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FREUD - Einstieg (Eine Einführung in die Psychoanalyse)

Date post: 19-Nov-2023
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E I N S T I E G Sigmund Freud 1938 ( im Alter von 83 Jahren )
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1

E I N S T I E G

Sigmund Freud 1938 ( im Alter von 83 Jahren )

2

Kulturgeschichte der Menschheit

Einführung der moralischen Gebote und Verbote

„Primitivgesellschaften“ („Patriarchat“)

religiöse Weltsicht

Heutige Klassengesellschaft

Umkehrung der Machtverhältnisse

Unterwerfung und Monogamisierung der letzten Urhorde. Beginn der Herrschaft

von „Priester-Königen“

Zauberer und Hexer

Orpheus, der Priester und Magier

Kultur-Dualismus

Philosophie (dialektische Hinter-fragung der totemischen Weltsicht)

gegenüber Ausbruch des narzisstischen Syndroms

Totemische Weltsicht

‚Tabus‘ / Strafangst / Besessenheit

animistische Weltsicht

„Goldenes Menschenalter“

Urleben der Menschheit in Horden von 2 Geschlechtergruppen

Überbevölkerungskrise Chronifizierung der Ur-Politik

„Titanische Ordnung“

Monogamisierung der rebellischen Mannschaften

Z e r s t ü c k e l u n g O r p h e u s' Verpaarung Epimetheus mit Pandora, Enkidu mit Shamkat, Adam mit Eva

Leben in Geneas

Mischung zweier Daseinsformen: eine aus führenden Mannschaften und

eine andere aus unterworfenen ‚Familien‘ (narzisstische Menschen)

Sintflut-Mythen

Verinnerlichung der Vertragsbestimmungen

Massenvermehrung der ‚Familien‘

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Vorwort Diese Arbeit ist dadurch entstanden, dass Silvia für ein Pflichtseminar eine Arbeit über Entwicklungspsychologie schreiben musste; sie bekam dafür einen Berg von Abzügen aus der Fachliteratur, größtenteils aus Freuds Werken und Beiträgen von Freudianern und seiner Gegner, aber kein Konzept über die Freud’schen Lehren, anhand dessen sich all dies Material hätte untersuchen und beurteilen lassen. Scheinbar hätten die Seminarteilnehmer sich dieses Konzept selbst erarbeiten sollen, eine Zumutung in Anbetracht der kurzen Zeit eines Semesters, bei dem viele andere Seminare und Vorlesungen dazu belegt und verarbeitet werden mussten! So versuchte ich – anhand Abzügen aus Arbeiten, in denen ich mich im Laufe der Jahre mit Freuds Denkweise auseinandergesetzt habe (dank dessen ich selbst nach und nach solch ein Konzept erwarb) – einen Einstieg in sein Denken zu improvisieren. Dieser Versuch erwies sich als schwieriger als gedacht, denn nicht nur mussten jene Teile meiner Abhandlungen gesucht und gewählt werden, die die jeweilige Arbeitsthese zusammenfassten, sondern fehlten auch geeignete Überbrückungen für diese aus dem Zusammenhang gerissenen Kostproben... Eigentlich sind bereits viele und sehr gute Einführungen über Freud geschrieben und veröffentlicht worden, sie alle sind aber für jemand, der sich schnell einen Überblick zu verschaffen wünscht, viel zu aufwändig. Mein Vorhaben, einen vollständigen jedoch kurzen Überblick der Theorien Freuds herzustellen, erwies sich aber auch als illusorisch, weil Freud ein vielseitiger Forscher und Denker war, der kaum ein Gebiet des menschlichen Geistes unbeachtet ließ, so wurden meine Kostproben derart zahlreich, dass ich sie zusammenfas-sen musste, um das Vorhaben dieser Arbeit zu wahren. Das Ergebnis scheint immer noch viel zu aufwändig, so bitte ich Dich, mir zu sagen was entbehrlich sei, um es wirklich brauchbar zu machen. Nun, mittlerweile hat Silvia – mehr Dank unserer wörtlichen Auseinandersetzungen beim gemeinsamen Lesen des Materials – ihre Seminararbeit bereits geschrieben und bestanden. Da ich aber wiederholt von Leuten, die sich mit Freud zu befassen wünschten, gefragt wurde, mit welchem seiner Werke sie beginnen sollten, wusste ich ihnen immer noch nur ‚Den Mann Mosis‘ oder ‚Der Witz‘ zu empfehlen, nicht ohne Vorbehalt, weil Freud selbst so gut wie alle seine früheren Werke nach und nach revidierte, seine Ansichten entwickelte und gar verwarf, was ohne Lektüre einer Einführung unverständlich geblieben wäre, so nahm ich mir jedes Mal vor, selbst einen geeigneten Einstieg in Freuds Werke zu schreiben, ohne dass ich w. g. dazu kam, bis Silvia mir Gelegenheit bot, dies Vorhaben endlich in Angriff zu nehmen. Die für Silvia improvisierte Sammlung habe ich nun revidiert, illustriert, kleine Beiträge geschrieben, die den Zusammenhang zwischen ihren Teilen herstellen, und dabei überraschende wichtige Erkenntnisse gewonnen, die mir große Freude verschafft haben und die ich hiermit Deinem Urteil unterstellen möchte. So habe ich beschlossen, diese Arbeit mit einer Widmung für Silvia zu schließen.

Silvia, die mich zu dieser Arbeit veranlasste,

dankerfüllt gewidmet.

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Einstieg (Biologische Wurzel der Psychoanalyse vs. naturfeindliche Gesellschaft) ……..................................…..................................

Der Seelisch Belebte Einzeller (Urmodell der 3 Instanzen und ihrer Triebkraft, Libido) …......……......................................

Doppeltheit der Lehre (Metapsychologie und Weg zur Erschließung des Unbewussten) …………...........................................

Lebens- und Todestrieb (Das synthetisierende und analytische Prinzip der Libido) …………...................................................

Entstehung des Kosmos und des Lebensmoleküls (Protoplasma) ………………………………….……...................

Anatomie der Seele (Aufbau und Beziehung von Es, Ich und Über-Ich) ……………………………......................................

Der Einzeller und seine seelischen Superstrukturen (Neurologie der Instanzen) …….……........................

Evolution des Protoplasmas zur Urzelle, weitere Zunahme der Komplexität …………………............

Physiologie und Metaphysik der Seele ……………………………………………………………………………..……………….............

Der Geistkomplex (Wissbegierde; Wissenschaft; Philosophie; Mystik; Technik; Kunst) ………………………...................

Die 5 körperlichen Bedürfnisse (Lust, Ernährung, Sozialität, Sexualität, Souveränität) ....................................... Die Dreifache Entwicklung des Homo sapiens (Reifung von der Geburt bis zur Adoleszenz) ……………....

Das Goldene Menschenalter (Leben in Horden von 2 Geschlechtergruppen, ihre Kulturen) …....…....................

Ursprung des Totemismus in den politischen Bündnissen der Urmenschheit ………………................

Ursprung der Familie und ihrer patriarchalischen Gesellschaftsformen ……………………………................

Zusammenfassung (ergänzt um das Selbstportrait eines urpolitischen Bündnis) ………............................................

Narzissmus – Was ist das? (Auseinandersetzung mit Béla Grunberger) ………..………………….................................. Vorwort. Vorgeburtliche äußere u. innere Wahrnehmung. Positive und negative Geburtserfahrungen. Bewusstwerdung des ozeanischen Gefühls (61). Das Problem der Libido-Besetzung. Daseinskampf des Neugeborenen: Glück und Leid. Sadismus und Autosadismus: das sog. Böse (62). Narzisstische ES- und narzisstische ICH-Fixierung. Das Haben- und Sein-Problem. Das Monogamie-Problem (64). Das Mythen-Auslegungs-Problem. Das Aggressions-Problem. Verewigung des Sündenfalls. Verewigung der Sündflut (69). Medaias Plädoyer. Die Rolle des Vaters. Narzisstischer Schamanismus.

Das Problem der Totemisierung Narkissos (4 historische Stufen der Versittlichung) ……..................................

Symbol-Lehre (Mythen-, Traum-, Kunst- und Sprachauslegungsmethode) ………..…………….........................................

Komplexität der Mythen (Ergänzung der Struktur-Methode Lévi Strauss‘) ……………………….................................

Mythen- und Traumdeutung: Vergleich …………………………………………………………………………….…………….................

Thebanische Mythen (Vorgeschichte der Oidipus-Dynastie) …………………………………………………...............................

Der Kajin-und-Habel-Mythos (analoge biblische, sumerische und griechische Mythen) ..................................... Die psychische Entartung des Gesellschaftsmenschen (7 Hauptsünden, 7 Tugenden) …........................

Auslegungskriterium der patriarchalischen Mythen …..............…….…………………..................................................... Der Regressionsdrang, am Beispiel Anubis und Narzissos (106)

Nachtrag zur Auseinandersetzung mit Grunberger. Rolle der Aufklärung (109) …………….................................... Zweideutigkeit des Vermächtnisses Freuds (111). Warum B. Grunberger es ignoriert (114) Skizze einer therapeutischen Nachreifung. 115: Was ist eine Horde ………......................................................... Der Oidipus-Mythos, 1. und 2. Mythenkomplex ……………………………………………………..……....................................

Auseinandersetzung mit Christiane Oliviers Die Kinder Jokastes ……………………………….....….……............

Freuds Auffassung des Oidipus-Komplex‘ ………………….....................................................….……………………..................... Der Laios-Komplex. Freuds Sexual-Lehre (130). Inzest-Spekulationen Grunbergers und Ilona Kaminers (132). Die Narzisstische (!) Reife. Zusammenfassende Betrachtung

Historisch-anthropologischer Rückblick …………………………………………………………………………………………………………............

Der 3. Myhtenkomplex. Entstehung des Patriarchats ……………………………………..………………………..……………..............

Traumdeutung und Therapie, Orpheus und Freud ……………………………………………………………………………………..............

Schlusswort …………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………............

K a p i t e l ü b e r s i c h t

5 6 7 8

11 16 20 22 26 28 30 37 44 46 50 55

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71 79 80 85 89 92 95 104

107

116 118 120 127

134 138 144 151

1.

2.

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„Freud“

E I N S T I E G Die beiliegenden Graphiken und Abhandlungen sind aus verschiedenen Anlässen nach und nach entstanden und entwickelt worden. Hierbei habe ich mir vorgenommen, mit ihnen eine Einführung der Freud’schen Lehre zu beginnen, die sich – wie alle meine bisherigen Arbeiten – auf dem Wege einer Diskussion mit den Fragenden und gemäß der Infragestel-lung ihrer Interessen entwickeln soll... Diese Einführung beginnt nicht wie üblich mit dem Model der menschlichen Psyche, sondern mit der des Einzellers, weil Freud als Biologe dies Konzept vor der Psychoanalyse entwarf. Er befasste sich nämlich zuerst mit dem Lebens- phänomen, d.h. der vom Protoplasma ausgehenden Evolution des Einzellers und den darin tätigen geistigen Prinzipien, nach und nach mit der Organisation der höheren Arten und erst ganz zuletzt mit den psychischen Entartungsformen unserer patriarchalischen Gesellschaft. So sind seine ursprünglichsten Fragen philosophisch-metapsychologischer Art gewesen, wurden nach und nach mit dem Stand der damaligen Forschung kombiniert und gerieten erst ganz zuletzt in Konflikt mit den Phänomenen unserer pathologischen Gesellschaft, wodurch ein klinischer Ableger in Freuds Lehre erforderlich geworden ist...

Für die erste Frage: Was ist Leben? begab er sich zu der Leib-Seele-Diskussion im antiken Griechenland und ordnete sich schließlich selbst unter die neueren Lebensphilosophen (Kant, Schopenhauer, Bergson) ein. Deren gemeinsame Grundauffassung ist nicht das theologische Model einer den Tod ihres Leibes als ‚reiner Geist‘ überlebenden Seele, sondern Aristoteles‘ Lehre der Seele, die sich in drei aufeinander aufbauenden Entwicklungsphasen strukturiert: 1- ‚pflanzlich‘ nährend (rezeptiv), 2- ‚animalisch‘ durchsetzungsfähig (aggressiv) und 3- ‚menschlich‘-wissbegierig. Als Biologe hat er dies Model mit den Erkenntnissen Darwins und Mendels ergänzt, als Arzt aber verwarf er die offizielle Psychiatrie, um anstelle ihrer Symptombehandlung die psychoanalytische Ursachenforschung zu entwickeln, und als Soziologe fragte er nach dem Ursprung der Moral und suchte in den zeitgenössischen Berichten über die totemischen Primitivkulturen, archäologischen Funden und Mythen nach einem anthropologischen Naturmodel des Zusammenlebens von vor dem Patriarchat, erkannte jedoch nur die Herkunft unserer Gesellschaft aus dem barbarischen Totemismus...

Damit ist das Programm einer Einführung der Freud’schen Lehre skizziert. Um sie den Bedürfnissen und Ansprüchen des Lesers angebracht zu gestalten, will ich aber Deine Kritik, Fragen und Vorschläge abwarten... Hamburg, 2005

2010, Nachtrag: In anschließenden Diskussionen empfanden viele den Einstieg wie aus der Luft gegriffen, so entstand eine weitere Abhandlung, die Christliche Ethik und Glaube. Ausgehend von der Annahme, dass Doktrinen wie die 10 Gebote alle Menschen, die im Bereich solcher Gesellschaften wachsen, beeinflussen (auch dann, wenn ihre Erziehung rein atheistisch erfolgen sollte), unternimmt der Autor darin einen ergänzenden Versuch, Vorschriften dieser Art das Muster abzugewinnen, das dem Denken und Handeln der Betroffenen zugrunde liegt. Zweck der neuen Abhandlung ist also, die zur Schablone des ins Über-Ich geprägten Dekalogs passenden, für das manipulierte Ich allgemein verständliche Worte zu finden…

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Sichtweite etwas Geeignetes zu dessen Erfüllung, so hilft es der Seele mit seiner Erkenntnisfunktion, ihre Aggression darauf anzuwenden (zielgerichtete Handlung), wofür der hintere Fortsatz der Zellstruktur dient; entdeckt es dagegen eine Gefahr, dann leitet es die Motorik an, der Bedrohung zu entfliehen (Plus-Minus-Tropismus; Urkine-sis), so steht das ICH im Dienste der Seele bzw. des ES. Zum selben Zweck (Überleben) wie das ICH – der ‚Geist‘ – erschaffen wurde, dient dazu der ‚Körper‘ – von Freud das ÜBER-ICH genannt – als doppelte Kontroll- und Organisationsinstanz sowohl der Umwelt als auch den Forderungen des ES gegenüber... Die eigentlich wahrnehmungsauslegende, schöpferische, nach Deckung ihrer Grundbedürfnisse fordernde und geistig unerschließbare Instanz: die Libido, verbleibt aber sowohl vom Über-Ich als auch vom Ich unabhängig. Sie erfährt von den durch das Ich eingefangenen Wahrnehm-ungseindrücken, legt seine rationalen Problemlösungsvor-schläge anhand immanenter Kategorien intuitiv aus und bedient sich für ihre Mitteilungen des Erkenntnis-drangkanals, zwecks Erfüllung dessen Aufgabe, den ein-zelligen Seelenleib in der Umwelt zu orientieren. Für die Mitteilungen des Nahrungs- und weiterer 4 Grundbedürf-nisse bedient sie sich dagegen der Gefühle, die das Ich – zum Zwecke ihrer Befriedigung – im Handlungsdrangka-nal erreichen. Das Ich-Bewusstsein nimmt diese doppelte Forderung als Wissensdrang (‚geistiger‘ Nous) und ‚körper-liche‘ Aggression wahr und unternimmt das Erforderliche, die Instinkte im Sinne des Lebensprinzips zu lenken; das Über-Ich gibt die Ratschläge seiner in ihm aufbewahrten Umwelt-Erfahrung dazu und bildet mit dem Ich eine harmonische Seele...

Diese Figur stellt das Röntgenbild eines einzelligen Lebe-wesens dar, bei dem die Seele sichtbar gemacht worden ist. Sie besteht zugleich aus einem Geist und einem Körper, der sich in Molekülen aus 4 Atomenarten (C-H-N-O) strukturiert. Sie wird von Freud das ES genannt, ihre Energie auch Libido (Lebenstrieb; Bergsons Elan vital). Mit diesem Protoplasma-molekül begann die Evolution – zuerst des Einzellers und dann der gesamten Belebten Natur. So entstand um das ES herum nach und nach jener psychische Bereich, den Freud das Unbewusste nennt, in dem auch die Erbinformation der Arten aufbewahrt und bei der Vermehrung weitergegeben wird... Das Lebensprinzip der Libido – an sich dimensionslos uner-gründlich – steckt verborgen vor aller Vorstellbarkeit, ist hier aber symbolisch mit dem ES gleichgesetzt worden. In diesem Kern des Einzellers sind auch seine geistigen und körperlichen Anlagen (Realitätswahrnehmung + aggressive Grundinstinkte), die für das Überleben in einer feindlichen Umwelt notwendig sind, verankert. In der Zeichnung sind die Vorstufen unserer zur Umwelt gerichteten 5 Sinne angedeutet: Die beweglichen vorderen Zangen sind opto-akustisch -, geruchs- und geschmacks-sensibel und haben eine doppelte Funktion: Erkundende Wahrnehmung der Umwelt, und selektive Unterscheidung der stofflich-energetischen Faktoren, die für die Deckung der Grundbedürfnisse (Nahrung) und die Sicherheit des Einzeller optimal zu sein scheinen. Als 5. Sinn (Haut) und zugleich Mittel der Darstellung des ICH-Bewusstseins, dient die gesamte äußere Hülle der Zelle. Das Ich steht also in unmittelbarem Kontakt zur Umwelt und in Beziehung zum Unbewussten. Beginnt ihm von dort eines der Grund-bedürfnisse bewusst zu werden und entdeckt es draußen in

Der Seelisch Belebte Einzeller

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Eigentlich ist Freuds Lehre doppelt

Die eine Seite: Metapsychologie genannt, ist rein theoretisch-philosophischer Art. Sie befasst sich

- mit dem Lebensprinzip, das er Triebenergie – auch Libido – genannt hat, - mit dem ES, bzw. der Seele als molekular konkret gewordene Triebenergie, und zugleich - mit dem Geiste (ICH) und Körper (ÜBER-ICH) als den 2 immanenten Instanzen der Seele.

Seine wichtigste Leistung aber stellt die Entdeckung einer Auseinandersetzungsmethode mit dem Unbewussten dar, das dem Ich-Bewusstsein ähnlich unzugänglich ist wie die intrazellularen Vorgänge, das sich ihm jedoch anhand seiner noumenalen Botschaften – verkleidet zu Träumen, Einfällen und „Erleuchtungen“ – spontan offenbart. Das Unbewusste teilte Freud in zwei Gebiete: Das eine nannte er das Vorbewusste, ein Bereich, der auch als persönliches Gedächtnis bezeichnet wird, weil in ihm alles vom individuellen Ich selbst Erlebte aufbewahrt und aus der Sphäre unmittelbarer Wahrnehm-barkeit ‚verdrängt‘ liegt, das aber willentlich hervorgeholt werden kann (Erinnerung) oder eigenmächtig aus ihm emportaucht, um sowohl die Handlungsimpulse des Es – die Primärinstinkte – als auch die Ich-eigenen Wünsche anhand seiner gesammelten Erfahrung zu testen, die Wünsche und Instinkte mit Warnungen begleitend, sofern sie problematisch waren, oder gar ganz geheim haltend (Verdrängung), weshalb dies persönliche Gedächtnis vom Ich spontan als mächtiger als es selbst – als das Über-Ich – empfunden wird...

Den anderen, scheinbar unergründlichen, ‚abgründigen‘ Bereich nannte Freuds Schüler C. G. Jung treffend das Kollektive Unbewusste, denn in ihm bewahrt die Seele alle Erfahrungen auf, die sie seit der Entstehung des Kosmos erlebt hat. Die ursprünglichsten dieser die Generationen übergreifend durchdringenden, ihre Vergänglichkeit wie Perlen auf einer ewig dauernden Schnur fädelnden Erfahrungen (s. Bergsons La durée), befassen sich also mit der Entstehung der atomaren Kernbausteine aus dem ‚Nichts‘, ihrer Verschmelzung in explodie-renden Sternen und der Zusammenballung des ins All gesäten Sternenstaubs zu Planeten und komplexesten Molekülen, so ist berechtigt, die Materie selbst als ‚kondensierte‘ Umwelterfahrung aufzufassen, als Sonderform des Gedächtnis... Eine weitere spezielle Abteilung dieser Sammlung überlebensnotwendiger Erfahrungen findet sich kodiert im Inneren des DNA-Moleküls, das bei jeder Zellteilung zur nächste Generation weitergegeben wird, weshalb man diese Art Wissen auch als Erbinformation bezeichnet… Mit einer kleinen Betrachtung der Entstehung der belebten und unbelebten Naturen (eine den Philosophen im alten Griechenland unbekannt gewesene Unterscheidung) beginnt nun Teil 1 dieser Einführung, gefolgt vom Entwurf der Zelle durch das Protoplasma und ihrer weiteren Evolution zu verschiedensten Arten von Organismen und abgeschlossen mit einer Theorie der Entwicklung des Homo sapiens, die nur dann einwandfrei verlaufen kann, wenn das Kind in der arteigenen Beziehungswelt geboren wird, darin wachsend und verbleibend. So betrachtet, dient diese anthropologisch-metapsychologische Theorie als Übergang zum 2. Teil vorliegender Sammlung. In diesem Abschnitt geht‘s schwerpunktmäßig nicht mehr um die gesunde Entwicklung der Geschlechter, sondern um ihre Entartung infolge moralischer Erziehung und narzisstischer Fixierung* seit Einführung der Monogamie, so befasst er sich mit unserer patriarchalischen Gesellschaft, mit dem pragmatisch wie theoretisch fundierten Pathologieabteil in Freuds Lehre und seiner wegweisenden diagnostischen Methode: die Traum- und Mythendeutung – Voraussetzung der heilenden Therapie...

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/* Das Narzissmus-Phänomen (urkannibalisches Zehren von Artgenossen) ist zwar angeboren – insofern ebenso naturgemäß wie der Todestrieb (s.u.). Wenn aber das Kind – wie in unserer Gesellschaft – keine Grundsicherheit von der Mutter vermittelt bekommt, dann erschüttert sie das Urvertrauen seines Ichs in das keimende Eigenständigkeitsvermögen und zerstört es gar ganz, sobald das Kind aus Mangel an der für die natürliche Entwicklung unverzichtbaren Kindergruppe in der Oralphase stecken bleibt, wo sich der ‚Urparasitismus‘ – Suche nach Hilfe, Versorgung und Rückhalt durch und in einem anderen Menschen (Regress zurück ins ozeanische Geborgenheitsgefühl) – zu einem lebenslänglichen Syndrom chronifiziert. Der Antagonismus des Lebens- und des Todestriebes Eros und Thanatos hat auch zwei Aspekte: einen metapsychologischen (natürlichen) und den pathologisch-/gesellschaftlichen; seine Erörterung gehört jedoch grundsätzlich zum 1. Teil dieser Untersuchung... Maßgeblich scheint der Drang des Ichs, die jeweilige Lebenslage analytisch zu durchleuchten (Thanatos), um über die auslegende Synthese (Eros)1 zur Realitätserkenntnis zu gelangen. Dieser Komplementarität liegt jedenfalls die unbestreitba-re Tatsache zugrunde, dass das Protoplasma ständig innere Energieverluste erleidet, weshalb es genauso unaufhörlich darum ringt, sie aus seiner Umgebung zu ersetzen. Dies führte zum aggressiv-kämpferischen Grundverhalten des Lebensmoleküls (Es) und dies zur Herausbildung seiner Instanzen: geistiges Ich (Bewusstsein) und körperlich-motorisches Gedächtnis (Über-Ich), deren gemeinsame Aufgabe ist, die Es-Impulse so zu lenken, dass ihnen – statt in Kollision mit den umgebenden, wohlmöglich tödlichen Phänomenen zu geraten – gelingt, die begehrte Energiemenge einzuverleiben.

1 Eine Erwägung aus Das Ich und das Es, die Freuds Anschauung bzgl. beider Begriffe auf‘s Wesentlichs-te zusammenfasst: Auf Grund einiger aus der Biologie gestützter Überlegungen unterstellten wir einen dem organisch Lebenden innewohnenden Todestrieb, dem die Aufgabe zukommt, es in seinen anorganisch-leb-losen Urzustand zurückzuführen, während der Eros das Ziel verfolgt, das Lebende durch immer weitergreifende Zusammenfassung seiner in Partikel zersprengten Substanz […Evolution der Arten] zu erhalten. Beide Triebe erstreben die Wiederherstellung eines […] gestörten Zustandes […wirken der Entropie, Zersetzung entgegen]. Das Leben selbst wäre also ein Kampf und Kompromiss zwischen beidem.

In der Schrift Jenseits des Lustprinzips weist Freud auf die tiefe Übereinstimmung seiner Libido- mit Platons Eros-Theorie hin. Den Eros kennzeichnet ein Begehren, das immanent schöpferisch sein muß, animistisch gesagt: ein großartiger Jäger. Dieser Gedanke führt noch weiter zurück, und zwar zu Heraklit, in dessen Abhandlung – neben Anderem, das zweifellos der Metapsychologie angehört – das gewichtige Wort zu lesen steht: Des Bogens Name ist Leben, sein Werk der Tod. In diesem Aphoris-mus spielt der Autor mit der seinen Kulturgenossen geläufigen doppelten Bedeutung des Namens „bios“: Leben und Bogen (Waffe). Das bi deutet zur Eigenschaft der Hölzer und Sehnen (Gerade-Krumm; aller Dualismen), Energie speichern als auch wieder freisetzen zu können: wider einander gehen sie zusammen, auseinander fügen sie sich der schönsten Ordnung. Demnach ist Leben ein Werkzeug (Organon), das sich seines Hungers wegen unlustvoll spannt und lustvoll zur Entspannung gelangt, indem sein tödlich treffender Pfeil die Beute von ihrem Leben (Fluchtvermögen) trennt, dem Bogen die Sättigung ermöglichend... Bios und Libido stellen also Synonyme derselben Energie (Feuer) dar. Sie vermag Objekte gezielt zu zerlegen (Analyse, Thanatos; eigentlicher Todestrieb [ob geistig oder bei der Verdauung]), um an das begehrte unter den verschiedenen Teilen zu gelangen, das sie ihrem Bogen ‚synthetisch‘ integriert (Lebenstrieb-Aspekt der Libido; eigentlicher Eros) …

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Aus dem Ringen des Protoplasmas gegen seine inwendige Zerfallstendenz mittels Absorpti-on umgebender Energiewellen (Stoffwechsel) besteht nun der Daseinskampf. Freud sah darin aber kein bloß materielles Phänomen, sondern verankerte die antagonistischen Kräfte metapsychisch auf der Unveränderlichkeit des Schöpferischen Prinzips – ein Nichts, sofern unternommen würde, die Libido aus der rein physiologischen Perspektive zu betrachten. Demnach strebt die ganze Schöpfung in den Urzustand ihrer Energie vor dem Beginn des Werdens zurück und offenbart es sich in den geistigen, Ernährungs- und Wachstumsphäno-menen der lebendigen Zelle, doch darf dies Vermögen nicht mit dem oral-narzisstischen Regressionsdrang des Gesellschaftsmenschen in einen Topf geworfen werden, wie manche Kommentatoren Freuds machen, glaubend, beide Thesen wären zu vereinigen. Freud selbst hatte es versucht. Um die Herkunft der widernatürlichen, destruktiven Phäno-mene umfassend und letztursächlich zu klären – vom narzisstischen Syndrom über neurotische Strafangst hin zum Ödipus-Komplex und sonstiger Entartung –, nahm er nämlich die Möglichkeit eines Irrtums der Natur an, allerdings! ohne hierbei zu versäumen, nach einer vor unserem Patriarchat existierenden Lebensform des Menschen zu suchen, die aus unerfindlichen Gründen abhanden gekommen schien. Diese wichtige Erwägung, zu deren Prüfung er vor allem die Entwicklung einer geeigneten Primatenforschungsmethode forderte, wird ab den letzten Kapiteln des 1. Teils dieser Arbeit betrachtet…

Die Ethologische Primatenforschung konnte viele der metapsychologischen* Hypothesen Freuds als echte Naturphänomene bestätigen, und die Ausgrabung der Megalithkulturen durch Renfrew hat die von Freud angedachte Existenz einer gesunden prähistorischen Lebensform belegt. Gemeinsam mit den Berichten vom Sündenfall und der Verfluchung der Menschheit (psychoanalytische Mythendeutung), ermöglichten diese neuen Erkenntnisse eine Erklärung für den Untergang der urmenschlichen Kulturen und den Übergang zum barbarischen Anfang unseres Patriarchats, die zur Zeit Freuds modische Hypothese der Natur als irrende Urheberin unserer leidensvollen Entartung gegenstandslos machend... /* Zur Metapsychologie der Lehre Freuds gehört die relativitätstheoretische Hypothese von der außergalaktischen Herkunft des Protoplasmamoleküls. Demnach entstand diese Form der Materie unter gänzlich anderen Gravitationsverhältnissen, als in unserer Milchstraße – jedenfalls hier auf Erden – zu entdecken sind. Diese Hypothese ist deswegen erforderlich, weil der Wissenschaft bis heute nicht gelang, Leben aus ‚toten‘ Atomen künstlich zu erzeugen; auch gibt es kein nacktes Protoplasma (Urform des Lebens) mehr auf unserem Planet zu finden. Metapsychologisch ist diese Annahme, weil ihr die Vorstellung zugrunde liegt, dass die Ökonischen, in denen die Dinge entstehen – erst auf deren Verlust sie mit der Veränderung ihrer vorherigen Formen reagieren –, so beschaffen sein müssten, dass sie die infolge quantenmechanischer Reibung (?) inwendig auftretenden Energieverluste instantan befriedigen, den Hunger im selben Moment, da er akut werden wollte (bevor er bewusst wird) kompensierend... Solch' Gleichgewicht zwischen Verlust und sofortigem Ersatz aus umgebenden Quellen (das Lebensmolekül im Kosmos mag von nahen Sternen ‚gewärmt‘ worden sein) nennt man Universale Harmonie, insofern glich das Protoplasma in seiner Urumwelt einem Embryo im Uterus der werdenden Mutter, deren Leib ihrem ‚Parasit‘ alles Notwendige automatisch zur Verfügung stellt. Dieser Urzustand des Lebens ähnelt außerdem einem Kristall, identisch

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der parmenidisch erstarrten Kugel, die ihr Sein, bedürfnislos in sich selbst ruhend, rein geistig genießt – ein Zustand, der erst im Augenblick der Trennung vom immanenten Denken (‚Mutterleib‘; Universale Harmonie) endet: die Wandlung des anorganisch-‚toten‘ Kristalls zum schöpferisch selbstpotenten Plasma beginnt... Eine kosmische Katastrophe mündete nun zur Geburt des Lebens, es in eine lebensfeind-liche Galaxie verschlagend. – Oder stellt die Zunahme der Gravitation auf unserer parallel von sintflutischen Regenfällen erkälteten, einst kochend heiß gewesenen jungen Mutter Erde (- deren in geysirischen Dampfkochtöpfen dick brodelnde Ursuppe es wohlmöglich selbst zusammengebraut hat) das lebensbedrohliche Hindernis dar, das das Plasma zu einem Umweg: seiner die ganze belebte Natur erschaffenden Evolution veranlasste? So oder so: es musste sein auf unsere anfangs wüst und leer gewesenen Erde ‚herabgefallenes‘ Urverhalten ändern, außerdem Werkzeuge wie die Zelle (Quasi-Raumschiff) erschaffen, deren Herstellung energetisch zwar hochaufwendig war und blieb (den Umweg charakterisierend), dabei aber so beschaffen, dass ihm dennoch machbar wurde, die auftretenden Energieverluste derart auszugleichen, dass ihm bis heute die Rückkehr in seinen un-ex-sistierenden Schöpfer gelingt… Der 1. Teil dieser Untersuchung beginnt nun mit Freuds von dieser Offenbarung ausgehen-den Lehre über die Herkunft, Entwicklung und das Streben der lebendigen Moleküle. Sie ist auch doppelt angelegt: Zur Metapsychologie gehört die Betrachtung der Psychischen Reifung des Homo sapiens vom 1. bis 21. Lebensjahr, während sich die Erörterung der Hauptsünden – Paradigma unserer gesellschaftlichen Entartung – im 2. (klinischen) Abteil der Freud‘schen Lehre verankert… Im 1. Teil dieser Arbeit wird nun überwiegend die metapsychologisch naturbezogene, im 2. die patriarchatsbezogene, diagnostisch-therapeutische Theorie Freuds dargestellt…

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1. Entstehung und Evolution des Kosmos und des Lebensmoleküls In der Graphik gegenüber (aus einer Arbeit von 1984) versuchte ich die Entstehung des Lebens mit der kosmologischen These des Urknalls zu vereinigen, der aber nicht – wie von manchen Physikern – als explosiv, sondern als implosiv aufgefasst werden soll: Das Sein ist zwar aus einer Singularität unfassbar- undimensionaler Energie erschaffen, 2

dieser Vorgang bleibt jedoch intern, so scheint der Kosmos ständig weiter zu wachsen ohne das Nichts zu verlassen oder eine konkret fassbare Grenze auszubilden und muss was einmal anfing auch wieder enden. Bis dahin wächst der Kosmos unaufhörlich in dem ihn durchdringenden Nichts, ein schöpferischer Gedanke des Nichts bleibend. Das Nichts beinhaltet 3 Prinzipien: die starre Form (Raum) gegenüber der Dynamik (Zeit), die sich wechselseitig zum evolutionären Prinzip ergänzen. Dies führt zur Entstehung des Energiespektrums hin, in dem aufgrund der zeiträumlichen Dualität 2 Wellenarten existieren (maximal schnell bewegtes Licht und die von Außen beschaut ruhende Materie). Die kosmische Implosion erzeugt partiell weitere Verdichtungen, so verschmelzen sie zu Atomen. Wächst sie noch mehr, verknüpfen sie sich zu Sternen, Planeten und Molekü-len; wird sie schwächer, zerfallen sie. So nimmt das Nichts der schöpferischen Energie ‚Gestalt‘ und verliert sie infolge gravitätischer Schwankungen. 2 Die Libido also, noumenale Quelle unseres phänomenal 4-dimensionalen Vorstellungsweltalls, dadurch aller ‚Dinge‘. Auf die Dynamik einer Kreisbahn (stehende Welle, Wasser) reduziert, ist der undimensionale Anfangs- zugleich der Endpunkt unseres Denkens: das Nichts Quelle und Ziel (Zweckursache) in einem...

^

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Harmonie zwischen belebter und unbe-lebter Natur

Lebensraum bzw. Ökonische der belebten Natur (spezifische „Umwelt“)

Wahrnehmung

Fortbewegungsvermögen Angriffs- und Fluchtinstinkte auf Basis molekularer Eigenbewegung

immerwährendes Verlangen nach Ersetzung der inwendig aufgeriebenen Energie

inwendige Aktivität "geistige Unruhe" (Denken). Forschungs- oder Wissensdrang. "Neugierde"

Das Glück Das Glück

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Wenn es einem Molekül gelingt, seiner Zerfallstendenz durch Einverleibung fremder Energiewellen entgegenzuwirken, dann sagen wir, dass es ‚lebt‘. Dies ist der Fall beim Protoplasma, in dem sich Atome der Arten H, C, N, O auf besondere Weise verbinden: plastisch wie feuchter Lehm und geistig-kommunikativ. Seine sich selbst umformen könnende Lebendigkeit entstammt dem 3. Prinzip, so wäre sinnlos, den Vorgang seiner weiteren Evolution von unserem einem undimensionalen Punkt entspringenden Denken zu unterscheiden. Unser Geist ahmt die evolutiven Prozesse auf abstrakter Ebene nach (wo anderen Arten erst neue Organe ‚mutieren‘ müssen, um in neuen Ökonischen zu überleben, ersinnt der Homo sapiens anhand Phantasie und Logik Werkzeuge), so ist das 3. Prinzip mit dem der Erkenntnis wesenhaft identisch … Die erste geistige Leistung dieses Moleküls bestand daraus, die Notlage, in die es auf unserer Erde geraten war, zu erkennen. Es befand sich nämlich ausgeliefert einer ihm fremden Welt, die ihm die kontinuierliche Zuführung der für sein Dasein erforderlichen Energiemenge verwehrte, so musste es selbst darum ringen, seiner Zerstörung aktiv Widerstand leistend (territoriales Vermögen; träge Masse m). Zugleich wurde ihm bewusst – es wurde Licht –, dass es dazu fähig war. Die Quelle dieses doppelten Vermögens blieb ihm bis heute unerschließbar. Die Erkenntnis: dass beide Gaben bestimmt seien für das Überleben in einer feindlichen Welt, stellt eine eigentümlich ‚philosophische Leistung‘ dar. Wir nennen die erkennende Instanz Vernunft und ihr handelndes Gedächt-nis Verstand – auch Weisheit. Freud nannte das geistige Vermögen Ich-Bewusstsein, den körperlichen Speicher zum Sammeln und Anwenden der Erfahrungen Über-Ich, ihre geheimnisvolle, schöpferische Quelle Libido und deren Offenbarungen Intuition…

Demnach bleibt die Universale Harmonie aufbewahrt im ES, bzw. der Seele, die das erste Geschöpf der Libido und das Gemeinsame der beiden anderen Instanzen ist… In der Antike hat man die Seele Das Wahre, den Leib Das Schöne und den Geist Das Gute ernannt und auf allen drei verankerten sie DAS GLÜCK. Die dementsprechenden Befähi-gungen sind: beim Schönen die Aggression (das Gefühl), beim Guten die Erkenntnis (das Denken) und beim Wahren gilt die Harmonie beider, darin äußere Faktoren miteinbezie-hend. Der Unbewegte Beweger Aristoteles‘ ist in Wirklichkeit also dreifältig und das Nichts, in dem das Sein ‚ex nihilo‘ entsteht, ist lebendig, sonst wäre der Schöpfungsakt nicht geglückt, so nannte Plato das Nichts mit Recht eine reine, farb-, geruchs- und gestaltlose dynamis, die noch über der Idee des Parmenidischen Seins steht. Demnach lebt auch die sog. Unbelebte Natur... Anstoß seiner Selbstbewusstwerdung war nun für das Protoplasma die Gefahr seiner Vernichtung, ebenfalls sein sich meldender Eigenständigkeitsdrang, denn es sich zu handeln gezwungen sah: nicht nur lebt und erkennt das Protoplasma, sondern ernährt es sich auch, indem es umgebende Energiewellen integriert, dadurch wachsend und sich vermehrend. Diese Grundleistungen kennzeichnen also die Lebenstüchtigkeit des Proto-plasmas. Seine Motorik ist – äußerlich gesehen – physikalisch dynamisch (in Wirklich-keit schöpferisch) und sein Denken bezogen zur Realität; die Kreativität des ihn und den Kosmos erschaffenden Nichts hingegen verbleibt rein denkerisch unvorstellbar, noumenal, aber spürbar, ein Gefühl...

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Die lebenserhaltende Dynamik oder Aktivität des Protoplasmamoleküls nennen wir umfassend Verhalten. Es erlaubt ihm die Anpassung zu den wechselnden äußeren Verhältnissen, sich während dessen darin vermehrend – aus beidem entstanden die unterschiedlichsten Arten. Für die Bemächtigung der Energiequellen musste es nämlich zur Realität passende Handlungsorgane entwickeln, sich einen ‚Leib‘ zurechtlegend, der 3 dementsprechende Tätigkeitsgebiete kennt:

- die für die Erkenntnis (Wahrnehmung) der Realität geeigneten ‚Sinnesorgane‘,

- die ‚Gliedmaßen‘ (Pseudopodien), die das konkrete Begreifen und Einverleiben der benötigten Energiewellenpakete (Primärbedürfnisbefriedigung) ermöglichen,

- und jene ‚Organe‘ (Informationspakete), die den Bauplan des Lebewesens bergen. Weil während dessen laufend Anpassungen zu den umgebenden, ihrerseits variierenden Faktoren vorgenommen werden (Mutation + Selektion der ‚Plus-Mutanten = Bildung der Arten), nennen wir diesen Prozess Evolution der Belebten Natur. Das Endergebnis dieser dreifachen Entwicklung ist die Zelle – die eigentliche Krone der Schöpfung... Die Natur erschuf sich nicht nur selbst und konnte sinnvolle Verhaltensanpassungen vornehmen (urkulturelle Leistung), sondern war auch fähig, sich aus manchen der einverleibten Energiewellen geeignete Organe zu bauen (urzivilisatorische Leistung), jedoch nur dank des Prinzips der ihm immanenten Kreativität des Nichts, so stellt dies unfassbar bleibende Noumenon doch den eigentlichen Schöpfer des Weltalls und der Natur auf Erden dar... Die Urarten waren nun einzellig und autark und vermehrten sich durch Teilung (Mitosis), die der DNA-Doppelhelix, die das Urgedächtnis der Zelle wurde und blieb, inbegriffen. Durch die Vermehrung wurden sie aber selbst zu Bestandteilen ihrer Umwelt. Sofern sie um Energiewellen wetteiferten, wurden sie zu Rivalen, und sofern sie Energie sammel-ten, selbst zu begehrten Energiequellen, so begannen sie, einander zu jagen (Urkanniba-lismus). Mutation und Selektion führten zur Fresshemmung gegenüber baugleichen Zellen und zur Entstehung mehrzelliger Superstrukturen (Organismenbildung), um die Kräfte zu potenzieren; und dort, wo der Einverleibungsversuch eines Artgenossen zur vorteilhaften Durchmischung (Konjugation) zweier Zellbaupläne führte, entwickelten sich die Verhaltensmuster der Ursexualität. Auf dem vorhergehenden kannibalischen Wettbewerb ist das Prinzip der Zuchtwahl (Natürliches Auslese Gesetz), das die zur jeweiligen Umwelt bestpassenden Zellbaupläne begünstigt, verankert... Dies wurde zur Grundlage des männlichen Sexualverhaltens, während das weibliche eng an das Phänomen der Vermehrung und der dabei erzeugten Mutanten (Bauplanvarianten) gekoppelt blieb, die freilich dem ‚männlichen‘ Auslesege-setz überreicht werden um ihre Geeignetheit zu testen (die Minusmutanten am Vermeh-ren zu hemmen); so ergänzen sich beide Verhaltensweisen symbiotisch, die Artenbildung und -vitalerhaltung gemeinsam gewährleistend. Beides wird auch gemischt ausgelebt

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(solche Lebewesen sind ihren Formen und Verhaltensweisen nach Zwitter), im Laufe der weiteren Evolution aber und der ein-hergehenden Spezialisierung der Zellen auf bestimmte Funktionen und Organe, entstanden eher Arten, in denen sich geschlechtlich eindeutig angelegte Orga-nismen begegnen (echte Sexualität)... All dies findet sich im Urgedächtnis (DNS) der heutigen ein- und vielzelligen Lebewesen verdichtet, so nennt man diesen Bereich der Seele mit Recht das Kollektive Unbewusste. All dies liegt nun dem Evolutionsphänomen zugrunde...

Anatomie der Seele (geistige und körperliche Grundbedürfnisse) Um die Seele des Protoplasmas sichtbar zu machen, habe ich sie in der Graphik S. 17 aus dem Einzeller heraus entwickelt und vergrößert dargestellt. Wie man sieht, ist die Seele – das ES – im Mittelpunkt des Zellkerns verankert, sie füllt und umfasst aber von dort her die ganze Zelle. Das ICH mit seinen vorderen Antennen (Außenwahrnehmungs-organellen) umhüllt die Zelle, so stellt die Zellmembran den Sitz des Geistes dar. Seiner rationalen Vernunft wegen – eine Schöpfung der Libido – handelt er bewusst und eigenmächtig, wird dabei jedoch vom intuitiven Verstand (Über-Ich) überwacht... Unmittelbar unter der Membran des Ichs breitet sich das Vorbewusste aus, eine Schicht bildend, die den Geist vom Leib der Zellenseele trennt, obwohl dieser Bereich ebenfalls die ganze Seele umfasst. Insofern der Leib dem Ich-Bewusstsein gänzlich unzugänglich bleibt, nennen wir ihn das Tiefe Unbewusste, und insofern das Ich im Dienste dieses unbewussten Leibes steht, empfinden wird ihn als unser ÜBER-Ich (Gewissen)... Aus der Mitte des Zellkernes wirkt im Verborgenen das lebendige Prinzip, das die Zelle erschuf, sie mit Geist und Leib versehend und ihr Verhalten anhand der 6 Grundbedürf-nisse bestimmend. Die 5 primären unter ihnen habe ich ab Seite 30 weiter ausgeführt. Sie sind für die ‚körperlichen‘ Leistungen maßgebend. Sie haben aber dieselbe Herkunft, wie der Geistkomplex (Erkenntnisdrang), so bilden geistiger NOUS und körperliche AGGRESSION (Denken und Gefühl, Thanatos und Eros) zwei Aspekte derselben lebendi-gen Energie (L élan vital; Libido) dar. Die ‚körperlichen‘ Bedürfnisse mit ihren Instinkten dienen unbewusst der Lebens- und Arterhaltung, während die ‚geistigen‘ Leistungen: Kultur und Zivilisation – bewusst der Selbsterhaltung dienen, der Geistkomplex des Ichs steht jedoch naturgemäß im Dienste der 5 primären Bedürfnisse, bzw. des gesamten Es.

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Zwitter scheinen, weil sie beide Geschlechtsfunktionen be-sitzen, besonders flexibel. Dennoch hat sich dies Muster bei den höher organisierten Tieren nicht durchgesetzt. Zwittrig-keit führt oft zu rabiaten Formen der männlich-/ kämpfer-ischen Funktion; klar getrennte Geschlechter (Spezialisier-ung) fördern ihre ‚friedliche‘ Ergänzung.

