Nachdem das System Siad Barres

1991 kollabierte, begann ein blutiger Bürgerkrieg, in welchem sich verschiedene

Warlords und Stämme gegenseitig bekriegten. Noch im selben Jahr erklärten

Stämme im Nordwesten des Landes die Unabhängigkeit ihrer Region und riefen

unter dem Namen Somaliland einen neuen Staat aus. Jenes Staatsgebilde, welches

sich auf dem Gebiet des ehemals britischen Protektorats Somaliland befindet, ist bis

heute international zwar nicht anerkannt, gilt aber für lokale Verhältnisse als recht

stabiles Gebilde.3

Nach einem Waffenstillstandsabkommen der wesentlichen Bürgerkriegsparteien

startete die UNO im April 1992 ihre erste Mission in Somalia unter dem Namen

UNOSOM I. Deren Auftrag bestand in der Überwachung des Waffenstillstands und

der Schaffung eines sicheren Umfelds für die Verteilung von Hilfsgütern. Da die

Mission nicht den gewünschten Erfolg zeigte, wurde deren Mandat erweitert und

durch die von den USA angeführte multinationale „United Task Force“ (UNITAF)

unterstützt. Deren Auftrag beinhaltete nebst demjenigen der UNOSOM I auch die

Entwaffnung der verschiedenen Milizen. Der UNO-Sicherheitsrat ermächtigte die

Beteiligten der Task Force, notfalls auch Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele

anzuwenden. Ab März 1993 hiess die UNITAF neu UNOSOM II und wurde mit einem

zusätzlich erweiterten Mandat ausgestattet. Nach Angriffen von Milizen des damals

bedeutenden somalischen Clanführers und Warlords Mohammed Farah Aidid auf

UNO-Soldaten und weiteren Behinderungen derer Mission, kam es im Oktober 1993

zu einer primär von den USA geführten Militäraktion, deren Ziel die Festnahme

Aidids war. Aufgrund unerwartet heftiger Gegenwehr misslang die Aktion, 16 US-

Soldaten und ungefähr 1000 Somalier verloren dabei ihr Leben. Die Niederlage hatte

den Abzug der amerikanischen Truppen im Jahr 1994 zur Folge, welche einen

Grossteil der Mission in Somalia ausmachten. Die gesamte UNO-Mission UNOSOM

II zog 1995 ohne vorzuweisende nachhaltige Erfolge aus Somalia ab. Es folgten

darauf internationales Desinteresse und ein allgemeiner Rückgang ausländischer 3 Vgl. Friedrichs Hauke, Hort der Piraten, Warlords und Terroristen, in: http://www.zeit.de/

politik/ausland/2010-08/somalia-50-jahre-unabhaengigkeit/seite-1(16. Januar 2012).

12

Unterstützung. Der Abzug der UNO hatte kein Wiederaufflammen des Bürgerkriegs

zur Folge, jedoch machten sich weitere innere Spaltungstendenzen bemerkbar:4

1998 schlossen sich drei nordöstliche Provinzen zur selbstverwalteten Region

Puntland zusammen. Die teilunabhängige Region Puntland gilt heute als jenes

Gebiet Somalias, in welchem die meisten Piratenbanden aktiv sind.5

2004 kam es im Exil in Kenia erstmals zur Bildung einer offiziellen

Übergangsregierung für Somalia (genannt Transitional Federal Government, TFG).

Der Sitz jener Übergansregierung befand sich ursprünglich in Nairobi, Kenia, danach

ab 2005 in Baidoa und somit erstmals auf somalischem Boden. Im Jahr 2006

begannen äthiopische Streitkräfte eine Militäroffensive, die sich gegen die „Al-

Shabab“ und andere radikalislamische Milizen in Somalia richtete. Ziel war es, die

Durchsetzungskraft der somalischen Übergangsregierung zu stärken. Die „Al-

Shabab“, resp. ihre Dachorganisation „Union islamischer Gerichte“ kontrollierte zu

dieser Zeit weite Teile Süd- und Zentralsomalias, inklusive der Hauptstadt

Mogadischu. Mithilfe der äthiopischen Truppen vermochte die somalische

Übergansregierung die Kontrolle über einen Grossteil der Hauptstadt Mogadischu zu

erlangen. Trotz dieses Teilerfolgs konnten die „Al-Shabab“-Milizen durch die

äthiopische Militärpräsenz, welche bis Januar 2009 dauerte, nicht nachhaltig

vertrieben werden; die Verhältnisse in Somalia blieben äusserst instabil. Nach dem

Rückzug des äthiopischen Militärs gelang es den „Al-Shabab“-Milizen, mit Ausnahme

von Teilen Mogadischus, die Kontrolle über viele ihrer zuvor kontrollierten Gebiete im

Süden des Landes wiederzuerlangen.6

Die von der UNO und den USA unterstützte Übergangsregierung übt heute eine

faktisch sehr eingeschränkte staatliche Souveränität aus, die sich auf den Grossraum

Mogadischu und (unter Vorbehalt) auf einige von Verbündeten kontrollierte Gebiete

beschränkt. Seit 2007 erhält die Übergangsregierung militärischen Schutz von der

4 Vgl. Hainzl Gerald/ Feichtinger Walter, Piraten und Islamisten. Wen interessiert Somalia?, in: IFK Aktuell 1

(2010), http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/ifk_aktuell_10_01_piraten_islamisten

_somalia_hainzl_16.pdf (4. Februar 2012). 5 Vgl. Friedrichs Hauke, Hort der Piraten, Warlords und Terroristen, in: http://www.zeit.de/

politik/ausland/2010-08/somalia-50-jahre-unabhaengigkeit/seite-1(16. Januar 2012). 6 Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320 (16.

Januar 2012).

13

„African Union Mission in Somalia“ (AMISOM).7 Die ca. 6000 Mann starke

Friedenstruppe setzt sich bisher aus ugandischen und burundischen Soldaten

zusammen und operiert unter UNO-Mandat.8 Der übrige südliche Teil des Landes

wird weiterhin zu einem beträchtlichen Teil von der islamistischen „Al-Shabab“-Miliz

kontrolliert. In Anhang 1 findet sich eine Karte, welche eine grobe Übersicht über die

aktuellen Machtbereiche und politischen Entitäten Somalias enthält. Die Grenzen

jener Machtbereiche verschoben sich in den vergangenen Jahren stetig. Nebst den

verschiedenen Milizen, lokal aktiven Regierungen und Verwaltungen sind es auch

rivalisierende Stämme und Warlords, die sich seit 20 Jahren an den Machtkämpfen

beteiligen und für das enorme innenpolitische Zerwürfnis Somalias mitverantwortlich

sind. Als Konsequenz dieser Konflikte geriet das Land auf eine politisch,

wirtschaftlich und sozial desaströse Bahn. Die Symptome davon sind u.a. humanitäre

Katastrophen, Bürgerkrieg, Engpässe in der Lebensmittelversorgung, schwache

soziale und wirtschaftliche Strukturen und eine weit verbreitete Perspektiv- und

Arbeitslosigkeit. Man spricht deswegen in politischer Hinsicht von Somalia als einem

„failed state“.9

2.1.2 Die Ausprägung der Piraterie am Horn von Afri ka und ihre Folgen

Das Phänomen der Piraterie zeigte sich in Somalia erstmals in den 80er Jahren und

nahm nach dem Sturz der Regierung 1991 markant zu. Anfänglich machten viele

Piraten geltend, dass ihre Aktionen gegen die illegale Ausbeutung der

Fischvorkommen und die Entsorgung von Giftmüll an Somalias Küsten, gerichtet

seien.10 Tatsächlich stellt das Wildern von Meeresressourcen ein existenzielles

Problem für viele lokale Fischer dar; dies nicht nur in Somalia. Mit ihren grossen

Fangnetzen fischen ausländische Trawler (Schleppnetzfischer) lokale Fischgründe

oftmals beinahe leer und entziehen damit der lokalen Bevölkerung ihre

Lebensgrundlage. Dieses Problem gehört mitunter zu den Ursachen, weshalb sich

somalische Fischer Piratenbanden anschliessen. Die mangelnde

7 Vgl. Hainzl Gerald/ Feichtinger Walter, Piraten und Islamisten. Wen interessiert Somalia?, in: IFK Aktuell 1

(2010), http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/ifk_aktuell_10_01_piraten_islamisten

_somalia_hainzl_16.pdf (4. Februar 2012). 8 Vgl. AMISOM, Frequently Asked Questions, in http://amisom-au.org/about/frequently-asked-questions/ (9.

Februar 2012). 9 Vgl. Ceska/Ashkenazi, Piraterie vor den afrikanischen Küsten und ihre Ursachen, 33.

10 Vgl.Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320 (16.

Januar 2012).

14

Regierungskontrolle über die Hoheitsgewässer ermöglicht einerseits das Wildern der

Fischgründe durch ausländische Schiffe und begünstigt andererseits die Piraterie.

Ebenso sollen Schiffe, u.a. mit mutmasslichen Verbindungen zur italienischen Mafia,

wiederholt Giftmüll vor der somalischen Küste abgeladen haben. Die dadurch

verursachte Umweltverschmutzung zu Wasser und zu Land kann ebenso zu einem

Existenzproblem für Fischer und Bauern werden.11

Bei einem Grossteil der Piraten soll es sich um junge Somalier aus armen

Verhältnissen aus der Region Puntland handeln.12 Die typischen

Fortbewegungsmittel der Piraten sind normalerweise schmale, schnelle Skiff-

Holzboote. Zusätzlich dazu werden vermehrt sogenannte Mutterschiffe eingesetzt

von denen aus die kleinen Schnellboote operieren; ihr Operationsgebiet hat sich

dadurch auf bis zu 1600 Kilometern von der somalischen Küste entfernt in den

Indischen Ozean ausgeweitet. Ihre Bewaffnung besteht gewöhnlich aus AK-47

Sturmgewehren, RPG-Raketenwerfern und Maschinengewehren grösseren Kalibers.

Die Operationen somalischer Piraten haben im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts

generell an Kühnheit, Reichweite und Raffinesse gewonnen13: Grosse Tanker,

Frachter, Containerschiffe, wie auch Luxusjachten, die oft in grösserer Entfernung

zur Küste fahren, wurden in der Folge zum Opfer von Übergriffen.14

Man geht davon aus, dass die grossen Piratengruppen über weit verzweigte

Informationsnetzwerke mit eigenen Informanten und Verbindungsleuten in

Reedereien und Schifffahrtsbehörden verfügen. Jene Mittel ermöglichen den Piraten,

im Vorfeld einer geplanten Attacke, über Informationen wie die Grösse der

Besatzung, die Art der Fracht und die genaue Route eines Schiffes zu verfügen.15

2009 wurden laut des International Maritime Bureau Jahresreports 217

Piratenangriffe vor der Küste Somalias gezählt. 47 Schiffe wurden dabei entführt,

867 Besatzungsmitglieder als Geiseln genommen. Mit 217 Angriffen zeichneten die

Piraten Somalias für über die Hälfte der weltweit 406 gezählten Piraten-Zwischenfälle

11

Vgl. Ceska/Ashkenazi, Piraterie vor den afrikanischen Küsten und ihre Ursachen, 34. 12

Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320

(16. Januar 2012). 13

Vgl. Ceska/Ashkenazi, Piraterie vor den afrikanischen Küsten und ihre Ursachen, 34. 14

Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320

(16. Januar 2012). 15

Vgl. Bauer Wolfgang, Der gefährlichste Auftrag der Welt, in: http://www.zeit.de/2011/09/DOS-Somalia/seite-

1 (22. Januar 2012).

15

verantwortlich; die Zahl der Übergriffe hatte sich im Vergleich zu 2008 (111

Piratenangriffe) zudem fast verdoppelt.16

Der Golf von Aden ist die Pforte für eine für den Welthandel äusserst wichtige

Seepassage: Ungefähr 20‘000 Schiffe passieren auf der Fahrt von Asien nach

Europa jährlich den Suez-Kanal. Die Route durch den Kanal ermöglicht eine

Zeiteinsparung von bis zu 2 Wochen gegenüber der Fahrt um das Kap der Guten

Hoffnung.17 Die Bedeutung der Seepassage zeigt sich auch darin, dass mit 3,3

Millionen Barrel Rohöl täglich, 12 Prozent des weltweiten Volumens an Öltransporten

jene Gewässer durchqueren.18 Durch spektakuläre Piratenüberfälle auf grosse

Tanker und Frachtschiffe mit heikler Fracht stieg die Verunsicherung der Reedereien,

Versicherungen und Seehandel treibenden Nationen. Weltweit für Aufsehen sorgte

dabei die Kaperung des ukrainischen Frachters „MV Faina“ am 25. September 2008,

an dessen Bord sich Gewehre, schwere Waffen und 33 sowjetische T-72 Panzer

befanden. Ebenso hohe Wellen schlug die Entführung des saudi-arabischen

Supertankers „MV Sirius Star“ im November desselben Jahrs: Schiffe jener Grösse

galten bisher als gegenüber Piratenangriffen ungefährdet. An Bord des Schiffes

befanden sich nebst 25 Crewmitgliedern 2 Millionen Barrel Rohöl im Wert von 100

Millionen Dollar. Nach Verhandlungen wurden Besatzung und Schiff schliesslich

gegen ein Lösegeld von 3 Millionen Dollar freigelassen.19

Die Piraterie stellt in Somalia eine Art Schattengesellschaft dar, die alle

Gesellschaftsschichten durchdringt. Die erpressten Lösegelder - Millionenbeträge

sind dabei keine Seltenheit - sind eine Erwerbsquelle, die einerseits viele

Perspektivlose Somalis anzieht und andererseits über verschiedenste Kanäle ihren

Weg in die Gesellschaft finden: Piratengelder finanzieren beispielsweise mancherorts

Bauprojekte, von denen das lokale Gewerbe profitiert. Piratengruppen sollen

ebenfalls den Bau von Krankenhäusern unterstützt haben und bieten teilweise sogar

16

Vgl. ICC – Commercial Crime Services, 2009 Worldwide piracy figures surpass 400, in: http://www.icc-

ccs.org/news/385-2009-worldwide-piracy-figures-surpass-400 (23. Januar 2012). 17

Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320

(16. Januar 2012). 18

Vgl. Perras Arne/Wiegand Ralf, Erster grosser Piratenprozess in Hamburg seit Störtebecker, in:

http://www.sueddeutsche.de/politik/somalische-piraten-vor-gericht-erster-piratenprozess-in-hamburg-seit-

stoertebeker-1.1026614 (1. Februar 2012). 19

Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320

(16. Januar 2012).

16

Kleinkredite an. Durch ihre finanzielle Potenz und bis zu 10‘000 bewaffnete und

einsatzbereite Männer in ihren Diensten, stellen die verschiedenen Piratenbanden in

Somalia einen sehr ernstzunehmenden Wirtschafts- und Machtfaktor dar.20 Ihr

lukratives Geschäft erlaubt den Piraten Beziehungen über die Stammeslinien hinweg;

ebenso soll eine beträchtliche Zahl an Amtsträgern der verschiedenen regionalen

Verwaltungseinheiten mit den Piraten kooperieren. Im somalischen Kontext stellen

sie durch ihre wirtschaftliche und machtpolitische Bedeutung einen

destabilisierenden Faktor dar, der die fragilen, teils inexistenten politischen

Strukturen Somalias zusätzlich schwächt und die bereits sehr komplexen

Gesellschaftsstrukturen sowie die politische Situation zusätzlich verkompliziert.

Im internationalen Kontext sorgt die hohe Zahl an Überfällen für Unsicherheit auf den

Weltmärkten und erhöhten Kosten für die Beteiligten. Aufgrund des erhöhten Risikos

von Überfällen für Schiffe die den Suez-Kanal befahren, sind die Versicherungs-

prämien markant angestiegen. Betroffene Reeder müssen zudem teure

Zusatzpolicen für Schiffe abschliessen, die jene Route befahren.21 Durch die

deutliche Zunahme von Übergriffen seit 2007, änderte sich die Wahrnehmung der

Piraterie grundsätzlich: Wurde diese zuvor als ein lokales Problem, welches ein

gewisses ökonomisches Risiko für den Handel darstellt, wahrgenommen, so sprach

man von nun an vermehrt von einem zentralen Problem für die internationale

Sicherheit. Die Bereitschaft und das Verlangen nach politisch-militärischem Handeln

stiegen dadurch deutlich an.22 Von verschiedener Seite wurden Gegenmassnahmen

beschlossen und eingeleitet.

20

Vgl. Bauer Wolfgang, Der gefährlichste Auftrag der Welt, in: http://www.zeit.de /2011/09/DOS-

Somalia/seite-1(22. Januar 2012). 21

Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320

(16. Januar 2012). 22

Vgl. Bueger/Stockbrügger/Werthes, Strategische Fehler der Pirateriebekämpfung, 6.

17

2.2 Massnahmen gegen die Piraterie

2.2.1 Militärische Massnahmen der USA, NATO und and erer Staaten

Die Massnahmen gegen die Piraterie vor den Küsten Somalias bestehen vorwiegend

aus militärischen Engagements: Marineeinheiten und Flugzeuge verschiedener

Länder patrouillieren die Gewässer um das Horn von Afrika, mit der hauptsächlichen

Aufgabe Piratenangriffen vorzubeugen und im Fall von Angriffen, diesen zu Hilfe zu

eilen. Die Piraten werden bei der Abwehr eines Angriffs meistens in die Flucht

geschlagen oder nach Möglichkeit verhaftet. Eine weitere Massnahme gegen die

Piratenangriffe besteht in der Einrichtung eines „sicheren Korridors“, welcher durch

die Seepassage führt (International Recommended Transit Corridor). Entlang von

diesem Korridor sind Marineeinheiten positioniert, welche die Sicherheit der

passierenden Schiffe gewährleisten und Piraten abschrecken sollen. Verwaltet wird

der Korridor vom „Maritime Security Center – Horn of Africa“ der EU in Northwood

(GB), welches den Informationsaustausch zwischen Handels- und Kriegsschiffen

unterstützt. So können sich beispielsweise Handelsschiffe vor der Einfahrt in die

Risikozone beim „Maritime Security Center“ anmelden. Global betrachtet handelt es

sich hierbei um eine Strategie der militärischen Abschreckung: Es wird davon

ausgegangen, dass die Überwachung des Seeraums zu einem erhöhten Risiko für

Piraterie führt, weswegen weniger Schiffe attackiert und entführt werden.23

In der Region um das Horn von Afrika befinden sich seit längerem internationale

Flottenverbände. Als Folge des „War on Terrorism“, welcher von der Administration

des ehemaligen amerikanischen Präsidenten George Bush ausgerufen wurde,

befindet sich seit November 2002 die „Combined Task Force 150“ im indischen

Ozean und in den Gewässern um die arabische Halbinsel. Dem Flottenverband

gehören Marineeinheiten verschiedener mit den USA verbündeter Staaten an. Die

primäre Aufgabe der multinationalen Seestreitkraft besteht jedoch nicht in der

Bekämpfung der Piraterie, sondern in der Überwachung und Verfolgung

terroristischer Aktivitäten im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“.24 Trotz

dieser Einsatzbeschränkung beteiligten sich in der Praxis mehrmals Schiffe jenes

Flottenverbandes an Schutzmassnahmen oder Hilfeleistungen gegen 23

Vgl. Bueger/Stockbrügger/Werthes, Strategische Fehler der Pirateriebekämpfung, 8-9. 24

Vgl. Guemo/Sergein, La mutualisation des moyens de lutte contre les actes de piraterie dans la sous-région

CEEAC, 138.

18

Piratenübergriffe. Seit Januar 2009 besteht die von den USA angeführte „Combined

Task Force 151“, deren Aufgabe ausdrücklich in der Bekämpfung der Piraterie in der

Region um das Horn von Afrika besteht. Der Flottenverband besteht in der Mehrheit

aus Schiffen, Helikoptern und Truppen der US-Navy. Daneben beteiligen sich unter

anderem Schiffe und Militäreinheiten der Türkei, Singapurs, Südkoreas und

Neuseelands.25

Die NATO entsandte im Oktober 2008 auf Antrag des UNO-Generalsekretärs Ban Ki-

Moon unter dem Namen „Allied Provider“ fünf Kriegsschiffe zum Schutz der Schiffe

des Welternährungsprogramms in die Region. Die Schiffe des Welternährungs-

programms transportieren humanitäre Hilfslieferungen nach Somalia. Den

Schutzauftrag für jene Schiffe übernahm ab Dezember 2008 die EU-NAVFOR

Atalanta. Auf das zeitlich begrenzte Engagement der NATO im Rahmen von „Allied

Provider“ folgte im März 2009 die Operation „Allied Protector“, deren Aufgabe in der

Bekämpfung und dem Schutz vor Piraterie am Horn von Afrika bestand. Deren

Nachfolgeoperation „Ocean Shield“ (seit August 2009) verfolgt zusätzlich das Ziel,

den Staaten in der Region zu helfen, ihre eigenen Kapazitäten in der

Piratenbekämpfung zu entwickeln. Die Legitimität und die Legalität des NATO-

Engagements sind intern teilweise umstritten. Es geht dabei um die Frage der

Einschätzung, inwiefern eine Gefahr für Handelsschiffe von NATO-Mitgliedsstaaten

eine direkte Sicherheitsbedrohung für die europäisch-nordatlantische Region

darstellt.

Nebst den erwähnten multinationalen Verbänden haben verschiedene Länder

Kriegsschiffe ans Horn von Afrika entsandt; vorwiegend zum Schutz ihrer eigenen

Handelsschiffe. Es handelt sich dabei um China, Indien, Iran, Japan, Malaysia,

Russland und Saudi-Arabien. Nebst der Verfolgung von Eigeninteressen, die

teilweise auch geostrategischer Natur sind, wollen aufstrebende Nationen wie China,

Indien und Japan damit auch ihre Bereitschaft demonstrieren, Verantwortung in

globalen Krisensituationen übernehmen zu können.26

25

Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320

(16. Januar 2012). 26

Vgl. Kupferschmidt, Multinational Military Engagement, 63-64 & Comnick/Paulus, The Role of the German

Navy and Federal Police, 75.

19

Zusätzlich zu den hier aufgezählten militärischen Operationen defensiver Natur gibt

es Stimmen, die eine Offensive gegen die Akteure und Infrastruktur der Piraten an

Land fordern, um deren Strukturen und Einsatzfähigkeit nachhaltig zu schwächen.

Eine derartige Intervention könnte Luftangriffe oder auch Bodentruppen

miteinschliessen. Die gezielte Ausschaltung von Anführern oder einzelne Luftschläge

gegen Piratenhäfen scheinen dabei noch am ehesten wahrscheinlich. Wenn man die

(schlechten) Erfahrungen aus vergangenen Militärinterventionen in dieser Region

berücksichtigt, ist es durchaus zweifelhaft, dass es je zu einer grossangelegten

Operation an Land kommen wird. Eine Intervention dieser Art könnte überdies zu

einer Verschlimmerung der prekären Lage Somalias führen und in Hinblick auf

mögliche zivile Opfer und Schäden eine Radikalisierung weiter Teile der Bevölkerung

begünstigen - antiwestliche Ressentiments sind dort bereits heute verbreitet.

Zusätzlich handelt es sich bei den aktiven Piratenbanden um einen schwierig

auszumachenden, asymmetrischen Gegner. Dessen Infrastruktur und Mitglieder sind

flexibel und oft in zivile Strukturen eingebettet.27

2.2.2 EU-NAVFOR Atalanta

Die EU beteiligt sich im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungs-

politk (ESVP) seit Dezember 2008 an den militärischen Massnahmen gegen die

Piraterie am Horn von Afrika. Der Rat der europäischen Union beschloss zuvor am

10. November 2008 die „Gemeinsame Aktion 2008/851/GASP über die

Militäroperation der Europäischen Union als Beitrag zur Abschreckung, Verhütung

und Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen und bewaffneten Raubüberfällen

vor der Küste Somalias“.28 Die Operation trägt den Namen „European Union Naval

Force Somalia – Operation Atalanta (EU-NAVFOR Atalanta); es handelt sich um die

erste gemeinsame maritime Militäroperation der EU. Ihr Auftrag beinhaltet laut

Eigenangaben die folgenden Punkte:

• Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms sowie Schutz von

Lieferungen an die „African Union Mission on Somalia“ (AMISOM)

27

Vgl. Bueger/Stockbrügger/Werthes, Strategische Fehler der Pirateriebekämpfung, 12-13. 28

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee im Assistenzdienst im

Ausland zur Unterstützung der Operation NAVFOR Atalanta der Europäischen Union sowie zur Änderung des

Militärgesetzes, 22. April 2009, in: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2009/4535.pdf (6. Februar 2012), 4538-

4539.

20

• Abschreckung, Bekämpfung und Verhinderung von Akten der Piraterie und

bewaffneten Überfalls vor der somalischen Küste

• Spezieller Schutz von Schiffen mit heikler Ladung

• Überwachung der Fischerei vor Somalia

Das Operationsgebiet von EU-NAVFOR Atalanta erstreckt sich vom südlichen roten

Meer über den Golf von Aden, bis hin zum westlichen indischen Ozean inklusive der

Seychellen. Es handelt sich hierbei um eine Fläche, welche in etwa einem

zehnfachen Deutschlands entspricht. Das operative Hauptquartier der Seestreitkraft

befindet sich in Northwood, Grossbritannien.29 An der Operation beteiligt sind die EU-

Mitglieder Deutschland, Frankreich, Spanien und die Niederlande als ständige

Beteiligte. Überdies stellen Italien, Griechenland, Schweden, Luxemburg und Belgien

Militärschiffe sowie Überwachungs- und Aufklärungsflugzeuge zur Verfügung.30

Ebenfalls zum Einsatz kommen aus Infanteristen bestehende Schutz-Teams, welche

an Bord von Handelsschiffen stationiert werden. Als erstes Nicht-EU-Mitglied

beteiligte sich 2009 Norwegen mit einem Kriegsschiff an der Operation. Darüber

hinaus haben Kroatien und die Ukraine Stabsoffiziere für das Hauptquartier und

Montenegro Marineoffiziere für den Einsatz an Bord von Kriegsschiffen zur

Verfügung gestellt.

Die gesamte Truppenstärke von EU-NAVFOR Atalanta besteht derzeit aus ungefähr

1500 Militärangehörigen inklusive des Personals an Land.31 Die Mission der EU

erfolgt im Verbund mit den anderen internationalen Flottenverbänden, die sich in der

Region befinden.32 Ein wichtiges Mittel der militärischen Koordinierung bilden die

allmonatlichen Treffen unter dem Namen „Shared Awareness and Deconfliction“

(SHADE), an welchem jeweils Vertreter von bis zu 27 in der Region präsenten

Nationen teilnehmen.33 Die zivil-militärische Koordinierung zwischen Streitkräften und

Reedern geschieht grösstenteils über das zuvor schon erwähnte „Maritime Security

29

Vgl. EU NAVFOR Somalia, Mission, in: http://www.eunavfor.eu/about-us/mission/ (7. Februar 2012). 30

Vgl. Hainzl Gerald/ Feichtinger Walter, Piraten und Islamisten. Wen interessiert Somalia?, in: IFK Aktuell 1

(2010), http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/ifk_aktuell_10_01_piraten_islamisten

_somalia_hainzl_16.pdf (4. Februar 2012). 31

Vgl. EU NAVFOR Somalia, Mission, in: http://www.eunavfor.eu/about-us/mission/ (7. Februar 2012). 32

Vgl. Hainzl Gerald/ Feichtinger Walter, Piraten und Islamisten. Wen interessiert Somalia?, in: IFK Aktuell 1

(2010), http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/ifk_aktuell_10_01_piraten_islamisten

_somalia_hainzl_16.pdf (4. Februar 2012). 33

Vgl. Combined Maritime Forces, CMF hosts 22nd SHADE Meeting, in:

http://combinedmaritimeforces.com/2011/12/23/cmf-host-22nd-shade-meeting/ (7. Februar 2012).

21

Centre“, welches von der EU eingerichtet wurde. Nebst der Durchführung bewachter

Konvois und der Verwaltung des „sicheren Korridors“ stellt das Zentrum zudem

Informationen über Piratenaktivitäten sowie Hinweise und Anleitungen zur

Verfügung, die der Minimierung von Risiken und Verhaltensweisen bei allfälligen

Angriffsversuchen dienen.34

Die EU selbst betrachtet Operation Atalanta als Teilelement einer umfassenden

militärisch-zivilen Strategie für Somalia. Das selbsterklärte Ziel der EU ist es, zum

Aufbau einer friedlichen, stabilen und demokratischen Nation beizutragen,

nachhaltige Entwicklung zu fördern und damit auch die Grundursachen der Piraterie

zu beseitigen.35 Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären

Hilfe ist die Europäische Union der grösste Geldgeber Somalias. Ebenso wurde der

Dschibuti-Friedensprozess für Somalia unterstützt; im April 2009 fand ausserdem

eine Geberkonferenz zur Stärkung der somalischen Sicherheitsinstitutionen und der

Friedensmission der Afrikanischen Union (AMISOM) in Brüssel statt.36 Darüber

hinaus erhält AMISOM direkte finanzielle Unterstützung vom EU-Entwicklungsfond

„African Peace Facility“. Unter dem Namen „EU Training Mission (EUTM) Somalia“

bildet die EU ausserdem in Uganda somalische Sicherheitskräfte aus, welche zur

Stärkung der somalischen Übergangsregierung beitragen sollen.37

Die Strategie der europäischen Gemeinschaft und deren Umsetzung stösst auch auf

Kritik: Christian Büeger und sein Forschungsteam vom Institut für Entwicklung und

Frieden in Duisburg kritisieren beispielsweise in ihrer Studie „Strategische Fehler der

Pirateriebekämpfung“ das Vorgehen der EU. Dieses beschränke sich in der Praxis zu

sehr auf militärische und juristische Massnahmen. Den lokalen Verhältnissen, in

denen Piraterie entsteht, werde zu wenig Rechnung getragen; es gehe vorwiegend

um das Erzielen schneller Effekte und Resultate. Die Konsequenz jener wenig

umfassenden Strategie sei ein geringes Mass an nachhaltigen Effekten, die damit

erzielt werden könne. Das überwiegend auf militärische Repression setzende

34

Vgl. Venus Vincent, Experiment Atalanta, Der Kampf gegen die Piraten beweist, dass die EU eine

Militärmacht werden könnte, in: Treffpunkt Europa, 30. August 2011, http://www.treffpunkteuropa.de

/Experiment-Atalanta (7. Februar 2012) 35

Vgl. EU NAVFOR Somalia, Mission, in: http://www.eunavfor.eu/about-us/mission/ (7. Februar 2012). 36

Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.), Operation Atalanta: Piraterie und Schweizer

Sicherheitspolitik, in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 55 (2009),

http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-55.pdf (5. April 2012). 37

Vgl. EU NAVFOR Somalia, Mission, in: http://www.eunavfor.eu/about-us/mission/ (7. Februar 2012).

22

Vorgehen der EU interpretieren Bueger et al. als Konsequenz der Suche nach einer

gemeinsamen europäischen Sicherheitsidentität oder auch im Zusammenhang mit

den geostrategischen Ambitionen der EU.38

Die europäische Union stellt in der Region das grösste Flottenkontingent und gilt

auch aufgrund ihrer Rolle als Realisator und Organisator des „Maritime Security

Centre“ als treibende Kraft am Horn von Afrika. Die Operation Atalanta und die

allgemeine Führungsrolle, welche die Union bei den Anti-Piraterie-Massnahmen vor

den Küsten Somalias einnimmt, kann als ein erstes Zeichen dafür interpretiert

werden, dass die EU als ernstzunehmender, kollektiver geostrategischer Akteur

auftreten kann.39 Viel wichtiger als die Fähigkeit ist jedoch der politische Wille der

Mitgliedsländer, künftig aussenpolitisch als kollektiver Akteur aufzutreten. Mit dem

Vertrag von Lissabon wurden institutionelle Neuerungen zur Steigerung der

aussenpolitischen Handlungsfähigkeit der EU getroffen: Die aussenpolitischen

Zuständigkeiten der EU-Institutionen wurden im Amt des hohen Vertreters für die

Aussen- und Sicherheitspolitik gebündelt, welcher die gemeinsame Aussen- und

Sicherheitspolitik (GASP) leitet. Unterstützung erhält das Amt vom neu geschaffenen

Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), der aus Diplomaten der Mitgliedsländer

und EU-Kommissionsmitarbeitern besteht. Das formulierte Ziel ist die Umsetzung

einer kohärenten EU-Aussenpolitik.40 Auf Gesetzesebene besagen die „Allgemeinen

Bestimmungen über das auswärtige Handeln“ (Art. 21 Abs. 2(c)) des Vertrags von

Lissabon, dass die Ziele der EU im Bereich der internationalen Beziehungen die

Wahrung des Friedens, die Konfliktprävention und die Stärkung der internationalen

Sicherheit in Übereinkunft mit den Zielen und Massgaben der Vereinten Nationen

beinhalten. Die Durchführung der Operation Atalanta ist unter diesem Aspekt zu

sehen. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung hinsichtlich der gemeinsamen

Aussen- und Sicherheitspolitik ist ebenfalls Artikel 42 Absatz 7 des Lissabonner

Vertrags: Darin steht, dass im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet

eines Mitgliedsstaats die anderen Mitgliedsländer dazu verpflichtet sind, diesem alle

38

Vgl. Bueger/Stockbrügger/Werthes, Strategische Fehler der Pirateriebekämpfung,14. 39

Vgl. Venus Vincent, Experiment Atalanta, Der Kampf gegen die Piraten beweist, dass die EU eine

Militärmacht werden könnte, in: Treffpunkt Europa, 30. August 2011,

http://www.treffpunkteuropa.de/Experiment-Atalanta (7. Februar 2012) 40

Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.), EU-Aussenpolitik: Neue Strukturen, alte Schwächen,

in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 96 (2011), http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-96-

DE.pdf (25. Mai 2012).

23

in ihrer Macht stehende Unterstützung und Hilfe zukommen zu lassen. Aufgrund von

Artikel 42 Abs. 7 erhielt die EU zusätzlich zu den bisherigen Komponenten ihrer

gemeinsamen Aussenpolitik den Charakter eines kollektiven Sicherheits-

bündnisses.41

In Bezug auf EU-NAVFOR Operation Atalanta setzte und setzt die EU ihre

Möglichkeiten des kollektiven Handelns auf internationaler Ebene um. Dies stellt

jedoch keine Selbstverständlichkeit dar. Die Entscheidungen über die Ausgestaltung

der GASP unterliegen intergouvernementalen Entscheidungsprozessen, welche eine

Konsensbereitschaft der Mitgliedsländer für eine wirkliche Umsetzung jener Politik

erfordern. Die Leistungsfähigkeit der in Folge der Implementierung der GASP

geschaffenen Strukturen hängt somit davon ab, inwieweit sich die einzelnen

Mitgliedsstaaten freiwillig in deren Dienst stellen, wie auch von deren Bereitschaft,

ihre eigene nationale Aussenpolitik einer gemeinsamen Agenda unterzuordnen. Oft

dominieren in jener Frage die nationalen gegenüber den gemeinschaftlichen

Interessen.42 In Bezug auf Operation Atalanta hat der Rat der Europäischen Union

entschieden, diese bis zum Dezember 2012 zu verlängern.43

Als internationale Rechtsgrundlage für die Operation dienen mehrere Resolutionen

des UNO-Sicherheitsrats. Nichtsdestotrotz gibt es eine Reihe juristischer

Ungewissheiten betreffend des Einsatzes. Das folgende Kapitel geht näher auf

dessen rechtliche Aspekte und deren Auswirkung in der Praxis ein.

41

Vgl. Comnick/Paulus, The Role of the German Navy and Federal Police, 75-76. 42

Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.), EU-Aussenpolitik: Neue Strukturen, alte Schwächen,

in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 96 (2011), http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-96-

DE.pdf (25. Mai 2012). 43

Vgl. EU NAVFOR Somalia, Mission, in: http://www.eunavfor.eu/about-us/mission/ (7. Februar 2012).

24

2.2.3 Internationale Rechtsgrundlagen für militäris ches/seepolizeiliches

Vorgehen gegen Piraten

Die allgemeine völkerrechtliche Grundlage für ein polizeiliches oder militärisches

Vorgehen gegen Piraterie liefert Artikel 105 des seit 1982 bestehenden

Seerechtsabkommens der Vereinten Nationen. Darin ist folgendes festgehalten:

„Jeder Staat kann auf Hoher See oder an jedem anderen Ort, der keiner staatlichen

Hoheitsgewalt untersteht, ein Seeräuberschiff oder -luftfahrzeug oder ein durch

Seeräuberei erbeutetes und in der Gewalt von Seeräubern stehendes Schiff oder

Luftfahrzeug aufbringen, die Personen an Bord des Schiffes oder Luftfahrzeugs

festnehmen und die dort befindlichen Vermögenswerte beschlagnahmen. Die

Gerichte des Staates, der das Schiff oder Luftfahrzeug aufgebracht hat, können über

die zu verhängenden Strafen entscheiden sowie die Massnahmen festlegen, die

hinsichtlich des Schiffes, des Luftfahrzeugs oder der Vermögenswerte zu ergreifen

sind [..]“44

Das Seerechtsabkommen bietet somit eine erste allgemeine rechtliche Grundlage für

ein Vorgehen gegen Piraterie, erlaubt es jedoch nicht, zwecks Piratenverfolgung in

die Küstengewässer eines anderen Landes einzudringen. Gegen Vorfälle der

Piraterie, die sich in den Hoheitsgewässern eines souveränen Staates ereignen, darf

ausschliesslich der Küstenstaat selbst Massnahmen ergreifen. Aus diesem Grund

erliess der UNO-Sicherheitsrat eine Reihe von Resolutionen, welche erweiterte

Befugnisse in der militärisch/polizeilichen Bekämpfung von Piraterie vor den Küsten

Somalias einräumen.

Die erste Resolution, welche die Piraterie am Horn von Afrika betraf, war

Sicherheitsresolution 1814; es wurde darin unter anderem zum Schutz von Schiffen

des Welternährungsprogramms aufgerufen. Explizit im Sinne der Bekämpfung der

Piraterie wurde im Juni 2008 die richtungsweisende Resolution 1816 des UNO-

Sicherheitsrates im Einverständnis mit der somalischen Übergangsregierung

verabschiedet. Darin wurde anderen Ländern erlaubt in die somalischen

Hoheitsgewässer einzudringen und in Einklang mit internationalem Recht alle

notwendigen Mittel zur Erkennung, Verhinderung und Bekämpfung von Akten der

44

Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, Art. 105, in: http://www.admin.ch/ch/d/sr/

0_747_305_15/a105.html (30. Januar 2011).

25

Piraterie und bewaffneten Überfalls einzusetzen. Ebenso wurden die Dursuchung

und Beschlagnahmung von verdächtigen Schiffen sowie die Festnahme von

Straftätern autorisiert. Als Voraussetzung für derlei Aktionen galt die

Zusammenarbeit mit der somalischen Übergangsregierung und die Benachrichtigung

des UNO-Generalsekretärs. Die ebenfalls 2008 verabschiedeten Resolutionen 1838

und 1846 bestätigten im Wesentlichen die Beschlüsse von Resolution 1814.

Ausserdem in Zusammenhang mit den militärischen Engagements zur Piraterie-

Bekämpfung steht Resolution 1844 (November 2008 verabschiedet). Diese zielt

darauf ab, die Geldflüsse der Piraten zu hemmen und deren kriminelle Netzwerke zu

bekämpfen. Zudem werden darin Individuen oder Organisationen, welche Piraterie

betreiben, Waffen schmuggeln, die humanitäre Hilfe behindern oder anderweitig für

Instabilität in Somalia sorgen, mit Sanktionen belegt. Jene Sanktionen beinhalten die

Einfrierung von Konten und Vermögen, sowie Einreiseverbote für solche, die jener

Taten verdächtigt werden. Ebenso wird in Resolution 1844 das bereits 1992 gegen

Somalia verhängte Waffenembargo und das Verbot der Bereitstellung sonstiger

militärischer Unterstützung bekräftigt.45

Die im Dezember 2008 verabschiedete UNO-Sicherheitsresolution 1851 schliesslich

erlaubt allen Staaten, zusätzlich zu den vorhergehend ausgesprochenen

Kompetenzen, in Absprache oder Zusammenarbeit mit der somalischen

Übergangsregierung ebenfalls Massnahmen gegen die Piraterie auf dem Festland zu

ergreifen. Ebenfalls werden in der Resolution Staaten und regionale Organisationen

dazu aufgerufen, für eine verbesserte und einheitlichere Strafverfolgung von

festgenommenen Piraten zu sorgen.46 Als Resultat der Sicherheitsresolution wurde

am 14. Januar 2009 die UNO-Kontaktgruppe „Contact Group on Piracy off the coast

of Somalia“ geschaffen, welche der internationalen Gemeinschaft ein Forum sowie

die nötigen Mechanismen für die Koordination und Kooperation im Kampf gegen die

Piraterie vor Somalia bereitstellen soll.47 Die meisten Staaten mit einer

Marinepräsenz am Horn von Afrika setzen in der Praxis auf bilaterale Abkommen, die

45

Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320

(16. Januar 2012). 46

Vgl. Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, Resolution 1851 (2008). Verabschiedet auf der 6046. Sitzung des

Sicherheitsrats am 16. Dezember 2008, in: http:// www.un.org/depts/german/sr/sr_08/sr1851.pdf (16.