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Das Ich-Bewusstsein umhüllt nun die ganze Zelle, vollbewusst aber wird sie nur punktuell, nämlich dort, wo sie von der stärkste Reizquelle getroffen wird, so wandert das Ich-Bewusstsein stets umher in seiner Hülle, taucht in die Zelle hinab oder scheint sie sogar zu verlassen, während die außerhalb seines Fokus geratenden Sinnesreize zum Vorbewussten und erst bei Bedarf wieder registriert werden, das Ich veranlassend, sich ihnen erneut zuzuwenden. Aus dieser punktuellen Bewusstwerdung entsteht die sog. Gegenwartsempfindung oder Realität, die in Wirklichkeit also keine Dauer hat: kaum bewusst geworden taucht sie auch schon wieder ab ins Vorbewusste und wird zur verblassenden Erinnerung – zur Vergangenheit (s. Husserls Inneres Zeitbewusstsein). So bilden das Voll- und das Vorbewusste eine funktionelle Einheit. Im Vorbewusstsein wird auch alles früher Erlebte – egal ob aus un- oder angenehmen Erfahrungen bestehend – ‚verdrängt‘ und wie in einer Rumpelkammer oder schön geordnet wie in einem Museum bewahrt... Das Vorbewusste und das Tiefe Unbewusste haben keine rein aufbewahrende Funktion, sondern fungieren auch als Gedächtnis der Seele bzw. des Lebewesens. Das ist jedoch ziemlich komplex: darin liegt all das, was – w. o. g. – momentan unterschwellig erlebt wird aufrufbereit, etwas darunter das persönliche Vergangenheitsgedächtnis mit dem, was das Lebewesen ab dem Moment seiner Zeugung selbst erlebte, während im Tiefen Unbewussten der wertvollste Schatz gehütet wird, nämlich jene zur DNA-Doppelhelix* verdichteten Erkenntnisse, dank derer dem Protoplasma gelang, auf unserem Planet zu überleben. /* Kollektiv unbewusster Bauplan des Ureinzellers und der aus ihm evolutionierten Arten.) Im Tiefen Unbewussten finden sich auch die Anlagen der Talente und das das Lebewe-sen unaufhörlich – wie der heraklitische Fluss – erschaffende Kreative Prinzip. So wie das ICH-Bewusstsein, stellen auch die Talente Geschöpfe seiner unfehlbaren Weisheit dar; anders als sie aber müssen die Talente erst bewusst werden, übermittelt von der Zwischenstation des Vorbewussten: der Symbolsprache und den Träumen, bevor sie zur Entfaltung gelangen können; dies setzt eine den Gaben entgegen kommende Umwelt (artgerechte Beziehungen; Urlebensform) und dies wiederum die optimale Verwirkli-chung aller 6 Grundbedürfnisse voraus. Erst über alles gemeinsam gelangt nun das ‚höhere' Lebewesen zu seiner psychischen Reifung (Potenz oder Eigenständigkeit), die während ihrer Entwicklung zu einem Bestandteil des Vorbewussten wird – nicht zu einem des ICH-Bewusstseins, wie oft angenommen. Verwirklichung des Schöpfungs-sinns besteht aus Verwirklichung der körperlichen ES-Gaben – nicht nur der geistigen... Alle Grundbedürfnisse entstammen dem ES, dabei aber werden sie nicht unmittelbar sondern auf dem Wege der ‚Gefühle‘ bewusst, die von der Libido anhand der ins ‚vorbewusste‘ Über-Ich gespeicherten Lebenserfahrung zu Symbolen verkleidet werden, Gleichnisse und Allegorien erschaffend, die das ICH des gesunden Lebewesens spontan zu verstehen vermag, sie sinn- und realitätsgemäß zu erfüllen suchend. Auf diese Weise nehmen die Träume im Vorbewussten Gestalt...

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NeurologieDer3Instanzen

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Der Einzeller und seine seelischen Superstrukturen

Diese drei Figuren (S. 19) sind ein Versuch, das Freud’sche Seelenmodell – um seine vier Aspekte und ihr Zusammenwirken weiter zu erörtern – mit der modernen Neurologie in Übereinstimmung zu bringen. Dafür ging ich von der Unterscheidung aus, die Freud zwischen der konkreten Strukturdynamik des Lebewesens und der Libido (noumenale Triebenergie) des Lebensprinzips machte, sie beide im ES verankernd. Die untere Figur stellt eine Verschmelzung (Chimäre) aus Freuds 3-Instanzenmodell und dem Mitglied einer der vielzelligen Arten (H. sapiens) dar. Seine seelische Struktur ist mit der des eingangs durchleuchteten Einzellers wesensidentisch, jedoch haben sich für die Ausübung der 3 instinktiven Grundfunktionen: Denken (Wahrnehmung), Motorik und Ernährung – komplexe vielzellige Organe entwickelt, die auf je eine dieser Funktionen spezialisiert sind. Für die Organisation der dem Ich zukommenden Informationen sind aus den dafür dienend Molekülen des Einzellers Nerven evolutioniert, die in Augen, Nase und Drucksensoren münden und die Umwelt im Sinne der Bedürfnisbefriedigung erkunden und auswerten. Sie entdecken einen Apfel. Die Nachricht erreicht das zentrale Nervenzellengeflecht (Gehirn), wo die Information aus einer doppelten Perspektive: innere Wahrnehmung des Energiebedarfs (Zuckerpegel) gegenüber der äußeren Realsituation erwogen und – falls beide soweit vereinbar scheinen – einer anderen Zellgruppe (Muskelfasern) mitgeteilt wird, den Handlungsapparat in Aktivität verset-zend... Die Skizze ganz oben stellt das selbe in einer Detailvergrößerung dar: Mittels der sie verbindenden Synapsen kommunizieren die Ichs 2er Nervenzellen über den entdeckten Apfel und kommen – während dessen vom Erfahrungsgehalt ihrer zwei Über-Ichs kontrolliert –, überein, dass die untere Zelle – die von innen Hunger meldet – der Motorik Bescheid sagen darf, Hände, Gebiss und Magen in Gang Richtung Apfel zu versetzen, um ihn zu ergreifen, zu zerkleinern und einzuverleiben. Da das Protoplasma aus Atomen: ‚Gestalt‘ gewordener Energie besteht, ist es zersetzbar – also sterblich. Es beherbergt aber das Lebensprinzip, das – da es aus gestaltloser Energie besteht – des Protoplasmas präexistent und unsterblich ist, eigentlich ewig, so schreibt Freud dem Lebensprinzip zwei immanente Grundkräfte: den synthetisierenden Eros und den analysierenden Thanatos zu, um die Fähigkeit des Protoplasmas zu erklären, sich dem unaufhörlichen Zersetzungsphänomen (Entropie) zu widersetzen. Die Zelle stellt das eigentliche beseelte Lebewesen dar, die sog. höheren Lebewesen seine Superstrukturen. Ihre Funktionen scheinen zwar viel komplexer, in Wirklichkeit jedoch werden sie nach wie vor aus einem einzelligen Ei erzeugt und gelenkt, sowohl seine Vervielfältigung veranlassend als auch die Spezialisierung seiner Nachkommen auf verschiedene Tätigkeitsbereiche, und – je nach dem welche – verändert dabei seine Gestalt (s. S. 22). Es gibt also keine höhere Psyche – wie vor der Entdeckung der Evolution angenommen wurde. Alle geistigen und körperlichen Funktionen (z.B. die Grundbedürfnisse mit ihren zugehörigen Instinkten/ s. Anatomie der Seele) sind im Kern der Zelle verankert und alle Arten von Lebewesen gleichermaßen perfekt.

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Das Glück

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Evolution des Protoplasmas zur „Urzelle“ und weitere Zunahme der Komplexität In dieser Zeichnung habe ich den Versuch unternommen, die Urkrise des Protoplasmas und ihre unermessliche Folge: die Entstehung der Belebten Natur – auf das Wesentliche reduziert darzustellen. Diese Krise besteht, seitdem die Urumwelt, die das Molekül erschuf und ohne sein Zutun versorgte, verschwunden ist. So geriet es in Gefahr zu zerfallen und musste selbst versuchen, die Einbußen an gravitätischer Dynamik anhand geeigneter Energieformen (Licht-/Wärmewellen) zu ersetzen, aktiv und eigenständig werdend. Aus diesem Sachverhalt besteht das Lebensphänomen. Die optimale Energie-quelle zu erkennen war nicht einfach und der direkte Weg zu ihr verbaut; um sie zu er-langen, blieb ihm nur ein Umweg; dieser Umweg nämlich führte zur Entstehung der Arten hin...

Eines der Grundprobleme des Protoplasmas war und blieb bis heute, dass unsere Erde, vielleicht infolge ihrer Abkühlung, unfähig wurde, es von sich aus zu ernähren. Sie wurde jenes Hindernis, das ihm die unmittelbare Teilhabe an der Universalharmonie (punktierte Linie) versperrte. Seitdem stellt das Protoplasma auf unserem Planet – mit einer anderen Gravitation und gänzlich anderen chemo-klimatischen Verhältnissen als vor 3 Milliarden Jahren – einen Fremdkörper dar, der in seiner ursprünglichen Nacktheit keinerlei Existenzberechtigung mehr hat. Auf seinem unaufhörlichen Versuch, das ur-sprüngliche Gleichgewicht mit einer Umgebung wieder herzustellen, die die hierfür nötige Energie nicht mehr von selbst bietet, ist das Daseinskampf-Phänomen verankert... Das Protoplasma braucht nun ganz bestimmte ‚Klimabereiche‘, bei denen sich das Ener-giespektrum ähnlich wie zum Moment seiner Entstehung verdichtet. Diese Verdich-tungspunkte unterliegen aber Schwankungen, so musste sich das Protoplasma ständig anpassen und muss es dies bis heute weiterhin, sei, dass es sein Verhalten der Realität gemäß ändert, sei, dass es sie im Sinne seiner Bedürfnisse ändert. Erstere Leistung scheint auf dem der atomaren Natur immanenten Grundverhalten (+/- Tropismus; Urkine-sis) verankert, letztere aber setzt das synthetisch-analytische Vermögen (Eros-Thanatos) voraus und beides erlaubte ihm, die günstigen Daseinsnischen zu erobern und sich den lebensbedrohlichen Extremfaktoren durch Flucht, Selbst- oder deren Veränderung zu entziehen. Die Herausforderung, unter den auf unserem Planeten zahllosen widrigen Verhältnissen die geeigneten Lebensbedingungen zu entdecken, führte an der proto-plasmatischen Hülle zur Herausbildung des für die Erkenntnis solchen Unterschieds geeigneten Vermögens (Ich-Bewusstsein) hin. Sich der Umwelt punktuell entgegen streckend wuchsen später Antennen (Reiz-Rezeptoren) daran empor, wurden parallel motorische Moleküle gebündelt, und als Schutz vor den negativen, bedrohlichen Faktoren hüllt es sich schließlich in Panzerungs- und Tarnvorrichtungen (Mimikry) um. Die Entwicklung des Ich-Bewusstseins, bzw. der ihm eigentümlichen rationalen Vernunft, ist eine Schöpfung der im Lebensprinzip verankerten Intelligenz des Protoplasmas, deren Weisheit Kant intuitiver Verstand nennt. Er ist es auch, der das Protoplasma – als es erstmals von seinem Zerfall bedroht wurde – zum Lösungsweg dieser Urkrise inspirierte, ihm ermöglichend, sein Verhalten und seine Gestalt derart zu verändern (Anpassung), dass ihm trotz seiner feindlichen Umwelt im Dasein zu bleiben gelang.

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Sein erstes Geschöpf war der seelisch belebte Einzeller (s. Skizze und Grundbedürf-nistabelle), so stellen auch die unzähligen Arten, die aus dieser Urzelle evolutionierten und die wir heute umfassend Belebte Natur nennen, seine eigentümliche Leistung dar... Die Aneignung äußerer Energiewellen durch das Protoplasma nennen wir Ernährung und die während dessen eintretende Volumenzunahme Wachstum. Wo das Wachstum der Urzelle ihre Teilung erforderlich macht (- ursprünglich mit dem Zweck, die Hülle gegenüber

den angreifenden Umweltkräften nicht instabil werden – oder platzen zu lassen) sprechen wir von Vermehrung. Diese Phänomene bieten eine Erklärung, warum Zellen, deren anfängliches Verhalten nur war, Energie aus der Unbelebten Natur einzufangen, sich gegenseitig zu jagen und einzuverleiben begannen (Urkannibalismus) – ein Verhalten, das wiederum zur Voraussetzung des Durchmischens der genetisch gespeicherten Erfahrung (Konjuga-tion) und eigentlichen Sexualität (Begegnung zweier eindeutiger Geschlechter) wurde, die erst die ‚höher‘ evolutionierten Arten kennzeichnet. Nicht nur die Hülle des Protoplasmas evolutionierte und nahm verschiedenste Formen an, sondern auch seine Antriebskraft oder Aggression, die genauso im Lebensprinzip verankert ist wie das Urdenken. Während das Urdenken 1-dimensional ‚zeitlich‘ blieb – der vernünftige Pfeil am lebendigen Bogen Heraklits, dessen Werk die komplexen Wahrnehmungen seiner Sinnesorgane ‚analytisch' zerlegt –, fächerte sich die im 3-dimensional-körperlichen Verstand ankernde Aggression in fünf verschiedene Primärbe-dürfnisse auf. Im Genom codiert vorliegend, suggerieren sie sich dem Ich-eigenen Denken als inspirierende Offenbarungen (Gefühle) ein, denn ihre Deckung ist maßgeb-lich für das Dasein des Protoplasmas – sein Streben nach Energie und territorialer Wahrung seiner Gestalt. So ergänzt sich dieser ‚körperliche‘ Bereich 5-facher Handlun-gen mit dem ‚geistigen‘ Erkenntnisdrang (Schreiten vom Glauben zum Wissen)... Während der Erkenntnisdrang (+/- Orientierung), das Streben nach Energie (Ernährung), Wachstum (Motorik) und Vermehrung ein allen Lebewesen gemeinsames Grundverhal-ten darstellt, unterscheiden sich die Arten hinsichtlich ihrer es umsetzenden Organe oft erheblich voneinander. Nicht nur ihre Formen und Strukturen, auch ihr Verhalten ist von den Faktoren der jeweiligen Ökonische bedingt; freilich erfolgt diese Anpassung nicht rein reaktiv (kulturell, passiv selbstverändernd), sondern auch aktiv, sobald dem Protoplasma gelingt, die Umwelt des jeweiligen Lebewesens im Sinne seiner Grundbe-dürfnisse zivilisatorisch zu verändern. Und dies gilt nicht nur für die Gestaltung der einzelligen Arten, sondern noch auffallender für ihr vielzelligen ‚Nachfahren‘, bei denen – ob rein körperlich gewaltig wie die Saurier, oder geistig wie der Homo sapiens – jene Funktionen, die vom Lebensprinzip auf die sexuelle Vermehrung spezialisiert wurden, ihre einzellige Urgestalt bis heute unverändert erhielten. Die weiblichen Eier verwirkli-chen eher den innerlich selbstverändernden Aspekt (‚Form', Mutation), die männlichen Spermien eher den äußerlich fremdverändernden (‚Verhalten‘, Auslese), wobei sich diese Polarisierung – physikalisch betrachtet – tief auf dem relativistischen Umtauschprinzip >> Energie gegen träge Materie und flüchtiges Licht << verankert (s. Einsteins Gleichung E=mc²) und metapsychologisch auf dem der Libido innewohnenden Leib-Geist-Dualismus als die zwei Seiten derselben Seele. Diese Urtropismen der Orientierung

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(Erkenntniskategorien) und Kinesis lassen sie sich zwar philosophisch parallel sondie-ren, in Wirklichkeit aber ergänzen sie sich zu ‚Nichts‘…*

(* Auch Anaximanders Apeiron. Als Unbegrenztes, Nicht-Erfahrbares bezeichnet der Begriff eine un-erschaffene unzerstörbare Energie, aus der die Dinge entstehen und zu der sie auch wieder ver-gehen, nach dem Gesetz der Zeit. Auf diese schöpferische Energie bezieht sich Heraklit mit den 4 Elementen, bei denen es sich ebenfalls – wie Einsteins – um eine Gleichung handelt, mit zwei ei-nander äquivalenten Seiten: Feuers Umwende [=] Wasser (Seele). Die eine Hälfte vom Wasser ist (leib-hafte) Erde, die andere (geistige) Luft – Gluthauch des Feuers… Wechselseitiger Umtausch: wie beim Gol-de gegen die Waren und der Waren gegen das Gold. Feuers lustvoller Tod ist es, sich zum seelischen Gewäs-ser zu wandeln, Wassers lustvolles Ersterben Feuers Leben. Wir leben des Feuers Tod, es den unseren.)

Seit es dem Protoplasma gelang, den Bauplan seiner Urzelle in der DNA abzuspeichern, bei anfallenden Reparaturen darauf zurückzugreifen und ihn mit der Zellteilung zu verdoppeln, nimmt es an diesem Erbgut ständig kleine Veränderungen (Mutationen) vor. Erweist sich eine davon als vorteilhaft für die Realitätsbewältigung, entstehen aus den Nachkommen der ursprünglichen Art Unterarten, die sich gegenüber den mindermutier-ten Artgenossen behaupten, sie u.U. sogar auslöschen wie z.B. der Homo sapiens den Neandertaler, der ‚sprachlos' ausstarb, während ersterer anhand seines mutierten Adamsapfel die artikulierte Sprache erwarb, ihm die Bildung politischer Superstrukturen und Aneignung der ganzen Erde ermöglichend. Alle Grundeigenschaften der heutigen Arten beruhen auf bewährten Mutationen, die das Protoplasma im Kern aller Zellen bewahrt und bei der Vermehrung an seine Nach-kommen vererbt, die Generationen demgemäß formend und ihnen ihr Grundverhalten vorgebend, so enthält dieses uralte Erbgut den individuellen Entwicklungsplan und Stammbaum aller Lebewesen zugleich. Die Nachbildung des einzelnen Organismus erfolgt unbewusst, verbindet jedoch alle Lebewesen miteinander, weshalb der Ort dieses Vorganges als ein unbewusstes Kollektiv empfunden wird. Grundsätzlich unterscheiden sich die Arten in den Methoden ihrer Energieaneignung (Ernährung). Entweder erfolgt sie direkt durch Photosynthese bzw. Absorption von Licht-wellen, oder indirekt, durch Kannibalismus, indem die Lebewesen nach anderen Lebewe-sen jagen, der in ihren Molekülen gespeicherten Energie wegen. Aus diesem unter-schiedlichen Grundverhalten entstanden die heutigen Pflanzen- und Tierreiche, und – da der Urkannibalismus zur Entstehung zweier auf eigenen Aufgaben spezialisierter Geschlechter führte –, ebenfalls die eigentliche Sexualität. So scheint in den die Sonne ‚unbeweglich‘ verfolgenden Pflanzen eher das passive ‚weibliche‘, und in den bewegli-chen Tieren eher das aktive ‚männliche‘ Prinzip (X- und Y-Chromosomen) verwirklicht. Das Pflanzenreich scheint, sofern es seine Nahrung selbst zu synthetisieren vermag, unabhängiger als als Tierreich, es ist und wird aber den Launen des Klimas ausgeliefert bleiben. Das Tierreich scheint diesbezüglich im Vorteil, sein Überleben hängt aber ganz vom Überleben des ersteren ab... So erstaunlich der Erfolg des Protoplasmas ist: es hat nämlich unseren unwirtlichen Planet anhand körperlich-geistiger Entfaltung vollständig erobert: sein Da-Sein ist heute noch genauso ungewiss wie für das nackte Urmolekül am Tage seiner Ankunft auf Erden...

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Physiologie und Metaphysik der Seele Nach Aneignung umgebender Energieformen eine lebendige Seele werdend (1 Mose 2,8) verfügte das Protoplasma nicht nur über eine doppelte Intelligenz (Verstand & Vernunft), sondern auch über doppelte Lebenskraft: sowohl die das Material vitalisierende Energie des schöpferischen Prinzips, deren Eros das Protoplasmamolekül aus ‚toten‘ Atomen synthetisiert und bei dessen Zerfallskrise den analytischen Thanatos aktiviert, als auch die des unaufhörlichen Kreislaufs von Energiezersetzung und -aufnahme (Stoffwechsel; physikobiologischer Lebensbegriff), ein sich der Entropie entgegenstemmender Prozess, bei dem neben den quantenmechanisch-/gravitätisch bedingten Verlusten zusätzlich Handlungsenergie abgebaut wird, die auch ersetzt werden soll… Beide Kräfte bedingen die Evolution und das Grundverhalten aller Lebewesen, denn ihr gemeinsames Streben aus Selbst-, Art- und Lebenserhaltung zugleich besteht. Das Schöpferische Prinzip ist zwar eine rein geistige ‚Hypothese‘, indem aber es Gestalt nahm, wurde es zeiträumlich (konkret). So besteht die Seele nicht aus reinem Geist – wie allgemein angenommen –, sondern ergibt sie sich aus dem Wechselwirken ihrer beiden Aspekte (intuitiver Verstand und rationale Vernunft; Leib und Geist). Freilich werden die komplexen Vorgänge der Lebenserhaltung aus geistiger Perspektive übergreifend vom ICH koordiniert, der Sinn des Geistes ist aber die Steuerung der Instinkte gegenüber der Wirklichkeit (effezienteste Umsetzung der körperlichen Primärbedürfnisse) und aus dem Gelingen besteht „das Glück"...

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Das Ich erfasst nun die Triebforderungen (Bedürfnisse) des Protoplasmas und sucht in der Umgebung nach den für ihre Deckung geeigneten Quellen. (Dies Vermögen lässt sich

anhand Kants „Ästhetik“ erklären, die Freud zweifellos kannte.) Die Entfaltung und das Gelingen dieser Fähigkeiten setzt aber voraus, dass das Lebewesen annähernd in jenen äußeren Verhältnissen lebt, unter denen seine Art evolutionierte – kein simpler Sachverhalt, denn die heutigen Arten unterscheiden sich in autarke und gemeinschaftliche Wesen (Schwärme, Herden, Horden), so wurde für letztere der soziale Kontext zu einem Bestandteil ihrer Umgebung. Das Überleben fordert deswegen das Erlernen des artspezifischen Umgangs miteinander, was während der gesamten Reifung erfolgt, dabei ins Limbische System (Über-Ich) verinnerlicht wird und von dort her sämtliche sozialen Handlungen kontrolliert, um anhand der gespeicherten Lebenserfahrung die Wiederholung von Fehlern zu meiden, der Gemeinschaft innere Stabilität und koordi-nierte Schlagkraft gegenüber der feindlichen Außenwelt ermöglichend. Diese Funktion verwirklicht das Über-Ich, indem es die vom tiefen Unbewussten (‚Hirnstamm‘) herauf-drängenden Es-Antriebe im Vorbewusstsein mit seiner gesammelten Erfahrung zu Symbolen verschmilzt, sie erst in dieser Verkleidung an das Ich überreichend (s. Graphik Anatomie der Seele), denn die nackten noumenalen Botschaften blieben für sein Bewusstsein unbegreiflich.. Die intuitive und rationale Doppeltheit der einzelligen Lebewesen setzen die vielzelli-gen Arten fort, indem mit ihnen zusammen die spezifisch geistigen Organe (Gehirne) evolutionierten, deren zwei Hälften sich separat auf jeweils eine dieser Funktionen spezialisierten. Der Antagonismus führte also zu einer Polarisierung der ‚vom‘ Gehirn umgesetzten ICH-Erkenntnisweisen: analytisch (‚männlicher‘ Thanatos) der Außenwelt gerichtet (Extroversion), ist das Ich seiner Innenwelt gegenüber ‚weiblich‘ empfänglich (synthetisierender Eros) und in beiden Grundeinstellungen gleichgewichtig. Die Aufgabe des Ichs besteht deswegen zwar aus rationaler Beurteilung der ‚Realität‘, erst aber durch die Hinweise und Forderungen der Intuition (Innere Stimme/ Verstand), die das Ich vor möglichen Irrtümern warnen und überraschend mit Offenbarungen erleuchten, vermag das Lebewesen – ob autarker Einzeller oder soziale Superstruktur – seine Welt zu begreifen und vernünftig (sinnvoll; lebenserhaltend) auf sie zu reagieren. Zwischen diesen Extremen (extrospektiver Glaube der rationalen Vernunft, der erst durch die Eingebungen ihres intuitiven Verstandes zu Wissen wird) verfügt das ICH des Lebewesens über drei weitere Erkenntnisperspektiven mit entsprechenden Handlungs-weisen, deren mittlere die KUNST darstellt, mit 2 Wurzeln: Technik einerseits, bedingt vom rational-analytischen Vermögen, und Mystik anderseits, die dem intuitiv-synthetischen Vermögen angehört. Während die Bestrebungen nach Wissen und Innerer Gewissheit (Mystik) eigenmächtig (spontan) sind – insofern ist der ‚Geist‘ ein Grundbedürfnis des Protoplasmas, eigentlich der Libido –, reagieren Glaube und Technische Kreativität erst auf die Herausforder-ungen der Umgebung. Gebündelt in der Kunst werden sie vom Geisteskomplex umfasst, anhand dessen das ICH dem Protoplasma dient bzw. die ‚Realität‘ bewältigt... Die folgenden Abschnitte betrachten das geistige und die 5 körperlichen Primärbedürfnisse überwiegend aus der Sicht der sozial evolutionierten Organismen.

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Der „Geisteskomplex“ Jegliche Triebenergie entstammt dem ES, auch der Wissensdrang, so wird dessen Streben vom körperlichen Verstand bestimmt und nicht vom geistigen Ich-Bewusstsein oder Vernunft – wie allgemein angenommen wird. Die Vernunft ist vom Lebensprinzip erschaffen mit der Bestimmung, die protoplasmatischen Bedürfnisse im Einklang mit den äußeren Realitätsverhältnissen optimal zu befriedigen. Da das Ich aber eine Instanz für sich darstellt, lenkt es die ihm zur Erfüllung seines Auftrags geliehene Triebenergie nach eigenem Ermessen überall hin – sogar gegen die körperlichen Primärbedürfnisse, sie unbefriedigt ins Es zurückdrängend, wenn ihm dies für das Überleben erforderlich zu sein scheint – daraus besteht nämlich der Freie Wille. Seine Urteils- und Entscheidungs-freiheit ist also rein geistig und trägt die ganze Verantwortung für sein Tun, für das das Ich immerwährende Rechenschaft vor dem körperlichen Verstand der Seele ablegen muss, seinem Gewissen... Der Realitätserkenntnisdrang ist also im Es verankert und das Ich befriedigt ihn über die zur Außenwelt bezogene Forschung. Dies Vermögen setzt aber die Fähigkeit zum logischen Denken und zu abstrahieren (Reduktion der Vielheit auf allgemeingültige Prinzipien) voraus – alles dem Ich eigentümliche Leistungen, die zur Philosophie und ihren zwei Forderungen führen: analytische Zerlegung der Realität in verschiedene Bereiche, in die zwecks Erkundung spezialisierte ‚Fühler‘ entsendet werden (Wissen-schaft), und die Beurteilung der Funde und Hypothesen, um die brauchbaren zu einem schlüssigen Weltbild zu synthetisieren... Noch ein dem ES eigentümliches Bedürfnis, das vom ICH bewusst erlebt und befriedigt wird, ist der Selbsterkenntnisdrang; er führt hin zum mystischen Streben (s. w. u.)...

Stillung der 6 Grundbedürfnisse

UNBEWUSSTSEIN BEWUSSTSEIN

Glaube Projizieren

V e r n u n f t

Technik

Kunst

Mystik

V e r s t a n d

Wissen Begreifen

VORBEWUSSTSEIN

(Symbolsprache / Träume)

Geistige Leistungen

Thanatos

Gefühle Eros

1

E

rken

ntni

s-

D

rang

Gedächtnis

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„Zivilisation“

„Kultur“

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Im Urerkenntnisdrang des Es ist außerdem der Wunsch verankert, die gesamte Realität – auch den Bauplan der Lebewesen – bei Bedarf im Sinne der protoplasmatischen Bedürfnisse zu verändern. Für die Verwirklichung dieses zivilisatorischen Vermögens bedient sich das Ich auf dem Gebiet des technischen Könnens – auch eine Gabe des Es... Während das technische Wissen – von der arbeitsteilig spezialisiert vorgehenden Wissenschaft forciert – vom intuitiven Verstand als solches genehmigt und fest im Körper verankert wird, sobald die gehegten Vorstellungen das Begreifen der Phänomene im Sinne der Bedürfnisstillung gestatten, handelt es sich beim Glaube um etwas, das der rationalen Vernunft angehört, denn beruht er auf dem unbewusstem Hang des Ichs, seine Vorstellungen ‚im Geiste‘ auf die ihm dahinter verborgen bleibende Wirklichkeit zu projizieren (Übertragungsphänomen). Freilich werden die Vorstellungen noch bevor dass sie das Ich erreichen, vom intuitiven Verstand (im Vorbewussten) synthetisiert (s.a. Kants Erkenntnistheorie), so bleibt doch das ES maßgeblich... Es gibt nun zwei Wege, um vom Glaube zum Wissen zu schreiten: a) die experimentelle Prüfung des Gegenstandes der Projektion (ihn im Sinne der Glaubenshypothesen manipulierend und beobachtend, ob das Ergebnis mit der Prophetie nicht oder doch zur Deckung gelangt), und b) das mystische Streben, bei dem sich das Ich von der äußeren Welt und seinen eigenen Vorstellungen abwendet, um dem Es innerlich zu begegnen... Glaube stellt demnach grundsätzlich den Versuch des Ichs dar, sich anhand Projektion des dem Lebewesen innewohnenden Denkens und Fühlens mit einer ihm noch unbe-kannten Welt vertraut zu machen (- diese Notlösung des Wissensdrangs nennt man auch Animismus). Erst wenn der Vernunft dies trotzdem nicht gelingt, schreitet der intuitive Verstand ein, das Ich überraschend mit der Lösung inspirierend, so ist das Da-Sein maßgeblich vom ES bedingt... Ist das Ich mit einer Situation konfrontiert, die bedrohlich erscheint, ohne dass ihm gelänge, sie durch Technik oder Flucht gegen günstige Verhältnisse zu tauschen, dann kann es aus Ohnmacht neigen, seine Projektionen mit der Wirklichkeit zu verwechseln. Den Versuch, solche Projektionen mittels Opferdarbringung gütig zu stimmen, sie zu exorzieren oder sonst wie unschädlich zu machen, nennen die Wissenschaftler Magie, und wenn man nach dem Mittel greift, diesen komplexen Sachverhalt auf dem Wege seiner Darstellung zu durchleuchten, nennt man es Kunst; so hat das Kunstwerk zwei Wurzeln: eine mystische intuitive (Wissen) und eine animistische rationale (Glaube). In der Tat, aus allen Versuchen der Künstler, ihre in realen oder imaginierten Situatio-nen erlebten Emotionen zu genießen, sei, dass das begegnende Objekt beherrscht, zu seiner Selbstverwirklichung mit eigenem Wille beseelt oder gar zerstört wird, bestehen die ‚7 Künste‘ (s.a. 9 Musen)... Bei all diesen Handlungen bleibt die intuitive Komponen-te mehr oder weniger unbewusst. Wenn aber das ICH sie nicht nur unterschwellig wahrnimmt, sondern – versuchend, sich mit dieser inneren Stimme auseinanderzuset-zen – die bewusste Konzentration auf sie richtet, um ihre Wünsche zu begreifen und gar ihrer Quelle selbst zu begegnen („Erleuchtung“), dann wird das Lebewesen zu einem

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Mystiker. Dies ist der Weg der Selbsterkenntnis und demnach der Selbstverwirklichung, d.h. der Weg zum Glücklich Sein. Aus all diesen Leistungen besteht der Geist. Er steht im Dienste der 5 körperlichen Primärbedürfnisse von denen in unserer Gesellschaftsform nur das Bedürfnis nach Energie (Nahrung) und ein Bruchteil des Bedürfnisses nach Sinneslust (Erotik) bekannt sind; die restlichen drei (Sozialität, Sexualität und Souveränität) werden vom Patriarchalischen System vollstän-dig verdrängt. Trotzdem erwachen naturgemäß die Bedürfnisse nach Erkenntnis und Sinneslust weiterhin im Augenblick der Befruchtung und erfüllt sie der Keimling intuitiv mystisch – folglich auch praktisch –, sonst wäre die Koordination seiner vom Mutterleib mit Energie und Baustoffen versorgten, wachsenden und sich teilenden Urzelle zu einem vitalen Fötus unmöglich. Dessen energetisch vollausgeglichene Lage erklärt, dass die ganze Menschheit einen in ferner Vergangenheit liegenden Zustand zu kennen glaubt, in dem das ungetrübte Glück geherrscht hat, die Aufbewahrung all jener Mythen motivierend, die von einem verloren gegangenen Paradies berichten, in dem jedes Bedürfnisse von selbst gedeckt worden (s. Schlaraffenland) und die Umwelt frei von lebensbedrohlichen Gefahren gewesen sei...

VORBEWUSSTSEIN

(Symbolsprache/ Träume)

( Gefühle )

S o z i a l I t ä t ( Einsatz )

S e x u a l i t ä t ( Selbstbehauptung )

E n e r g i e ( Nahrung )

E r o s E r o t i k ( Körperpflege )

S o u v e r ä n i t t ä t

( Bewegungsfreiheit )

2

3

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5

6

Libido ES

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Nun. Einige Stunden nach der Geburt erwacht das Hungergefühl, das zur emotionellen und sinnlichen Hörigkeit des Säuglings an die nährende Mutterbrust führt. Die Instinkte nach Sozialität, Selbstbehauptung und Souveränität erwachen zuletzt (um das 3. L. j.), als das Kind Zähne bekommt und beginnt, sich von der Mutter zu lösen – vorausgesetzt, dass es über eine den höheren Primaten spezifische Kindergruppe verfügt, in der es seine psychische Entwicklung vollenden kann. Infolge der Isolierung des Kindes in der patriarchalischen Familie aber, der daraus resultierenden Unmöglichkeit, sich von der Mutter gefühlsmäßig ‚abzunabeln‘ und vor allem durch die moralische Erziehung in der Analphase, werden diese drei Instinkte methodisch bekämpft, eingeschränkt und schließlich verdrängt, so bleibt das Kind für den Rest seines Lebens in der Oralen Phase fixiert, psychisch unentwickelt – infantil... Die gesellschaftliche Kindererziehung ist in 10 moralischen Ver- und Geboten verankert, deren Ursprung niemand zu durchblicken vermag und die zu hinterfragen als Tabubruch gilt, denn sie bilden das Fundament des Patriarchats. So hält der moderne Staat sie weiterhin aufrecht in der Staatsverfassung, wachend – wie einst Gott des Himmels herab –, dass niemand sich diesen Vorschriften widersetze. Als Ersatz für die drei verbotenen Grundbedürfnisse schreibt unsere gesellschaftliche Ordnung drei Systems-gerechte Institutionen vor: Anstelle der Naturgemeinschaft (Ursozialität) die Familie und Klassen-gesellschaft; Anstelle der Ursexualität: Ehe und Treue, und Anstelle der Ursouveränität die sog. individuelle Freiheit, die freilich die Unterwerfung der Einzelnen unter das System zur Voraussetzung hat. Vor der Einführung des Patriarchats aber befähigte

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2- der Ursozialitäts-Instinkt die protoplasmatischen Moleküle zum Einsatz füreinander, sie zuerst anleitend zur biologisch-psychischen Kooperation (Leistungsaustausch), um gemeinsam aus unbelebter Materie eine gemeinsam bewohnte Zellhülle zu errichten. Aufgabe dieser Struktur ist also, dem Protoplasma das Überleben in einer feindlichen Welt zu ermöglichen – das gleiche nämlich, was alle weiteren Arten tun, die aus dem ersten seelisch belebten Einzeller evolutionierten. Die Hordengemeinschaft des Homo sapiens leistet dies anhand ihrer zwei sich vorrüber-gehend begegnenden Geschlechtergruppen. Dem Sozialitäts-Instinkt gemäß waren die Frauen- und Männergemeinschaften egalitär, d.h. sie kannten keine Macht-hierarchische Ordnung, weder unter sich noch gegenüber der Gruppe des anderen Geschlechts…

(Erst die politischen Superstrukturen der Mannschaften erließen Verträge, um auf der über-völkerten Erde gemeinsam zu überleben, deren Hierarchie aber vom Natürlichen Auslese Gesetz bedingt ist – nicht vom Drang nach Macht und Ausbeutung der Unterlegenen, da dies erst Ersatzbedürfnisse unserer pathologischen Gesellschaft sind.)

Aus dem Bedürfnis, sich einer Gruppe anzuschließen, besteht das Ursozialitätsphänomen – und zwar gleichviel, ob bei den einzelnen Lebensmolekülen in ihrer Urzelle, oder den Individuen im Inneren der hochorganisierten Arten... Seine Verwirklichung setzt nun die psychische Reifung, und dies das Erwachsenwerden in der Primatischen Kindergruppe voraus, die sich durch gemeinsame Versorgung und Schutz der Kinder innerhalb der Frauengruppe herausbildete. Darin wuchsen die Kinder ohne ‚Erziehung‘ von Seiten der erwachsenen Frauen; die gemeinschaftliche Anpassung lernten die Kinder, indem sie ihre Kraft und Geschicklichkeit mit den gleichaltrigen maßen, die reiferen nachahmten und sich für die jüngeren schützend einsetzten... Die Primateneigene Kindergruppe und Hordengemeinschaft bilden auch die unbedingte Voraussetzung 3- des Sexualitäts-Phänomens, das komplex: biologisch-physisch, instinktmäßig-psychisch und geschlechtsspezifisch ist: Die Geschlechtszugehörigkeit wird vor der Geburt genetisch festgelegt. Dem Kind wird sie erst um das 5. Lebensjahr (Genitale Phase) bewusst, zwei Jahre später aber macht die sexuelle Entwicklung eine ebenfalls genetisch bestimmte Pause – Latenz- oder Dornröschenschlaf-Phase genannt. Erst zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr beginnt sich das Sexualverhalten weiter zu entwickeln: die Keimdrüsen werden hormonell aktiv, dies führt zur erstmaligen Reifung des weiblichen Eies und Ausbildung vollbeweglicher männlicher Spermazellen hin – die Geschlechter werden vermehrungsfähig. Gemeinsam erwachen auch ihre Sexualbedürf-nisse, die das geschlechtseigene Verhalten auslösen: weibliche Brunft (Hysterie) und mannschaftsweiser Wettbewerbsdrang. Eigentlicher Auslöser des Sexualdramas ist der Vollmond, dessen Lichtmenge das Ei seinem Follikel entspringen lässt und den ebenfalls hormonell informierten Eileiter veranlasst, es dem Uterus zuzuführen, dessen seinerseits beginnende Aktivität dann die weibliche Hysterie bedingt und sie wiederum die Aggression der Mannschaften gegeneinander. Funktion des mannschaftsweise kämpfenden Wettbewerbs ist die Auslese der besten (umweltpassendsten) Erbgutträger – also die Natürliche Zuchtwahl, und ihr Zweck: die Vitalerhaltung der Arten, ggf. ihre Umgestaltung zu neuen veranlassend. Dies bleibt den

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Lebewesen, da erst eine wissenschaftliche Erkenntnis, unbekannt... Mit der Befruchtung des Eies durch das vitalste Spermium von Seiten der sieghaften Mannschaft endet der intersexuelle biologische Prozess. Wird die Frau schwanger, reift kein Ei mehr, und solange sie das Kind stillt, wird sie zwar fruchtbar, aber nicht (in)brünstig, so wird sie nicht begattet bzw. geschwängert. Erst am Ende der Stillzeit wiederholt sich bei ihr das Drama.

Beim Mann aber wird der sexuelle Wettbewerb zu einem Dauerzustand. Die Mannschaf-ten bekämpfen einander nicht um die Eroberung der Frauengruppe, sondern der Knaben wegen, die der Kindergruppe der Frauen entwachsen und die sie benötigen, um sich zu verjüngen. Ebenfalls wetteifern sie um den Besitz der Jagdgründe. Die Reifung des männlichen Wettbewerbdrangs setzt also das Wachsen in einer Kindergruppe und das Leben in einer Hordengemeinschaft (Ursozialität, s.o.) voraus… 4- Der Ur-Energiedrang setzt weder die psychische Reifung noch das Naturgemein-schaftsleben voraus, er stellt nämlich das dazu erst hinführende Urbedürfnis des Protoplasma-Moleküls dar. Er erreicht das Ich als Hunger-Gefühl, das sich bei den organisierten ‚höheren‘ Lebewesen in dem Maße, wie der Zuckergehalt im Blut sinkt, einschaltet, Nahrungsaufnahme vom Ich fordernd. Dafür begibt sich das Ich in der Umgebung auf die Suche nach geeigneten Stoffen... Obwohl der vordergründige Zweck dieses Grundbedürfnisses nur die Selbsterhaltung des Protoplasmas darstellt, führte es zur gesamten Evolution der Belebten Natur und mündet bei sozial organisierten Arten wie dem Homo sapiens abermals in eine Geschlechtsspezialisierung, vor allem der Frau, die die gemeinsame Kindergruppe versorgen muss. Sie selbst ist eine Nahrungsquelle des Säuglings und bei ihr hat die Sättigung der Kindergruppe Vorrang – vorausgesetzt, dass sie psychisch reif ist, d.h. in einer Frauen-/Kindergruppe heranwuchs und blieb...

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Ebenso ursprünglich ist 5- die Erotik (Körperpflege und Austausch von Sympathie /‚Streben nach Lust und Meiden von Schmerz‘). Sie stellt ein lebenserhaltendes Urverhalten des Protoplasmas dar, das seiner körperlichen Struktur immanent ist und anhand seines geistigen Urtropismus (+/– Orientierung; Urkinesis) verwirklich wird. So spüren die Lebewesen vom Augenblick ihrer Empfängnis – und noch davor als ‚Keimzellen‘ – bewusst Lust und Unlust. Im Mutterleib wird dies Streben von Anfang an ohne die übergreifend Ich-bewusste Steuerung durch den erst viel später ‚erwachenden‘ Ne-ocortex befriedigt – teils, indem die Zellen des Keimlings ihr Hungergefühl über die Nabelschnur kompensieren, teils, indem sie einander während des Wachsens schmie-gen, dabei w. o. g. ihre spezifischen Formen und Funktionen (Organe) ausbildend. Nach der Geburt aber ist der Säugling für die Deckung seiner Grundbedürfnisse an eine Umwelt angewiesen, in der wohl die Nabelschnur fehlt, nicht aber die Artgenossen, so ist das Lustbedürfnis und seine instinktmäßige Stillung von Grund auf sozial eingestellt, obwohl nicht sozial bedingt, und beiden Geschlechtern gerichtet. Beim Homo sapiens dient der Lustaustausch der Sauberhaltung der Haut und besonders der lebenswichtigen Körperöffnungen, schmerzhafte Infektionen meidend (was freilich unbekannt bleibt), und dazu als Bindemittel der Gruppenmitglieder (Sympathie; Begierde; Sinneslust), so trägt sie maßgeblich zur Herausbildung und Erhaltung der auch der beiden Geschlech-tergruppen unter sich bei...

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6- Die Ursouveränität setzt den Selbstbehauptungsanspruch voraus und ihre Befriedi-gung die Geschlechtergruppenbildung, so ist sie im Patriarchat unbekannt. Als ver-gleichbar könnte die im Grundgesetz verankerte Unantastbarkeit des Wohnbereichs und ‚Privateigentums‘ gelten. In der Urgemeinschaft bezog sich aber dieser Anspruch nicht auf angeeignete Dinge, sondern nahm Gestalt in einer idealen Sphäre, die sich nur beim Einzeller nahezu mit seiner Hülle deckt. So entwickelte sich diese Sphäre auf dem Wege der Evolution zur Geschlechtergruppe, umhüllte sie aus ihrer noumenalen Mitte herauf und wurde mitgenommen, wohin immer sie sich begab, unbetretbar bleibend für fremde Gruppen ohne ausführliche Besänftigungsrituale ihrer immanenten Territorialität. Jeder Annäherungsversuch löste Alarm, Angriff oder Flucht aus. Nur zwischen der Frauen-/ Kindergruppe und der Siegermannschaft verschmolzen beide Sphären zu einer einzigen.

Projektion der vom ICH vorgestellten „Realität“ auf die Eindrücke der

5 Sinne. (Animistische Exploration / Forschung vor dem “Akt“.

Einsicht

WISSEN

V E R S T A N D / Intuition

Inspiration --- Techniken

Mystik

Synthesen

Analysen

Logik

Exploration --- Forschen

V E R N U N F T / Ratio

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Begreifen

Bedürfnisse

Primär

A U ß E N W E LT

( Hindernisse / Wirklichkeit ) äußere Wahr- nehm ung

Gefühle

Aggression

Erkenntnis- drang

Bedürfnis- befriedigung

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(Genauer betrachtet bestand die Urhorde [s. a. Platos Kugelmenschen] aus 3 konzentrisch gelagerten Sphären: Außen die mannschaftseigene, die anhand Wettbewerb mit rivalisierenden Männergruppen die weibliche Sphäre erobert ohne dass dadurch beide ineinander zerfließen (die Geschlechter sind einander wesensfremd), und ganz Innen die Sphäre der Kinder, die von der Frauensphäre gehütet auch die Knaben birgt, die die siegreiche Mannschaft zu Pubertätsbeginn in sich eingliedert…)

Auch bei der Stammbildung (S. 44) behielten die sich vertragenden Mannschaften ihre gruppenmäßige Privatzone bei und demnach auch ihre Souveränität. Dreifache Entwicklung des Homo sapiens

Der Homo sapiens entwickelte sich parallel harmonisch auf drei (körperlichen, instinkt-mäßigen und geistigen) Bahnen bis zu ihrer gemeinsamen Vollreife am Ende der Adoleszenz, solange er in der primateneigenen Kindergruppe der Horde wuchs. Die sich daraus ergebenden „Persönlichkeit“ war ebenfalls dreifach. Sie bestand

a- aus der rein geistigen Entwicklung (Weisheit, Kreativität, Spontaneität), b- aus der geistig intellektuellen Entwicklung (Selbsterkenntnis, -wertgefühl) und c- aus der geistig sozialen (Gruppenverbundenheitsgefühl; eigentliches Liebes-

vermögen; Verantwortung, Einsatz und Opferbereitschaft/ Gruppensouveränität)...