Januar 2012). 47

Vgl. Ho Joshua, Piracy around the Horn of Africa, in EchoGéo 10 (2009), http://echogeo.revues.org/11320

(16. Januar 2012).

26

es ermöglichen, mutmassliche Piraten an Anrainerstaaten in der Region zu

überstellen. Diese übernehmen in einem solchen Fall sowohl die Prozessführung

gegen die Angeklagten als auch eine allfällige Inhaftierung. Vereinbarungen dieser

Art bestehen mittlerweile zwischen der EU, Frankreich, den USA und

Grossbritannien als in der Region präsente Staaten oder Staatenverbünde auf der

einen Seite und Kenia und die Seychellen als Anrainerstaaten der Problemzone auf

der anderen Seite. Die Mehrzahl der gefangengenommenen Piraten wird mittlerweile

an einer der beiden Staaten überstellt. Dort kam es bereits zu ersten Anklagen und

Verurteilungen. Eine Problematik besteht dabei darin, dass in Kenia und den

Seychellen die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards im Rahmen von

Verfahren und Vollzug nicht garantiert werden kann. Das kenianische Rechtssystem

zeigte zudem Anzeichen von Überlastung, weshalb das Abkommen 2010

aufgekündigt wurde.

Der Fakt, dass die EU-Mitglieder Frankreich und Grossbritannien nebst den EU-

Abkommen jeweils noch separate bilaterale Abkommen haben, veranschaulicht

zudem die Problematik, dass bisher keineswegs ein einheitliches Vorgehen im Falle

einer Verhaftung von somalischen Piraten besteht. Frankreich liefert beispielweise

Piraterieverdächtige auch an Somalia, insbesondere an die Regionalregierung

Puntlands aus. Die USA, Spanien, Deutschland, Frankreich und die Niederlande

haben bereits Prozesse vor den eigenen Gerichten gegen somalische Piraten

geführt. Zu Verurteilungen durch europäische oder amerikanische Gerichte kommt es

jedoch nur in Ausnahmefällen. Dies geschah bisher vor allem dann, wenn die Opfer

von Piratenübergriffen Staatsbürger des prozessführenden Landes waren oder unter

dessen Flagge segelten.48 Ein Beispiel für einen solchen Prozess nahm am 22.

November 2010 seinen Anfang: Zehn Somalier sind von der Hamburger Justiz

angeklagt, am 5. April desselben Jahres das deutsche Handelsschiff „MS Taipan“ der

Hamburger Reederei Komrowski gekapert zu haben. Die Besatzung des Schiffs

setzte einen Notruf an die EU-NAVFOR Atalanta ab; holländische Soldaten konnten

die Piraten noch an Bord des Schiffes überwältigen und festnehmen. Die

48

Vgl. Bueger/Stockbrügger/Werthes, Strategische Fehler der Pirateriebekämpfung, 10-11.

27

Staatsanwaltschaft fordert Gefängnisstrafen von bis zu elf Jahren. Der langwierige

Prozess ist zu diesem Zeitpunkt noch am Laufen.49

Aufgrund der höchst unterschiedlichen Herangehensweisen in der Strafverfolgung

von festgenommen Piraten und weiteren Unzulänglichkeiten juristischer Natur, wurde

bereits 2009 die Gründung eines neuen internationalen Strafgerichthofs für Piraterie

erwogen.50 Aufgrund der fehlenden juristischen Strukturen sind Marineeinheiten, die

am Horn von Afrika patrouillieren, oft dazu gezwungen, festgenommene Verdächtige

wieder freizulassen. Experten sehen darin einen der Mitgründe, weshalb die Piraterie

vor den Küsten Somalias in den letzten Jahren geradezu florieren konnte. Jack Lang,

ehemaliger französischer Minister und heutiger UNO-Sondergesandte für die

Bekämpfung der Piraterie, schlug in seinem Report vom Januar 2011 unter anderem

die Schaffung von regionalen Spezialgerichten für Piraterie inklusive zugehöriger

Gefängnisse in Somaliland und Puntland vor.51 Es blieb bisher bei Vorschlägen, die

rechtliche Situation in der Piratenfrage bleibt insgesamt vage.

Soweit die rechtlichen Aspekte der internationalen Militäreinsätze am Horn von

Afrika. Kapitel 3 beinhaltet die Aufarbeitung des politischen Prozesses, der sich in

Bezug auf die Debatte und die Ablehnung der Schweizer Beteiligung an Operation

Atalanta abspielte.

49

Vgl. Perras Arne/Wiegand Ralf, Erster grosser Piratenprozess in Hamburg seit Störtebecker, in:

http://www.sueddeutsche.de/politik/somalische-piraten-vor-gericht-erster-piratenprozess-in-hamburg-seit-

stoertebeker-1.1026614 (1. Februar 2012). 50

Vgl. Bueger/Stockbrügger/Werthes, Strategische Fehler der Pirateriebekämpfung,11. 51

Vgl. Rice Xan, Somali Pirates should face special courts, says UN envoy, in: http://www.guardian.co.uk

/world/2011/jan/26/somali-pirates-jack-lang-report (1.Februar 2012).

28

3. Der politische Prozess und die Debatte betreffend EU -NAVFOR Atalanta in der Schweiz Die Aufarbeitung des politischen Prozess und der Debatte rund um die Ablehnung

der Schweizer Beteiligung an Operation Atalanta beginnt mit der ersten Erwägung

eines Einsatzes von Schweizer Militärangehörigen im Rahmen von EU-NAVFOR

Atalanta durch den Bundesrat Ende 2008 und endet mit der Ablehnung des

Einsatzes durch den Nationalrat im September 2009. In der Zeitspanne dazwischen

spielte sich ein vielschichtiger und komplexer politscher Prozess ab, in dem u.a. der

Bundesrat seine Botschaft zur Vorlage veröffentlichte, die politischen Parteien der

Schweiz dazu Stellung bezogen, Diskussionen und Meinungsäusserungen in der

Presse und anderen Medien publik gemacht wurden und schlussendlich die beiden

Kammern des Parlaments sowie die zuständigen Kommissionen darüber debattierten

und entschieden. Kapitel 3 bietet einen vertieften Einblick in die verschiedenen

Elemente jenes Gesamtprozess. Das Ziel dabei ist zum einen die Dokumentation

jenes politischen (und medial-gesellschaftlichen) Vorgangs, zum andern liegt der

Fokus auf den Argumentationen von Befürwortern und Gegnern des Einsatzes. Im

Sinne einer vereinfachten Übersicht über den Ablauf der Vorlage(n) findet sich in

Anhang 2 eine chronologisch angeordnete Übersichtsdarstellung des politischen

Prozesses im Zuge der Atalanta-Vorlage und der Militärgesetzrevision.

3.1 Ausgangslage

Als Erster brachte der Schweizerische Reederverband ein mögliches

Militärengagement der Schweiz am Horn von Afrika zur Sprache: In einer Anfrage

wollte dieser wissen, welche Schutzmassnahmen der Bundesrat für die Schweizer

Handelsschiffe, die den Golf von Aden passieren, plane.52 Darauf folgte im

Dezember 2008 ein offizielles Schreiben an die Schweiz vom damaligen

Generalsekretär der Europäischen Union, Javier Solana. In jenem Schreiben wurde

die Schweiz um einen Beitrag zur Operation Atalanta als Drittstaat gebeten und

52

Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.), Operation Atalanta: Piraterie und Schweizer

Sicherheitspolitik, in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 55 (2009),

http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-55.pdf (5. April 2012).

29

eingeladen, an der Truppenstellerkonferenz vom 16. Dezember 2008

teilzunehmen.53

Im Januar 2009 informierten darauf hochrangige Schweizer Diplomaten an einem

Mediengespräch darüber, dass sich die Schweiz mit eigenen Militärverbänden an der

Operation beteiligen möchte. Bereits anlässlich dieses Gesprächs wurde die

grundsätzliche aussenpolitische Dimension jenes möglichen Einsatzes betont: Es

handle sich um eine Grundsatzfrage für oder gegen ein stärkeres militärisches

Engagement im Ausland. Benedikt Wechsler, Kabinettschef der damaligen

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey, äusserte sich in der Form, dass die Schweiz

nicht einfach bei der EU Schutz vor Piraten einkaufen könne, sondern sich aktiv mit

eigenen Mitteln an Massnahmen gegen die Piraterie beteiligen soll.54

Nach einer Reihe von Abklärungen und Absprachen bewilligte der Bundesrat am 25.

Februar 2009, unter Vorbehalt der Zustimmung der Eidgenössischen Räte (National-

und Ständerat), einen Assistenzdienst zur Unterstützung der Operation NAVFOR

Atalanta der EU. Der Bundesrat beauftragte darauf das Eidgenössische Departement

für auswärtige Angelegenheiten (EDA) in Zusammenarbeit mit dem Departement für

Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), ein Abkommen mit der EU über

eine Schweizer Beteiligung am Anti-Piraterie-Einsatz Atalanta auszuhandeln.55 Am

22. April 2009 folgte die Verabschiedung der Botschaft des Bundesrates, welche die

geplante Beteiligung mitsamt ihren militärischen, politischen, juristischen und

finanziellen Implikationen und Relevanz den Eidgenössischen Räten darlegte. Die

formelle Genehmigung des Einsatzes der Armee zur Unterstützung von Operation

Atalanta hatte die Form eines einfachen Bundesbeschlusses. Ein solcher hätte den

Bundesrat dazu ermächtigt, mit der EU ein Abkommen über die Beteiligung der

Schweiz an Operation Atalanta auszuhandeln.

53

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee im Assistenzdienst im

Ausland zur Unterstützung der Operation NAVFOR Atalanta der Europäischen Union sowie zur Änderung des

Militärgesetzes, 22. April 2009, in: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2009/4535.pdf (6. Februar 2012), 4539. 54

Vgl. Gemperli Simon, Der "Atalanta "-Einsatz als Grundsatzfrage, in: NZZ Online, 27. Januar 2009,

http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/schweiz/der_atalanta-einsatz_als_grundsatzfrage_1.1794061.html

(26. Februar 2012). 55

Vgl. EDA, Beteiligung der Schweiz am Anti-Piraterie-Einsatz Atalanta, in: Medienmitteilungen des

Bundesrates, 25. Februar 2009, http://www.eda.admin.ch/eda/de/home

/recent/media/single.html?id=25540 (25. Februar 2012).

30

Nebst dem Auslandeinsatz der Armee beinhaltete der Bundesbeschluss eine

Änderung des Militärgesetzes, welcher zum Ziel hatte, Auslandseinsätzen der Armee

eine umfassendere gesetzliche Basis zu verschaffen. Jene Änderung des

Militärgesetzes wäre durch ein Bundesgesetz erfolgt, das dem fakultativen

Referendum untersteht;56 d.h. wenn 50 000 Stimmberechtigte oder acht Kantone

innerhalb von 100 Tagen seit der amtlichen Veröffentlichung eines Erlasses es

verlangen, wird eine Gesetzesänderung dem Volk zur Abstimmung vorgelegt.57

Ebenso stand eine Anhörung der politischen Parteien auf dem Programm. Die

Botschaft des Bundesrates zur Atalanta-Vorlage ist für diese Arbeit von hoher

Relevanz, da deren Inhalt den Ausganspunkt für die nachfolgende politische Debatte

bildete. Es folgt aus diesem Grund eine Übersicht über den Inhalt der Botschaft.

56

Vgl. EDA, Botschaft zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee im Assistenzdienst im Ausland zur

Unterstützung der Operation NAVFOR Atalanta der Europäischen Union sowie zur Revision des

Bundesgesetzes über die Armee und die Militärverwaltung, in Medienmitteilungen des Bundesrates, 23. April

2009, http://www.eda.admin.ch/eda/de/home/recent /media/single.html?id=26550 (26. Februar 2012). 57

Vgl. Schweiz. Eidgenossenschaft (Bundesversammlung), Landesrecht, Fakultatives Referendum, Art. 141, in:

http://www.admin.ch/ch/d /sr/101/a141.html (27.2.2012).

31

3.2 Die Botschaft des Bundesrates zur Beteiligung a n EU-NAVFOR Atalanta

3.2.1 Art der Schweizer Beteiligung/ Ziele

Die Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta sah vor, die Operation mit

bewaffneten Militärangehörigen zu unterstützen, welche Schiffe des Welternährungs-

programms schützen sollen und als Schiffs-Schutzdetachements auf Schweizer

Schiffen eingesetzt werden können, sofern diese als gefährdet angesehen werden.

Eine Teilnahme an anderen Missionen wie Offensivoperationen gegen Piraten oder

deren Verfolgung sowie Einsätze auf Handelsschiffen anderer Nationen werden in

der Botschaft explizit ausgeschlossen. Im Detail sollte die Schweizer Beteiligung aus

folgenden Personalbeständen bestehen:

• Zwei sechs- bis achtköpfige Teams der Sonderoperationskräfte der Armee

(Armee-Aufklärungsdetachement AAD 10)

• Ein medizinisches Team, dem ein Arzt und zwei Pflegepersonen angehören

• Höchstens vier Stabsoffiziere

• Drei Völkerrechtsspezialisten58

Die personelle Obergrenze wurde auf 30 Personen festgelegt, die eingeschränkten

Einsatzmöglichkeiten des Schweizer Detachements an die EU kommuniziert und

festgehalten. Formell hätte die Schweiz mit der EU ein Beteiligungsabkommen

abgeschlossen, welche einerseits eine Verpflichtung und Beteiligung der Schweiz an

Atalanta ermöglicht, andererseits die Grundsätze der Schweizer Beteiligung im

Rahmen der Operation festgehalten hätte. Unter jenen Grundsätzen sind nebst den

genannten Operationsbeschränkungen finanzielle Aspekte, die Art der Eingliederung

in die Befehlskette und vor allem auch juristische Fragen zu verstehen.

Bezüglich der Dauer des Einsatzes sah der Beschluss des Bundes vor, diesen auf

ein Jahr zu beschränken mit der Möglichkeit, je nach Entwicklung der Situation, bei

den Eidgenössischen Räten eine Verlängerung beantragen zu können. Gestützt auf

die bisherigen Einsätze der Schweizer Armee im Ausland, wurden die Gesamtkosten

des Einsatzes für ein Jahr auf 16 Millionen Franken beziffert. An den gemeinsamen

Kosten der Gesamtoperation wäre die Schweiz nicht beteiligt gewesen. Da die

58

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4542.

32

Schweiz weder über eine Hochseemarine noch über Langstreckentransportflugzeuge

verfügt, wäre sie in organisatorischer und logistischer Hinsicht in einigen Belangen

auf die Zusammenarbeit mit einem EU-Partnerland angewiesen gewesen. Dies

betraf vor allem den Transport, die Unterkunft und die Verpflegung des eingesetzten

Personals.59 Aufgrund des angebotenen hohen Integrationsgrades für die Schweizer

Armeeangehörigen fiel die Wahl des Bundesrates und der verantwortlichen Stellen in

EDA und VBS auf Deutschland. Die Idee bestand darin, das Schweizer Personal in

ein deutsches Kontingent zu integrieren. Die von der Schweiz bereitgestellten Mittel

wären dabei anstelle der Mittel Deutschlands eingesetzt worden. Konkret heisst dies,

dass die Schweizer Militärangehörigen auf einem deutschen Schiff stationiert

gewesen wären, welches diese zu den zu beschützenden Schiffen des

Welternährungsprogramms oder zu Schweizer Handelsschiffen transportiert hätte.

Ebenso hätte Deutschland den Transport der Truppe in den Einschiffungshafen

übernommen.60

Ein anderer Punkt der Botschaft betraf die Interessen der Schweiz, welche mit einer

Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta hätten vertreten werden können. Es werden

dabei folgende Punkte genannt:

• Die Schweiz könne zur Sicherheit der humanitären Lieferungen für Somalia

beitragen. 2008 engagierte sich die Schweiz mit humanitärer Hilfe in Höhe von

7.8 Millionen Franken in Somalia. Die Piraterie vor den Küsten Somalias

gefährdet diese Hilfslieferungen.

• Mit der Entsendung eigener Truppen wahre die Schweiz ihre Interessen als

Flaggenstaat mit einer eigenen Handelsflotte: Die Schweizer Handelsflotte ist

ein strategisches Instrument zur Sicherung der wirtschaftlichen

Landesversorgung, die vom Bund mit einem Bürgschaftsrahmenkredit im

Umfang von 1,1 Milliarden Franken unterstützt wird und auf welche er im

Krisenfall zurückgreifen kann. Es ging in dem Sinne um den Schutz einer

Investition und um die Weiterführung der Handelsschifffahrt.

• Mithilfe der Präsenz eigener Schiffsschutzdetachements auf Schweizer

Schiffen, könne das Risiko einer Geiselnahme und die damit verbundenen

finanziellen und politischen Auswirkungen verringert werden.

59

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4546-4547. 60

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4542-4543.

33

• Als letzter Punkt wurde angefügt, dass ein Engagement dem Interesse der

rigorosen Anwendung des von der Schweiz ratifizierten Seerechts-

übereinkommens der UNO diene.61

Über die Beteiligung an Atalanta als eine Form schweizerischer Interessenvertretung

hinaus argumentierte der Bundesrat auf einer Reihe anderer Ebenen für die

Annahme der Vorlage.

3.2.2 Allgemeine Argumentation des Bundesrates

Der Bundesrat verweist in seiner Botschaft an erster Stelle auf die Dringlichkeit hin,

auf die durch die Piraterie vor den Küsten Somalias entstandene

Sicherheitsbedrohung zu reagieren. Das Auftreten von „failed states“ komme

zunehmend häufiger vor und die Schweiz teile mit der internationalen Gemeinschaft

die Verwundbarkeit gegenüber den Gefahren, die vom Zerfall staatlicher Strukturen

ausgehe. Operation Atalanta sei überdies nur ein Teil des Engagements der EU zur

Stabilisierung der Situation am Horn von Afrika. Darüber hinaus wird auf die durch

mehrere verabschiedete UN-Resolutionen gegebene internationale Legitimität des

Einsatzes hingewiesen. Der Bundesrat betont, dass Die Schweiz wie jedes UNO-

Mitglied von dessen Sicherheitsrat dazu aufgerufen wurde, einen Beitrag zum Schutz

der Schiffe des Welternährungsprogramms zu leisten und sich an der Bekämpfung

der Piraterie vor den Küsten Somalias zu beteiligen.62

In operationeller Hinsicht wird Atalanta als Polizeiaktion auf hoher See deklariert,

welche eine relativ zuverlässige Risikoabschätzung erlaube: Es handle sich beim

„Gegner“ weder um bewaffnete Militäreinheiten noch um Terroristen, welche bereit

seien, bei einem Überfall ihr Leben zu lassen. Es handle sich vielmehr um Kriminelle,

deren Interesse im monetären Gewinn läge und sich deshalb wehrlose Opfer

aussuchen würden. Aus diesem Gründen wird die Vermutung aufgestellt, dass

Schweizer Militäreinheiten im Falle einer Beteiligung an der Operation vor allem

Abschreckungsmassnahmen ergreifen müssten, welche bis hin zur Abgabe von

Warnschüssen gehen könnten. Eine bewaffnete Auseinandersetzung sei kaum

wahrscheinlich, gänzlich ausgeschlossen wird eine solche jedoch nicht.63 Als

61

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4540. 62

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4536. 63

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4541.

34

Referenz in der Frage, ob eine Beteiligung dieser Art den sicherheitspolitischen

Zielen der Schweiz entspreche, wird auf den Sicherheitspolitischen Bericht 2000

hingewiesen. In SIPOL B 2000 ist u.a. das Konzept „Sicherheit durch Kooperation“

aufgeführt.64 Entsprechend dieser Strategie kooperativer länderübergreifender

Sicherheitsbemühungen spricht der Bundesrat in seiner Botschaft an mehreren

Stellen von einem wichtigen Zeichen der Solidarität mit der internationalen

Gemeinschaft. Da die Militäroperation zudem für die Europäische Union im Rahmen

ihrer gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik von grosser Bedeutung sei,

komme eine Teilnahme den Beziehungen mit der EU zugute.65

Die Botschaft des Bundesrates nennt die Überfälle durch Piraten eine ernsthafte

Bedrohung für die Seeschifffahrt und damit auch für die internationalen und

schweizerischen Wirtschaftsinteressen.66 Der Bundesrat argumentiert weiter, dass

das vorgesehene Beteiligungsabkommen, welches ein begrenztes operationelles

Wirken der Schweizer Armeekräfte vorsieht, als Entgegenkommen seitens der EU

betrachtet werden muss: Ausgehend von der derzeitigen rechtlichen Ausgangslage

in Bezug auf Auslandeinsätze der Armee biete die geplante Beteiligung der Schweiz

die Gelegenheit, ihre eigene Interessen zu vertreten und dabei ihm Rahmen von

Operation Atalanta gleichzeitig Unterstützung von der internationalen Gemeinschaft

zu erhalten. Dies ohne Erwartung einer vergleichbaren Gegenleistung der Schweiz.

Das aktuelle Militärgesetz erlaubt polizeiliche Schutzaufgaben im Rahmen

humanitärer Operationen oder zum Schutz von „schutzwürdigen Schweizer Sachen

im Ausland“ – in diesem Fall Schweizer Schiffen; für den Schutz von Schiffen

anderer Nationen fehlt jedoch eine gesetzliche Grundlage. Der Schutz, welchen

Schweizer Schiffe im Rahmen der multinationalen Operation erhalten, könne deshalb

von der Schweiz nicht solidarisch erwidert werden.

Aus diesem Grund beschloss der Bundesrat, dem Parlament nebst der

Genehmigung des Einsatzes im Rahmen von Operation Atalanta, ebenfalls eine

Änderung des Militärgesetzes zu unterbreiten, welches die grundsätzliche Teilnahme

an internationalen Polizeiaktionen erlauben sollte.67 Diese beabsichtigte

64

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4547-4548. 65

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4540. 66

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4538. 67

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4537.

35

Gesetzesänderung sowie die bestehende rechtliche Grundlage, welche eine

Schweizer Beteiligung an Atalanta hätte ermöglichen sollen, werden im folgenden

Kapitel näher betrachtet.

3.2.3 Rechtliche Belange und Argumentation

Assistenzdienste der Armee im Ausland wurden erstmals durch Artikel 69 des

Militärgesetzes vom 3. Februar 1995 ermöglicht. Dieser beschränkte sich vorerst auf

unbewaffnete Hilfeleistungen im Falle von Katastrophen. Im Jahr 2004 wurde das

Aufgabenspektrum für den Assistenzdienst im Ausland allgemein auf humanitäre

Operationen erweitert.68 Die Legalität einer militärischen Beteiligung an Operation

Atalanta begründete der Bundesrat in seiner Botschaft vom 23. April 2009 mit Artikel

69 des Militärgesetzes (MG). Artikel 69 („Assistenzdienst im Ausland“) definiert den

Einsatz der Schweizer Armee im Rahmen subsidiärer Einsätze im Ausland bei

Katastrophen, humanitären Hilfsmissionen oder zur Unterstützung der

Zivilbevölkerung in Zusammenhang mit einem Konflikt. Laut der Botschaft zur

Armeereform XXI und zur Revision der Militärgesetzgebung muss sich jeder

Armeeeinsatz nach Art. 69 Abs. 1 MG grundsätzlich auf die Bereiche Schutz, Logistik

sowie Rettung beschränken. Die Armee hat den Auftrag, die zivilen Hilfsbemühungen

zu unterstützen und das Zivilpersonal vor Ort zu schützen.69 Art. 69 Abs. 1 MG

besagt zudem, dass auf Ersuchen einzelner Staaten oder internationaler

Organisationen Truppen, Material und Versorgungsgüter der Armee zur

Unterstützung humanitärer Hilfsleistungen entsandt und zur Verfügung gestellt

werden können.70 Basierend auf Art. 69 Abs. 1 MG hätte laut Bundesrat der Schutz

von Schiffen des Welternährungsprogramms gewährt werden können, da die Schiffe

Teil einer humanitären Mission sind.

Für den Schutz von Schiffen der Schweizer Handelsflotte bezog sich der Bundesrat

auf Art. 69 Absatz 2 MG.71 Darin steht: „Soweit schweizerische Interessen zu wahren

sind, können Truppen zum Schutz von Personen und besonders schutzwürdigen

Sachen im Ausland eingesetzt werden. Der Bundesrat bestimmt die Art der

68

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4550. 69

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4544-4545. 70

Vgl. Schweiz. Eidgenossenschaft (Bundesversammlung), Bundesgesetz

über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG), 3. Februar 1995, Art. 69 Abs. 1, in:

http://www.admin.ch/ch/d/sr/5/510.10.de.pdf (6. März 2012). 71

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4545.

36

Bewaffnung.“72 In der Botschaft zur Armeereform XXI und zur Revision der

Militärgesetzgebung sind zwar in erster Linie Liegenschaften, in denen Vertretungen

der Schweiz untergebracht sind, als Beispiel für „besonders Schutzwürdige Sachen“

aufgeführt. Der Bundesrat argumentiert jedoch, dass nicht die Meinung bestand,

dass sich jener Schutz auf Auslandsvertretungen beschränke. Der entscheidende

Punkt im Bezug auf Schutzmassnahmen im Rahmen von Assistenzdiensten sei

vielmehr, dass Sachen aus nationalem Interesse geschützt werden müssten. Diese

Voraussetzung sei im vorliegenden Fall erfüllt. Die Schweizer Handelsflotte erfülle

einen Landesversorgungsauftrag, werde vom Bund mit Bürgschaftskrediten

unterstützt und sei deshalb eine schutzwürdige Sache. In Anhang 3 finden sich Art.

69 sowie Art. 70 des Militärgesetzes in ihrer originalen Formulierung.

Im Übrigen weist die Botschaft darauf hin, dass der Einsatz von Schweizer

Armeeangehörigen im öffentlichen Interesse liege und zivile Behörden nicht in der

Lage seien, diese Aufgaben wahrzunehmen. Aufgaben dieser Art bedingten den

Einsatz von Militärpersonal und militärischen Mitteln. Nach Artikel 107 des

Seerechtsübereinkommens der UNO sowie den Resolutionen 1846 und 1851 des

UNO-Sicherheitsrates müsse die Piraterie überdies mit militärischen Mitteln bekämpft

werden.73 Basierend auf Art. 92 des Militärgesetzes, welcher die Polizeibefugnisse

der Armee regelt, sei Schweizer Armeeangehörigen der Waffengebrauch nur im Fall

von Notwehr, Notstand oder als letztes Mittel zur Erfüllung des Auftrags gestattet.

Der Artikel ermöglicht ferner Personen anzuhalten, ihre Identität festzustellen und

vorübergehend festzunehmen sowie das Kontrollieren und Beschlagnahmen von

Sachen (wenn nötig).74

Auf der Grundlage der besprochenen rechtlichen Aspekte wäre eine Beteiligung an

Operation Atalanta in der geplanten Form juristisch vertretbar gewesen. Allerdings

liesse sich Artikel 69 auch anders interpretieren. Eine explizite Rechtsgrundlage für

eine Beteiligung des Schweizer Militärs an internationalen Polizeiaktionen ist darin

bis heute nicht enthalten. Der Bundesrat beabsichtigte deswegen, im Zuge der 72

Vgl. Schweiz. Eidgenossenschaft (Bundesversammlung), Bundesgesetz

über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG), 3. Februar 1995, Art. 69 Abs. 2, in:

http://www.admin.ch/ch/d/sr/5/510.10.de.pdf (6. März 2012). 73

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4545. 74

Vgl. Schweiz. Eidgenossenschaft (Bundesversammlung), Bundesgesetz

über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG), 3. Februar 1995, Art. 92 Abs. 2 und 3, in:

http://www.admin.ch/ch/d/sr/5/510.10.de.pdf (6. März 2012).

37

Beteiligung an Operation Atalanta, eine Änderung des Militärgesetzes

vorzunehmen.75

Die beabsichtigten Änderungen des Militärgesetzes wurden in der Botschaft des

Bundesrates detailliert erläutert. Die quasi-Kopplung der Beteiligung an Operation

Atalanta mit einer Änderung des Militärgesetzes war für die politischen Debatten und

Entscheide bezüglich der Atalanta-Vorlage von beträchtlicher Relevanz. Die

Militärgesetzrevision sollte für die Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta eine

makellose juristische Grundlage schaffen, wurde jedoch von einer grossen Mehrheit

der Parlamentarier verworfen. Die vom Bund beabsichtigten Änderungen betrafen

primär Art. 69 MG. Dieser Artikel sollte um die Möglichkeit der Teilnahme an

internationalen Polizeioperationen ergänzt werden, wenn zivile oder militärische

Behörden vor Ort diese Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können und

schweizerische Interessen direkt oder indirekt betroffen sind. Der Bundesrat bezieht

sich in diesem Kontext auf die Gefahr, welche vom Zerfall von Staaten für die

internationale Gemeinschaft und damit direkt oder indirekt für die Schweiz ausgeht.

Konkret wird die Möglichkeit von Polizeiaktionen zum Schutz von international

bedeutsamen Infrastrukturanlagen, Transportrouten oder Energiewegen wie Öl- oder

Erdgaspipelines, welche die internationale Energieversorgung sicherstellen, genannt.

Ebenso könnten massive Gefährdungen der Umwelt wie Atomunfälle,

Ölverschmutzungen und dergleichen im Machtbereich eines „failed state“ solcherlei

Aktionen notwendig machen. Auch eine Beteiligung an internationalen

Grenzschutzaufgaben zur Kanalisierung und Absicherung von Migrationsströmen

wird aufgeführt.76 Zu beachten gelte dabei, dass ein solcher Einsatz den

Grundsätzen der schweizerischen Aussen- und Sicherheitspolitik entsprechen müsse

und sich nicht gegen einen bestimmten Staat richten dürfe.

Der Bundesrat präzisiert, dass es der rechtlichen Natur von Polizeieinsätzen

entspreche, dass diese keine kriegerischen Handlungen seien und sich somit solche

Einsätze weder gegen einen Staat noch gegen Kombattanten im Sinne des

humanitären Völkerrechts richten können. Offensivoperationen zur

Friedenserzwingung werden in der Folge ausgeschlossen. Als weitere

75

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4537. 76

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4549-4550.

38

Voraussetzung für die Beteiligung an einem internationalen Polizeieinsatz wird die

Zustimmung des betroffenen Staates festgehalten. Falls die staatlichen Strukturen

nicht genügend gefestigt seien, um selbst Unterstützung anzufordern, könne ein

solcher Einsatz nur auf der Grundlage eines UNO-Mandats erfolgen.

Der Bundesrat sieht die beabsichtigte Ergänzung des Aufgabenspektrums der Armee

als Antwort auf die neue (globale) Bedrohungslage sowie als Massnahme, welche

den Eigeninteressen der Schweiz wie auch der internationalen Solidarität diene.77 Zu

erwähnen ist abschliessend, dass der Bundesrat aus rein juristischer Perspektive

nicht dazu verpflichtet gewesen wäre, vorgängig die Zustimmung der

Eidgenössischen Räte für den Abschluss eines Beteiligungsabkommens für die

Teilnahme an Operation Atalanta einzuholen.78 Art. 70 Abs. 1 MG regelt die

Zuständigkeit für das Aufgebot und die Zuweisung an die zivilen Behörden bei einem

Assistenzdienst der Armee im Ausland in folgender Weise: Zuständig ist, ausser bei

Katastrophen im Inland, der Bundesrat. Art. 70 Abs. 2 MG beinhaltet die Ergänzung,

dass wenn mehr als 2000 Angehörige der Armee aufgeboten werden oder der

Einsatz länger als drei Wochen dauert, die Bundesversammlung den Einsatz in der

nächsten Session genehmigen muss.79

Der Bundesrat wollte aufgrund politischer Erwägungen den umstrittenen Beschluss

vorgängig durch die Räte absegnen lassen, um diesem umfassenderen politischen

Rückhalt und Legitimität zu verschaffen.80 In Zusammenhang mit der beabsichtigten

Militärgesetzrevision konnte man aus verschiedenen Quellen die These vernehmen,

es handle sich bei der Kopplung der Atalanta-Beteiligung mit einer

Gesetzesänderung um ein politisches Manöver der damaligen Justizministerin

Eveline Widmer-Schlumpf, welche als erklärte Gegnerin einer Schweizer Beteiligung

galt. Die Genfer Tageszeitung „Le Temps“ beispielsweise sah in der Verknüpfung

einen Schachzug mit dem Ziel, den politischen Prozess in die Länge zu ziehen, da

77

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4550-4552. 78

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4541. 79

Vgl. Schweiz. Eidgenossenschaft (Bundesversammlung), Bundesgesetz

über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG), 3. Februar 1995, Art. 70, in:

http://www.admin.ch/ch/d/sr/5/510.10.de.pdf (6. März 2012). 80

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 29-30.

39

eine solche Gesetzesrevision formell nicht nötig gewesen sei.81 Auch die „NZZ“

berichtete, die Verbindung der Atalanta-Beteiligung mit der Revision des

Militärgesetzes sei auf Drängen der damaligen Justizministerin Eveline Widmer-

Schlumpf sowie von Verteidigungsminister Ueli Maurer geschehen. Letzterer war

einer Beteiligung an Atalanta gegenüber ebenfalls kritisch eingestellt.82 Ebenso

berichtete die „Weltwoche“ Anfang Januar, man wisse, „dass sowohl die Vorsteherin

des EJPD [Eveline Widmer –Schlumpf, Anm. d. Rede] wie der neue Vorsteher des

VBS [Ueli Maurer, Anm. d. Rede] einem bewaffneten Einsatz ablehnend

gegenüberstehen.“83

Die Uneinigkeit zwischen den Parteien und anderen politischen Interessenverbänden

in der Atalanta-Frage sowie einer möglichen Änderung des Militärgesetzes wurde

nach der Veröffentlichung der Botschaft des Bundesrates im April 2009 schnell

ersichtlich. Die Parteien und Interessenverbände bekundeten in Pressemitteilungen

und über die Medien ihre Meinungen und Argumente zur Thematik. Zur Änderung

des Militärgesetzes fand am 11. und am 13. Mai eine Vernehmlassung statt, auf

welche im folgenden Kapitel eingegangen wird.

81

Miéville, D.S., L’engagement contre les pirates somaliens torpilié, in : Le Temps, 24. April 2009,

http://www.letemps.ch/Page/Uuid/a29cc496-3046-11de-9290-327d70d663fd/

Lengagement_contre_les_pirates_somaliens _torpillé (13. März 2012). 82

Vgl. Nuspliger, Spiel auf Zeit um die Piratenjagd, 13. 83

Frenkel Max, Und schon gar nicht anständig, in Weltwoche 1 (2009),

http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2009-01/artikel-2009-01-kommentar-und-sc.html (21. März 2012).

40

3.3 Öffentliche Debatte: Positionen von Parteien, V erbänden und Organisationen sowie in den Medien vertretene Einsc hätzungen

3.3.1 Vernehmlassung zur Gesetzesänderung

Betreffend die Änderung des Militärgesetzes führte das VBS am 11. und am 13. Mai

2009 eine „beschleunigte Vernehmlassung“ in Form von Anhörungen durch. Daran

nahmen Vertreter der Kantone, verschiedener interessierter Verbände und

Organisationen sowie die politischen Parteien der Schweiz teil. Zusammenfassend

kann über das Ergebnis der Anhörungen folgendes gesagt werden: Alle politischen

Parteien inklusive der vier Bundesratsparteien (SVP, SP, CVP und FDP) lehnten die

vorgeschlagene Änderung des Militärgesetzes grundsätzlich ab; zumindest zum

damaligen Zeitpunkt. Klare Zustimmung gab es nur bei einer Mehrheit der

teilnehmenden Kantone sowie bei humanitären und im europapolitischen Bereich

tätigen Organisationen. Gesamthaft stiess die Vorlage eher auf Ablehnung. Die

Verbindung zwischen dem Vorschlag der Schweizer Beteiligung an Atalanta und der

Revision des Militärgesetzes wurde wiederholt kritisiert. Die zwei „Geschäfte“ seien

voneinander getrennt den Räten vorzulegen, hiess es unter anderem Seitens der

Vertreter von SP und FDP.84

Die Vernehmlassung zeigte auf, dass die Parteien der Vorlage zur

Militärgesetzrevision bereits kurz nach deren Veröffentlichung sehr kritisch

gegenüberstanden. In Bezug auf die Ausgangslage und das politische Klima im

Vorfeld des Entscheids über die Beteiligung an Operation Atalanta, liefern die

Medienmitteilungen der Parteien aufschlussreiche Hinweise. Als erstes werden die

Communiqués der politischen Fraktionen in den beiden eidgenössischen Räten

betrachtet. Weitere Informationen über das politische Klima im Vorfeld der Atalanta-

Abstimmung liefern die Communiqués von Organisationen und Verbänden sowie

ausgesuchte Artikel renommierter Schweizer Tageszeitungen.

84

VBS, Ergebnisse der Anhörung vom 11. und 13. Mai 2009 zur Änderung des Militärgesetzes, 15. Mai 2009, in:

http://www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents /1749/Ergebnis_korr.pdf (13. März 2012).

41

3.3.2 Die Communiqués der befürwortenden Parteien

Als erste klare Befürworterin einer Beteiligung an Operation Atalanta trat am 25.

Februar 2009 (am Tag der Bekanntgabe der geplanten Beteiligung durch das EDA)

die Freisinnig-Demokratische Partei der Schweiz (FDP) mit einer Pressemitteilung an

die Öffentlichkeit. Deren Titel lautete: „Kein Spiel mit der Sicherheit der Schweiz!

FDP unterstützt die Entsendung Schweizer Elitesoldaten in die Gewässer vor

Somalia“85. Die FDP begründet darin ihre Befürwortung des Einsatzes auf der einen

Seite mit der Notwendigkeit, als souveräner Staat selbst seine sicherheitspolitischen

Interessen wahrzunehmen. Auf der anderen Seite werden die rechtlichen

Voraussetzungen für einen Einsatz als ausreichend betrachtet. Dank der

Zustimmung der Vereinten Nationen zu Atalanta und weil sich der Einsatz nicht

gegen ein anderes Land sondern Kriminelle richte, fände zudem keine Verletzung

der Schweizer Neutralität statt. Offene Handelsrouten und eine eigene Hochseeflotte

gehörten zu den Kerninteressen eines kleinen, exportorientierten Landes wie der

Schweiz. Andere Staaten für die Sicherheit der Schweizer Schiffe zu bezahlen,

würde laut der Pressemitteilung die Souveränität der Schweiz untergraben und sei

zudem eines unabhängigen Landes unwürdig, welches selbst über eine moderne,

einsatzbereite Armee verfüge. Den linken und rechten Parteien, welche gegen die

Entsendung von Elitesoldaten in die Gewässer vor Somalia sind, wird ausserdem

verantwortungsloses und unpatriotisches Handeln vorgeworfen, welches eine

Gefährdung der nationalen Sicherheit darstelle.86

In einer zweiten Pressemitteilung der FDP vom 23. April 2009 (ein Tag nach der

Verabschiedung der Botschaft des Bundesrates zu Atalanta) werden ähnliche Pro-

Argumente in etwas diplomatischerer Form aufgeführt. Darüber hinaus wird

nochmals betont, dass sich die Teilnahme an Atalanta auf dem geltenden Gesetz

abstützen liesse und rasch entschieden werden müsse. Für die Änderung des

Militärgesetzes sieht die FDP hingegen den Bedarf nach einer vertieften Diskussion.