Diese dreifache Entwicklung fand wiederum in 6 Schüben statt: I. ab der Geburt in der Oralen Phase, II. in der Analen (vom 3. Lebensjahr), auf die III. die Genitale Phase (5.-7. L. j.) folgte. Daran schloss IV. die Phase der Latenz (auch Dornröschenschlaf genannt), die V. um das 12. Lebensjahr zur Pubertätsphase wechselte und VI. um das 16. in die Adoleszenz mündete, wo sich die Entwicklung bis zum 21. Lebensjahr vollendete. 1 - Die Oralphase (1.-3. L. j.) beginnt mit dem vom Neugeborenen seiner sozialen Umgebung entgegengebrachten Urvertrauen, das das Fundament zur Entwicklung einer zukunfts- und lebensbejahenden Persönlichkeit wird, vorausgesetzt, dass das Kind von einer 3fach gereiften Mutter, die also Selbstsicherheit und Mut ausstrahlt, gesäugt, gepflegt und liebkost wird. Auf ihrem Rücken oder in ihren Armen getragen fühlt es sich sicher (geborgen) und erhält sein Urvertrauen bestätigt, denn nur wer wehrhaft und selbstsicher ist, vermag diese Befindlichkeit zu vermitteln, die zwar ‚rein geistig‘ erlebt wird, für die aber die zwei körperlich-instinktmäßigen Bedürfnisse nach Lust und Nahrung (Energie) unverzichtbar sind. Nur in dem Maße, wie alle drei Bedürfnisse gedeckt werden, fühlt sich das Kind glücklich, sonst bringt das unberührte, hungrige, ungeborgene Kind sein Unglück durch frustrierte Unruhe, Wut und Angst zum Aus-druck… Seine Urpersönlichkeit ist also der dreifachen Reife entgegengesetzt, äußert sich durch die Egozentrik, den fordernden Egoismus und die Abhängigkeit – also den instinktverankerten „Narzissmus“ des Säuglings, so vermag nur eine dreifachreife Mutter mit ihrem Kind ein symbiotisches Gleichgewicht herzustellen. Das existenzielle Glück des Kindes hängt nun voll und ganz von der dreifachen Reife der Mutter ab...

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Glaube

Techne

Kunst Sprache

Mysrtik

Wissen

angeborene ORALITÄT

Gleich nach der Geburt werden die Grundlagen der zukünftigen “Persönlichkeit“/ Weltanschauung/ Existenzeinstellung) gelegt; Dieses „Urvertrauen“ hängt aber von der dreifachen/ körperlich-, instinktiv- und geistigen) Reifung der Mutterperson ab. Vom 1. - 3. Lebensjahr erwachen die 3 Grundbedürfnisse nach Erkenntnis, Nahrung und Sinneslust. Das Grundverhalten ist durch „Narzißmus“/ egozentrisches, aggressives ungeduldiges Fordern/„Bemächtigungsdrang“) und Abhängigkeit gekennzeichnet.

REIFE WEIßHEIT

KREATIVITÄT SPONTANEITÄT

SELBSTWERTGEFÜHL LIEBESVERMÖGEN

VERBUNDENHEITSGEFÜHL VERANTWORTUNG

EINSATZBEREITSCHAFT OPFERBEREITSCHAFT

FREIHEITSDRANG

angeborene ANALITÄT

In dieser „Analphase“/ 3.-5.L.j.) erwachen die 3 Grundinstinkte: „Sozialität“, „Sexualität“ und Privazität, vorausgesetzt, dass das Kind über eine primateneigene Kindergruppe verfügt, in der es mit den gleichaltrigen wetteifern kann (Ursexuali-tät), Orientierung bei den älteren Kindern findet, eigenständig werdend und - in dem Maße wie es ihm dies gelingt - sich helfend und schützend für die jüngeren einsetzt, dadurch psychisch reifend. Diese psychische Entwicklung legt den Grund der zukünftigen Souveränität. Die in der Oral-phase mit der Mutter getauschte Libido ver-legt es in dieser Phase auf seine Gruppen-mitglieder. Der After wird zum dominierenden Lustzentrum. angeborene GENITALITÄT

In dieser Phase/ 5.-7. L.j.) wird die Geschlechtszugehörigkeit bewusst; die Kindergruppe teilt sich in zwei geschlechtsspezifische Gruppen und sie nehmen voneinander Abstand. Vom 7.-12. L.j. setzt sich die dreifache Bahnen der Ent-wicklung weiter fort, während die endokr-inisch-anatomisch-genitale Entwicklung eine Pause/ Latenz) einlegt. Am Ende dieser Phase verlassen die pubertierenden Knaben die Kindergruppe und integrieren sich in der zur Zeit waltenden Mannschaft (Nest-Flucht-Instinkt). PUBERTÄT und ADOLESZENZ

Vom 12. -16. L.j. reifen die Hoden, Eierstöcke, Prostata und Milchdrüsen, die respektiven geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen veranlassend. Die Entwicklung schließt mit der Adoleszenz Phase (16.-21. L. j.), in der sich die intellektuell-geistige Entwicklung vollendet, die dreifache Bahnen-Entfaltung des Menschseins krönend; so ist diese Phase durch die Kreativität (kulturell-zivilisator-ische Leistungen) gekennzeichnet.

S o z i a l i t ä t Verbundenheit

S e x u a l i t ä t (Ver-

mehrung & Zuchtwahl

E n e r g i e (Nahrung)

L u s t (Erotik)

S i c h e r h e i t (Be- wegungsfreiheit) Instinkte

Der körperliche, instinktmäßige und geistige Entwicklungsvorgang von der Geburt bis zur seelischen Vollreife in der „Adoleszenz“

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Kulturen und Zivilisationen

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2 - Mit der Zahnung des Kindes nimmt bei der Mutter die Laktation ab und während der Reduzierung wird sie wieder brünstig bzw. schwanger; Die Mutter-Kind-Beziehung nimmt ein endgültiges Ende. Das Kind integriert sich in die primateneigene Kinder-gruppe, wetteifert mit den gleichaltrigen und sucht Zuflucht, Rückhalt und Orientierung bei den älteren Kindern. In dieser Analphase (3.-5. L. j.) erwachen ansatzmäßig die drei kollektiven Souveränitätsinstinkte: Sozialität, Sexualität und territoriales Verhalten (Eigentumsanspruch/ Sicherheit). Ihre bei den älteren Kindern bereits vorangeschrittene Entfaltung bildet die Grundlage der sich um sie herum strukturierenden Gruppe, des darin sich verwirklichenden Wettbewerbsverhaltens (Mut) und der sozialen Einsatz-/ Opferbereitschaft. In dieser Phase kommt deutlich die enge gegenseitige Bedingtheit zum Ausdruck, die zwischen den 3 (körper-, instinktmäßigen und geistigen) Bahnen der Entwicklung besteht. Geistige Hauptleistung des Kindes in dieser Phase ist die Erkennt-nis: kein Bestandteil der Mutter mehr, sondern ein selbständiges, für sich verantwortli-ches Wesen zu sein, so versucht es sich als solches zu bewähren, allerdings nicht als ‚Individuum‘, sondern als Mitglied einer Gruppe (Sozialität).

Solche Mitgliedschaft ist komplex (dreischichtig, s.u.) und dynamisch (Leistungsaus-tausch), so misst sich das Kind mit seinen gleichaltrigen Spielgefährten bzw. - ebenbür-tigen Kindern, sucht Rückhalt bei den reiferen und setzt sich für die schwachen ein. Die Herausbildung von ‚Parteien‘ innerhalb der Kindergruppe führt zum vorerst geschlechts-neutralen Wettbewerb zwischen den Gruppen (Ursexualität) und der begleitenden Bewusstwerdung des Souveränitätsanspruchs (Gruppenprivatsphäre; Abgrenzung von-einander) hin. Die Libido, die in der Oralphase zwischen Mutter und Kind getauscht wurde, wird in der Analphase als Sympathie geist-körperlich zugleich zwischen den Gruppenmitgliedern ausgetauscht, als Bindemittel dienend. Die erogene Zone oder das Lustzentrum verlagert sich vom Mund auf den After...

3 - Während in der Analphase die Gruppenbildung noch gemischt verläuft, nehmen die Geschlechter in der Genitalphase (5.-7. L. j.) bewusst voneinander Abstand. Die Gruppen werden zu Geschlechtergruppen. So beginnt diese Phase mit der Entdeckung der Geschlechtszugehörigkeit. Das Kind empfand sich davor – trotz Wissen um das anatomische Zweierlei – als geschlechtsneutral, schon das ES aber ist wesensmäßig zweigeteilt in ‚weiblichen‘ Eros und ‚männlichen‘ Thanatos. 3 So hat das weiblich ruhende Ei eine die Erbinformationen verschmelzende Funktion (Synthese), während die nach 2 Sorten differenzierten Spermien anhand ihrer Beweglichkeit die Entscheidung (Analyse) fällen, welches Geschlecht das Ei bilden wird, entweder ein männliches, oder ein weibliches Wesen erzeugend, je nach dem, welche der 2 Sorten das Wettschwimmen zum Ei gewinnt. Dementsprechend erfolgt die Organisation der Psyche, die bei beiden Geschlechtern genauso von Grund auf doppelt angelegt ist; so wird DER Verstand als informierend ‚männlich‘ und DIE Vernunft ihm gegenüber als informations-empfängend ‚weiblich‘ empfunden, u.z. sowohl im Manne als auch in der Frau. Erst indem die

3 Einen Versuch dieser Richtung unternahm auch C. G. Jung. Indem er aber das Ich der Frau als männlich (animus), das des Mannes als weiblich (anima) definiert, bringt er die Sache durcheinander. Richtig wäre gewesen, das ICH innerlich als stets ‚weiblich‘ aufzufassen, u.z. mystisch wie Eckeharts Goldenes Gefäß, dem Animus (Es) gegenüber jungfräulich empfänglich. Nicht aber passiv, denn die Synthese mit den Eingebun-gen erfolgt aktiv – die Anima integriert ihren Animus, die Geliebte ihren Geliebten …

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Vernunft die Eingebungen ihres Verstandes nach Außen umsetzt, wird sie schöpferisch, zum Untauglichen tötenden Pfeil am lebendigen Bogen Heraklits. Nicht diese meta-psychologische Komplementarität aber ist es, was in der Genitalen Phase zu erwachen beginnt, sondern das im Augenblick der Eibefruchtung als Mann oder Frau angelegte Verhalten. Die Identifizierung des Kindes mit seiner geschlechtseigenen Bestimmung erfolgt bewusst – ebenfalls die sich daraus ergebende Aufgabendifferenzierung der Geschlechter, die zu einer gegenseitigen Abgrenzung (‚Entfremdung‘) beider Gruppen führt. Die Erogene Zone verlegt sich in dieser Phase auf die Genitalien – der Lustaus-tausch innerhalb der Jungen- und Mädchengruppen gewinnt an Vorrang.

4- Vom 7. bis zum 12. Lebensjahr stellt sich eine Ruhepause (Latenz oder Dornrösch-enschlaf) ein, die jedoch nur die Hormonproduktion der Sexualdrüsen (s.o.) anbetrifft. Die restliche körperlich-geistige Entwicklung setzt sich ungehindert fort... Eine Erklä-rung bietet Freuds phylogenetische Annahme, dass der Hominide, von dem der Homo sapiens abstammt, mit seinem 5. Lebensjahr die Pubertät erreichte und ab dem 7. sexualreif (fruchtbar) wurde, dafür aber blieb sein ‚Großhirn‘ klein. Eine fruchtbarkeits-hemmende Mutation erlaubte seinen Nachfahren nun, das Gehirn stark weiter wachsen zu lassen, die entsprechende Vorteile erwerbend. Während dieser 5 Jahre langen Frucht-barkeitspause setzt der ‚Heranwachsende‘ sein Gruppenverhalten weiter fort, parallel seinen Geist vom Glauben zum Wissen umwandelnd, so dass er am Ende der ‚Latenz‘ ein derartiges Maß an psychischer Reife erlangt, dass er sich von der Kindergruppe lösen (Nestflucht-Instinkt) und der respektiven Erwachsenengruppe integrieren kann, auf sein endokrinisches Frühlingserwachen wartend.

5 - Was in der Pubertät (12.-16. L. j.) wiedererwacht, ist also die Genitalphase (s.o.). Sie setzt ihre Entwicklung fort, das Sexualverhalten vollendend, das doppelt ist: Die männliche Sexualität, die aus gegenseitigem Wettbewerb der Mannschaften um die Frauengruppe besteht, und Die weibliche Sexualität, die aus der sog. hysterischen Brunft – ein auffallend ungezieltes Rufen und Gestikulieren – besteht (was erst das Kampf-verhalten der Mannschaften auslöst) und mit der Begattung endet. Der doppelte Sinn solchen Verhaltens: die Erfüllung des Natürlichen Zuchtwahlgesetz durch die Männer und die der Vermehrung der befruchteten Eier durch die Frauen, bleibt beiden Geschlechtern grundsätzlich unbekannt (diese Entdeckungen sind kultur-wissenschaftlich bedingt), so gibt es in der Natur keine sog. „Vater/Kind-Beziehung“.

Die Bewusstwerdung der Sexualität in der Pubertät besteht also nicht etwa aus ‚Anziehung der Geschlechter und gezielte Paarung‘ – wie allgemein angenommen wird –, denn das ganze wird durch den Vollmond ausgelöst, der die Eireifung veranlasst, dies die endokrinische Brunft und die Brunft den ebenfalls endokrinisch kämpferischen Wettbewerb der Mannschaften um die sich lautmeldende, von einer Mannschaft bereits ‚umzäunten‘ Frauengemeinschaft (s. Dornröschens Hecke Allegorie u.a.). Mit der Ver-treibung der unterlegenen Mannschaften vom Frauenterritorium endet das männliche Sexualverhalten und mit der Begattung bzw. Befruchtung des Eies endet das der Frau und auch die Pubertät – nicht etwa mit der „Bindung von Mann und Frau“, geschweige denn sog. Elternschaft! ... Irrig ist auch die Annahme, dass erst in der Pubertät die Erotik

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K U L T U R E N U N D Z I V I L I S A T I O N E N

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und – noch irriger! – die Liebe erwache. Solche Auslegung des pubertären Frühlings-erwachens ist narzisstisch-patriarchalisch kontaminiert. Die Erotik verstärkt sich zwar in der Pubertät, sie dient aber nicht der Vermehrung, sondern der Körperpflege und Ein-gliederung des Heranwachsenden in seine Geschlechtergruppe: als sympathisches Bindemittel der Geschlechter unter sich... 6 - Während sich die körperliche und instinktive Entwicklung des naturverbundenen Menschen in der Pubertät vollzog, vollzog sich in der Adoleszenz (16. - 21. L. j.) seine geistige Vollendung, alle 3 Bahnen in dauerhafte Harmonie bringend. Konkret zum Ausdruck kam die optimale Entwicklung in der Ergänzung des Einzelnen mit seinen Geschlechtsgefährten anhand kreativer Ausübung ihrer körperlich-geistigen Anlagen, sie bewusst in den Dienst der Gruppe und des gegenseitigen Nutzens in der jeweiligen Horden-Beziehung setzend, und unbewusst in den der Erhaltung der Art. Da Kreativität zu einer bewussten Umgestaltung der Beziehungen und Veränderung der Umwelt im Sinne der Vorstellungen und Bedürfnisse des Menschen führt, schuf jede Geschlechtergruppe unweigerlich ihre eigene Kultur und Zivilisation, die während der vorrübergehenden Symbiose beider Geschlechter innerhalb jeder Horde ausgetauscht wurden, eine gegenseitige Bereicherung ermöglichend. Um so weitreichender wurde diese Entwicklung nach dem Eintritt der Sprachmutation, die die geistige Auseinander-setzung erleichterte, tiefgreifender und effektiver machte, so eroberte die sprechende Mutante Homo sapiens cromagnonensis die ganze Erde vor allem deswegen, weil ihre Mannschaften aufgrund der sprachlichen Verständigung ‚Verträge‘ zu schließen verstanden und allgemein viel bessere Strategien für die Eroberung der Jagdgründe zu entwerfen vermochten als ihre sprachlosen Artgenossen, die von ihnen verdrängt nach und nach ausstarben... Die kulturell-zivilisatorische Entwicklung der Urmenschheit lässt sich nicht mit unserer vergleichen, denn – während unsere sich natur- und absurderweise menschenfeindlich auswirkt: neurotisierend und genetisch-degenerativ, trugen die prähistorischen Kulturen und Zivilisationen zur allgemeinen Erleichterung des Daseinskampfes und zum höheren Lebensgenuss bei – nicht nur für die Menschheit, sondern auch die restlichen Arten (Optimierung des Ökologischen Gleichgewichts). Dies war möglich, weil alle Lebewesen dieselben Instinkte (s. Bedürfnistabelle) besitzen und denselben Grundgesetzen unter-worfen sind... Die Vollendung der 6 Grundinstinkte (Fundament der psychischen Reife) führt sowohl zur rein geistig intuitiven Weisheit als auch zur rationalen Erkenntnis der Natur und zur philosophischen Klärung der Existenz, im Persönlichkeitsbereich zur Selbsterkenntnis, Selbstbestimmung und Selbstwertgefühl, Verantwortungsvermögen, Einsatz- und Opfer-bereitschaft hin. Darauf beruhen nun Humanität und geistige Souveränität...

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Das Natürliche Auslese Gesetz (N.A.G.)

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Das goldene Menschenalter Der homo sapiens evolutionierte in der afrikanischen Savanne zu nomaden souveränen Geschlechtergruppen, die sich in Horden symbiotisch verbanden. Als die Urheimat der Menschheit vollbesiedelt war, breiteten sich die überzähligen Horden dank ihrer Körperbehaarung in den Subtropen aus und jene die lernten, Vorräte für den Winter anzulegen, vermochten sogar die rauen Zonen am Rande der eiszeitlichen Gletscher-kappe zu besiedeln. Nur jene, die aufgrund einer in Afrika vorteilhaften Mutation die Körperbehaarung verloren hatten, blieben gezwungenermaßen in ihrer überfüllten Urheimat zurück und sie wären noch heute dort, wenn nicht eine weitere Mutation bei ihnen eingetreten wäre: Der Kehlkopf, der bei allen anderen Primaten naturgemäß auf der Höhe des Unterkiefers lagert, schob sich zur Mitte des Halses herab, wo er bis heute bei uns blieb. Ursprünglich lebensgefährlich (Erstickung der Säuglinge beim Saugen) erwies sich diese Mutation bei den Überlebenden als eine der größt denkbaren geisti-gen Errungenschaften des Protoplasmas, denn der freigewordene Spielraum zwischen Kehlkopf und Schädel erlaubte ihm die willkürliche Artikulation der Stimme, und so fingen sie Geräusche zu imitieren und die Dinge zu benennen (1 Mose 2, 19-20) an, ihre Wünsche und Sorgen untereinander mitteilend und ihre Ansichten tauschend. Diese neue Errungenschaft erlaubte ihnen viel besser, einander zu verstehen und zu helfen, nicht nur innerhalb der Geschlechtergruppen und ihren Horden, sondern auch diesen wechselseitig. Bis dahin hatten sie sich als Rivalen gemieden, jetzt vermochten sie sich in der Not zu vertragen, indem sie die Bedingungen der Zusammenarbeit formulierten und sich verpflichteten ‚Wort zu halten‘. Solche politischen Organisationen waren anhand ihrer gemeinsamen Schlagkraft nicht nur imstande, sich in der überfüll-ten Ursavanne besser durchzusetzen, zusätzlich haben sie auch anderen Erfindungen sprachlich zur nächsten Generation weitergegeben, das technologische Wissen immer mehr vertiefend, bis einigen von ihnen gelang, alle Nachteile ihrer Nacktheit auszuglei-chen und das übervolle Afrika zu verlassen. So erfinderisch wurden diese Bündnisse, dass ihnen sogar gelang, ihre Jagdgründe bis hinter die Polarkreise auszuweiten, während die sprachlos gebliebenen Mutanten immer weiter aus den fruchtbaren Territorien zurückgedrängt wurden und schließlich den Genozid erlitten... Als die Welt aber vollbesiedelt war, wiederholte sich die Daseinskrise der Ursavanne, denn die Mannschaften hatten sich weiterhin instinktmäßig zweigeteilt, sobald sie die Mitgliederzahl von 11 Mann überschritten, neue Gruppen bildend, die jede ein Gebiet für sich beanspruchten und den Kontakt zu den anderen mieden. Als die unterlegenen Gruppen nun keine Auswanderungsmöglichkeit mehr fanden, mussten sie ins Gebiet der siegreichen Mannschaftshälfte zurückkehren und mit ihr über die Bedingungen des ‚Gastrechts‘ verhandeln. So entstanden vor allem in den ausweglosesten dieser dichtbe-siedelten Zonen: an den Ufern der Wüsten und Meere, die großen Stämme des Silbernen Zeitalters, die wir die Megalith-Kulturen nennen. Diese Organisationen unterschieden sich von denen der vorherigen Menschheitsepoche vor allem darin, dass sie nicht mehr aus kleineren gemeinsamen Existenzsorgen entstanden, deren Ende so absehbar war wie die Zusammenarbeit beim Versuch, eine Neander-Horde von deren begehrtem Gebiet zu verjagen, sondern vom Druck der globalen Überbevölkerungskrise, für die sie

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Die größte kulturelle Leistung

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keinen Ausweg kannten. Die Urmannschaften davor waren imstande gewesen, sich aus ihren Verträgen bald wieder zu lösen, zurückkehrend in die wirtschaftliche Autarkie, die das Goldene Zeitalter kennzeichnete, in dieser neuen Epoche aber war weder für die siegreiche noch für die unterlegenen Mannschaften der Stämme irgend eine Möglich-keit in Sicht, ihr Bündnis durch Abwanderung zu verlassen – für souveräne Menschen eine unerträgliche Situation, so blieb ihnen nichts weiter übrig als zu versuchen, das Überlegenheits-Unterlegenheitsverhältnis zu wahren bzw. umzukehren, das urpolitische Zusammenleben in ununterbrochenen Alarmzustand versetzend... Ursprung des Totemismus in den Megalithkulturen Nun, die eigentlich arteigene, evolutionsmäßig entstandene Urlebensform der Mensch-heit ist nicht die Familie bzw. deren Organisationen (patriarchatische Sippen, Völker und Nationen) wie alle glauben, sondern die Horde von 1er Mannschaft und 1er Frauen-/Kindergruppe, denen die gegenseitige Abhängigkeit nur aus ihrer gefühlsmäßige Ver-bundenheit und respektiven Sozialität bekannt waren. Verbundenheit und Abhängigkeit zwischen einem Mann und 'seiner' Frau – wie im Patriarchat – existierten nicht, so waren die Männer- und Frauengemeinschaften der Horde souverän, jede für sich und die Erfüllung ihrer geschlechtseigenen Daseinsbestimmungen verantwortlich und haben dementsprechend unabhängig voneinander eigene Kulturen entwickelt (S. 41). Da die Mannschaften für ihre Verjüngung aber auf die Frauengemeinschaften angewiesen waren, wetteiferten sie ständig um die Territorien, in denen sie sich mit ihren Kinder-gruppen aufhielten, und nur jene Mannschaften, die sich darin behaupteten, die Rivalen fernhaltend oder immer wieder verjagend, vermochten genügend viele der heranwach-senden Knaben aufzufangen, ihre Alters- und Kampfbedingten Verluste auszugleichen oder sogar zu überwiegen, sich dann w. o. g. zu zwei ihrerseits wetteifernden Hälften zerteilend. Welche sich dabei erneut bewährte, zu einer Siegermannschaft werdend, befruchtete dazu die brünstigen Frauen, dadurch das Natürliche Auslesegesetz (N.A.G.) erfüllend, die besiegten Mannschaften aber fanden sich damit nicht ab, sondern versuchten immer wieder von neuem sich zu behaupten oder suchten nach anderen Frauenterritorien.

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So lief es 10 Millionen Jahre lang während der gesamten Menschwerdung (s. Goldenes Zeitalter). Die letzte Mutation dieses Vorganges vermehrte sich stark und besiedelte nach und nach unseren ganzen Planeten, so dass sowohl für die nomadisierenden Horden als auch für die von ihnen auswandernden ‚freien‘ Mannschaften immer schwieriger wurde, ein an Lebensbedingungen geeignetes Gebiet zu finden. Dies zwang einige Frauengruppen, ihr sammelndes Wanderleben aufzugeben, um Pflanzen anzu-bauen, die Landwirtschaft entwickelnd, während einige der jagenden Mannschaften Tiere zu domestizieren lernten, Hirten werdend, die die Landschaften mit ihren Herden durchstreiften und falls tüchtig sesshafte Frauenkulturen ‚eroberten‘. Jene Mannschaften aber und gar ganze Horden, denen es nicht gelang, ihre mühsam fruchtbar gemachten Gärten und Weiden gegen die hungernden Rivalen abzuschirmen, mussten sich mit ihnen über die gemeinsame Nutzung der Lebensquellen einigen. So bildeten sich Stämme von im Kern stets 3 Mannschaften: zwei unterlegene (siehe C + B2), die sich mit einer überlegenen Mannschaft (A) verbündeten, ihr deren Sosein gemäß Vorrang einräumend bei der Lenkung der politischen Angelegenheiten, beim Auffangen der heranreifenden Knaben und Zugriff auf die Nahrung.

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Damit begann die Epoche der Megalithkulturen, die es verstanden, die Arbeitskraft und Kreativität aller Gruppen für die vergleichsweise sprunghaft zunehmende Weiterent-wicklung der prähistorischen Zivilisationen zu bündeln, die Neolithische Revolution veranlassend. Jene Megalithstämme, denen gelang, sich gegen fremde Bündnisse zu behaupten und deren Kulturen zu integrieren, hoben abermals die Produktion anhand weiterer technologisch-künstlerischer Errungenschaften an, zu den ersten Hochkulturen unserer Erde werdend, ohne ihre ursprüngliche Lebensform (deren Erhalt und Gedeihen diese Entwicklung diente) zu verlassen oder zu verändern.

Undurchschaut aber und gefolgt von Verhängnis war, dass die unterlegenen Mannschaf-ten während dessen begannen, die Pflichten und Rechte des politischen Zusammen-lebens ins Über-Ich zu verinnerlichen, eine Erstarrung des Denkens und Empfindens und eine Verirrung des Verhaltens auslösend. So wurden die einst aus Einsicht in die Notwendigkeit vereinbarten Vertragsbedingungen zu den ersten ‚kulturellen‘ Urgeboten der Menschheit. Nach wie vor appellieren sie zwar an „Eigenverantwortung und

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Erfüllung der gemeinsam vereinbarten Ordnung“ (z.B. das Abkommen, die Siegermannschaft mittels ‚Steuern‘ zu ernähren, damit sie Zeit fände, die Steuerung des Stammens zu übernehmen). Mit ihnen aber entstanden jene Autoritäts-, Anpassungs-, Pflicht- und Schuld-Begriffe, die – einmal verinnerlicht – Strafangst mobilisierten, Unterwürfigkeit, kompensatorische Allmachtsphantasien, Auflehnung und Furcht vor den Folgen bewusst machend und – bei einigen labilen Menschen – den Glaube an die Realisierbarkeit des Größenwahns Anhand Magie (totemische Besessenheit) erzeugten, sie zu jenen ‚Schamanen‘ machend, die in der restlichen Menschheitsgeschichte eine fatale Rolle spielen sollten, denn mit ihnen traten auf Erden die ersten machtstrebenden Psychopathen, die bis heute uns zum Untergang hinleiten.

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Ursprung der Familie und des Patriarchats Solange die Schamanen dem Stammrat unterworfen blieben, blieben sie harmlose Zau-berer; der Megalithrat konnte aber nicht verhindern, dass die Menge der unterlegenen Mannschaften immer wieder versuchte, die vereinbarten Recht- und Pflichtverhältnisse umzukehren, das Zusammenleben unerträglich machend. So erließ der Rat schärfere Vertragsbedingungen, die den Frieden im Stamm effektiv sicherten, die sich aber als verhängnisvollster Irrtum der Menschheitsgeschichte erwiesen, denn – um die rebelli-schen Mannschaften leichter kontrollieren und überwältigen zu können – wurden ihre Männer vereinzelt, und bei jenen Stämme, die bereits sesshaft geworden waren, wurde dazu jeder mit einer der Frauen seiner Horde gepaart und in eine Parzelle gesperrt, die sie bebauen sollten (s. Einführung der Monogamie und des Privateigentums unter den Menschen der Horden B und C)... Die Tragweite dieser verhängnisvollen Einrichtung lässt sich daran ermessen, dass sie – freilich verhüllt – in den Schöpfungsmythen fast aller gegenwärtigen Kulturen fest-gehalten wurde, so in 1. Mose 2,15-24, wo unter anderen bemerkenswerten Details auf die leidensvolle Einsamkeit Adams in seinem Verließ hingewiesen wird. Dies Leiden war dreifach, denn durch die Isolierung von ihrer Mannschaft blieben den Einzelnen vier Grundbedürfnisse frustriert: das nach Mannschaftsbildung (Sozialität/ 2.), der sexuelle und territoriale Wettbewerbsdrang (3. und 6.) und die Homoerotik (5.), die als Gruppen-bindemittel diente. Dass die Frau – Eva – ihm zum Trost gegeben worden sei, stellt eine spätere Verlegenheitserklärung zur Monogamie-Einführung dar, denn ihre Funktion war, den Mann an sie und seine Parzelle zu fesseln, respektive in der Vereinzelung zu halten. Die Einführung der Monogamie führte also zu 3 Geboten, die spezifisch des Mannes ersonnen und durchgesetzt wurden: „Du sollst nicht um Verbündete buhlen“ (6.), „Du sollst nicht das Weib..“ und „…das Eigentum deines Nachbarn begehren“ (9. + 10.) Das Fatale der Monogamie-Einführung bestand darin, dass sie zur Entstehung der „Familie“ führte, in der alle Kindergenerationen bis heute – wegen der darin akuten Unmöglichkeit einer primateneigenen Kindergruppe – in der Oralphase stecken blieben (narzisstische Fixierung), bzw. einsatz- und opferbereitschaftsunfähig (egoistisch) und gewaltsam destruktiv gemacht wurden. Dies Syndrom wurde auch von den ‚Schöpfungs-mythen‘ praktisch aller heutigen Kulturen festgehalten, so in 1. Mose 4,1-15, wo mit Kajin ein neuer Menschentyp, neigend zum Drang nach Anerkennung, Gewalt und Destruktivität, und unter Schuld, Strafangst und Einsamkeit leidend, auf die Welt kam. Dieses Syndrom hat der neue Menschtyp auf seine Umwelt projiziert, die animistische in eine neue, böse, bedrohende, kontrollierende und strafende Weltanschauung (Totemis-mus) umwandelnd. (Siehe auch die von Tacitus beschriebene GENEA Germaniens, die nicht nur einen Glaubensdualismus aufwies, sondern ebenfalls politisch aus einer Mischung bestand, nämlich einem in souveränen Geschlechtergruppen lebenden Urstamm und einer aus Familien bestehenden Unterschicht)... Dieselbe Wesensveränderung machten die im Urstamm unterworfenen Schamanen durch. Sie waren nicht lediglich getrieben von Allmachtwünschen, die sie anhand Magie zu erlangen strebten (Besessenheit), sondern versuchten dazu – mittels Gewalt – sich politisch durchzusetzen, indem sie die

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Familienmasse gegen die megalithische Urordnung aufhetzten, zu jenen Hexer werdend, die – wo ihnen der Streich gelang – als die ersten Priesterkönige in unsere Patriarchats-geschichte entgingen. So gipfelte die Totemische Phase unserer Menschheitsgeschichte in die Einführung der Monogamie und endete mit der endgültigen Vernichtung der megalithischen Ordnung – festgehalten u.a. vom Mythos der Sintflut (1 Mose, Kap. 6-9), die in Wirklichkeit also aus dem Krieg der herrenlos gewordenen Familienmasse um die Alleinherrschaft und das Reichtumsmonopol bestand (s. Urchaos), womit unser heutige Klassengesellschaft begann (s. Kirche und Primitivgesellschaft)...

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Zwischen Urchaos und Klassengesellschaft liegt aber als Übergang der Feudalismus, nämlich jene Phase, die der Zerstörung der megalithischen Ordnung und dem Krieg der Familien gegeneinander um die Macht und den Reichtum direkt folgte: eine Zeit, während der sich die Hexer im Bestreben ihres Machterhalts zu Stellvertretern der ‚im Himmel‘ verschwundenen Urkulturen (Götter) selbsterklärten und begannen, die wider-spenstigen Untertanen mit der Hölle nach dem Tode zu terrorisieren, was zur Ent-stehung der noch heute existierenden Religionen führte. Dies wäre freilich undenkbar gewesen, wenn nicht bereits die Masse der unterlegenen Mannschaften im Stamm betroffen vom Totemismus gewesen wäre, glaubend an die Hölle und ein Leben nach dem Tode samt Belohnung und Strafe, je nach Auflehnung oder Fügsamkeit gegenüber den ins Über-Ich verinnerlichten Bestimmungen der ehedem vereinbarten Verträge Der neue Religiöse Glaube setzt nun den Ausbruch des narzisstischen Syndroms voraus (d.h. die aus der Monogamie entstandene Familie) und wurde er den Kindern anerzogen zwecks Bändigung ihres Egoismus und ihrer gewaltsamen Destruktivität (Kajins Syndrom), ihnen – anhand Strafangst – Zucht, Gehorsam und sadomasochistischen Umgang mit dem Leiden beibringend... Zwei Gebilde kennzeichnen das Patriarchat: Kirche und Staat. Letzter gilt als ihr abtrünniger Sohn, in Wirklichkeit stellen beide Aspekte des patriarchalischen Systems dar (die Entartung des Erkenntnis- und Handlungsdrangs). Bei der ‚Kirche‘ tritt die totemische Herkunft in den Vordergrund, beim ‚Staat‘ die politisch ökonomische. Je nach dem welcher Aspekt dominiert, ergeben sich zwei Varianten: Feudalismus oder Kapita-lismus. Ideologisch fassen sie sich selbst zwar verschieden auf: Während die Kirche behauptet, Gott zu dienen und zwischen ihm und dem Volk zu vermitteln, erklärt sich der kapitalistische Staat selbst zum Gott im Dienste des Volkes. Beide aber huldigen dem Profit (offen oder heimlich) und belügen die Masse (Bakunin)... Der Staat aber hätte keinen Bestand ohne das moralische Fundament im Totemismus (10 Gebote), den die Kirche als ihr eigenes Wesen auffasst, und sie selbst wiederum würde nicht existieren ohne die ‚ökonomische‘ Dynamik aus Konsum und Produktion (Unterwerfung und Arbeitszwang der Masse) und den Profit einer herrschende Minderheit, ohne dass es heiße, dass die herrschende Klasse nur ausbeutet und die Masse nur ausgebeutet wird, denn jeder Gesellschaftsmensch unterdrückt und beutet skrupellos seine unterlegenen oder abhängigen Mitmenschen aus – auch die eigenen Kinder... Gemeinsam ist beiden auch die Unwissenheit über den Ursprung der totemischen Moral und die Herkunft der Monogamie (s. animistisch-totemische UR-GENEA). Die Kirche fuhrt sie unmittelbar auf Gott den Schöpfer zurück, der Staat wiederum auf das Über-Ich (Gewissen) – s. Kants Kategorischer Imperativ. Ebenso unwissend sind sie über den Anfang der patriarchatischen Gesellschaftsordnung. Die Kirche hält sie für gottgewollt, der Staat für eine Errungenschaft des Menschen, auf Kosten seiner eingebüßten Instinkte (Instinktverarmung). Der eigentliche Ursprung ist aber psychopathologisch: der Krieg aller gegen alle um die alleinige Macht, individuellen Reichtum und Ruhm (Prestige; Eitelkeit) – ein Syndrom, das in der narzisstischen Wesensentstellung wurzelt und aus der Familien-Institution entstand. Den davon bedingten Egoismus treibt oral-

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Aufstand der totemisch besessenen Familienmassen – hier von Zeus (links) geführt – gegen die souveränen Horden, deren Megalithrat von Typhoeus (rechts) stellver-treten wird. Diese Revolte führte zum Sturz der alten Ordnung, zum Urchaos und schließlich zur Entstehung des Patriarchat hin – der Name Zeus erhielt während dessen den an die patriarchalischen Verhältnisse ange-

Lebens- quellen

Kampf der Familien gegeneinander um die Alleinherrschaft und um die Lebens- quellen

Wachstum der Eigentümer zu autarken Privat- Großfamilien ( “ P a t r i a r c h a t e “ ) eigentum

HERREN und

LEIB - EIGNE

Privat- eigentum

“Gott ist dein Herr“

“Ehre deinen Vater und deine Mutter“

Religiöser Glaube / 2. Mose 20, 1-17

“Lohnarbeiter“

‘Volk‘

Unterwerfung der besitzlosen Familien

“Du sollst nicht “Du sollst nicht “Du sollst nicht Selbstjustiz üben“ falsch zeugen die Habe deines vor Gericht“ Nächsten begehren

“Du sollst nicht um Verbündete buhlen“ “Du sollst eine eigene Frau erwerben“

Konkretisierung des Über-Ich-Inalts als S t a a t s v e r f a s s u n g und S i t t e

H e r a u s b i l d u n g d e s “ B ü r g e r t u m s “

Groß - grundbesitzer

Rückbildung der Groß- zu Kleinfamilien

( “ P r o l e t a r i s i e r u n g “ )

A u f s t a n d

THEOKRAT I SCHER KRE I S L AUF

Herausbildung des PRIVATEIGENTUMS

Priester / Könige bzw Papst

A d e l T O T E M I S C H E Primitiv-Gesellschaft

“Du sollst deinen Unter- halt selbst verdienen“

F E U D A L - Gesellschaft

K L A S S E N - Gesellschaft

Zeus und Typhoeus. Chalkidische Hydra, Mitte des 6. Jh. v. Chr.

passten, uns vertrauten Inhalt. Die 2 hordenspezifischen Geschlechtergruppen, in denen die megalithische Ord-nung verankert war, werden vom Doppeltschlangenleib dargestellt: die Kontinuität der Frauengemeinschaft anhand der ununterbrochen Linie, die einander im Kampf ablösenden Mannschaften anhand des gedrängten Mäan-derns, Reihe von ‚Halbinseln‘ im heraklitischen Fließen…

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masochistische Geborgenheits-Sehnsucht und anal-sadistische Destruktivität (‚Liebes‘- und Rachedrang) an, in denen Ausbeutung und Krieg verankert sind... Kirche und Staat halten nämlich Ausbeutung und Krieg für unbedingte Voraussetzungen der ‚zivilisatori-schen Entwicklung‘ – eine fatale Täuschung; in Wirklichkeit führt solch ‚Fortschritt‘ zum Untergang der Menschheit hin. Jeder Versuch, dies unheilbare System zu verbessern (Reformen, Revolutionen, Umwälzungen) mündet unweigerlich in jene Art Verhältnisse zurück, die am Anfang der Entstehung unseres Patriarchats standen (s. Theokratischer Kreislauf). Beide ignorieren also, dass ihr eigentlicher Ursprung die Naturentfremdung des Menschenwesens ist...

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Zusammenfassung (Übergang zum 2. Teil) Zur Tragödie der Menschheit führte also ein fataler Irrtum hin: die Einführung der Monogamie unter den rebellischen Mannschaften der Megalithstämme, hoffend, die Überbevölkerungskrise in Frieden zu überstehen. Die Urmenschen waren Tatmenschen. Als die Lebensquellen knapp wurden, begannen sie neue zu erschließen: Die Frauen entdeckten die Pflanzenzucht, sesshafte Landwirtinnen werdend, die Mannschaften nahmen Tiere gefangen und führten sie mit deren Nachwuchs in den Graslandschaften um die blühenden Oasen der Frauengruppen umher, zu nomaden Hirten (Tierzüchter) werdend. Die Stämme erlangten eine hohe technologische Entwicklung, keinem jedoch gelang rechtzeitig, das Bevölkerungswachstum zu kontrollieren. Die Stämme wuchsen zu Superstämmen, kulturell-zivilisatorische Zentren bildend, die großartige Bauten und andere herrliche Schöpfungen ihrer Künste, Wissenschaft und die Philosophie hinterlie-ßen, die Aussichten aber, in die Ursouveränität des Hordenlebens (Goldene Epoche) zurückzukehren, erschienen ihnen immer unwahrscheinlicher. Zu spät durchschauten ihre Philosophen den Totemismus: Die unterlegenen Mannschaf-ten, die die Siegermannschaft um Aufnahme in ihrem Gebieten ersuchten, vereinbarten mit ihr, sie im Gegenzug des gewährten Gastrechts mit Nahrung zu versorgen, diese Zusage aber führte Seitens der ‚Arbeitnehmer‘ zum Verlust der Muse, so waren sie von der ausweglosen Überbevölkerung umgeben und bald betroffen von ihrem mit den Geboten der Urpolitik versittlichten Gewissen. Die Masse der Mannschaften reagierte auf diese inwendig Gehorsam fordernde Macht mit Unterwürfigkeit dem Stammesrat gegenüber, ihn vergöttlichend, einige jedoch ersannen magische Methoden, um das aus der Unterdrückung des ES resultierende Ohnmachtsgefühl zu kompensieren, freilich ohne dass dies half, sich von ihrer Problematik zu erlösen. (Weiter im Text S. 58).

Stonehenge um 1400 v. Chr.

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Höhlengemälde Höhlengemälde

Oben ein Felsengemälde, rechts eine Darstellung der zentralen Formation von Stonehenge, die ca. 1000 Jahre später errichtet wurde. Die Skizze – betrachtend aus der Draufsicht und unter Auslassung einiger für Ungeübte verwirrender Details – zeigt 3 Mannschaften (3 mal 11 Menhire aus 3 je eigenen Gesteinsarten), die sich zu einem „Stamm“ vertragen. Ausgerichtet ist die Anlage auf den Aufgang der Sonne zum Datum der Sommerwende, nämlich der Augenblick, ab dem der Sonnengott Helios eine Schwäche zu zeigen beginnt, bis zur Winterwende an Tageslängen ver-lierend. Dadurch bietet er Gelegenheit, ihn mit Erfolg anzugreifen (Bruch eines bestehenden Vertrages) und zur Flucht nach jenseits des Horizonts (Sonnenuntergang) zu bewegen… (s. Gesamtansichten, Seiten 57 und 134). Die Felszeichnung zeigt den Kampf einer Mannschaft (11 Männer, links) gegen einen Stamm (rechts). Die Kämpfer links sind individuell differenziert und meist größer dargestellt worden. So darf angenommen werden, dass sie sich dem Stamm gegenüber als siegreich erweisen werden. Überlegenheit wird immer durch Vergrößerung der Gestalten zum Ausdruck gebracht. Demnach stellt die größte und sorgfältigst gearbeitete Figur den Führer der Mannschaft dar und die inmitten des schützenden Bogens von 5 Männern aufgeregt springende kleinste einen seiner Kinder-gruppe („Nest“) vor kurzem entflüchteten Knaben. Der Künstler muss ein Mitglied der Gruppe gewesen sein, der alle genau kannte, so ist jede Figur ein echtes Portrait. Die Feinde dagegen hat er nicht nur unterle-gen (von oben herab), sondern auch pauschal und stereotyp abgebildet, so wie man die Mitglieder einer fremden Gruppe erfasst, von der man nicht einmal den Führer erkennt...

So wie eine Mannschaft nie mehr als 11 Mitglieder zählt, kann auch 1 Stamm nie mehr als 22 Mann (2 Mannschaften), 33 (3 Mannschaften) usw. enthalten. In der rechten Partei sind 16 Kämpfer deutlich zu erkennen und weitere 4 bis 5 teilweise. (Offensichtlich ist der Felsen schadhaft: etwas Farbe blätterte ab.) Von der Überzahl des Stammes ausgehend ließe sich dann annehmen, dass eigentlich er den Sieg hätte erringen sollen, aber dann wäre die Zeichnung gegenstandslos geworden. Dass sich eine Mannschaft gegen einen Stamm behaupten konnte, ist also das Ereignis, dem der Urmensch ein unsterbliches Denkmal gesetzt hat. Dabei handelt es sich auch um die Darstellung einer kampfstrategischen Formation, die später in Stone-henge von den 11 größten, wiederum in Gestalt eines Bogens gruppierten Menhire zum Ausdruck gebracht wurde – diesmal auf Helios zielend, ein Animismus des Alphamanns (Auge) der Mannschaft Uranos, Himmel. Nach einigen tausend Jahren stetiger Vermehrung der Menschheit, Wachstum und Verschmelzen der kleinen Ur- zu den großen Superstämmen des Neolithikums, bildet dieser Bogen gemeinsam mit dem inneren (22 kleinere Menhire) das Zentrum einer Kultur, in der sich insgesamt wohl 700 Mannschaften vertrugen… Einen bekannten Mythos hinzuziehend lässt sich der große Bogen mit Zeus gleichsetzen – gedacht also als 11er-Gruppe –, die zwei Teile des kleinen Bogens hingegen mit den als Brüder * geltenden Mannschaften Epi- & Prometheus. Zu Dritt ** bildeten sie ein labiles politisches Gleichgewicht, das ein Messen der Kräfte, des Mutes, kampfstrategischen Kalküls und all der anderen Talente voraussetzt, von denen auch das um 2 Kulturepochen ältere Felsengemälde berichtet...

Schatten an z 1. Er hindert Helios, seine Strahlen in die Aug-höhlen an z 6-7 zu versenken. Dies symbolisiert einen Vertragsbruch, An- griff gegen Helios.

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Die Skizze basiert auf Befunden, die der Archäologe F. Niel „Auf den Spuren der großen Steine“ dokumentiert. Konkret zeigt sie erst den Kern der im Ganzen weit komplexer gebauten Anlage (s. a. Glück und Leid). So stellen 3 Kreise aus insgesamt 110 Löchern, konzen-trisch geordnet um den Mittelpunkt des Monuments, 3 Frauengruppen dar: vaginale Symbole im Leib der Mutter Erde, die mit den 3 o.g. Mannschaften (phallische Symbole) 3 Horden bilden – mythisch die Götter (Plus-mutanten) dieser Kultur. Die restlichen Mannschaften, portraitiert von den Kreisen x und y (30 + 38 Menhire), galten als Menschen, da ihnen der Zutritt zu den Frauen verwehrt blieb. Von diesen Minusmutanten berichten die Mythen als Kinder der Götter, die nicht selbst dazu kamen, sich zu vermehren. Dass die Menschen vor ihrer

Monogamisierung ohne Frauen leben mussten, d.h. sterblich waren gemäß des Gesetzes der Natürliche Zuchtwahl, darauf deuten auch einige Bemerkungen hin, die Fritz Graf in seiner Betrachtung des Mythos Pandora hinterlegte: s. Seite 105 ff .

(Eine jüngere Untersuchung Stonehenge (englisch) + deutsch ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

/ * Da es 2 Gruppen sind, handelt es sich um eine Bruderschaft im politischen Sinne. ‚Nut & Feder‘ an e11 & p10 wären somit die Hälften eines weiteren Vertrages, p11 entsprechend (neben-stehend fortgelassen) ein zwischen beiden Mannschaften vermittelnder Diplomat.

/ ** Etymologie des Begriffes Tribe: Drei.

Rückzug << Vorstoß E p i P r o

schaft) zweier verfeindeter Gruppen … Dieser Deutungsversuch widerspricht dem Kommentar zum Stein e11: s. 3. Foto. Einen Teils, weil die Rekonstruktion des Monuments durch F. Niel eben kein mechanisch konzipiertes Zueinander-Passen der Geometrien von e 11 und p 10 anzunehmen erlaubt, vor allem aber, weil dieselben ohne Schwierigkeit zur Deckung zu bringen sind mit der Urbedeutung der mythisch tradierten Namen: wörtlich heißt Epimetheus Der einen Rückzug memorierende Geist, Prometheus hingegen Der einen siegreichen Vorstoß im Gedächtnis behält… Über beide Gruppen erhaben wacht Der reine Geist… (theus; deus, Gott): die Mannschaft Zeus …

Dieses Foto veranschaulicht den Größenunterschied, der zwischen den 11 Menhire z und den 22 des Bogens e + p besteht. Ebenfalls illustriert es das von den Schöpfern des Monuments festgestellte Verhältnis der Überlegenheit-Unterlegenheit, das ähnlich oder iden-tisch mit dem ist, das der Mythos in der Beziehung Zeus gegenüber Pro- und Epimetheus zum Ausdruck bringt.

Schwach zu erkennen ist außerdem die längliche Mulde im Stein e11. Ihre Bezeichnung als Nut führt nun in die Irre: Da e11 einige Schritte entfernt von p10 bzw. dessen sich vorwölbender ‚Feder‘ positioniert wurde (zwischen beiden vermittelt wie gesagt p 11), lässt sich ihnen keine mechanisch stabilisierende Funktion zuordnen. Nicht Nut & Feder also, sondern ein Vertrags-Symbol verkörpern diese Formen: eine ausgesprochen geistige Leistung, denn sie ermöglicht die Kooperation (Bruder-

z 8-9

e 11

Sonnen- Untergang nach West

Gemeinschafts-gräber

Gesamtansicht von Stonehenge, gelegen an Englands Südküste. Der 137,5°-Winkel zwischen Aus- und Eingang (Nord-Ost zu Süd) stimmt mit der Realität überein, Größen- und Entfernungsver- hältnisse habe ich angepasst..

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Menhir aus Göbekli Tepe ?

(Fortsetz. von S. 55) Die selbe veranlasste bei den Betroffenen das Gefühl der Ausbeutung, nämlich jener Sachverhalt, der sich daraus ergibt, dass das Über-Ich sich zur Erhaltung seiner totemischen Inhalte der psychischen Triebenergie bedienen muss, dadurch das natürliche System der Dinge seines Feuers beraubend. Dieser inwendige Missbrauch der Libido wurde auf die Stammesautorität animistisch übertragen und zu jenem Argument, durch das die Rebellenmannschaften ihre Auflehnung für berechtigt hielten (anhand seiner betrügt die Mannschaft Prometheus die Mannschaft Zeus um den vereinbarten Anteil an der Beute) und so kamen die Megalithräte überall auf die gleiche Idee: solche Männer zu hindern an ihrem sie wehrhaft machenden Mannschaftszusammenhalt. Umsetzbar war es zuerst durch die Zertrennung in einzelne Männer (s. Orpheus‘ Zerstückelung, auch der Kugelmenschen bei Platon). Und um die Wiederauferstehung des Mannschaftslebens endgültig zu unterbinden, zweigte der Rat Parzellen vom Territorium des Stammes ab, setzte in jeden solcher Kleingärten einen Mann und teilte dazu die Frau aus ihren ebenfalls gastweise aufgenommenen Gruppen.

Dieser Maßnahme gingen eine Reihe genau bestimmter Pflichten und Verbote voran und begleitet von einem neuen: ‚Was die Götter zusammenfügten, darf der Mensch nicht scheiden‘. Zusätzlich zur inwendigen Gottesfurcht militärisch von Außen bedroht (s. flammendes Schwert der Cheruben u.a.), löste schon der Gedanke an ihren Bruch Strafängste aus, die die Betroffenen unter Belehrungen auf ihre Kinder übertrugen, so liegen solche Sitten allen Stufen unserer Gesellschaftsordnung zugrunde. So herrschte unter den Familien ein anderes Lebensgefühl, das die Urmenschen nicht kannten, und entstanden genauso unheimliche Phänomene: die religiöse Hexerei, die das Existenzgefühl der wachsenden Kinder derart zu beeinflussen und lenken verstand, dass sie die Hexer

nach und nach zu einer machvollen Priesterkönigs-Kaste erhoben, der sie sich unterwar-fen und der alle folgten als sie sie zum Aufstand gegen den Megalithstamm rief, jeden ‚wegspülend‘, der sich nicht zur Monogamie versperren lassen wollte… Darüber erfahren wir aus Mythensammlungen wie der Hesiods vom Schreiten der Urmenschheit aus ihrem Goldenen Zeitalter herab ins Eiserne, wobei unsere heutige Epoche: ankernd in den sprichwörtlich tönern gewordenen Füßen des Riesen – nichts rein Metallisches (Symbol des unter dem Druck der Übervölkerungskrise desto fester werdenden

Mannschafts-Zusammenhalts) mehr an sich hat... Vom Untergang des Silbernen Zeitalters berichten die Titanenkämpfe der griechischen Mythen, vom Totemismus des Bronzenen der ewige Kampf zwischen Gut und Böse (Zarathustras Lehre, Gnostik ) bzw. der Erzengel unter sich (Apokalypse 12, 7-9), während die Sündenfall-Geschichte der Keil-schriften Mesopotamiens bereits den Anfang vom Ende der Urmenschheitsgeschichte darstellt – doch schlimmer als all diese prähistorischen Katastrophen waren ihre Folgen:

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Denn die Kinder jener vom vergöttlichten Megalithrat erschaffenen Paare litten unter einer unverständlichen, unvorstellbar gewesenen doppelten Wesensentstellung, worunter wir heute weiterhin leiden müssen, da wir – wie sie – in der Isolation des Familienlebens geboren wurden und ohne naturgemäße Kindergruppe aufzuwachsen gezwungen waren. Darüber berichten auch zahlreiche Mythen, wie Die Büchse der Pandora und der Kajin-und-Habels-Mythos... Mit diesem Sachverhalt befasste sich Freud, unschätzbare wissenschaftliche Pionierleis-tungen vollbringend, so stellt die Sequenz: ‚Orale Fixierung‘, ‚Domestikation‘ und ‚Regressionsdrang‘, das weitere Programm dieser Arbeit dar...

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2. „Narzissmus“, was ist das?

Auszüge aus einer Auseinandersetzung mit Béla Grunberger. Bezug nehmend auf das psychoanalytische Gedankengebäude Grunbergers, wird hier eine Erklärung des Phänomens Narzissmus vorgetragen. Vorwort

Grunbergers Annahme des Gefühlszustandes beim Ungeborenen als körperlos leuchtet insofern ein, als dass jemand, dessen Leib pausenlos/ reibungslos in seinem Gesamtbe-darf versorgt wird, kein Bewusstsein über sein Körpergefühl haben braucht. Seine Wahr-nehmung besteht demnach aus reinem Ichselbst-Bewusstsein. Sein Körper entwickelt sich für sich, ohne Ich-Anteilnahme.

Vorgeburtliche äußere Wahrnehmung

Dies heißt aber nicht, dass es überhaupt keine Wahrnehmung kennt. Es nimmt seine Umgebung jedenfalls opto-akustisch und taktil als wohltemperiert wahr, dunkelrot (beim Sonnenbaden des Bauches), sanft umströmt, rhythmisch (kontrapunktisch zum Herzschlag der Mutter) und wahrscheinlich auch chemisch (Geschmack). Das Lebewesen bewahrt diese Erfahrungen in seinem Über-Ich als ozeanisches Gefühl auf und projiziert sie oft später auf den Himmel oder den Kosmos – z.B. als Nirwana... Zur Äußeren Wahrnehmung gehören also alle Reizungen, die punktuell die absolute Nulllinie seines Körperbedarfs überschreiten, um sofort wieder zu verschwinden, inbegriffen Regungen der Organe wie Herzschlag, während die ununterbrochene Zufriedenheit seitens seines sich ungestört entfaltenden, d.h. überhaupt kein Bedarf anmeldenden ES zur

inneren Wahrnehmung

zählt – natürlich nur so lange, wie auch die Mutter zufrieden ist. Ansonsten treten hormonale Störungen ein, die das werdende Kind erreichen und aufregen (Euphorie, Angst, Traurigkeit, Wut, Depressionen), und zwar innerlich, weil ihre Quellen außerhalb des Uterus liegen bzw. die Mutter samt ihrer Sorgen für das Embryo nicht existiert.

Positive und negative Geburtserfahrungen

Die Erfahrungen, die es ab der Geburt zu machen beginnt, betreffen also zuerst die äußere Wahrnehmung: gleißendes Licht, Kälte, ungedämpfte Geräusche, unbekannte Gerüche und Hautreize. Hinzu kommen Atemrhythmus und nach einem Tag die Darm-krämpfe, wobei die Quelle dieser ganzen Phänomene: der sich meldende Sauerstoff- und Energiebedarf der Zellen ab dem Kappen der Nabelschnurverbindung zum Orga-nismus der Mutter – im Bereich der inneren Wahrnehmung liegt. Beim Wechsel vom Fruchtwasser zur Atmosphäre als eine Hauptbeschaffenheit der Umwelt macht das Kind auch noch die Erfahrung mit der Gravitation. All diese massiven Einflüsse mögen sich als traumatisch gegenüber den vorangegangenen der relativen Abschirmung und Ruhe auswirken, während die lindernden Außenreize: Wärme und Nahrung, Abhebung von der Bodenhärte – als lustvoll empfunden werden und zu einer bewussten Abhängigkeit des Säuglings und seiner Konditionierung auf das versorgende System führen (Beginn der aus Mutter und Baby bestehenden Monade...

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Bewusstwerdung des „ozeanischen Gefühls“

Erste solche Abhängigkeit ist eigentlich narzisstisch, weil sie bewusst erlebt bzw. vom Ich registriert wird, sobald sich ein Bedürfnis meldet, denn stellt es seine Aufgabe dar, mimisch/körperliche Signale in Richtung des Versorgungssystems zu entsenden, damit es geeignete Maßnahmen zu seiner Stillung unternimmt. Die vorgeburtliche Abhängig-keit des Embryos ist zwar von nicht geringerem Umfang, sie wird aber weder ihm noch dem ihn bergenden Organismus bewusst – insofern auch nicht narzisstisch. Jedes Bedürfnis wird zwar geistig registriert, jedoch auf rein zellularer Ebene, wo ebenfalls die Stillung erfolgt, indem jede Zelle für sich ihren Bedarf aus dem allgegenwärtigen Blut-kreislauf deckt. So stellt sich das Gefühl der ozeanischen Ausgeglichenheit automatisch von selbst ein – ohne Anteilnahme des später im Großhirn erwachenden Gesamtichs –, jedes Mal, da der Embryo die Befriedigung seiner gesamten Bedürfnisse erlebt.

Das „Libido“-Problem

Die Problematik dieses Begriffes, nicht nur für Grunberger, sondern auch für die vielen anderen Psychoanalytiker(!), ergibt sich aus Freuds Versuch, nicht nur die körperlichen, sondern auch alle geistigen Leistungen – anstatt aus einer numinosen religiös-neoplatonischen Macht entstanden (wie nach dem Untergang der Antike) – durch eine bioenergetisch schöpferische Ureigenschaft des Protoplasmas zu erklären, dem Leib-Seele-Problem ein Ende bereitend.

Diesen vitalen Antrieb nannte er Libido, in Anlehnung an die sokratisch-platonische Lehre des Eros als eine Lebenskraft, 4 die dem Menschen innewohnt und für seine geistigen und körperlichen Leistungen maßgebend ist. Die Medizin im verklemmten 19. Jahrhundert verwendete den Begriff jedoch, um die gesellschaftlich tabuisierten Phänomene der genitalen Erregung zu umschreiben, so wird er von all jenen, die weder mit Plato noch mit der Zellbiologie vertraut sind, missverstanden, indem sie ihn auf die sexuelle Begierde reduzieren. Hierzu trägt auch die noch heute übliche Gleichstellung von Sexualität und Erotik bei, zwei instinktive Antriebe, die völlig wesensverschiedene Auslöser und Bestimmungen haben... 4 Ihrer Vorliebe für Anschauung wegen gaben sie ihr eine menschliche Gestalt, dabei aber galt sie ihnen als merkwürdiges Wesen, nach dem Guten strebend und nach dem Schönen, und teilhabend am Unsterblichen, ungeheuer trinkfest und ein gewaltiger Ränkeschmied, der dennoch stets hungrig, unbeschuht und ohne Kleider oder in Lumpen geht und arm wie ein Bettler auf den Türschwellen reicher Leute Häuser schläft, um dadurch ihr wahres Wesen, gar unähnlich dem mythisch-göttlichen, denn es vielmehr aus Bedürftig-Sein besteht, klarzulegen. So erörtern Plato, Sokrates und weitere die Lebenskraft als ein Prinzip, das als solches zwar nicht-sterblich – wie die Götter – ist, dennoch aber kein Gott sein kann, da Göttlich heißt, im unverlierbaren Besitz des Schönen und des Guten und der Wahrheit zu leben, immer weise und glücklich ohne es erst werden zu müssen, so steht der Eros als großer Dämon zwischen den dies besitzenden Unsterblichen und den Sterblichen und vermittelt er zwischen ihnen und sind die Menschen, die den Eros erhören bei seinem Bericht vom Wesen der Götter und die streben, ihm sein Begehren nach dem Schönen und Guten und dem Wahren zu befriedigen, dämonische Wesen, während die anderen menschlich allzu menschlich oder überhaupt nur Menschen sind... (s. Platos Symposion, Nietzsche, Heraklit).

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Was Freud jedenfalls mit Libido meint, ist – wie Bergson mit Elan vital – eine lebendige Kraft, die gleichermaßen die Quelle des Evolutionsphänomens, der für das Dasein maß-gebenden Primärinstinkte (Wissensdrang, Energiebedürfnis, Sozialität, Sexualität, Territorium,

Erotik) und der kulturell-zivilisatorischen Leistungen ist. Und was er mit Eros meint, ist das synthetisierende Prinzip der Libido: ihr Begehren, welches zur Einverleibung oder Vereinigung mit dem Begehrten führt, nachdem dies durch den analytischen Thanatos vom dem was für das Leben unbrauchbar ist, getrennt wurde, differenziert, aussortiert... Demnach gehört der Eros zum Es-eigentümlichen Lust- und der Thanatos zum Ich-eigentümlichen Realitätsprinzip…

Das Ich-Libidobesetzungs-Problem

Freuds Verständnis dieses Begriffs sollte als Besetzung Ich-eigener Vorstellungsinhalte mit dem Begehren (Eros) übersetzt werden. Dem Bisherigen nach beginnt dies Phäno-men mit der Geburt, als dem Kind seine Abhängigkeit von den Schutz vor schreckerre-genden Ereignissen bietenden, notlindernden, bedürfnisstillenden Lebensquellen bewusst wird. Die Besetzung der ‚daseinsgewährenden‘ Vorstellung Mutter mit Libido – da sie es ist, die dem Säugling Wärme, Milch und Pflege/ Körperberührung bietet – darf nicht als ein dem Embryo eigentümliches Vermögen angenommen werden, weil vor der Geburt kein Anlass dafür besteht.

Die Bewusstwerdung des Abhängigkeitszustandes macht wiederum die Hilflosigkeit bzw. Ohnmacht bewusst, vor allem, wenn die naturgemäß allem Unangenehmen abhelfen sollende Mutter versagt. Solch Erlebnis wird – wie alle weiteren bedrohlichen Empfindungen, die das Kind nach der Geburt macht – als Lebenserfahrung ins Limbische System (Über-Ich-Funktion des Gehirns) gespeichert, die Grundlage des individuellen Privatgedächtnis‘ und seines Charakters bildend...

Daseinskampf des Neugeborenen: Glück und Leid

Diese Erinnerungen und der dabei bewusst erlebte Abhängigkeitszustand kennzeichnen also den natürlichen Narzissmus. Reagiert die Umwelt auf seine Forderungen befriedi-gend, genießt das Neugeborene eine Erfüllung, die mit der vorgeburtlich ‚ozeanischen‘ vergleichbar ist. Treten aber Versorgungsmängel ein, findet eine Veränderung des Grundnarzissmus statt. Das Kind reagiert ungeduldig aggressiv bzw. wütend. An diesen Äußerungen ist sein Hormonsystem und der gesamte Organismus beteiligt, der den ungedeckten Forderungen körpersprachlich mit Schreien und Strampeln Ausdruck gibt, diese Signale zur Hilfsquelle entsendend.

Sadismus und Autosadismus – das sogenannte Böse

Bleibt die Wut dort unverstanden, kann sie den Grundnarzissmus um eine Dimension („Hass“) erweitern, was sich, wenn sie weiterhin gerechtfertigt bleibt, später zur „Gewalt“ (Zerstörungsdrang) verwandelt. Solche Feindseligkeit äußert sich auf verschie-dene Weise. Grundsätzlich als Angriff, der sich entweder gegen die Außenwelt oder gegen das Kind selbst zurückwendet. Eine weitere Möglichkeit des Reagierens ist der

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Rückzug jeglicher Begierde vom Ich, bzw. die Regression der Libido in sich. Dies führt – da Libido Leben ist – zum sog. plötzlichen Kindstod hin. Was Freud aber mit Todestrieb im Kontext der narzisstischen Fixierung meint, stellt die Fixierung von Libido an den Ich-eigenen Außenwahrnehmungskanal dar. Auch dann also, wenn dies begleitet ist vom utopischen Wunsch, zur Geborgenheit im Mutterleib zu regredieren, bleibt das Ich ans Außen libidinös fixiert. Erklären lässt sich dies mit der Unmöglichkeit des Neugebo-renen bis zum dritten Lebensjahr, sich auf seine innwendige Lebenskraft (Libido, ‚Es‘) zu stützen bzw. selbst für sich zu sorgen, weshalb der erstarrte Narzissmus sich zugleich vom Inneren Wahrnehmungskanal distanziert – respektive das betroffene Kind zur Verweigerung seines aktiven, eigenständigen Überlebens wechseln und alle Libidobe-setzung seines Ichs an die Idee fixieren muss, irgendwo im Außen eine potente Mutter zu entdecken...

Narzisstische ES- und ICH-Fixierung

Was der Narzisst ohnmächtig fordert oder wünscht, ist ein befriedigendes, Geborgenheit bietendes Energiequantum von seiner Außenwelt, was er aber nicht erzwingen kann – unmöglich von einer nicht artgerechten Außenwelt sowieso, auch wenn dies neuerdings manche, die ihre Wünsche zum Kosmos telepathieren und hoffen, sie würden von dort nicht nur erhört sondern auch erfüllt werden, inniglich ersehnen. Aktiver Abzug begehrender Libido aus dem Objekt geht mit dessen Auflösung zu Nichts einher (euthanasiert die ‚Mutter‘) und führt zu einer Befriedigung des Fordernden ES – nicht etwa zum Größenwahnsinn, wie Freud teilweise missverständlich ausgelegt wird. Man muss also unterscheiden zwischen einer Unterentwicklung des Es (Emotionalität) – der Grundzustand unserer Gesellschaft aus Mangel an der entwicklungsfördernden Ur-kindergruppe – und einer Vollreifung des Ichs (Rationalität), die einige Gesellschafts-menschen trotz infantil gebliebenem Es erlangen. So gibt es Fälle, bei denen rationale und emotionale Infantilität ‚harmonieren‘, während die fortschreitende Körper-Reife zunehmend aus dem Rahmen aller erwünschten Vorstellung fällt. Als Kompensation ihrer Ohnmacht gegenüber dem unaufhaltsamen Näherkommen des Todes (irreversibler Mutter-Verlust), glauben sie an göttliche Mächte und Trünke, einzelne oder als „Masse“ zusammengefasste Menschen, die sie lieben, jung und liebenswert halten und auch nach dem Tode noch ehren, zu ihnen betend oder ihren Heilsverkündigungen lauschend – was alles die selbe passive Haltung des Nicht-Erwachsen-Werden-Wollens darstellt. Im Gegensatz dazu strebt der nur ES-infantil fixierte Elitemensch unaufhörlich aktiv nach Befreiung und weiterer Intellektual-Entfaltung, was – der Fixierung nach – unfehlbar zum Triebstau und zur Entartung der Lebensenergie hinführt, beginnend, die moralisch genehmigten Ersatzhandlungskänale (Macht-, Reichtums- und Prestigedrang) mit Libido zu besetzen, Geister erschaffend, die der Mensch wie Goethes Zauberlehrling nicht mehr los wird…

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Das Haben oder Sein Problem

Beiden (passiven wie aktiven) Gruppen ist auch das Verliebtheits-Phänomen gemein. Ob aber aktiv Fordernd oder passiv Erwartend: beide glauben an ihr Liebesvermögen, das in Wirklichkeit aus dem Wunsch besteht, passiv von einer fähigen Mutter gehütet und geborgen zu sein. Wer dabei frustriert wird, fühlt sich um seine ‚Liebe‘, die er gegeben zu haben glaubt, betrogen, und glaubt sich vom frustrierenden Partner missbraucht, in Wirklichkeit aber hat er nichts gegeben oder geboten, sondern nur gefordert. Der Verliebte besetzt die Vorstellung des ‚Geliebten‘ in seinem Ich mit Libido und verlangt dieselbe Triebenergiemenge, die er in Wirklichkeit nicht von sich rausgerückt hat, vom Gegenstand seiner ‚Liebe‘ zurück. Die Projektion der Vorstellung auf das Gegenüber (das von der energetischen Investitionen des Verliebten in ‚ihn‘ nicht unbedingt was ahnt) erfolgt unbewusst. Haben wir den Fall einer gegenseitig ‚glücklichen Verliebtheit‘ vorliegen, so verlangen beide voneinander dasselbe und sind beide je für sich ganz allein und gleichermaßen unfähig, dem anderen etwas zu geben. Da keiner die Libido des anderen anzapfen kann, tritt dann als einzige Gemeinsamkeit die beiderseitige Enttäuschung und das einsame Gefühl der Ohnmacht ein, mit den oben erwähnten Folgen: Sadismus oder Autosadis-mus, Megalomanie oder Mikromanie und als Endlösung: der ‚plötzliche‘ Selbstmord, in ihm die Erlösung vom Leiden suchend – manchmal ‚zusammen‘ wie Tristan und Isolde, in Wirklichkeit aber allein (s. Goethes Werther)… Dem narzisstisch fixierten Menschen gelingt nun grundsätzlich nicht, die Libido von seiner dies Syndrom darstellenden Vorstellungswelt abzuziehen, um die vom Missbrauch und Ausbeutung befreite Energie in den Entwurf und praktische Erprobung einer artgerechten Heil- und Vorbeugungsme-thode zu investieren...

Das „Monogamie“-Problem

Maßgebend für die Fixierung des Narzissmus während der Kindheit ist das Fehlen einer geeigneten (primatenspezifischen) Kindergruppe, in der jeder Einzelne über all jene Voraussetzungen verfügt, die für die Volldeckung und -reifung seiner Sozialität und weiteren 5 Bedürfnisse unentbehrlich sind. In der Familie dagegen bleibt das Kind an die Eltern angewiesen, die – unwissend über die Naturfeindlichkeit ihrer gesellschaftli-chen Glücks- und Wertvorstellungen – das Kind unweigerlich in seiner instinktiven Entwicklung hindern, um so mehr, wo sie sich mühen, es pädagogisch zu fördern. Denn die Erziehungswissenschaft hat das reibungslose Funktionieren des erwachsenen Gesellschaftsmenschen im System zum Ziel, was seine Instinktverarmung (psychische Kastration) voraussetzt. Wer dies ignoriert, führt das Kind, dem er eine freie und glückliche Zukunft ermöglichen will, unweigerlich in die Problematik der narzisstischen Fixierung und wundert sich über seinen Misserfolg. Solche Ignoranz ist aber nicht nur der Masse eigentümlich, sondern auch den elitären Gesellschaftswissenschaftlern und nicht einmal Psychoanalytiker wie Grunberger zweifeln an der Berechtigung der monogamischen Familie. Sie halten sie für selbstverständlich, gott- und naturgewollt.

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Das Mythenauslegungs-Problem

Grunberger führt offensichtlich den Ursprung der Menschheit auf die biblische Schöp-fungsgeschichte zurück, die nicht nur den Menschen, sondern alle Arten von Natur aus – wie Adam und Eva – als monogam auffasst (s. 1 Mose 1,27). Dass die Bibel den Wesensunterschied zwischen sozial- und nicht-sozialstrukturierten Arten nicht kennt bzw. ihre Autoren jeden Verdacht auf sie gründlich von der Erde zu spülen versucht haben, wird durch die Sintflutgeschichte erwiesen. Als Gott die Tiere vor der nahenden Katastrophe retten will, befehlt er Noah die Aufnahme eines Männchens und eines Weibchens von jeder Art in seiner Zuflucht bietenden Arche (s. 1 Mose 6, 19-20), ohne zu denken, dass die darunter befindlichen sozialen Arten ohne die Schutzfunktionen ihrer Geschlechtergruppen, Horden, Herden oder Schwärme zur Vertilgung durch ihre mächtigen, autark jagenden Feinde: Bären, Adler usw. verdammt gewesen wären, sobald die Flut vorbei war. Das 1. Buch Mose stellt aber keine Naturgeschichte dar, sondern eine Sammlung von Ereignissen und Berichten, die die Bibelautoren teils von den bereits damals mythisch gewordenen Erzählung der zeitgenössischen Völker übernom-men, teils selbst soweit zensiert, poetisiert und ins Gegenteil der einstigen Bedeutung verdreht haben, bis sie nach Meinung der Schöpfer dieser Produktion „sehr gut“ passend zu den mit ihrer Bibel insgesamt verbundenen Absichten waren und am 7 Tag sich an ihrem Werk erbauend ruhten. Um diese Sammlung zu durchblicken und klarzulegen, wo eine Geschichte oder Phänomen wie die 7-Zahlmystik beginnt und endet und was das je wahrscheinlichste Thema sei, wird all das an geistigen Techniken, Hintergrundwissen und Übersicht benötigt, was sich bei Grunberger nicht findet. Seine biblische Anthropologie ignoriert Darwins Evolutionstheorie und die Hordenlebensform unserer nächsten Verwandten im Reich der Primaten. Sie ignoriert ebenfalls die historische Herkunft der Moral aus dem Totemismus und die Grundstrukturierung der Menschheit in Horden von 2 Geschlechter- und 1er Kindergruppe seit 10 Millionen Jahren bis zum Sündenfall. Dieses Ereignis veranlasste nämlich bei den Betroffenen ein psychisches Trauma, das zur Libidobeset-zung der damit verbundenen Vorstellung Familie führte und sich von jeder Generation zur nächsten indoktriniert, mit zweierlei Folgen: Verewigung der Monogamie und dazu die Umgestaltung der Urmythen zu sagenhaften ‚Berichten‘, Märchen und Ideologien, in denen von nicht anderem die Rede scheint. Des Traumas wegen haben die Betroffenen ihre Libido aus all jenen Vorstellungen verdrängt, die die Verhältnisse vor und parallel zum Sündenfall betreffen, es zunehmend unkenntlich machend, dass dies Ereignis die Rebellenmannschaften im Megalithsuper-stamm anbetraf. Frisch monogamisierte Paare wie Adam und Eva wussten also noch deutlich um die Beweggründe, die den Megalithrat ihren Fall anberaumen ließen: die Einsperrung zu zweit ins ‚Paradies‘. Unbewusst freilich war sowohl dem Rat wie Adam das Wesen des Totemismus, das den betroffenen Mannschaften unmöglich machte, den Souveränitätsanspruch ihres ES aus „Einsicht“ zu bezähmen, so wurden sie vom kämpferischen Drang, wie die Götter (Sieger) sein zu wollen, getrieben, sich zu ‚versün-digen‘ (Sabotage der geregelten Zusammenarbeit aller Mannschaften bei der schweren Urbarmachung des Garten von Eden) und daraufhin monogam vereinzelt..

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Die Nachkommen dieser Urfamilien wiederum, die nach und nach zu einer gewaltigen Unterschicht im Megalithsuperstamm der Sumerer wuchsen (ihn in eine Super-Genea verwandelnd), ahnten nicht, dass der über ihre Vorfahren verhängte ‚Fluch‘ eben aus der Monogamie bestand. Sie unterwarfen sich den von ihrer Hexerkaste nach und nach eingeführten Maßnahmen zur Zähmung des Kajin-Syndroms, diese ihnen von klein auf ins Über-Ich geprägten Beschlüsse als unergründlich und ihre Macht als allgegenwärtig unüberwindlich empfindend. So wussten sie nur, dass das mit ihrer Daseinsform untrennbar verbundene Leiden die Folge eines Ungehorsams ihres Urvaters gegen einen übermächtigen Wille war und sich von einer Generation zur nächsten überträgt, es als Strafe für eine von Adam begangene Erbsünde auffassend. Diese Version des Sünden-falls verkörpert also einen bereits rein patriarchats-spezifischen Mythos… Noch schlimmer ist aber, dass auch Grunberger es dabei belässt, anstatt die Pathologie dieser Vorstellung und den rationalen Ur-Irrtum Gottes aufzudecken, die monogamische Domestizierung der totemischen Saboteure veranlasst zu haben, glaubend, diese Maßnahme wäre geeignet, den Frieden im Megalithsuperstamm zu garantieren... Grundbergers Fehler dagegen ist nicht rationaler Art, sondern seinen Problemen anzu-lasten, denn zum Datum der Herausgabe seines Buches war seit 70 Jahren bekannt, dass sich unser modernes Patriarchat über die feudale Zwischenstufe aus der Beseitigung einer hypothetischen Urlebensform ergab. Dies für sich wäre zwar nicht ausreichend gewesen, den Ur-Irrtum aufzudecken. Mittlerweile aber lag auch die neue Ethologischen Verhaltensforschung vor, der es gelang, die Lebensform der Schimpansen realistisch zu beschreiben, was Freud zu lesen leider! nicht vergönnt war. Wo doch, hätte er diese Befunde nicht ignoriert, sondern genutzt, den Homo sapiens – statt wie noch in Totem und Tabu als ‚Urvater mit Harem‘ – als einen in Horden von 2 Geschlechtergruppen lebenden Primaten zu definieren, und diese Annahme auf dem Wege der Auseinander-setzung mit den Befunden der Megalith-Archäologie bestätigt, von der Hypothese zur Theorie schreitend. Grunberger kriegt nicht mal den Ansatz hierfür hin, so darf er nicht als Wissenschaftler über die narzisstisch fixierte Familie schreiben und unsere darin verankerte Gesellschaft als biologisch determiniert prophezeien. Würde die Menschwerdung der Schimpansen zu einer gehirnmäßig ebenso wie wir evolutionierten neuen Affenart führen, die ‚von Natur aus‘ in sadomasochistischen Familien lebt, so könnte diese Mutation unmöglich egalitäre Kulturen wie die Megalith-Stämme erschaffen. Genauso wenig gäbe es titanische Auflehnungs-Mythen, Berichte über die Einführung des Paradieses (Monoga-mie im Garten Erden) und endlich wären auch unsere Sündflut-Mythen undenkbar, da es nicht die Zerstückelung aufständischer Mannschaften, sondern ‚die Natur‘ war, die die monogame Familie, infantile Oralfixierung und Strafangst ‚irrtümlich‘ erschuf. Dies führt wiederum dahin, dass man bald motiviert wäre, lieber – wie die Zeugen Jehovas – zu glauben, kein von der Evolution hervorgebrachter Primat, sondern ein misslungenes – eben narzisstisch/ sadomasochistisches – Geschöpf zu sein, das so entartet ist, dass Gott aus lauter Wut über seine eigene Impotenz gleich die ganze restliche sehr gut gelungene Schöpfung mitvernichten wollte, was er aber auch wieder nicht konsequent durchzog, statt dessen sich von Noahs Betteln artig zu sein erweichen lassend (zweiter Missgriff der Schöpfungsgeschichte).

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Das Aggressionsproblem Als Narzisst also hält Grunberger sich für naturgemäß evolutioniert. Zu dieser Diagnose zwingt nicht so sehr die göttliche Somatisierung der Narzissmus-Problematik (sadistischer

Niederschlag der Sintflut und Rettung Noahs aus Gottes masochistischer Hörigkeit), sondern seine Darstellung der Aggression. Die Psychoanalytikerin Ilona Kaminier unternimmt hierzu öffentlich eine supervisonarischen Beisprungsversuch. Trotz Unklarheit auch bei ihren Visionen über Grunbergers Hypothesen, macht sie jedenfalls deutlich, dass er die Aggression zwar als dem Körper eigentümlich auffasst, dabei aber negativ definiert, weshalb er sie wesensmäßig von der nazistischen (positiven) Libido trennt. Unter Libido versteht er – wie Freud – eine grundsätzlich kreative Kraft, die das Körperwachstum antreibt. Im Widerspruch zu Freud fasst er die Aggression aber als niederen Faktor auf, verantwortlich ‚nur‘ für den Zell-Stoffwechsel (archaische Aufnahme von Rohstoffen, Verdauung und Ausscheidung), der den Embryo antreibt zur parasitären Ausschöpfung des Mutterleibs – zunächst innerlich und nach der Geburt auch von Außen (Saugen). Nach Grunberger identifiziert sich das Ich aber eher mit dem narzisstischen ‚Plus-Pol‘ der Libido und nutzt ihn zur Bändigung der Aggression, da diese instinktiv gnadenlos mit ihrer Beute verfährt. Sinn und Zweck dieses die Mutter vorm Aufgefressenwerden bewahrenden Entgegenkommens des vom Narzissmus zum Guten verleiteten Säuglings ist, den der negativen Aggression durch Bändigung abfiltrierten Energieüberschuss mit dem positiven Libido-Anteil zu vereinigen, um desto effektiver die Bindung an die Mutter zu betreiben. Das Gelingen dieser energetischen Umleitung hängt aber vom Einverständnis der Mutter ab. Reagiert sie positiv, dem Kind ihrerseits narzisstische Geborgenheitsgefühle entgegen bringend, bilden beide die sog. Monade. Frustriert aber die Mutter das Kind, d.h. gibt ihm keine Unterstützung beim Domptieren seiner negativen Libido-Anteile, so befreien sich diese bald von ihrer Fesselung durch die narzisstischen und wenden sich verselbständigt destruktiv vampirisch gegen die Umwelt (so etwa Grunberger). Das Masochismus-Problem Was er im Auge hat ist offensichtlich das narzisstisch-sadomasochistische Syndrom. Freud aber – der Entdecker dieser der Gesellschaft und all ihren Phänomenen zugrunde liegenden Problematik – hat Aggression und Libido nicht voneinander getrennt – wie Grunberger –, sondern umgekehrt! beide als wesensmäßige Einheit aufgefasst. Aggres-sion (Antrieb zur Durchsetzung vitaler Interessen: Leben) ist nämlich einer der zwei Wesensaspekte der Libido, identisch mit ihrer Begierde. Aggressives Begehren (Eros) treibt die Zellen und den Embryo an zur Ernährung, woraus Stoffwechsel und Wachstum resultieren, und dasselbe veranlasst das für den Mutterleib zu groß gewordene Neuge-borene zum Saugen, eine lustvolle (libidinöse) Tätigkeit – ihrerseits die Voraussetzung, sich geist-körperlich-seelisch vollzuentfalten. Ohne Einverleibung äußerer Energie (Nahrung, Wärme) zerfallen die lebendigen Moleküle (Es), so sind seine im Tiefen Unbewussten verankerten 6 Instinktbereiche (s. Bedürfnistabelle) fähig, sich beim Ich-Bewusstsein in Gestalt emotionalisierter Symbole zu melden und alle gleichermaßen

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libidinös besetzt. Die Aggression des körperlich-animalischen Handlungsdrangkanals ist grundsätzlich nicht destruktiv – wie Grunberger lehrt –, sondern kreativ konstruktiv (s. Freuds Trieblehre). Erst wenn die Mutter das Neugeborene frustriert, wendet sich diese psychische Energie mit ihrem analytischen Thanatos als Hass gegen sie – nicht um die Mutter zu zerstören, sondern damit sie ihr Fehlverhalten realisiere, dem Kind mit seinen Bedürfnissen entgegen komme. Das mit einer psychisch entarteten Mutter konfrontierte Baby kann aber seine berechtigte Wut unmöglich ans Ziel ihres Begehrens lenken. Es äußert Wut, kann aber die unfähige Mutter nicht heilen und findet sich Ich-mäßig irgendwann damit ab, nicht emotional. Seine Beziehung zu ihr wird darum nicht sachlich, sondern masochistisch und im weiteren Verlauf wird ihm seine ohnmächtige Hörigkeit von ihr: Hängen an einer Hilfe-Funktion trotz ihres chronischen, andauernden unaufhörlichen Versagens – bewusst.

Verewigung des Sündenfalls Da die frustrierende Mutter ihr Unvermögen ebenso wenig zu ändern vermag wie der von ihr masochistisch gemachte Säugling, bleibt die Beziehung wie sie ist und verfestigt sich die Hörigkeit des Kindes zu einem lebenslänglichen Grundgefühl, Grundverhalten und Grundeinstellung des Denkens. Daraus besteht die oral-narzisstische Fixierung, die unserer Gesellschaft insgesamt zugrunde liegt. Denn das Unvermögen der Mutter, ihrem Kind die Geborgenheit zu bieten, die es naturgemäß fordert um sich sicher und wohl zu fühlen, ergibt sich wiederum aus der narzisstischen Fixierung ihrer und aller weiteren Mütter, die sie nicht ohne weiteres aufheben können und für die sie nicht schuldig sind, da sie abermals von ihren Müttern bedingt ist, die genauso narzisstisch fixiert waren und so weiterhin durch alle Generationen zurück bis zu jenen, die in der einst vom Ur-mensch erschaffenen Unterschicht monogam gepaarter Männer und Frauen geborenen waren, die dadurch zu Familien wurden, in denen sie sich – aus Mangel an einer geeigneten Kindergruppe – psychisch nicht entwickeln konnten (in ihrem infantilen Entwicklungsstand fixiert blieben), ihre Kinder und Kindeskinder in alle Ewigkeit bis heute dem narzisstischen Syndrom und seinen fatalen Folgen aussetzend. (s. Adam und Eva und Kain und Abel Mythos).

Das Sadismus- / Autosadismus-Problem Unmittelbar teilhabend an der narzisstischen Fixierung ist die Herausbildung des destruktiven Sadismus oder Gewaltdrangs aus dem vom Kind ohnmächtig empfunden Urhass (hilflose Wut) gegen die versagende Mutter. Denn diese Uraggression muss vom kleinkindlichen Ich abgewiesen werden. Ins Unbewusste verdrängt, beginnt sich der triebenergetische Stau auf Umwegen als sadistische Gewalt gegen jene Menschen und Situationen zu entladen, in denen es projektiv die Problematik seiner frustrierenden Mutter zu erblicken glaubt, ja wendet sich diese aggressive Stauung sogar gegen das Kind zurück, zur autosadistischen Gewalt werdend, die vor keiner Grausamkeit haltmacht, nur vor der verursachenden Mutter, von der es masochistisch hörig geworden ist. Diese unheimliche Sackgasse kennzeichnet nicht nur die Mutter-Kind-Beziehung, sondern wird von dort her zur Wurzel aller zwischenmenschlichen Beziehungen, ja unsere

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patriarchalische Gesellschaft selbst: der sie kennzeichnende Macht-, Reichtums- und Prestigedrang mit all den unmenschlichen, gewaltsamen Phänomenen: Unterdrückung, Ausbeutung, Lustperversionen, Konsum, gezielter Irreführung und Krieg – ist in ihr verankert. Freud wusste, dass weder das narzisstisch-sadomasochistische Syndrom noch die darin wurzelnden Entartungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens naturgemäß – wie Grunberger postuliert – sein können, so hat er, wie eingangs gesagt, nach einer Erklärung solchen Leidens und nach einem Model der von der Natur entworfenen menscheneigen Wesensart, ihrer sozialen Gemeinschaftsform und ihren Kulturen gesucht.

Verewigung der Sündflut Das Problem der auto-/sadistischen Gewalt entsteht – wie oben erklärt – infolge der Verdrängung der ohnmächtigen Uraggression des Kleinkindes gegen seine unfähige, narzisstisch fixierte Mutter, mit der es ab der Geburt die gesamten Oralphase (1.-3. L. j.) hindurch konfrontiert ist. Solch‘ gestaute Aggression strebt in der darauffolgen Anal-phase (3.-5. L. j.) nach Entladung, wiederum gegen die Mutter, die jetzt in ihrer Rolle als Erzieherin aus dem eigenwilligen, heftig reagierenden Rebell ein artiges Kind zu machen versucht. Diese Schlacht gewinnt in der Regel die Mutter, denn das Kind ist zwar jetzt auf andere Weise als während der Oralphase, aber weiterhin ebenso machtlos gegen die Mutter, die mit ihren Überzeugungen, Züchtigung und weiteren Erziehungswerkzeugen ausgerüstet ist, gegen die das Kind keine Chance hat...

Das Fixierungs-Problem Der Drang des als reiner Urmensch zur Welt kommenden Kindes, psychisch zu reifen ist genauso Es-immanent und vorbestimmt wie der Körper und sein Wachstum selbst. Während die körperliche Entwicklung aber in der Regel ungehindert verläuft, wird die psychische aus einem doppelten Mangel an äußeren Voraussetzungen praktisch ab der Geburt gestoppt – zuerst wegen der Ohnmacht des Säuglings gegenüber seiner sozial unfähigen (oral fixierten) Mutter, so endet dieser 1. Akt des Dramas zum Ende der Oralphase (3-L.j.) mit einer Niederlage für das körperlich zum Kleinkind entwickelte, psychisch als fixierter Säugling weiterhin leben müssende Wesen, da es aus Abhängig-keit von seiner Nahrungsquelle zum Verdrängen seiner Aggression gegen ihr Versagen gezwungen war: Die frustrierte infantile Sozialität (Geborgenheitsbedürfnis) fixiert sich als oral-masochistische Hörigkeit... Der 2. Akt beginnt mit Eintritt in die Analphase (3. L. j.), als der Eigenständigkeits- und Selbstbehauptungsdrang (Eigenwille) beim Kind erwachen und es sich seiner Kontrolle über die Funktionen seiner Ausscheidungsorgane bewusst wird. Zu Beginn dieser Phase hätte die emotionelle Lösung von der Mutter und die respektive Eingliederung in die arteigene, für die weitere Reifung evolutionsmäßig vorgesehene Kindergruppe stattfin-den sollen. Stattdessen wird es in der Familie weiterhin mit seiner liebesunfähigen, zusätzlich als Erzieherin auftretenden Mutter konfrontiert. Als 4 jähriges vermag das Kind die Beweggründe seiner Erziehung nicht nachzuvollziehen, geschweige denn ihre Tragweite, da sie nicht nur ihm, sondern auch der Mutter verborgen sind.

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Medaias Plädoyer

Sie handelt nämlich in der Überzeugung, dass Gehorsam, Ordnung und Hygiene für das Wohlsein und die Gesundheit – vor allem des Kindes – notwendig seien. Die Gründe aber, die die sesshaft gewordenen Kulturen der Urmenschheit die Hygiene entwickeln ließen – die die Ur-Kinder aus Freude am Lernen spontan nachahmten – sind ihr genauso wenig bekannt wie der Sinn und Zweck der rein Patriarchats-spezifischen Kindererziehung, die außerdem die Tatsache miteinbegreift, dass die Mutter nicht allein die Verantwortung für die Erziehung ‚ihres‘ Kindes trägt. Sie ist – über ihre eigene Erziehung – zum Werkzeug des Systems gemacht worden. Dies ist, das die gewaltsame Anpassung des Kindes zu seinen Ansprüchen und Regelwerk fordert. Wie mächtig diese Organisation ist, ahnt sie nicht und ahnt niemand. Im Gegenteil! Sie spürt durch die Mutterschaft die Verantwortung für das Wohl des Kindes und glaubt im Stande zu sein, bei ihm den von ihr erspürten Fehler ihrer Kindheitserziehung zu vermeiden, anstatt dessen aber benutzt sie es für den Versuch der Realisierung ihrer eigenen privaten Glücksvorstellungen – soweit das System sie genehmigt... Den eigentlichen, vom Kind für seine optimale körperliche und psychische Entfaltung benötigten Faktor: die primatische Kindergruppe – kennt sie nicht. Im Gegenteil! Sie glaubt ihrem Kind behilflich zu sein und es zu schützen, indem sie ihm den Umgang mit anderen Kindern, die ihren Vorstellungen nicht entsprechen, verbietet. So bleibt das Kind emotionell an sie angewiesen, an die Oralphase fixiert, unterwirft sie es zur analen Phase pädagogisch und macht es zum Auto-/Sadist, was seine spätere Eingliederung ins System als Herrscher oder Untertan begünstigt. Scheint sie dem System aber für diese Aufgabe ungeeignet, entzieht es ihr das sog. „Sorgerecht“... Die Rolle des Vaters

hat mit der natürlichen Geschlechtsspezifizität des Verhaltens auch nichts zu tun. Im Rahmen der Instinktverarmung und Frauenemanzipation ergeht es ihm zunehmend gleich wie den Müttern. Es gibt nicht mehr die vom Primitivpatriarchat traumatisch indoktrinierte Rollenverteilung. Väter, die vorgestrig ein Vorbild für ihre Söhne bei deren beruflicher Systems Integration sein wollen und sich mühen, sie glücklicher zu machen als es ihren Vätern bei ihnen gelang, festigen dadurch ohne es zu merken das System genauso wie jene Mütter, die die Ausbildung ihrer Töchter ab der Analdomes-tikation zu GladiatorInnen im Berufezircus sich vorgenommen haben um sie glücklicher zu machen als sie selber sind. So verliert das Kind den Krieg gegen das Systems-Über-tragungspersonal in der Regel nicht nur, weil die Eltern unverhältnismäßig viel stärker sind als es selbst, sondern auch, weil sie von der Berechtigung ihrer Forderungen überzeugt sind und über eine unschlagbare Waffe verfügen: den sog. Liebesentzug, falls sich das Kind nicht fügt. So besiegelt sich meistens um das 4. Lebensjahr – als das Kind den Kampf aufgibt – sein Schicksal. Es besteht darin, dass es für den Rest seines Lebens von jenen Menschen und Institutionen abhängig wird, von denen es sich die Geborgen-heit und Anerkennung verspricht, die die Mutter nicht zu geben vermochte, auf solche Beziehungen die entsprechenden Konflikte und Affekte projektiv übertragend, so dass auch dann, wenn dem Erwachsenen die vom gesellschaftlichen System geforderte Anpassung gelingt, seine Welt im Berufs- wie Privatbereich im Grunde und grundsätz-lich nur aus der Verewigung der Mutter-Kind-Beziehung besteht.