Sie lehnt die Verbindung des Entscheids über die Teilnahme an EU-NAVFOR

85

Pressemitteilung der FDP Schweiz, Kein Spiel mit der Sicherheit der Schweiz! FDP unterstützt die Entsendung

Schweizer Elitesoldaten in die Gewässer vor Somalia, 26. Februar 2009, in: http://www.wahlen.ch/new/

index.php?sid =33e5ecab5ca..&item=./news/detail&NewsID=36127 (9. Februar 2012). 86

Vgl. Pressemitteilung der FDP Schweiz, Kein Spiel mit der Sicherheit der Schweiz! FDP unterstützt die

Entsendung Schweizer Elitesoldaten in die Gewässer vor Somalia, 26. Februar 2009, in:

http://www.wahlen.ch/new/ index.php?sid =33e5ecab5ca..&item=./news/detail&NewsID=36127 (9. Februar

2012).

42

Atalanta mit der Änderung des Militärgesetzes ab: Jene Verknüpfung liefere den

Atalanta-Gegnern einen Vorwand, eine polemische Grundsatzdiskussion über

Auslandeinsätze zu provozieren und so den raschen und aktiven Schutz von

Schweizer Interessen in Form einer klar begrenzten militärischen Beteiligung zu

verhindern. Das Communiqué fordert deshalb die getrennte Behandlung der

Atalanta-Vorlage in der Juni-Session 2009.87

Im Juni 2009 meldeten sich die Christlich-Demokratische Volkspartei (CVP) und ihre

damaligen Fraktionspartner von der Evangelischen Volkspartei (EVP) und der

Grünliberalen Partei (GLP) erstmals in Form einer gemeinsamen Pressemitteilung zu

Wort. Die in juristischer Form gehaltene Mitteilung spricht dem Bundesrat die

gesetzliche Grundlage zu, gestützt auf Artikel 69 in Verbindung mit Art. 70 Abs. 1 des

Militärgesetzes über eine Teilnahme an Atalanta zu entscheiden. Die

Bundesversammlung habe aufgrund dessen den Einsatz in der kommenden Session

zu genehmigen. Die Revision des Militärgesetzes zum damaligen Zeitpunkt wird

abgelehnt, weil diese für eine Beteiligung an Atalanta nicht notwendig sei. Im Hinblick

auf mögliche weitere Einsätze könne diese aber in Aussicht genommen werden;

wichtig sei in diesem Punkt auch der Einbezug des auf Ende 2009 erwarteten

Sicherheitspolitischen Berichts. Die CVP-EVP-GLP Fraktion fordert abschliessend,

der Bundesrat könne und müsse seine gesetzlich vorgeschriebene Verantwortung

wahrnehmen und im Alleingang einen formellen Entscheid (im Sinne von Art. 69 MG

fällen), welcher danach dem Parlament vorzulegen sei. Aufgrund der als eindeutig

betrachteten Gesetzeslage wird die vorgesehene Konsultation der

Aussenpolitischen- und Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats zum

Thema als unnötig betrachtet.88

Bei der sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) liess sich anhand der

unterschiedlichen Argumentationen bei der Anhörung zur Änderung des

Militärgesetzes im Mai 2009 erstmals eine interne Spaltung in der Atalanta-Frage

87

Vgl. Pressemitteilung der FDP Schweiz, Piraten in Somalia: Sicherheit und Souveränität der Schweiz sichern.

FDP unterstützt die Teilnahme der Schweiz bei Atalanta, 23. April 2009, in: http://www.wahlen.ch/

new/index.php?lang=DE&item=./news/detail&NewsID=36314 (9. März 2012). 88

Vgl. Pressemitteilung der Fraktion CVP-EVP-glp, Endlich Klarheit schaffen, 10. Juni 2009, in:

http://www.wahlen07.ch/new/index.php?sid=a7f59fce6e771464fa37ae90edda8db5&item=.

/news/detail&NewsID=36492 (9. März 2012).

43

beobachten.89 Ihre damalige Bundesrätin und Vorsteherin des EDA, Micheline

Calmy-Rey, agierte hingegen als ausgesprochene Befürworterin einer Schweizer

Beteiligung. Dies belegen mehrere Quellen: Ein Zeitungsartikel der „Neuen Zürcher

Zeitung“ (NZZ) vom 23. April 2009 spricht davon, dass Micheline Calmy-Rey die

beiden Vorlagen mit grossem Eifer bereits in der Juni-Session ins Parlament bringen

wolle.90 Die Wochenzeitung (WOZ) berichtete am 27. August 2009 über Calmy-Rey

als Bundesrätin „die mit allen Mitteln versucht, Parlamentarier für eine Mission zu

gewinnen“. Verschiedene NationalrätInnen bezeichneten das Engagement von

Bundesrätin Calmy-Rey im „Atalanta-Diskurs“ zudem als ausserordentlich.91 Die

gespaltene Haltung in ihrer eigenen Sozialdemokratischen Partei konnte sie jedoch

nicht verhindern. In der Öffentlichkeit zeigte sich dies spätestens als die Partei am 8.

September 2009 zwei Communiqués veröffentlichte, welche unterschiedliche

Positionen in der Atalanta-Frage beinhalteten.

„Atalanta-Beteiligung ist eine humanitäre Pflicht“ lautet dabei der Titel des ersten

Communiqués, in welchem eine Schweizer Beteiligung an der Operation befürwortet

wird. Die Piraten Somalias werden darin als „Zahnräder im Uhrwerk des

organisierten Verbrechens“ bezeichnet. Diese seien keineswegs als moderne Robin

Hoods zu verstehen, sondern würden das Elend der in äussert prekären

Verhältnissen lebenden somalischen Bevölkerung verschlimmern. Es wird ferner

betont, dass die Piraterie nicht nur die Handelsschiffe, welche das Horn von Afrika

passieren, bedrohen, sondern auch die Schiffe des Welternährungsprogramms der

UNO, welches die somalische Bevölkerung mit humanitären Hilfsgütern versorgt. Da

das Hauptziel von Operation Atalanta der Schutz jener Hilfslieferungen sei,

entspreche es der humanitären Pflicht aller Staaten dazu beizutragen, dass diese

Hilfe den Bedürftigen zukomme und nicht den Piraten in die Hände falle. Die SP

habe sich überdies in der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats mit

Erfolg dafür eingesetzt, entgegen einer blossen Symptombekämpfung, nicht nur eine

militärische Missionsteilnahme zu bewilligen. Vielmehr habe man für konkrete

Massnahmen für die Wiederherstellung demokratischer und rechtsstaatlicher

89

Vgl. VBS, Ergebnisse der Anhörung vom 11. und 13. Mai 2009 zur Änderung des Militärgesetzes, 15. Mai

2009, in: http://www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents /1749/Ergebnis_korr.pdf (13. März 2012). 90

Vgl. Nuspliger, Spiel auf Zeit um die Piratenjagd, 13. 91

Vgl. Hanimann Carlos, Klimmzüge für Calmy-Rey, in: Die Wochenzeitung (WOZ), 27.8.2009,

http://www.woz.ch/0935/mission-atalanta/klimmzuege-fuer-calmy-rey (14. März 2012).

44

Institutionen plädiert, welche die notleidende Bevölkerung Somalias bei der Rückkehr

zu Frieden, Stabilität und öffentlicher Ordnung unterstützen sollen. Zum Schluss wird

betont, dass es sich um einen sicherheitspolitischen Richtungsentscheid handle,

welcher im Falle einer Ablehnung von rechtsorientierten Kräften als Präjudiz gegen

friedensfördernde Auslandeinsätze der Armee und gegen jegliche

sicherheitspolitische Öffnung der Schweiz missbraucht werden könnte.92

Das Communiqué der Atalanta-Gegner in den Reihen der SP trägt den Titel „Atalanta

ist keine Friedensmission“. Die Schweiz sei kein Land, welches bisher international

dadurch aufgefallen sei, sich auf imperialistische Weise als Weltpolizei aufspielen zu

wollen, heisst es darin. Die Rolle der Schweiz im internationalen Bereich liege

vielmehr in der Vermittlung, der Friedensförderung und –erhaltung sowie der

humanitären Hilfe. Besonders kritisiert wird an Atalanta, dass die Operation die

Piraterie nur als Symptom, nicht aber deren Ursache bekämpfe. Für den Schutz der

Handelswege würden etliche Millionen investiert und Dutzende Kriegsschiffe und

Tausende Soldaten aufgeboten. Das wirkliche Problem aber - die am Boden

liegende Infrastruktur, die Arbeitslosigkeit und die fehlenden Perspektiven – würden

nicht an der Wurzel angepackt. Zum Schluss wird in Frage gestellt, ob das Armee-

Aufklärungsdetachements AAD 10 überhaupt die benötigten Fähigkeiten für einen

Einsatz auf hoher See mitbringe. Da im Rahmen der Mission keine

Offensivoperationen vorgesehen seien, erschöpfe sich die Argumentation für den

Einsatz dieser Sondereinheit offenbar in deren Existenzberechtigung.93

Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass die Existenz der Sondereinheit der Armee

AAD 10 an sich umstritten ist. Sowohl von gewissen linken wie auch von rechten

Kreisen wurde die Einheit schon als unnötig bezeichnet und sollte deren Meinung

nach abgeschafft werden.94 Bei denjenigen Kräften innerhalb der SP, die sich gegen

eine Teilnahme an Atalanta stellten, handelte sich meist um Politiker, welche der

Armee gegenüber allgemein kritisch eingestellt sind und eine pazifistische

92

Vgl. Kasermann Andreas, Atalanta-Beteiligung ist eine humanitäre Pflicht, in: SP-Pressedienst,

http://www.sp-ps.ch/ger/Medien/Pressedienst/2009/ATALANTA-Beteiligung-ist-eine-humanitaere-Pflicht

(14. März 2012). 93

Vgl. Kasermann Andreas, Atalanta ist keine Friedensmission, in: SP-Pressedienst, http://www.sp-

ps.ch/ger/Medien/Pressedienst/2009/ATALANTA-ist-keine-Friedensmission (14. März 2012). 94

Vgl. Knüsel Jan, SVP will Spezialeinheit AAD 10 abschaffen, in: Tagesanzeiger Online, 23. Juni 2010,

http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/SVP-will-Spezialeinheit-AAD-10-

abschaffen/story/15295557?track (14. März 2012).

45

Grundhaltung pflegen. Eine ausführliche Analyse der grundsätzlichen Haltung der

pazifistischen Linken sowie der politischen Rechten gegenüber Auslandeinsätzen der

Armee findet sich in Kapitel 4. Als nächstes stehen die öffentlichen Positionierungen

derjenigen Parteien im Fokus, die sich im Vorfeld der Atalanta-Abstimmung

geschlossen gegen eine Teilnahme stellten.

3.3.3 Die Communiqués der ablehnenden Parteien

Nebst eines Teils der SP war es auf linker Seite vor allem die Grüne Partei der

Schweiz (GPS), welche sich als klare Gegnerin eines Auslandeinsatzes der

Schweizer Armee im Rahmen von EU-NAVFOR Atalanta positionierte. Die erste

Medienmitteilung der Grünen zur Thematik, welche bereits am 12. Dezember 2008

veröffentlicht wurde, bekräftigt ein erstes Mal jene ablehnende Haltung. Das

Communiqué betont vorab die Problematik der (illegalen) Ausbeutung der

Fischbestände entlang der somalischen Küste sowie der illegalen Entsorgung von

Giftmüll, welche die Hauptgründe für das Entstehen der dortigen Piraterie seien. Es

wird die Frage aufgeworfen, wieso der Bundesrat nie einen Vorschlag mache, der

sich gegen die „Fischerpiraten“ und „Giftmülldealer“ richte. Der Bundesrat wird aus

diesen Gründen dazu aufgefordert, sich auf die zivile Lösung der sozialen Ursachen

des Problems zu konzentrieren. Ein Einsatz im Rahmen von Atalanta sei überdies

auch aus militärischer Sicht fragwürdig: Dies einerseits aufgrund des Risikos Verluste

an Menschenleben zu erleiden. Andererseits bedeute ein schweizerisches

Militärengagement eine Hypothek für die Schweizer Friedens- und Neutralitätspolitik,

wenn sie sich an einer Grossaktion in Afrika zusammen mit Armeen, die eine

Kolonialtradition besitzen, beteilige. Es wird zudem gefordert, der Bundesrat müsse

einen allfälligen Beschluss vorgängig dem Parlament vorlegen.95

In einer weiteren Medienmitteilung der Grünen Partei vom 25. Februar 2009 werden

die in der vorangegangen Mitteilung aufgeführten Argumente gegen eine Beteiligung

erneut ausgeführt und bekräftigt: Die Schweiz solle endlich mehr Initiative zeigen im

Vorgehen gegen das Leerfischen der Fischgründe durch Grosstrawlers. Wenn diese

Ausbeutung der Meere ein Ende habe, würde auch der Piraterie der Boden

entzogen. Der Einsatz sei ausserdem auch rechtlich fragwürdig und bei den 95

Vgl. Grüne Partei der Schweiz, Grüne lehnen Somalia-Einsatz ab, in: Medienmitteilungen Friedenspolitik, 22.

Dezember 2008, http://www.gruene.ch/web/gruene/de/positionen/internationales/friedenspolitik/

medienmitteilungen/somalia-einsatz-ablehnen_22-12-08.html (14. März 2012).

46

Schweizer Bürgerinnen und Bürgern ohnehin unpopulär. Die Partei versichert

deswegen in ihrem Communiqué der gemeinsamen Petition der Jungen Grünen,

JUSO und der GSOA gegen einen Armeeinsatz vor Somalia ihre Unterstützung.96

Auf der rechten Seite des Politspektrums, namentlich von der Schweizerischen

Volkspartei (SVP), wurde die geplante Schweizer Beteiligung an der EU-NAVFOR

Atalanta ebenfalls klar abgelehnt. Eine Medienmitteilung der SVP vom 23. April 2009

erlaubt einen ersten Einblick in deren Position gegenüber dem Atalanta-Einsatz wie

auch gegenüber Auslandsengagements der schweizerischen Armee an sich: Die

SVP verurteilt in ihrem Communiqué den Entscheid des Bundesrates über einen

Auslandeinsatz der Armee aufs Schärfste. Der totale Bruch mit der auf die

Verteidigung unseres Landes ausgerichteten Armee komme der Zerstörung der

Neutralität gleich. Es gehe bei der Vorlage in keiner Art und Weise um die

Verteidigung von Schweizer Schiffen. Vielmehr sieht die SVP darin eine „Einführung

des Aktivdienstes der Schweizer Armee im Ausland unter der Führung der EU bzw.

ausländischer Kampftruppen.“ Es ist ferner von einer „bunt zusammengewürfelten

Truppe von Soldaten, Krankenschwestern und Juristen“ die Rede, welche in den Golf

von Aden entsendet würden. Die Landesregierung schicke mit diesem

Grundsatzentscheid Schweizer Soldaten in einen internationalen Krieg. Dies sei Teil

einer schrittweisen Abkehr von der „immerwährenden, bewaffneten, integralen

Neutralität“, welche vom Bundesrat ungebremst vorangetrieben werde. In diesem

Sinne würden die Interessen der internationalen Grossmächte über die Schweizer

Grundsätze der Unabhängigkeit, Souveränität und Neutralität gestellt. „Die SVP

warnt zudem davor, die von den Grossmächten im Hintergrund verfolgten Interessen

um die strategische Vorherrschaft der Verbindungsstrasse zwischen Europa und

Asien zu unterschätzen“.

Der finanzielle Aufwand für einen solchen Aktivdienst im Ausland stehe überdies in

keinem Verhältnis zu den vorgegebenen „schützenswerten Interessen“ der Schweiz.

Zudem könne Art. 69, Abs. 2. MG nicht in der vom Bundesrat vertretenen Form

interpretiert werden: Der damalige Verteidigungsminister Samuel Schmid (SVP) hätte

bei der Verabschiedung des Militärgesetzes eine Ausweitung des Begriffs

96

Vgl. Grüne Partei der Schweiz, Somalia-Einsatz löst keine Probleme, in Medienmitteilungen Friedenspolitik,

25. Februar 2009, http://www.gruene.ch/web/gruene/de/positionen/internationales/friedenspolitik/

medienmitteilungen/somalia-einsatz_25-02-09.html (14. März 2012).

47

„schutzwürdige Sachen“ explizit ausgeschlossen und dabei nur die Schweizer

Botschaften explizit genannt. Auch Art. 69 Abs. 1 MG verschaffe dem geplanten

Einsatz keine rechtliche Grundlage, da es sich bei Atalanta um eine militärische und

nicht um eine humanitäre Operation handle. Am Ende ihrer Mitteilung kündigt die

SVP an, im Falle einer Annahme der Vorlage das Referendum ergreifen zu wollen.97

In der Schweizerzeit, einer nationalkonservativen Zeitung, die vom ehemaligen SVP-

Nationalrat Ullrich Schlüer herausgegeben wird, erschien im Juni 2009 ein Artikel, in

dem Schlüer die rechtlichen Aspekte eines Atalanta-Einsatzes aus seiner

Perspektive näher erläutert. Darin gelangt dieser zum Fazit, dass einem Schweizer

Armeeeinsatz im Rahmen von Operation Atalanta nicht nur die Rechtsgrundlage

fehle, sondern ein solcher auch verfassungswidrig sei.98 Als Ergänzung zu den

öffentlichen Positionen der politischen Parteien zur Atlanta-Vorlage folgen nun

Stimmen und Positionen von interessierten oder involvierten Organisationen und

Verbänden.

3.3.4 Positionen ausgewählter Verbände und Organisa tionen zu Atalanta

Die Schweizer Armee bereitete einen möglichen Einsatz auf hoher See vor und wäre

für dessen praktische Umsetzung verantwortlich gewesen. Die Position der höheren

Armeekader in der Atalanta-Frage ist demzufolge von beträchtlicher Relevanz. In der

allmonatlich erscheinenden Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift (ASMZ),

welche von der Schweizerischen Offiziersgesellschaft herausgegeben wird,

erschienen eine Reihe von Artikeln und Kommentaren, die sich mit der möglichen

Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta auseinandersetzten. Die

Äusserungen und Argumentationen in der ASMZ lassen auf eine befürwortende

Haltung gegenüber Atalanta im Kreis der Armeekader schliessen. Die Artikel

enthalten – der Betätigung ihrer Verfasser entsprechend – eine Vielzahl an

Beurteilungen aus militärischer und sicherheitstechnischer Perspektive. Im Editorial

der Januar-Ausgabe 2009 zeigt sich der Chefredaktor der Zeitschrift gleichwohl der

schwierigen und kontroversen politischen Dimension der Vorlage bewusst: Eine

97

Vgl. SVP Communiqués, Nein zum Aktivdienst im Ausland, 23. April 2009, in: http://www.svp.ch/g3.cms/

s_page/83050/s_name/communiquesmobile/s_element/132280/news_id/69/news_newsContractor_display

_type/detail/news_newsContractor_year/2009/searchkey/aktivdienst%20im%20ausland (16. März 2012). 98

Vgl. Schlüer Ullrich, Rechtsbruch aus Kriegslüsternheit. Atalanta ist verfassungswidrig, in: Schweizerzeit Nr.

16., 16. Juni 2009, http://www.schweizerzeit.ch/1609/rechtsbruch.html (15. März 2012).

48

Unterstellung von Schweizer Soldaten unter die Kommandozentrale der Operation

Atalanta würde eine neues Kapitel im Bereich der Auslandeinsätze aufschlagen und

bewusst auch mögliche Waffeneinsätze von Schweizer Soldaten im Ausland in Kauf

nehmen.99

In einem weiteren Beitrag zum Thema in der Januarausgabe der ASMZ wird betont,

dass die Schweizer Armee mit dem „hoch professionell ausgebildeten“

Aufklärungsdetachement AAD 10 über ein passables militärisches Mittel für den

geplanten Einsatz verfüge. Die Schweiz habe nationale Interessen, die es zuhause

wie im Ausland zu wahren gelte. Interessant im Zusammenhang mit der

Gesamtausrichtung der Schweizer Aussenpolitik ist sicher die Aussage, die Schweiz

sei in einer zunehmend vernetzten Welt zu Leistungen gefordert, die nicht bloss mit

Geld abgegolten werden dürften. Finanzielle Unterstützung alleine fände in der

internationalen Gemeinschaft kaum mehr Anerkennung. Es sei vielmehr

substanzielle Unterstützung gefordert, auch wenn diese in einem kleinen Rahmen

bleibe. Im Fall der (kleinen) Schweiz mit ihren beschränkten militärischen Mitteln

gelte es ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Der Autor geht auch davon aus, dass

die von der EU, NATO etc. getroffenen Massnahmen ihre Wirkung zeigen würden.100

In der Juni-Ausgabe 2009 wird seitens des Vorstandes der Schweizerischen

Offiziersgesellschaft (SOG) informiert, man habe im Rahmen der vom VBS

durchgeführten Anhörungen in der Sache der Militärgesetzänderung teilgenommen

und dort eine positive Haltung der Gesetzesänderung gegenüber eingenommen.

Zusätzlich betont die Offiziersgesellschaft, das AAD 10 sei in der Lage, den

vorgesehenen Einsatz durchzuführen. Ein Entscheid für oder wider einen Einsatz

von Armeeangehörigen gegen die Piraterie sei rein politischer Natur.101

Ein zivilgesellschaftlicher Akteur der sich klar für eine Schweizer Beteiligung an

Operation Atalanta aussprach, war die Neue Europäische Bewegung Schweiz

(nebs). Die überparteiliche Organisation befürwortete im Mai 2009 in einem

Positionspapier sowohl die Teilnahme an Operation Atalanta wie auch die Revision

des Militärgesetzes. Die Teilnahme von Schweizer Armeeangehörigen an

internationalen Militäroperationen wie Atalanta sei ein wichtiger Beitrag unseres

99

Vgl. Beck, Einsatz auf hoher See, 3. 100

Vgl. Kürsener, Schutz der Schweizer Hochseeflotte, 26-27. 101

Vgl. SOG Vorstand, Meinungsaustausch mit bürgerlichen Parlamentariern, 35.

49

Landes an die kollektive Sicherheit Europas. Jener Beitrag würde von der

Staatengemeinschaft erwartet und sei im Interesse der Schweiz; eine Nicht-

Teilnahme an Atalanta würde dem Ansehen der Schweiz im Ausland schaden.102

Eine deutlich andere Perspektive vertrat die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee

(GSOA) im Vorfeld der Abstimmung. Die Gruppe ist eine linksorientierte

basisdemokratische Organisation, welche pazifistische Ideologien vertritt. Eines ihrer

Hauptziele ist die Abschaffung der Schweizer Armee.103 In einer Stellungnahme

„Dokumentation zur Operation Atalanta“ macht sie darauf aufmerksam, dass ein

Armeeeinsatz blosse Symptombekämpfung sei, der keine Probleme längerfristig zu

lösen vermöge. In Somalia sei der Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen und eines

demokratischen Staatsystems vonnöten, wenn man das Piratenproblem nachhaltig

angehen wolle. Die GSOA macht auch auf das Problem der illegalen „Leerfischung“

der somalischen Küstengewässer aufmerksam, welche den lokalen Fischern ihre

Lebengrundlage entzieht und deswegen für das Aufkommen der Piraterie

verantwortlich sei. Die GSOA spricht sich deswegen klar gegen einen

Assistenzdienst der Schweizer Armee im Rahmen der EU-Operation Atalanta aus.

Nebst der allgemeinen Ausrichtung des Einsatzes wird dessen rechtliche Grundlage

zusätzlich als ungenügend und vage bezeichnet: Art. 69 Abs. 1 MG sei dafür

ungenügend, da die Abwehr von Piratenangriffen einer Kampfhandlung und nicht

einer humanitären Aktion im Sinne einer Hilfeleistung in Katastrophenfällen, wie dies

in der Botschaft des Bundesrates zum Militärgesetz von 1995 umschrieben ist,

entspreche. Der Schutz von Schweizer Schiffen könne allenfalls mit Art. 69 Abs. 2

MG abgedeckt sein. Dass der Bund jedoch in seiner Botschaft zu Atalanta und der

beabsichtigten Änderung des Militärgesetzes davon spricht, Atalanta mit der

Gesetzesänderung eine klare Rechtsgrundlage zu verschaffen, heisse in der

Konsequenz, dass nach heutigem Recht die Gesetzeslage ungenügend sei.104

Jene Änderung des Militärgesetzes wurde von der GSOA ebenfalls abgelehnt. Sie

würde eine Grundlage für eine weitgehende Beteiligung der Armee an militärischen

102

Vgl. Nebs, Operation Atalanta und Revision vom Art. 69 des Militärgesetzes, in: Stand und Entwicklung der

Beziehung Schweiz-EU auf einen Blick, 20. Mai 2009,

http://www.europa.ch/Files/pdf/090520_relations_bilaterales_ch-ue_2_09_de.pdf (20. März 2009). 103

Vgl. GSOA, über die GSOA, in: http://www.gsoa.ch/gsoa/uber/ (20. März 2012). 104

Vgl. GSOA, Dokumentation zur Operation Atalanta, 25. März 2009, in: http://www.gsoa.ch/themen/armee-

und-zivildienst/00787/dokumentation-zur-operation-atalanta/ (20. März 2012).

50

Interventionen schaffen. Es müsse in der Folge eine Militarisierung der Aussenpolitik

befürchtet werden, bei der sich die Schweiz am globalen Kampf um Ressourcen und

Einfluss beteilige. Die Schweiz solle sich stattdessen verstärkt mit zivilen,

diplomatischen und aussenpolitischen Mitteln für die Lösung von Konfliktursachen

engagieren. Im Falle einer Annahme kündigte die GSOA an, das Referendum zu

ergreifen.105 Gemeinsam mit den Jungen Grünen und der JungsozialistInnen

Schweiz (JUSO) lancierte die Gruppe Ende Februar 2009 zudem eine Online-

Petition, welche den Verzicht auf den Einsatz von Schweizer Soldaten in Somalia

forderte.106

Die rechtskonservative politische Vereinigung AUNS (Aktion für eine unabhängige

und neutrale Schweiz) machte ihren Standpunkt gegenüber Operation Atalanta im

März 2009 in Form einer Stellungnahme in ihrem Publikumsorgan „AUNS Klartext“

deutlich: Der Entscheid zugunsten einer Teilnahme von Schweizer Soldaten an einer

Militäroperation der EU gegen Piraten vor der Küste Somalias sei grotesk,

neutralitätswidrig und folgenschwer. Dieser bundesrätliche Fehlentscheid öffne „Tür

und Tor für künftige Kampf- und Kriegseinsätze von Schweizer Soldaten unter

fremdem Kommando irgendwo auf der Welt.“ Der beschlossene Kampf- und

Kriegseinsatz habe zusätzlich nichts mit einem Assistenzdienst für humanitäre

Operationen gemäss Art. 69 Abs. 1 MG zu tun. Atalanta bringe vielmehr eine

dramatische Ausweitung des Ausland-Einsatzes von Schweizer Soldaten. Am Ende

der Stellungnahme macht die AUNS deutlich, sie werde alles tun „um diesen

gravierenden Irrweg zu stoppen.“107 Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass viele

AUNS-Mitglieder der SVP angehören und umgekehrt.

105

Vgl. GSOA, Positionspapier der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSOA zur Revision des Militärgesetzes,

in: http://www.gsoa.ch/media/filecontent /Positionspapier_Revision_MG.pdf (20. März 2012). 106

Vgl. GSOA, Keine Soldaten nach Somalia, 25. Februar 2009, in: http://www.gsoa.ch/themen/armee-und-

zivildienst/00753/keine-soldaten-nach-somalia/ (20. März 2012). 107

Vgl. AUNS, Piratenjagd: Ist der Bundesrat von allen guten Geistern verlassen?, in: AUNS Klartext, März

(2009), 5

51

3.3.5 Berichterstattung in der Presse, Kommentare u nd Hintergründe

Vom Zeitpunkt der Bekanntgabe der geplanten Beteiligung an Operation Atalanta

Ende 2008 bis zur Ablehnung der bundesrätlichen Vorlage im September 2009

wurden in der Schweizer Presse diverse Artikel und Kommentare zum Thema

veröffentlicht. Die Konsultation von Artikeln und Kommentaren in Schweizer

Qualitätszeitungen machten es möglich, an relevante Hintergrundinformationen zum

politischen Prozess rund um die Vorlage zu gelangen. Zusätzlich verschaffen die

Kommentare in den Medien einen (Grob-)Eindruck über das Medienecho der

Vorlage. Es soll an dieser Stelle vermerkt sein, dass es sich hierbei um keine

umfassende Medienanalyse handelt, sondern vielmehr um eine selektive

zusammengestellte Auswahl an Informationen und Kommentaren im Zusammenhang

mit dem politischen Prozess betreffend des „Atalanta-Diskurses“. Hierzu eine Reihe

von Presseartikeln und Kommentaren im Vorfeld der Abstimmung, welche als

relevant betrachtet wurden:

In einem Kommentar in der Genfer Tageszeitung „Le Temps“ vom 14. Januar 2009

wird aufgeführt, dass die Schweiz entweder die Möglichkeit habe, auf nationaler

Ebene mit der Stationierung von Soldaten auf ihren Handelsschiffen für deren

Sicherheit zu sorgen oder aber sich in einem multinationalen Rahmen an der EU-

Operation gegen die Piraterie vor Somalia engagieren könne. Werde keine dieser

beiden Optionen verfolgt, so nähme die Schweiz von der Maxime Abstand, ihre

staatliche Souveränität zu verteidigen, da Schiffe, die unter Schweizer Flagge fahren,

aus juristischer Perspektive eine Erweiterung des staatlichen Territoriums

darstellen.108 „Le Temps“ ging in einem weiteren Artikel vom 24. April 2009 auf die

politischen Manöver, die den politischen Prozess um die Atalanta-Vorlage

begleiteten, ein. „Le Temps“ vertritt die Meinung, die Atalanta-Vorlage sei (wie in

Kapitel 3.2.3 erwähnt) mit einer Änderung des Militärgesetzes verknüpft worden, um

eine Entscheidung darüber hinauszuzögern und zu erschweren. Die beanspruchte

Zeit für die mit der Gesetzesänderung verbundene Vernehmlassung hätte es erlaubt,

das Parlament erst im Herbst anstelle, wie vorgesehen im Mai, über die Vorlage

entscheiden zu lassen. Allerdings seien die meisten Protagonisten in dieser

108

Vgl. Germond Basil, Piraterie maritime: un choix épineux pour la Suisse, in: Le Temps, 14, Januar 2009,

http://www.letemps.ch/Page/Uuid/ed88d09e-eefb-11dd-b87c-

1c3fffea55dc/Piraterie_maritime_un_choix_%C3%A9pineux _pour_la_Suisse (21. März 2012).

52

Angelegenheit weit davon entfernt, über das Hinauszögern jenes delikaten Dossiers

unglücklich zu sein. Mit entsprechendem Willen wäre ein beschleunigtes Verfahren

durchaus möglich gewesen heisst es weiter, jedoch hätte sich ausser der FDP in der

Angelegenheit niemand wirklich exponieren wollen. Juristisch gesehen wäre es dem

Bundesrat zudem möglich gewesen, in erster Instanz ohne die Konsultation des

Parlamentes einen Entscheid über eine Beteiligung mit Schweizer Soldaten an

NAVFOR-Atalanta zu fällen. Aufgrund des grossen Widerstands seitens der SVP und

ihres Bundesrates Ueli Maurer sei dies jedoch nicht geschehen.109

Die tendenziell dem rechtskonservativen politischen Spektrum zuzuordnende

Wochenzeitung „Weltwoche“ sprach in der Ausgabe vom 4. Februar 2009

gleichermassen davon, VBS-Chef Ueli Maurer torpediere das Atalanta-Engagement

nach Kräften. Er bediene sich dabei einer Zermürbungspolitik, in welcher seitens des

VBS allerlei Informationen eingefordert würden, die längst erörtert worden seien.

Damit setze man auf das Kalkül, dass das Thema an Fahrt verliere, je länger der

Bundesrat mit der Ausarbeitung seines Berichts zögere. Bundesrat Ueli Maurer wird

einhergehend mit diesen Vorwürfen ein Armeeleitbild, welches sich an einer strikten

Territorialverteidigung „à la guerre froide“ orientiert, beschieden. Die „Weltwoche“

kommentiert weiter, es stünde einer souveränen Nation, die über taugliche

Wehrmittel verfüge schlecht an, den Schutz ihrer Flotte über eine rein finanzielle

Beteiligung an fremde Mächte zu delegieren. Die rechtlichen Voraussetzungen für

einen solchen Einsatz seien ebenfalls gegeben.110 In ihrer Erstausgabe 2009

äusserte ein anderer Kommentator die Befürchtung, ein Polizeieinsatz auf hoher See

müsse irgendwann fast notwendigerweise zu einem bewaffneten Einsatz in Somalia

selbst führen.111

Die „Neue Zürcher Zeitung“ argumentiert in einem am 2. September 2009

erschienenen Artikel mit dem Titel „Im Schweizer Eigeninteresse“ für einen

Schweizer Militäreinsatz im Rahmen der EU-NAVFOR Atalanta: Das Schweizer

Parlament müsse sich darüber Rechenschaft geben, dass die internationale

Gemeinschaft mit der Operation Atalanta und dem damit implizierten Schutz der

109

Vgl. Miéville, D.S., L’engagement contre les pirates somaliens torpilié, in : Le Temps, 24. April 2009,

http://www.letemps.ch/Page/Uuid/a29cc496-3046-11de-9290-327d70d663fd/Lengagement

_contre_les_pirates_somaliens _torpillé (13. März 2012). 110

Vgl. Gehriger, Operation Atalanta. 111

Vgl. Frenkel Max, Und schon gar nicht anständig.

53

internationalen Seehandelswege mithin auch im vitalen Interesse der Schweiz

handle. Unter dem Aspekt der Solidarität erscheine ein – im Gesamtrahmen recht

bescheiden bemessener – eigener Beitrag angebracht. Den Einwand linker Kritiker,

bei Atalanta handle es sich um reine Symptom- anstelle von Ursachenbekämpfung,

entgegnet der Autor in Form eines Gleichnisses: Man rufe üblicherweise auch nach

der Feuerwehr, um ein Feuer zu bekämpfen, ohne dass zuerst die Brandursache

erörtert werde. Die „Neue Zürcher Zeitung“ prognostizierte ausserdem eine heftige

und ausdauernde Debatte im Nationalrat, bei der die intern gespaltene SP den

Ausschlag geben dürfte. Die Sozialdemokraten seien einmal mehr in einen

pazifistischen, die Armee ablehnenden Teil auf der einen und eine

„internationalistische Fraktion“ auf der anderen Seite gespalten.112

In Zusammenhang mit dem politischen Prozess um die Vorlagen der Beteiligung an

Atalanta und der Änderung des Militärgesetzes ist eine Information, welche die

Berner Tageszeitung „Der Bund“ Ende Mai publizierte zu erwähnen: Laut dem Bund

informierte der Bundesrat die beiden Vorlagen seien rechtlich nicht miteinander

verkoppelt. Dem Parlament stehe es frei, ob es die „Geschäfte“ gemeinsam behandle

und wann es das tue. Diese Entkopplung sei ganz im Sinn von Aussenministerin

Micheline Calmy-Rey, welche sich für den Einsatz stark mache, denn im Gegensatz

zur Militärgesetzrevision zeichne sich bei Atalanta ein Ja des Parlaments ab.113

Bevor die Atalanta-Vorlage vor den National- und den Ständerat kam, befassten sich

die Sicherheitspolitischen Kommissionen des National- und Ständerats, wie auch die

Aussenpolitischen Kommissionen der beiden Räte mit dem Dossier „Operation

NAVFOR Atalanta. Assistenzdienst im Ausland sowie Änderung des Militärgesetzes“.

Die folgenden Kapitel behandeln die Debatten, die in jenen Kommissionen zur

Atalanta-Thematik geführt worden sind. Für ein besseres Verständnis der Abläufe im

politischen System der Schweiz bezüglich der Verfahrensweise bei

Parlamentsdebatten und –entscheiden sowie den im Vorfeld stattfindenden

Kommissionssitzungen, folgt dazu eine kurze theoretische Einführung. Ebenso wird

die bei der Analyse und der Wiedergabe der schriftlichen Protokolle der

Kommissionssitzungen angewandte Vorgehensweise beschrieben.

112

Vgl. Mettler Hanspeter, Im Schweizer Eigeninteresse, in: Neue Zürcher Zeitung, 2. September 2009, 17. 113

Vgl. Schaffner David, Bundesrat trennt Vorlagen, in: Der Bund, 22. Mai 2009,

http://www.derbund.ch/zeitungen/schweiz/Bundesrat-trennt-Vorlagen/story/19625006 (23. März 2012).

54

3.4 Die Behandlung der Atalanta-Vorlage durch die Kommissionen

3.4.1 Grundsätzliches zu den Kommissionen und Vorge hen

Mit den Vorlagen über eine Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta und der

Änderung der Artikel 69 und 70 des Militärgesetzes befassten sich mehrmals die

Sicherheitspolitische (SiK) und die Aussenpolitische Kommission (APK) beider Räte

des Schweizer Parlaments. Mittels eines Gesuches an das Zentrale Sekretariat der

Parlamentsdienste konnte Einsicht in die schriftlichen Kommissionsprotokolle erlangt

werden. Im Sinne eines vertieften Einblicks in den demokratischen Prozess, der sich

im Zuge der oben erwähnten Vorlagen abspielte und der Analyse der Argumente der

Gegnerschaft der Atalanta-Vorlage ist der Inhalt dieser Protokolle von beträchtlicher

Relevanz.

Generell besitzen laut Bundesverfassung sowohl das Parlament wie auch der

Bundesrat aussenpolitische Befugnisse. Die in Art. 152 des Parlamentsgesetzes

verankerten Informations- und Konsultationsrechte in Sachen Aussenpolitik sehen

unter anderem vor, dass der Bundesrat die für die Aussenpolitik zuständigen

Kommissionen zu wesentlichen Vorhaben sowie bei bedeutenden internationalen

Verhandlungen konsultiert, bevor er diese festlegt oder abändert. Die

Aussenpolitischen Kommissionen haben somit die Möglichkeit, in ständigem Dialog

mit dem Bundesrat am aussenpolitischen Prozess teilzunehmen und diesen

mitzubestimmen.114 Das Schweizer Parlament wird in den Politikwissenschaften als

Arbeitsparlament bezeichnet. Dies bedeutet, dass ein grosser Teil der

parlamentarischen Arbeit nicht in den öffentlichen Plenarsitzungen, sondern in den

vertraulichen Kommissionssitzungen geleistet wird. Seit der Reform des

Kommissionssystems im Jahr 1992 setzen beide Räte je zwölf ständige

Kommissionen ein. Bei zehn von diesen handelt es sich um

Fachbereichskommissionen, die je für einen bestimmten Sachbereich der

Bundespolitik zuständig sind. Diese haben die Aufgabe, die ihnen vom Ratsbüro115

zugewiesenen „Geschäfte“ im Vorfeld von Plenarsitzungen (zuhanden der Räte) zu

beraten und Anträge auf Eintreten oder Nichteintreten auf die jeweiligen „Geschäfte“ 114

Vgl. Lüthi, Das Parlament, 139. 115

Das Ratsbüro setzt sich aus dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten der beiden Kammern sowie den acht

Stimmzählern des Nationalrates bzw. den drei Stimmzählern des Ständerates zusammen. Das Ratsbüro setzt

die Traktanden fest, wählt die Kommissionsmitglieder und beaufsichtigt Abstimmungen und Wahlen. Quelle:

http://www.bundeshaus.ch/regierung/content.php?katid=910

55

zu machen. Ferner gehört es zu den Aufgaben der Kommissionsmitglieder, generell

die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in ihrem Sachbereich zu

verfolgen. Die Mitglieder der Kommissionen bestehen aus National- und Ständeräten

und werden von den Ratsbüros gewählt; die Sitzzuteilung erfolgt proportional zur

Stärke der Fraktionen. Die Mitgliederzahl der nationalrätlichen Kommissionen beträgt

normalerweise 25, die der ständerätlichen 13 Mitglieder.116

Zu den Kommissionsprotokollen (welche für diese Arbeit zur Verfügung standen) ist

Folgendes anzumerken: Die Protokolle sind nicht öffentlich, stehen aber nach

Erledigung der „Geschäfte“ für die Zwecke der Wissenschaft und der

Rechtsanwendung zur Verfügung. Die anlässlich der Kommissionssitzungen

abgegeben Voten sind darin nicht wörtlich protokolliert, sondern in Form von

zusammenfassenden Darstellungen der Voten verfasst. Die Parlamentsdienste bitten

zudem darum, gegenüber der Öffentlichkeit auf direkte Zitate sowie die Nennung von

Namen der Sitzungsteilnehmenden wie auch Parteien und Fraktionen zu verzichten.

Aufgrund der genannten Einschränkungen wurden alle Voten in paraphrasierter

Form mit Hinweis auf die politische Ausrichtung des jeweiligen Kommissionsmitglieds

wiedergegeben. Voten französischsprachiger Mitglieder der Kommissionen wurden

sinngemäss ins Deutsche übersetzt. Die nachfolgenden Abhandlungen über die

Kommissionsitzungen, die zu den Themen Operation Atalanta und Revision des

Militärgesetzes gehalten wurden, bieten eine Übersicht über die Empfehlungen, die

von den Kommissionen abgegeben wurden sowie Auszüge der wichtigsten Voten in

Zusammenhang mit dem Forschungsgegenstand dieser Arbeit.

Es wurden deswegen einerseits die Voten von Atalanta-Gegnern berücksichtigt; dies

mit Fokus auf jene Gegenargumente, welche mit der Auslegung der Schweizer

Neutralität und anderen Ansichten und Ideologien, die mit der generellen Gestaltung

der Schweizer Aussenpolitik zusammenhängen, korrespondieren. Auf der anderen

Seite wurden als relevant betrachtete Voten von Befürwortern eines Militäreinsatzes

im Rahmen von NAVFOR Atlanta berücksichtigt, wie auch Aussagen, die in sonstiger

Weise Ansichten über die Ausgestaltung der Schweizer Aussenpolitik beinhalteten.

Bestimmte Personen, wie beispielsweise die ehemalige Aussenministerin, nahmen

an den Sitzungen mehrerer Kommissionen teil. Da sich deren Aussagen in den

116

Vgl. Lüthi, Das Parlament, 130.

56

verschiedenen Kommissionen oftmals überschnitten, wurde diese im

Wiederholungsfall nur noch in zusammengefasster Form wiedergegeben oder

teilwiese nicht mehr berücksichtigt. Die nächsten zwei Unterkapitel beinhalten die

Debatten, die in den Kommissionssitzungen von National- und Ständerat zur

Atalanta-Thematik geführt worden sind und die daraus gefolgten Empfehlungen der

Kommissionen. Die Wiedergabe der Kommissionsdebatten erfolgt nicht

chronologisch, sondern getrennt nach der Ratszugehörigkeit der Kommissionen.

Beginnend mit den Kommissionen des Ständerats, da dieser als Erstrat über die

Vorlagen debattierte.

3.4.2 Die Beratung der Vorlage durch die Kommission en des Ständerats

APK des Ständerates

Als Erste tagte die Aussenpolitische Kommission (APK) des Ständerates am 18. Juni

2009 zu den Themen Assistenzdienst im Rahmen der EU-NAVFOR Atalanta und der

Revision des Militärgesetzes. Die anwesende ehemalige Aussenministerin hielt zu

Beginn der Sitzung eine Präsentation, in welcher sie über die Ausprägung, Sinn und

Zweck einer Schweizer Beteiligung an Operation Atalanta referierte. Da sich der

Grossteil jenes Referats nicht merklich vom Inhalt und der Argumentation der

Botschaft des Bundesrates unterschied, wird dieser nicht näher erläutert. Zu

erwähnen ist jedoch der letzte Teil der Präsentation, in dem die Bundesrätin zum

einen von einem Zeichen der Solidarität gegenüber der internationalen Gemeinschaft

sprach, zum andern auch erwähnte, die Bedeutung der Vorlage hinsichtlich der

Beziehungen zur EU sei klar; eine Schweizer Beteiligung biete sich an, gäbe es doch

zur Zeit einige schwierige Diskussionspunkte bei den Verhandlungen mit der

Union117 (z.b. der Streitpunkt des Bankengeheimnisses, Anm. d. Rede).

In kritischer Weise äusserte sich als erstes ein Mitglied der politischen Rechten zur

Atalanta-Vorlage: Er brachte Bedenken hinsichtlich der Neutralität und der

Rechtsgrundlagen einer Schweizer Beteiligung vor. Wie hätten sich unter dem

Vorzeichen der Neutralität Schweizer Soldaten zu verhalten, wenn beispielsweise ein

Schiff einer anderen Nation angegriffen würde und ein Schiff mit darauf stationierten

Schweizer Soldaten diesem zu Hilfe eilte? Würden die Schweizer Soldaten in einem

117

Vgl. Parlamentsdienste, APK-S, Protokoll der Sitzungen vom 18. Juni 2009 und 19. Juni 2009, 1-4.

57

solchen Fall nicht eingreifen, da sie rechtlich gesehen nur Schweizer Schiffe und

Schiffe des Welternährungsprogramms beschützen dürfen? Er warf zudem die Frage

auf, was mit allenfalls verhafteten Piraten geschehen soll; dafür würden die

Rechtsgrundlagen fehlen. Skeptisch äusserte er sich auch über die geplante Dauer

des Einsatzes: Es handle sich bei Atalanta um eine blosse „Pflästerlipolitik“, die

Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass es früher oder später zu einer gross angelegten

Offensive gegen die Infrastruktur der Piraten zu Land kommen werde. Die Frage

einer etwaigen Beteiligung oder Nichtbeteiligung in einem solchen Fall könnte erneut

dazu führen, dass die Schweiz bei einer Nichtbeteiligung an einer möglichen

Offensive zu Land als unsolidarisch bezeichnet würde.118 Ein weiterer Vertreter der

politischen Rechten befürchtete ebenfalls, der Status Quo von Operation Atalanta im

Jahr 2009 könnte schnell zu einem bewaffneten Einsatz gegen die Strukturen der

Piraten an Land verkommen. Es bestünde die Gefahr, in einen gefährlichen Konflikt

verwickelt zu werden. Würde die Schweiz in einem solchen Fall plötzlich aussteigen,

würde sie sich komplett lächerlich machen.119

Ein Mitglied des pazifistisch gesinnten Flügels der politischen Linken monierte, die

Beteiligung an einem Militäreinsatz zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen

zur EU entspreche nicht der Vorstellung seiner Partei, auf welche Weise diese

Beziehungen verbessert werden sollten. Ferner zweifelte sie an der Wirksamkeit von

Operation Atalanta und warf die Frage auf, ob es sich nicht vielmehr um eine

geostrategische Positionierung der EU in der Region des Golfs von Aden denn um

die blosse Bekämpfung der Piraterie ginge. Sie sei überdies immer sehr skeptisch

gegenüber Einsätzen von Schweizer Soldaten im Ausland gewesen. Die

Aussenpolitische Kommission des Ständerates sprach sich schliesslich mit einem

Verhältnis von 9 zu 4 Stimmen für ein Eintreten auf den Bundesbeschluss zur

Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta aus. Mit 10 zu 1 Stimmen bei zwei

Enthaltungen beantragte die Kommission ausserdem, nicht auf die Änderung des

Militärgesetzes einzutreten.120

118

Vgl. Parlamentsdienste, APK-S, Protokoll der Sitzungen vom 18. Juni 2009 und 19. Juni 2009, 4-5. 119

Vgl. Parlamentsdienste, APK-S, Protokoll der Sitzungen vom 18. Juni 2009 und 19. Juni 2009, 5-6. 120

Vgl. Parlamentsdienste, APK-S, Protokoll der Sitzungen vom 18. Juni 2009 und 19. Juni 2009, 6-11.

58

SiK des Ständerates

Am 25. und am 26. Juni 2009 tagte die Sicherheitspolitische Kommission des

Ständerates zum „Geschäft“ über den Assistenzdienst im Rahmen der EU-NAVFOR

Atalanta und der Revision des Militärgesetzes. Die damalige Aussenministerin hielt

zu Beginn der Sitzung ein Referat, in welchem sie in ähnlicher Weise - wie in der

Botschaft des Bundesrates zu Atalanta festgehalten - Details zur geplanten

Schweizer Beteiligung an Operation Atalanta präsentierte. Ebenfalls anwesend an

der Sitzung war der damalige Verteidigungsminister. Dieser beschränkte sich bei

seinen Voten auf Erläuterungen und Ansichten einsatztechnischer Natur.121

Ein Mitglied der umweltorientierten Linken sah zwar die grundsätzliche Notwendigkeit

von Schiffsschutzprogrammen wie Atalanta als kurzfristiges Mittel gegen Piraterie.

Die Schweiz solle sich jedoch besser an Lösungen zur Bekämpfung der

Grundursachen der Piraterie beteiligen. Das Entsenden von Schweizer Militärs in die

Region schade dem Image der zwar aktiven Neutralität der Schweiz, welche aber auf

den humanitären Bereich fokussiert sei und die Selbstverteidigung nur im Falle eines

Angriffs erlaube. Der geringe militärische Nutzen eines bewaffneten Schweizer

Detachements für Operation Atalanta stehe in keinem Verhältnis zu dem möglichen

Image-Schaden für die Schweiz. Man solle sich aus diesem Grund auf das

Entsenden unbewaffneter Einheiten beschränken. Die Sicherheitspolitische

Kommission des Ständerates sprach sich am Ende mit 10 zu 1 Stimmen (bei einer

Enthaltung) für das Eintreten auf den Bundesbeschluss über die Beteiligung an EU-

NAVFOR Atalanta aus.122

Hinsichtlich der geplanten Revision des Militärgesetzes äusserte ein Mitglied der

politischen Mitte seine Mühe mit gewissen Abläufe im Schweizer Parlament: Überall

wo Entscheide anstünden würden erst die Berichte zum Thema abgewartet. (Im Falle

der Militärgesetzrevision äusserten sich viele Politiker in der Form, man wolle erst

den neuen Sicherheitspolitischen Bericht abwarten, bevor Änderungen an jenem

Gesetz vorgenommen werden sollten Anm. d. Rede.) Der Ständerat führte weiter

aus, man habe in der Sicherheitspolitischen Kommission in diesem Bereich sehr viel

Erfahrung, man diskutiere seit Jahren über Auslandeinsätze. Das Eintreten auf die

121

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-S, Protokoll der Sitzungen vom 25. Juni 2009 und 26. Juni 2009, 1-15. 122

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-S, Protokoll der Sitzungen vom 25. Juni 2009 und 26. Juni 2009, 12-13.

59

Gesetzesänderung wurde laut Protokoll von der SiK des Ständerates mit 6 zu 4

Stimmen abgelehnt (bei 0 Enthaltungen).123

Am 22. September 2009 tagte die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates

ein letztes Mal zur Atalanta-Vorlage. Dies nachdem die Vorlage am 8. September

vom Ständerat angenommen wurde124, vom Nationalrat hingegen am 16. September

abgelehnt wurde. Das „Geschäft“ ging deswegen an den Ständerat zurück, welcher

sich erneut damit beschäftigte125 (siehe zur Verfahrensweise Kapitel 3.5.1). Die

Sicherheitspolitische Kommission traf sich im Vorfeld jener zweiten Abstimmung, um

erneut ihre Empfehlung dazu abzugeben. Dasselbe Mitglied der umweltorientierten

politischen Linken, welches sich bereits anlässlich der ersten SiK-Sitzung gegen ein

Eintreten auf die Vorlage äusserte, führte erneut Gegenargumente ins Feld: Die

Schweiz würde mit einer Beteiligung unnötig das Risiko in Kauf nehmen, dass ihr

Image als neutrales Land und Mediator darunter leiden könnte. Die Erhaltung dieses

Images sei jedoch wichtiger, als darauf zu achten, gewisse (europäische) Partner mit

einer Nicht-Beteiligung zu verärgern.126

Ein Vertreter der politischen Mitte vermutete, das Nicht-Eintreten auf die Revision

des Militärgesetzes habe dazu geführt, dass keine Grundsatzdiskussion über

Auslandeinsätze der Armee stattfinde. Eine Ablehnung des Atalanta-Einsatzes sei

zum jetzigen Zeitpunkt gegenüber dem Ausland ein verheerendes Signal; er fragte

deshalb, ob es rechtlich möglich sei, das „Geschäft“ zu sistieren (und in der

Wintersession 2009 weiter zu beraten). Weitere Vertreter der politischen Mitte

erwähnten anschliessend, man müsse sich der Signalwirkung einer Ablehnung

bewusst sein, die Schweiz müsse ihre Interessen auch im Ausland vertreten können.

Ein Mitglied der wirtschaftlich orientierten politischen Kräfte meinte, wenn die

Schweiz nicht einmal im Rahmen einer durch ein UNO-Mandat abgesegneten,

zeitliche beschränkten Operation (bei der zudem noch Schweizer Interessen

vertreten würden) mitmache, könne sie gleich auf Auslandeinsätze verzichten.127

123

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-S, Protokoll der Sitzungen vom 25. Juni 2009 und 26. Juni 2009, 19-20. 124

Vgl. Nuspliger, Aufwind für den Anti-Piraten-Einsatz, 16. 125

Vgl. Mettler, Beteiligung an Operation „Atalanta“ im Nationalrat deutlich gescheitert, 19. 126

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-S, Protokoll der Sitzung vom 22. September 2009, 1. 127

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-S, Protokoll der Sitzung vom 22. September 2009, 1-2.

60

Ein Vertreter der politischen Rechten äusserte sich in der Weise, dass die Politik auf

gesetzlicher Ebene oder im Rahmen einer Diskussion darüber Klarheit schaffen

solle, für welche Arten von Auslandeinsätzen die Armee eingesetzt werden könne.128

Die ehemalige Aussenministerin machte nochmals darauf aufmerksam, wie wichtig

eine Schweizer Beteiligung für das Image im Ausland sei. Sie sei bereits dabei, mit

den Verantwortlichen bei der EU Abklärungen zu treffen, in welcher Form die

Schweiz bei einer allfälligen Ablehnung einer militärischen Beteiligung anderweitig an

Atalanta partizipieren könnte. Der Antrag auf Sistierung und Vertagung der Vorlage

lehnte die Kommission ab, am Eintreten auf den Bundesbeschluss wurde mit 11 zu 2

Stimmen festgehalten.129

Mit der Vorlage über die Teilnahme an EU-Navfor Atalanta und der Änderung des

Militärgesetzes befassten sich ebenfalls die beiden zuständigen Kommissionen des

Nationalrats.

3.4.3 Die Beratung der Vorlage durch die Kommission en des Nationalrats

APK des Nationalrates

Als erstes befasste sich die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates am 11.

Juni 2009 mit den Vorlagen über die Teilnahme an EU-NAVFOR Atalanta und der

Änderung des Militärgesetzes. Diese Sitzung wurde wie die Sitzungen des

Ständerates mit einer Präsentation durch die ehemalige Aussenministerin eröffnet.

Sie gab darin eine Einführung in die Problematik und wies auf die Bedeutung eines

Schweizer Engagements hin, respektive machte darauf aufmerksam, inwiefern durch

Operation Atalanta Schweizer Interessen (auch bezüglich ihres humanitären

Engagements) vertreten würden.130

Nach einer längeren Diskussion juristischer Natur formulierte ein Vertreter der

umweltorientierten Linken eine erste Kritik am allgemeinen Charakter von Operation

Atalanta. Er vertrat die Meinung, bei Atalanta handle es sich um eine rein militärische

Operation. Wenn von „solidarité avec la communauté internationale“ die Rede sei,

frage er sich, um welche der beiden betroffenen „communautés“ es sich dabei

handle: Die der reichen Länder, welche die Transportwege (am Horn von Afrika) 128

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-S, Protokoll der Sitzung vom 22. September 2009, 1-2. 129

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-S, Protokoll der Sitzung vom 22. September 2009, 2-4. 130

Vgl. Parlamentsdienste, APK-N, Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009, 1-3.

61

nutzten oder diejenige der afrikanischen Länder, in denen die Bevölkerung

verhungere. Er verwies dabei auf die Problematik des Leerfischens der somalischen

Fischbestände durch ausländische, mitunter europäische Trawler.131

Die ehemalige Aussenministerin antwortete darauf mit einem längeren Exkurs, in

welchem u.a. ihre generellen Ansichten über die Ausgestaltung der Schweizer

Aussenpolitik deutlich zur Sprache kamen: Sie führte aus, es handle sich um einen

ganzheitlichen Ansatz, welcher die Schweiz einerseits in Form ihrer Friedenspolitik

und der humanitären Hilfe aber auch in Form des geplanten militärischen

Engagements verfolgen würde. Eine Beteiligung an der EU-Operation Atalanta

bedeute auch eine Öffnung sowie ein Akt der Solidarität mit den an Atalanta

beteiligten Staaten. Man könne nicht immer annehmen, die anderen Staaten würden

die Interessen der Schweiz vertreten. Es gäbe verschiedene Abkommen zwischen

der Schweiz und anderen europäischen Ländern, welche beispielsweise die

Heimführung von Schweizer Bürgern im Ausland im Fall von Krisen oder Kriegen

durch ebendiese Staaten ermögliche. Jedoch könne man sich nicht in jedem Fall

darauf verlassen und es sei zudem unangebracht, sich nur im Krisenfall auf die Hilfe

anderer Staaten zu verlassen, sich gleichzeitig aber nicht an einer Operation der

internationalen Gemeinschaft zu beteiligen. Es sei deshalb nötig, dass die Schweiz

über Armeekontingente verfüge, die im Sinne des Wohlergehens der Schweiz und

der Verfolgung externer sicherheitspolitischer Bedürfnisse bei Bedarf eingesetzt

werden könnten.132

Ein Mitglied der umweltorientierten Linken äusserte sich in der Form, dass die

rechtlichen Gegebenheiten basierend auf dem heutigen Militärgesetz für eine

Beteiligung nicht gegeben seien. Die geplante Änderung des Militärgesetzes lehnte

er rundum ab. Er kritisierte dabei vor allem folgende Passage der vom Bundesrat

vorgeschlagenen Gesetzesänderung: „Denkbar sind zum Beispiel internationale

Polizeiaktionen zum Schutz von international bedeutsamen Infrastrukturanlagen,

Transportrouten oder Energiewegen wie Öl- und Erdgaspipelines, welche die

internationale Energieversorgung sicherstellen“133. Im 19. Jahrhundert seien mit den

fast gleichen Worten koloniale Operationen legitimiert worden. Die Schweiz habe

131

Vgl. Parlamentsdienste, APK-N, Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009, 6. 132

Vgl. Parlamentsdienste, APK-N, Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009, 8-9. 133

Vgl. Botschaft des Bundesrates, zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee, 4550.

62

andere Qualitäten als kriegerische und militärische. Ihre Qualitäten lägen im zivilen

Bereich.134

Ein Vertreter der wirtschaftlich orientierten politischen Kräfte entgegnete dem, er

sehe die gesetzliche Grundlage für einen Einsatz der Schweizer Armee im Rahmen

von Atalanta als gegeben. Wenn die Schweiz ihre eigenen Schiffe verteidige,

entspreche dies ausserdem dem ursprünglichen Neutralitätsgedanken: Einer

Verteidigung ihres Territoriums, ihrer Werte und ihres Volkes. Wer die Schweiz

angreife, habe mit Gegenwehr zu rechnen.135 Ein Mitglied der politischen Rechten

warnte vor den möglichen Folgen, sich auf kriegerische Handlungen einzulassen;

dies umso mehr dann, wenn die rechtlichen Bedingungen dafür nicht klar seien. Er

wies auf Spannungen und die geopolitische Bedeutung der Region hin, in welcher

Operation Atalanta stattfindet. Unter anderem würden sich dort Chinesische und

Amerikanische Interessen gegenüberstehen. Mit einer Beteiligung würde sich die

Schweiz in ein gefährliches Umfeld begeben, in der ihre geringen militärischen Kräfte

erst noch fremdem Kommando unterstellt wären.136

Die Aussenpolitische Kommission lehnte sowohl die Revision des Militärgesetzes (20

zu 5 Stimmen) wie auch das Eintreten auf die Atalanta-Vorlage mit 13 zu 11 Stimmen

bei einer Enthaltung ab. Es wurde beschlossen, dass ein Mitglied der APK der

Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats in mündlicher Form über die

Ergebnisse der APK-Sitzung unterrichten solle.137 Es ist noch anzumerken, dass in

vielen Fällen die Mitglieder der APK auch in der SiK vertreten sind. In einer

Medienmitteilung liess die APK nach ihrer Sitzung verlauten, sie sei aus folgenden

Gründen gegen einen Militäreinsatz im Golf von Aden: Laut der

Kommissionsmehrheit stelle eine Teilnahme an EU-NAVFOR Atalanta einen

Präzedenzfall für weitere „neutralitätsproblematische“ Auslandeinsätze dar. Die

Mehrheit sei der Meinung, die Probleme rund um die Piraterie müssten auf

134

Vgl. Parlamentsdienste, APK-N, Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009, 11-12. 135

Vgl. Parlamentsdienste, APK-N, Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009, 13. 136

Vgl. Parlamentsdienste, APK-N, Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009, 13-14. 137

Vgl. Parlamentsdienste, APK-N, Protokoll der Sitzung vom 11. Juni 2009, 15-16.

63

diplomatischer Ebene und mit entwicklungspolitischen Instrumenten angegangen

werden.138

SiK des Nationalrates

Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats tagte erstmals am 15. und am

16. Juni 2009. Die Besprechung der SiK des Nationalrats war die längste aller

Kommissionsitzungen zur Thematik Atalanta sowie Änderung des Militärgesetzes. An

ihr nahmen im Vergleich zu den anderen Sitzungen am meisten interne wie externe

Experten und Departements-Verantwortliche teil. Die Sitzung eröffnete ein Schweizer

Professor für Recht mit einer Stellungnahme zu den Vorlagen. Sein Referat ging auf

verschiedene rechtliche Belange einer Atalanta-Beteiligung der Schweiz ein und

beleuchtete dies aus der Perspektive des Schweizer Militärgesetzes, des

Völkerrechts, des Seerechtsübereinkommens und weiterer internationaler Verträge:

Dem Vorhaben des Bundesrates wurde grundsätzlich ausreichende rechtliche

Voraussetzungen beschieden. Voraussetzung sei aber, dass Art. 69 Absatz 2 des

Militärgesetzes auf Basis eines Konsenses in den Räten weiter gefasst interpretiert

würde (d.h. Schiffe unter Schweizer Flagge fallen unter den „Schutz besonders

schutzwürdiger Sachen im Ausland“). Falls trotzdem Bedenken hinsichtlich der

Gesetzesgrundlage bestehen würden, könnten solche auch in Form eines einfachen

dringlichen Bundesbeschlusses beigelegt werden; konkret hiesse das Art. 69 MG zu

erweitern. Ein Engagement in Zusammenhang mit EU-NAVFOR Atalanta sei

ebenfalls mit den verfassungsrechtlichen Zielen der Aussenpolitik der Schweiz

vereinbar.139

Die Bekämpfung der Piraterie und dementsprechend Operation-Atalanta sei klar eine

seerechtspolizeiliche Aufgabe auch wenn dafür militärische Kräfte eingesetzt würden.

Wenn sich die Schweiz nicht an Atalanta beteilige, müssten Schiffe anderer Nationen

aufgrund des internationalen Seerechtsübereinkommens Schweizer Schiffen in

jedem Fall Hilfe leisten. Es handle sich bei der Frage einer Beteiligung an Atalanta

138

Vgl. Sekretariat der Aussenpolitischen Kommissionen, Medienmitteilung APK-N. Aussenpolitische

Kommission des Nationalrates: Ablehnung des Pirateneinsatzes und der Militärgesetz-Revision,

http://www.parlament.ch/d/mm/2009/Seiten/mm-apk-n-2009-06-11.aspx (30. März 2012). 139

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 1-3.

64

vor allem um eine politisch-moralische Frage, bei der es darum gehe nicht einfach

Trittbrettfahrer jener Sicherheitsleistung zu sein.140

Ein Mitglied des Bundesamtes für Justiz betrachtete in der Anfangsphase der Sitzung

einen Schweizer Armeeeinsatz am Horn von Afrika ebenfalls aus juristischer

Perspektive: Die rechtlichen Grundlagen in Bezug auf das Militärgesetz und die

Schweizer Verfassung sah er als gegeben an. Aufgrund der verschiedenen UNO-

Resolutionen besitze die Militäroperation zudem internationale Legitimität. Relevant

im Zusammenhang mit dem Forschungsgegenstand dieser Arbeit ist seine Aussage,

die Frage der Neutralität stelle sich in jenem Fall nicht, da es sich nicht um einen

bewaffneten Konflikt zwischen Staaten handle.141

Ein Exponent der politischen Rechte bemängelte in juristischer Hinsicht die

Unklarheit in den Fragen betreffend der Möglichkeiten, Verhaftungen durchzuführen

sowie von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Da dies für die Schweizer

Soldaten nur in begrenztem Umfang möglich wäre, betonte der Exponent der

politischen Rechten die daraus folgende Einbindung und Unterstellung der

Schweizer Soldaten unter das Kommando von Atalanta-Partnernationen.142 Das

Kommissionsmitglied spielte damit wohl auf einen eigentlichen Souveränitätsverlust

der schweizerischen Armeekräfte an. Von linker wie von rechter Seite wurde in der

Debatte der SiK des Nationalrats verschiedentlich die gesetzliche Grundlage für

einen Einsatz wie auch die einsatztechnische Praktikabilität unter den gegebenen

juristischen Voraussetzungen in Frage gestellt.143 Die Vermutung, dass hinter jenen

juristischen Einwänden primär ideologischen Überzeugungen stehen, liegt nahe. Ein

Vertreter der pazifistischen linken Kräfte warf zusätzlich die Frage auf, wo der Protest

der Schweiz gegen den völkerrechtswidrigen Einmarsch des äthiopischen Militärs in

Somalia im Jahr 2006 oder gegen die Lehrfischung der somalischen Fischbestände

gewesen sei.144

Zu erwähnen ist, dass der damalige Verteidigungsminister wie auch die damalige

Aussenministerin an der SiK-Sitzung anwesend waren. Da sich deren Ausführungen

140

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 5. 141

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 6-9. 142

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 9. 143

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 9-12. 144

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 14.

65

zu Beginn der Beratung nicht wesentlich von der bereits erläuterten Position des

Gesamtbundesrates und der ehemaligen Aussenministerin im Speziellen

unterschieden, wird darauf nicht näher eingegangen.

Der ehemalige Verteidigungsminister erklärte zu einem späteren Zeitpunkt der

Sitzung, er halte es für unwahrscheinlich, dass es eine direkte Auswirkung auf die

bilateralen Beziehungen geben könnte, wenn sich die Schweiz nicht an Atalanta

beteilige. Es sei aber klar, dass von der Schweiz im internationalen Kontext eine

gewisse Solidarität erwartet würde. Man brauche grundsätzlich eine etwas

längerfristige Perspektive davon, wo und in welcher Form man sich künftig

engagieren wolle; sei dies wie bisher im humanitären oder aber vermehrt auch im

sicherheitstechnischen Bereich. Eine Grundsatzdiskussion sei in diesem Bereich

nötig und angebracht, damit man sich längerfristig im Kontext des internationalen

Engagements einordnen könne. Der Bundesrat habe deswegen nicht von sich selbst

eine Beteiligung beschlossen (wie dies rein juristisch möglich gewesen wäre), da es

sich um eine politisch sensible Frage handle. Die öffentliche Meinung zu einem

Einsatz sei im Verhältnis von 51 zu 49 Prozent geteilt. Das Parlament hätte zuvor

selbst Wiederholungskurse für Armeeangehörige im Ausland nicht bewilligt.

Angesichts der Sensibilität und der geplanten Dauer der Beteiligung an Operation

Atalanta (1 Jahr Anm. d. Rede), sei es richtig, wenn hier das Parlament eine

Entscheidung treffe. Die Gefahren einsatztechnischer Natur sah der ehemalige

Verteidigungsminister als gering an. In den meisten Fällen hätten Piraten in dem

Moment von einem Angriff auf ein Schiff abgesehen, wenn sie gemerkt hatten, dass

dieses bewacht ist. Hinsichtlich der geplanten Revision des Militärgesetzes machte

der Verteidigungsminister die Aussage, diese biete die Voraussetzung dafür, dass

die Schweiz künftig bei fast allen UNO-Aufrufen in dem Umfang mittun könnte wie

dies andere Staaten auch könnten.

Der damals dem VBS vorstehende Bundesrat sprach während der SiK-Sitzung

grossmehrheitlich als Bundesratsmitglied, welches dessen kollektiv getroffene

Meinung vertrat. Eine Aussage zu der geopolitischen Bedeutung der Region um das

Horn von Afrika und der damit verbundenen Schifffahrtsroute durch den Suezkanal

liess jedoch die persönlich kritische Haltung des ehemaligen Verteidigungsminister

gegenüber einer Schweizer Beteiligung an Atalanta recht klar durchschimmern: Die

66

geopolitische Bedeutung der Region zeige sich wenn man die Staaten, welche dort

mit Kriegsschiffen vertreten seien, betrachte. Es hätte seit dem 2. Weltkrieg zwei

Situationen gegeben, welche zum Ausbruch eines 3. Weltkriegs hätten führen

können: Die Kuba- sowie die Suezkrise. Das Engagement aller „grossen Staaten“

und der UNO deuteten darauf hin, dass es sich um ein geostrategisch wichtiges

Gebiet handle. Damit stelle sich die Frage, ob die Schweiz hier mittun wolle.145

Man könnte diese Aussage in der Weise interpretieren, dass eine militärische

Beteiligung an Operation Atalanta die Schweiz in eine gefährliche Situation bringen

könnte und sich die Schweiz (beruhend auf dem „traditionell-konservativen

Neutralitätsgedanken“ und ihrer „angestammten Rolle“ auf der Weltbühne) aus den

„Händeln“ der Grossmächte heraushalten sollte. (Eine vertiefte Abhandlung zum

Konzept und der Interpretation von Neutralität findet sich in Kapitel 4).

Die ehemalige Aussenministerin machte demgegenüber in ihrem Votum, welches

direkt auf dasjenige des ehemaligen Aussenministers folgte, ihre Haltung nochmals

klar: Es sei wichtig, dass in der gegenwärtigen Krisensituation in Somalia auf alle

verfügbaren Mittel der Aussenpolitik wie auch auf gewisse Mittel

sicherheitstechnischer Natur zurückgegriffen werde. Ohne Entwicklungshilfe,

humanitäre Hilfe und Bemühungen auf diplomatischer Ebene gäbe es keine

Sicherheit. Die Schweiz unterhalte Entwicklungsprojekte in Somalia, die sich

insbesondere auch im Kampf gegen die illegale Fischerei vor Somalias Küsten

engagieren würden. Diese Hilfestellung könne jedoch nur durchgeführt werden, wenn

in der Region ein Minimum an Stabilität und Sicherheit bestehe. Das militärische

Engagement in der Form von Operation Atalanta sei deshalb als Ergänzung der

zivilen Bemühungen zu betrachten. Falls die Schweiz nicht an Atalanta teilnehme,

zeige man sich von einer egoistischen Seite und müsse das Wohlwollen anderer

Staaten, namentlich der Europäischen Union, bei der Verteidigung der eigenen

Interessen in Anspruch nehmen. Der Fakt, dass sich die Schweiz auf die

Bemühungen anderer Staaten bei der Durchsetzung ihrer Interessen verlasse,

empfinde sie manchmal als beschämend. Es sei möglich, dass jene Länder

145

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 29-30.

67

irgendwann genug davon hätten und die Schweiz dann selbst für sich schauen

müsste.146

Die nachfolgende Diskussion drehte sich fast ausschliesslich um rechtliche Belange

betreffend einer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta, wobei linke und rechte Kräfte

die Rechtmässigkeit eines Schweizer Militäreinsatzes anzweifelten. Ein Exponent der

politischen Rechte interpretierte an späterer Stelle die Schweizer Neutralität in der

Form, dass auch eine Intervention gegen einen Staat mit nicht vorhandenen

Strukturen (wie Somalia) eine Verletzung ebendieser Neutralität darstelle. In einigen

Weltregionen könnten die Rebellen von heute schnell zur Regierung von morgen

werden. Ein Einsatz könnte eine Gefahr für die Schweizer Soldaten bedeuten; auch

eine Eskalierung des Konflikts sei nicht auszuschliessen. Bei einem militärischen

Engagement in der Region sei es zudem schwierig, parallel dazu dort seine „Guten

Dienste“ anbieten zu können. Jene „Guten Dienste“ wären ein wichtiger Bestandteil

des (positiven) Images der Schweiz. Seine Partei lehne die Atalanta-Vorlage

insgesamt ab, da es bei diesem Einsatz zu viele unbekannte Faktoren gäbe.147

Ein Mitglied der politischen Mitte fand demgegenüber unterstützende Worte für die

Atalanta-Vorlage: Ohne Sicherheit gäbe es keine humanitäre Hilfe. Die Schweiz

besässe eigene Schiffe und lasse es nicht zu, dass diese gekapert würden. Die

Schweiz sei eine Handelsnation und ein Exportland, welches sichere Seewege

benötige. Seine Partei sei deshalb für ein Eintreten auf die Vorlage. Auch die

wirtschaftlich orientierten politischen Kräfte bekannten sich nochmals klar für die

Annahme des Bundesbeschlusses über eine Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta.

Ein Vertreter der politischen Linken votierte ebenfalls für ein Eintreten auf die

Vorlage: Die Rolle der Schweiz verändern, die Aussenpolitik müsse sich daran

anpassen. Anzeichen für jene Veränderung machte er im Volksentscheid über den

Beitritt der Schweiz zur UNO wie auch in der Teilnahme am Schengener Abkommen

aus. Da die Schweiz auch in der Problematik/Prävention von Migrationsströmen aktiv

146

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 31-32. 147

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 36.

68

sei und das Horn von Afrika zu den Gebieten mit hoher Priorität in dieser Frage

zähle, solle man sich an Operation Atalanta beteiligen.148

In der Schlussabstimmung sprach sich die Sicherheitspolitische Kommission des

Nationalrates im Gegensatz zur Aussenpolitischen Kommission mit 15 zu 11

Stimmen für ein Eintreten auf die Atalanta-Vorlage des Bundesrates aus.149 Auf die

Militärgesetzrevision wollte die SiK nicht eintreten. Als Argumente gegen ein

Eintreten auf die Gesetzrevision führte ein Vertreter der

pazifistischen/umweltorientierten Linken aus, eine solche Revision ermögliche die

Beteiligung an Kampfhandlungen und verschiebe darüber hinaus Kompetenzen vom

Parlament zur Exekutive. Ein Mitglied der politischen Linken meinte dazu, das

geltende Gesetz beinhalte bereits genügend Möglichkeiten für Auslandeinsätze. Man

solle zuerst Erfahrungen mit Einsätzen sammeln, die sich auf das geltende Recht

stützen. Eine zu grosse gesetzliche Dynamik solle nicht entfacht werden; das in der

Revision nicht enthaltene Verbot der Teilnahme an Kampfhandlungen sei nicht

akzeptabel. Vertreter der wirtschaftlich orientierten politischen Kräfte, verwiesen

darauf, man wolle vor einer allfälligen Gesetzesänderung den für Ende 2009

erwarteten Sicherheitspolitischen Bericht abwarten.

Die politische Rechte versuchte sich schliesslich in einem politischen Manöver und

stimmte für Eintreten auf die Gesetzesrevision. Dies jedoch nur aus dem Grund – wie

eines ihrer Mitglieder verlautete - damit ein Gesetz entstehe, gegen welches das

Referendum ergriffen werden könne. Das Eintreten auf den Bundesbeschluss über

die Änderung des Militärgesetzes wurde am Ende der Kommissionssitzung mit 16 zu

7 Stimmen bei 2 Enthaltungen abgelehnt.150

Auf die Sitzung der SiK des Nationalrats welche am 24. September 2009 stattfand

(nach der ersten Plenardebatte im NR), wird an dieser Stelle nicht eingegangen.

Jene Sitzung beinhaltete keine relevanten Argumente von Atalanta-Gegnern und –

Befürwortern, sondern Anträge verfahrenstechnischer Natur. Da jedoch ein Einfluss

jener Anträge auf das politische Verfahren möglich gewesen wäre, beinhaltet Kapitel

3.5.4 Auszüge aus jener Sitzung.

148

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 38. 149

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 43. 150

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzungen vom 15. Juni 2009 und 16. Juni 2009, 43-45.

69

Das nachfolgende Kapitel behandelt die öffentlichen Plenardebatten, die in National-

und Ständerat zur Atalanta-Thematik geführt worden sind. Für ein besseres

Verständnis des parlamentarischen Entscheidungsfindungs-Prozesses folgt dazu

zuerst kurze theoretische Abhandlung. Ebenfalls erläutert wird die Vorgehensweise

bei der Analyse und der Wiedergabe von Auszügen aus den Debatten der beiden

Kammern.

70

3.5 Die Ablehnung der Beteiligung an EU-NAVFOR Atal anta – Übersicht und Auszüge aus den Parlamentsdebatten

3.5.1 Grundsätzliches zum parlamentarischen Prozess und Vorgehen

Die öffentlich zugänglichen Protokolle der Plenardebatten in National- und Ständerat

ermöglichen einen vertieften Einblick in die Argumentationen von Befürwortern und

Gegnern der Atalanta-Vorlage. Bevor näher auf deren Inhalt eingegangen wird,

sollen die generellen Abläufe des politischen Systems der Schweiz bei der

Bewilligung eines Bundesbeschlusses durch National- und Ständerat erläutert

werden.

Vorlagen des Bundesrates werden, nachdem sie in den zuständigen Kommissionen

besprochen und je nach dem umgestaltet worden sind, den beiden Kammern des

Schweizer Parlaments zur Absegnung vorgelegt. Die Kommissionen stellen ihren

Räten Anträge über Eintreten oder Nicht-Eintreten auf eine Vorlage. Die Räte folgen

in der Regel (in Rund 95 % der Fälle) den Anträgen ihrer Kommissionen.151 National-

und Ständerat sind generell gleichgestellt, verfahrenstechnisch wird die Gleichheit

streng beachtet. Aufgrund seiner höheren Mitgliederzahl und der sich daraus

ergebenen umfassenderen Repräsentativität, kommt dem Nationalrat jedoch faktisch

das grössere politische Gewicht zu. Bei den Entscheiden über Bundesratsvoralgen

wird abwechselnd ein Erstrat bestimmt, d.h. ein Rat der die Vorlage zuerst und ggf.

auch intensiver bearbeitet.152 In den Plenumsversammlungen der Räte können von

allen Parlamentsmitgliedern Abänderungsanträge zu den Vorlagen zur Diskussion

gestellt werden. Nach abgeschlossener Beratung im Erstrat geht das „Geschäft“ an

den Zweitrat über. Falls die Beschlüsse von National- und Ständerat voneinander

abweichen, kommt es zum sogenannten Differenzbereinigungsverfahren; das

„Geschäft“ geht zurück an den Erstrat. Besteht nach je drei Beratungen in jedem Rat

keine Einigung, so wird eine Einigungskonferenz bestehend aus je 13

Ratsmitgliedern eingesetzt, welche eine Lösung zu finden hat.153 Bei Vorlagen, zu

welchen die Räte nur ja oder nein sagen können kommt hingegen ein verkürztes

Verfahren zum Zug: Falls derjenige Rat, der eine Vorlage ablehnt, bei seiner zweiten

Beratung auf diesem Beschluss beharrt, ist eine Vorlage nicht zustande gekommen

151

Vgl. Lüthi, Das Parlament, 133. 152

Vgl. Neidhart, Die politische Schweiz, 324. 153

Vgl. Lüthi, Das Parlament, 133.

71

und ist von der „Geschäftsliste“ zu streichen.154 Dieses Verfahren wurde beim

„Geschäft“ über die Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta angewandt.