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Die narzisstische Fixierung wird also nicht aufgehoben, sondern nur auf die Nutz- und Kuscheltiere, Kinder und Lebenspartner, den berufs- und politisch-religiösen Kreis, ja – als Gesellschaftsphilosoph – sogar auf die ideal-metaphysische Dimension projiziert, dies gestaltend und rationell-ökonomisch, künstlerisch, therapeutisch oder geistes-wissenschaftlich zum Ausdruck bringend. Dieser Sachverhalt, der unserem Patriarchat insgesamt zugrunde liegt, bewirkt immer wieder seinen Fortgang von der Primitiv- zur ‚zivilisierten‘ Klassengesellschaft und zurück (s. Theokratischer Kreislauf). Was von Mensch zu Mensch variiert, ist nur die individuelle Systems-Anpassung, vom extrem extrovertierten, scheinausgereiften scheinpotenten Erfolgsmensch bis hin zum restlos introvertierten, autistischen Gegenpol. Und auch jene, bei denen beide Ausdrucks-formen ein Gleichgewicht bilden, bleiben ebenso narzisstisch fixiert. Ihre Unreife wird in der Zielsetzung ihrer Wünsche und Bedürfnisse manifest.

Narzisstischer Schamanismus Ein häufiges Symptom, das manchmal lebenslänglich akut bleibt und sonst vom System verkörpert und scheinbefriedigt wird, ist der sich beim Kind in der Analphase einstel-lende Wunsch nach Allmacht. Freud interpretiert ihn als kompensierenden Versuch des seinen Erziehern gegenüber ohnmächtigen Kindes. Diese Grundhaltung führt später zum Größenwahn auf den 3 Wegen des Reichtums-, Prestige- und Machtstrebens hin. Denn ihm liegt der Wunsch zugrunde, die erbarmungslose Umwelt auf magischem Wege genauso erbarmungslos zu bezwingen. Die Gesellschaft erachtet diese Grundhaltung als positives, beneidenswertes Streben nach Selbstentfaltung und Eigenständigkeit, denen es gelingt beglückwünschend zu ihrer Charakterstärke, solange das egoistische, egozen-trische, eifersüchtige, mit Tugend getarnt ein Doppelleben führende ohnmächtige und in der Oralphase stehen gebliebene Kleinkind nicht erkannt wird, denn oft offenbart es sich durch Flucht in Wunderglaube, utopisch messianisches Hoffen und Haschen nach Zufallsglück, ein leichtgläubiges Opfer aller Blender und verblendeten Weltverbesserer werdend...

Das Problem der Totemisierung Narkissos Dieses tragische Kajins-Syndrom entstammt einem Phänomen, das lange vor unserer Gesellschaft zu ihrer ersten Voraussetzung wurde. Das Hauptwerkzeug seiner Verewi-gung stellt heute die Kleinkinderziehung (Pädagogik) dar. Was es herstellt, nennt man Moral – ein Synonym des Totemismus, der seinerseits die Naturentfremdung und Instinktverarmung des Menschen charakterisiert. Die Vorstufe der gegenwärtigen Wesensentstellung anbetraf jene im Urstamm unterlegenen Männergruppen, die sich zur Arbeit und Ablieferung der Erträge an den für die Lenkung der politischen Gemein-schaft verantwortlichen Rat bereit erklärt hatten, was – wie oben skizziert – zum Verlust der Möglichkeit, über Sinn und Zweck solcher Verträge zu meditieren führte: das Über-Ich (Gewissen) gelangte zur Macht über den Ich-eigenen Primat des Intellekts (Einsicht). Als das Ich für den durch die totemische Sittlichkeit tendenziell verdrängten Kampfdrang anhand magisch begründeter Aufstände ein Ventil zu schaffen verstand und dieser Versuch einer Umkehrung des ‚Ausbeuter-Ausgebeuteten‘-Verhältnis gescheitert

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war, unterbreitete der siegreiche Rat den zur Räson gebrachten Gruppen ein Angebot, dessen Zweck wie gesagt war, das politische Zusammenleben künftig sicherer zu gestalten: Sie sollten weiterhin die existentiellen Vorteile des Stammesgebiets nutzen dürfen, jedoch erst unter der Bedingung, in die Auflösung des Zusammenlebens ihrer Mannschaften einzuwilligen. Diesen Zweck hatte die jedem Mann zugewiesene Garten-parzelle – dazu später die Frau (Eva-Pandora) als Gehilfe. Dadurch erschuf der Rat eine neue Daseinsform auf Erden: die monogame Paarung, die zum Fundament und zum Grundbaustein unseres heutigen Patriarchats wurde... Dieser Prozess vollzog sich in vier Stufen, deren 1. also aus einem rein psychischen Phänomen bestand, nämlich w.o.g. die schleichende Besetzung des Über-Ichs mit den Bestimmungen des Urvertrages. Der Urvertrag war zwischen den unterlegenen Männergruppen und der im Daseinskampf überlegenen (Sieger-)Mannschaft vereinbart und kannte ursprünglich nur 3 Bestimmungen:

I- Ihr sollt nicht um die Führung kämpfen / sie der Siegermannschaft überlassen II- Ihr sollt keinen Anspruch auf den Hauptanteil der Beute erheben III- Ihr sollt nicht um die Stammesfrauen / Knaben ihrer Kindergruppen wetteifern

Die zusätzlich aufgenommene Vereinbarung: Ihr sollt arbeiten / dem Rat einen Teil der Erträge abliefern – setzt eine weitere Verschärfung der Überbevölkerungskrise und die Tatsache, dass Spezialisierung eine Effizienz-Steigerung ermöglich, voraus. Dieser neue Unterparagraph war also vernünftig und wurde von beiden Parteien akzeptiert, indes ohne seine notwendige Folge zu ahnen: Die 4 Paragrafen begangen sich ins Über-Ich der körperlich arbeitenden Parteien einnisteten und mit Sacralität (Mischung aus Ehre und Furcht) zu besetzen. Die abzuliefernde Erträge (Tiere bestimmter Art, Pflanzen, Teile der selben) wurden zu Totems, d.h. unantastbar (tabu) und heilig zugleich, und der Umstand, dass sich die bei der Siegermannschaft aufhaltende Frauengruppe von diesen Erträgen miternährte, führte zur Entstehung von anfänglich rein matrilinear tradierten Clans, deren Herkunft die Mannschaften auf entsprechend je eine dieser Tier- oder Pflanzenar-ten zurückführten. Das versittlichte Über-Ich der betroffenen Mannschaften warnte nun gleichermaßen vor dem Verzehr des Totems wie vor der Berührung der sich davon nährenden Frauengruppen, die sog. Exogamie veranlassend, auf der wiederum unser heutiges Inzesttabu ankert (näheres s. im Kapitel Der Ödipus-Komplex)...

2. Unter den totemischen Mannschaften aber traten Männer hervor, die versuchten ihre Ohnmacht durch magische Beschwörung bzw. ‚imitative ‘ Aneignung der Naturgewalten auszugleichen. Ihre Künste verschafften ihnen Furcht und Respekt bei der Schicht der ihrem Über-Ich fügsam und obrigkeitsfürchtig gewordenen Mannschaften. Sie suchten Rat bei den Zauberern – v.a. für den Umgang mit den ‚wilden‘ gesunden Knaben, ließen sie sie behandeln zwecks ‚Heilung‘ von ihrer urgesunden pubertären Potenz (wie Heraklit anhand des Begriffes Blutschuld synonym zur psychischen Kastration verdeutlicht) und so wuchs die Zahl der Schamanen von Generation zu Generation und organisierten

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sie sich zu einer Kaste. Als sie eine Gelegenheit zur Umkehrung der Machtverhältnisse sah, wiegelte diese Urkirche die Masse der Männergruppen auf, setzte den Rat der führenden Mannschaften, zugleich dessen ur-animistische Weltsicht ab und verwandelte den Stamm in ein totemisches Gebilde. Die Struktur des Horden Zusammenlebens blieb beibehalten, ebenso unauslöschlich die ins Über-Ich verinnerlichte Grundbestimmung des Urvertrages, wiewohl er faktisch aufgehört hatte, zu existieren. Der Urvertrag wurde souverän vereinbart, im Bewusstsein aller Mannschaften um die Vorteile solcher Maßnahme gegenüber einer Umwelt, die nirgendswo Aussicht bot, ein je eigenes Gebiet zu erobern, so stellt er ein vom Ich ersonnenes Mittel dar, den territorial-sexuellen Kampfdrang des ES anhand Einsicht in die Faktoren einer ungünstig beschaffenen Umwelt zu bezähmen. Das totemisch versittlichte Über-Ich im Unter-schied dazu erzeugt beim Ich inwendig-/autogene Todesangst – ein Sachverhalt, der zwar der äußeren Realität entstammt (Toten im Kampf oder durch Verhungern), sich aber als Über-Ich-Inhalt verselbstständigte. Das von solcher Vergangenheit manipulierte Ich neigt, sein Es anhand irrationaler Furcht zu verdrängen. So liegen dem totemischen Verhalten zwar Bestimmungen zugrunde, die in der Absicht des gemeinsamen Überle-bens in der neolithischen Überbevölkerungskrise vereinbart wurden, ebenfalls Erfah-rungen mit der existentiellen Not und den Folgen der Vertragsbrüche, sie führen aber aus dem Über-Ich herab ein Eigenleben – ohne Rücksicht gegen die Verhältnisse der aktuellen Gegenwart. Auch dann, wenn unsere Erde wieder von so wenigen Menschen bevölkert wäre wie es der Fall war während des Goldenen Zeitalters. Totemismus verkörpert wesenhaft die Summe all der schlechten Erfahrungen, die die Menschheit, stellvertreten von den unterlegenen Mannschaften der Stämme, mit der im Neolithikum chronisch gewordenen Überbevölkerung machte – ein Trauma, von dem sie sich nicht mehr zu erholen vermochten, seitdem der Arbeitscontract die Muße zu einem Vorrecht der Götter (Siegermannschaften) machte. So trieb sie irrationale Angst, ein als Nahrung begehrtes Tier zu ihrem Götzen zu erheben, sich ihm unterwerfend und zu einer Omnipotenz erklärend, die den Kosmos erschuf und die ihre Hinterfragung und Begegnung mit dem physischen Kampfdrang des ES kategorisch verbietet: Du sollst keine anderen Götter haben. Derartige Tabuisierung der Wissbegierde und des Kampf-drangs ergibt sich aus der ersten o.g. Bestimmung (s. a. Verbot der Erkenntnis Baum-Berührung im Kleingarten der Urkleinfamilien von Eden)... Die Aufgabe der die Macht im Stamm übernehmenden Schamanen war nun nicht mehr der gesunde Menschenverstand: im Dienste des ES nach Überlebensoptionen zu forschen –, sondern sahen sie ihren Existenzsinn darin, die allgemein herrschende Strafangst zu lindern oder zu schüren, je nachdem, was momentan angebrachter schien. Sie dienen ihrem versittlichten ÜBER-ICH – nicht dem aus der Sicht seiner Inhalte dämonischen, verteufelten ES. Konkret sahen sie ihre Aufgabe darin, Schutzmaßnahmen für den gefahrlosen Umgang mit den tabuisierten Lebensquellen: I- das Denken und den Souveränitätsanspruch selbst, II- bestimmte Nahrungsmittel, III- die Knaben und Frauen zu erfinden. Dafür entwickelten sie einen komplizierten Katalog von Ritualen, zu den ersten Priester-Königen und Religionsstiftern werdend, zuständig für den eifersüchtig gehüteten Cult, der dem bedrohlichen Götzen huldigte, und trachtete sich mit ihm zu

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vertragen bzw. wiederzuvereinigen (religiöses religare). Um die Knaben, die weder den Ursprung des Totems noch den Sinn seiner Forderungen kannten, vor unheilvoller Lästerung (Missachtung seiner Ver- und Gebote) zu schützen, wurden sie zu Beginn der Pubertät gefangen genommen, von den als Götze maskierten Priestern traumatisierend geschlagen (Pubertätsrituale) und darüber belehrt, dass jede Verfehlung, ob wissentlich oder versehentlich, Sünde sei und mit Fluch und gar Tötung (Beschwichtigung des Götzenzorns) bestraft würde. Einige dieser totemischen Culturen haben sich bis heute erhalten (s. Ruth Benedicts U.d.K und Margaret Meads Samoa)…

3. Wenn in einem Stamm nicht nur die 3 o.g. Urvertragsbestimmungen galten, sondern parallel eine Unterschicht existierte, die dem totemischen Kodex huldigte, dann lag ein Mischgebilde vor, das von psychisch urgesunden Megalith-Mannschaften kontrolliert wurde. Eine weitere Möglichkeit stellt dar, dass die totemische Abteilung nicht nur dem Megalithrat tributverpflichtet war und ihrem Götz durch Darbringung von Opfern 'nährte', sondern dazu einen ‚mit ihm‘ vereinbarten Ehe-‚Vertrag‘ praktizierte. Dies Tabu – das den Lustaustausch außerhalb der Ehe ächtet – besagt in diesem Fall, dass die Monogamie von der Priesterkaste eingeführt wurde: zuerst unter den totemischen Mannschaften und schließlich gleich unter den Knaben, da sie ohne diesen Eingriff (s. Zerstückelung Orpheus) instinktgeleitet begonnen hätten, ihre, ab der Pubertät ernstlich wehrhaften, rebellischen Knabengruppen zu bilden. Hier ergibt sich also aus der Fusion eines psychisch naturgemäßen Stammes mit einem totemischen und dessen Schicht monogam gepaarter Familien eine dreifach gemischte Genea. 5 Die Söhne der Familien wurden zur Pubertät von den Priestern mit allen Vorschriften des totemischen Katalogs einschl. Eheritual behandelt, sie das Fürchten lehrend vor den Forderungen der menschlichen Triebe (Dämonisierung des Es). Sünder wurden getötet oder starben autogen an Strafangst, sobald sie ihr triebgesundes Vergehen bemerkten. Die Generationen solch monogamer (isolierter) Männer degenerierten nicht nur gene-tisch, sie verdrängten außerdem psychisch ihren Kampfdrang endgültig und verloren ihre gleichgeschlechtliche Erotik und ihre Ur-Souveränität dazu. Ebenso erging es der Frau, denn um die Männer vor dem Fluch des Ehetabubruchs zu schützen, wurde sie vorbeugend zu einem leibeigenen Gegenstand des Mannes erklärt, seinen orgasmischen Entladungen verfügbar und zuständig für das Ausbrüten seines Samens, jeden dies-bezüglichen Eigenwille (Untreue) mit dem Tode durch Steinigung strafend (Joh. 8, 3 ff).

5 Beispiel Hellas. Dies Bündnis barg seit der Dorischen Einwanderung (1200 v.u.Z) Sparta. Annehmbar wäre, letzterem Superstamm sei durch die Reform seiner Ratsversammlung Lykurg gelungen, die totemische Phase positiv zu überwinden: Sparta wurde wieder ur-animistisch. Es führte die vom Totemismus betroffenen Aristokratien Ioniens (u.a. Athen) gegen gemeinsame Feinde an (Troja, später Persiens Frühpatriarchat) und unterstütze auf diesem Wege deren Räte auch beim Entwurf der Naturphilosophie. So gelang den Hellenen, die Familienmasse (den Demos; Nachfahren der Monogamie-Einführung unter den Titanen Epimetheus und Pandora) Jahrhunderte lang zur Tributs-Entrichtung zu zwingen – wie gesagt nicht zum Zwecke der „Ausbeutung“ wehrloser Artgenossen, im Gegenteil! Das eigentliche Motiv brachte u.a. Sokrates zum Ausdruck bei seinem Vorschlag vorm athenischen Gericht: Statt zum Tode zu verurteilen für sein unerschütterliches Ringen um die Wahrheit, solle man ihn auf restliche Lebenszeit mit Nahrung versorgen. Also freistellen von körperlicher Arbeit, Zeit verschaffen, sich den Musen zu widmen, dem geistigen Durchdringen des Totemismus und der Monogamie, Tragödie der Menschheit…

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Ob mit oder bereits ohne die Bändigung durch eine megalithische Aristokratie: Diese Zustände führten über wiederholte Kulturenmischung zu einer komplexen Organisation von Tabus und verschiedensten Götzen in den frühpatriarchatischen Gesellschaften (s. Lèvy Strauss‘ Ethnologie), deren wesentliche Gemeinsamkeit überall darauf zielt, die Familie – da sie zum Grundbaustein dieser Vorgänge wurde – zu erhalten. Die Verewigung dieser Institution wurde v.a. durch die Verhängung zweier Vorschriften garantiert: einerseits durch das von Mose formulierte 6. Verbot: Du sollst nicht um (männliche) Verbündete buhlen (Tabuisierung der Homoerotik) und ergänzend durch das 9.: Du sollst dir eine eigene Gattin kaufen (Entmündigung der Frau). Zweck dieser den Knaben anhand patriarchaler Strenge eingeprägten Einrichtungen: Ausschaltung der Gefahr, dass sich die Einzelnen erneut zu Mannschaften zusammenschlossen… Die schlimmsten Folgen aber erlitten die Kinder der sich aus diesen 2 Vorschriften bilden-den Familien bereits vor ihrer Erziehung, denn aufgrund des Fehlens der primatenspezi-fischen Kindergruppe blieben sie in der psychischen Entwicklung auf dem Stand vom Ende der Oralphase zurück – ein das ES betreffender Sachverhalt, den eine entspre-chende Ich-Fixierung begleitet. Der oral-narzisstisch konsumptionelle Egoismus, das anal-narzisstisch egozentrische Haschen nach Prestige und der genital-narzisstische Drang nach Macht solch ungestüm destruktiver Knaben wurde zu einem ernsten Problem für die Eltern und die frühpatriarchalische Gemeinschaft; so mussten sie gewaltsam gebändigt und unschädlich gemacht werden. Wie bereits erwähnt, kamen die Störenfriede bei den Schamanen in Behandlung, die die traumatisierenden Puber-tätsritale entwickelten, um dies Problem zu erledigen. Solch‘ methodisch gewaltsame Depotenzierung führte oft zur Entstehung eines somatischen Ausdrucks, die rituelle Kastration (Beschneidung) veranlassend...

4. Stufe: Eine Alternative zum primitiven Pubertätsritual bietet die das Patriarchat in der Gegenwart kennzeichnende Totemisierung des Kindes in der Analphase (3.-5. L. j.). Dadurch wurde die totemische Moral zu einer Angelegenheit, die nicht mehr nur den Mann sondern auch die Frau betraf. Beide Geschlechter wurden unterschiedlich erzogen und je nach historischer Abkunft ihrer Culturen mit den Ansichten über die Rolle und Verantwortung des jeweiligen Geschlechts indoktriniert. Die Moralisierung des kleinen Mädchens in unserer Cultur hat teilweise zur Befreiung der Frau geführt, zwar nicht politisch, denn sie ist überall ihrem Gebieter treue- und gehorsamsverpflichtet geblieben (Leibeigenschaft), dafür aber seelisch, denn durch die Moralisierung durfte auch sie – wie ihr Mann seit 7000 Jahren – Gott gegenüber die volle Verantwortung für ihre Sünden übernehmen. Für diese fragwürdige Wiedergutmachung mussten ihr die Theologen im Abendland eine dem Mann annähernd vergleichbare Seele zuschreiben, was nicht leicht war, denn in der Schöpfungsgeschichte steht, dass die Frau dem Körper des Mannes entnommen wurde – explizites Eigentum seines Leibes nach 1. Moses 2, 21 –, aber von Gott nicht den Odem des Dekalogs eingeblasen bekam.6

6 Diese extroversive ‚Behauchung‘ des keramischen Adam mit den Verhaltensvorschriften der totemischen Moral stellt ein wichtiges theologisches Argument zugunsten der Unsterblich- und Abtrennbarkeit der Seele vom Körper, der Natur, dar.

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So gilt die Frau noch heute als triebhafter als der Mann, als tierisch, selbstkontroll- und tugendunfähig, obwohl die zunehmend emanzipierten Mütter viel dransetzen, die Brunft-regungen ihrer Töchter, weil schändlich und unheimlich für den sexuell depotenzierten Mann, zwar nicht offensichtlich aber subtil zu traumatisieren, die Mädchen ab dem 3. L. j. zur Sauberkeit erziehend und ihnen ab dem 5. (Genitalphase) einredend, ihre Vor-übungen der weiblichen Sexualität (auffallend schrilles Kreischen) geheim zu halten, was oft später zu periodisch bohrendem Kopfschmerz (hysterische Migräne) führt, wofür jüngst das Erbgut verantwortlich gemacht wird, was wiederum gentechnologische Eingriffe fordert, zwecks Eliminierung des negativ mutierten DNA-Stücks... In primitiveren Culturen als unserer, wo der Mann immer noch über Leben und Tod seines Leibeigentums verfügt und allein vor Gott die volle Verantwortung für sich und die Gemeinschaft der Ehemänner trägt, ergreift die Hexerkaste nicht nur Maßnahmen gegen die sexuelle Unberechenbarkeit der Frau (u.a. monatelanges Einsperren allein in einer finsteren Hütte beim ersten Eisprung), sondern auch gegen ihre Erotik ab der Geburt (Klitoris-Amputation). Dies übernehmen die verhexten Mütter und Tanten (sonstige Beauftragte der Hexerkaste) eigenhändig... Ein Überbleibsel der totemischen Phase in unseren hyperzivilisierten Industrienationen stellt die als selbstverständlich geltende seelische Vorbereitung unserer Mädchen auf ihre spätere Lustobjektrolle gegenüber dem Mann dar, wofür ihnen die Einsetzung ihres Leibes (Eheprostitution) als Mittel zur finanziellen Versorgung in Aussicht gestellt wird. Das Schlimmste bei den Mädchen und Knaben, an denen die Totemisierung nicht mehr in der Pubertät sondern in der Analphase (3.-5. L. j) vollzogen wird, ist aber die Unter-werfung des Kindes unter den Willen eben jener Personen, an die es sich für seinen Schutz und Sicherheit instinktiv zu wenden gezwungen ist, denn durch derartige Erziehung zum Gehorsam (s. IV. Gebot) wird der für die organisierten Arten grundle-gendste Trieb: das Sozialitätsbedürfnis, der Gruppenbildungsinstinkt – amputiert. Das Hauptargument derartiger Kindeserziehung betrifft die Bändigung der oralen Wildheit mit ihren egoistischen und egozentrischen Forderungen, die beim Erwachen des Selbstbehauptungsdrangs im 3. L. j. zu einer wahren „Bedrohung“ für die Umwelt, vor allem anderer Kinder und Kleintiere, die ihm gegenüber hilflos unterlegen sind, werden (Kajin-Syndrom), weshalb ihre Zähmung unausweichlich und gerechtfertigt erscheint, ohne zu denken, dass das was Kinder brauchen nicht Triebverdrängung ist, sondern eine geeignete Kindergruppe, in der jedes durch Interaktion mit allen anderen seine Aggression sinnvoll zu lenken und Rücksicht zu nehmen lernt. Solche Kinder werden nicht nur anpassungsfähig, sondern auch selbstverantwortlich und souverän. Sie unterwerfen sich freilich! später keiner Willkür und keinen Geboten und Verboten. Anpassung gibt es nur mit ihren Verbündeten, nicht an die Belange unserer rechtswidri-gen Gesellschaft. So müsste sie das System militärisch verfolgen und ihre Gruppen – falls es sie entdeckt – wie die patriarchalischen Terrorbanden (freilich aus anderen Gründen) mittels sog. Isolationshaft im Gefängnis auseinanderhalten oder anders unschädlich machen, weshalb man die Kinder schon im Voraus methodisch – unerbitt-lich – in der Analphase ihres Dranges nach Selbstbestimmung – ihrer Potenz – beraubt

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(psychische Kastration), sie abhängig machend von ihren Eltern (Domestikation), die sie weiterhin den Sitten, „Normen“ und Forderungen der Gesellschaft unterwerfen, so dass ihnen wenn sie zur Pubertät kommen nur noch ein ritueller Treueschwur für Gott und das Vaterland abverlangt werden braucht (Firmung; Jugendweihe; Fahneneid). Über die Folgen solch‘ bestgemeinter Abrichtung macht sich keiner Gedanken; es gilt als selbstverständlich, dass die zu ‚Mann & Frau‘ gezüchteten Es-Kastraten sich besten-falls in Ersatz-Mutter/Kind-Liebesbeziehungen binden können, beruflich zu ehrbaren Ausbeutern und selbstbestimmt ausgebeuteten Arbeitssklaven werdend, die ihren Lebenssinn im Gedeihen des System, das sie unterwirft, sehen. Ansonsten flüchten sie sich vor der offenbarten Sinnlosigkeit ihrer überforderten Existenz in ablenkenden Konsum und religiöse Schwärmerei (Regressionswünsche zurück in den partnerschaft-, gesellschaftlich- und göttlichen Mutterleib/ passive Ich-Fixierung)

1. Erkenntnisdrang ............ ....... .......... anhand 2. Gruppenbildung ........................... (Sozialität ) 3. Sexualverhalten ........................... 4. Energiebedürfnis ...... nach

5. Hautpflegelust, Erotik .................. 6. Territoriumsanspruch (kollektives ES-Verhalten) ............... .......

( Inner-Äußere Gemeinsamkeit ) ( Gebote - Verinnerlichung ) ( Außenwahrnehmungs-Fixiert )

gesellschaftliche Glücks- und ( I - III Gebote) Wertvorstellungen

(Abschaffung des Selbstwertgefühls) MACHT-Verhalten als kompensatori-scher Ersatz

(Abschaffung des Daseinskampfes / bzw. Aufhebung des „Natürlichen Zuchtwahl Gesetzes“). Kompensa-torischer Drang nach PRESTIGE (individueller Freiheitsanspruch)

(Abschaffung der Gruppenautarkie) kompensatorischer WOHLSTANDS- und KONSUM-Anspruch

Logik / GLAUBE - Theorie Forschung

KUNST Technik Mystik / WISSEN - Praxis

Luft , Wasser Nahrung , Wärme

‘religiöse‘ Dogmen

Mannschaftsbildungsverbot ( VI / VIII Gebote ) patriarchalische Familienbildung ( IV Gebot )

eheliche Unterwerfung der Frau ( IX Gebot ) Mannschaftswettkampfverbot ( V Gebot )

( moralisch genehmigt zwecks Systemserhaltung )

Verbot der männlichen Homoerotik ( VI Gebot ) Einschränk. der Mann/Frau Heteroerotik ( IX )

Einführung des Privateigentums (VII/ X Gebote)

(narzißtische Fixierung wird vorausgesetzt)

“ E S “ “ Ü B E R - I C H “ “ I C H “ - VERHALTEN

N a t u r z u s t a n d E n t a r t u n g s p r o z e ß K l a s s e n g e s e l l s c h a f t

( “ S E I N “ ) ( “ T U G E N D “ ) ( “ H A B E N “ )

I ICH bin dein Gott, der ich dich führte aus dem Land Ägypten, aus dem Haus der Dienstbarkeit.

II Nicht sei dir andere Gottheit mir ins Angesicht, denn ICH

dein Gott bin ein eifernder Heergott, zuordnend Fehl von Vätern ihnen an Söhnen am dritten und vierten Glied, denen die mich hassen, aber Huld tuend ins tausendste, denen die mich lieben, denen die meine Gebote wahren.

III Trage nicht deines Gottes Namen auf das Wahnhafte.

IV Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit sich längen deine Tage auf dem Acker, den ER dir gibt. V Morde nicht. VI Buhle nicht. VII Stiehl nicht.

VIII Lüge nicht wider deinen Genossen.

IX Begehre nicht das Weib deines Genossen, seinen Knecht, seine Magd, seinen Ochsen, seinen Esel, noch all irgend was deines Genossen ist.

X Begehre nicht das Haus deines Genossen.

(narzisstische Fixierung wird vorausgesetzt)

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Glaube Forschung

Mathe

Mystik

Wissen Technik

Kultur

Zivilisation

NOÜS

S y m b o l - L e h r e

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S Y M B O L - L E H R E

Mythen-, Traum-, Kunst- und Sprachauslegungsmethode Zum ersten Teil der Freud‘schen Lehre (also Metapsychologie) gehört seine Theorie über die Entstehung der Symbole. Im Es also – nicht im Ich, wie meist angenommen – ist die Logik verankert. Das Ich verkündigt nur in der Außenwelt – wie ein Herold – den Es-Wille, wobei es nur abliest, was das Es mitteilen will. Der Zuhörer vernimmt aber die Botschaft durch sein Ich, so entsteht der Eindruck, als ob dies selbst der Schöpfer der Symbole sei... Die ihnen innwohnenden Wünsche werden anhand einer starren Form übermittelt: zuerst wird die Aufmerksamkeit des Ichs gefordert, dann wird verkündigt, was verwirklicht werden soll. Solche Botschaften bestehen nur aus dem aufmerksam-keitsfordernden Subjekt und dem Prädikat, durch das der Wunsch angezeigt und auf die Tätigkeit hingewiesen wird, die seiner Befriedigung dient, z.B. (Es hat) Hunger: iss! Dies begleitet außerdem ein Objekt, das den wunschbefriedigenden Gegenstand anzeigt, etwa ein reifer* Apfel (* Attribut des Objekts). Gleichfalls erfahren wir aus der Sprache die Struktur der Logik, die dieselbe ist, die aller ‚sinnvollen‘ Handlung zugrunde liegt. Wir verstehen also den Sinn unserer Handlungen, wie das Werden der Dinge und Wesen aus dem ‚Urknall‘, weil dies nach dem selben Muster erfolgt, wie die Gestaltung der Sätze unseres Denkens, der Mimik (Körpersprache), Künste und Gleichungen der Mathematik; Sym-bole werden all diese Botschaftsüberbringer genannt, weil in jedem von ihnen 2 komplementäre Aspekte – wie Siegel und Abdruck – verschmolzen oder zusammengeballt sind, quasi einen Vertrag (griechisch symbàllein) vereinbart haben. Darüber hinaus verstehen wir all jene Mitteilungen als symbolisch, die nicht so ‚klar‘ wie eine Gebrauchsanweisung strukturiert sind, die uns ihren Sinn indirekt mitteilen, der auf bloß rationalem Wege verborgen bliebe, den wir aber anhand unserer allgemeinen Gefühlslogik nachvollziehen können. Die einfacheren solcher Symbole nennen wir Bilder, die komplexeren Gleichnisse und die abstrakten Allegorien. Das logische Denken ist also grundsätzlich kollektiv und der Seele eigentümlich, so stellt Descartes Cogito ergo sum eine Anmaßung und das Individuum als Denkende Seins-Entität reine Einbil-dung dar – wie Lacáns Interpretation des Freud‘schen Unbewussten bewusst macht.... Das Ich hat jedoch ein eigenes Denkvermögen, sonst würden wir den Willen des Es vielleicht begreifen und umsetzten können, es wäre aber kein Fehler denkbar beim Versuch, seine Botschaften in Worte zu fassen und auszuführen. Unserem Ich-eigenen Denken ist zwar die Logik des ES wohlvertraut – sonst würden wir seine Wünsche weder verstehen noch erfüllen können –, was aber dem Ich eigentümlich ist, ist die Reflexion, die dialektisch erfolgt, indem es den Wunsch zuerst hypothetisch formuliert, wofür schließlich nur 2 alternierende Auslegungsmöglichkeiten (These und Antithese) bleiben, die an sich ebenbürtig – wie Körper und Geist –, dabei aber von entgegenge-setzten Perspektiven des selben bedingt sind. Beide werden zwecks Wahl der richtigen erwogen, oder aus beiden auch eine Synthese erstellt – die freilich! verfehlt sein kann (irren ist menschlich). Gerade darin unterscheidet sich wesenhaft die Ich-bewusste von der Es-eigentümlichen Denkungsart...

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Wie das Es seine noumenalen Botschaften oder Offenbarungen herstellt, wissen wir nicht. Da aber das Noumenon dimensionslos ist, dürfen wir ihm nicht unsere dialektische Reflektion zuschreiben, da diese die zeitliche Dimension miteinbegreift. Das, womit das Es denkt, ist zeitlos, ungeworden, unvergänglich, so sind seine Botschaften unfehlbar, immer und nur wahr. Solche noumenalen Botschaften könnte das Ich in ihrer Urfassung nicht begreifen, so müssen sie – wie auch die Reize unserer äußeren Sinnesorgane – im Vorbewussten auf eine Weise gefärbt, strukturiert und temperiert werden (s. Kants Ästhetik), die dem Ich-Bewusstsein nachvollziehbar ist, weil im Vorbewussten seine eigenen Erfahrungen gesammelt sind, die Botschaften dadurch zu Symbol-trächtigen Bildern und Allegorien machend. Das Ich legt diese Wünsche dann wie oben gesagt dialektisch aus, sie zur Befriedigung des Es umsetzend zu der ihrerseits noumenalen Wirklichkeit, und sammelt die während solcher Handlungen anfallenden Erfahrungen ins Gedächtnis, auf dessen Inhalte das Es zurückgreift, wenn es erneut zu uns spricht. Wenn aber diese Erfahrungen nur weitererzählt werden, damit sie nicht ‚vergessen‘ werden, sie unumgesetzt oder untherapiert lassend weil verbunden mit psychischen Traumen, dann entstehen Überlieferungen, die das offenkundig Traumatische verrätselt wiedergeben, es zu Mythen, Sagen und Märchen entstellend und verdichtend...

Mythen sind komplex

Sie bestehen in jeder patriarchatischen Kultur aus 6 Mythemen, in denen der Wesens-kern jeder Epoche zusammengefasst ist. Außer ihrer Abfolge in 6 aufeinander folgenden Stufen haben sie einen mystischen, psycho-biologischen, kultur-zivilisatorischen und einen pathologischen Aspekt gemein. Das 1. Mythem berichtet über die ursprüngliche, naturverbundene Lebensweise, das 2. über ihre zum Dauerzustand gewordenen politischen Organisationen und den Ausbruch des Totemismus, das 3. über den Urirrtum der Monogamie-Einführung und die restlichen 3 Mytheme handeln von der sich versiegelnden Naturentfremdung der Menschheit wie folgt:

1. Entstehung der Welt und Menschwerdung. Urlebensweise, befristete Daseins-krisen, Bildung befristeter Stämme (Goldenes Menschenalter).

2. Chronifizierung der Daseinskrise (Überbevölkerung), Bildung unauflöslicher Stämme (Megalithkulturen). Verinnerlichung der Vertragsbestimmungen. Auf-stände der totemisierten Gastmannschaften um die Hegemonie im Urstamm (Kampf um das Frauenterritorium).

3. Urirrtum (Einführung der Monogamie; Naturentfremdung). Bildung der Geneas. 4. Aufstände der totemischen Stämme und Familien gegen die Urmenschheit.

5. Sieg der rebellierenden Familienschicht; Sturz der megalithischen Urordnung und totemischen Stämme. Kriege ums Machtmonopol (Sintflut-Mythen; Urchaos).

6. Konsolidierung des Patriarchats (Vollentmündigung der Menschheit).

Die Erzählung der aus jedem Kulturkreis überlieferten Mythen ist immer symbolisch; sie lassen sich aber nicht einzeln auslegen wie die Träume, sondern erst durch den Ver-gleich der Kulturen und ihrer jeweils 6 Mytheme. Dafür sollen deren Reihen von links nach rechts zur Gegenwart und senkrecht übereinander gelegt werden wie folgt:

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3. Gilgamesch, Sohn der Göttin Ischtar und eines menschlichen Priesters Enlis. Entfremdung Enkidus von seiner wilden Herde. Paarung Evas und Adams / Kajins (Gen. 2, 18) ; Kajin und Habel als ihre Söhne. Geburt Habels als Sohn Adams (Kajins) und Eigentum Evas (Genesis 4, 1)

4. Reiszweiglein vom Sturm gerissen. Verhexter Chaluppu-Baum wird gefällt, Holz zur Trommel Gilgameschs u. Thron der Mutter

Kajin bringt Habel um. (Gen. 4,8)

Sintflut (Genesis, Kapitel 8 bis 10)

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1. Schöpfung von Himmel und Erde im Weltwasserkrug durch Enlil;* Wachsen des Chaluppu-Baums aus dem Euphrat-Fluss; Gedeihen der Tiere und Pflanzen. Lichtwerdung in der Finsternis; Kosmo-genesis im Urwasser durch ophitische Urpo-tenz; Bildung der Arten bis hin zum Menschen und Gut-Sein des Alls (Genesis 1 - 2,3) Kajin (Adam) aus dem Lebensbaum-„Stamm“ (Gen. 1,7 / 1,27) wird Ackermann (G. 3,17), Habel Hirte (Genesis 4, 4).

2. Chaluppu-Baum mit Sturmvogel-krone und Schlangenwurzel. Enkidu, Sohn einer Gazelle (totemischer Clan).

Baum-Stamm des Lebens (G. 3,22) und der Erkenntnis von Gut und Böse (Genesis 2,17)

Sintflut (Gen. 7 )

Streit Kajins und Habels um die Früchte der Erde (Gen. 4, 5-7); Entzweiung Kajins von der ophitischen Urpotenz.

5. Gilgamesch und Enkidu bringen Himmelsstier um (Urpotenzsymbol); Sterben Enkidus

Selbst-/Ver-fluchung der Ur-Schlange durch Priesterkaste; Verdammung Adams des geist-losen Todes. (Gen. 3, 14-19)

Brandmarkung Kajins als unantastbarer Mörder (Gen. 4, 10-12)

6. Enkidu („linkisch“) in der Unterwelt gefangen. Gilga-meschs Regress im Sonnentunnel. Er verfehlt Dilmun, mauert sich gegen Natur in Uruk ein

Kajin wird zur ewig ruhelosen Irrfahrt im Land der gesell-schaftlichen Reife- Noth verflucht (Genesis 4,13-15) Kajin in Noth verschanzt sich in Hennochs Stadt (1 Mosis 4,17 )

Sumerische Mythen

Biblische Mythen

/* Im Weltwasserkrug wurzeln neben der bib- lischen Kosmogonie auch die 4 Elemente der Natur-philosophie. Entnommen aus dem Kapitel Die Ur-Bibel, S. 67

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1. Das ursprünglichste Mythem jeder Kultur stellt einen Weltschöpfungsbericht dar; oft wird die Erschaffung der Menschen gesondert von der der restlichen Geschöpfen beschrieben. Sowohl der ‚Demiurg‘ als auch seine Geschöpfe stellen heute chthonische Symbole dar. Solche Geschöpfe haben nur einen einzigen elementaren Urheber. Wenn zwei Weltschöpfer von vornherein in Verbindung stehen, sind sie zueinander komplementär-hier-archisch (Natürliches Auslese Gesetz), treten nach Außen aber als egalitäre Einheit auf, so stellen sie 2 vorrübergehend vertraglich gebundene Parteien dar – einen Urstamm bzw. seine über das Werden des Kosmos und die Probleme der Menschheit sinnende Ratsversammlung. Einzelgestalten ver-körpern also immer ein Kollektiv... 2. In diesem Mythem treten die Symbole mitein-ander in Konflikt, was durch eine geistige Verwir-rung des ‚Demiurg‘ (Vertragspartner & ‚Schöpfer der Welt‘) erklärt werden kann; so liegt hier die Problematik des Totemismus, der eine Folge der Übervölkerungskrise ist, bei wenigstens einer der 2 Parteien zugrunde. Auch aber wenn ihr Gezänk und ihre nun offen hierarchisch ‚guten und bösen‘ Positionen als jeweils einzeln erscheinen, stellen sie immer noch Gruppen (Kollektivkämpfe) dar. 3. In der 3. Phase wird über das Ergebnis solcher Konflikte berichtet und über die Maßnahme, die dem Frieden zuliebe getroffen wurde: Auflösung der aufständischen unterlegenen Gruppen und Vereinzelung ihrer Mitglieder zu monogamen Paaren. Diese Menschheitsphase endet mit der Geburt einer neuen Generation, deren mann-frauliche Progenitoren als die uns gewohnten Individuen erscheinen. So berichtet dieses Mythem über das Auftreten des Familienlebens und den Ausbruch des Narzissmus auf Erden... 4. Hier erzählt das Mythem ebenfalls von Kämpfen, die nun aber – anders als in der 2. Stufe – sowohl von Konflikten der Megalithkulturen mit den erwachsenen Familienmännern als auch der Familienmütter mit ihren Söhnen bedingt sind. Von der Hexerkaste mit der Erziehung ihrer Söhne beauftragt, endet diese Phase für den betroffenen Teil der Menschheit mit der endgültigen Verun-möglichung ihrer Rückkehr zur naturgesetzlichen

Ordnung. Mit diesem 4. Mythem beginnt also die Gewalt auf Erden um sich zu greifen und – für die ihren erziehenden Eltern ohnmächtig ausgeliefer-ten Kinder – die alles Triebhaft Urmenschlich Ge-sunde ertränkende, ins Unbewusste (Unterwelt) verdrängende Sintflut. (Leib wird Grab der Seele).

Der Sintflut Mythos erstreckt sich über 3 Mytheme: Das erste gehört zur 2. Stufe; in ihr findet das Dämmern dieses psychopathologischen Phäno-mens statt, indem es von einem unerklärlichen Streit zwischen dem Schöpfer und seinem totem-isch gewordenen Geschöpf berichtet. Daraufhin (Stufe 3) fasst der Demiurg den Beschluss, sein aufsässiges Geschöpf (Noah, Enkidu, Adam, Kajin) zu Individuen zu zerschneiden und sie mit ebenso zerteilten ‚Frauen‘ monogam zu verpaaren – was diese mit Recht! als Konzept zur Weltvernichtung auffassen… In der Stufe 4 aber halten die Kinder dieser Urfamilien die Monogamie bereits für den Urgrund des Kosmos (das bedeutet der Name der Kiste, die zu Noahs Rettungsboot wurde: die Arche) und unterstellen dem Demiurg, er habe Noah seiner Frömmigkeit wegen vorm Untergang ver-schont, obwohl in Wahrheit sie selbst es waren, die die natürliche Evolution durch Ersaufen (Ver-drängung) vertilgten, so dass nur die ‚familienähn-lichen Arten‘ übrig geblieben sind (s. monogam gepaarte Fabeltierschar in Noahs Arche)...

5. In diesem Mythem wird extra vom Untergang bzw. der (Selbst-)Verfluchung der chthonischen Symbole* berichtet, so stellt diese Phase das eigentliche Ende der Urmythen und -menschheit dar. (* Sofern sie die Erde, das Weltwasser, den -fluss das ES die Urschlange verkörpern, ist es die Priesterkaste, die die Natur verflucht, sofern aber der Fluch das Ich-Bewusstsein anbetrifft, stellt es den Megalithrat dar, der seinem eignen Ur-Irrtum, ihn noch grade realisierend, zum Opfer fiel...)

6. Das letzte Mythem handelt vom Zustand der Menschheit ab der alles Natürliche wegspülenden Sintflut (s. kindische Amnesie) bis heute, sie als unschuldiges Opfer eines ihr nicht mehr verständ-lichen Irrtums (Sündenfall; Tabuisierung des Baums der Erkenntnis) offenbarend und beladen mit fremder Schuld. Dies erklärt, warum die Urmythen zum Thema der klassischen Tragödien wurden...

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Diesen Sachverhalt hat außer Freud der französische Symbolforscher Lévi Strauss am besten ergründet, weiterentwickelt und als Ethnologe mit seinen völkerkundlichen Erfahrungen ver-knüpft. In seinem Model über die Struktur der mythischen Symbole aller Kulturen hat er allerdings den Charakter der 1. und 2. Stufe nicht erkennen können, jene nämlich, die vom Goldenen Zeitalter und der darauf folgende Epoche (Überbevölkerung, chronische Stämme,) berichten. Diese Symbole wurden von einer Generation zur nächsten derart verdichtet, dass sie als unterirdisch-uneinsehbar (chthonisch) empfunden werden und gelten; ohne eine ihren Inhalt einsehbar machende Durchleuchtung aber bleibt aussichtslos, die 4 weiteren, aus den Ur-Verhältnissen kausal folgenden Mytheme zu begreifen, z.B. den Oidipus-Mythos... Von der 1. und 2. Stufe berichten sehr gut die biblischen, sumerischen und andere in Keil-schrift konservierten Mythen mit ihren Potenzsymbolen (Schlangen Flüssen Bäumen), die Lévi nicht auszulegen vermochte, so wie ich oben gemacht habe, seine sonst vortrefflich lesbare Strukturtabelle ergänzend. Sie führt kulturübergreifend synchron (senkrecht zeitgleich) und diachron vom Uranfang bis zur Gegenwart und offenbart eine den Mythen der Menschheit universal gemeinsame Struktur (s. Journal of American Folklore; 1955).