Für die nachfolgenden Resumés relevanter Voten in National- und Ständerat wurden

dieselben Auswahlkriterien wie bei den Kommissionssitzungsprotokollen angewandt:

Im Hinblick auf die Forschungsfrage wurden in erster Linie die Voten und

Argumentationen von Atalanta-Gegnern berücksichtigt; dies mit Fokus auf jene

Gegenargumente, welche mit der Auslegung der Schweizer Neutralität und anderen

Ansichten und Ideologien, die mit der generellen Gestaltung der Schweizer

Aussenpolitik zusammenhängen, korrespondieren. Auf der anderen Seite wurden als

relevant betrachtete Voten von Befürwortern eines Militäreinsatzes im Rahmen von

NAVFOR Atlanta berücksichtigt, wie auch Aussagen, die in sonstiger Weise

Ansichten über die Ausgestaltung der Schweizer Aussenpolitik beinhalteten. Anders

als die Sitzungsprotokolle der Kommissionen sind die Wortprotokolle der

eidgenössischen Räte öffentlich zugänglich; die Namen und Parteizugehörigkeiten

von Ratsmitgliedern werden deshalb hier genannt.

Im Rahmen der Thematik „Operation Navfor Atalanta. Assistenzdienst im Ausland

sowie Änderung des Militärgesetzes“ wurde der Ständerat als Erstrat festgelegt.

Seine erste Plenarsitzung fand im Rahmen der Herbstsession am 8. September 2009

statt.

3.5.2 Die Ständeratsdebatte vom 8. September 2009

Eröffnet wurde die Sitzung vom Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission des

Ständerats, Hans Altherr. Der freisinnige Politiker gab in seiner Rede eine Übersicht

über das Vorhaben des Bundesrates und die in den zuständigen Kommissionen

geäusserten Meinungen und Empfehlungen. Die Debatte drehte sich in erster Linie

um den von der Sicherheitspolitischen Kommission vorgebrachten Ordnungsantrag,

der vorsah, die Vorlage zum Einsatz der Armee im Rahmen der Operation Atalanta

vor der Revision des Militärgesetzes zu behandeln. Maximilian Reimann von der

rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) bemängelte, dass die

rechtliche Grundlage für einen Einsatz der Schweizer Armee im Rahmen von EU-

154

Vgl. Parlamentswörterbuch der Bundesversammlung, Differenzbereinigung, in: http://www.parlament.ch

/d/wissen/parlamentswoerterbuch/seiten/differenzbereinigung.aspx (19. April 2012).

72

NAVFOR Atalanta nicht klar gegeben sei; man müsse deshalb erst über eine

Anpassung des Militärgesetzes entscheiden.155

Theo Maissen von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) trat ebenso dafür

ein, dass zuerst eine klare Rechtsgrundlage für den Einsatz geschaffen wird. Er ging

dabei von der Perspektive aus, dass die Schweiz aufgrund neuer Gefährdungen

ausserhalb des traditionellen militärischen Bereiches auch in Zukunft für

Polizeiaktionen gebraucht werde. Wenn man bereits heute wisse oder annehmen

könne, dass solche Fälle eintreten würden, sehe er nicht ein, wieso man nicht auch

jetzt die Rechtsgrundlagen anpassen und entsprechend den künftigen Bedürfnissen

ändern solle. Maissen bekundete ausserdem seine Mühe damit, dass Schweizer

Politiker bei Entscheidungen im sicherheitspolitischen Bereich immer erst den

künftigen Sicherheitspolitischen Bericht abwarten wollen oder auf diesen verweisen.

Der für Ende 2009 erwartete Sicherheitspolitische Bericht (SIPOL B) werde in der

Thematik der Auslandeinsätze der Armee keine grossen neuen Erkenntnisse

bringen, sondern eine Fortschreibung dessen sein, was man bereits heute wisse.156

Claude Hêche, ein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP), teilte

die Auffassung, das beabsichtigte Engagement im Rahmen von Atalanta entspreche

den Interessen der Schweiz und sei sowohl mit ihrem Recht wie auch mit ihrer

Neutralität zu vereinen. Die ökonomischen Interessen der Schweiz seien durch die

Gefährdung der internationalen Seehandelswege im Zuge der Piraterie und der

Gefährdung der eigenen Hochseeflotte betroffen. Zusätzlich unterstütze die

Operation indirekt die humanitären Bemühungen der Schweiz in Somalia und

schütze direkt die Lieferungen des Welternährungsprogramms. Laut Hêche stellt eine

Beteiligung an Operation Atalanta aus den folgenden Gründen keine Infragestellung

der Schweizer Neutralität dar: Die Operation stehe einerseits nicht unter dem

Kommando der NATO. Andererseits sei die Ausweitung des Assistenzdienstes auf

internationale Polizeiaktionen neutralitätskompatibel, da derlei Aktionen keine

Kriegsakte darstellten, weil sie sich nicht gegen einen Staat, sondern gegen Piraten

richteten. Das Ansehen der Schweiz als neutraler Staat würde laut Hêche im Falle

155

Vgl. Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat. Herbstsession 2009,

Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 805-816, in: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/s/4811

/306539/d_s_4811_306539 _306556.htm (19. April 2012), 805-806. 156

Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 807.

73

einer Beteiligung keinen Schaden nehmen; vielmehr könne ein Engagement zu einer

Verbesserung des Images beitragen. Es sein nun trotz der Risiken an der Zeit, Mut

zu zeigen und deshalb Mittel und qualifiziertes Personal für eine koordinierte Aktion

zur Verfügung zu stellen. Um zu einer nachhaltigen Verbesserung der Verhältnisse in

der Region beizutragen, müsse dem Engagement im militärischen/sicherheits-

technischen Bereich ein Engagement im zivilen Bereich folgen.157

Luc Recordon von der Grünen Partei der Schweiz (GPS) hegte mehrere Bedenken

gegen einen Militäreinsatz im Rahmen von Operation Atalanta: Er argumentierte, die

Schweiz verfüge über keine angemessen ausgebildeten und ausgerüsteten Truppen

für einen solche Einsatz. Den möglichen Nutzen in Form verbesserter Beziehungen

zur Europäischen Union stufte er als gering ein. Die Gefahr, dass das Image der

Schweiz (insbesondere in der dritten Welt) durch eine Beteiligung Schaden erleiden

könnte, erachtete er hingegen als durchaus möglich. Die Schweiz solle sich lieber im

Rahmen ihrer bewährten Hilfeleistungen im internationalen Rahmen engagieren,

namentlich in den Bereichen der Mediation, der Friedensbemühungen und sonstigen

Hilfestellungen verschiedener Art.158

Bruno Frick von der CVP befürwortete die Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR

Atalanta: Die Interessen der Schweiz würden diesen verlangen, die rechtlichen

Grundlagen seien vorhanden, die Strukturen und Mittel des Einsatzes seien richtig

gewählt. In der Streitfrage der Vereinbarkeit eines Einsatzes mit dem Schweizer

Recht sagte Frick, es treffe zu, dass bei der Beratung über die Bestimmung des

Militärgesetzes in Sachen Auslandeinsätze der Armee (Art. 69 Abs. 2 Anm. d. Rede)

nicht an Piratenakte gedacht worden sei. Jedoch habe man bei der Schaffung der

kantonalen Polizeigesetze vor dreissig Jahren auch nicht an Kreditkartenbetrüger

gedacht. Er glaube deshalb, wenn die Klausel den Einsatz allgemein abdecke, dass

diese auch für neue Delikte genügen müsse. Die Piraterie sei gegenwärtig ein Delikt,

welches sich weltweit breitgemacht habe. Ein möglicher Einsatz hätte zudem die

Dauer eines Jahres. In dieser Zeit könne man Erfahrungen sammeln und schliesslich

Bilanz über dessen Wirksamkeit ziehen. Sei diese nicht gegeben, so könnten andere

157

Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 807-808. 158

Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 809.

74

Massnahmen für den Schutz der Schweizer Flotte angestrebt werden wie

beispielsweise das Verkehren auf anderen Routen.159

Anita Fetz von der Sozialdemokratischen Partei befürwortete eine Schweizer

Beteiligung an Operation Atalanta unter anderem aus folgenden Gründen: Das

Hauptziel der Mission sei der Schutz der Schiffe des UNO-

Welternährungsprogramms, dessen Lieferungen täglich ca. 3 Millionen Menschen

vor dem Hungertod retteten. Jene humanitäre Hilfe und andere Hilfsprojekte seien

von grosser Wichtigkeit. Engagements im Sinne der Entwicklungszusammenarbeit

seien in der heutigen Zeit jedoch oft auch mit einem Engagement zur

Aufrechterhaltung der Sicherheit verbunden. Ferner müsse die Schweiz ihre eigenen

Interessen schützen. Als Handelsnation profitiere die Schweiz in hohem von der

Sicherheit, die andere Nationen bereitstellen würden. Es sei angebracht, sich im

Rahmen der Völkergemeinschaft – mit aller Vorsicht – für die Wahrung der

kollektiven Sicherheit zu engagieren. Zudem bestünde ein grosses Interesse daran,

die Armutsmigration vor Ort zu bekämpfen; sonst müsse man sich nicht wundern,

wenn immer mehr Leute in die reiche Schweiz kämen.160

Liliane Maury Pasquier, ebenfalls Sozialdemokratin, vertrat eine gegenüber ihrer

Parteikollegin abweichende Meinung, welche die interne Gespaltenheit der SP in der

Atalanta-Frage erneut aufzeigte. In ähnlicher Weise wie die Grünen und die GSOA

bemängelte Pasquier unter anderem, dass es sich bei Atalanta bloss um Symptom-

und nicht um Ursachenbekämpfung handle. Sie sprach ausserdem die Militarisierung

und das geopolitische Wettringen in der betroffenen Region an; die EU-Operation

Atalanta sei Teil von dieser Entwicklung. Ebenfalls erwähnte Pasquier die nicht

erfolgten Interventionen der internationalen Gemeinschaft bei Problemen wie der

Überfischung der somalischen Gewässer sowie der illegalen Entsorgung von Giftmüll

an den dortigen Küsten. Sie plädierte für ein ziviles Engagement der Schweiz auf

internationaler Ebene und sprach auch vom Missverhältnis der Kosten für eine

militärische Beteiligung an Atalanta gegenüber den bisher ausgegeben Beträgen für

zivile Engagements in der Region am Horn von Afrika.161

159

Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 810. 160

Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 810-811. 161

Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 811-812.

75

Die bei der Debatte des Ständerats ebenfalls anwesende ehemalige

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hielt gegen Ende der Debatte ein längeres

Plädoyer. Sie nahm dabei Bezug auf eine Reihe von Kritikpunkten, die von Gegnern

der Atalanta-Vorlage anlässlich der öffentlichen Debatte sowie der

Kommissionssitzungen geäussert wurden. In Bezug auf die vornehmlich von Seite

der Schweizerischen Volkspartei geäusserten neutralitätspolitischen Bedenken

betonte sie nochmals, dass EU-NAVFOR Atalanta im Rahmen einer Reihe von UNO-

Resolutionen durchgeführt werde. Es handle sich um eine internationale

Polizeiaktion, welche in keiner Weise der NATO untergeordnet sei. Der vor allem von

linker Seite geäusserten Kritik, ein militärisches Engagement zur Bekämpfung der

Piraterie sei blosse Symptombekämpfung, entgegnete Calmy-Rey wie bereits bei

anderer Gelegenheit, ohne Sicherheit gäbe es keine Entwicklung, ohne Entwicklung

wiederum keine Sicherheit. Sie hob dabei die zahlreichen Bemühungen der Schweiz

in Form ziviler Projekte in Somalia hervor. Ohne ein Minimum an gewährleisteter

Sicherheit könnten die verantwortlichen Teams dort nicht operieren. Operation

Atalanta verstärke zudem die lokale Zusammenarbeit; die Bekämpfung krimineller

Banden (Piraten) und deren Einkommensquellen begünstige die Rückkehr von Recht

und Ordnung in der Region. Ferner erläuterte die ehemalige Bundesrätin Calmy-Rey

die Gesamtproblematik der von Instabilität, Konflikten und humanitären Katastrophen

geprägten Region am Horn von Afrika und deren weitreichende Folgen. Auf diese

Ausführungen soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, da ähnliche

Exkurse Calmy-Reys bereits in der Besprechung der Kommissionsitzungen

wiedergegeben wurden.162

Verteidigungsminister Ueli Maurer referierte abschliessend über die vom Bundesrat

vorgeschlagene Militärgesetzrevision. Darunter fanden sich interessante Aussagen

betreffend der Verknüpfung und der allgemeinen Natur der beiden Vorlagen. Der

Grund dafür, dass jene Vorlage zusammen mit dem Atalanta-Beschluss den Räten

vorgelegt wurde, läge wohl in der politischen Sensibilität einer Beteiligung der

Schweiz an einer solchen internationalen Polizeiaktion. Atalanta stelle für die

Schweiz eine neue Richtung von Armeeisätzen dar. Angesichts dieser Sensibilität sei

der Bundesrat der Meinung, man müsse im Rahmen der Militärgesetzrevision eine

Grundsatzdiskussion darüber führen, ob man sich zukünftig vermehrt an

162

Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 813-814.

76

internationalen Polizeioperationen beteiligen wolle oder sich auf die bisher

vorgesehenen humanitären Einsätze und den Schutz von Schweizer Interessen

beschränkten möchte.163

Der Ständerat stimmte am Schluss mit 33 zu 5 Gegenstimmen für Eintreten auf den

Bundesbeschluss über die Teilnahme an EU-NAVFOR Atalanta. Mit 22 zu 12

Stimmen verzichtete der Ständerat hingegen darauf, auf die Revision des

Militärgesetzes einzugehen.164

3.5.3 Die Nationalratsdebatten vom 9., 15. Und 16. September 2009

Bevor im Nationalrat über die Vorlage der Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta und

der Revision des Militärgesetzes anlässlich der Herbstsession debattiert werden

konnte, musste dafür ein Ordnungsantrag gestellt werden. Auf Bestreben der SVP

sowie unter Mithilfe der Grünen Partei strich das Büro des Nationalrats das

„Geschäft“ aus der Traktandenliste der Herbstsession.165 Die Gegner der Vorlage

wollten damit einen Entscheid über einen Militäreinsatz am Horn von Afrika weiter

hinauszögern. Peter Malama von der Freisinnigen Partei stellte darauf anlässlich der

Nationalratssitzung vom 9. September den Antrag, das „Geschäft“ in der

Herbstsession zu beraten. Malama betonte in seinem Votum, nicht nur die

Bürgerinnen und Bürger würden einen Entscheid erwarten, sondern auch das

Ausland. Namentlich die UNO, welche die Schweiz zu einem Beitrag bei der

Bekämpfung der Piraterie aufgerufen habe, wie auch die allfälligen europäischen

Einsatzpartner. Man sei in einer Zeit, in der das Image der Schweiz leicht belastet

sei, gut beraten, jenes Image ein Stück weit zu korrigieren, in dem man seine

Handlungs- und Entscheidungsfreiheit in globalen Fragen zeitgerecht unter Beweis

stelle und gleichzeitig ein Zeichen internationaler Solidarität setze.166

Caspar Baader von der Schweizerischen Volkspartei entgegnete, mit der Streichung

des „Geschäfts“ von der Traktandenliste könnten drei bis vier Stunden Redezeit für

jene innenpolitischen „Geschäfte“ gewonnen werden, welche in der heutigen Zeit von

163

Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 814-815. 164

Vgl. Amtliches Bulletin, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 816. 165

Vgl. Nuspliger, Aufwind für den Anti-Piraten-Einsatz, 16. 166

Vgl. Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat. Herbstsession 2009,

Nationalratssitzung vom 9. September 2009, 1406-1409, in: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n

/4811/306875/d_n_4811_306875 _307051.htm (26. April 2012), 1406-1407.

77

Rezession und steigender Arbeitslosigkeit für die Bevölkerung von grosser

Bedeutung seien (Baader erwähnte dabei u.a. die Familienbesteuerungsreform

sowie den Ausgleich der kalten Progression). Beim „Geschäft“ Atalanta gehe es um

eine ideologische Grundsatzdiskussion: Um 15 Soldaten, 14 Juristen und

Krankenschwestern und einen Arzt, die vor Somalia für 20 Millionen Franken auf

deutschen Schiffen Piraten bekämpfen sollen. Der Nutzen dieser Aktion für die

Schweizer Bevölkerung sei gleich null. Baader kritisierte zudem, Peter Malamas

Forderung in dessen Ordnungsantrag, die Redezeiten bei der Atalanta-Debatte zu

beschränken; eine derartige Zensur bei einer solch grundsätzlichen Frage sei eines

Parlaments unwürdig.167

Der Nationalrat nahm den Antrag von Peter Malama, die Atalanta-Frage in der

Herbstsession zu beraten, mit 90 zu 79 Stimmen an. Den Antrag auf Beschränkung

der Redezeit lehnte er hingegen auf Antrag von Jo Lang von der Grünen Partei

Schweiz mit 163 zu 22 Stimmen klar ab.168 Am 15. September 2009 fand darauf die

erste offizielle Nationalratssitzung zum Thema der Beteiligung an Operation Atalanta

und der Militärgesetzrevision statt. Der Auftakt der Sitzung war geprägt von einer

Diskussion auf rechtlicher Ebene: Jo Lang, Mitglied der Grünen Partei wie auch der

GSOA, stellte die allgemeine Rechtmässigkeit eines solchen Einsatzes der

Schweizer Armee in Frage. Yvan Perrin von der SVP hegte keine Bedenken über die

Legalität einer Beteiligung an Atalanta in der Theorie, gab aber zu bedenken, dass

sich in der Praxis diffizile Situationen für die am Einsatz beteiligten Schweizer

Soldaten ergeben könnten: Wie würden sich diese beispielsweise verhalten wenn die

deutsche Fregatte, auf welcher sie stationiert wären einen Hilferuf eines Schiffs

erhält, welches weder zum Welternährungsprogramm gehört noch unter Schweizer

Flagge fährt. Würden die Schweizer Soldaten in einem solchen Fall untätig bleiben?

Was wenn die Soldaten in einem solchen Fall in Aktion treten würden und dabei

Piraten festnehmen oder erschiessen würden?169

Verschiedene Gegner des Einsatzes plädierten dafür, mit einer Änderung des

Militärgesetzes erst eine eindeutige Gesetzesgrundlage für eine Beteiligung an

167

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 9. September 2009, 1407. 168

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 9. September 2009, 1407-1408. 169

Vgl. Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat. Herbstsession 2009,

Nationalratssitzung vom 15. September 2009, 1555-1562, in: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d

/n/4811/308344/d_n_ 4811_308344_308553.htm (26. April 2012).

78

Atalanta zu schaffen.170 Es darf vermutet werden, dass es sich dabei in beträchtlicher

Anzahl um Versuche handelte, das „Geschäft“ weiter hinauszuzögern. Wie die

Kommissionssitzungen von National- und Ständerat gezeigt haben, war es höchst

unwahrscheinlich, dass zur damaligen Zeit eine Mehrheit für eine

Militärgesetzrevision hätte zustande kommen können. Ein Eintreten auf die Vorlage

der Revision und eine darauf folgende Ablehnung hätte von den Atalanta-Gegnern

als klares Signal gegen einen Auslandeinsatz der Armee im Rahmen von EU-

NAVFOR Atalanta geltend gemacht werden können.

Der Sozialdemokrat Eric Voruz gab gegenüber den Gegnern von Atalanta zu

bedenken, dass die Grenzen der Schweiz über Genf, Basel, Konstanz und Chiasso

hinausgehen würden und dass die Schweiz Mitglied der UNO sei. Zwar sei man nicht

Mitglied der EU, geografisch gesehen aber in deren Mitte. Da sich die Schweiz oft

der EU unterordnen müsse, sei sie ein Passivmitglied der Union. Da man sowohl von

der UNO wie auch von der EU für eine Beteiligung angefragt worden sei, befürworte

er eine Beteiligung an Operation Atalanta.171

Josef Lang, Mitglied der Grünen Partei sowie der Gesellschaft für eine Schweiz ohne

Armee, vertrat sowohl in den Plenarsitzungen wie auch in den vorbereitenden

Kommissionen eine klar Ablehnende Position gegenüber einem Schweizer

Militäreinsatz am Horn von Afrika. Seine Argumentation bezog sich vor allem auf die

bereits angesprochene Problematik der „Leerfischung“ der somalischen

Fischbestände, die Deponie von Giftmüll und die ausgebliebene Intervention der EU

und der Schweiz in jener Sache. Es sei ausgesprochen ironisch, dass viele der

Nationen, deren Kriegsschiffe derzeit am Horn von Afrika patrouillieren, unmittelbar

mit den Fischereiflotten verbunden sind, die geschäftig Somalias Meeresschätze

plündern. Atalanta bedeute nicht Solidarität mit den Armen sondern Solidarität mit

der NATO. Atalanta sei Solidarität mit dem "war on terror", der an Land gescheitert

sei und jetzt vor der Küste Somalias weitergeführt werden solle. Im Falle einer

Beteiligung würde die neutrale Schweiz im Verbund mit Armeen operieren, welche

eine belastende, in Afrika unvergessene Kolonialvergangenheit aufweisen. Lang

170

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 15. September 2009, 1555-1559. 171

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 15. September 2009, 1559.

79

plädierte deshalb für die zivile Lösung von Konflikten im Sinne des Wiederaufbaus

von Somalia anstelle einer militärischen Symptombekämpfung.172

Yvan Perrin von der SVP machte in einem erneuten Plädoyer auf die problematische

Lage bei der Strafverfolgung von verhafteten Piraten aufmerksam: Die internationale

Gemeinschaft habe vorgesehen, festgenommene Piraten an Länder wie Kenia zu

überstellen, welche dann den Strafprozess respektive den Strafvollzug von Piraten

übernähmen. Die Situation im Bereich der Menschenrechte in jenen Ländern sei

prekär. Beim Thema der Zusage zur Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta gehe es

zudem bei weitem nicht bloss um die Entsendung von 30 Schweizer Soldaten in die

somalische See; es gehe vielmehr um die Schaffung eines Präzedenzfalles. Existiere

ein solcher Präzedenzfall einmal, so sei die Verlängerung und Ausweitung des

Engagements auf andere Schauplätze bloss noch Formsache. Eine Annahme der

Atalanta-Vorlage werde ferner der Rechtfertigung und Begründung der

Militärgesetzrevision dienen, dies im Hinblick darauf, dass jenes Gesetz der neuen

Praktik entspreche.173

Ursula Haller von der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) gab zu verstehen,

man müsse endlich realisieren, dass die Schweiz nicht immer abseitsstehen und sich

bestimmte Leistungen nur über Drittstaaten einkaufen könne. Irgendwann werde die

Glaubwürdigkeit der Nation ernsthaft auf dem Spiel stehen. Man müsse Solidarität

praktizieren, auch dort wo es gegebenenfalls nicht einfach sei. Die Zeit der

Trittbrettfahrerei und „Rosinenpickerei“ sei vorbei; ein solches Verhalten werde auch

von Ländern, die der Schweiz gut gesinnt seien, nicht mehr akzeptiert. Mit

humanitären Aktionen allein sei es laut Haller auch nicht getan; man müsse hie und

da auch Unbequemes tun und nicht erst dann humanitär vorgehen, wenn andere an

den jeweiligen Orten die Voraussetzungen dafür geschaffen hätten. Die aktuelle

Auseinandersetzung um die Schweizer Geiseln in Libyen zeigten, dass man nicht mit

grosser Unterstützung durch Freunde rechnen könne. Die Schweiz stehe oft isoliert

und weitgehend alleine da; Einigeln und Abseitsstehen verschärfe diese Situation

noch zusätzlich. Die Schweiz habe wie jede andere Nation nationale Interessen, wie

zum Beispiel Wohlstand und Sicherheit. Dazu gehörten nicht nur wirtschaftliche,

172

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 15. September 2009, 1560. 173

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 15. September 2009, 1561-1562.

80

kulturelle und bildungspolitische, sondern eben auch sicherheitspolitische Interessen.

Nicht zu vergessen sei dabei, der enge Zusammenhang jener verschiedenen

Interessen. Jene die behaupteten, man wolle mit einer Atalanta-Beteiligung

Kriegsspielchen auf hoher See nachgehen, würden polemisch argumentieren und

gefährdeten bewusst die Wahrnehmung der erwähnten Interessen. Die BDP-Fraktion

befürworte die Vorlage klar.174 Betrachtet man die Aussagen Hallers und das

Verhalten der BDP-Fraktion, so schlug die Partei, welche 2008 aus einer inneren

Spaltung der Schweizerischen Volkspartei hervorging, in der Atalanta-Frage komplett

andere Töne wie ihre ehemaligen Parteikollegen an.

Die Nationalratssitzung wurde am darauffolgenden 16. September mit denselben

Traktanden weitergeführt. Anita Lachenmeier-Thüring und Francine John-Calame

von der Grünen Partei Schweiz legten zu Beginn der Sitzung erneut den Standpunkt

ihrer Fraktion dar. Nebst bereits erwähnten Argumenten gegen den Atalanta-Einsatz

machte Lachemeier-Thüring darauf aufmerksam, mit einem Verzicht an einer

Beteiligung an der EU-Operation könnten die bisherigen Mittel für die humanitäre

Hilfe verdoppelt werden (bis anhin gab die Schweiz jährlich 17 Millionen für zivile

Hilfe am Horn von Afrika aus). Sie betonte auch, mit einer aktiven Unterstützung von

Atalanta würde die Neutralität der Schweiz gefährdet. Die grössten Zweifel an der

Operation hege man jedoch bei deren Wirkung: Piraterie gäbe es auf allen

Weltmeeren, insbesondere auch an der Westküste Afrikas. Operation Atalanta

bewirke allenfalls eine Verlagerung, jedoch keine wirkliche Bekämpfung und schon

gar nicht eine Lösung des Problems. Die grossen Drahtzieher hinter den Piraten

würden nicht gefasst, für die Probleme Somalias keine Lösung erreicht. Der Einsatz

sei sinnlos und fragwürdig, „es hiesse 16 Millionen Franken in den Ozean zu

werfen.“175

Verschiedene Vertreter der Sozialdemokraten sowie der Christlichdemokratischen

Volkspartei betonten darauf, wirtschaftliche Entwicklung sei ohne Sicherheit nicht

möglich.176 Der Sozialdemokrat Ricardo Lumengo, ein Befürworter des Einsatzes,

kritisierte die Aussagen der Vertreter der Grünen Partei, mit der Frage, ob diese nicht

174

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 15. September 2009, 1562. 175

Vgl. Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat. Herbstsession 2009,

Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1563-1571, in: http://www.parlament.ch/ab/frameset

/f/n/4811/308884/f_n_4811_ 308884_308885.htm (30. April 2012), 1563-1564. 176

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1564-1566.

81

sähen, dass ihre Ideen etwas unrealistisch seien. Ihre Argumente gegen Operation

Atalanta hätten für ihn nichts mit Pazifismus zu tun und entsprächen nicht der

afrikanischen Realität.177 Evi Allemann, ebenfalls von der SP, machte die Aussagen,

es entspreche der humanitären Pflicht aller Staaten, dafür zu sorgen, dass die Hilfe

des Welternährungsprogramms den Bedürftigen in Somalia zukomme. Es sei

vielleicht bequemer und entspreche der ideologisch reinen Lehre aber es sei allzu

einfach, sich mit einem Nichteintreten aus der Verantwortung zu stehlen. Sie bat im

Namen der Mehrheit ihrer Partei darum, auf das „Geschäft“ über die Beteiligung an

Operation Atalanta einzutreten.178

Hans Widmer von den Sozialdemokraten ordnete den Entscheid über die Atalanta-

Vorlage aus seiner Perspektive in einen grösseren Kontext ein: Es gäbe in der Welt

aufgrund der globalen Vernetzung weder bloss eindimensionale Bedrohungslagen

noch ausschliesslich national isolierte Sicherheitspolitiken. Eine Bedrohungslage wie

sie im Fall der Piraterie vor Somalias Küsten bestünde, könne nicht von einzelnen

Staaten bewältigt werden. Eine Zusammenarbeit mit der EU sei in dieser Sache

naheliegend. Eine solche Zusammenarbeit hätte denn auch eine grosse Bedeutung

für eine nichtisolationistische Aussenpolitik der Schweiz. Würde Atalanta abgelehnt,

so gäbe die Schweiz europapolitisch wie auch mit Blick auf den nächsten

Sicherheitspolitischen Bericht ein fatales Signal; nämlich dass denkbare

Auslandeinsätze im Verlaufe des parlamentarischen Entscheidungsprozesses nach

und nach begraben würden. Zum Schluss seines Plädoyers bat Widmer die anderen

Ratsmitglieder darum, die europapolitische und sicherheitspolitische Dimension jener

Angelegenheit nicht zu unterschätzen.179

Vertreter der SVP und der Grünen torpedierten darauf bis zum Ende der Debatte in

mehreren Voten erneut die Vorlage, indem sie Bedenken (operations-) technischer

Natur aufführten oder im Fall der Grünen, auf in der Vergangenheit nicht erfolgte

Interventionen bei völkerrechtswidrigen Geschehnissen in der Region aufmerksam

machten. Die Diskussion wurde von nun an von gewissen Parlamentariern recht

hitzig geführt.180 Ullrich Schlüer von der SVP warf die Frage auf, ob es nicht möglich

177

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1564. 178

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1564-1565. 179

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1565. 180

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1565-1569.

82

sei, die Schweizer Hochseeschiffe durch den Panamakanal statt durch den Golf von

Aden in den Fernen Osten fahren zu lassen. Dies dauere vielleicht ein paar Tage

länger und sei etwas teurer; die Befürworter des Einsatzes seien indes derart auf

Krieg fixiert, dass sie solche Varianten gar nicht mehr sähen.181

Arthur Loepfe von der CVP richtete an Jo Lang von der GPS die Kritik, die Schweiz

leiste Entwicklungshilfe und unterstütze das Welternährungsprogramm; ohne

Sicherheit gäbe es jedoch keine Hilfe für die notleidende Bevölkerung Somalias. Mit

Ideologie und schönen Sprüchen alleine könne man diesen Völkern nicht helfen. An

den rechtskonservativen Nationalrat Ullrich Schlüer richtete Loepfe den Vorwurf, er

vermisse bei ihm etwas Nationalstolz und Selbstbewusstsein; „Sie geben die

Schweizer Schiffe einfach Preis“. Auf jenen Schiffen gelte Schweizer Recht, womit

diese praktisch Schweizer Territorium seien. Auf die Frage von Teophil Pfister (SVP),

ob die Entsendung von 15 Schweizer Soldaten nicht einen weiteren Schritt hin zur

Aufgabe der Neutralität bedeuten würde, entgegnete Loepfe: Wenn man neutral sein

wolle heisse dies auch, seine Interessen und sein Territorium zu schützen. Da die

Schiffe unter Schweizer Flagge Schweizer Territorium darstellen würden, habe man

das Recht diese zu schützen.182

Gegen Ende der Debatte kam wie bei den vorhergehenden Kommissions- und

Parlamentssitzungen die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zu Wort,

welche die Parlamentarier in einer sehr ausführlichen Rede nochmals von einer

Bewilligung des Atalanta-Einsatzes zu überzeugen versuchte. Die Argumente und

Aussagen entsprachen weitgehend denjenigen, welche von der Ex-Bundesrätin

bereits in vorhergehenden Sitzungen und Plenardebatten gemacht wurden; es soll

deshalb an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen werden.183 Die Argumente

der Einsatz-Befürworter und die Empfehlung der Sicherheitspolitischen Kommission

des Nationalrats schienen schlussendlich ihre Wirkung verfehlt zu haben: Die

Beteiligung an Operation Atalanta wurde vom Nationalrat mit 103 zu 84 Stimmen bei

11 Enthaltungen abgelehnt.184 Die Vorlage über eine Änderung des Militärgesetzes

fand (gleich wie im Ständerat) wie erwartet im Nationalrat keine Mehrheit und wurde

181

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1566. 182

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1566-1567. 183

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1567-1568. 184

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1569.

83

von Bundesrat Ueli Maurer schliesslich zurückgezogen. Er meinte diesbezüglich, es

brauche realistisch gesehen wohl einen Marschhalt und eine generelle Aussprache

darüber, was die Armee im Ausland soll, wie sich die Schweiz beteiligen wolle und

wie man der immer wieder geforderten Solidarität Ausdruck verleihen wolle.185

3.5.4 Differenzbereinigungsverfahren/ Endgültige Ab lehnung der Vorlage

Da National- und Ständerat bei der Beurteilung des „Geschäfts“ über die Beteiligung

an EU-NAVFOR Atalanta zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen, ging das

„Geschäft“ zur erneuten Beratung zurück an den Ständerat. Am Morgen des 22.

September traf sich vorab die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates zu

einer letzten Besprechung zur Atalanta-Vorlage. Der Inhalt jener Sitzung wurde

bereits in Kapitel 3.4.2 behandelt. Es ist jedoch noch zu erwähnen, dass ein Vertreter

der politischen Mitte in jener Sitzung den Antrag stellte, den Entscheid über eine

Beteiligung an Atalanta zu sistieren und allenfalls in der Wintersession 2009 weiter

zu beraten. Die Idee dahinter war, den Atalanta-Einsatz vor dem drohenden

Untergang zu retten. Die Zeichen für eine Abkehr des Nationalrats von seinem

Negativentscheid standen schlecht. Eine mögliche Sistierung hätte dem Bundesrat

Zeit verschaffen sollen, den Militäreinsatz in einen Einsatz mit rein zivilem Charakter

umzuwandeln und diesem somit eine mögliche Mehrheit in der kommenden

Parlamentssession zu verschaffen. Die Kommission lehnte den Antrag auf Sistierung

des „Geschäfts“ jedoch ab und hielt an ihrer Empfehlung der Annahme der Vorlage

fest.186

Das Ständeratsplenum tagte im Anschluss an die Kommissionsitzung ebenfalls am

22. September 2009. Der Ständerat hielt sich erneut an die Empfehlung seiner

Sicherheitspolitischen Kommission und stimmte am Ende einer äusserst kurzen

Debatte, welche keine neuartigen Argumentationslinien beinhaltete, mit 29 zu 9

Gegenstimmen für ein Eintreten auf die Atalanta-Vorlage.187 Das „Geschäft“ ging

deshalb zu einer erneuten Beratung zurück an den Nationalrat.

185

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1571. 186

Vgl. Parlamentsdienste, SiK- S, Protokoll der Sitzung vom 22. September 2009, 1-4. 187

Vgl. Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat. Herbstsession 2009,

Ständeratssitzung vom 22. September 2009, 929-930, in: http://www.parlament.ch

/ab/frameset/d/s/4811/309848/d_s_4811_309848_309849.htm (2. Mai 2012).

84

Vor der letzten Plenumsdebatte im Nationalrat befasste sich am 24. September

nochmals die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats mit der Atalanta-

Vorlage. Laut „NZZ“ versuchten hier, ähnlich wie bei der SiK-Sitzung des

Ständerates vom 22. September, die Einsatzbefürworter diesen Mittels einer

Sistierung des „Geschäfts“ vor dem drohenden Aus zu bewahren: Evi Allemann von

der SP wollte mittels eines Ordnungsantrags die Sistierung der Atalanta-Vorlage in

der bisherigen Form erreichen und gleichzeitig dem Bundesrat den Auftrag zur

Aushandlung eines zivilen Engagements in Übereinkunft mit der EU erteilen.

Ebenfalls einen Antrag auf Sistierung des „Geschäfts“ stellte der freisinnige

Nationalrat Peter Malama; dieser wollte die Atalanta-Beteiligung in ein primär ziviles

Engagement umwandeln, bei welchem sich die Armee in Form von Stabsoffizieren,

Logistikern, Medizinern und Völkerrechtsspezialisten, nicht aber mit Kampftruppen

beteiligt hätte.188

Betreffend den Inhalt der Kommissionssitzung wurden die von den

Parlamentsdiensten zur Verfügung gestellten Sitzungsprotokolle verwendet, weshalb

die Namen der Teilnehmenden an dieser Stelle nicht erwähnt werden durften. Eine

Vertreterin der politischen Linken begründete den Antrag ihrer Fraktion

folgendermassen: Sie hofften mit dieser Form eines Einsatzes zu einer

mehrheitsfähigen Lösung zu kommen und der Staatengemeinschaft was man ihr

schuldig sei, bieten zu können; nämlich einen Beitrag für Stabilität, mehr öffentliche

Ordnung und Entwicklung am Horn von Afrika.189 Der ehemalige

Verteidigungsminister gab zu bedenken, dass eine Abänderung des Einsatzes

aufgrund der bereits getroffenen Vereinbarung zwischen der Schweiz und der EU

sowie mit der Partnernation Deutschland alles andere als einfach wäre. Ob und zu

welchem Zeitpunkt ein solcher Einsatz durgeführt werden könnte, sei nicht klar.190

Die SiK des Nationalrates lehnte beide Anträge auf Sistierung des „Geschäfts“ ab,

ebenso empfahl sie, anders als bei ihrer Sitzung im Vorfeld der Parlamentsdebatte,

mit 13 zu 12 Stimmen nicht auf die Vorlage einzutreten.191

188

Vgl. Nuspliger, Kurzer Prozess mit « Atalanta ». 189

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzung vom 24. September 2009, 1. 190

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzung vom 24. September 2009, 2-3. 191

Vgl. Parlamentsdienste, SiK-N, Protokoll der Sitzung vom 24. September 2009, 6.

85

Die entscheidende Plenarsitzung des Nationalrats zum Thema EU-NAVFOR Atalanta

fand im Anschluss an die Sitzung der SiK, gleichwohl am 24. September 2009 statt.

Die Einsatzbefürworter versuchten zu Beginn der Debatte nochmals mit allen Mitteln

und Argumenten das drohende Nichteintreten abzuwenden. Die Sozialdemokratin

Evi Alleman bemerkte zusätzlich, die (drohende) Ablehnung von Atalanta sei

keinesfalls mit einer generellen Ablehnung von Auslandeinsätzen und speziell

Friedensförderungseinsätzen gleichzusetzen. Die in derselben Herbstsession

behandelte parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion für einen generellen Verzicht

auf Auslandeinsätze sei mit einer haushohen Mehrheit von 104 zu 60 Stimmen

verworfen worden, womit der Nationalrat ein Zeichen für die Öffnung gesetzt hätte.192

Ein Politiker, welcher sich während des gesamten politischen Prozess wiederholt als

entschiedener Gegner der Atalanta-Vorlage hervortat, war Ullrich Schlüer von der

Schweizerischen Volkspartei. Schlüer meldete sich in jener letzten Debatte des

Nationalrats nochmals zu Wort und warf den Einsatzbefürwortern in den Reihen der

Sozialdemokraten vor, sie wollten sich – blindlings ihrer Anführerin Micheline Calmy-

Rey folgend – unüberlegt in ein Kriegsabenteuer stürzen. Den ebenfalls

befürwortenden Mitteparteien warf er vor, sie würden Helferdienste dazu leisten,

dass eine Volksbefragung zur Atalanta-Beteiligung der Schweiz umgangen werden

könnte.193 In Anspielung auf die im Jahr 2001 vom Schweizer Stimmvolk

angenommene Militärgesetzrevision194 kritisierte Schlüer, es sei damals hinsichtlich

bewaffneter Auslandeinsätzen nie die Rede von Piratenjagd im Indischen Ozean

gewesen; vielmehr von einer Bewaffnung zum Selbstschutz im Rahmen gesetzlich

vorgesehener Auslandeinsätze des Militärs. Wenn man nun plötzlich in einer

weltpolitisch umstrittenen Region wie dem Indischen Ozean Einsätze auf

Kriegsschiffen fahren wolle, müsse das Volk dazu befragt werden. Die Vorlage sei

insgesamt unüberlegt und nicht durchdacht und somit abzulehnen.195

192

Vgl. Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat. Herbstsession 2009,

Nationalratssitzung vom 24. September 2009, 1761-1767, in: http://www.parlament.ch/ab/

frameset/d/n/4811/310868/d_n_4811 _310868_310942.htm (2. Mai 2012). 1761-1762. 193

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 24. September 2009, 1764. 194

Vgl. Netzwerk Schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitik (SSN) der ETH Zürich, Chronologie zur

Schweizer Sicherheitspolitik, in: http://www.ssn.ethz.ch/Aktuell/Chronologie-zur-Schweizer-

Sicherheitspolitik/?fecvnodeid=133735&dom=28&fecvid=120&lng=de&ord364=Grp1&v120=133745&

click414=133745 (3. Mai 2012). 195

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 24. September 2009, 1764.

86

Ursula Haller von der Bürgerlich-Demokratischen Partei beklagte, dass sich einmal

mehr eine sogenannt unheilige Allianz zwischen Parteien abzeichne, welche jenes

„Geschäft“ aus ganz unterschiedlichen Gründen ablehnen würden: Auf der einen

Seite diejenigen, welche die Rechtsgrundlage in Frage stellten und grundsätzliche

Bedenken gegen Auslandeinsätze der Armee ins Feld führen würden, auf der

anderen Seite jene, welche generell gegen die Armee seien und deshalb Atalanta

ablehnen würden. Haller betonte zudem nochmals die Wichtigkeit von sicheren

Seewegen für die Schweizer Wirtschaft und forderte den Rat zur Annahme des

„Atalanta-Geschäfts“ auf.196

Bundesrat Ueli Maurer plädierte zum Schluss der Debatte ein letztes Mal als

Bundesrat für die Annahme der Vorlage: Wenn man sich beteiligen wolle, müsse dies

jetzt geschehen, da das Mandat für den Einsatz 2010 auslaufe. Die Schweiz würde

in der internationalen Völkergemeinschaft ins Zwielicht geraten wenn der vom Bund

beschlossene Einsatz nun vom Parlament abgelehnt würde. Die oft als Kritik am

Einsatz aufgeführte Infragestellung der adäquaten militärischen Mittel für einen

solchen Einsatz sei überdies unangebracht; die Fähigkeiten des AAD 10 stünden

ausser Diskussion. Abschliessend betonte Maurer nochmals, es brauche eine

Grundsatzdiskussion darüber, welche Art von Auslandeinsätzen von der Armee

durchgeführt werden könnten, damit nicht über jeden Einsatz von 15 Soldaten eine

einjährige Diskussion geführt werden müsse. Wenn die Armee in Sachen

Auslandeinsätze generell flexibler sein solle, brauche es dafür auch eine solide

politische Mehrheit.

Der Nationalrat lehnte die Beteiligung an Operation Atalanta ein zweites Mal und

somit definitiv mit 102 zu 81 Stimmen bei 10 Enthaltungen ab.197 Den Ursachen und

näheren Umständen der Ablehnung widmet sich das nächste Kapitel.

196

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 24. September 2009, 1765-1766. 197

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 24. September 2009, 1766-1767.

87

3.5.5 Die Umstände der Ablehnung – eine erste Einor dnung

Während des gesamten politischen Prozesses in Zusammenhang mit dem

Bundesbeschluss über eine Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR taten sich die

Schweizerische Volkspartei sowie die Grüne Partei Schweiz als deren vehementeste

Gegner hervor.

Im Ständerat, der den Atalanta-Einsatz zweimal klar befürwortete, gab es in der 48.

Legislaturperiode (2007-2011) eine klare Mehrheit der bürgerlichen Parteien FDP

und CVP. Die Sitzstärke jener einsatzbefürwortenden Parteifraktionen lag bei 12

(FDP) respektive 16 (CVP). Dies gegenüber 8 SVP- und 2 Sitzen der Grünen Partei.

Die Befürwortung von EU-NAVFOR Atalanta kam im Ständerat primär aufgrund der

auf Seiten der bürgerlichen Parteien stehenden Kräfteverhältnisse zu Stande. Anders

die Verhältnisse im Nationalrat: Mit 61 Sitzen verfügte die SVP dort zwischen 2007

und 2011 mit Abstand über die grösste Fraktion. Die Grüne Partei hatte damals 22

Sitze im Nationalrat, womit die Atalanta-Gegner zusammen auf 83 Volksvertreter

kamen. Die überwiegend Befürwortenden CVP, FDP und BDP kamen gemeinsam

auf 75 Sitze.198 Eine Darstellung der politischen Kräfteverhältnisse in National- und

Ständerat während der 48. Legislaturperiode (2007-2011) findet sich unter Anhang 4.

Das Zünglein an der Waage bei den eher knappen Abstimmungen im Nationalrat

spielte vor allem die in der Atalanta-Frage in sich selbst gespaltene

Sozialdemokratische Partei; zusätzlich gab es einige wenige Atalanta-Gegner in den

Reihen der CVP und der FDP. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen gestaltete

sich folgedermassen: Die Schweizerische Volkspartei stimmte bei beiden

Nationalratsentscheiden zu Atalanta mit ausserordentlicher Parteidisziplin

geschlossen Nein. Die Grüne Partei lehnte den Einsatz in ähnlicher Weise bei beiden

Nationalratsentscheiden mit 21 zu 1 Stimmen eindeutig ab. Die Sozialdemokraten

stimmten in der ersten Abstimmung des Nationalrats mit 24 zu 16 Stimmen für den

Einsatz. Bei der zweiten Abstimmung stimmte die SP-Fraktion mit 23 zu 18 Stimmen

für eine Schweizer Beteiligung an der Anti-Piraten Mission der EU. Nebst den

eindeutigen Gegnern und einigen Stimmenthaltungen in den Reihen der

198

Vgl. Die Bundesversammlung - Das Schweizer Parlament, Fraktionen der 48. Legislaturperiode 2007-2011,

in: http://www.parlament.ch/D/ORGANE-MITGLIEDER/BUNDESVERSAMMLUNG/FRAKTIONEN/

FRAKTIONEN-48-LEGISLATUR/Seiten/default.aspx (7. Mai 2012).

88

Sozialdemokraten gab es auch bei CVP und FDP eine kleine Minderheit, die gegen

Atalanta stimmte oder sich der Stimmabgabe enthielt. Die Bürgerlich-Demokratische

Partei (BDP) stimmte bei beiden Nationalratsentscheiden geschlossen für Eintreten

auf den Atalanta-Bundesbeschluss. Die vollständigen Abstimmungsprotokolle der

Nationalratsdebatten vom 16. und 24. September 2012 finden sich unter Anhang 5.

Das beschriebene Abstimmungsverhalten der Nationalratsfraktionen führte

schlussendlich zu einem Schlussresultat von 103 zu 84 Stimmen (Abstimmung vom

16. September 2009) respektive 102 zu 81 Stimmen (Abstimmung vom 24.

September 2009), welche sich gegen eine Beteiligung an Atalanta aussprachen und

somit den betreffenden Bundesbeschluss verhinderten.199 Hätten CVP und FDP

geschlossen für eine Beteiligung gestimmt und wäre die SP einer (zustimmenden)

Meinung gewesen, so hätte ein Einsatz von Schweizer Armeekräften im Rahmen von

EU-NAVFOR Atalanta zustande kommen können. Zu erwähnen ist im Kontext dieser

Arbeit, dass die SVP während dem politischen Prozess betreffend Operation Atalanta

eine parlamentarische Initiative eingereicht hatte, welche den generellen Verzicht

von Auslandeinsätzen der Armee forderte. Die Initiative wurde allerdings mit 104 zu

60 Stimmen verworfen.200 Jener Entscheid lässt darauf schliessen, dass eine

Mehrheit der politischen Fraktionen nicht am generellen Nutzen und der

Notwendigkeit einer Armee zweifelt(e), die in bestimmten Fällen im Ausland

eingesetzt werden kann. In der Frage, in welchen Fällen und unter welchen

Bedingungen dies geschehen kann, herrscht allerdings bis heute ein grosses

Zerwürfnis zwischen den politischen Fraktionen.

Der Ende der Neunzigerjahre in der Ära von Bundesrat Adolf Ogi konzipierte und im

Sicherheitspolitischen Bericht 2000 festgehaltene Grundsatz „Sicherheit durch

Kooperation“ vermochte sich bisher aufgrund innenpolitischer Differenzen nicht in

Form einer breit abgestützten und realpolitisch umgesetzten Verhaltensdoktrin

durchzusetzen. In dieser Frage einen Konsens zu finden erweist sich aufgrund der

beständigen Opposition von einem Teil der politischen Linken sowie der politischen

Rechten als äusserst schwierig. Deren Argumente gegen Auslandeinsätze der

Armee oder sonstige Kooperationen mit dem Ausland differieren zwar meist

199

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009 & Amtliches Bulletin,

Nationalratssitzung vom 24. September 2009. 200

Vgl. Nuspliger, Kurzer Prozess mit « Atalanta ».

89

fundamental voneinander, sorgen aber nichtsdestotrotz für eine Blockade in jenem

Bereich.201 Auch das im Jahr 2005 vom Bundesrat formulierte Ziel einer umfassend

verstandenen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, bei der friedensfördernde

Aktionen im Ausland eine grosse Rolle spielen sollen, scheiterte bis anhin an

innenpolitischen Differenzen.202

Die Umstände und die Gründe für die Ablehnung der militärischen Beteiligung an

Operation Atalanta können als sinnbildlich für die politische Uneinigkeit respektive

Blockade in jenem Bereich der internationalen Kooperation betrachtet werden. Die

Gegner der Atalanta-Vorlage argumentierten in den Kommissionsitzungen und

Ratsdebatten auf sehr unterschiedlichen Ebenen: Wiederholt wurde die

Rechtmässigkeit des Einsatzes in Frage gestellt, Bedenken einsatztechnischer Natur

geäussert oder der Nutzen der Operation an sich in Frage gestellt. Hinter diesen

Argumenten standen jedoch meist grundsätzliche ideologische Beweggründe,

welche wiederholt direkt oder indirekt geäussert wurden. In den Reihen der Grünen

Partei und eines Teils der SP waren im Fall Atalanta u.a. pazifistische Motive für

deren ablehnende Haltung verantwortlich. Jene pazifistisch eingestellten Kreise

vertreten allgemein eine kritische Haltung gegenüber Auslandeinsätzen der Armee

und in den meisten Fällen gegenüber der Armee an sich.

Die SVP vertritt im Bereich der Sicherheitspolitik und der internationalen

Zusammenarbeit seit je her einen isolationistischen Kurs. In ihren

Medienmitteilungen und anlässlich von Debatten argumentierten Vertreter der

Schweizerischen Volkspartei mehrmals, eine Schweizer Beteiligung an Operation

Atalanta stelle eine Verletzung der Neutralität dar und stelle die Souveränität der

Schweiz in Frage. Bei der Frage, welche Art aussenpolitischen Handelns mit der

Neutralität vereinbar ist, geht es um die Interpretation jener aussen- uns

sicherheitspolitischen Doktrin, welche die Schweizer Politik seit mehr als einem

Jahrhundert entscheidend prägt.

Auch Atalanta-Gegner aus dem linken Lager bezogen sich in ihren Voten anlässlich

von Kommissions- und Parlamentssitzungen zur Atalanta-Vorlage auf die neutrale 201

Vgl. Zeller, Der Schweizer Kooperationswille zerschellt an „Atalanta, 23. 202

Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.) Auslandeinsätze der Armee: Stand und Optionen, in:

CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 67 (2010), http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-

67.pdf (25. Juni 2012).

90

Stellung der Schweiz. Kapitel 4 beinhaltet aus diesem Grund eine allgemeine

Abhandlung über das Konzept der Neutralität wie auch einen Einblick über die

Neutralität in der Geschichte der Schweiz. Ferner wird auf die Auslegung der

Neutralität seitens der Rechtskonservativen eingegangen; handelte es sich doch um

ein wichtiges ideologisches Motiv für deren Ablehnung des Atalanta-Einsatzes. Auf

die bei den Gegnern der Atalanta-Vorlage auf linker Seite zum Ausdruck gekommene

pazifistische Haltung und weitere ideologische Motive wird ebenfalls in Form eines

Unterkapitels eingegangen.

91

4. Vertiefte A nalyse der ideologischen Hintergründe der Atalanta-Gegner 4.1 Das politische Konzept der Neutralität

4.1.1 Entstehung und Grundsätze

Das Konzept der Neutralität fand bereits im 16. Jahrhundert Eingang in das

Völkerrecht. Hugo Grotius behandelte 1625 das Recht der Neutralität unter dem Titel

„De his qui in bello medii sunt“. Jene Abhandlung fand dazumal noch im Sinne der

Idee von einem „bellum iustum“ – einem gerechten Krieges statt.203 Da jene

Vorstellung eines gerechten Krieges längst überholt ist, soll hier auf moderne

Auffassungen von Neutralität eingegangen werden: Neutralität kann im Allgemeinen

als „Rechtsstatus eines Staates der nicht am Krieg anderer Staaten teilnimmt“

umschrieben werden (Schaub, 1995).204 Etwas ausführlicher der Völkerrechts-

professor Dietrich Schindler: „Neutralität eines Staates bedeutet die Nichtteilnahme

an bewaffneten Konflikten und den Verzicht auf militärische Unterstützung von

Kriegsführenden“.205

Im Fall der Schweiz geht die vertraglich festgelegte und völkerrechtlich anerkannte

Neutralität auf den Wiener Kongress vom 20. März 1815 zurück. Auf dem Wiener

Kongress versuchten die damaligen europäischen Grossmächte unter anderem, in

Europa eine neue und dauernde Friedensordnung zu schaffen. Der Wiener Kongress

und der Vertrag von Paris vom 20. November 1815 sprachen der Schweiz „die

förmliche und rechtskräftige Anerkennung der immerwährenden Neutralität“ zu.

Diese liege „im wahren Interesse aller europäischen Staaten“.206 Die allgemeine

moderne, völkerrechtliche Verankerung der Neutralität geht auf das Haager

Abkommen vom 18. Oktober 1907, betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen

Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs, zurück. Das Abkommen wurde

auch von der Schweiz ratifiziert und erhielt erstmals während des ersten Weltkriegs

203

Vgl. Schaub, Neutralität und Kollektive Sicherheit, 3-4. 204

Schaub, Neutralität und Kollektive Sicherheit, 4. 205

Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 126. 206

Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 128.

92

praktische Relevanz. Das Haager Neutralitätsrecht gilt bis heute und umfasst im

Wesentlichen folgende Rechte und Pflichten:

• Das Recht auf die Nichtteilnahme an Kriegen sowie das Recht auf

Unversehrtheit der staatlichen Souveränität. Das Recht auf Freihandel,

welches bedeutet, dass Private mit allen Kriegsparteien unbeschränkt

Handel treiben dürfen, auch mit privatem Kriegsmaterial.

• Die Enthaltungspflicht: Staatliche Truppen, Kriegsmaterial und Kredite dürfen

nicht an kriegsführende Mächte vergeben werden. Ebenso enthalten ist die

sogenannte Verhinderungspflicht: Neutrale Staaten sind dazu verpflichtet, ihr

Territorium an Land, in der Luft und auf See zu schützen. Dies im Sinne

Kriegsparteien davon abzuhalten, die Ressourcen und das Territorium zu

ihren Zwecken zu verwenden. Ferner gibt es eine Duldungspflicht, die

neutrale Staaten dazu verpflichtet, Handelskontrollen und ggf.

Beschlagnahmungen von Frachtgut durch kriegsführende Parteien

zuzulassen, wenn diese zur Versorgung einer anderen kriegsführenden

Partei dienen.

Beim Handel mit Kriegsparteien durch Private gibt es zudem eine

Gleichbehandlungspflicht; das heisst, dass vom Staat erlassene Handels-

beschränkungen gleichsam auf alle Handelstreibenden anwendet werden. Bis heute

ist allerdings das Ausmass jener Gleichbehandlungspflicht umstritten, wie auch die

Frage, welche Waren durch sie erfasst werden bzw. für welche Art von Waren

Beschränkungen erlassen werden.207 In der Schweiz gibt es eine fortwährende

politische Kontroverse zum Thema des Rüstungsgüterexports bzw. in der Frage, an

welche Staaten solche Güter exportiert werden dürfen.

Ein weiterer Gesichtspunkt bei der Ausgestaltung der neutralen Stellung eines

Staates betrifft den zeitlichen Aspekt: Man unterscheidet hierbei zwischen

gewöhnlicher und dauernder Neutralität. Von gewöhnlicher (auch okkasioneller oder

temporärer) Neutralität ist die Rede, wenn sich ein Staat erst bei Ausbruch oder im

Verlauf eines Krieges zwischen anderen Staaten zu einer neutralen Haltung

entscheidet. Von dauernder (auch immerwährender) Neutralität spricht man

demgegenüber, wenn sich ein Staat dazu verpflichtet, sich in allen künftigen

207

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 53-54.

93

Konflikten neutral zu verhalten. Laut herrschender Meinung und dem Völkerrecht

beinhaltet dauernde Neutralität auch in Friedenszeiten die Pflicht, keine

Militärallianzen einzugehen.208 Ein äusserst wichtiges Element spielt dabei die

Glaubwürdigkeit: Will sich ein Staat langfristig auf den Status der dauernden

Neutralität festlegen, so muss der betreffende Staat der ihm gegenüber dadurch

entstandenen Erwartungshaltung bereits in Friedenszeiten nachkommen. Der

betreffende Staat kann sein Verhalten nicht erst unmittelbar im Falle eines

bevorstehenden Konflikts neu beurteilen. Der dauernd Neutrale muss in der Folge

eine langfristige Neutralitätspolitik verfolgen, welche bestimmte Neutralitäts-

verpflichtungen beinhaltet. Das Ausmass der Glaubwürdigkeit, welche einem

dauernd neutralen Staat entgegengebracht wird, hängt dabei davon ab, inwieweit

sich der betreffende Staat an seine selbst auferlegten Pflichten hält. Politisch

gesehen kann Glaubwürdigkeit dieser Art äusserst labil sein: Ihr Aufbau dauert

meistens lange, zerstört ist sie hingegen schnell.209

Weitere Fragen stellen sich in Hinsicht darauf, wie die dauernde Neutralität im Detail

verstanden und interpretiert wird bzw. was ein solcher Status erlaubt und was er

untersagt. Fraglich ist in diesem Punkt, ob ein Beitritt zu einer politischen Union wie

beispielsweise der EU mit einhergehenden Solidaritäts- und Loyalitätsverpflichtungen

den Ansprüchen an eine dauernde Neutralitätspolitik noch genügen kann.210 Im Fall

von Staaten, die das Neutralitätsrecht in seinem vollen Umfang anwenden, spricht

man von absoluter oder integraler Neutralität. Anders Staaten, welche zwar nicht an

Kriegen teilnehmen, jedoch eine Partei begünstigen oder benachteiligen. Man spricht

in einem solchen Fall von einer differentiellen Neutralität. Nach jenem Konzept ist in

bestimmten Fällen die Teilnahme an wirtschaftlichen (nicht aber militärischen!)

Sanktionen eines Systems kollektiver Sicherheit gegenüber anderen Staaten mit der

Neutralität vereinbar. In diesem Sinne kann auch von einer flexiblen Neutralität die

Rede sein. Ein Beispiel aus der Praxis liefert dazu die Schweiz mit ihrem dauernden

Neutralitätsstatus211:

208

Vgl. Schaub, Neutralität und Kollektive Sicherheit, 7-8. 209

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 59-60. 210

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 60. 211

Vgl. Schaub, Neutralität und Kollektive Sicherheit, 8-9.

94

Als 1991 der Irak völkerrechtswidrig Kuwait besetzte, schloss sich der Bundesrat

ohne Zögern den Wirtschaftssanktionen der Vereinten Nationen gegen den Irak an.

Das Verhalten der Schweiz bei der Militäroperation der NATO gegen Serbien im Jahr

1999 war hingegen differenziert: Die NATO-Operation war zwar als humanitärer

Kriegseinsatz deklariert, fand jedoch ohne UNO-Mandat statt und war völkerrechtlich

umstritten. Unter Berufung auf die Neutralität bewilligte die Schweiz keine Überflüge

von NATO-Flugzeugen, die an Kampfeinsätzen teilnahmen. Überflüge zu

humanitären Zwecken wurden erlaubt. Zusätzlich beteiligte sich die Schweiz am

Waffenembargo der UNO und an den meisten Sanktionen der Europäischen Union

gegenüber Serbien. Mit der Beteiligung an jenen EU-Zwangsmassnahmen erliess die

Schweiz erstmals Wirtschaftssanktionen, ohne dass ein entsprechender Beschluss

des UNO-Sicherheitsrats vorlag.212

Jene angesprochenen Fälle der neutralen Schweiz zeigen, dass bei der

Interpretation von Neutralität einiges an Spielraum besteht. Als gemeinhin verbrieft

gilt, dass neutrale Staaten mit langer (und konsequenter) Tradition eher damit

rechnen können, in ihrer Stellung wahrgenommen und respektiert zu werden. Zur

Tradition solcher Staaten gehört oft auch die Bereitstellung Guter Dienste, die sowohl

als Ausdruck wie auch als Verpflichtung staatlicher Neutralität gesehen werden

kann.213 Vertraglich festgelegte Normen, welche die dauernde Neutralität

umschreiben (bspw. im Haager Abkommen), gibt es nicht. Die Rechtsgrundlage für

jenen spezifischen Neutralitätsstatus entspricht deswegen dem Völkergewohnheits-

recht, was bedeutet, dass jener Status auf dem „vertrauensvollen Erwarten Dritter“

fundiert. Es ist dies eine Art von Vertrauen, welches den Neutralitätsverpflichtungen

eines Staates und vor allem deren Einhaltung entgegengebracht wird. In der Literatur

werden Österreich, die Schweiz und der Vatikanische Staat als dauernd neutrale

Staaten aufgeführt.214 Daneben gibt es eine Reihe weiterer Staaten, welche eine

neutrale Aussenpolitik verfolgen oder sich als bündnisfrei bezeichnen. Inwieweit sich

jene Staaten auch an die Grundsätze des Haager Neutralitätsrechts halten variiert

indes stark.

212

Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 130. 213

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 60. 214

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 56.

95

Die Neutralität der Schweiz wurde verschiedentlich bereits angesprochen, dies nicht

zuletzt auch deswegen, weil die Eidgenossenschaft oftmals als eine Art Inbegriff

eines neutralen Staates wahrgenommen wird. Das folgende Kapitel erläutert in

ergänzender Weise zum vorhergehenden die Besonderheiten und die Rolle der

Neutralität in der Geschichte der Schweiz. Die allgemeine Schweizer Aussenpolitik

war seit der Gründung des Bundesstaats mit dem Konzept der Neutralität verbunden.

Das folgende Kapitel zur Neutralitätsgeschichte der Schweiz beinhaltet demzufolge

auch einen Einblick in die Entwicklung und Geschichte schweizerischer

Aussenpolitik.

4.1.2 Die Neutralität in der Geschichte der Schweiz

Bevor die Schweiz im Jahr 1815 als Folge des Wiener Kongresses und des Vertrags

von Paris einen neutralen Status zugesprochen bekam, beteiligten sich Schweizer

Truppen direkt oder indirekt als Söldner im Dienste fremder Mächte an einer Vielzahl

von bewaffneten Konflikten in Europa.215 Als ein erster wichtiger Wendepunkt in der

Aussenpolitik der alten Eidgenossenschaft gilt die Schlacht von Marignano, welche

1515 vor den Toren Mailands stattfand. Das zu jener Zeit noch lockere Bündnis

eidgenössischer Kantone erlitt dabei im Kampf um das Herzogtum Mailand eine

empfindliche Niederlage gegen Frankreich und Venedig. Jene Niederlage wird

insofern von einer Reihe von Historikern als Wendepunkt betrachtet, weil sie der mit

kriegerischen Auseinandersetzungen einhergehenden Phase eidgenössischer

Expansionspolitik ein Ende setzte. Mit wenigen kleineren Ausnahmen hielt sich die

alte Eidgenossenschaft danach aus den grossen europäischen Konflikten raus, wie

zum Beispiel im Jahr 1674, als sich die eidgenössische Tagsatzung angesichts des

Krieges zwischen Holland und Frankreich zum neutralen Stand erklärte.216

Ausschlaggebend dafür, dass sich die Schweiz bereits vor der offiziellen

völkerrechtlichen Anerkennung ihrer Neutralität im Jahr 1815 in Konflikten meist

neutral verhielt, waren nebst militärischen Niederlagen auch innere

Spaltungstendenzen (v.a. aufgrund der Reformation) wie auch durch die

Söldnerdienste für fremde Mächte erfahrene Verluste, welche den inneren

215

Vgl. Auf der Maur Jost, Immer zu Diensten, in: Zeit Online, 25. August 2011,

http://www.zeit.de/2011/35/CH-Soeldnertum (18. Mai 2012). 216

Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 127.

96

Zusammenhalt und die militärische Schlagkraft schwächten.217 Der Autor und

Experte für Schweizer Söldnertum Jost auf der Maur sieht andererseits den während

Jahrhunderten andauernden Solddienst für fremde Machthaber ebenso als Grund

dafür, dass die Schweiz bereits vor ihrem offiziell neutralen Status von vielen

kriegerischen Auseinandersetzungen verschont blieb: Die mit den ausländischen

Mächten geschlossenen Soldverträge beinhalteten regelmässig die Garantie, dass

Schweizer Truppen bei eigenem Bedarf zurückgerufen werden können. Es lag

deswegen im Interesse jener Mächte, die Schweiz aus bewaffneten Konflikten

herauszuhalten; sie hätten sich sonst selbst militärisch geschwächt.218

Nebst den Solddiensten schlossen die Eidgenossenschaft oder einzelne Orte auch

Defensivbündnisse mit ausländischen Mächten ab, welche dem heutigen

Verständnis von Neutralität widersprechen. Während der französischen Besatzung

zwischen 1798 und 1814 wurde der schweizerischen Eidgenossenschaft ein

Militärbündnis mit Frankreich aufgezwungen. Die Neutralität musste in der Folge

aufgegeben werden, die Schweiz wurde zum Kriegsschauplatz und militärischen

Durchmarschgebiet. Durch die Niederlage Frankreichs unter Napoleon von 1814 und

den darauffolgenden Wiener Kongress erhielt die Schweiz 1815 ihre staatliche

Souveränität zurück. Wie bereits erwähnt erhielt die Schweiz durch den Wiener

Kongress ebenfalls die völkerrechtliche Anerkennung ihrer immerwährenden

Neutralität. Für den 1848 gegründeten Schweizer Bundesstaat besass jener

verfestigte neutrale Status einen durchaus integrierenden und identitätsstiftenden

Charakter.219 Bei der Gründung des Bundestaates verzichtete man aber bewusst

darauf, die Neutralität als rechtliche Verpflichtung in die neue Bundesverfassung

aufzunehmen. Die Tagsatzung hielt fest, die Neutralität sei kein konstitutioneller

Grundsatz, sondern ein Mittel zum Zweck, welches die Unabhängigkeit der Schweiz

sichern soll. Die Eidgenossenschaft müsse sich das Recht vorbehalten, unter

217

Vgl. De Weck Hervé, Marignano, Schlacht von, in : Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-

dss.ch/textes/d/D8896.php (21. Mai 2012). 218

Vgl. Auf der Maur Jost, Immer zu Diensten, in: Zeit Online, 25. August 2011,

http://www.zeit.de/2011/35/CH-Soeldnertum (18. Mai 2012). 219

Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-

dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012).

97

Umständen im Interesse der eigenen Selbständigkeit die Neutralität verlassen zu

können.220

Die „Behauptung der Neutralität“ war demgegenüber in den Kompetenzartikeln der

Bundesversammlung und des Bundesrats enthalten. Zur Stärkung der neutralen

Unabhängigkeitspolitik verbot die Bundesverfassung den Kantonen, Bündnisse mit

ausländischen Mächten einzugehen. 1859 wurden zudem fremde Solddienste

verboten. Aus dem deutsch-französischen Krieg (1870-71) konnte sich die Schweiz

erfolgreich heraushalten. Indem die Schweiz während jenes Krieges die Grenzen

besetzte, zeigte sie demonstrativ Verteidigungsbereitschaft. Mit ihrer geografischen

Lage inmitten der Grossmächte Italien, Frankreich und Deutschland und der

Kontrolle über geostrategisch wichtige Nord-Süd-Verbindungen über die Alpen erhielt

die Schweiz nach und nach eine gewisse Gleichgewichtsfunktion in Zentraleuropa:

Sofern die Schweiz willens und fähig war, ihre Neutralität auf Dauer zu bewahren,

das heisst keine fremden Mächte zu unterstützen sowie die Errichtung von

Stützpunkten oder den Durchmarsch fremder Truppen durch ihr Territorium zu

verhindern, galt sie als berechenbares und stabilisierendes Element für das

geostrategische Gleichgewicht Europas.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich auch die Rolle der Schweiz

als Vermittler und Bereitsteller von (Guten) Diensten im Sinne der Friedensförderung

und dem Schutz der Zivilbevölkerung zu entwickeln: Im Jahr 1864 berief die Schweiz

eine Staatenkonferenz in Genf ein, welche den Grundstein für die Genfer

Konventionen und das humanitäre Kriegsvölkerrecht legte. Während des deutsch-

französischen Kriegs sorgte eine Schweizer Delegation für die Evakuierung der

Zivilbevölkerung des belagerten Strasbourgs. Ab 1870 anerbot sich die Schweiz als

Schutzmacht für die diplomatischen Interessen kriegsführender Staaten und ihrer

Angehörigen. Zusätzlichen zu diesen und weiteren Diensten profilierte sich die

Eidgenossenschaft auch als Austragungsort internationaler Konferenzen und Sitz

internationaler Organisationen wie dem Roten Kreuz. Jene Periode der Verfestigung

220

Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 128.

98

der Neutralität im 19. Jahrhundert fand ihre endgültige rechtliche Verankerung

letztlich im Haager Abkommen von 1907.221

Zusätzlich zu den im vorherigen Kapitel erläuterten rechtlichen Verpflichtungen, zu

welchen sich die Schweiz mit der Ratifizierung des Haager Abkommens verpflichtet

hatte, bekannte sie sich zu einer freiwilligen (integralen) Neutralitätspolitik mit den

folgenden Grundgeboten und Elementen:

• Rüstungsgebot: Die Schweizer Neutralität ist bewaffnet. Im Fall eines Angriffs

dient die Armee der Selbstverteidigung, im besten Falle soll sie mögliche

Angriffe im vornherein abschrecken.

• Bündnisverbot: Sowohl in Kriegs- wie auch in Friedenszeiten dürfen keine

militärischen Bündnisse eingegangen werden oder Stützpunkte ausländischer

Armeen auf Schweizer Territorium errichtet werden.

• Sanktionsverbot: Es dürfen keine Wirtschaftssanktionen gegenüber anderen

Staaten beschlossen werden. (Wird von der Schweiz heute pragmatisch

gehandhabt)

• Disponibilitätsgebot: Bereitstellung der „Guten Dienste“222

Die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts stellten allgemein eine immense

Herausforderung für die Umsetzung der schweizerischen Neutralitätspolitik und die

Behauptung der territorialen Souveränität dar. Während dem ersten Weltkrieg (1914-

1918) nahm die Neutralität eine wichtige Rolle für den inneren Zusammenhalt der

Schweiz ein: In der Anfangsphase des Krieges richteten sich die Sympathien vieler

Deutschschweizer nach Deutschland, jene der Westschweizer mehrheitlich nach

Frankreich; die Neutralität vermochte demgegenüber eine gemeinsame Identität zu

stiften. Die Schweiz vermochte ihren neutralen Status gegen aussen jedoch nicht in

allen Belangen zu behaupten. So wurde sie beispielsweise in den Wirtschaftskrieg

zwischen den Zentralmächten und der Entente involviert, indem sie eine

Treuhandstelle zur Überwachung des Warenverkehrs akzeptieren musste. Diese

kontrollierte, dass Waren der Zentralmächte nicht über die Schweiz an die Entente

gelangten. Jene Kontrollstelle stellte eine Verletzung der in den Haager

Konventionen festgelegten Freihandelsrechte der Neutralen dar. Nebst einigen

221

Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-

dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012). 222

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 56.

99

weiteren Ungereimtheiten schaffte es die Schweiz, sich aus dem verheerenden Krieg

herauszuhalten. Das wichtige Element der „Guten Dienste“ stellte die Schweiz

während des Krieges ebenfalls verschiedenen Ländern zur Verfügung, indem sie u.a.

25 Mandate für die Vertretung der diplomatischen Interessen anderer Länder

wahrnahm.223

Nach Ende des ersten Weltkriegs befand sich die Schweizer Neutralitätspolitik in

Bedrängnis: Die Gründung des Völkerbunds stellte ein System kollektiver Sicherheit

in Aussicht, welches eine Neutralitätseinbusse als akzeptabel erscheinen liess. Das

solidarische Mittragen von Sanktionen gegen Rechtsbrecher stellte dabei eine

Voraussetzung für die Teilnahme am Bund dar.224 Im Jahr 1920 trat die Schweiz dem

Völkerbund bei, dessen Hauptsitz bis zu dessen Auflösung 1946 in Genf lag. Der

Völkerbund gilt als indirekter Vorgänger der Vereinten Nationen (UNO).225 Der Beitritt

kam durch eine knappe Volksmehrheit sowie ein knappes Ständemehr zu Stande.

Durch den Beitritt zum Völkerbund hatte die Schweiz vorübergehend den offiziellen

Status eines Staates mit differentieller Neutralität inne, da sie sich an den

Wirtschaftssanktionen des Völkerbunds beteiligte. Die späteren Achsenmächte

Italien, Deutschland und Japan traten im Verlauf der 1930er Jahre aus dem

Völkerbund aus. Die Schweiz kehrte aufgrund des sich abzeichnenden

Ungleichgewichts hinsichtlich der politischen Repräsentation im Völkerbund mit

dessen Billigung zur integralen Neutralität zurück.226

Mit dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs im Jahr 1939 wurde das Scheitern des

Völkerbunds offensichtlich, die Grossmächte schauten der Aggressionspolitik des

nationalsozialistischen Deutschlands lange Zeit tatenlos zu. Die Schweiz vertrat

gegenüber den Kriegsparteien offiziell eine neutrale Haltung und liess zur Sicherung

ihrer territorialen Integrität die Armee an den Landesgrenzen in Stellung gehen.227

Der drohenden Kriegsgefahr wegen wurde die Bevölkerung auf die bewaffnete

Neutralität eingeschworen, was deren integrative und identitätsstiftende Funktion

223

Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-

dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012). 224

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 178. 225

Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 128. 226

Vgl. Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-

dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012). 227

Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 129.

100

verstärken sollte und es auch tat.228 Entgegen den Verpflichtungen, welche das

Neutralitätsrecht und die offizielle deklarierte Neutralitätspolitik der Schweiz mit sich

brachten, verletzte die Schweiz während dem zweiten Weltkrieg eine Reihe von

Wirtschafts- und Handelsrestriktionen, welche das Haager Abkommen für neutrale

Staaten vorsieht. So nahmen Schweizer Banken beispielweise Gold der deutschen

Reichsbank entgegen, dessen Herkunft von der Schweiz oft alles andere als

sorgfältig überprüft wurde. In den 90er Jahren kam es nach der Aufdeckung jener

Machenschaften zum Skandal um die nachrichtenlosen Vermögen: Auf Schweizer

Banken lagen während und nach dem zweiten Weltkrieg zahllose Vermögenswerte

meist jüdischer Opfer des Nationalsozialistischen Regimes, welche bis zur

Aufdeckung des Skandals nicht an die Hinterbliebenen zurückerstattet wurden.229

Eine weitere Verletzung des Neutralitätsrechts durch die Schweiz fand statt, indem

Kriegsmaterial an Deutschland und Italien geliefert und selbigen Ländern zusätzlich

Staatskredite gewährt wurden. Es gab während des zweiten Weltkriegs eine Reihe

weiterer Verstösse, auf die hier allerdings nicht näher eingegangen werden soll. Auf

der anderen Seite gab es auch eine Reihe von Verletzungen der Schweizer

Neutralität durch die kriegsführenden Parteien; der Schweizer Luftraum

beispielsweise wurde von diesen mehrmals verletzt, die USA erzwangen gegen

Kriegsende den Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland, was ebenfalls

dem Neutralitätsrecht widersprach. Nebst zweifelhafter Machenschaften während

des zweiten Weltkriegs leistete die Schweiz in den Kriegsjahren eine Reihe Guter

Dienste: Unter anderen vertrat die Schweiz 319 diplomatische Einzelmandate für 39

verschiedene Länder, gewährte 60‘000 Flüchtlingen Zuflucht (sehr umstritten ob

ausreichend, viele Flüchtlinge wurden auch zurückgewiesen); das internationale Rote

Kreuz beschäftigte ausserdem um die 4000 Personen, welche Kriegsgefangene

betreuten und bei der Suche nach Vermissten halfen.230

In der Zeit des alsbald auf das Ende des zweiten Weltkriegs folgenden Ost-West-

Gegensatzes, der sich bald zu einem Kalten Krieg zwischen der westlich-

kapitalistischen und der östlich-sozialistischen Einflusssphäre wandelte, verschrieb

228

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 179. 229

Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 129. 230

Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-

dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012).

101

sich die Schweiz einer restriktiven Neutralitätspolitik, die oftmals mit einer

aussenpolitischen Selbstbeschränkung einher ging.231 In den Jahren 1945/46, kurz

nach Ende des zweiten Weltkriegs, hatten die neutralen Staaten einen schweren

Stand: Sowohl die USA wie auch die UDSSR rügten die Schweiz aufgrund ihres

Abseitsstehens bei der Gestaltung einer Nachkriegsordnung, zu deren wichtigsten

Bestandteilen die Gründung der Vereinten Nationen gehörte. Auch wenn die

Schweizer Bevölkerung wohl zu einem Grossteil die Ziele der UNO unterstützte teilte

sie nicht wie die Mehrzahl der europäischen Länder dieselben einschneidenden

direkten Erfahrungen mit den beiden Weltkriegen, die eine Mitgliedschaft in einer

derartigen internationalen Organisation als Notwendigkeit erschienen liess. Der

vielzitierte „Sonderfall Schweiz“ begann sich zu konstatieren. Die Schweiz wählte in

jener Zeit unter Führung des damaligen Aussenministers Max Petitpierre (1945-

1961) bewusst den aussenpolitischen Alleingang. In den Augen des Grossteils der

Schweizer Bevölkerung gelang es der Schweiz dank ihrer Neutralität und

Wehrbereitschaft, die Schrecken des zweiten Weltkriegs weitgehend unbeschadet zu

überstehen.232 Diese Ansicht wurde wiederum von Bundesrat, Parlament und Teilen

der Wirtschaft begünstigt und gefördert, indem sie die Neutralität zur quasi-

Staatsdoktrin erhoben. Fast jede aussenpolitische Herausforderung wurde an einem

überhöhten Neutralitätsbegriff gemessen; der Beitritt zur UNO, zur Europäischen

Gemeinschaft für Kohle und Stahl, sowie zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

(EWG) wurde abgelehnt. Selbst der Beitritt der Schweiz zum Europarat verzögerte

sich bis 1963.233

Die in vielen Belangen restriktive Neutralitätspolitik der Schweiz während des Kalten

Kriegs muss jedoch differenziert betrachtet werden, denn die Schweiz galt während

des Ost-West-Konflikts als „westlicher Neutraler“. Bereits 1946 hielt der damalige

britische Premierminister Winston Churchill in Zürich eine Rede, in der er das

Gewicht nicht auf die Frage lenkte, ob man neutral sei, sondern auf welcher Seite

man neutral sei.234 Ab 1951 musste die faktisch neutrale Schweiz dem

amerikanischen Druck eines Handelsboykotts gegenüber den kommunistischen

231

Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 129. 232

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 179. 233

Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-

dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012). 234

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 180.

102

Ostblockstaaten nachgeben235: Das sogenannte Hotz-Linder-Agreement blieb lange

Zeit geheim. 1973 erliess das Schweizer Parlament unter Berufung auf die Neutralität

ein Gesetz, welches die Ausfuhr von Kriegsmaterial regelte. Es verbot den Export in

Gebiete, in denen Krieg herrscht oder unmittelbar droht oder in denen systematisch

Menschenrechte verletzt werden. In der Praxis wurde jenes Gesetz nicht immer

konsequent angewandt.236 Man kann sagen, dass die Schweiz während der Zeit des

Kalten Krieges wie schon zuvor während den beiden Weltkriegen ihren neutralen

Status pragmatisch handhabte. Die Sicherheitspolitik wurde immer wieder punktuell

an die jeweilige veränderte Lage angepasst, orientierte sich aber gleichzeitig auch

klar an den Prinzipien der Neutralität und Solidarität.