Anhand dieser Methode hat er lediglich den Wesensunterschied zwischen Mythen und Poesie aufzeigen wollen. Poesie wurzelt in individuellen Erfahrungen, die u.a. der jeweiligen Kultur spezifisch sind, so lässt sich ein Gedicht nicht ohne Verlust wesentlicher Informationen von Deutsch nach Chinesisch übersetzen, während der Gehalt der Mythen nicht im geringsten angetastet wird, egal wie ungeschickt man ihn nacherzählt. Dies ist so, weil das Es ein Kollektiv darstellt, das seitens der Menschheit aber ins Unbewusste verdrängt wurde und wird – ein Sachverhalt, der eine global identisch erlebte Traumatisierung (Totemismus und Monogamisierung; Entzweiung von der Wurzel des Lebensbaumes) voraussetzt. Das Gemeinsame von Mythos, Poesie und Mensch ist aber, dass sie alle Ausdrucksformen des Es sind...

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Sowohl Enkidu als auch Gilgamesch und der Chaluppu-Baum stellen ursprünglich unab-hängig voneinander entstandene Mythen dar, die von allen späteren Kulturen der Antike miteinander verschmolzen erzählt und geschrieben wurden, so entstanden aus ihnen die ältesten volkstümlichen, epischen und hochdramatischen Werke und Gestalten der Weltliteratur, die wir heute kennen. Sie alle aber – ob jedes für sich oder gemeinsam zu einer Geschichte verdichtet – erzählen dasselbe: Die Schöpfung der Welt durch ein phallisches elementares (hochragende Berge, Felsen), meist auch pflanzliches oder tierisches Potenzsymbol (Bäume, Schlangen), ebenfalls Fruchtbarkeitsarchetypen wie Flüsse oder unsichtbare Naturgewalten wie die Luft, geflügelte, blitzschlagende Stürme und wenn Menschen, dann besitzen sie titanische Kräfte. Jedoch geraten all diese Symbole immer in Konflikt mit ihresgleichen (Titanenkämpfe, Erzengelschlachten), so verdoppeln sich beim zweiten Mythem ihre Urgestalten (paradiesische Lebens- und Erkenntnisbäume), oder das Urwesen offenbart sich aus zwei einander gegenseitig bedrohenden Teilen bestehend (Sturmvogelkrone gegen Schlangenwurzel), wobei der obere als gut (göttlich, Geist) und der untere als böse (dämonisch, Körper) aufgefasst wird. Das 1. und 2. Mythem stellen also Relikte der vom Patriarchat gestürzten und aus der Welt gedrängten Urmenschheitskulturen dar, die ursprünglich infolge der Überbevölke-rungskrise Gastmannschaften und -horden bei sich aufnehmen mussten, lernend, sich mit ihnen zu ‚Vertragen‘. So entstanden regelrechte politische Chimären wie der Chaluppu-Baum mit seinen zwei artfremden Aspekten, oder Schlangen mit Flügeln (Drachen), die um in Frieden zu leben sich des unteren Körperteils zu entledigen oder

ihn wehrlos zu machen ver-suchten, indem sie ihn zer-fetzten. Diese radikale Maß-nahme – mit der also auf die Zerstückelung der Urgruppen anhand monogamer Paarung hingewiesen wird – wurde nun zum Anfang vom Ende, da im 3. Mythem die anfäng-lichen Symbole keine zentrale Funktion mehr üben. Statt-dessen wird von einem völlig neuen Sachverhalt berichtet: von Wesen, die in einer verwü-steten und verfluchten Welt geboren sind und die keinen

elementaren, tierischen oder anders naturgewaltigen Schöpfer mehr haben, sondern von einem Paar blutsverwandter Gestalten stammen: Vater und Mutter (s. Gilgamesch-, Kajins- und Habels-Mythos). Ihre Kinder lassen sie nicht mehr von Naturgeistern hüten, sondern von Dämonen überwachen, die sie verführen und für die Verletzungen der Tabus gnadenlos bestrafen (Adam und Eva, Oidipus und Jokaste), weshalb auch sie sich im darauffolgenden 4. Mythem gegenseitig umbringen – jedoch aus ganz anderen Gründen als die Chimären der 2. und 3. Mytheme... Mit den Chimären, mit denen die Menschheitsgeschichte begann, werden Kinder wie Oidipus noch einmal im 5. Mythem

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konfrontiert – freilich! nicht mehr in ihrer ursprünglichen Herrlichkeit, sondern besiegt und stürzend wie die Sphinx* als feindselige Urheber des unentrinnbaren Leidens auf Erden...

/* Eins der chthonischen Symbole, die Lévi Strauss unberücksichtigt ließ, und das in den ersten zwei Mythemen den Namen Püx trug: Faustkampf – eine offensichtlich durchsetzungsstarke Urhorde, deren Mannschaft ihre Souveränität geflügelt und deren Frauengruppe sich anhand ihres Gesichts zum Ausdruck gebracht hat. Erst über den Vertrag mit der Gastmannschaft Laios (Löwe) erhielt dies Bildnis seinen Löwenkörper dazu, und erst nach dem fatal siegenden Aufstand der Familienmasse Thebens wurde es zur Sphygx – die Fluchtergreifende – umgenannt...

Hiermit enden praktisch alle Urmythen aller Urkulturen der Erde; es ist als ob ihre Absicht sei, vom Ursprung des unaufhörlichen Kreislaufes des Leidens in unserem Patriarchat zu berichten, denn die Urhelden erscheinen zuletzt als Sinnbild der heutigen Menschheit seit Einführung der Monogamie. Enkidu – mit dem chthonischen Adam identisch: das einstige Ebenbild Gottes, tritt am Ende linkisch in der Unterwelt gefangen auf, verdammt mit verletzten Füßen wie das Oidipus-Geschlecht und ewig herumirrend auf der Suche nach der verlorenen Urbestimmung (Dilmun, das Paradies) ohne es zu finden... Die Urmythen erzählen also unsere alleigene Tragödie nach...

Mythen- und Traumdeutung: Vergleich Zur Zeit Freuds versuchte man sowohl die sich der Symbole bedienenden Träume als auch die Mythen mit derselben Methode auszulegen. Während die Mythen insgesamt aber vom Schicksal der Menschheit bis heute erzählen: von immer den gleichen historischen und ‚prähistorischen‘ Ereignissen –, offenbart jeder Traum eine von Tag zu Tag immer verschiedene Botschaft des Unbewussten... Ebenfalls gibt das Unbewusste den Symbolen des Traumes eine von mal zu mal andere Bedeutung, je nachdem, in welchen Zusammenhang sie für die Mitteilung einer Botschaft des Es gesetzt wurden, so müssen die Symbole – auch dann, wenn sie vom selben Träumer geträumt werden, stets neu – anhand seiner eigenen Freien Assoziationen – ausgelegt werden. Auch für den Fall also, dass ein Traum scheinbar die selben Symbole wie ein bekannter Mythos verwendet, darf er nicht ohne die Assoziationen des Träumers ausgelegt werden – wie manche machen –, ja darf man grundsätzlich nie die gewonnene Bedeutung eines Symboles für die Auslegung eines anderen Traumes verwenden, auch dann nicht, wenn das gleiche Symbol in den darauf folgenden Träumen erneut aufzutauchen scheint: Man soll über jedes Symbol stur und unvoreingenommen immer wieder neu assoziieren lassen. Noch weniger darf der Analytiker sich seiner eigenen Einfälle oder Assoziationen für die Auslegung fremder Träume bedienen. Derartiger Versuch führt zur Fälschung der ES-Botschaft des Träumers hin. Auch darf der Analytiker keine Hypothe-sen bauen, glaubend sie wären dienlich zum Erschließen der Bedeutung – egal wie einleuchtend sie ihm erscheinen mögen –, sondern muss er den Träumer so lange über die Symbole des Traums assoziieren lassen, bis er das Gefühl über genügend Informati-onen zu verfügen bekommt und dann für die Gewinnung eines Auslegungsversuchs sich an jede einzelne Assoziation halten, bis ein sie alle berücksichtigendes Konzept

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erarbeitet ist und nicht davon ablassen, auch dann, wenn es dem Träumer nicht behagt und ihm selber nicht passt. In solchem Fall muss man sich also nach Sokrates richten der lehrte: „wer die Wahrheit sucht, soll nicht erschrecken wenn er sie findet.“ Die Anwendung der Freien Assoziations-Methode – diese große geniale Entdeckung Freuds! soll sich also strikt nach dem Träumer richten und nicht nach jemand anders. So darf der Träumer bei jenen Fragen, für die er keine Antwort, keine Erklärung weiß, niemand fragen oder in einem Lexikon suchen, sondern soll er nachdenken und sagen, was ihm einfällt, egal wie unwissenschaftlich oder absurd es ihm scheinen mag, denn das Unbewusste rechnet in solchem Falle mit der Unwissenheit des Träumers – sozusagen bedient es sich seiner Unwissenheit, um ihn aufzuklären. Fremde Hilfe würde zu einer zusätzlichen Entfremdung des Träumers führen, egal wie rational logisch und gut gemeint die ‚Aufklärung‘ sein mag. So sind all jene Bücher, die Listen von Symbolen mit respektiven ‚Bedeutungen‘ anbieten, völlig unbrauchbar, wenn man die Wahrheit aus seinen Träumen erfahren will; eher führen sie zu einer Verschlimmerung der Selbstentfremdung, -verwirrung und Vertiefung der eigenen Unwissenheit hin. Denn der Zweck der Träume ist nicht zu unterhalten, auch nicht – wie viele Pseudowis-senschaftler behaupten – die Ereignisse des Vortages zu verarbeiten und noch viel weniger die Zukunft vorherzusagen und derartsonstigen endlosen Aberglauben, sondern Selbsterkenntnis. Um sich verständlich zu machen sucht zwar das Unbewusste nach passenden – nämlich dem Ich des Träumers geläufigen Ereignissen und Situationen, auch vom Vortage und beliebig weit zurück in seiner persönlichen Vergangenheit. Die auf diese Weise verkleideten Botschaften befassen sich aber nicht mit der umgebenden Realität – deren Bewältigung die Aufgabe des Ichs ist –, sondern mit der inneren, den Anliegen des Es. Dies Wesen konfrontiert den Träumer mit seiner inneren Lage – in unserer Gesellschaft ein prekäres Thema, kein unterhaltsames, da wir alle in Folge der Kindheitserziehung ins instinktwürgende Korsett der Moral gesteckt wurden; so konfrontiert uns das Es mit seinem Leiden, mit seiner Not, damit wir ihn befreien, heilen und helfen, die naturgemäße Entwicklung nachzuholen. Diese Not ist doppelt: Einerseits besteht sie aus der Frustration der durch die moralische Erziehung gehinderten (verdrängten) Grundbedürfnisse, andererseits aus der sich daraus ergebenden Sinnlosigkeit unserer gesellschaftlichen Existenz, denn das Glück und der Sinn des Lebens setzten die psychische Vollentfaltung voraus – im Patriarchat eine Unmöglichkeit. Für diese doppelte Botschaft bedient sich das Es eines doppelten Weges: der ‚Intuition‘ für die konzeptmäßig-technische Aufhebung der Instinktverarmung und der ‚Inspiration‘, um auf den Existenzsinn hinzuweisen; insofern stellen unsere Träume eine doppeltheilsame Botschaft und die Traumdeutung eine therapeutische und Lebensinnerhellende Methode zugleich dar... So sind Träume Botschaften des Es, die nur den Träumer selbst etwas angehen – insofern sind sie der Kunst vergleichbar, ja Träume stellen echte Kunstwerke dar, und sind beide doppelt verwurzelt: in der Intuition und in der Inspiration. Der einzige Unterschied zwischen Kunst und Träumen ist, dass – während diese für den, der ihren Sinn erfahren will, nicht unbedingt vergegenständlicht werden brauchen – die Kunst den Künstler auffordert, die Botschaften des Es anhand seiner technischen Ausdruckskreativität eine sichtbare Gestalt zu geben. Das Es lässt

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also den Träumer schlafen während es ihn aufklärt über seine Grundbedürfnisse und die ihnen im Wege stehenden Probleme, im Wachzustand aber verlangt es vom Ich volle Aufmerksamkeit, um den Wechsel zwischen Inspiration und technischer Umsetzung nicht zu verfehlen... Der Träumer bleibt freilich auch nicht passiv: innerlich reagiert er emotionell mit voller Anteilnahme und trägt sogar bei – ohne zu erwachen – zur Gestaltung des Traumes, indem das Es auf seine Emotionen reagiert und im Vorbewusstsein eine Veränderung der Symbole vornimmt, um die Botschaft fassbarerer für das Ich zu gestalten, denn den nackten Willen des Es könnten wir nicht begreifen. Eben indem sich der noumenale Sinn umhüllt, verwandelt er sich in Symbole, die freilich! – sofern es unsere Kostüme sind, die das Göttliche in seiner Umkleidekammer aussucht um sich drin zu verkleiden – uns vertraut sind... (Weiter S. 89)

1. Japetos und Chronos gingen in die Mythen der Ureinwohner Griechenlands (vor Ankunft der Hellenen) als Geschwister: Uranos‘ Söhne ein, was nur heißt, dass alle 3 benachbarte Mannschaften oder Horden waren, die im Norden, um den Olympus-Berg, ihre Jagdgrün-dete gegeneinander abgrenzten und ab und an – im Falle befristeter Daseinskrisen – geteilt haben. Uranos‘ Ablösung durch Chronos: letzter der Uranos Söhne (der statt Ur-Zeit jetzt Gemessene Zeit‘ oder ‚zum Stillstand gekom-mener Geist‘ heißt) – stellt einen Hinweis auf das Ende dieses glücklichsten aller Menschen-alter an.

2. Die von Chronos beherrschte Epoche beginnt mit unauflöslich gewordenen Stämmen, in deren politischen Kernen, egal wie groß die Pakte um sie rum wuchsen, sich stets zwei unterlegene Mannschaften, die in existenzielle Not geraten waren, miteinander verbündeten und bei einer überlegenen Mannschaft um Gastrecht in deren Territorium ersucht haben. Es wurde unter drei Bedingungen gewährt: kein Streit um die Führung, um die brünstigen Frauen und um die Lebensquellen. So ging es Jahrzehntausende gut, der jüngste Chronos-Sohn aber deutet mit seinem das nächste Zeitalter kennzeichnenden Namen auf die Problematik, die sich aus der Arbeitspflicht der

Goldenes (1) Gaia (Erde) gebiert Uranos (Himmel) und alle Geschöpfe. Uranos schließt mit seinem titanischen Sohn Japetos Verträge, sie stets wieder beendend, so wie auch die Söhne Japetos': Atlas, Pro- und Epimetheus, immer nur für eine Weile Stämme bilden. Bald aber über-nimmt Chronos Ur-anos‘ Herrschaft.

Silbernes (2) Chronos gewährt Epi- und Prometheus dauerhaft Gastrecht in seinem Gebiet. Prome-theus wird Zauberer (totemisch Trieb-ge-hemmt) und bleibt es, als Zeus – jüngster der Chronos‘ Söhne – die Macht ergreift. Prome-theus‘ imitativ magischer Raub des verbotenen FEUERS ist oder eröffnet den Zank mit Zeus um ein Rind, darauf erfolgt zu Mekone die Trennung der Götter u. Menschen :

Bronzenes (3) Horde Zeus-Athene erschafft Pandora – eine künstliche Frau, die Epimethe-us zur Paarung ‚verführt‘. Dies be-raubt Prometheus seines ‚Bruders‘. Unfähig, sich allein gegen Zeus zu behaupten, entflieht er zum Kaukasus, ein ödes Gebirge voller Geröll und grausamer unbe-zwingbarer Bandi-ten (Kajins Nodh)

Heroisches (4) Pandoras Büchse geht auf: Ein Nachfahr Epimetheus‘ wiegelt die Familienmasse gegen Zeus, raubt dessen Name, Kennt-nisse und Potenzarchetyp (6-Feuer-Lanzen= Blitz), und beherrscht als Adler halb Hellas herab des Olymps.

Eisernes (5) Gaia gebiert Typhoeus, dies ‚Unge-heuer‘ aber wird vom pa-trialen ‚Zeus‘ besiegt und zur Unterwelt gebannt. Prometheus wird im Kauka-sus gefesselt, Opfer seiner Revolte (Selbstzer-störung; Leberfraß).

Gegenwart (6) Das Leiden aus Pandoras Büchse wird zum allein Welt-herrschenden Faktor. Kratos und Bia fesseln Epimetheus (‘der an die Nie-derlagen-Prägung fixierte Geist‘). Theokratischer Kreislauf

T I T A N E N - M Y T H E N

(Hephaistos Bericht)

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chronisch gewordenen Verträge ergab, denn Zeus heißt der Geist an sich, während das me bei der Gegenpartei zum Gedächtnis memnosyne deutet, wo also das Über-Ich eine Rolle zu spielen anfing, u. z. eine fatale: Wenn die Prometheus-Mannschaft am Ende dieses Zeitalters ‚vor-schnell‘ zum Herd der Zeus-mannschaft schleicht um sich von dort das Feuer zurückzuerobern, und die mit ihr ver-brüderte Epi-Mannschaft überredete, behilflich zu sein beim Betrügen Zeus um den abzulie-fernden Anteil der Beute, dann lässt sich dies Verhalten als Versuch einer Über-Kompensation totemischer Minderwertigkeitsgefühle erklären.

3. Die Kultur der Titanen (Epi- und Prome-theus) beachtet also die zu totemischen Tabus verwandelten Vertragsparagrafen nicht und möglich ist auch, dass sie Zeus – die waltende Mannschaft dieses Zeitalters – für eine Weile überwanden, sie gerieten aber untereinander um die Frauengruppe Athene in Zank, was Zeus Gelegenheit zu einem Gegenschlag schaffte: Mit Gaias Rat, dem der für ihre Klugheit hochbe-rühmten Athene und vor allem dank Mitarbeit des sehr talentierten Kunstschmieds Hephais-tos, wurde Pandora erschaffen und der koope-rativen Epimetheus-Mannschaft als Geschenkt offeriert. Sie nahm es an, so unterwarf Zeus diese Männer anhand den ebenfalls in Not geratenen Frauen aus Pandoras Gruppe der Monogamie und gelang es Zeus‘ Mannschaft, sich gegen Prometheus‘ zu behaupten, dadurch als allsehender Adler: ein nach wie vor übliches Machtsymbol unserer komplexbeladensten Nationen, in die Mythologie eingehend. Aus den künstlich zusammengeschmiedeten Paaren aber entstand ein neuer Menschtyp: die Epimetheüs-Generationen, die sich als unverständlich, wesensentfremdet, egoistisch, hilflos und als Masse fanatisch nach Macht strebend zugleich erwiesen (nachträglich in Pandoras schöne Larve hinein interpretierter Fluch des All-Leidens; s. Hesiods Bronzen=Erzene Zeit). Es entstand eine neue politische Struktur, die Genea aus 2 Formen des Zusammenlebens: einerseits die hordeneigenen Geschlechter-gruppen (Aristokratie) und anderseits die unter-worfene Familien- (Demos) Masse im von den

Hellenen eroberten Griechenland. Die auf Prometheus Spuren wandelnden Familien-Söhne erklärten Gott (Zeus) zu ihrem Schöpfer und versuchten seine entarteten Kreaturen als sein Sprachrohr auf Erden zu erziehen und zu leiten, zu Hexern werdend. 4. Als sich die Nachfahren der Epimetheus Mannschaft zu einer gewaltigen Masse ver-mehrten, gelang diesen Chamanen, sie organi-siert gegen die megalithische Zeus-Schicht zu empören und sie niederzuwälzen, sich dabei deren kultur-zivilisatorischer Errungenschaften samt philosophischer Kenntnisse wie das Wesen der Triebenergie (Feuer vom Urfrauen-Herd; Platos Hestia) imitativ magisch aneignend und ein Chaos (Flächenbrand) aller gegen alle entfachend.

5. Der Megalithsuperstamm Zeus > Prometheus + Epimetheus erwies sich nun historisch auf doppelt und dreifache Weise als Versager bei seiner Aufgabe der Daseinsbewältigung: Prome-theus wegen seiner totemischen Überkompen-satorik, Zeus aufgrund der Idee, dies Syndrom anhand Vereinzelung und Paarung der Rebellen zu entschärfen, und Epimetheus durch die Akzeptanz dieses ‚Geschenks‘, denn durch alles 3 zusammen stürzten sie die nachkommenden Generationen ins Elend; so büßt dieser Urstamm bis heute seinen Urirrtum in dreifacher Weise ab:

Prometheus am Abgrund des Kaukasusgebirges hängend und selbstzerstörerisch von Leberfraß gefoltert (Folge seines ohnmächtigen, verdräng-ten, sich als Adler autosadistisch gegen ihn wen-denden Machtdrangs),

Zeus, indem er noch einmal als Typhoeus auf-ersteht, aber nur, um vom Patriarchat lebendig in der Unterwelt begraben zu werden („... aus ihm entstehen die bösen Winde“), während

6. Epimetheus von den aus Pandora entwiche-nem Zwang Kratos und Gewalt Bia unentrinnbar ergriffen wird, sich seiner bemächtigend und stellvertretend aller Gesellschaftsmenschen un-aufhörlich quälend.

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(Fortsetzung von S. 87) Während der Träumer also nur inwendig kreativ scheint, scheint der Künstler doppelt kreativ: einmal, indem er sucht, den noumenalen Sinn der Botschaft mental-logisch zu erfassen, und noch einmal, indem er das Erfasste anhand seiner Begabung konkret gestaltet... Der Künstler realisiert insofern mit Hilfe der Technik seine eigenen Vorstellungen; Allerdings! nur insofern er den ihn inspirierenden Sinn zur Bühne bringt und sich mit ihm befasst, macht er echte, Daseins-Sinn bezogene Kunst (s.o.). Sofern aber er sich nur von seiner ‚Intuition‘ leiten lässt: ein körperliches Wissen, das teils im genetischen Code, teils in unserem problematischen Privatgedächtnis (Über-Ich) verankert ist –, illustriert er ohne den Unterschied zu merken doppeltes: entweder seine instinktiven Bedürfnisse, oder die aus deren Verdrängung resultierenden Frustrationen, und verkauft seine Werke an seine Götzen, anstatt sie zur Selbsterkenntnis zu nutzen. Daraus besteht die angewandte Kunst … Thebanische Mythen, von Lévi Strauss erzählt anhand 4 Mythemen Kadmos war eine nomade Mannschaft, deren Frauengruppe (Schwester) abhanden kam, der aber gelang, sich gegen einen sesshaft gewordenen Stamm: Thebens Drache, zu behaupten. Auf Athenas Rat werden nicht alle besiegten Mannschaften (ausgeschlagene Drachenzähne) verjagt. Mit einigen von ihnen gründet Kadmos einen neuen Stamm, dessen Vertrag ihnen neben anderen Lebensquellen einen Teil der Frauen (Quelle des Mannschaftsnachwuchses) zusprach: die Drachenzähne säten sich in Thebens Acker. Dass die vom Ackerboden sprossenden Spartoi gleich anfangen, sich bis aufs Blut zu bekämpfen und zu töten, deutet u.a. auf die Problematik des Totemismus hin, und das Heirats-Mythem auf den Befriedungsversuch mittels Einführung der Monogamie…

1- Kadmos sucht seine von Zeus entführte Schwester Europa

Labdakos, der Vater von Laios, hinkt

4- Oidipus erschlägt seinen Vater Laios

Oidipus bringt die Sphinx um und heiratet Jokaste, seine Mutter

Oidipus (Schwellfuß) blendet sich selbst

2- Kadmos tötet Thebens Drache. Aus dessen im Acker gesäten Zähnen wachsen die Spartoi

3- Die Spartoi bringen sich gegenseitig um, Kreon wird Schamane

Laios heiratet Iokaste (Kreons Schwester)

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Anhand einer ergänzenden Strukturtabelle wird die Analogie zwischen Thebens und den ursumerisch-/ biblischen Mythen offenbar:

1. Die Püx (Faustkämpfer) war eine souveräne (geflügelte) Mannschaft, die der in Not geratenen Mannschaft Labdakos half, indem sie mit ihr unter drei Bedingungen einen Vertrag schloss: I Unberührbarkeit der Führungsanspruches Püx‘, II Unantastbarkeit der Püxfrauengruppe und III - weiterer bestimmter Lebensquellen.

2. Als die Daseinskrise unauflöslich wurde, verbündeten sich Labdakos Mannschaft mit ihrem ‚Sohn‘ Laios und bildeten mit Püx einen megalithischen Stamm. Laios bemäch-tigte sich aber mit Labdakos Hilfe des Chrysippos – entweder eines Knabens oder Pferdes (beides Lebensquellen), dadurch das III-Tabu antastend. So beschloss

3. der Rat, die Männer der Laiosmannschaft – um sie besserer kontrollieren zu können – zu vereinzeln und mit den Frauen der zugewanderten Gastgruppe Iokaste (Wander-bauch) zu verpaaren = Einführung der Monogamie. Aus diesen Paaren ist die Generation Oidipus geboren, den Stamm in eine Genea verwandelnd, deren Familienschicht von Kreon (Urkirche; totemischer Männerverein) terrorisiert wurde…

4. Diese Schamanen verstanden die Generation Oidipus gegen ihren Schöpfer (Stammvater bzw. -rat Püx-‘Laios‘) zu empören, ihn stürzend und dadurch das geistige Tabu (I.) antastend, während die monogame Paarung mit den Müttern (Jokaste) den Bruch des Inzesttabus (II) miteinbegreift – wie Kreons Strafpredigt bald bewusst macht: siehe Orakels Warnung Du wirst deinen Vater töten und deine Mutter ehelichen.

5. Sich bei Oidipus nach dem menschlichen Urwesen erkundigend, erhielt der Ur-stammrat Püx zur Antwort: Was von Morgens bis Abend auf 4, 2 und 3 Beinen geht – nicht, was dem Mensch dies ungeschwollenen Fußes: eigenständig – erlaubt; so erkannte Püx seine Monogamie-‚Lösung‘ als fatalen Irrtum, die Folgen als Selbststurz einsehend. Der versagende Megalithrat ging unter dem Schandnamen Sphygx, die Flüchtende, ins Gedächtnis Thebens ein. Unschuldige Opfer aber wurden

6. die Oidipuskinder, die unter Kreons Macht gerieten, bis heute selbstbestimmungs- und eigenständigkeitsunfähig gemachte Schwellfüss-Nachkommen ohne Flügel blei-bend... Um Labdakos Hinken zu verstehen: anfänglich ein Symbol der befristet gehinderten öko-nomischen Eigenständigkeit, im 2. Mythem eins der totemisch-intrapsychischen Beein-trächtigung (s.a. Achills Ferse), hätte Lévi Strauss nun das im 1. Mythem verborgene Kriterium der biologischen Urgesundheit und Psychischen Reife gewinnen müssen, jenen

Püx-(Kadmo?) Mannschaft gewährt der in Daseinsnot geratenen Labadkos -Mannschaft Gastrecht

Bildung eines chronischen Stammes aus Labdakos-Laios gegen die Püx.. Gezänkt der 3 Mannschaften um Chrysippos (Knaben- oder Pferderaub )

Püx Mannschaft behauptest sich und macht Laios anhand Paarung mit Frauen der Gruppe Iokaste unschädlich. Geburt der Oidipus Generation; Kreon wird Hexerkaste.

Oidipus Gene-ration bringt die ihrer Väter Laios um und paart sich monogam mit den Iokaste-Frauen (Mütter-generation)

Püxrat ergreift als Sphygx die Flucht vor der Familienmasse (stürzt sich bei Oidipus Rätsel ‚Lösung‘ selbst der Siegessäule herab.

Oidipus blendet sich selbst. Endgültige Ent-menschlichung der Menschheit. Selbstkastration aus Angst vor Mutters Liebes- Entzug..

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Entwicklungsvorgang nämlich, wonach der Spüx Oidipus befragte. Als Totemismus-Spezialist geht Lévi jedoch grundsätzlich nur von den rationalisierten Strafängsten heutiger Forscher gegenüber der Paarung unter Blutsverwandten aus – also von der Familien-Struktur, wodurch er jeglichem kulturellen Phänomen automatisch den Narzissmus, die Tabubruchfurcht und das Streben nach Macht, Reichtum und Prestige zugrunde legt. Schlussendlich entsteht bei ihm die Menschheit wie aus Adam und Eva.

Labdakos‘ Fußprobleme, Oidipus‘ Verblendung und die anderen 4 Mytheme lassen sich aber erst aus dem Gesamtüberblick aller Einzelmythen erklären, so stolpert Lévi dort, wo im Frühpatriarchat vom Sturz der Ungeheuer (Drachen; Sphygx) die Rede ist, weil man weder ihre goldene noch megalithische Herkunft kennt. Sicher kannte er all diese Symbole, nämlich so, wie sie den ab Ausbruch des Totemismus „sittlich“ gewordenen Kulturen galten: als menschenfeindlich, weshalb sie vernichtet werden mussten und mit ihnen gleich mit die ganze natürliche Schöpfung, damit die aus der Reinwaschung der Erde sündflutsgeborenen Begründer des Patriarchats überleben und die Weltherrschaft übernehmen konnten, aber woher kamen solche ‚vorsintflutlichen‘ Ungeheuer? Dass sie nicht totemischer Abkunft sein konnten, wusste Lévi dadurch, dass sie nicht von zwei Progenitoren (Vater und Mutter) stammten, sondern von nur einem – meistens ein Fluss, Weltenbaum, -wasser oder -schlange... Er gab zu, dass seine Methode zur Klärung der chthonischen Symbole ungeeignet sei und demnach auch für die sumerisch-meso-potamischen und biblischen Urmytheme, die eigentlich identisch sind (Mose hat sie lediglich für seine Zwecke umgearbeitet und umgestellt, sie dadurch verwirrend… / s.a.

Sündenfall, Fluch und Verderben Enkidu und Gilgamesch).

Ergänzendes aus Fritz Grafs Griechische Mythologie Ganze Mythen, die bei Homer fehlen, finden wir zeitlich nah in Vorderasien und Mesopotamien: die Entsprechungen zu anderen Kulturen haben längst die Aufmerksamkeit der Forschung auf sie gelenkt. Aufsehen erregten die Mythenerzählungen um Kum-arbi, den »hethitischen Kronos«. Vom Königtum im Himmel ist ein Sukzessionsmythos: erster König im Himmel ist Alalu; ihn stürzt Anu, diesen Kumarbi: wie Anu nach oben flieht, beißt ihm Kumarbi sein Geschlechtsteil ab, wird geschwängert und gebiert u. anderem den Sturmgott Teschub. Auch Teschub hat Kumarbi abgesetzt und samt Gefolge in die Unterwelt verbannt, wie Mythen oft lehren. Kumarbi versucht sich zu rächen: im Lied von Ulli-kummi schwängert er einen Felsen, erzeugt so Ulli-kummi, ein Ungeheuer aus Diorit, das rasch heran-wächst und Teschubs Herrschaft bedroht: erst als Es mit der Sichel von seinem Träger – einem Riesen, der Himmel und Erde trägt wie der griechische Atlas – abgeschnitten wird, kann es unschädlich gemacht werden… Wie bei Hesiod führt eine Reihe von Königen, die gewaltsam abgelöst werden, hinab zur Herrschaft des jüngsten Gottes. Wie Anu wird Uranos kastriert; auch Kumarbi – wie Chronos – verschluckt etwas, sozusagen die neue Generation in Gestalt des

Genitals, u.U. einen Stein (s. phallisches Imponieren der megalithischen Menhire); auch Teschub (wie Zeus ein Sturm- und Wettergott) hat sich nicht nur gegen die frühere Generation, sondern dazu gegen Ungeheuer zu wehren, die eine frühere Gottheit aus Rache erschuf – Typhoeus, heißt es später in Griechenland, sei von Erde Gaia aus Rache erschaf-fen worden, wegen Zeus’ Sieg über die Titanen... Vom Angriff Kumarbis auf Teschub berichtet ein weiterer Mythos. Hier zeugt Kumarbi mit der Tochter des Meergotts ein Seeungeheuer in Gestalt einer Schlange: Hedammu, das die Erde leer zu fressen beginnt: die Menschen drohen zu sterben, die Götter zu verhungern, leben sie doch von der Menschen Arbeit. Ischtar, die Liebesgöttin, kann freilich das Ungeheuer durch ihre Reize unschädlich machen – die Sequenz, wie sich die Göttin badet, parfümiert und schmückt, erinnert frappant an jene Szene im 14. Buch der Ilias, wo sich Hera badet, parfümiert und schmückt, um Zeus zu überlisten, abermals an die Tempeldirne Schamkat im Epos Gilgamesch, die den rebellischen Tiermenschen Enkidu von seiner wilden Herde entfremdet – ans Ufer gelockt, kann Hedammu vermutlich (es fehlt der Schluss) wie Ullikummi getötet werden…

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Die Kajin-und-Habel-MytHeme

Kajin / Adam der Ackermann (Gen. 1,27 + 2,7) aus dem Lebens-Baum (Gen.3.17)

Streit zwischen Kajin und dem Demiurg um die Ackersfrüchte (Gen. 4, 5-7). Unantastbarkeit des Erkenntnis Baum-Stamm von Gut & Böse.

Geburt Habels der Hirt, Sohn Adams (Kajin) und Evas Eigentum (Gen. 4,1)

Kajin bringt Habel um (Gen. 4,8). Sturz Luzifers vom Himmel zur Hölle (Apokalyp. 12, 7-9)

Verfluchung Kajins (Gen. 4,10-12).

Kajins ewig-ruheloser Irrweg (Gen. 4,14-15)

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Der Kajin-und-Habel-Mythos Während die Narziss-Sage nur von einem Aspekt des komplexen Narzissmus-Syndroms berichtet: den Regressionsdrang, bildet der Kajin und Habel-Mythos das Fundament dieses des Patriarchats spezifischen Phänomens und unterscheidet dabei 2 Schichten: eine frühere, die in der Oralphase verankert ist, und die nächste – von der 1. bedingt – in der Analphase. Der Regressionsdrang liegt beiden zugrunde und alle drei setzen die Geburt des Kindes in der „Familie“ voraus, so ist der Kajin-und-Habel-Mythos historisch gesehen älter als die nichts weiter schildernde Sage Narzissos. So wie es die Bibel wiedergibt, waren Kajin und Habel Brüder und Söhne Adams, jedoch ‚Leibeigene‘ (Eigentum) Evas - Hawawas - durch göttliche Bestimmung (1 Mose 4,1). Den mesopotamischen Mythen gemäß wurden die Menschen extra erschaffen, damit sie die Erde bebaueten und die Götter von den Erträgen ernährten. Kajin wurde – wie Adam (nach Mose sein Vater) – ein Diener des Ackers, Habel aber ein Schafhirt. Als sie den Göttern die vereinbarten Ertragsanteile darbrachten, wurde Habels Beitrag beachtet, Kajins aber nicht. So stand Kajin wider Habel auf und tötete ihn. Dafür wurde er von den ihres Dieners beraubten Göttern verflucht und wandelt bis heute schwank und schweif auf Erden um, denn niemand vermag ihn mit dem Tode zu erlösen… Dieser Mythos berichtet von der Arbeitspflicht der Mannschaften in den Stämmen, deren Aufstände zur Familie (s. Genea, Graphik S. 47-49) und dem sie kennzeichnenden Narzissmus-Phänomen führten. Moses Anleihe bei diesem totemischen Mythos ist aber nicht unhaltbar: So wie sich Kajin und Habel als Symbole von miteinander in Konflikt geratenen Mannschaften (Ackerbau- und Hirtennomaden-Kultur) verstehen lassen, eigenen sie sich auch zur Verdeutlichung zweier Lebensphasen, deren narzisstische Tragödie allerdings nur der Familienstruktur – wie Adams und Evas – eigentümlich ist: Kajin als Sohn Adams stellt seinem Verhalten nach jemand dar, der – mangels einer ihn aufnehmenden Urkindergruppe – an die Oralphase fixiert wurde. Das an seine ‚Eva‘ oralfixiert-/ masochistisch hörige Kind entwickelt sich psychisch nicht, so verewigt sich seine angeborene Egozentrik und Egoismus; die der emotionell ausbeutenden Mutter (1 Mose 4,1) geltende Aggression wird verdrängt und wendet sich sadistisch gegen dritte und als destruktiver Autosadismus (Kajins-Mal) gegen sich selbst. Diese gewaltsame Grundhaltung nennt man das Kajins-Syndrom. Um es zu bändigen, wird das Kind in der Analphase – als sein destruktiver Egoismus mit ‚Eigenwille‘ gepaart manifest zu werden beginnt – anhand der demütigenden, ein-schüchternden Gehorsamserziehung domestiziert. Nach einem mehr oder weniger heftigen Kampf gegen seine Erzieherin (seine ‚Herrin‘, s.o.), unterwirft sich schließlich das Kind (um das 4. Lebensjahr) ihrem Willen und wird fügsam-tugendhaft. Aus dieser artigen, obrigkeitsfürchtigen Grundhaltung – der Tendenz nach im Totemismus von Mannschaften wie Epimetheus verkörpert – besteht nun das Habel-Syndrom. Es handelt sich also nicht um zwei Kinder, sondern um ein und dasselbe, das mutterfxiert und des Systems konform gezähmt bzw. an es angepasst – wie Lehm geknetet – und dadurch zu ‚Gottes Ebenbild‘ geformt wird...

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Nun, bis hier scheint‘s eigentlich der wilde, grausame Kajin zu sein, der hätte sterben sollen, damit der artige, tugendhafte, mutterlieblinge Habel weiterlebe. Wie gesagt stellen beide aber keine Individuen dar, sondern zwei aufeinanderfolgende Phasen der psychischen ‚Entwicklung‘ jedes Familienkinds in unserer patriarchalischen Gesellschaft: Kajin als Oralphase die ältere, die während dessen masochistisch hörig an die ihren Erziehungsauftrag (s.o.) bald umsetzende Mutter gemacht wird, und Habel als Analphase die jüngere, ‚zweitgeborene‘. Ausgestattet mit der um das 3. Lebensjahr erwachenden Eigenwilligkeit und Aggression will das Kind nun seine bewusst werdende Eigenständigkeit instinktiv in einer Kinder-gruppe verwirklichen, wo es sich messen, anpassen und Verantwortung für hilflosere Kinder übernehmen gelernt hätte, sich psychisch vollentfaltend, in der Familie aber wird es gehindert, gedemütigt und unterjocht, bis es sich – seinen destruktiven Egoismus aus Angst vor Strafe mühsam hinter der Maske der Artigkeit verbergend – ergibt. Nicht Kajin also (die Oralphase) stirbt, sondern die darnach ‚geborene‘ Analphase Habel: seine innere Potenz, indem sie – wie Luzifer – im Urgrund der Seele lebendig begraben wird, aus dem sie ohnmächtig das erlittene Unrecht ‘gen Himmel ausschreit, während Kajin, kastriert, von fremder Schuld gepeinigt, umschweifend und ohne Hoffnung auf Erlösung, bis heute auf Erden schwankt... Habel wurde und wird getötet, wie es in diesem Mythos festgehalten wurde, nicht aber durch Kajin, sondern durch die erziehende, ihrerseits oralfixierte Mutter, in einem Alter, in dem das Kind nicht begreifen kann was man mit ihm macht, so ist‘s später leicht, ihn für sein Unglück selbst schuldig zu sprechen. Diese Verfluchung der Menschheit am historischen Beginn unseres psychopathogenen Patriarchats liegt auch dem ebenfalls mesopotamischen, ältesten Epos der Weltgeschichte zugrunde: die vom Urmenschen Enkidu (Adam) und dem Familiensohn Gilgamesch (Kajin) gemeinsam vollstreckte Tötung des Himmelsstieres, woraus Enkidus Siechen und Sterben folgt …

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Die Psychische Entartung des Gesellschaftsmenschen

– narzisstische Fixierung und Moralisierung ab der Geburt bis zur „Adoleszenz“ Als Freud sich vornahm, eine Entwicklungslehre und Übersicht der gesellschaftlichen Perversionen zu entwerfen, existierte im Abendland bereits die 7-Hauptsünden-Lehre, die von einer Tugendlehre ergänzt wird mit dem Zweck, die 7 Sünden zu kompensieren, nicht aber im Sinne Aristoteles: durch bewusste Erkenntnis und Ergreifen einer Goldenen Mitte bzw. Heraklits Maß der göttlichen Proportionierung von Leib und Geist –, sondern um die ‚Laster‘ außer Kraft zu setzen – also gerade nicht, um die Hauptsünden anhand Erkenntnis ihrer Ursachen zu therapieren, sondern um sie zu verdrängen, indem anstelle des „Übels“ ein neues, moralkonformes Verhalten geübt und gelehrt wird:

Die Hauptsünden Die Tugenden 1- Stolz/ Hochmut ---- Demut 2- Geiz/ Habsucht ---- Freigiebigkeit 3- Unzucht ------------- Keuschheit 4- Jähzorn ------------- Geduld/ Langmut 5- Völlerei -------------- Mäßigkeit 6- Neid ----------------- Nächstenliebe 7- Faulheit ------------- Fleiß/ Eifer

Diese Art Tugend war also bewusst konzipiert. Es ging darum, ein Programm mit hohem Ziel als Ideal zu entwerfen, so scheint es eine Art Entwicklung darzustellen. Den Hauptsünden und ihren respektiven Tugenden liegt aber eine Verdrängung (Hemmung) der Primärbedürfnisse des Es zugrunde, das Gegenteil einer Entwicklung! Die 7 Sünden wurden zwar als natürlich (!) und dadurch die ganze Natur – weil verflucht – als teuflig-dämonisch erachtet, bevor man sie aber tugendhaft exorziert, sollte das Phänomen der „Sündhaftigkeit“ an sich untersucht werden. Genauer betrachtet stellt es (wie z.B. die Völlerei) eine lebensgefährliche Naturentartung dar, die als solche korrigiert werden soll – also geheilt –, nicht kaschiert, indem ihr ein ‚edles‘ Ersatzverhalten aufgepfropft wird. Während die Kirche den naturentfremdeten Menschen heilig machen wollte, versuchte Freud das eigentlich instinktgemäße Ver-halten (ethos) herauszuerkennen, das den Hauptsünden – freilich verdrängt – zugrunde liegt, um die Ursachen unserer als Sünde empfundenen Entstellung zu beseitigen, d.h. um das ursprünglich heile, instinktgerechte Verhalten zu befreien und wieder herzustel-len (eigentliche Auslöschung der Sündhaftigkeit)... Die Untersuchung der 7 Hauptsünden legt die ganze Entartung des gesellschaftlichen Verhaltens offen, so dass auch der ihrer Erweiterung dienende Begriff Todsünde gerecht erscheint… Um sie herum gruppieren sich unzählige weiter Sündenvarianten, deren Ähnlichkeit mit den Hauptsünden sich aus ihrer gemeinsamen Ursache ergibt…

Demut Freigiebigkeit Keuschheit Geduld/ Langmut Mäßigkeit Nächstenliebe Fleiß/ Eifer

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Die psychoanalytische Entwicklungslehre strebt also zweierlei an: primär eine Untersuchung der Grundbedürfnisse und Urform des Zusammenlebens, und zweitens eine Klärung der Instinktverdrängung, um einen ätiologischen Katalog der sich insgesamt aus der Familie ergebenden sündhaften Folgen aufzustellen, zwecks ihrer Heilung, während die moralische Tugendlehre einen Entwurf des Verhaltens im Sinne der Interessen der Kirche – heute des Staats – darstellt, mit dem Ziel, die für das System schädlichen Symptome der narzisstischen Fixierung zu neutralisieren. Jede Kultur aber, und jede ihrer historischen Epochen, braucht ein geeignetes Programm zur Konsolidierung des Verhaltens aller teilnehmenden Individuen oder Gruppen. Das heutige System versucht dabei, den politisch-wirtschaftlichen und psychischen Verhält-nissen der sich anonym vermassenden Individuen gerecht zu werden, so endet die derartige Entwicklungslehre mit dem Ideal des gesellschaftlichen Erfolgs – die ‚Reife‘ fällt mit dem Berufsausbildungsende zusammen. Diese pathologische Reife-Auffassung berücksichtigt allein die vegetativ-/rezeptive und die geistig-/ ‚menschliche‘ Entwicklung des Individuums, und dies auch nur in dem Maße, wie es sich für die Berufsausübung verwerten lässt, die animalisch-/psychisch-aggressive Entwicklungsbahn bleibt dagegen völlig ignoriert (Instinktverarmung). Die Entwicklungslehren der Gegenwart stellen – abgesehen von der psychoanalytischen – rein geisteswissenschaftliche Therapieversuche dar, keine naturwissenschaftlichen. Von Spranger bis Piaget, fassen sie den Mensch rein statistisch auf, aus der Summe aller kranken Verhaltensmuster und Wünsche ein querschnittliches Profil errechnend: der Normale Mensch –, das im Dienste des patriarchalischen Systems steht. Aus dieser Perspektive erscheint solch ‚Mensch‘ als vom Wesen her wie für das System erschaffen,* so dass die Aufgabe der Entwicklungstheoretiker darin zu bestehen scheint: den von diesem Profil abweichenden Mensch so effektiv als möglich bei seiner Genesung zu helfen, d.h. dem System normgerecht anzupassen... /* Dass diese Sicht einen Trug-schluss darstellt, da das System diesen ‚Mensch‘ selbst erschafft, bleibt unerkannt...

Die Entartung des Gesellschaftsmenschen findet in jeder Generation von neuem auf 2 Ebenen statt: 1- Aus Mangel einer primatengemäßen Kindergruppe vermag sich das Kind von seiner Mutter nicht zu lösen, so bleibt es an sie fixiert (Narzissmus). Dieser Sachverhalt wird in der oberen Fläche gegenüberlieger Graphik dargestellt. Aus Mangel an emotionellem Austausch mit anderen Kindern vermag das Kind seine Primärinstinkte Sozialität, Sexualität und Privazität nicht zu entfalten. Die frustrierte und gestaute Primärenergie sucht sich dann ein Ventil der Entladung in den übrigen Kanälen, soweit sie genehmigt sind, nämlich im geistigen, im energetischen (Ernährung) und im erotischen, deren instinktives Verhalten mit der Energie der gehinderten Kanäle vermischend, so dass es dabei verstärkt aber zugleich entstellt auftritt. Das Ergebnis ist ein egoistisches, grausames, destruktives, mitleidunfähiges, jedoch unersättlich nach Zuwendung suchendes, eifersüchtiges, höriges Monstrum, so muss es gebändigt werden, sonst ist ein Zusammenleben mit ihm unerträglich und gar lebensgefährlich.