In Sachen Solidarität wurde die Tradition der „Guten Dienste“ fortgeführt und

ausgebaut. Trotz einiger Widersprüche kam der Schweiz als Staat mit einer langen

Tradition der bewaffneten Neutralität in der Zeit des Ost-West Gegensatzes die

Funktion eines von beiden Konfliktparteien akzeptierten Vermittlers zu.237 Die

Schweiz führte einerseits eine Reihe wichtiger Konferenzen durch (z.b. Salt- und

Start-Verhandlungen, Indochina und Algerien-Konferenz, Gipfeltreffen zwischen

Michail Gorbatschov und Ronald Reagan). Andererseits übernahm sie als

Schutzmacht unter anderem die Vertretung der Interessen der USA in Kuba und

später auch im Iran (Die Diplomatischen Kontakte zwischen jenen Ländern wurden

zuvor abgebrochen). Bei friedensfördernden Operationen der Vereinten Nationen

beschränkte sich die Schweiz auf materielle Hilfeleistungen.238

Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 und der Auflösung der Sowjetunion

1991 veränderte sich die Weltlage grundlegend und somit auch die Ausgangslage für

die Gestaltung der schweizerischen Aussenpolitik. Damit verband sich auch die

Frage nach der künftigen Funktion der Neutralität, bzw. die Frage nach einer

Anpassung der Neutralitätspolitik. Der Bundesrat hielt grundsätzlich an der

Neutralität fest, wollte sich aber mehr Bewegungsspielraum für seine Politik schaffen.

Mit dem am 1. Oktober 1990 veröffentlichten Sicherheitspolitischen Bericht 90

235

Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 129-130. 236

Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-

dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012). 237

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 180. 238

Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-

dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012).

103

reagierte der Bundesrat überraschend schnell auf die veränderte globale

Ausgangslage. Jener Bericht hält fest, dass sich die Neutralität als aussenpolitische

Maxime der Schweiz bewährt hat. Er sagt aber auch, diese solle kein Ziel der

schweizerischen Aussenpolitik darstellen, sondern eines unter mehreren Mitteln zur

Verwirklichung der aussenpolitischen Ziele. Die Neutralitätspolitik müsse demzufolge

ständig auf ihre Zweckmässigkeit überprüft werden und gegebenenfalls angepasst

werden. Ebenso fanden sich im Sicherheitspolitischen Bericht 90 erste Ansätze für

eine umfassende Sicherheitspolitik, welche u.a. Friedensförderung im internationalen

Rahmen in Ergänzung zu der bisher verfolgten militärischen Landesverteidigung im

klassischen Sinn ins Auge fasste.239

Es folgten in den Neunzigerjahren und um die Jahrtausendwende weitere

Konzeptberichte, die sich mit der Gestaltung der Schweizer Neutralitäts- und

Aussenpolitik befassten. Jene Berichte (u.a. Aussenpolitische Berichte des

Bundesrates 1993 u. 2000, Sicherheitspolitscher Bericht 2000, Neutralitätsstudie des

EDA 2000 u. 2005) führten die im SIPOL B 90 eingeschlagene Richtung weiter aus:

Sie forderten u.a. die Einordnung der Unabhängigkeitsbehauptung in eine

mehrdimensionale aussenpolitische Zielsetzung, die Redimensionierung der

Neutralität auf ihren völkerrechtlichen Kerngehalt, die Teilnahme an

Wirtschaftssanktionen sowie an friedenserhaltenden Operationen der UNO und der

OSZE mit eigenen Truppen sowie eine bündnisfreie Kooperation in der

Sicherheitspolitik. Ferner sahen die Berichte einen Beitritt zur UNO wie auch zur

Europäischen Union unter Wahrung der Neutralität vor.

Aufgrund innenpolitischen Widerstands und dem erfolgversprechenden

eingeschlagenen bilateralen Weg schwächte der Bundesrat später das strategische

Ziel des EU-Beitritts zu einer Optionsmöglichkeit herab.240 In innenpolitischer Hinsicht

war vor allem die äusserst knappe Ablehnung (50.3% Nein-Stimmen gegenüber

49.7% Ja-Stimmen) des Beitritts zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) im Jahr

1992 für das Einfrieren der Beitrittsverhandlungen ausschlaggebend. Das ebenfalls

1992 bei der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) deponierte Beitrittsgesuch

wurde bis heute nicht zurückgezogen. Die Volksabstimmung „Ja zu Europa“ im Jahr

239

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 181-183. 240

Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-

dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012).

104

2001 wurde mit 77 zu 23 Stimmen klar abgelehnt, womit die Bemühungen der EU-

Beitrittsbefürworter einen weiteren grossen Rückschlag erlitten, dessen

Nachwirkungen bis heute anhalten.241

Auf der anderen Seite gab es klare Zeichen und Beschlüsse seitens der Politik und

der Schweizer Bevölkerung, die für eine aussenpolitische Öffnung sowie eine

weniger restriktiv interpretierte Schweizer Neutralitätspolitik standen: 1999

befürworteten die Schweizer Stimmbürger wie auch die Stände die Verabschiedung

einer neuen Bundesverfassung, welche die mehrdimensionale aussenpolitische

Zielsetzung bestätigt.242 Mehrdimensional meint in Zusammenhang mit der

Sicherheitspolitik, dass nicht mehr ausschliesslich von einem klassisch-militärischen

Risiko eines Angriffs durch eine fremde Armee ausgegangen wird, sondern globale

Bedrohungsformen wie beispielsweise transnational organisiertes Verbrechen, die

Proliferation von waffenfähigem Nuklearmaterial oder grenzüberschreitende Konflikte

(in Europa) als Gefahren deklariert werden. Diese Bedrohungen sollten laut der

neuen Verfassung in Form von internationalen Kooperationen angegangen werden.

Jenes Konzept wurde im Sicherheitspolitischen Bericht 2000 unter dem Titel

„Sicherheit durch Kooperation“ festgehalten.243

2001 befürworteten die Stimmbürger mit 51 % Ja-Stimmen knapp eine Teilrevision

des Militärgesetzes, welche die Bewaffnung zum Selbstschutz von Schweizer

Soldaten im Rahmen friedensfördernder Operationen der UNO erlaubt. Die Schweiz

hatte zuvor bereits mit unbewaffnetem Militärpersonal an internationalen Einsätzen in

der Westsahara, Bosnien und dem Kosovo teilgenommen. Als eigentlicher

Meilenstein der aussenpolitischen Öffnung kann der Beitritt der Schweiz zu den

Vereinten Nationen gesehen werden. 2002 stimmten rund 55 Prozent der

Stimmbürger für den UNO-Beitritt. Die UNO, die offizielle Schweiz und alle anderen

neutralen Staaten halten jene Mitgliedschaft als mit der Neutralität vereinbar.244

Allerdings fand im Vorfeld jener Abstimmung eine intensive Neutralitätsdebatte statt,

241

Vgl. Netzwerk Schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitik (SSN) der ETH Zürich, Chronologie die Schweiz

und die EU seit 1951, in: http://www.ssn.ethz.ch /Themendossiers/Die-Schweiz-in-Europa/Chronologie (28.

Mai 2012). 242

Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-

dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012). 243

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 190-191. 244

Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-

dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012).

105

in welcher SVP und AUNS einen UNO-Beitritt als unvereinbar mit der Neutralität

geisselten und den möglichen Beitritt als Vorstufe zu einem EU-Beitritt und späteren

Anschluss an die NATO darstellten.245

Dieser Überblick über die Geschichte und die Entwicklung der Schweizer Neutralität

führt vor Augen, dass der neutrale Status in seinen Kernpunkten (entsprechend dem

Haager Neutralitätsrecht von 1907) eine dauerhafte allgemeine Gültigkeit für die

Gestaltung der Schweizer Aussenpolitik besass und immer noch besitzt. Einzelne

Elemente davon wurden jedoch okkasionell – oft aufgrund extremer äusserer

Umstände – aufgeweicht oder gar ignoriert. Bei der Definierung ihrer

Neutralitätspolitik behielt es sich die Schweiz zudem vor, diese jeweils entsprechend

den weltpolitischen Umständen, Herausforderungen und eigenen Interessen

anzupassen. Es kann daher nicht von einer absoluten Maxime der Aussenpolitik die

Rede sein; es handelt sich bei der Neutralität vielmehr um ein in seinem Kern

definiertes, in seiner Umsetzung und Ausgestaltung jedoch wandlungsfähiges und

wohl auch wandlungsbedürftiges Element der Schweizer Aussenpolitik.

Eine grosse Mehrheit der Schweizer Politiker sowie der Schweizer Bevölkerung

halten an der Neutralität als grundsätzliches Element der Schweizer Aussenpolitik

fest: Bundesrat, Parlament und alle massgeblichen Parteien und Verbände sprachen

sich wiederholt für deren Beibehaltung aus. Zwischen 1993 und 2008 waren zudem

79-93 Prozent der Schweizer Bevölkerung für die Beibehaltung des neutralen Status;

67-81 Prozent vertraten die Meinung, die Neutralität sei untrennbar mit dem

schweizerischen Staatsgedanken verbunden.246 Über die Umsetzung des

Neutralitätskonzepts hinsichtlich der gegenwärtigen und zukünftigen

Herausforderungen, denen sich der Kleinstaat Schweiz im 21. Jahrhundert stellen

muss, gibt es seit Jahren eine grosse politische Kontroverse. Eine sehr eng gefasste

Interpretation der Neutralität verfolgt seit geraumer Zeit die politische Rechte,

namentlich die AUNS und die Schweizerische Volkspartei. Da die SVP zu den

vehementesten Gegnern der Atalanta-Vorlage gehörte, behandelt das nächste

Kapitel deren Neutralitätsverständnis sowie die Bestrebungen von SVP und AUNS

zur Umsetzung eines restriktiven Neutralitätsverständnisses auf politischer Ebene.

245

Vgl. Ribi, Neutralität – Mythos oder Chance?, 131. 246

Vgl. Ricklin Alois, Neutralität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://hls-dhs-

dss.ch/textes/d/D16572.php (21. Mai 2012).

106

4.2 Das Neutralitätsverständnis der politischen Rec hten

In ihren Voten anlässlich von Kommissions- und Ratssitzungen, wie auch in ihren

öffentlichen Communiqués vertrat die SVP mehrmals die Meinung, eine Teilnahme

an Operation Atalanta widerspreche der Schweizer Neutralität. In Bezug auf die

zuvor dargelegten unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten der (Schweizer)

Neutralität müsste man jedoch eher davon sprechen, dass die Teilnahme an Atalanta

dem von der SVP vertretenen Verständnis der Neutralität widerspricht. Es ist

allerdings nicht nur die Interpretation, welche das Neutralitätsverständnis der

politischen Rechten ausmacht: Es findet vielmehr eine Gewichtung der Neutralität

statt, welche diese auf die Stufe einer aussenpolitischen Maxime, eines alles

bestimmenden aussenpolitischen Imperativs hebt.247 Man spricht gemeinhin auch

davon, dass die Schweizerische Volkspartei gegenwärtig für eine Neutralitätspraxis

steht wie sie von der Schweiz während des Kalten Kriegs verfolgt wurde.248

Nachdem in den 1990er Jahren in der Schweiz eine eher zaghafte aussenpolitische

Öffnung stattfand und seitens des Bundesrats wie auch von der Mehrzahl der

politischen Parteien eine offener interpretierte Form der Neutralitätspolitik angestrebt

wurde, machte sich dagegen rasch erster Widerstand aus dem nationalkonservativen

Lager bemerkbar. Eine erste Chance für eine Annäherung an die europäische

Staatengemeinschaft bot der mögliche Anschluss an den europäischen

Wirtschaftsraum (EWR). Die Schweizerische Volkspartei und Teile der Grünen Partei

lehnten dies ab; vor allem seitens der SVP und deren Exponent Christoph Blocher

wurde im Vorfeld der Abstimmung ein sehr intensiver und teils polemischer

Abstimmungskampf geführt. Die Vorlage wurde äusserst knapp abgelehnt. Für die

SVP stellte dies einen der grössten Triumphe ihrer Geschichte dar und bedeutete

gleichzeitig einen herben Rückschlag für die Befürworter der europäischen

Integration.249

Der Widerstand der SVP gegen jegliche Form der aussenpolitischen Öffnung zeigte

sich später auch an der Rückweisung des „Bericht Brunner“: Im Jahr 1996 setzte der

247

Vgl. Bü., Aktive Aussenpolitik der neutralen Schweiz, in: NZZ Online, 31. März 2007,

http://www.nzz.ch/2007/03/31/al/kommentarf2akd_1.136161.html (29. Mai 2012). 248

Vgl. Diggelmann Oliver, Wie viel Neutralität können wir uns noch leisten?, In: Zeit Online, 4. August 2011,

http://www.zeit.de/2011/32/CH-Neutralitaet (29. Mai 2012). 249

Vgl. Seitz Werner, „Melonengrüne“ und „Gurkengrüne“, 26.

107

damalige Bundesrat eine Studienkommission unter dem Vorsitz des ehemaligen

Botschafters Edouard Brunner ein, welche den Auftrag hatte, die sicherheitspolitische

Lage für die kommenden 20 bis 25 Jahre darzulegen. Der „Bericht Brunner“ wurde

1998 den Sicherheitspolitischen Kommissionen der beiden Räte vorgelegt; er gilt als

wichtiges Fundament für den später veröffentlichen Sicherheitspolitischen Bericht

2000. Der Bericht empfahl u.a. eine Annäherung an den EU-Sicherheitsraum,

betonte die Wichtigkeit internationaler Kooperation und Solidarität und forderte die

Bewaffnung von Schweizer Soldaten, die im Rahmen von friedensfördernden

Operationen der UNO eingesetzt werden. Bezüglich der Neutralität wurde darin auf

die Unvereinbarkeit des damaligen Neutralitätsverständnisses mit einem

internationalen sicherheitspolitischen Engagement hingewiesen.250

Christoph Blocher, zu jener Zeit Nationalrat, heute Vizepräsident und eigentlicher

Übervater der SVP, war ebenfalls Mitglied der aus 42 Personen bestehenden

Kommission Brunner. Blocher lehnte den Bericht ab, mit der Begründung die

Schweiz bekäme durch die vorgeschlagenen Änderungen keine bessere

Sicherheitspolitik. Vielmehr würden dadurch die Verteidigung unserer Freiheit,

Unabhängigkeit und Sicherheit entscheidend geschwächt. Christoph Blocher

veröffentlichte darauf einen eigenen strategischen Studienbericht, auch „Bericht

Blocher“ genannt. Er stellte darin u.a. folgende Forderungen:

• An der dauernden bewaffneten Neutralität sei strikte festzuhalten. Die

Neutralität wird als diplomatisches Mittel angesehen, welches die Schweiz

vom Sog und Druck fremder Mächte fernhalten soll.

• Die Schweiz solle sich auch bei künftigen Auseinandersetzungen „im Zeitalter

der amerikanischen Vorherrschaft“ mit einer klugen Sicherheitspolitik Distanz

und Zurückhaltung verschaffen.

• Bewaffnete Truppen jeglicher Art im Ausland seien abzulehnen. Die Armee

habe sich auf ihre Kernaufgaben (die Landesverteidigung Anm. d. Rede) zu

konzentrieren. Bewaffneten humanitären Einsätzen schrieb Blocher überdies

generell tiefe Erfolgsquoten zu.

250

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 185-187.

108

Aus gegenwärtiger Perspektive (vgl. ESVP und GASP der Europäischen Union)

interessant ist auch die Aussage im „Bericht Blocher“, in der EU existiere keine

gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik; die Vorstellung, die Schweiz finde in

jenem Europa Schutz vor Gefahren, sei illusorisch.251

Stellt man die eben genannten Aussagen Christoph Blochers den in den Kapiteln 3.3

bis 3.5 dieser Arbeit wiedergegeben Aussagen einzelner SVP-Vertreter gegenüber,

so zeigt sich, dass ein grosser Teil davon auch heute noch das

Neutralitätsverständnis von SVP-Politikern wiedergibt. Das aktuelle Parteiprogramm

der SVP bestätigt diese Einschätzung.252 Ulrich Schlüer, Mitglied der und der

Schweizerischen Volkspartei, ehemaliger Nationalrat und heute als Verleger tätig,

publizierte im Jahr 2000 die Schrift „Neutralität 2000 – Gedanken über Krieg,

ziellosen Interventionismus und Frieden an der Jahrtausendwende“. Die Schrift liefert

einen vertieften Einblick in die Ideologie von nationalkonservativen Kritikern von

Auslandeinsätzen der Armee und genereller aussenpolitischer Öffnung sowie die

Gewichtung und Interpretation der Schweizer Neutralität auf Seiten der SVP und der

AUNS.

Ullrich Schlüer kritisiert in seiner Schrift das in den 90er Jahren entstandene und im

SIPOL B 2000 definierte sicherheitspolitische Konzept der „Sicherheit durch

Kooperation“. Dass die Welt nach der Wende im Jahr 1989 sicherer geworden sei,

die Schweiz nur noch von Freunden umgeben sei, entspricht seiner Meinung nach

einer Illusion. Schlüer verweist in diesem Zusammenhang unter anderem auf die von

den USA unter Boykottandrohungen erwirkten Zahlungen an Holocaust-Opfer

aufgrund des Skandals um die nachrichtenlosen Vermögen auf Schweizer Banken.

Ferner erwähnt werden auch Zwangsmassnahmen der EU gegenüber ihren

Mitgliedsstaaten, wie im Fall der Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen

FPÖ im Jahr 2000 in Österreich geschehen. Da Kleinstaaten wie die Schweiz auf der

Weltbühne nur im Schatten von Grossmächten Politik machen könnten, hätte die

Schweizer Armee bei den angestrebten Auslandeinsätzen auf Geheiss von

251

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 187-188. 252

Vgl. SVP – die Partei für die Schweiz. Parteiprogramm 2011-2015, in:

http://www.svp.ch/display.cfm/id/101396 (3. Juni 2012).

109

Grossmächten zu handeln. Der humanitäre Auftrag der Schweiz werde damit

verraten; die Neutralität und staatliche Souveränität untergraben.253

Der konkrete Nutzen von Auslandeinsätzen für die Schweiz wird von Schlüer

angezweifelt: Die Entsendung von einigen hundert Schweizer Soldaten in den

Kosovo254 werde kaum für Verbesserung in der Flüchtlingsproblematik sorgen.

Vielmehr gehe es bei jenen Einsätzen auch um eine Vertuschung der

innenpolitischen Fehler, die im Rahmen der Asylpolitik passiert seien.255 Der

Beibehaltung der Neutralität als umfassender aussenpolitischer Maxime wird in

Schlüers Schrift „Neutralität 2000“ grösste Wichtigkeit beigemessen. Auf der

Grundlage der immerwährenden, bewaffneten Neutralität hätte sich der Kleinstaat

Schweiz in der Vergangenheit seine Unabhängigkeit gesichert und habe es

vermocht, Land und Volk im gewaltreichen 20. Jahrhundert vor kriegerischen

Auseinandersetzungen zu bewahren.256 Die Schweiz hätte ihre Neutralität

ausserdem nie opportunistisch verstanden und konsequent verfolgt257 – eine

Aussage, welche vor dem Hintergrund der Neutralitätsverstösse der Schweiz

während dem 2. Weltkrieg (vgl. Kapitel 4.1.2) als eine eher einseitige und

beschönigende Betrachtung der schweizerischen Neutralitätsgeschichte anmutet.

Schlüer propagiert für die Gegenwart eine Neutralitätspolitik, welche die Regierung

dazu verpflichtet, sich jeglicher Einmischungen in machtpolitische

Auseinandersetzungen und Bestrebungen anderer Staaten zu enthalten, sich aus

den Angelegenheiten anderer Staaten herauszuhalten. Durch ein solches Verhalten

sollen wenn immer möglich Leid und Not vom eigenen Land und Volk ferngehalten

werden. Die Entwicklung und das Ausmass heutiger moderner Konflikte seien oft

schwierig abzuschätzen.258 Der Kleinstaat Schweiz habe deswegen vor allem

folgendes Interesse: „Unser Land soll niemals durch unvorsichtige, unüberlegte

Politik in einen Konflikt hineingezogen werden, der unser Land direkt nichts angeht,

aus dem unter Umständen aber während Jahren nicht mehr herauszufinden ist.“259

253

Vgl. Schlüer, Neutralität 2000, 132-136. 254

Die Schweiz entsandte 1999 ein Kontingent von maximal 220 Soldaten im Rahmen einer friedensfördernden

Mission der NATO in den Kosovo. Die Schweizer Mission existiert bis heute und trägt den Namen Swisscoy. 255

Vgl. Schlüer, Neutralität 2000, 134-135. 256

Vgl. Schlüer, Neutralität 2000, 84 257

Vgl. Schlüer, Neutralität 2000, 88. 258

Vgl. Schlüer, Neutralität 2000, 84-85. 259

Schlüer, Neutralität 2000, 85.

110

Die immerwährende bewaffnete Neutralität sei ferner ein Garant für die Schweizer

Unabhängigkeit und für die Eigenständigkeit in der Ausgestaltung der für unser Land

und seine Wirtschaft erfolgsversprechenden Rahmenbedingungen. Dies sei die

Voraussetzung dafür, dass der Wirtschaftsstandort Schweiz seine einzigartige

Position behaupten könne.260 Nebst den angesprochenen aussenpolitischen und

wirtschaftlichen Vorteilen einer restriktiven Neutralitätspolitik spricht Schlüer auch die

- seiner Meinung nach - gewichtige innenpolitische Dimension der Neutralität an:

Eine überragende Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer sähen in der

Neutralität die Garantie der Bewahrung der demokratischen Besonderheiten der

Schweiz, sozusagen des „Sonderfalls Schweiz“, welcher dem Einzelnen ein weltweit

einzigartiges Höchstmass an Freiheit und demokratischer Mitbestimmung auf

föderalistischem Fundament gewährleiste.261

Jene Aussagen und Einschätzungen zur Neutralität zeigen die immense Bedeutung,

welche dieser auf Seiten der SVP und der AUNS für das Fortbestehen von

Unabhängigkeit, nationaler Identität und Prosperität beigemessen wird. Es wird von

jenen Kreisen in der Folge denn auch jegliches politische Begehren vehement

bekämpft, welches deren Ansicht nach die Neutralität untergräbt. Christoph Blocher

wurde 1997 anlässlich einer Veranstaltung der Jungen SVP in Bern dazu passend

wie folgt zitiert: „Wenn wir eine unserer obersten Staatsmaximen nach dem Willen

ausländischer Mächte statt nach dem Willen des Schweizervolkes gestalten, ist

unser Land als souveräner Staat verloren.“262

AUNS und SVP sehen die grösste Gefahr für die Neutralität jedoch nicht in

ausländischen Mächten, welche diese zu untergraben versuchen, sondern auf Seiten

der Landesregierung. Jene nationalkonservativen Kreise vertreten die Ansicht, dass

zwischen den Interessen „der Regierenden“ und „dem Volk“ grosse Divergenzen

bestehen. Kritisiert werden dabei die aussenpolitischen Zielsetzungen von Bundesrat

und Verwaltung in Richtung verstärkter internationaler Zusammenarbeit und Öffnung

gegen aussen. Eine solche aktive Aussenpolitik sei für „die Regierenden“ zwar

attraktiv, widerspreche aber den Wünschen der Bevölkerung, die laut SVP die Politik

in ihren Händen behalten möchte und kein Interesse an einer Verminderung des

260

Vgl. Schlüer, Neutralität 2000, 93. 261

Vgl. Schlüer, Neutralität 2000, 92. 262

Heller, Zwischen Autonomie und Bündnisbeitritt, 68.

111

neutralen Status bekunde.263 Die Grenzen hin zum typisch populistischen Schema

einer (angeblich) volksfremden, abgehobenen Regierungselite auf der einen Seite

und „dem Volk“ in Form eines überhöhten und idealisierten Begriffs auf der anderen

Seite sind fliessend. Oft werden moderne, weltoffene und international vernetzte

Politiker und sonstige gesellschaftliche Exponenten auch der Preisgabe und dem

Verrat von angestammten Werten und Traditionen beschuldigt.264

Die neutralitätspolitische Gesinnung der SVP und der AUNS zeigt sich einerseits in

deren ablehnender Haltung gegenüber politischen Bestrebungen, verstärkter

internationaler Kooperation und aussenpolitscher Öffnung. Andererseits lancieren die

Schweizerische Volkspartei wie auch die AUNS wiederholt Initiativen, welche einen

isolationistischen aussenpolitischen Kurs fordern. So geschehen mit der vormals

schon erwähnten parlamentarischen Initiative der SVP, die ein generelles Verbot von

Auslandeinsätzen der Armee forderte. Die Initiative wurde am 16. September 2009 –

just inmitten der Atalanta-Debatte – dem Nationalrat vorgelegt und klar abgelehnt.

Nebst der SVP, die geschlossen für die Annahme der Initiative stimmte, gab es

interessanterweise auch auf Seiten der Grünen Partei 3 Befürworter der Initiative.

Eine Mehrheit von 104 Parlamentariern lehnte die Initiative ab.265 Die AUNS gab am

25. März 2011 bekannt, dass sie eine Volksinitiative für „eine glaubwürdige

Neutralitätspolitik„ vorbereite. Die Initiative sieht u.a. vor, die immerwährende

bewaffnete Neutralität in der Bundesverfassung zu verankern. Der derzeitige Stand

der Initiative ist nicht bekannt.266

Auch bei linken Politikern, vor allem bei Vertretern der Grünen Partei, fanden im

Rahmen der Atalanta-Debatte Bedenken neutralitätspolitischer Natur Eingang in

deren Argumentationen. In einem viel gewichtigeren Umfang spielen bei Politikern

der Grünen Partei und einem gewissen Anteil sozialdemokratischer Politiker jedoch

pazifistische Argumente eine wichtige Rolle bei deren ablehnender Haltung

gegenüber Auslandeinsätzen der Armee. An der Ablehnung der Atalanta-Vorlage

waren auf linker Seite die Grüne Partei und der „pazifistische Flügel“ der

263

Vgl. Frik, Ist die schweizerische Sicherheitspolitik europafähig?, 188-189. 264

Vgl. Bü., Aktive Aussenpolitik der neutralen Schweiz, in: NZZ Online, 31. März 2007,

http://www.nzz.ch/2007/03/31/al/kommentarf2akd_1.136161.html (29. Mai 2012). 265

Vgl. Amtliches Bulletin, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1572-1573. 266

Vgl. AUNS, AUNS bereitet Neutralitätsinitiative vor, Pressemitteilung, 25. März 2011, in:

http://www.auns.ch/meldungen/110325neutralitaetinitiative.php (6. Juni 2012).

112

Sozialdemokraten beteiligt. Das folgende Kapitel bietet einen Einblick in die

pazifistischen Motive, das Neutralitätsverständnis sowie weitere aussenpolitische

Positionen der Grünen Partei der Schweiz. Es wird an dieser Stelle davon

ausgegangen, dass „der pazifistische Flügel“ der Sozialdemokraten eine ähnliche

Haltung betreffend Auslandeinsätzen der Armee vertritt, wie die Grüne Partei. Dafür

sprechen einerseits Aussagen von (tendenziell) pazifistisch gesinnten Vertretern der

SP in der Presse (vgl. Anhang 6) sowie bestimmte Äusserungen von deren

Vertretern in Kommissionsitzungen und Ratsdebatten, die den Argumentationen der

Grünen sehr ähnlich sind (vgl. dazu die Aussagen von Liliane Maury Pasquier in

Kapitel 3.5.2 sowie 3.4.2). Dieses Kapitel legt den Fokus auf die ideologischen

Hintergründe des isolationistischen aussenpolitischen Kurses der SVP sowie auf die

pazifistische Gesinnung der Grünen. Es wurde auf eine zusätzliche Recherche über

die Ausprägung der pazifistischen Gesinnung sowie die Uneinigkeit betreffend

Auslandeinsätzen der Armee innerhalb der SP verzichtet. Ein Problem stellte dabei

auch die eher dürftige Quellenlage dar. Für zukünftige Abhandlungen könnte dies ein

interessanter Forschungsbereich darstellen.

113

4.3 Übersicht über die pazifistische Gesinnung und das Neutralitätsverständnis der Grünen Partei der Schwe iz

Da die historischen Zusammenhänge der Gründung der Grünen Partei Schweiz ein

wichtiger Faktor für die gegenwärtige pazifistische Weltanschauung einer Mehrheit

der Parteimitglieder der GPS darstellen, folgt hier ein Abriss über deren

Entstehungsgeschichte.

4.3.1 Entstehung und Wurzeln der Grünen Partei der Schweiz

Die Grüne Partei der Schweiz hat ihre Wurzeln einerseits in der Zeit der

aufkommenden Umwelt- und Dritt-Welt-Bewegung sowie feministischen,

sozialistischen und pazifistischen Gruppierungen nach 1968. Auf der anderen Seite

gab es bereits in den 50er- und 60er-Jahren eine Umweltbewegung, die sich

beispielsweise gegen den Bau einzelner Grossbauwerke wie Staudämme oder

Nationalstrassen gewehrt hatte. In den 70er- und 80er-Jahren entstand in der

Schweiz eine starke Anti-AKW-Bewegung, welche ihren Kampf mit einer allgemeinen

Gesellschaftskritik am quantitativen Wachstumsgedanken verband. Aus jenen

unterschiedlichen Bewegungen entstanden Anfang der 70er Jahre schliesslich die

ersten Umweltparteien. Die erste jener Parteien war das „Mouvement populaire pour

l’environnement“ im Kanton Neuenburg, welche 1971 primär als Reaktion auf einen

geplanten Autobahnbau am Seeufer von Neuenburg entstand. Erste Gründungen

umweltorientierter Parteien in der Deutschschweiz folgten Mitte der 70er Jahre.267

Auf nationaler Ebene kam es im Sommer 1983 zur Gründung zweier landesweit

aktiver grüner Formationen: Der gemässigten „Föderation der Grünen Parteien“ und

der „Grünen Alternative Schweiz“. „Die Föderation der Grünen Parteien“

konzentrierte sich vor allem auf Umweltschutzthemen und auf die Kritik am

wirtschaftlichen Wachstum. Die Partei sah sich zudem als ausserhalb des

herkömmlichen politischen Links-Rechtsschemas positioniert. Jene Grünen wurden

auch „Gurkengrüne“ genannt, da sie innen wie aussen grün waren. Die „Grüne

Alternative Schweiz“ verfolgte ebenfalls ein ökologisches Engagement, verband

dieses jedoch mit einer klar linken Positionierung, die ein starkes Engagement in

Drittweltpolitik und in Sachen Friedensbewegung beinhaltete. Die Alternativ-Grünen

267

Vgl. Seitz, „Melonengrüne“ und „Gurkengrüne“, 15-16.

114

erhielten deswegen den Übernahmen „Melonengrüne (da aussen grün und innen rot

Anm. d. Rede).268

Bereits seit Mitte der Achtziger-Jahre vermochte sich die „Föderation der Grünen

Parteien“ als gesamtschweizerische Partei zu etablieren und benannte sich 1986 in

Grüne Partei der Schweiz (GPS) um. Im Jahr 1990 schlossen sich eine Reihe

gewichtiger Regionalverbände der „Grünen Alternative Schweiz“ der GPS an. Es

folgten darauf die Vereinigung mit weiteren Regionalparteien, womit sich die Grüne

Partei Schweiz als gesamtschweizerische Partei zu konstituieren vermochte.

Einzelne regionale und unabhängige, alternativ-grüne Parteiverbände blieben

weiterhin bestehen, verfolgten jedoch auf nationaler Ebene eine Zusammenarbeit mit

der GPS. In Sachen Ideologie und Weltanschauung erwies sich die Partei in ihren

Anfangszeiten aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung thematisch und

ideologisch als breit gefächert: Die von ihr behandelten Themen reichten von

ökologischen Bestrebungen über die Gleichstellung der Geschlechter bis zur

Sicherheits-, Sozial- und Europapolitik.269

Hinsichtlich ihrer aussenpolitischen Ausrichtung gab es in der GPS in ihren

Anfangszeiten viele interne Kontroversen. Ein Beispiel dafür war die Abstimmung

über den Beitritt der Schweiz zum europäischen Wirtschaftsraum EWR im Jahr 1992:

Die Deutschschweizer Grünen lehnten den Vertrag in der Mehrheit ab, da sie

negative ökologische Konsequenzen und den Verlust demokratischer

Mitbestimmungsrechte befürchteten. Die Mehrheit der Westschweizer Grünen wollte

dagegen eine verstärkte Öffnung gegenüber der Europäischen Staatengemeinschaft

und damit auch den Beitritt zum EWR. Der Beitritt zum EWR wurde äusserst knapp

abgelehnt; die GPS musste sich danach den Vorwurf gefallen lassen, der SVP zur

Ablehnung des Vertrags verholfen zu haben. In den Jahren nach dem EWR-Nein

konstituierten sich die Grünen als Europa-freundliche Partei und befürworteten

Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Gemeinschaft.270

Die Militärgesetzrevision von 2001, welche unter anderem die Möglichkeit der

Bewaffnung von Schweizer Soldaten bei Auslandeinsätzen vorsah, wurde von der

268

Vgl. Seitz, „Melonengrüne“ und „Gurkengrüne“, 18-19. 269

Vgl. Seitz, „Melonengrüne“ und „Gurkengrüne“, 23-24. 270

Vgl. Seitz, „Melonengrüne“ und „Gurkengrüne“, 26-28.

115

GPS offiziell abgelehnt, wobei es auch hier parteiinterne Widersprüche gab; gewisse

Westschweizer Grüne argumentierten, es brauche bei allem Pazifismus eine Macht,

welche Ordnung als Voraussetzung für zivile Entwicklung schaffe. Die Partei

beschloss darauf die Stimmfreigabe für die Militärgesetzrevision.271

4.3.2 Aktuelle pazifistische Gesinnung, Neutralität sverständnis und

aussenpolitisches Leitbild der GPS

Die Vertreter solcher Ansichten scheinen in der gegenwärtigen Grünen Partei nicht

mehr viel Gewicht zu haben. In ihren Pressemitteilungen im Vorfeld und während der

Atalanta-Debatte wurden jeweils eindeutige pazifistische Ansichten vertreten, welche

in ihrer Form jeglichem bewaffneten Engagement der Schweizer Armee im Ausland

entgegenstehen. In einer Medienmitteilung von September 2008 mit dem Titel „Für

eine Kehrtwende in der Sicherheitspolitik“ liess die Partei folgendes verlauten: Die

Armee befinde sich in einer Sinn- und Orientierungskrise. Es sei unsinnig, jährlich

Hunderte von Millionen in einen Apparat zu investieren, über dessen Gebrauch

völlige Unklarheit herrsche. Im Gegensatz zu der Mehrzahl der anderen Parteien,

deren Programme sich vor allem an nationalen Bedürfnissen und Interessen

orientieren, formulierten die Grünen in ihrer Mitteilung Interessen und mögliche

Bedrohungen, die einem globalen Ansatz entsprechen: Die grössten Probleme

sehen sie in der Klimaerwärmung, der Rohstoffverknappung und Hunger sowie den

weltweit existierenden kriegerischen Konflikten. Jenen substanziellen Problemen sei

mit zivilen und nicht mit militärischen Massnahmen beizukommen.272

In einer weiteren von der Grünen Fraktion verabschiedeten Pressemitteilung

(publiziert am 16. September 2008) mit dem Titel „Für eine solidarische

Sicherheitspolitik“ legt die GPS ausführlicher dar, wie sie jene Probleme angehen

will: Die Grünen sprechen davon, dass die Schweiz eine aktive und offene

Neutralitätspolitik verfolgen soll, welche zu einer weltweiten Abrüstung und

Entspannung beitragen soll. Voraussetzung für eine solche friedensfördernde

271

Vgl. Zürcher, Grosse Chance für eine kleine Partei, 110. 272

Grüne Partei der Schweiz, Für eine Kehrtwende in der Sicherheitspolitik, in: Medienmitteilungen

Friedenspolitik, 3. September 2008, http://www.gruene.ch /web/gruene/de/positionen

/internationales/friedenspolitik/medienmitteilungen/kehrtwende_sicherheitspolitik_03-09-08.html (12.

Juni 2012).

116

Aussenpolitik sei die Distanz zu kriegsführenden Armeen und Militärbündnissen.

Konkret fordert die Grüne Partei darin folgende aussenpolitische Ausrichtung:

• Auf militärische Auslandeinsätze soll grundsätzlich verzichtet werden. Möglich

bleiben sollen humanitäre- und Hilfseinsätze an „sinnvollen“ UNO-Missionen.

• Die zivile Friedenspolitik soll ausgebaut werden: Die Schweiz solle sich dabei

bei der Früherkennung und Prävention von Konflikten engagieren. Das

Katastrophenhilfekorps, welches im In- und Ausland für humanitäre und

subsidiäre Aktionen eingesetzt werden kann, soll ausgebaut werden. Ebenso

gefordert wird ein verstärktes Engagement der Schweiz bei der humanitären

Minenräumung.

• Ferner solle die Schweiz alle Bestrebungen, die den Abbau von

Atomarsenalen, das Verbot von Streumunition und die Verhinderung der

Proliferation von Massenvernichtungswaffen verfolgen, unterstützen.

• Die Bestände der Schweizer Armee sollen stark reduziert, die allgemeine

Wehrpflicht abgeschafft werden. Die durch den Armeeabbau eingesparten

Ausgaben sollen laut Forderung der Grünen für die Klima- und

Entwicklungspolitik sowie die Hungerbekämpfung und Katastrophenhilfe

verwendet werden.

Aufgrund der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Lage und der sich ihrer Meinung

nach in einer Krise befindenden Schweizer Armee, kommt die GPS in ihrer

Medienmitteilung zu folgendem Schluss: Ein „militärischer Marschhalt“, „eine zivile

Denkpause“ sei angebracht, über weitere Rüstungsausgaben soll ein Moratorium

verhängt werden.273 Berücksichtigt man jene eben aufgezählten grünen Positionen

zur Sicherheitspolitik, so gestaltete sich die Ausgangslage für die Befürwortung eines

Auslandeinsatzes wie EU-NAVFOR Atalanta durch die Grünen von vornherein sehr

schlecht. Bei einer allfälligen Beteiligung hätten sich Schweizer Truppen in einer

vernachlässigten Drittweltregion im Verbund mit militärischen Grossmächten an einer

Militäroperation beteiligt – eine Vorstellung die gleich mehreren Prinzipien „Grüner

Aussenpolitik“ widerspricht.

273

Vgl. Grüne Partei der Schweiz, Für eine solidarische Sicherheitspolitik, in: Medienmitteilungen

Friedenspolitik, 16. September 2008, in: http://www.gruene.ch/web/gruene/de/positionen

/internationales/friedenspolitik/medienmitteilungen/solidarische_sicherheitspolitik_16-09-08.html (12.

Juni 2012).

117

Nebst pazifistischer Ansichten fand ebenso die Schweizer Neutralität Eingang in die

Argumentationen der Grünen Partei: Das Konzept der Neutralität wurde sowohl in

Pressemitteilungen der GPS während der Atalanta-Debatte wie auch in Aussagen

von Grünen Politikern anlässlich von Parlamentsdebatten und Kommissionsitzungen

erwähnt. Über die Auslegung der Neutralität durch die Grünen existieren nicht viele

Informationen, gehört dies in direkter Weise denn auch nicht gerade zu ihren

Kernkompetenzen, resp. Kernthemen. Auf ihrer offiziellen Homepage finden sich

erste Anhaltspunkte, wie die GPS die Schweizer Neutralität interpretiert. In ihren

politischen Positionen unter der Rubrik Friedenspolitik ist Folgendes zu entnehmen:

„Als neutrales Land könnte sich die Schweiz viel aktiver für die gewaltfreie Lösung

von Konflikten engagieren. Die Grünen wollen, dass die Schweiz auf jegliche

Rüstungszusammenarbeit und die Armee verzichtet. Stattdessen soll sie ihre ganze

Kraft für die Stärkung der UNO, für fairen Handel und mehr

Entwicklungszusammenarbeit einsetzen“.274 Ebenfalls in ihren Positionen, in der

Rubrik Aussenpolitik, wird kritisiert, dass sich die Schweizer Aussenpolitik zu fest an

wirtschaftlichen Interessen orientiere. Hier gelte es Gegensteuer zu geben: „Als

neutrales Land soll sich die Schweiz aussenpolitisch nicht an den Interessen der

Multis orientieren, sondern an denen der Ärmsten der Welt. Der Einsatz für

weltweiten Umweltschutz, für den Frieden, für die Einhaltung der Menschenrechte [..]

muss im Vordergrund stehen. Die Grünen geben den VerliererInnen der

Globalisierung eine Stimme.“275

Eine ausführlichere Abhandlung zur Neutralität findet sich in einem Artikel von Geri

Müller, Nationalrat der Grünen Partei und ehemaliger Präsident der

Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (2007-2009). Müller setzte sich in

den APK-Sitzungen im Vorfeld der Parlamentsentscheide über die Beteiligung an

EU-NAVFOR Atalanta dezidiert für eine Ablehnung der Vorlage ein. Sein Artikel

wurde am 7. November 2009 - die Beteiligung an Operation Atalanta war zu diesem

Zeitpunkt bereits abgelehnt - im linksgrünen Forum „Europa-Magazin“ publiziert.