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Aus der Bändigung seines Verhaltens besteht nun die 2. Ebene seiner Entartung. Die dafür geeignetste, effektivste Maßnahme ist die Moral, die die narzisstisch hyperakti-vierten Impulse bändigt, indem sie sie grundsätzlich bedroht und bestraft. In dem Maße wie die Bändigung gelingt, bietet man dem Zögling dazu ein Ersatzverhalten an, das – um es von der Bändigung durch die moralischen Ge- und Verbote zu unterscheiden –, Ethik genannt wird und als Ersatzziel die Formung anhand idealer Tugenden in Aussicht stellt. Das Ergebnis ist der zwar unter Strafangst leidende, dafür aber auch dem System unterworfene, die Autoritäten fürchtende, ordentliche, züchtige, beherrschte, kontrol-lierte, hilfsbereit fleißige und neurotische Bürger, dessen Selbstwert- und Glücksgefühle davon abhängen, wie sehr ihm dem System dienstbar zu sein gelingt, um von der Gesellschaft anerkannt und ‚belohnt‘ zu werden. Dem dies gelingt, gilt als „reif“... In der Graphik erscheinen im oberen Teil die Schäden, die durch die narzisstische Fix-ierung, bzw. aufgrund des Fehlens einer geeigneten Kindergruppe entstehen. Dadurch erscheinen die 7 Haupt- und um jede gruppiert einige verwandte Sünden. Die Verwandt-schaft ergibt sich sowohl aus der ihnen allen ursächlich zugrunde liegenden Fixierung des Sozial-, Sexual- und Lustverhaltens an die 1., 2. oder 3. Phase der Kindheits-entwicklung, als auch aus der Umleitung ihrer gestauten Triebenergie vor allem in den geistigen und energetischen der 6 instinktiven Bereiche... Der Primärinstinkt, der von der familiär bedingten Isolierung des Kindes als erstes unmittelbar betroffen wird, ist die Sozialität. Seine Fixierung und die gleichzeitige Verunmöglichung seines Bedürfnisses, führt zur Stauung und Umleitung der Triebener-gie auf den geistigen, energetischen und erotischen Kanal, was wiederum die Heraus-bildung des Syndroms der oral-narzisstischen Fixierung (unersättliches Streben nach Zuwendung und Anerkennung; Verliebtheitssyndrom) verursacht. Unsere Gesellschaft fasst dies Syndrom zwar nicht als Entartung auf, jedoch als selbstverständliches Bedürfnis des Menschen (all you need is love!) – ja sie hält es für angeboren, für naturgemäß! wie ebenfalls den damit untrennbar verbundenen Anspruch auf Treue (Bemächtigungsdrang), so verlangt dem narzisstisch fixierten Erwachsenen in aller Selbstverständlichkeit sein Lebe lang nach Mutterliebe vom ‚Partner‘ und von der Umwelt, auf die er seine versagende Urgeborgenheitsquelle projiziert. Die Kirche hält dies Verlangen nicht für ‚Sünde‘; der Treueanspruch aber duldet keinen Nebenbuhler, so geht das Narzissmus-Syndrom wohl von Hass- und Rachedrang gegen den Rivalen begleitet, erst diese aber (das Kajins-Symptom), dem Neid zugrundeliegend, hat die Kirche zusammenfassend zu einer der „7 Hauptsünden“ erklärt... Die Umleitung der gestauten Sozialenergie zum energetischen Kanal verursacht ein weiteres Syndrom, das unsere Gesellschaft nicht weniger als das vorherige kennzeich-net, das aber im Unterschied dazu nicht als angeboren gilt, sondern als notwendiges Übel, denn es die Menschen zur Maßlosigkeit des Konsums antreibt. Die Masse fasst es zwar als Streben nach Glück auf – dafür werben ebenfalls die profitgierigen Konsum- Fabrikanten –, die Kirche jedoch, die mit ihrem himmligen Überblick auf das Ganze die schädlichen Folgen erkennt, hat es – als Völlerei – zu einer weiteren Hauptsünde erklärt. Heute legt die Wissenschaft diesem Auswuchs das Bulimie-Syndrom zugrunde...

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Schließlich führt die Fixierung der Sozialität – wenn sie im erotischen Kanal ein Ventil findet – zu dem in unserer Gesellschaft ebenfalls als selbstverständliche Empfindung geltenden ‚Busenfetischismus‘ (Libido-Besetzung der Frauenbrüste) ohne zu merken, dass solch‘ Drang beim körperlich Erwachsenen ein Symptom der Verewigung seiner Oralen Phase ist... Die Oralfixiertheit der Sozialität bedeutet automatisch die Hinderung der Sexualität, denn deren volle Entfaltung setzt die bereits gebildeten Geschlechtergruppen (Urhorde) voraus. Die Hinderung der Sexualität: des Kampfdranges, der Wehrhaftigkeit, des Durchsetzungsdranges – also der Aggression im Dienste der Vermehrung und Vitaler-haltung der Art – verursacht das gefährlichste Syndrom unserer entarteten Gesellschaft, denn die verdrängte, an sich kreativ arterhaltende und -erschaffende Sexualenergie wandelt sich zur zerstörerischen, selbst- und weltdestruktiven Gewalt. Zwar gilt das Streben nach Macht, Reichtum und Prestige in unserer Gesellschaft als dreifacher Weg zum Glück, die Antriebskraft solchen Strebens aber ist gewaltsam, so erreicht der Mensch nie das Ziel seines Verlangens, sondern verbleibt im Leid... Die Isolierung in der Kindheit führt also nicht nur zur Verkrüppelung des Sozialinstinkts, sondern auch zu dem der Sexualität hin. Da ohne Gruppenbildung kein Wettbewerb zwischen Mannschaften stattfinden kann, noch möglich ist, die weibliche Sexualität (Brunft, die das Wetteifern erst aktiviert) auszuleben, verlagert sich die frustrierte Energie dieser Primärbedürfnisse in den geistigen und energetischen der Kanäle, zwei Syndrome veranlassend, die als die verhängnisvollsten unserer patriarchalische Gesellschaft gelten. Denn der ‚Geist‘ steht naturgemäß im Dienst der 5 lebens- und arterhaltenden Grundinstinkte; wenn aber die narzisstisch – also egoistisch hypertro-phierte sexuelle Aggression sich des Geistes bemächtigt, werden dessen Gaben dafür missbraucht, den Macht-, Reichtums- und Prestigedrang zu verwirklichen ohne deren Entstehungsursachen weder zu erahnen noch zu erfragen, was zu einen gnadenlosen Kampf aller gegen allen führt. Jeder Einzelne versucht alle anderen zu unterwerfen und sie zum eigenen ‚Nutzen‘ auszubeuten; das historische Ergebnis ist das anarchische Chaos, in dem der rücksichtsloseste und skrupelloseste den unterlegenen vergewaltigt, beraubt und wenn nicht unterwerfungswillig ermordet. Die natürliche Kampf- und Brunftaggression verwandelt sich also infolge Verdrängung des Sexualinstinkts in Gewalt und wo man sie ‚kultiviert‘ zum Beruf… Diese Grundhaltung hat zwei Aspekte: Der reine Drang zu herrschen einerseits und der Drang auszubeuten andererseits. Jeder von ihnen ist von einer eigenen Hauptsünde gekennzeichnet: der erste durch das überhebliche Wesen des hochmütigen Despot soweit sich der Machtdrang mit dem ‚Geist‘ vereinigt, und der zweite, soweit verknüpft mit dem Energetischen Kanal, vom raffsüchtigen Wesen des Geizigen, denn Habdrang führt nicht zum Genuss des Reichtums, sondern zur unersättlichen Hortung hin. Und – gelingt es dem doppeltverkrüppelten, sozial- und sexualinfantilen Menschen nicht, sein Ziel zu erreichen, sich daran verhindert fühlend, beraubt vom „Panzerknacker“, oder fürchtend um den Verlust seines Prestige, verliert er dann die Kontrolle über seinen zum Geiz konvertierten Gewaltdrang und wird rasend vernichtend, so dass zu diesem Syndrom die nächste Hauptsünde: der Jähzorn – gehört...

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Dies doppelte Syndrom wird durch ein drittes ergänzt, das durch die Umleitung der narzisstischen Energie zum erotischen Kanal in der Analphase entsteht und als in unserer Gesellschaft omnipräsent gilt: das Sadomasochistische Syndrom. Die Kirche betrachtet es offensichtlich als genauso selbstverständlich wie die orale Fixierung, so erklärt sie es nicht für sündhaft... In diesem komplexen narzisstisch-sadomasochist-ischen-Syndrom ist nun das sogenannte Böse verankert... Die Einschränkung oder Verdrängung der Erotik führt ebenfalls zur Umleitung ihrer Energie zum geistigen und energetischen der Kanäle, zwei Syndrome veranlassend: Die Umleitung der Sinneslust in den Geist führt zum Phänomen der Sublimierung, die Umleitung in den energetischen Kanal zur Völlerei. Beim Sublimierungsphänomen glauben heute viele, etwas gutes, und zwar die Möglichkeit einer gesunden Entladung des sog. Triebstaus zu sehen. Der Schein aber trügt: derartige ‚Vergeistigung‘ führt zur skrupellosen Ausbeutung der frustrierten Opfer, die – anstatt Lust zu tauschen – Porno-graphie konsumieren. Das Grundgefühl ist nicht Befriedigung, sondern Verklemmung, denn Sublimierung verstärkt die Verdrängung bis zur Katatonie – das Opfer wird zur Überwindung unfähig. Der zugrundeliegende Hang passiver Verweigerung jeglicher Leistung wird von der Kirche – die die darunter verborgene Tragik ignoriert – als Todsünde der Faulheit verworfen, weil Kraftlosigkeit sich als hinderlich für die Ausbeu-tung der Opfer erweist. Diese Opfer rechnen Kirche und Staat also nicht so sehr zu den ‚Elenden‘, als zu den Bösen! ... Das umgekehrte Syndrom – wo die verdrängte Energie der Wissbegierde im erotischen Kanal ein Ventil findet – multipliziert sich dort zur Wollust (Fleischeslust), was die Kirche ihres exzessiven unstillbaren Charakters wegen zur Unzucht erklärt, mit dieser Sünde – die unreinste überhaupt – den Katalog ihrer 7 Hauptperversionen vollendend... Das Endergebnis der Einschränkung, Verdrängung, Vermischungen und Entartungen der Primärinstinkte infolge Isolierung während der Kindheit ist verheerend. Zusammenge-fasst wird es das Narzisstisch-Sadomasochistische Syndrom genannt. Unter diesem Namen gilt es freilich weder als Kennzeichen des damit verbundenen gesellschaftlichen Elends noch überhaupt als sündhaft. Erst wenn die immanente Destruktivität beginnt, sich gegen den Mensch selbst zu wenden (autosadistische Selbstzerstörung), wird es von der Kirche bejaht, ja sogar als seligmachende Tugend gefördert! – sein Grundcharakter jedoch besteht aus egoistischem Habdrang und Hörigkeit zugleich. Dies autosadistische Grundstreben wirkt sich zugleich destruktiv auf die Umwelt aus, weil – einmal ‚erwach-sen‘ – sich der narzisstische Mensch nie mehr an eine gesunde Gemeinschaft anpassen, in andere hineinversetzen, Rücksicht nehmen und für seine Nächsten einsetzen kann. Das Familienkind lernt also weder sein eigenes Glück selber zu schmieden noch für das Glück anderer beizutragen – wie es dem sozialen Wesen eigentümlich ist. So versuchen alle Opfer der narzisstischen Fixierung, sich gegenseitig zum ‚Glück‘ zu zwingen, einander zu unterwerfen, auszubeuten und „immer nur den anderen“ für das allgemeine Unvermögen aller zu bestrafen, sich an ihm für die eigene Frustration zu rächen, die Welt um sie herum in eine Hölle aus Unrecht und Leiden verwandelnd. Da keiner die Ursachen des Elends aller mit dem Narzisstischen Syndrom in Zusammenhang bringen

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kann noch will (das Leiden gilt ihnen als unabwendbarer Fluch oder Pfand des Glücks), bleibt es undurchschaubar, unnachvollziehbar, unergründlich, so versuchen sie ihre Destruktivität anhand ethischer Maßnahmen zu zähmen und ihr Leiden anhand moralischer Gebote und Verbote einzuschränken, wie dargestellt in der unteren Hälfte der auf S. 97 beiliegenden Graphik... Dem Neid – der infolge der Isolierung des Kindes in der Familie und der gewaltsamen Fixierung seiner sozialen Regungen an die Mutter hervorgerufen wird – versucht man in unserer Gesellschaft durch Umlenkung seiner Energie auf den geistigen Kanal drei Schranken zu setzen:

a) die moralische, die die Eskalation der egoistischen Liebesforderung bis zum tät-lichen Angriff des versagenden Gegenübers – ja bis hin zu dessen Ermordung mit Strafe im dies- und jenseitigen Leben bedroht, und zwar ebenso drastisch (Auge um Auge, Zahn um Zahn; s. 5. Gebot),

b) die ethische, die an vernunftmäßige Toleranz und Bescheidenheit appelliert, und

c) die tugendmäßige, indem durch Nächstenliebe die Machbarkeit der Vervoll-kommnung im diesseitigen Leben und der jenseitigen Belohnung dargelegt wird.

Moralisches Tun und tugendhaftes Streben setzen zwar den Glauben an ein Weiterleben nach dem Tode voraus, arbeiten jedoch schon im ‚Hier & Jetzt‘ anhand Drohen mit Strafe und Belohnung, bzw. Schüren entsprechender Wünsche und Angst; Beide Aussichten werden von der Erziehung ins kindliche Über-Ich geprägt und von dort herab für den Rest des Lebens bestimmend bei allen Entscheidungen des Ichs. Die elitäre Ethik dagegen (aus ‚bewusster‘ Autodomestikation bestehend), setzt sich zwar die gesell-schaftliche Anerkennung als glaubhaft vor wie der Esel die vom Kutscher gehängte Karotte. Da aber niemand die ersehnte Erfüllung auf Erden erlangt, verlagert sie die Hoffnung auf ‚Ruhm‘ ins Jenseits und versucht ihn durch Nächstenliebe, Heldentod und andere sich in Selbstaufgabe übenden Gute Taten zu erreichen.

Das zweite Syndrom, das durch die Umleitung der sozialen Energie zum energetischen /Ernährungs-)Kanal entsteht und sich allgemein als unstillbarer Habdrang äußert, wird

a) moralisch anhand des VII.-IX. und X. Gebotes* mit dies- und jenseitiger Strafe bedroht (* Du sollst deinen Unterhalt selbst verdienen; - das Haus deines Nächsten nicht begehren; auch nicht seinen darin befindlichen Besitz)

b) ethisch durch die Empfehlung zur Mäßigung (Selbstbeherrschung) und

c) tugendhaft durch Askese, sich der kirchlichen Anerkennung bis zur Heiligsprech-ung verdienstlich machend und das ewige Leben im Himmelreich sichernd...

Die orale Frustration während der Laktation kann, da Saugen mit oraler Lust untrennbar verbunden ist und wenn sie ein Ventil im energetischen Kanal findet, zur Herausbildung des Bulimie-Syndroms beitragen. Zugrunde liegt ihm ein Konflikt zwischen exzessiver Oral-Stimulation und der ins Über-Ich verinnerlichten moralethischen Tugend, was den typischen, dies Syndrom kennzeichnenden Wechsel zwischen überwältigendem Fress-drang und Strafangst bis zum Erbrechen in Gang setzt... Weitere Deutungsvariante:

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Ersteres drückt das „Füttern“ als Wiederholungszwang aus (s. Hänsels Mästung durch seine Mutter-Hexe) und das Erbrechen den zwanghaften Widerstand gegen solchen Versuch der Mütter, ‚ihr‘ Kind groß zu ‚machen‘ um es dem System zum Fraß zu werfen… Interessanterweise versucht die Moral nicht nur, die ihr unangenehmen Folgen der Instinktverdrängung zu kaschieren und in ‚sinnvolle‘ Bahnen zu lenken, sondern erzeugt sie die Verdrängung v.a. selbst, da die meisten der natürlichen Bedürfnisse mit dem patriarchalischen System nicht zu vereinbaren sind: Z.B. verdrängt sie den sozialen und sexuellen Instinkt, weil die Geschlechtergruppen sich kämpferisch gegen Fremde in ihren Territorien wenden und gegen Unterdrückung und Ausbeutung sowieso. So hat die Verdrängung dieser Instinkte zwei Ursachen:

1- Die Isolierung in der Familie während der Kindheit (Narzisstische Fixierung) und

2- Das ausdrückliche Verbot der Gruppenbildung: Du sollst nicht buhlen (VI-Gebot), inbegriffen die gruppenbindende Homoerotik. Indem die Energie aller 3 Instinkte im Kanal der Ernährung ein Ventil finden, besetzen sie den Bemächtigungsdang übermäßig mit Lust, ihn zum Habdrang machend, worauf sich die Hauptsünden der Völlerei und des Geizes verankern (erstere in der oralen, letzterer in der analen Phase), so werden beide anhand der Gebote VII, IX und X ebenso erzeugt wie gebändigt. Dem analfixierten Geiz (Geld stinkt nicht) setzt die Ethik aber als Ausgleich die gesellschaftlich prestigevolle Freigebigkeit (Mäzenatentum) und die Tugend wiederum den Langmut entgegen… Das Syndrom aber, das in der Familie – im Märchen anhand u.a. Hänsels Käfig darge-stellt – durch die Umleitung der verunmöglichten Sexualenergie in den geistigen Kanal entsteht: der unstillbare Machtdrang des despotischen Wesens, worauf sich die Haupt-sünde des Stolzes verankert –, erklärt die Kirche zum Heiligen Instrument Gottes, um mit ihm in der Hand einer Systems hörigen Elite für Ordnung im Patriarchat zu sorgen. Dafür wird die Moralität der I.-IV. Gebote (Gottes -, Staats- und Elternehrfurcht) von klein auf allen Mitgliedern unserer Gesellschaft auferlegt. Erst über die in diesem Syndrom verankerte Hauptsünde des Jähzornes verhängt die Moral das V. Gebot Du sollst nicht töten, sich ihm selbst unterwerfend, indem sie beim Jähzorn die Selbstbeherrschung und für die Aussichtslosigkeit des Glücks auf Erden den Langmut tugendmäßig zu kultivieren empfiehlt. Nicht nur der Humanismus, sondern auch die Konvertierung des für seine infantilen Wutausbrüche berüchtigten sinaitischen Jach Weh zum christlichen Lieben Gott ist also davon bedingt. Der heutige Staat (Hobbes Leviathan) hat diese langbewährte Einrichtung übernommen, so empfählt die Staatsethik ihrer Machtelite alternativ zu dem der Masse auferlegten Blinden Gehorsam, sich in Bescheidenheit als verdienstvoller des Ruhms zu üben... Die Beeinträchtigung der Erotik in der Genitalphase führt schließlich w. o. g. zu zwei Syndromen: Wird der zwischenmenschliche Lustaustausch tabuisiert und verdrängt, entsteht der passive Konsum erotischer Phantasien (Pornographie) bis hin zur depressi-

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ven Katatonie, und wird der Wissensdrang traumatisiert, sucht sich die gewaltsam gestaute geistige Energie oft ein Ventil in der unstillbaren, obsessiven, sündhaften Lustbefriedigung (Wollust). Die Moral bekämpft beide Entartungen, indem sie gegen die sich daraus für das System so ungünstig ergebende Antriebslosigkeit das VIII. Gebot richtet (Du sollst nicht Kraftlosigkeit ‘vorlügen‘; Arbeitsunfähigkeit vortäuschen), und diese Art Sünder mit dies- und jenseitig härtesten – geradezu Dante’ischen, ewigen Qualen überschüttet, während die moderne Ethik zwecks ‚goldener Mitte‘ zwischen Sex- und Workaholic eine Umprogrammierung des Verhaltens anrät, und die Tugend zuletzt das masochistische, arbeitsame, abgeschiedene Klosterleben (ora et labora) oder Yoga predigt: Ideal der Verklemmung als todsichersten Weg der Erlösung im Jenseits oder Nirwana und Schutz vor den Versuchungen durch die Faulen und Parasiten des Systems... Gegen das Syndrom Wollust droht die Moral noch heftiger mit dem tiefsten Höllenpfuhl als gegen den bloßen Konsum solcher Phantasien, obwohl in der Bibel kein ausdrücklich formuliertes Verbot dieser Hauptsünde existiert, so greift die Kirche dafür nach dem VI. Gebot: Du sollst nicht (um Verbündete) buhlen, dabei missachtend, dass das, was dies Gebot ursprünglich bekämpfte, nicht der übliche satyr-nymphomanische Sex sein kann, sondern die Mannschaftsbildung,* zu deren Verunmöglichung das Primitivpatriarchat die männliche Homoerotik verboten hat.

(* Der Dekalog war ursprünglich nur dem Mann auferlegt, weil das Urpatriarchat die Frau für seelenlos – also unfähig zur Rechenschaft über ihre wie bei den Tieren geistlos verübten ‚Sünden‘ hielt. Nachdem der Frau von der katholischen Kirche eine eigene Seele genehmigt und der Totemisierungs-Prozess von der Knabenpubertät auf die kind-liche Analphase vorverlegt wurde, emanzipierte man deshalb ganz selbstverständlich auch die Frau zur Erlangung des VI. Lustverbots, so formulierte Luther es um zum all-gemeingültigen Du sollst nicht ehebrechen, und – um es effektiver zu machen – begann man gleich, die Lustformen des Kindes beiderlei Geschlechts erzieherisch zu bekämp-fen, es zu einen lust- und geschlechtslosen (engelhaften) Wesen züchtend, das im Himmel auf Erden zu leben glaubt, in Wirklichkeit aber in die familiäre Hölle voll von neurotischer Strafangst gesteckt worden ist...)

Die Hauptentartungsform der Lust nennt die Theologie Unzucht und regelt den Umgang mit ihr Anhand Ehe (IX. Gebot) und noch besser: Zölibat. Die Ethik empfehlt heute gegen Unzucht außer den krankenkassengenehmigten Verhaltenstherapien auch Betablocker, ideal kombiniert mit geistigen Hobbys und Jogging, und die Tugend hält immer noch Keuschheit für das bewährteste Mittel, sich des Aufenthalts im Himmel verdienstlich zu erweisen... Das Endergebnis dieser dreifachen Bändigung der infolge Isolierung in der Kindheit erkrankten Gesellschaftsmasse ist der anständige Bürger, der gelernt hat – trotz Neurose und sündhafter Verkrüppelung – im Sinne der ideologisch-wirtschaftlichen Interessen von Kirche und Staat zu funktionieren. So stellt der Prozess, den der Gesell-schaftsmensch ab Geburt bis Abschluss der Adoleszenz durchläuft, keine psycho-bio-logische Entwicklung dar, sondern deren Entartung. Die Nachskizzierung dieses leid-vollen Entfremdungsweges mittels Durchleuchtung des Sündenkatalogs ist aber not-wendig für den Entwurf einer naturechten Lehre der gesunden, arteigenen Entwicklung.

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Auslegungskriterium der patriarchalischen Mythen

Die These der Libido-Spaltung in Narzissmus und Aggression versucht Grunberger, anstatt sie des psychoanalytischen Prinzips gemäß biologisch zu überprüfen, mythologisch plausibel zu machen.

Mythen zu untersuchen ist an sich so berechtigt wie die Zellforschung, da sie einer unter vielen Wegen sind, auf denen sich das menschliche Verhalten manifestiert... Ein weiteres Beispiel symbolischen Ausdrucks ist die Narziss-Sage – kein eigentlicher Mythos, denn was sie zeigt ist ein Sinnbild des Regres-sions-Phänomens. Diese Sage ist also gesellschafts-spezifisch. Es gibt auch andere Erzählungen – wie den Mythos des Goldenen Menschenalters –, die vom ursprünglichen Homo sapiens berichten, dem unsere Probleme völlig unbekannt waren, und solche

jüngeren Datums, die die Verhärtung des Daseinskampfes auf Erden und den Übergang vom Urleben zu unserem Patriarchat als Titanenkämpfe darlegen (Pandora u. ä.). Mythen stellen also nicht nur das menscheneigene Verhalten dar, sondern dazu kultur-historische Geschehnisse, die ganze Epochen geballt zusammenfassen und sich als Erzählungen erst nach den beschriebenen Ereignissen kristallisieren. Rückblickend kann der Eindruck entstehen, als ob sie von einer unerbittlichen, schicksalhaft höheren Macht vorbestimmt wären und sich oft im Verlauf von nur einer Generation vollzogen hätten – wie z.B. der Orpheus- und Ödipus-Mythos. Die Mythen, die jede patriarchalische Kultur aufbewahrt, hängen jedoch über 6 Epochen (s. Levi Strauss' Strukturtabelle) zusammen; sie umfassen also in Wirklichkeit die ganze Geschichte der Menschheit, so müssen sie von vornherein anhand eines dreifachen Grundkriteriums (psychobiologisch und kultur-historisch) interpretiert und unterschieden werden, die dadurch gewonnenen Hypothe-sen wo notwendig mit Befunden aus der Psychopathologie ergänzend... Anubis mag wohl die schlummernde Uraggression des Kindes vor der Geburt darstellen, denn die Aufgabe dieses Symbols in der ägyptischen Sagenwelt war, die in ihren Gräbern – als Ersatzsymbol des geborgenheitsspendenden Mutterleib – einbalsamiert liegenden Leichen vor Räubern zu schützen, um die ungestörte Ruhe der Entschlafenen zu gewährleisten. Die Funktion solchen Totenkults ist also – wie Grunberger richtig erkannt hat –, die Verstorbenen in den vorgeburtlichen Zustand zurückzuversetzen und dort vor der einst erfahrenen Zerstückelung (s.a. Osiris Tragik) zu bewahren… Das Innere des Grabes anbetreffend ist demnach die Unterscheidung der Leiche in das ‚positiv narzisstische‘ ICH und den ‚negativ aggressiven' LEIB berechtigt, denn der Embryo braucht und vermag aggressive Regungen (Leiblichkeit) nicht bewusst wahrzunehmen. Nach der Geburt aber erwacht zwar die Aggression, ihre Funktion jedoch ist – psycho-biologisch besehen – positiv konstruktiv und gerät – sofern in eine artgerechte Umgebung geboren – auch nicht in Konflikt mit dem genauso angeborenen Narzissmus

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des Säuglings, sondern bildet mit ihm eine geist-körperliche Einheit, die Anubis-Symbolik gegenstandslos machend. Demnach ist Grunbergers Annahme einer naturge-wollt konflikthaften Libido-Spaltung unzulässig...

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Der Erzählung nach war Narcissos ein Sohn des Flussgottes Kephisos und der Nymphe Leiriope. Seiner Schönheit wegen war er sehr umworben, zog sich aber von allen – Frauen wie Männern – zurück und floh zuletzt vor jeglichem menschlichen Umgang in die Wildnis.

Aus Wut soll ihn ein Abgewiesener – anderswo Nemesis: Göttin des gerechten Zorns, verflucht haben, sich ins erste Angesicht dessen er in der Einsamkeit des Waldes gewahr werden würde unsterblich zu verlieben. Es war sein eigenes Spiegelbild, als er sich dürstend zu jenem Teiche beugte…

Von dieser Sage existierten in Griechen-land mehrere Versionen. Oft erzählen sie, Narcissos sei im verliebten Harren über seinem Bilde qualvoll verhungert. Anderswo wieder heißt es, eine Nymphe habe den Knaben aus Mitleid in eine Narzisse verwandelt, jene Pflanze näm-lich, deren Saft zur Blüte eine betäub-ende Wirkung übt und daher namens-gebend wurde für unsere Narkose …

Der Regressionsdrang Narziss – von der narzisstischen Gesellschaftsmasse stets missverstandene Sage – stellt vom Wesen her ein gespaltenes Doppelsymbol dar: Der Knabe oben am Ufer des Teiches kennzeichnet den heranwach-senden Familienmenschen, der seine aggressiven Lebenstriebe phobisch meidend in der Wirklichkeit nicht zurechtkommt. Um seiner Vernichtungsangst zu entgehen, sehnt er sich nach der vorgeburtlichen Geborgenheit. Dieser Wunsch ist dem Ich vorerst nicht bewusst, er wird ihm aber von seinem Über-Ich – als darin gespeicherte Erinnerung an jenen Zustand – einsuggeriert. Als er im Teich sein Spiegelbild entdeckt, glaubt er deswegen, sich selbst unter Wasser schwebend – im Uterus sorgenfrei versorgt – zu erblicken. Der Wunsch wird ihm also als ‚bereits realisiert‘ bewusst und klammert er sich an dieser Illusion fest, sich unserer instinktfeindlichen Gesellschaft gegenüber aus freilich berechtigter Realitätsfurcht weigernd, die psychische Reife nachzuholen. Diese Lebensangst oder narzisstische Fixierung nennt Freud Todessehnsucht – nicht zu verwechseln mit dem metapsychologischen Todestrieb Thanatos (s. Eingangs). Sie führt allerdings nicht zur Zersetzung des Leibes (eigentliches Sterben), sondern nur zur Errichtung eines Unsterblich- und Unvergänglichkeits-Ideals im ICH. Die Libido wird an die im Über-Ich aufbewahrte vorgeburtliche Geborgenheitserfahrung gefesselt oder fixiert. Diesen Vorgang bezeichnet die Psychoanalyse als Regression des Eros (Lebens-trieb der Libido), und tritt er anhand Ewigkeit suggerierender Symbole (Einbalsamierung, Konserven, Kühlschränken) in Erscheinung. Solch Todes- bzw. Regressionswunsch ist zweifellos widernatürlich. Ein Abschied des Knaben von seinem oral- bis intra-uterin beheimateten Geborgenheitsanspruch und die Entscheidung, sich der Wirklichkeit zu stellen und sein Dasein selbst zu bewältigen, seine Bedürfnisse eigenständig befriedi-gend und seine Probleme eigenmächtig lösend, setzt die Nachreifung der Psyche bis mindestens Anfang der Analphase (3. Lebensjahr) voraus. Für die Erlangung dieser die Lebenstriebe bejahenden Eignung braucht der erwachsene Narzisst freilich Hilfe, nicht aber anhand einer monadischen ‚Zweierbeziehung‘ mit einer Ersatzmutter – wie Grunberger sich vorstellt –, oder Bindung an einen scheinpotenten Wohltäter, der sein Opfer um geliebt zu werden ideologisch indoktriniert, sondern durch die Auseinandersetzung mit einer kleinen Gruppe, in der jeder seine Selbstentfaltung und Eigenverantwortung anstrebt… So weit ein geeigneter Ersatz für die primatische Kinder- und Geschlechtergruppe, stellt hingegen Narziss – wo stattdessen vom Regress die Rede ist – kein Naturkonzept, sondern ein kulturpathologisches Phänomen dar.

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Diese Sage illustriert das Unvermögen jener Generation, die nicht mehr in der Urhorde heranwuchs, sondern in den der Megalithkultur unterworfenen Urfamilien, deren Kindern es – mangels artgerechter Sozialisation in der primatischen Kindergruppe –, unmöglich war, ihr Selbstwertgefühl, Selbstbehauptungs- und Durchsetzungsvermögen zu entfalten, die von ihren Eltern abhängig aber undankbar, deren Autorität unterworfen aber rebellisch, ihren Schutz brauchend aber sie fürchtend, Liebe fordernd aber heimlich hassend, egoistisch, egozentrisch, realitätsfremd, hilflos, destruktiv und selbstzerstörerisch und ihr Leben lang unfertig – narzisstisch gemacht wurden (Kajins-Syndrom). Dieser Generation (s. a. Hesiods Erzene Epoche) blieb die Ursache ihrer Tragik: die Verunmöglichung der evolutionseigenen Kindergruppe – ungeahnt. So sehnten sich nicht nach der Wiederherstellung des Urlebens in Horden von Geschlechtergruppen, die für sie – trotz enger Nachbarschaft in der Genea – wesensfremd geworden waren, sondern nach dem vorgeburtlichen Zustand als Mittel, sich ihrer traumatisch bedingten Lebensangst (Zerstücklung Osiris zu monogamen Paaren und familiär isolierten Kindern) zu entziehen. Der Rückzug von dieser Wirklichkeit in das ozeanische Gefühl Rollands z.B. (und so vieler anderer Künstler) hat also seinen Ursprung in dieser Generation.

Nachtrag zur Auseinandersetzung mit Béla Grunberger Die poetische Darlegung eines Gefühls Romain Rollands, das er die Empfindung der Ewigkeit nennen mochte, wie von etwas Unbegrenztem, Schrankenlosen, gleichsam Ozean-ischem, bietet Grunberger Anlass, eine Theorie des Narzissmus zu entwerfen, die die Narzissmus-Auffassung Freuds korrigieren soll. Freud verstand diese Offenbarung Rollands als eine im Über-Ich bewahrte Erinnerung an das vorgeburtliche Leben, als sich das embryonale Ich zwar selbst wahrzunehmen vermag, von der schützenden und nährenden Funktion des Mutterleibs aber nichts ahnt, ja nicht einmal von der Bestimmung seines eigenen sich entwickelnden Körpers, um so weniger von der außerhalb liegenden, feindlichen Welt der geborenen Menschen und ihres unaufhörlichen Existenzkampfes. Dem über diese Situation ahnungslosen Embryo und Säugling schreibt Freud einen lebensbejahenden Urtrieb zu: die Libido, der sowohl für die vorgeburtliche als auch für die weitere Entwicklung und Anpassung der befruchteten Eizelle an die irdische Welt maßgebend ist und der den Organismus jeden seiner Schritte auf dem Weg zur geist-körperlich-seelischen Vollreife als von Lust erfüllt erleben lässt – vorausgesetzt, dass er die dafür in seiner Umwelt erforderlichen Bedingungen geboten bekommt oder findet.... Grunberger dagegen geht davon aus, dass das Kind nach der Geburt von der Außenwelt (Kälte, verwirrende optische Reize, erschreckende Geräusche...) derart geschockt sei, dass es den Drang verspüre, in die Geborgenheit des Mutterleibes zurückzukehren. Solch ein Drang – nimmt er an – spiegelt sich nicht nur in der Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies und ähnlichen Mythen, sondern beinhaltet auch ein heftiges Streben, das den Menschen für den Rest seines Lebens unvermindert begleitet und maßgebend für sein sozusagen heldenhaftes menschliches So-Sein und seine höchsten

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geistigen Leistungen ist. So schreibt Grunberger dem Homo Sapiens einen angeborenen Drang zu, der vom Lebenstrieb der Libido unabhängig, wesensverschieden und entge-gengesetzt wirkt. Diesen Drang nennt er Proto- oder Paläo-Narzissmus, annehmend, dass er grundlegend bestimmend für alle Menschen ist. Im Gegensatz dazu fasst Freud diesen Drang als Syndrom (narzisstisch-sadomasochistische Fixierung) auf, ihn als maßgeblich erachtend für das Unvermögen des patriarchalischen Menschen, psychisch zu reifen und eigenständig die Konfrontation mit den lebensfeind-lichen Verhältnissen auf diesem Planet zu meistern. Stattdessen versucht der Narzisst, sich doppelt von der Realität abzugrenzen und gegen die Natur zu behaupten: entweder durch megalomanisch überkompensierende Selbstdarstellung, oder durch Flucht in den Wunsch des Ungeboren-Seins. Solche Allmacht- und Regressionswünsche sind aber ein-deutig krankhaft und setzen aktiv entwicklungsfeindlich- oder passiv -hemmende Faktoren während der Kindheit voraus. Derartige Verhältnisse können unmöglich artgerecht, erbgutsverankert sein. Die Natur entartet sich nicht von selbst, geschweige rückwärts. Als ein ‚Trieb‘ – wie Grunberger das Syndrom denkt – könnte die sadomasochistische Fixierung außerdem nicht erst nach der Geburt manifest werden; er hätte von vornhe-rein die Verschmelzung und Entfaltung der Keimzellen zum Embryo unterbunden. Bevor dem Kind derartige Sehnsüchte zugeschrieben werden, ließe sich annehmen, dass das Protoplasma – dem die Triebe als Voraussetzungen seiner Existenzbewältigung innewohnen – den Drang habe, als Kristall wieder in seiner verlorenen Muttergalaxie ozeanisch zu schlummern – denkbar, dass dies der gesamten Evolution auf unserer einst öd und leer gewesene Urerde zugrunde läge. Derselbe Prozess belegt aber unbestreit-bar die Tüchtigkeit der lebendigen Moleküle, ja ihre Lebenslust, weshalb Freud – wie Plato – der Libido den Eros zuschreibt, so ist völlig unannehmbar, dass das Leben sich dem irdischen Daseinskampf nicht gewachsen gesehen habe, leidend am Syndrom der narzisstisch-/ regressiven Verweigerung, sich dem Daseinskampf zu stellen… Außerdem, Rolland selbst meint lediglich eine Empfindung der Ewigkeit, nicht etwa die Sehnsucht, sich ins Nirwana zu desintegrieren, womit manche Scheinmystiker – wie z.B. Erich Fromm – ihr Todessehnen und Grunberger seinen Narzissmus als Trieb zu veredeln suchen….

Von der Kontroverse Grunbergers mit Freud handelt die S. 60-71 eingefügte Abhandlung. Dabei habe ich mir nicht so sehr vorgenommen, Grunbergers These zu erschüttern, die eindeutig unhaltbar ist, sondern sie zu nutzen, Freuds Grundgedanken zum Narzissmus-Syndrom zusammenhängend darzustellen, um die häufigen Missverständnisse zu beseitigen, die den schrittmäßigen Aufbau seiner genialen Lehre korrumpieren, denn kein Forscher vermag das, was er zu erkennen und zu klären begehrt, von vornherein eindeutig unmissverständlich zu denken und zu formulieren. Die Aufgabe der Schüler und Nachfolger Freuds sollte sein, seine Ansichten weiter zu klären und zu entwickeln, seine kühnen Hypothesen mit entsprechender Beherztheit überprüfend, nachvollzie-hend und wo machbar vertiefend, wofür ebenso unangebracht ist, sie blindlings anzuwenden wie sich über sie pharisäisch zu entrüsten.

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Die Bezeichnung der Regressionswünsche als narzisstisch ist berechtigt, weil sie im Einklang mit dem Inhalt der Sage stehen. Ebenfalls berechtigt ist die Auffassung, dass sie dem angeborenen Wachstums- und Selbstverwirklichungstrieb entgegengesetzt seien. Falsch aber ist, solche Wünsche als eine dem Säugling angeborene Grundhaltung aufzufassen, weil solche Rückzugstendenzen chronisch traumatische Erfahrungen mit einer feindseligen, kontinuierlich nicht naturgemäß reagierenden Umwelt voraussetzen. Wenn Grunberger bereits dem Embryo einen Paläo-Narzissmus zuschreibt, und noch unhaltbarer: solch‘ Regressionsdrang als angeborenen Trieb definiert, dann setzt er sich damit in Widerspruch zur Belebten Natur, denn das Protoplasma meidet Hindernisse nicht, sondern bekämpft und beseitigt sie, woraus sich die Evolution ergibt. Die Grundhaltung des Lebewesens ist von Natur aus wehrhaft und erfinderisch. (Diese Befähigung ist der Libido immanent durch ihren synthetisierend-analytischen Eros-Thanatos). Das Protoplasma schafft sich in jeder Art die für den erfolgreichen Umgang mit ihrer Umwelt nötigen Anlagen (Mut; Potenz), die freilich vollentfaltet werden müssen. In einer nicht artgerechten Umwelt – wie unserer patriarchalen Gesellschaft – kommt es dazu nicht; die Menschen fühlen sich deswegen dem Da-Sein wehrlos ausgeliefert. So wünschen sich viele zurück in den vorgeburtlichen Zustand, wo Daseinsbewältigung und Leiden noch unbekannt waren... Diese Seite des Narzissmusphänomens ist Grunber-ger wohl vertraut, die andere aber: dass es unvereinbar ist mit den Phänomenen der Beleben Natur – ignoriert (verdrängt) er. Sein Streben besteht also aus passiver wissenschaftlicher (!) Rechtfertigung seiner persönlichen Sehnsucht nach utopischer, intra-uteriner Abschirmung von der ihn umgebenden, überfordernden Realität. Wie ist dieses Phänomen zu erklären? Wenn die dafür ursächliche feindliche Umwelt für ihn wie unzählige weitere Kinder aus der liebesunfähigen Mutter besteht und aus dem Fehlen der primatischen Kindergruppe – also aus der „Familie“, wo sie infantil bleiben und dazu psychisch kastriert werden (Instinktverarmung), dann entstammen solche Verhältnisse unmöglich dem ES – wie die Primärbedürfnisse und ihre Urlebensform –, sondern müssen vom ICH des Menschen ersonnen worden sein, das dann selbst zum Träger des Narzissmus-Syndrom wird, indem es der triebfeindlichen Moral unterworfen die nach psychischer Eigenständigkeit strebenden Instinkte des ES ins Unbewusste verdrängt und die derart ‚gesäuberte‘ Libido an die Erinnerung der einst im Mutterleib erfahrenen Geborgenheit fixiert.

Die Rolle der Aufklärung Zur selbstverständlichen Annahme des Regressionsphänomens als ein angeborener Urtrieb trägt die abendländische traditionelle Auffassung bei, dass das Leiden existenz-eigentümlich und naturbedingt sei. Solche Auffassung ist aber rein gesellschafts-spezifisch – wiederum auf unserer oralfixierten Hilflosigkeit verankert. Der Urmensch, der psychisch vollreifte, fühlte sich für die Bewältigung seiner Existenzprobleme potent – er fürchtete nicht wie wir die Triebe; insofern kannte er weder unser von der Moral-erziehung bedingtes Leid noch den narzisstischen Regressionsdrang. Sein einziges Streben war die optimale Befriedigung seiner geistig-schöpferischen und körperlichen Grundbedürfnisse. Daraus ergab sich sein Glücklich-Sein. So brauchte er keine extra-

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bewussten Konzepte für das Streben nach Lust und Meiden von Unlust, wie sie die „Aufklärung“ im 18. Jahrhundert entwarf (s. Lockes praktische Philosophie), weshalb Grunberger wohl das Vorhandensein zweier angeborener Triebe postuliert: einen für das Wachstum und den anderen für die Vermeidung von Leiden mittels Regression. Dass sich beide nicht gegenseitig schon im Ansatz auslöschen, die Befruchtung annullierend, erklärt er sich mit der Tatsache, dass das Leiden erst mit der Verdauung beim Kinde beginnt, als sich der Wachstumstrieb bereits verselbständigt hat und unaufhaltsam fortsetzt, die Tragik der Existenz, die erst mit dem Tode aufgehoben wird, versiegelnd. So gesehen läge beides nicht allein der menschlichen Existenz, sondern allen Lebewe-sen der ganzen Natur zugrunde. Für diese Tragik suchte die Aufklärung einen Ausweg, indem sie die Vernunft als menschentypische Eigenart erfand und als Errungenschaft jener Menschen definierte, die sich ihrer Tierhaftigkeit schämten oder davon befreit und unabgelenkt nach selbsterdachten Glücksvorstellungen zu leben begannen, dadurch nach und nach unser heutiges patriarchalisches System erschaffend. Trugschluss der Aufklärung ist: Solche naturfeindlichen Wert- und Glücksvorstellungen entstehen nicht durchs ‚Erwachen‘ der Vernunft, sondern setzen die psychisch kastrie-rende Moralerziehung voraus und müssen als Tugend eingeübt werden, ein mühsames Unterfangen, das nur einer intellektuell elitären Minderheit gelingt, während die Masse – gemutmaßt wegen ihrer noch unvollkommenen Instinktverarmung – nicht genau weiß, was Schändliches ihr Körper eigentlich will, ihm verhaftet unfähig zur tugendsamen Bildung, Kunst, Philosophie lebend, so bleibt dem „Volk“ die geistige Erfüllung versagt. All dies entspricht zwar unserer gesellschaftlichen Realität. Das heißt aber nicht, dass die von der Aufklärung gebotene Erklärung der menschlichen Tragik als etwas universal Natureigentümliches richtig sei. Sie geht nämlich davon aus, dass der tierische Urmensch wie das Vieh in Herden ohne gefühlsmäßige Verbundenheit zueinander lebte, wie der Gesellschaftsmensch heute. Die Aufklärung kannte und suchte also nicht die Horden-struktur von zwei Geschlechtergruppen, die um die Mitte des 20. Jahrhunderts von der ethologischen Primatenforschung erkannt wurde; ebenso wenig wollen die modernen Aufklärer wissen, dass der Geist von Grund auf ein Naturphänomen ist und keine unser Leidensarten (Instinktverarmung, Regressionsdrang) kennt, da bereits die protoplasma-tischen Moleküle über gefühlsmäßige Verbundenheit und alle Voraussetzungen der Existenzbewältigung (optimale Befriedigung der Grundbedürfnisse) verfügen. Die Annahme der Aufklärung: dass dies Art Leiden naturgemäß, der Geist aber eine Er-rungenschaft des Menschen sei, wurde ernst genommen, weil sie eine Scheinalternative zur biblischen bot: Behauchung des keramischen Adam durch göttlichen Odem und Leiden

als Folge des Sündenfall. So erhielt sie trotz elitären Charakters und Fragwürdigkeit ihrer Prämissen (s. Rousseaus Le contract sozial) von der akademischen Anthropologie den Rang einer echten Theorie zugesprochen. Unverzeihlich ist aber, dass Wissenschaftler wie Grunberger noch heute die Zellbiologie und Ethologie unberücksichtigt lassen, um statt dessen nach einer Rechtfertigung des Familienlebens (methodisch gewaltsame Instinktverarmung durch Erziehung, Regressionsdrang) zu suchen, obwohl Freud schon vor 100 Jahren die Familie als Herd aller seelischen Entartung und des degenerativen Verfalls unserer Gesellschaft aufdeckte.