Müller führt in seinem Nachtrag zur Atalanta-Debatte aus, die Neutralität gehöre nicht

zum alten Eisen, sie könne im Gegenteil im heutigen internationalen Umfeld wichtige

274

Vgl. Offizielle Homepage der Grünen Partei der Schweiz, Positionen. Friedenspolitik,

http://www.gruene.ch/web/gruene/de/positionen/internationales/friedenspolitik.html (14. Juni 2012). 275

Vgl. Offizielle Homepage der Grünen Partei der Schweiz, Positionen. Aussenpolitik,

http://www.gruene.ch/web/gruene/de/positionen/ internationales/aussenpolitik.html (14. Juni 2012).

118

Aufgaben erfüllen. Müller betont dabei das über Jahrzehnte aufgebaute Vertrauen,

welche die Schweiz als neutraler Vermittler in gewalttätigen Konflikten geniesse: Die

Neutralität sei die friedenspolitische Antwort auf das militaristische Modell der

Konfliktbewältigung. Die Schweiz müsse die Neutralität im internationalen Umfeld als

Beitrag zum Gemeinwohl darstellen und die Bedeutung der friedlichen

Konfliktbewältigung offensiv vertreten. Als ständig neutrales Land könne die Schweiz

den Schwerpunkt ihrer Politik darauf legen, Konflikte genau zu untersuchen,

Verständigung zu fördern und bei Bedarf Lösungsvorschläge mit den Beteiligten zu

entwickeln.

Die vom Bundesrat geplante Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta

bezeichnet Müller als illegal: Die Schweiz würde damit ihre Neutralität aufgeben, was

der Bundesverfassung widerspreche (Artikel 185 Abs. 1 BV ruft den Bundesrat zu

Massnahmen zur Wahrung der Neutralität auf, Anm. d. Rede). Nach Ansicht seiner

Partei wäre die Beteiligung an einer solchen Operation eine Massnahme, welche die

Neutralitätspolitik der Schweiz hin zu einer Konfliktbewältigungspolitik im autoritären,

militaristischen Sinn verschieben würde. Ein solcher Schritt würde in diesem Sinne

aufzeigen, dass die Schweiz ihre Armee von einer Verteidigungsarmee zu einer

Angriffsarmee umbaue. Mit der Forderung eines solchen Militäreinsatzes handle der

Bundesrat zudem entgegen der Meinung von 80 Prozent der Schweizerinnen und

Schweizer. Müller spricht dabei wohl von den ungefähr 80 Prozent der Schweizer

Bürger, die sich in verschiedenen Umfragen für die Beibehaltung der Neutralität

ausgesprochen haben. Beinahe in SVP-Manier kommentiert dies Müller damit, der

Bundesrat setze sich dem Verdacht aus, der EU dienen zu wollen statt dem Volk.276

Im Vergleich zu Grünen Parteien anderer europäischer Länder ist die Grüne Partei

der Schweiz am deutlichsten links positioniert. Dies betrifft vor allem deren Umwelt-,

Wirtschafts-, Immigrations- und Kulturpolitik.277 Seit Ende der 90er Jahre positionierte

sich die GPS zudem auch regelmässig weiter links als die Schweizer

Sozialdemokraten. Im Bereich der Aussenpolitik lehnte die Grüne Partei anders als

die Mehrheit der SP wiederholt Auslandeinsätze der Armee ab und stellte sich gegen

276

Vgl. Müller Geri, Somalia – CH Neutralität oder Anbiederung an die Grossmächte?, in: Europa-Magazin, 7.

November 2009, http://europa-magazin.ch/europamagazin/Aktuell/Dossiers Themenfokus/Frieden

/19/cmd.14 /audience.D (12. Juni 2012). 277

Vgl. Dolezal, Kein Sonderfall, 140-142.

119

internationale polizeiliche Zusammenarbeit.278 In ihrer dezidiert pazifistischen Haltung

unterscheiden sich die Schweizer Grünen im europäischen Vergleich wiederum stark

von den Grünen Deutschlands. Deren ehemalige Fraktionschefin Kerstin Müller

distanzierte sich bereits 2001 von den pazifistischen Wurzeln ihrer Partei und

proklamierte in der Sache einen pragmatischen Kurs: Die Grünen kämen zwar aus

der Friedensbewegung, als pazifistische Partei könne man jedoch nicht die

Bundesrepublik Deutschland regieren, weil man sich als Regierungspartei

automatisch in der Bündnisverpflichtung der NATO befinde.279 In der Zeit ihrer

Regierungsbeteiligung (1998-2005) trugen die Grünen Deutschlands die militärische

Beteiligung Deutschlands an den offensiven Kosovo- und Afghanistan-Operationen

der NATO mit; dies jedoch nicht ohne Kritik aus den eigenen Reihen.280 Laut

aktueller Positionierung sprechen sich die deutschen Grünen einerseits klar für die

weltweite Abrüstung sowie für ein Verbot von Rüstungsexporten aus. Andererseits

heisst es auf der offiziellen Homepage des Bündnis 90/Die Grünen auch: „Die

Bundeswehr kann in Einzelfällen einen wichtigen Beitrag zur Gewalteindämmung

und Friedenssicherung im Rahmen und Auftrag der Vereinten Nationen leisten.

Deshalb lehnen wir Auslandseinsätze der Bundeswehr als äußerstes Mittel nicht

grundsätzlich ab.“281

Von solchen pragmatischen Ansichten, welche sicher in vielerlei Hinsicht auch in

Zusammenhang mit der Phase der direkten Regierungsbeteiligung der deutschen

Grünen stehen, scheint die Grüne Partei der Schweiz weit entfernt. Deren

konsequentes Festhalten an ihrem pazifistischen Weltbild erlaubt wenig

Zugeständnisse an eine mehrheitsfähige Politik betreffend mögliche Auslandeinsätze

der Armee. Vielmehr sorgen die Grünen zusammen mit der SVP und eines Teils der

Sozialdemokraten oftmals für eine Politik der Verhinderung, ohne dabei ihr eigenes

Programm umsetzen zu können. Im nachfolgenden Schlusskapitel folgt eine

Konklusion, welche den Fall der Schweizer Nichtbeteiligung an EU-NAVFOR

278

Vgl. Hermann, Politische Zwillinge, 90-91. 279

Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Keine Pazifistische Partei mehr“, in FAZ Online,

http://www.faz.net/aktuell/politik/gruene-keine-pazifistische-partei-mehr-138113.html (14. Juni 2012). 280

Vgl. Nachtwei Winfried, Pazifismus zwischen Ideal und politischer Realität, 18. Oktober 2006,

http://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/ Gr%C3%BCne_Geschichte/Winfried

Nachtwe_Pazifismus_zwischen_Ideal_und_politischer_Realitaet.pdf (14. Juni 2012). 281

Vgl. Bündnis 90/Die Grünen, Grüne Friedens- und Sicherheitspolitik, in: Offizielle Homepage des Bündnis 90/

Die Grünen, http://www.gruene-bundestag.de/ themen/sicherheitspolitik/gruene-friedens-und-

sicherheitspolitik.html (14. Juni 2012).

120

Atalanta in die generelle Ausprägung der Schweizer Aussen- und Sicherheitspolitik

einzuordnen versucht und zusätzlich ein Resümee des generellen Status Quo

schweizerischer Aussenpolitik beinhaltet.

121

5. Einordnung des Falls Atalanta in den Kontext der allgemeinen Schw eizer Aussenpolitik Eine Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta hätte ein erster Schritt hin zu

einem verstärkten Auslandengagement bzw. verstärkter internationaler Kooperation

im sicherheitspolitischen Bereich sein können. Der Widerstand gegen die Atalanta-

Vorlage aus den Reihen der SVP, der Grünen und eines Teils der Sozialdemokraten

war gross. Jene politischen Kräfte sahen in einer möglichen Annahme der Atalanta-

Vorlage denn auch einen möglichen Präzedenzfall, welcher zukünftig den Weg für

Armeeeinsätze dieser Art geebnet hätte. Betrachtet man das Ausmass, mit welchem

die Ideologien und Ansichten der Atalanta-Gegner bewaffneten Auslandeinsätzen

der Armee zur Friedenssicherung, Friedenserzwingung oder Sicherung von

internationalen Transportrouten widersprechen, so ist fraglich, inwieweit sich die

generelle Gestaltung der Schweizer Aussenpolitik mit einer Annahme der Vorlage

tatsächlich geändert hätte.

Die SVP möchte generell die Auslandengagements der Armee aber auch sonstige

Kooperationen mit dem Ausland nach Möglichkeit unterbinden. Ihr Verständnis der

Schweizer Neutralität entspricht einer isolationistisch ausgerichteten, restriktiven

Staatsmaxime. In jeglicher aussenpolitischer Öffnung sieht die Partei eine potentielle

Gefährdung der nationalen Identität und bestimmter traditioneller Werte. Die

parlamentarische Initiative der Schweizerischen Volkspartei für einen generellen

Verzicht auf Auslandeinsätze wie auch die Initiative der SVP-nahen AUNS „für eine

glaubwürdige Neutralitätspolitik„ verdeutlichen diese Positionen. Auf Seiten der

Grünen Partei und des pazifistischen Flügels der SP herrscht hingegen ein komplett

anderes Weltbild: Internationale Zusammenarbeit, Drittweltpolitik sowie umfassende

internationale Solidarität und Friedensförderung werden in jenen Kreisen

grossgeschrieben. Bewaffnete militärische Auslandengagements im sicherheits- oder

friedenspolitischen Rahmen sind hingegen meist nicht mit deren pazifistischer

Grundhaltung zu vereinbaren. Viele pazifistisch Gesinnte sind der Armee und

militärischen Konfliktlösungen gegenüber generell sehr kritisch gestimmt, bewaffnete

122

militärische Auslandeinsätze werden zudem oftmals mit neo-imperialistischen

Vorgehensweisen der westlichen Mächte in Verbindung gebracht.

Die Folge jener strikten Ablehnungshaltung der linken und rechten Polparteien ist

eine Lähmung und Polarisierung, welche die gegenwärtige Aussen- und

Sicherheitspolitik bestimmt.282 Die ehemalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey

hat sich stark für eine Schweizer Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta engagiert.

Calmy-Rey ist eine klare Verfechterin einer aktiven Neutralitätspolitik, welche

internationale Kooperation und Solidarität in verschiedenen Bereichen vorsieht. Eine

solche aktive Neutralitätspolitik beinhaltet auch die Teilnahme an militärischen

Interventionen zur Friedensförderung, Linderung humanitärer Katastrophen oder

internationaler Transportwege.283 In ihrer Zeit als Bundesrätin zwischen 2003 und

2011 versuchte Calmy-Rey in jener Hinsicht eine aussenpolitische Öffnung zu

erreichen. Sie exponierte sich dabei stark; die ihr bei jenem Vorhaben

entgegengebrachten Widerstände waren gross.

Die Ablehnung der Atalanta-Vorlage im Nationalrat erfolgte mit 103 zu 84, resp. 102

zu 81 Stimmen eher knapp. Der Ständerat sprach sich zweimal für eine Beteiligung

aus. Jene Resultate lassen den Schluss zu, dass für Auslandeinsätze der Armee

dieser Art unter Umständen Mehrheiten zu finden wären. Taktisch eher ungeschickt

war es dabei sicherlich, die Vorlage über die Teilnahme an der Operation zusammen

mit einer allgemeinen Revision des Militärgesetzes dem Parlament vorzulegen. Die

Militärgesetzrevision wurde von einer grossen Mehrheit der Parlamentarier als

unausgereift kritisiert und abgelehnt. Der Zeitpunkt für eine Revision in diesem

Umfang war verfrüht und führte zu einem umständlicheren Ablauf der Bearbeitung

der Atalanta-Vorlage. Generell wären eine Grundsatzdiskussion und eine rechtliche

Klarstellung der Einsatzmöglichkeiten der Schweizer Armee zum jetzigen Zeitpunkt

durchaus Notwendig.284 Eine solche Grundsatzdiskussion wurde anlässlich der

Kommissionssitzungen und Parlamentsdebatten auch mehrmals von

Verteidigungsminister Ueli Maurer gefordert. Seine genaue Rolle im „Fall-Atalanta“ 282

Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.), Operation Atalanta: Piraterie und Schweizer

Sicherheitspolitik, in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 55 (2009),

http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-55.pdf (5. April 2012). 283

Vgl. Calmy-Rey, Vorwort, 16-18. 284

Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.), Operation Atalanta: Piraterie und Schweizer

Sicherheitspolitik, in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 55 (2009),

http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-55.pdf (5. April 2012).

123

bleibt unklar. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass Maurer einer

Schweizer Beteiligung an Atalanta grundsätzlich ablehnend gegenüberstand. Als

Bundesratsmitglied musste er zwar gegen aussen die befürwortende Position des

Gesamtbundesrates vertreten; in den Medien gab es jedoch eine Reihe von

Mutmassungen (vgl. Kapitel 3.3.5), wonach der Verteidigungsminister das Vorhaben

des Bundesrates hinter den Kulissen torpediert hatte.

Ein Grund für die Ablehnung der Atalanta-Vorlage kann auch darin gesehen werden,

dass die Vorlage von Teilen der (grundsätzlich befürwortenden) Mitteparteien nicht

mit letzter Konsequenz verfochten worden ist: Die Teilnahme an Atalanta wurde von

kleineren Teilen der CVP und der FDP eher zurückhaltend bejaht, einige wenige

Nationalratsmitglieder jener Parteien lehnten Atalanta ganz ab. Es stellt sich nun für

die Zukunft die Frage, ob oder welche Politiker aus den Reihen der Mitteparteien

oder der Sozialdemokraten sich in ähnlicher Weise wie Micheline Calmy-Rey für eine

verstärkte internationale Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik engagieren und

exponieren werden. Angesichts der klaren Ablehnungshaltung der SVP, der Grünen

Partei und des pazifistischen Flügels der SP auf der einen Seite, bräuchte es dazu

auf der anderen Seite bedeutende politische Exponenten, die sich konsequent für

eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit dem Ausland engagieren. Eine

Schwierigkeit für die Umsetzung bestimmter politscher Ziele ist in der Schweiz

zudem systembedingt: Das Schweizer Konkordanz System erschwert die Umsetzung

von politischen Bestrebungen, bei denen klare Partei-übergreifende Mehrheiten

fehlen, massgeblich. Ein Konkurrenzsystem, in welchem nicht alle grossen Parteien

in der Regierung vertreten sind und das Parlament über weniger Mitspracherecht

verfügt, ermöglicht demgegenüber die konsequentere Umsetzung einer politischen

Linie.

Ein Wechsel des demokratischen Systems steht in der Schweiz jedoch momentan

nicht zur Debatte. Hinsichtlich der inhaltlichen Kritik an Operation Atalanta muss

festgehalten werden, dass diese in gewisser Hinsicht durchaus berechtigt war: Die

vielfach von linker Seite angebrachte Kritik beispielsweise, dass es sich bei der

Operation um blosse Symptombekämpfung handle und den Ursachen der Piraterie

zu wenig Aufmerksamkeit zukomme, ist berechtigt. Laut Zahlen des International

Maritime Bureau‘s sind die erfolgreichen Entführungen von Schiffen vor den Küsten

124

Somalias in Zusammenhang mit Piraterie merklich zurückgegangen: So hat sich die

Zahl der Schiffsentführungen von deren 47 in 2009 auf deren 28 im Jahr 2011

verringert. Die Zahl der versuchten Attacken ist jedoch bis heute hoch geblieben285,

was darauf schliessen lässt, dass sich die Zahl der Piratenbanden aufgrund der

militärischen Massnahmen nicht vermindert hat. Betrachtet man zudem die in Kapitel

2.1 beschriebene wirtschaftliche, soziale und politische Lage in Somalia, so stellt sich

die Frage was passieren wird, wenn einst keine Kriegsschiffe mehr zum Schutz der

Handelsschiffe am Horn von Afrika patrouillieren werden. Auch die von

verschiedener Seite vorgebrachten Bedenken rechtlicher Natur sind nicht aus der

Luft gegriffen. Auf Basis des bestehenden Schweizer Militärgesetzes hätte der

Einsatz mit dem entsprechen politischen Willen bestimmt durchgeführt werden

können. Eine explizite Genehmigung für Einsätze dieser Art fehlt darin jedoch. Auch

die Frage, was auf juristischer Ebene mit festgenommenen Piraten passiert wäre,

war durchaus angebracht: Wie in Kapitel 2.2.3 beschrieben tun sich die an Atalanta

beteiligten Staaten mit den Möglichkeiten zur strafrechtlichen Verfolgung und

Verurteilung von festgenommenen Piraten schwer.

Diesen Einwänden zu trotz, ist der temporäre Nutzen, welcher Militäroperationen wie

EU-NAVFOR Atalanta oder die Combined Task Force 151 erbringen, nicht zu

verneinen: Die Schiffe des Welternährungsprogramms beispielsweise müssten ihre

Hilfslieferungen an 3 Millionen notbedürftige Somalier ohne den gewährleisteten

Geleitschutz durch die gefährlichen Gewässer am Horn von Afrika wohl einstellen.

Die wichtige Handelsroute durch den Suezkanal kann dank der Militärpräsenz

weiterhin befahren werden, obschon die Seepassage immer noch zu den

gefährlichsten der Welt zählt. Ohne jene Militärpräsenz wäre die Route wohl für viele

Schiffe nicht mehr oder nur unter Inkaufnahme höchster Risiken befahrbar.286

Bei der Thematik der möglichen Schweizer Beteiligung an Operation Atalanta und

des bewaffneten Assistenzdienstes der Armee im Ausland geht es indes um weitaus

mehr als nur die Frage nach deren Sinn und Zweck. Es geht vielmehr darum, dass

285

Vgl. ICC – Commercial Crime Services, Piracy attacks in East and West Africa dominate world report, 19.

Januar 2012, in: http://www.icc-ccs.org/news/711-piracy-attacks-in-east-and-west-africa-dominate-world-

report (21. Juni 2012). 286

Vgl. ICC – Commercial Crime Services, Piracy attacks in East and West Africa dominate world report, 19.

Januar 2012, in: http://www.icc-ccs.org/news/711-piracy-attacks-in-east-and-west-africa-dominate-world-

report (21. Juni 2012).

125

die Schweiz als Kleinstaat mit beschränkten Mitteln einen Teil seiner

sicherheitspolitischen Herausforderungen, in einer vermehrt komplexen und

vernetzten Welt, nicht alleine zu meistern vermag. Die Schweiz ist für die

Gewährleistung der Gesamtheit ihrer sicherheitspolitischen Bedürfnisse sowohl auf

die Kooperation, wie auch das Wohlwollen anderer Staaten angewiesen. Während

des Kalten Krieges profitierte die Schweiz bereits stark von der Präsenz der NATO,

resp. der sie umgebenden Länder, welche Westeuropa zu einem gemeinsam zu

verteidigenden Sicherheitsraum machten.287 Gegenwärtig profitiert die Schweiz nach

wie vor von der Stabilität und den Sicherheitsbemühungen ihrer Nachbarländer, die

mit Ausnahme Österreichs alle NATO-Mitglieder sind. Hinzu kommt die verstärkt zum

Tragen kommende Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik der EU.

Mit verschiedenen EU-Ländern und anderen europäischen Staaten arbeitet die

Schweiz derzeit bereits in einigen sicherheitspolitischen Belangen zusammen: Dies

betrifft z.B. die Zusammenarbeit auf Ebene der Geheimdienste oder militärische

Kooperationen im Bereich der Rüstung und der Ausbildung.288 In vielen Fällen, wie

beispielsweise bei Geiselnahmen von Schweizer Staatsbürgern im Ausland, war die

Schweiz auf die Hilfe und Zusammenarbeit mit anderen Ländern (hauptsächlich der

EU) angewiesen. Für einen bündnisfreien Staat und Nicht-Mitglied der Europäischen

Union sind ausländische Hilfeleistungen dieser Art nicht selbstverständlich. Die

sogenannte Lybien-Affäre, in welcher 2 Schweizer Staatsangehörige willkürlich vom

ehemaligen Lybischen Machthaber Muammar al Gaddafi als Geiseln festgehalten

wurden, verdeutlichte die Schwierigkeit, sich ohne enge Partner gegen

Übertreibungen und Pressionen mächtigerer oder von staatlicher Willkür geprägter

Länder zu wehren.289 Zu Beginn der Affäre schien es alles andere als klar, ob und

von welchen Ländern die Schweiz in jener Angelegenheit Hilfe erhalten würde.

In dieser Hinsicht existiert die Problematik, dass die Schweiz oftmals als

Trittbrettfahrerin internationaler Sicherheitsbemühungen gesehen wird. Wenn es

darum geht, Truppen unter UNO-Mandat ins Ausland zu entsenden, steht die

Schweiz in vielen Fällen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern im Abseits.

287

Vgl. Fanzun/Lehmann, Die Schweiz und die Welt, 242. 288

Vgl. Bundesrat der Schweiz, Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik

der Schweiz (SIPOL B 2010), 23. Juni 2010, in: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2010/5133.pdf (21. Juni 2012). 289

Vgl. Diggelmann Oliver, Wie viel Neutralität können wir uns noch leisten?, In: Zeit Online, 4. August 2011,

http://www.zeit.de/2011/32/CH-Neutralitaet (29. Mai 2012).

126

Der Verzicht auf die Teilnahme an Atalanta hat dieses Bild von der Schweiz

konsolidiert. Zur Rechtfertigung jenes Abseitsstehens wird in den meisten Fällen auf

die Schweizer Neutralität und deren Nichtvereinbarkeit mit solchen Einsätzen

verwiesen. Der Schweizer Historiker Thomas Maissen betont, dass jener neutrale

Status immer auch von der Bereitschaft der dominierenden Staatenordnung

abhängig war, jenen Sonderstatus im eigenen Interesse zu akzeptieren. Bloss

Maxime oder historische Tradition (der Schweiz) zu sein reiche zur Behauptung der

Neutralität nicht aus. Als Staat, der vom Handel und Export von Gütern und

Dienstleistungen lebt, sei die Schweiz auf einen regen Austausch mit der Staaten-

und Völkerwelt angewiesen. Die Neutralität müsse so definiert und gelebt werden,

dass auch die anderen Staaten darin einen Mehrwert erkennen. Maissen plädiert aus

diesem Grund für eine aktive Neutralitätspolitik. Dies bedeute eine „aktive Teilnahme

an der völkerrechtlichen Gestaltung der Staatenwelt“ aus Eigeninteresse, aus

Verantwortungsbewusstsein, wie auch im Wissen um die Möglichkeiten und Grenzen

der eigenen Rolle.290

Andere neutrale Staaten in Europa wie Österreich, Finnland oder Schweden stellen

in weitaus grösserem Umfang eigene Truppen für internationale Friedensmissionen

oder Missionen unter humanitärem Aspekt zur Verfügung: Während sich zwischen

2005 und 2009 durchschnittlich 271 Schweizer Militärangehörige in

Auslandeinsätzen zur Friedensförderung befanden, waren im Falle Finnlands und

Schwedens dreimal so viele, resp. im Falle Österreichs fünfmal so viele Soldaten im

Ausland stationiert. Im Gegensatz zur Schweiz orientieren sich jene Länder heute

konsequent am Modell einer kooperativen Sicherheitspolitik im Sinne einer

gemeinsamen Bewältigung von Krisen und Risiken. Die Streitkräfte wurden

entsprechend angepasst: Die Truppenbestände wurden stark reduziert und

gleichzeitig bedeutende Teile davon für den multifunktionalen Einsatz im

internationalen Verbund ausgebildet und konzipiert.291 Österreich und Schweden

sehen in ihrer Neutralität überdies kein Hindernis für offensive Waffeneinsätze im

290

Vgl. Maissen, Wie die Eidgenossen ihre Neutralität entdeckten, 64. 291

Vgl. Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich (Hg.) Auslandeinsätze der Armee: Stand und Optionen, in:

CSS Analysen zur Sicherheitspolitik 67 (2010), http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-

67.pdf (25. Juni 2012).

127

Rahmen von UNO-Friedensmissionen (oder besser gesagt Befriedungs-

missionen).292

Vor dem Hintergrund dieser Neutralitätspolitiken kann nur bedingt Verständnis für die

tendenziell restriktiv ausgelegte Neutralitätspolitik der Schweiz erwartet werden. Der

Interpretation und Handhabung der Neutralität wird in den kommenden Jahren eine

Schlüsselrolle für die zukünftige Gestaltung der Schweizer Aussenpolitik zukommen.

Unter dem Aspekt von Sicherheitsbedrohungen mit zunehmend internationaler

Tragweite wie zum Beispiel der Gefährdung wichtiger Handels- und Transportrouten,

Extremismus und Terrorismus oder durch klimatische Veränderungen ausgelöste

Migrationsbewegungen, zeigen sich verstärkte multinationale Kooperationen an. Die

Bedeutung von aussen- und sicherheitspolitischen Netzwerken und Operationen im

institutionellen Rahmen von UNO, EU und NATO hat stark zugenommen.293 Will sich

die Schweiz im Bedarfs- oder Notfall auf ausländische Hilfe oder die Einbindung in

deren Sicherheitskonzepte verlassen können, so ist eine glaubwürdige und

beständige Aussenpolitik vonnöten, die sich auch dann solidarisch zeigt und

engagiert, wenn keine direkten Eigeninteressen betroffen sind. Jene Kritiker von

militärischen Friedenseinsätzen, welche das Schweizer Auslandengagement auf

zivile Friedensförderung und humanitäre Hilfe und Einsätze beschränkt sehen

möchten, messen dem Fakt zu wenig Bedeutung bei, dass Wiederaufbau und

Entwicklungshilfe in Krisengebieten in den meisten Fällen auch militärische

Absicherung benötigt.

Der „Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik

der Schweiz“ vom 23. Juni 2010 (SIPOL B 2010) hält bezüglich der Zusammenarbeit

mit anderen Staaten und internationalen Organisationen folgende Strategie für die

Zukunft fest: Die Schweiz wolle an ihrer dauernden und bewaffneten Neutralität

festhalten, jedoch stelle diese kein Hindernis für umfassende sicherheits- und

verteidigungspolitische Kooperationen dar. Die Ausnahme dazu bilde die

Mitgliedschaft in einer Militärallianz wie der NATO. Bei der multilateralen

Zusammenarbeit stehe für die Schweiz die Kooperation im Rahmen der UNO, mit der

EU und mit der NATO (in der Partnerschaft für den Frieden) im Vordergrund. Die in

292

Vgl. Diggelmann Oliver, Wie viel Neutralität können wir uns noch leisten?, In: Zeit Online, 4. August 2011,

http://www.zeit.de/2011/32/CH-Neutralitaet (29. Mai 2012). 293

Vgl. Lezzi, Kein Konzept in Sicht, 28.

128

Kapitel 3.3.4 besprochenen Aussagen von Exponenten der Armee im Vorfeld der

Atalanta-Abstimmung lassen darauf schliessen, dass eine Mehrzahl der Armeekader

eine verstärkte internationale Zusammenarbeit im militärischen Bereich begrüssen

würde. Der Bericht des Bundesrates spricht weiter davon, dass sich aufgrund des

zunehmend grenzüberschreitenden Charakters von Bedrohungen eine vermehrte

Beteiligung der Schweiz an der internationalen Gewährleistung von Sicherheit

aufdränge.294 Der Bundesrat skizziert in diesem Zusammenhang die Gefahr, welche

durch Auflösungsprozesse staatlicher Strukturen (vgl. „failed states“) von einer

wachsenden Anzahl von Staaten ausgehe: Die Folgen solcher struktureller Defizite

könnten sich in verminderter Sicherheit bei humanitären Operationen auswirken;

andererseits hätten diese auch Konsequenzen für die Sicherheit und Wohlfahrt

anderer Staaten. Dies etwa durch Flüchtlingsströme, die Beeinträchtigung der

Energie- und Rohstoffversorgung oder kriminelle Netzwerke, die in „failed states“

vereinfacht Fuss fassen können. Der SIPOL B 2010 erwähnt in diesem Punkt die

Möglichkeit von militärischen Assistenzdiensten im Ausland im Rahmen

internationaler Polizeieinsätze.295

Die eben beschriebene Bedrohungslage und die dazu vorgeschlagene

Gegenmassnahme entsprechen im Prinzip exakt der Beschaffenheit von EU-

NAVFOR Atalanta. Obwohl Atalanta an keiner Stelle im Sicherheitspolitischen

Bericht erwähnt wird, lässt dies den Schluss zu, dass eine Mehrheit der Exekutive,

trotz der im Nationalrat gescheiterten Teilnahme, zukünftig an Einsätzen dieser Art

teilnehmen können möchte. SIPOL B 2010 definiert dabei mögliche

Zusammenarbeiten mit anderen Staaten und internationalen Organisationen, welche

dem Konzept einer aktiven Neutralität entsprechen. Was bleibt, sind die politischen

Realitäten, die in der Legislative herrschen. Der Bundesrat hat bereits in

vorhergehenden sicherheitspolitischen Berichten ähnlich lautende aussen- und

sicherheitspolitische Strategien aufgeführt. Dessen ungeachtet war das Bild bei den

entsprechenden politischen Debatten zumeist von divergierenden politischen

Ansichten, von Ängsten und abwartend, zögerlichem Handeln einer Mehrheit der

294

Vgl. Bundesrat der Schweiz, Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik

der Schweiz (SIPOL B 2010), 23. Juni 2010, in: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2010/5133.pdf (21. Juni 2012),

28-29. 295

Vgl. Bundesrat der Schweiz, Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik

der Schweiz (SIPOL B 2010), 23. Juni 2010, in: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2010/5133.pdf (21. Juni 2012),

55.

129

Volksvertreter geprägt. Es stellt sich die Frage, ob zukünftig politische Mehrheiten für

eine generelle gesetzliche Verankerung oder nur schon der Beschluss einzelner

bewaffneter Assistenzdienste oder Friedensmissionen der Armee im Ausland

zustande kommen können.

Es ist dies nur möglich, wenn sich ein Teil der politischen Linken und/oder Rechten in

jener Frage für einen verstärkten parteipolitischen Pragmatismus entscheiden. Wer

die dafür wohl notwendige Überzeugungsarbeit machen kann und will steht

momentan offen. Eine Schlüsselrolle in einer möglichen aussenpolitischen Öffnung

könnte auch den Beziehungen zur EU beikommen: Ein im Juni 2011 von der SVP

mittels einer Motion geforderte Rückzug des auf Eis gelegten EU-Beitrittsgesuchs der

Schweiz aus dem Jahr 1992 wurde im Hinblick auf mögliche Irritationen und eine

falsche Signalwirkung vom Ständerat deutlich abgelehnt.296 In Form der bilateralen

Verträge und des autonomen Nachvollzugs von EU-Recht findet seit Jahren eine

schrittweise Annäherung der Schweiz an die Europäische Union statt. Ein EU-Beitritt

scheint momentan zwar in weite Ferne gerückt, gute Beziehungen und eine enge

Zusammenarbeit in einer Vielzahl von Bereichen bleiben für die Schweiz jedoch von

vitalem Interesse. Es ist möglich, dass sich jene bereits vorhandene Annäherung und

Zusammenarbeit einst auch im Bereich der aussenpolitischen Kooperation verstärkt

niederschlagen wird.

Fest steht, dass sich die Schweiz in absehbarer Zeit für einen eindeutiger definierten

aussenpolitischen Kurs entscheiden muss. Das politische Hin und Her in der Sache

beansprucht und verschleisst innenpolitisch viel Kraft und Zeit. Aus aussenpolitischer

Perspektive wäre ein klares, auf internationale Kooperation ausgelegtes aussen- und

sicherheitspolitisches Leitbild für das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Schweiz

im Ausland von grossem Vorteil. Zusätzlich könnte mit einem vergrösserten

Erfahrungsschatz für die Armee und vor allem auch verstärkter internationaler

Solidarität gegenüber der Schweiz in politischen und sicherheitsrelevanten

Notsituationen gerechnet werden.

296

Vgl. Tagesanzeiger, Ständerat gegen Rückzug des EU-Beitrittsgesuchs, in: Tagesanzeiger Online, 6. Juni 2011,

http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/ standard/Staenderat-gegen-Rueckzug-des

EUBeitrittsgesuchs/story/31559095 (25. Juni 2012).

130

6. Bibliographie 6.1 Primärquellen

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in: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4811/306875/d_n_4811_306875

_307051.htm (26. April 2012).

• Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat.

Herbstsession 2009, Nationalratssitzung vom 15. September 2009, 1555-

1562, in: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4811/308344/d_n_

4811_308344_308553.htm (26. April 2012).

• Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat.

Herbstsession 2009, Nationalratssitzung vom 16. September 2009, 1563-

1571, in: http://www.parlament.ch/ab/frameset/f/n/4811/308884/f_n_4811_

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• Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat.

Herbstsession 2009, Nationalratssitzung vom 24. September 2009, 1761-

1767, in: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4811/310868/d_n_4811

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• Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat.

Herbstsession 2009, Ständeratssitzung vom 8. September 2009, 805-816, in:

http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/s/4811/306539/d_s_4811_306539

_306556.htm (19. April 2012).

• Amtliches Bulletin, Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat.

Herbstsession 2009, Ständeratssitzung vom 22. September 2009, 929-930, in:

http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/s/4811/309848/d_s_4811_309848_309

849.htm (2. Mai 2012).

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• Bundesrat der Schweiz, Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung

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• Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA),

Botschaft zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee im

Assistenzdienst im Ausland zur Unterstützung der Operation NAVFOR

Atalanta der Europäischen Union sowie zur Revision des Bundesgesetzes

über die Armee und die Militärverwaltung, in Medienmitteilungen des

Bundesrates, 23. April 2009, http://www.eda.admin.ch/eda/de/home

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143

Anhang 1

Karte: Die politische Situation in Somalia, Stand 2 5. Mai 2012

Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Somalia_map_states_regions_districts.png

Legende :

• Blau : Federal Republic of Somalia (Übergangsregierung und Verbündete)

• Orange: Republic of Somaliland

• Grau: Islamic Emirate of Somalia (Shabab-Miliz)

• Purpur: Autonome Republik Khatumo

144

Anhang 2

Chronologische Übersicht über den politischen Proze ss im Zuge der Atalanta-

Vorlage und der MG-Revision

2. Dezember 2008 Die Schweiz erhält vom damaligen Generalsekretär der Europäischen Union Javier Solana ein offizielles Schreiben, in welchem die Schweiz um einen Beitrag zu EU-NAVFOR Atalanta gebeten wird.

27. Januar 2009 Hochrangige Schweizer Diplomaten informieren an einer Pressekonferenz dass sich die Schweiz mit eigenen Militärverbänden an EU-NAVFOR Atalanta beteiligen möchte.

25. Februar 2009 Der Bundesrat bewilligt unter Vorbehalt der Zustimmung der Eidgenössischen Räte einen Assistenzdienst zur Unterstützung von EU-NAVFOR Atalanta. Der Bundesrat beauftragt darauf das EDA zusammen mit dem VBS ein Abkommen mit der EU über eine Schweizer Beteiligung an Atalanta auszuhandeln.

22. April 2009 Der Bundesrat veröffentlicht seinen Bericht zum Bundesbeschluss über die Beteiligung an EU-NAVFOR Atalanta sowie der geplanten Militärgesetz- revision.

11. und 13. Mai 2009 Anhörung der Parteien und Verbände zur geplanten Änderung des Militärgesetzes (Vernehmlassung).

11. Juni 2009 Sitzung der APK des Nationalrats zur Beteiligung an Atalanta und der Militärgesetzrevision. Anträge: Atalanta-Vorlage: Nichteintreten, MG-Revision: Nichteintreten.

15. und 16. Juni 2009 Sitzungen der SiK des Nationalrats zur Beteiligung an Atalanta und der Militärgesetzrevision. Anträge: Atalanta-Vorlage: Eintreten, MG-Revision: Nichteintreten.

145

18. Juni 2009 Sitzung der APK des Ständerats zur Beteiligung an Atalanta und der Militärgesetzrevision. Anträge: Atalanta-Vorlage: Eintreten, MG-Revision: Nichteintreten.

25. und 26. Juni 2009 Sitzung der SiK des Ständerats zur Beteiligung an Atalanta und der Militärgesetzrevision. Anträge: Atalanta-Vorlage: Eintreten, MG-Revision: Nichteintreten.

8. September 2009 Verhandlung im Ständerat über die Beteiligung an Atalanta und der Militärgesetzrevision. Atalanta: Ja, MG-Revision: Nein.

9. / 15. und 16. September Verhandlungen im Nationalrat über die Beteiligung an Atalanta und der Militärgesetzrevision. Atalanta: Nein, MG-Revision: Nein. MG-Revision somit definitiv abgelehnt.

22. September 2009 Sitzung der SiK des Ständerates zur Beteiligung an Atalanta. Antrag: Eintreten.

22. September 2009 Verhandlung im Ständerat über die Beteiligung an Atalanta. Entscheid: Ja.

24. September 2009 Sitzung der SiK des Nationalrats zur Beteiligung an Atalanta. Antrag: Nichteintreten.

24. September 2009 Verhandlung im Nationalrat über die Beteiligung an Atalanta. Entscheid: Nein. Atalanta-Vorlage somit definitiv abgelehnt.

146

Anhang 3

Art. 69 und Art. 70 des Bundesgesetzes über die Arm ee und die

Militärverwaltung vom 3. Februar 1995 (Stand am 1. Januar 2011)

Quelle: http://www.admin.ch/ch/d/sr/5/510.10.de.pdf

147

Anhang 4

Die politischen Kräfteverhältnisse in National- und Ständerat während der 48.

Legislaturperiode (2007-2011)

Quelle: http://www.parlament.ch/d/organe-mitglieder/bundesversammlung/fraktionen/fraktionen-48-legislatur/Seiten/default.aspx

148

Anhang 5

1. Abstimmungsprotokoll der Nationalratssitzung vom 16. September 2009

Quelle: http://www.parlament.ch/poly/Abstimmung/48/out/vote_48_2870.pdf

2. Abstimmungsprotokoll der Nationalratssitzung vom 24. September 2009

Quelle: http://www.parlament.ch/poly/Abstimmung/48/out/vote_48_3025.pdf

Legende :

• S : Sozialdemokratische Fraktion • RL : FDP-Liberale Fraktion • V : Fraktion der SVP • BD : BDP Fraktion • CEg : CVP/EVP/GLP • G : Grüne Fraktion

149

150

151

Anhang 6

Artikel in der Wochenzeitung: „Klimmzüge für Calmy- Rey“

(27. August 2009)

Quelle:

Hanimann Carlos, Klimmzüge für Calmy-Rey, in: Die Wochenzeitung (WOZ), 27.8.2009, http://www.woz.ch/0935/mission-atalanta/klimmzuege-fuer-calmy-rey (14. März 2012).

152

153

154

155

Lebenslauf des Autors Oliver Rölli

Grossweidstrasse 12

6010 Kriens

Geburtsdatum: 8. Juli 1984

Geburtsort: Luzern

Ausbildung:

- Master in European Studies, Universität Fribourg seit Februar 2009

Dreisprachiges Studium: Deutsch, Französisch, Englisch

Spezialisierungsbereiche: Wirtschaft, Geschichte

Kleines Nebenfach: Medien- und Kommunikations-

wissenschaften

September 2010–Januar 2011: Auslandsemester an der Universität

La Réunion, Frankreich

- Bachelor in Medien- und Kommunikationswissenscha ften, 2005-2009 Universität Fribourg

Grosses Nebenfach: Zeitgeschichte

Kleines Nebenfach: Betriebswirtschaftslehre

Bachelorarbeit zum Thema: Social-Communities. Eine nutzerbezogene Untersuchung von StudiVZ und Facebook bezüglich des Nutzungsverhaltens, der Nutzungsmotive und der Thematik des Daten- und Privatsphärenschutzes

- Gymnasiale Matura in Latein 1997-2004

Kantonsschule Alpenquai Luzern

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Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich meine Masterarb eit selbständig und ohne

unerlaubte fremde Hilfe verfasst habe

Ort, Datum: Unterschrift:


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