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Zweideutigkeit des freudschen Vermächtnisses Verwirrend für viele Psychoanalytiker ist erstaunlicherweise Freud selbst, sei dass sie sich getreu nur an die psychologisch-/pathologischen Abteile seines Werkes zu halten -, sei ihn zu korrigieren versuchen, dabei aber den biologischen ignorieren, während Freud als Neurologe wusste, wie unverzichtbar dieser Aspekt des Mensch-Seins für die Entdeckung seines gesunden, natureigenen Verhaltens ist. Er versuchte deshalb sein Leben lang, das Modell des naturgewollten Homo Sapiens anhand Biologie, Evolutions-theorie, Mythen und den Berichten der anthropologischen Forscher über die fremden Kulturen zu rekonstruieren, annehmend – in ihnen die Spuren der menschlichen Urgeschichte erahnend –, dass dies Vorhaben am besten zu verwirklichen wäre, wenn man all diese Wissensbereiche mit dem Pathologieabteil der psychoanalytischen Lehre zu einem humanarchäologischen Projekt ergänzt. Da die im Voll- und Vorbewussten gelagerten Schichten unserer Wesensentstellung allgemein bekannt sind, sollte so am ehesten gelingen, den darunter verschüttenden Dark Continent des Tiefen Unbewussten auszugraben und das evolutionseigene ES: die Anlagen des ursprüngliche Mensch-Seins – wieder frei zu legen. Die Methoden, mit der die zeitgenössische Anthropologie arbeitete, vermochten nicht die Vorurteile der gesellschaftlich geprägten Forscher zu entkräften, so interpretierten sie ihre Funde im Sinne ihrer patriarchalischen Ansichten um, ihre Beobachtungen unbeabsichtigt fälschend. Freud wusste, dass die Berichte über die exotischen Kulturen genauso wesensentstellt waren wie die Forscher selbst, sah es ihnen nach doch so aus, als ob schon die ersten Menschen – wie Adam und Eva – in Familien und deren Superstrukturen gelebt hätten, er fand sich damit aber nicht ab. Die eigentliche Erklärung unserer Entartung blieb ihm zwar verschlossen. Auf keinen Fall aber zog er aus dem Stand der Anthropologie den Schluss, dass unser psychisches Leiden naturge-wollt sei – wie so viele Wissenschaftler trotz Verhaltens-, Gen- und Hirnforschung noch heute machen –, sondern appellierte an die Verbesserung der Forschungsmethoden, sonst bleibt nur zu hoffen, dass die Evolution selbst das monogame Zusammenleben der Menschheit wieder aufhebe, bevor sie an ihrer narzisstischen Fixierung und neurotischen Instinktarmut zugrunde gehe (vgl. Das Unbehagen in der Kultur). Trotz voreingenommener Berichte gelang es Freud, erstaunlich zutreffende Hypothesen über die Ursachen der menschlichen Entartung aufzustellen und aus ihnen den Werde-gang unserer Gesellschaft ab ihren barbarischen Anfängen zu rekonstruieren (s. Totem und Tabu). Was ihm nicht gelang, war die natureigene Soziallebensform der Menschheit vor ihrer Abschaffung zu entdecken, obwohl er sie nicht nur in den anthropologisch-/ ethnologischen Berichten, sondern auch in der Zoologie suchte. Diese Disziplin war aber noch mehr ‚anthropomorphisiert‘ als die Humanwissenschaften selbst, indem man romantisch gefärbte Bilder des Edlen und Bösen auf das Tierreich projizierte, so bestand die Natur nicht aus Lebewesen, sondern aus einer Sammlung von patriarchalischen Fabeltieren. Eine Forschungsmethode, die derlei Vermenschlichung unterbindet, gab es erst nach dem 2. Weltkrieg: Die von Konrad Lorenz entwickelte Ethologie fordert die Wissenschaftler gezielt dazu auf, die Tiere ohne Beeinflussung ihres Verhaltens zu be-obachten, außerdem das von Freud entdeckte Projektionsphänomen zu berücksichtigen,

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so wurde machbar, die Beobachtungen von den eigenen, bewusst interpretierenden und vorbewusst fälschenden Vorstellungen zu differenzieren und über den Vergleich in den Berichten nur jene zuzulassen, die mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Erst dadurch konnte Jane Goodall ihre ethologische Primatenforschung begründen, Erkenntnisse gewinnend, anhand derer gelang, das Urverhalten und die Urgemeinschaftsform der Menschheit zu rekonstruieren, wonach Freud bis zuletzt gesucht hatte, das nicht in der narzisstischen Einzelmannfrau-, sondern in der symbiotischen Beziehung zweier Geschlechtergruppen gegründet und deren politische Superstruktur nicht Patriarchats gemäß machthierarchisch organisiert war, sondern aus der vertraglichen Einigung mehrerer Mannschaften zu einem egalitären Stamm bestand. Der Psychoanalytiker, der dies Modell nicht zu einem Kernelement seiner Theorien machen mag, wird auf dem Holzweg bleiben, sei, dass er sich aus Angst vor Prestigever-lust in den Stand der Psychoanalyse zur Zeit Freuds flüchtet (angebl. Fundamentalismus), sei, dass er aus neurotischer Strafangst die Auseinandersetzung mit der Biologie meidet und als ‚reiner‘ Geisteswissenschaftler darauf zielt, Freud zu korrigieren, zu ergänzen oder zu entwickeln, denn in beiden Fällen ist er von vornherein vorbewusst geneigt, die Lösung des menschlichen Leidens darin zu sehen, seine eigene narzisstische Fixierung optimal an die patriarchalische Sackgasse anzupassen und im Härtefall wissenschaftlich den illusorischen Ausweg mittels Regression im Mutterleib zu empfehlen, glaubend oder behauptend, dadurch Freud würdig zu vertreten oder zu verbessern. Freud aber hätte heute – anhand Primatenethologie und Megalithforschung – nicht nur das gesuchte Urleben wiederentdeckt, sondern auch den Ausweg aus der Sackgasse der narzisstischen Fixierung erkannt und auf den therapeutischen Weg der psychischen Nachreifung hingewiesen, anstatt die von der Moralerziehung traumatisch induzierte Instinkt-Reduktion zu rechtfertigen und den narzisstischen Regressionsdrang zu kultivieren, denn diese Syndrome führen nicht nur zu der von Grunberger utopisch vergeistigten Sehnsucht „nach höchster Harmonie“ und „Überblick“, sondern auch zum unstillbaren Drang nach Macht, Reichtum und Prestige und zum abermals unersättlich suchthaften Wirtschaftswachstum, Zentralisierung und Verschärfung der Kontrolle und Missbrauch der Technik hin, was verantwortlich ist für alle Exzesse des Konsums und der Zerstörung in unserer Patriarchatsgeschichte. Der Urmensch vorm Ausbruch des Totemismus und Einführung der Monogamie kannte weder das narzisstische Syndrom noch die von Freud erkannten Auswirkungen beider auf das Kultur-Phänomen. Jedes Urkind verfügte über eine psychisch gereifte Mutter, die auf ihren Säugling instinktgemäß reagierte, ihm das Vollgefühl der Geborgenheit vermittelnd, so gab es keinen Anlass fürs Aufkommen unserer ozeanischen Sehnsucht oder megalomanischen Überkompensation des ohnmächtigen Ausgeliefert-Seins. Das Kind löste sich von seiner Mutter in dem Maße, wie es sich in die Beziehungsdynamik der hordeneigenen Kindergruppe einlebte, auch dort keinem Risiko einer Fixierung an irgendeine der psychischen Entwicklungsphasen begegnend – im Gegenteil! Die soziale Dynamik der Kindergruppe führte es spielend zur psychischen Reife, umfassender Selbstentfaltung und Vollverantwortlichkeit. Darauf beruhte sein Glück und sein Grundverhalten, die seine soziale Einsatzbereitschaft, die Verbundenheit mit seinen

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Gefährten, seine Weltanschauung und das sexuelle Verhalten bestimmten, woraus beide Geschlechtergruppen, die Horde und die politischen Superstrukturen der Mannschaften (Megalithkulturen) Gestalt nahmen. Darin gab es keinen Platz für das das Familienkind sein Leben lang infantil haltende Narzissmus-Syndrom. bzw. Grunbergers These eines biologischen, angeborenen Regressionsdrangs. Da unserer auf der Familie verankerten Gesellschaft die primatische Kindergruppe mit ihrer selbstorganistatorisch instinktgeleiteten Beziehungsdynamik fehlt – das heißt: jede Voraussetzung der emotionell-psychisch naturgemäßen Entwicklung, so dass sich das Kind aus seiner oralen Phase nicht lösen kann, statt dessen an sie und die Mutterbezie-hung fixiert werdend und auch sonst niemand psychisch Gereiften kennt, hält Grunber-ger dann den lebenslänglich erzwungenen Verbleib in solchem Zustand für ebenfalls genetisch-somatisch determiniert, anstatt in der Kulturgeschichte der Menschheit nach den dies bedingenden naturwidrigen Faktoren zu suchen. Auch jene, die auf ihre Bildung stolz sind u. wissen, dass vor unserem gesellschaftlichen System eine ganz andere Lebensweise herrschte – nämlich jene, die jedem Kind alle Voraussetzungen seiner Vollreifung bot –, definieren den Sturz oder die Umwandlung jener Ordnung zu unserem heutigen System und die darauf folgende Verunmöglichung der psychischen Eigenständigkeit entweder als Teil der evolutionären! Menschwerdung oder als vom Mensch bewusst angestrebt, um über den parallelen Erwerb der Vernunft Herr seiner schändlichen Triebhaftigkeit zu werden (s. Aufklärungsproblematik).

Grunbergers Problematik Grundberger geht davon aus, dass der Mensch von Natur aus ein narzisstisch-fixiertes Geschöpf sei, eine These (primitiver Narzissmus), die das vollständige Angewiesen-Sein des Säuglings an eine Versorgungsperson direkt aus der vorgeburtlich lückenlosen Ver-sorgung herleitet, weshalb – schlussfolgert er – auch alle weiteren das Leben bis zum Tode bestimmenden narzisstischen Phänomene: das ozeanische Vollkommenheitsgefühl ebenso wie seine Störungen vom Größenwahn bis zur Mikromanie – eine genetische Quelle haben. Beim Aufstellen seiner Theorie suchte Grunberger also keine Alternative in der Naturgeschichte der Menschheit, sondern hatte nur sein eigenes narzisstisches Grundempfinden und dessen literarisch-, zwischenmenschlich- ‚therapeutischen‘ Mani-festationen im Auge. Da er keine abweichenden Beispiele kennt noch sucht und seine Gesellschaftsgenossen auch nicht anders sind, stellt er seine Sichtweise nicht in Frage. Freud, an den Grunberger sich gradezu dogmatisch hält, hat die evolutionär entstandene Gemeinschaftsform der Urmenschheit zwar nicht entdecken können – und damit auch nicht die Erklärung zum Ausbruch der narzisstischen Fixierung seit Einführung der Monogamie –, er hat aber sein Leben lang darnach geforscht, wie sein Kompendium Totem und Tabu belegt. In diesem Werk hat er sämtliche Mythen, archäologischen Spuren und Berichte der Anthropologie, die auf die Ur-Ordnung, das Fühlen und Denken der Urmenschheit hinweisen, zusammengefasst und ausgelegt, mit zwei vorläufigen Ergebnissen:

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Der moral-politische Überbau aller heutigen Nationen stellt die Fortsetzung des Totem-ismus dar, und die Monogamie eine einst vollbewusst eingeführte Maßnahme unter den Angehörigen der nahe am Totemismus gesiedelten Kulturen. Dass die vor der Monogamie und vorm Totemismus gelegene Urlebensform für Freud unerkennbar blieb (diesem Mangel konnte w. g. erst durch die nach seinem Tode entworfene Ethologie abgeholfen werden), ist bedauerlich genug. Grunberger aber lebe 2 Generationen später, so hätte er Freuds großartige Forschungshypothesen überprüfen und zu Ende führen müssen, anstatt im psychopathologischen Abteil der Psychoanalyse zu verharren und Freuds eigentliches Anliegen auszublenden, im Grunde zu sabotieren. Ohne dies hätte er sich also mit dem Problem der Ursachen und Aufhebung des Familien-spezifischen Narzissmus-Syndroms befasst, das für das ganze Leiden unserer Gesellschaft kennzeichnend ist, und von vornherein gemieden, eine Rechtfertigung für diese Situation zu erfinden.

Es stellt sich die Frage, wieso Grunberger, der sich mit der Freud'schen Lehre befasst hat, ihr geistiges Vermächtnis ignoriert? Nun, Grunberger ist nicht nur – wie alle Familienmenschen – oralnarzisstisch fixiert, sondern spürt auch bewusst seinen auto-/sadistischen Destruktivitätsdrang, weshalb er sich vor ihm in den Mutterleib zurück zu flüchten ersehnt. So wird’s verständlich, warum er die Aggression, die er von vornherein als unheimlich (kannibalisch) auffasst, von der Libido des Säuglings wesensmäßig trennt und deren in dieser Phase natürlichen Narzissmus wissenschaftlich positiv zu vergeistigen und zu verewigen wünscht, während er den Körper – die Quelle der Aggression – als Übel fürchtet und definiert. Das Geborenwerden und das damit verbundene Bewusstwerden des eigenen Körpers fasst er als negative Erfahrungen auf, den vorherigen Zustand im Mutterleib dagegen als Paradies und den Geburtsvorgang wiederum als Vertreibung aus demselben. Die von der Sensationspresse oft berichtete ‚Reinkarnation‘ des im Uterus angeblich scheintoten Ich-bewusstseins in die bis zur Geburt vermeintlich leere Körperhülle vollzieht der ‚Geist‘ Grunbergers Meinung nach äußerst widerwillig, so fasst er demnach den Tod – wie im Mittelalter – als Befreiung vom Leiden (Geboren-Sein; Leben) auf. Bei ihm liegt offensichtlich eine ernste Traumatisierung vor, die aber nicht als biologisch bedingtes Geburtstrauma aufgefasst werden darf – wie so viele Leidensgenossen Grunbergers tun –, sondern als Folge der depotenzierenden Moralerziehung ab dem 3. Lebensjahr. Es ist unglaublich, welche Mühe sich Psychoanalytiker geben, nach einer Rechtfertigung dieser Situation mit all ihren symptomatischen Folgeerscheinungen zu suchen, anstatt die Ursachen der psychischen Krankheiten zu klären um sie effektiv therapieren und wichtiger noch: von vornherein verhindern zu können. Sie gehen offensichtlich davon aus, dass die Entartung der Menschen naturgewollt ist, indem sie die in der Tat naturvorbestimmte Abhängigkeit des Embryo und Säuglings vom schutz- und nahrungsspendenden Mutterleib über die Oralphase hinaus auf den ganzen Rest des Lebens ausdehnen.

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Um zu überleben, brauchen die Naturfrauen, die in ver-schieden großen Gruppen zusammenleben, Nahrung für sich und für ihren Nachwuchs und den Schutz einer Mann-schaft. Sie suchen aber die Schutzmannschaft nicht, sondern nur die Nahrungsquellen. Je nachdem, wie frucht-bar ein Gebiet ist, bilden sich entsprechend größere oder kleinere Frauengruppen. Sie verbleiben an einem Ort, solange die Nahrung in genügender Menge vorhanden ist. Sonst wandern sie umher, zusammen oder sich teilend, wenn die Nahrungsquellen dürftig sind. Die Mannschaften suchen die Frauengruppen und wetteifern um sie bzw. um die Territorien, in denen sie sich befinden oder aufhalten. Je größer die Frauengruppen, bzw. je fruchtbarer die Territorien sind, desto heftiger wird um sie gekämpft. Die Mannschaften brauchen nämlich, um zu überleben, Nahrung, und Nachwuchs, um schlagkräftig zu bleiben. So erobern stets die tüchtigsten Mannschaften die frucht-barsten Territorien, in denen sie am häufigsten Nach-wuchs auffangen können, die optimale Größe von 11 Mann laufend mit jungen Mitgliedern erneuernd, und wo sich für solch' große Mannschaften genügend Nahrung findet, während die Unterlegenen sich mit kleineren Frauengruppen (weniger Nachwuchs) oder gar keinen zu-frieden geben müssen. Da aber in den größeren Frauen-gruppen das mit der Ovulation verbundene Verhalten am häufigsten auftritt, vermehren sich die tüchtigsten Mann-schaften auch am zahlreichsten, dem Natürlichen Auslese Gesetz der besten Erbgutträger gemäß. Die siegreiche Mannschaft erhebt dann Alleinanspruch auf das umkämpfte Gebiet bzw. dessen Lebensquellen: Nahrung & Frauen – und verjagt die unterlegenen Rivalen vom Blickfeld, den Nachwuchs und die brünftigen Frauen ‚schützend‘, greift

Eindringlinge an und schreitet voran, wenn die Frauen-gruppe sich auf Wanderschaft begibt, um das begehrte Neuland zu erobern, bzw. von Rivalen und Artfeinden frei zu machen, wobei sie sich stets aufs Neue bewähren muss. Das Revier ist so groß, wie die Schutzmannschaft an Mitgliederzahl stark ist. Sein Mittelpunkt wird stets von der nahrungssuchenden oder ausruhenden Frauen-gruppe bestimmt, die über souveräne Bewegungsfreiheit verfügt. Indem die Mannschaft durch Aufnahme des männlichen Nachwuchses der Frauengemeinschaft die Zahl von 11 Mitgliedern überschreitet, treten Spannun-gen, Verständigungs- und Handlungsschwierigkeiten der Gruppe ein, die zur inneren Parteibildung führen und beim nächsten Vollmond (Eisprung) im Wettkampf um die Begattung und endgültigen Bruch beider Abteile enden, indem die Sieger die Unterlegen vom Territorium der Frauen vertreiben. Die unterlegen Partei wandern dann aus und wird eine ‚freie‘ Mannschaft mehr unter allen anderen, die die Frauensippen umschwärmen, um sie durch Kampf zu erobern oder wiederzugewinnen. Solange die Grenzzahl von 11 Mann nicht überschritten wird, kämpft die Mannschaft geschlossen nur gegen fremde Gruppen, die die Lebensquellen bzw. das Territo-rium begehren, oder, vom weiblich-sexuellen Verhalten gereizt, angriffslustig geworden sind. Die Frauengruppe wächst dagegen unbegrenzt, solang die Nahrung reicht. Wird sie knapp, teilt sie sich ohne Kampf in angemess- ene Gruppen, nur die Säuglinge mitnehmend. Die heranwachsende Kindergemeinschaft teilt sich nie. Sie folgt geschlossen der größten Frauengruppe (fruchtbars- tes Gebiet). Erst die zur Pubertät gelangten Knaben verlassen sie und folgen der jeweiligen Schutzmannschaft.

Was ist eine „Horde“? ^

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Skizzierung einer therapeutischen Nachreifung Von Seiten der üblichen Psychotherapielehren, die die Eingliederung – meistens die Wiedereingliederung der Arbeitsunfähigen ins gesellschaftliche System zum Ziel haben, wird Freuds Psychoanalyse oft vorgeworfen, dass sie die realitätsfremde Passivität jener Patienten, die die Systems-Anpassung verweigern, dulden oder gar fördern würde – ein Vorwurf, der aus der Auffassung heraus erfolgt, dass – wer konsumiert aber nicht produziert, ein kranker, skrupelloser Parasit sei, während die gesunden realitäts- und verantwortungsbewussten Bürger diejenigen seien, die das ‚Glück‘ auf dem Wege des ewigen Fortschritts (unersättliches Wohlstandswachstum) anstreben. Dies gilt als eine unbestreitbar gesunde Ansicht. Niemand merkt, dass solch Fortschritt anstatt das Glück zu garantieren nur eine Illusion nach der anderen fabriziert, den Menschen von einer zur nächsten Sackgasse verleitend und im Labyrinth des Leidens gefangen haltend. Keiner wird vom „System“ glücklich gemacht, sondern krank. Solche Anpassung jeder Folgegeneration durch die vorherige (Täter-Opferteufelskreislauf) führt zu 2 Wesensent-stellungsformen des geistigen Kanals hin: Glaube an indoktrinierte Lehren und Skepti-zismus (blinde Unterwerfung und chaotischer Widerstand), Gehorsam und Verweigerung (Hoffnung und Verzweiflung); keiner erreicht das Ziel und keiner findet den Ausweg. Während die offizielle Psychotherapie also das Streben nach Glück auf einer illusionä-ren Ideologie verankert, die dem Heilssuchenden lehrt, seine Lebensenergie in der Produktion des eigenen Konsums aufzureiben und die aufopfernde Selbsttäuschung unhinterfragt aufrecht zu erhalten bis er stirbt, strebt die Psychoanalyse die Heilung anhand Aufklärung des Menschen durch Konfrontation mit seinem Betrogen-Sein, dem sich daraus ergebenden Elend, an... anders als Satre, der von den Menschen forderte selbst etwas anderes aus sich zu machen als was andere aus ihnen gemacht haben, mit der demütigenden Erkenntnis, dass sich niemand ohne Leitung und Methode selbst helfen kann. Nicht wegen des angeblichen Unvermögens, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, sondern weil die Erziehungsprägung sich verselbstständigt, zu einem Automatismus werdend, der ohne methodische Ursachenforschung nicht bewusst erkannt werden kann. Also nicht aufhalten, geschweige denn umkehren.

Die Methode, anhand der der in der Familie geborene, durch Isolierung oralnarzisstisch zurückgebliebene und durch Moralerziehung instinktkastrierte Bürger seine Situation realisieren und mittels Nachreifung therapieren soll, ist von dem Naturmodell der Primatischen Kindergruppe inspiriert, in der der Homo sapiens sich ab der analen Phase (ca. 3.L.j.) von seiner Mutter gefühlsmäßig löste, ebenso instinktgeleitet mit den anderen Kindern sozialisierte und zur Pubertät seine psychische Reifung erlangte. Anders als beim Naturkind, dem sich diese Frage nicht stellte, kann die Reifung von uns nur durch bewusst angestrebten Gruppenaustausch nachgeholt werden, der auch dann wenn er sich auf drei Mitglieder reduziert seinen Zweck erfüllt, vorausgesetzt, dass alle über den Sinn der Gruppenbildung und des Austausches vollaufgeklärt sind. Die oralnarzisstische Fixierung wird durch die sich dabei einstellende Gruppendynamik nach und nach aufge-hoben und der zuerst künstlich (rational) angestrebte Einsatz, nach und nach durch die naturgemäße, intuitiv spontane Sozialität ersetzt. Die Aufklärung der Nachreifungs-gruppe wird anhand des Naturmodells der Gruppenbeziehungen angeregt und die

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Heilung der Schäden infolge Familie durch Traumdeutung erlangt, die w. o. g. mit fremder Hilfe und Leitung beginnt, nach und nach aber in die eigene Hand genommen wird, indem die Gruppenmitglieder lernen, ihre eigenen Träume selbst zu deuten und sich bei den Analysen gegenseitig zu helfen.

Um Rückfällen in die heteromanisch geprägte Monogamie vorzubeugen, sollen einge-schlechtliche Gruppen gebildet werden. Gegenseitige Sympathie ist nicht erforderlich, geschweige erotischer Austausch oder das Zusammenwohnen in WG's, denn nicht das ICH muss nachreifen sondern das ES. Auch in der primateneigenen Kindergemeinschaft erfolgte die psychische Reifung nicht aus Sympathie, sondern durch die Bewältigung rein emotioneller Konflikte – v.a. zwischen den Interessen der jeweils ein wenig älteren und den Forderungen der jeweils jüngeren, bei der erfahreneren Trost, Rat und Aner-kennung suchenden Kinder, so soll die sachliche objektive Auseinandersetzung für die aufrichtige konsequente Konfliktbewältigung der Befreiung und Nachreifung des ES gerichtet sein – nicht des Hausfriedens zuliebe. Putzpläne und Politik schlechthin stellen Leistungen der reinen ICH-Reife dar, die vollkommen abgetrennt von der des ES erfolgen kann (Einsteins Syndrom), so soll das Engagement und die Einsatzbereitschaft der therapeutischen Selbsthilfegruppe nicht im Interesse ihrer ICH-bewussten Ansichten (Glaube oder Überzeugung) erfolgen, sondern gemäß der angeborenen Bedürfnisse des ES. Die gefühlsmäßige Verbundenheit der Gruppe soll erst entstehen und sich festigen in dem Maße wie alle inwendig nachreifen, wie in der Urgemeinschaft...

So beginnt die psychoanalytische Therapie mit der ‚sokratischen‘ Hinterfragung des systemgeprägten Ichs einschl. Privatgedächtnis (ÜberIch) anhand Traumdeutung, wobei das im Unbewussten einbetonierte ES wiederendeckt und aus seinem Kerker erlöst wird, es dem Analysand dialektisch fördernd, dass er seine eigene Befreiung und Entwicklung nach und nach immer selbstständiger verwirklichen kann. Dies erweckt in den Augen der Gesellschaft trotzdem den Eindruck, dass der Analysand völlig passiv gestellt würde, ihn lediglich veranlassend, seine Einfälle herzugeben, damit andere sie auslegen, ohne zu merken, welche Anstrengung dies denjenigen kostet, der – um geholfen werden zu können – sein mächtiges Über-Ich selbst herausfordern muss, sich ihm gegenüber behauptend und durchsetzend, und welchen Mut und welche Kraft es verlangt, von dem liebgewordenen Elend Abschied zu nehmen, um sich in den unheimlichen dark continent der psychischen Nachreifung hineinzuwagen...

Die Psychoanalyse fordert nun die Passivität ihrer Praktikanten überhaupt nicht. Das Gegenteil ist der Fall, denn sie arbeitet dialektisch. Sie fördert die Bereitschaft des Menschen, sich in dem Maße wie er die natürliche Bestimmung seines Daseins erkennt selbstverantwortlich zu verwirklichen und die dazugehörige Welt eigenmächtig aufzu-bauen, die höchste Form der Aktivität: die kreative, zu Tage bringend. So liegt die Auf-gabe der offiziellen Psychotherapie darin, den Mensch für das ihn seiner Natur-bestimmung beraubende Systems funktionstüchtig zu machen, wofür sie seine Entar-tung der Normalität anzupassen und die naive Selbsttäuschung anhand rationaler Argumente undurchschaubar zu machen versucht, den Mensch passiv in seinem Krank-sein gefangen haltend, während die Psychoanalyse ihn herausfordert, seine Schäden und Illusionen diagnostisch zu durchleuchten und sich eigenmächtig inwendig zu befreien, zu heilen, selbst zu bestimmen und selbst sein eigenes Glück zu schmieden...

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Der Oidipus-Mythos

Um die Gestalt Oidipus wurden im prähistorischen Griechenland sehr viele Sagen erzählt, die voneinander stark abwichen und sich oft widersprachen, so versuchten die Hellenen, seit sie in dies Gebiet eingewandert waren, diese Erzählungen zu verstehen und zusammenhängend zu ordnen. Der bestgelungene dieser Versuche stammt von Sophokles her, der – auf das Wesentliche zusammengefasst – wie folgt lautet: I. Myhtenkomplex Laios – König von Theben – raubte einmal den schönsten Sohn des Königs von Argos im Knabenalter. Aus diesem Grunde wurde er durch ein Orakel gewarnt, kein Kind mit seiner Frau Jokaste zu zeugen, sonst würde es ihn – einmal erwachsen – töten und sich Jokaste zur Gattin machen. Er hielt sich nun von ihr zurück so gut er konnte, aber einmal schwängerte er sie doch. Das Orakle fürchtend ließ er den neugeborenen Knaben dann gleich – mit durchstochenen Füßen – im Gebirge Kithairon aussetzen. Beauftragt damit wurde einer der Hirten, der die Herde des Königs am Berghang hütete. Der Hirt aber erbarmte sich des Kindes und – da er schon selbst viele Kinder hatte – gab es weiter an einen anderen Hirt, der auf der anderen Seite des Berges die Herde des Nachbarkönigs weidete, damit er ihn als seinen Sohn aufziehe. Dieser Hirt, glaubend dass das Kind ein Hirtensohn sei, wusste, dass sein König kinderlos war und sich heimlich einen Findling wünschte, um ihn als Sohn und Erbe seines Reiches zu erziehen, so brachte der Hirt ihm das Kind, das aufgrund seiner gestochenen Füße Oidipus (Schwellfuß) genannt wurde. Als der Junge erwachsen wurde, ging er einmal hinterm Berg auf Pferderaub und auf einem einsamen Pfad begegnete er einem Reiter, der ihm herrisch befahl, den Weg frei zu geben – für Oidipus eine demütigende Herausforderung. Anstatt sich zu fügen kämpfte er und brachte den Mann um ohne zu ahnen, dass es Laios, der König von Theben – sein Vater – war. So erfüllte sich die erste Hälfte des Orakels... Hoch auf einer Säule im Zentrum Thebens, ließ sich zu jeder Sommerwende eine Sphinx herab, die den Stadtbewohnern Rätsel gab und – wenn sie sie nicht zu lösen wussten – nach einem Jüngling als Siegespreis verlangte, den die Thebaner darbringen mussten um die Zerstörung der Stadt zu vermeiden. So ließ der Stadtrat verkündigen: derjenige Fremde, der der Sphinx an Weisheit überlegen sei, darf der neue König Thebens werden und die verwitwete Königin Iokaste heiraten. Oidipus erfuhr davon, ritt nach Theben und ließ sich der Sphinx ein, die ihm das Rätsel stellte: Was für ein Wesen ist es, das am Morgen auf vier, Mittags auf zwei und am Abend auf drei Füßen läuft? Oidipus löste es auf und die Sphinx stürzte sich – wie alle Wesen ihrer Gattung (Sirenen) tun, der Säule herab. Oidipus gab ihr den Gnadenstoß, wurde König von Theben und ehelichte – ahnungslos, dass sie seine Mutter war – Jokaste, mit der er vier Kinder zeugte: zwei Söhne (Zwillinge) und zwei Töchter. So erfüllte sich das Orakel voll...

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II. Mythenkomplex Unerklärlicherweise brach Jahre später in Theben eine Seuche aus und das Orakle wurde erneut befragt, das als Grund offenbarte: Der Mörder Laios' lebt ungestraft in Theben. König Oidipus ließ nach ihm forschen und so klärte sich, dass er selbst der unwissende Mörder seines Vaters sei. Noch schlimmer war für ihn die Bewusstwerdung, sich unwissentlich der „Blutschande“ schuldig gemacht zu haben. So blendete er sich aus Verzweiflung selbst mit der goldenen Kleiderspange seiner Frau und Mutter und ließ sich zum Kithairon führen – wo er als Kind hätte sterben sollen –, um dort auf den Tode zu warten...

(totemische Fassung) Das Untier blickte den schönen Jüngling höhnisch an und stellte ihm ein beson-ders schweres Rätsel: "Am Morgen ist es vierfüßig, am Mittag ist es zweifüßig, am Abend ist es dreifüßig; doch gerade wenn es sich auf den meisten Füßen bewegt, sind seine Glieder am wenigsten kräftig und behende". Oidipus konnte das Rätsel ohne Schwie-rigkeit lösen: "Das Rätsel bezeichnet den Menschen, der sich am Morgen seines Lebens, in der ersten Kindheit, auf allen vieren bewegt« In der Lebenszeit, da seine Kräfte erstarkt sind, bewegt er sich auf zwei Füßen, während der Greis am Abend seines Lebens wiederum eines dritten Fußes, eines Stabes, als Stütze bedarf". Voller Scham und Wut erklärte der Sphinx sich für besiegt und stürzte sich in den Abgrund...

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Aus der Auseinandersetzung mit der Psychoanalytikerin Christiane Olivier

Es stellt sich die Frage: wie sind die mehrfachen Missverständnisse Christianes bezüglich der Sophokleischen und Freud’schen Auslegung des Oidipus-Mythos zu erklären? Nicht nur lässt sich Chris‘ Darlegung der Mutter-Kind-Beziehung nicht mit dem klassischen Mythos vereinbaren, auch stellt ihre Sicht keine allgemeingültige Erscheinung dar, wiewohl solch Syndrom häufig genug vorkommt in unserer Gesellschaft, so ist seine ausführliche Untersuchung, wie Chris es in ihrem Werk versucht, ein gerechtfertigtes An-liegen der Psychoanalyse.

Eine Mutter, die – aus egal welchem un-/ bewussten Grunde, ihre Tochter ablehnt, affektmäßig vernachlässigt und erotisch frustriert, veranlasst das Mädchen, in seiner Umgebung nach anderen Personen zu suchen, die ihm all dies ersetzen. So ist

es denkbar, dass die Tochter den Vater dafür wählt, was unter bestimmten Bedingungen zu jener einseitigen Fixierung führen kann, von der Chris in ihrem Werke schreibt, nämlich dann, wenn die Tochter solcher Mutter ihrer eigenen Tochter gegenüber deren Verhalten wiederholt, sie nach demselben Muster prägend. Die Ver-nachlässigung des Mädchens als Kind durch die Mutter führt später als Frau zu einer erhöhten Forderung nach narzisstischer Zuwendung von Seiten des Mannes und – wenn er, überfordert, die Flucht von ihr ergreift – fordert sie dann diese Leistung von ihrem Sohn, ihn psychisch entstellend und neurotisierend... Um diesen Sachverhalt geht es im Oidipus-Mythos zwar gerade nicht, auf der Hand liegt aber umso mehr, dass Chris an diesem Syndrom selber leidet. Ihr ist nur nicht bewusst, dass es sich um eine Entartung handelt, so rechtfertigt sie es als

der Frau schlechthin wesenskennzeichnend und greift als Beleg auf den Oidipusmythos, glaub-end, in Jokaste eine heteromanisch-/ mädchen-phobische Mutter zu erblicken, die ihren Sohn unwissentlich auf sich fixierte, als Vatersersatz zu sich ins Bett holte und ins Unglück trieb. Deshalb sollte sich derjenige, der sich weder mit Freud noch mit Mythen- und Frauenforschung befasst hat, mit Chris lieber nicht einlassen... Chris Vorhaben, Freud zu korrigieren und weiter zu entwickeln, strebt vor allem die Klärung der Frauenproblematik an. Die Frau zu ergründen, um sie zu erkennen, ist berechtig. Wenn aber dies Vorhaben anhand Gesellschaftsfrauen verwirklicht werden soll, dann lernt man zwar die Problematik der naturentstellten Frau kennen, nicht aber die eigentliche. Die echte, naturgewollte Frau kann nur biologisch, u.a. anhand der Primatenforschung nachvollzogen werden (nicht für Ungut!)...

Chris Problematik ist aber nicht nur narzisstisch, sondern auch gesellschaftlich bedingt: Ihre Wert- und Glücksvorstellungen sind macht-, reichtums- und prestigebezogen. Da die Frau in unserer Gesellschaft dem Mann gegenüber auf diesen 3 Gebieten benachteiligt ist und diese Benachteiligung sich durch das Mutter-Werden noch verschlimmert, bedauert sie, als Frau geboren zu sein. Sie leidet also unter einem ausgesprochen geschlechtsbezogenen Minder-wertigkeitskomplex, dessen Ursprung und Symptomatik aber im wesensentstellenden Patriarchat (s. IX Gebot; 2. Mose 20) gesucht, also kulturhistorisch und nicht als angeblich bio-psychologisch bedingter „Penisneid“ erklärt werden soll. Chris hat aber offensichtlich – wie so viele andere Psychoanalytiker – keine Ahnung von Megalith- und Primatenforschung, weshalb sie – anstatt den eigentlichen Ursprung und Zweck der im Patriarchat erfolgten Frauenabwertung zu erforschen – lediglich gegen die überholte Verdächtigung des ‚Penisneids‘ protestiert...

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So gut und richtig Chris Vorsatz ist: „Freud zu korrigieren und zu entwickeln“, nutzt er nun nichts, solange die dafür vorauszusetzende Primaten- und Megalithforschung ignoriert bleiben. So greift Chris zwar mit Recht die geschlechtsdifferenzierenden Hypothesen Freuds an (u.a. den ‚weiblichen Penisneid'), es gelingt ihr aber nicht, sie durch fundierte Erklärungen zu ersetzen, so irrt sie im Kreis durch das Labyrinth, in das auch Freud – aus Mangel an den oben hingewiesenen wissen-schaftlichen Erkenntnissen – geraten war, sich noch tiefer als er darin verzettelnd. In dieser Ausweglosigkeit befinden sich allerdings nicht nur Chris, sondern alle Theoretiker nach Freud. Die von ihnen ignorierte ethologische Primaten-forschung legt aber die geschlechtsbedingten Wesensunterschiede des sexuellen Grundverhal-tens – auf das Freud lediglich mittels rein theoretischer Erwägungen hinweisen konnte –anhand faktischer Informationen klar. Ohne dieses Kriterium bleibt die Durchleuchtung und Klärung des entarteten Verhaltens der Kinder und Erwachsenen ebenso unmöglich, wie es utopisch ist, dass der Mensch sich in den patriarchalischen Strukturen des Zusammenle-bens (Familie und Klassengesellschaft) natürlich (instinkt- und artgerecht) entfalte. Hätte Freud im Alter über dies Kriterium verfügt, hätte er seine früheren Arbeitshypothesen revidiert – freilich auch gewürdigt, denn ohne sie gäbe es nicht die neue Primatenforschung. Die ethologi-sche Methode basiert auf Freuds Entdeckung des Projektions-Phänomens... Chris' Vorhaben einer Weiterentwicklung Freuds setzt also voraus, dass sie sich mit diesen Erkenntnisgebieten befasse, sonst verirrt sie sich wie alle Fundamentalisten ewig in o.g. Sackgasse. Psychoanalyse ist auch eine evolutionstheoretisch-/biologische – keine ‚reine‘ Geistes- Wissenschaft. Zur Zeit Freuds herrschten in der Biologie Untersuchungsmethoden, die kaum gestatteten, die Interessensgegenstände der Wissenschaftler vor unbemerkter Fälschung zu bewahren. Freud wusste um das dafür maßgebliche Projektions-phänomen, hatte aber keine Möglichkeit, sich selbst an Ort und Stelle zu begeben, um die

‚modifizierten‘ Berichte mit den Tatsachen zu vergleichen. Erst nach seinem Tode machte sich die ethologische Verhaltensforschung daran, die Gebiete der Großaffen und Südseekulturen von den Projektionen der Forscher zu bereinigen. Wegen ihnen hatten sie nämlich geglaubt, in der Zusammenlebensform der Primaten und fremden Kulturen eben die eigenen, gewohnten patriarchalischen Strukturen zu erkennen, so schlossen sie aus diesem Glaube, dass die mono-game Familie Grundbaustein der Menschheit seit je her und das Streben nach Macht und Konsum ebenso naturgemäß sei. Nun, nicht die Familie ist die Struktur- und Beziehungsform unserer nächsten Verwandten im Tierreich, sondern die egalitäre Horde von 2 souveränen Geschlechtergruppen, Erkenntnisse, die außerdem für den Megalithmenschen archäologisch belegt wurden. Im Spektrum der Wissenschaft 1. ‘84 beschreibt Renfrew Gemein-schaftsgräber, die für Jahrhunderte in Gebrauch blieben und in denen pro Generation ca. 9 männliche und 8 weibliche Skelette bestattet wurden. Dieser Befund deckt sich nicht nur mit den durchschnittlichen Verhältnissen einer Schimpansenhorde, er ist auch unvereinbar mit den das Patriarchat kennzeichnenden Einzelgrä-bern für herrsch-, hab- und prestigesüchtige Priesterkönige, Pharaonen, Kirchen-, Staats- und Wirtschaftsführer gleich welcher politisch-religi-öser Konfession durch alle historischen Stufen unserer gesellschaftlichen Ordnung (s. Theokra-tischer Kreislauf, S. 51)… Erst anhand dieses Kriteriums lassen sich die Hypothesen Freuds berichtigen und weiter entwickeln, wie Chris sich vornahm. Ohne diese Sicht erschöpft sich der akademische Freudianismus in ergebnis-losen Diskussionen über überholte Hypothesen... Nichts anders tut Chris, trotz ihrer guten Vorsätze. Ihr unanfechtbares Verdienst bleibt lediglich, dass sie – trotz fanatischer Epigonen und Irrwege der Dissidenten Freuds – ihren eigenen Selbstbetrug, die Entartung des Familienlebens und der patriarchalischen Strukturen aufzudecken und zu durchleuchten versucht. Sie kennt zwar nicht den Ausweg anhand psychoanalytischer Traum- und

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Primatenforschungen, weiß keine Erklärung für die Missstände und deshalb auch keine Lösung. Sie übt aber als Analytikerin schonungslose Kollegen- und Gesellschaftskritik von hohem diagnostischem Wert... Ihre eigentlich tragische Schwäche besteht jedoch nicht so sehr aus dem Fehlen eines wissenschaftlichen Kriteriums, sondern aus der Ahnungslosigkeit über ihre eigene narzisstische Problematik, die sie – gepaart mit einer völlig falschen Auffassung dieses Phänomens – hindert, den für sich und ‚die‘ Frau gesuchten Ausweg zu erkennen... Diese Fixierung ist bei Chris extrem. Ihre Forderung nach Bemutterung von Seiten des Mannes ist derart, dass man am Ende ihres Werkes den Eindruck behält, dass es in ihm nicht um das ursprünglich angekündigte Vorhaben: Freud zu berichtigen und zu entwi-ckeln –, sondern einzig um ‚den‘ Mann und darum, ihm sein Unvermögen vorzuwerfen geht, bei der Frau die Mutter zu spielen. Sie ahnt also nicht, dass die narzisstische Fixierung vom Wesen her einen naturwidrigen Zustand darstellt, der aufgehoben werden muss, damit der Mensch seine arteigene Entfaltung machen, die psychische Reife erlangen und seine existenzielle Bestimmung erfüllen kann.

Chris dagegen – offensichtlich von Grunberger beeinflusst (Irre geführt ) – besteht darauf, ihren narzisstischen Anspruch auf Regression im Mutterleib vom Manne als Mutterersatz erfüllt zu bekommen, um darin das ‚eigentliche Glück‘ zu erfahren. Ebenfalls glaubt sie, dass die Erlö-sung der Frau vom System unterstützt werden soll, indem es den Mann – eine Art männliches Matriarchat erschaffend – Anhand staatlicher Autorität zwingt, die Mutterrolle bei der Ehefrau zu spielen.... So würde es ihr nicht viel nützen, von der gesuchten eigentlichen Lösung zu erfahren, denn sie setzt die psychische Reife von Mann und Frau in 2 Geschlechtergruppen voraus. Chris will aber keine Selbstverantwortung tragen, keine Selbstbestimmung ausüben, keine Selbstgestaltung ihres eigenen Lebens anstre-ben; So ignoriert sie die Narzissmus-Auffassung Freuds (Regressionsdrang als Folge psychischer Traumatisierung; artwidriger Beziehungsum-stände) und klammert sich an Grunbergers These, wonach der Regressionsdrang keine Pervertierung des Lebenstriebs darstellt, sondern zum eigentlich naturgemäßen Streben nach Glück umdefiniert wurde. Vor solch einem ideologischen Hintergrund ist also kein Wunder, dass Chris die zahllosen Absurditäten und Widersprüche ihres Werkes selbst nicht merkt.

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Die Fragen Chris: Wie ist ‚die‘ Frau wirklich? Welcher Art die Probleme, die sie heute hat? und Wo liegt der Ausweg? – können nur anhand der Primaten- und Megalithforschung durchleuchtet, geklärt und beantwortet werden, denn jedes Mädchen kommt heute – trotz 10 tausend Jahren patriarchatischer Knechtung – immer noch im Vollbesitz seiner intakten naturgemä-ßen Wesenheit zur Welt. Erst durch Isolierung in der Familie und durch Erziehung wird es unterworfen, geistig verwirrt, wesensentstellt und psychisch im Sinne der patriarchalischen Bestimmung auf die Rolle der ‚Frau‘ geprägt. Welches die Anlagen und die Naturbestimmung der Frau sind, lässt sich anhand der Primatenfor-schung rekonstruieren. Erst die Verwirklichung dieses Naturmodells führt zur echten Befreiung der Frau, zur Zurückerstattung ihrer eigentlichen Würde und zu ihrer existenziellen Erfüllung... Der Selbstverwirklichungsweg besteht nicht aus Einzwängung in die Strukturen unseres patriar-chalischen Systems – schon deshalb, weil die geringste Konzession gegenüber der Gesell-schaft zur Entmündigung der Frau führt –, sondern gründet sie sich auf die Neuerschaffung der natürlichen Urstrukturen des Zusammenle-bens: Geschlechtergruppen und Integrierung des Mädchens in die den Frauen angeschlossene Kindergruppe von frühester Kindheit an. Wer ‚die‘ Frau effektiv befreien, wirklich loskaufen und rehabilitieren will, muss sie als Mädchen von Geburt an vor der narzisstischen Fixierung und Domestizierung durch moralische Dressur bewahren, denn nachdem beides eingetreten ist, lässt sich die Wesensentstellung nicht mehr umkehren. Auch nicht durch langjährige Therapie, die zwar die psychische Nachreifung, Beseitigung oder Kontrolle der neurotischen Ängste ermöglicht, nicht aber die Narben der Kindheitserziehung aufhebt. Die Befreiung ‚der‘ Frau ist also ohne unsere Opferbereitschaft nicht denkbar. Wenn aber die Aufopferung den eigenen und Kindern von Gleichgesinnten zugute kommt, dann verschafft die Erkenntnis und Sicherung ihres Glücks ein unschätzbares, Glück ebenbürtiges Genugtum...

Menschen dagegen, die ihr eigenes Glück und die Erfüllung ihrer selbst in den Vordergrund stellen, nur ihre eigene Wiedergutmachung im Auge habend, so berechtigt dieser Anspruch auch ist, verrennen sich in einem aussichtslosen Unterfangen und versäumen dazu die existenzi-elle Gelegenheit, ihrem Leben einen Sinn zu verschaffen... Die eigene Befreiung als Erwachsener ist durchaus erstrebenswert und machbar. Anhand Traumdeutung ist die Erkenntnis der individu-ellen Problematik für jeden möglich, der die Schäden der Kindheitserziehung und der dazugehörigen Entartungen des Verhaltens in den Griff bekommen will. Diese Erkenntnis erleichtert auch die Verständigung mit den Gleichgesinnten, ohne die die Erschaffung einer für die psychische Entwicklung des Kindes geeigneten Kindergruppe undenkbar ist, weil sie muss über eine primatentypische Mindestzahl an Mitgliedern verfügen, eine senkrechte Struktur erlangen, die sich aus allen Lebensaltern – vom 1. bis zur Pubertät – zusammensetzt, und beständig sein, indem sie laufend mit neuen Babys verjüngt wird, den durch die Pubertät bedingten Verlust an Gruppengröße von unten herauf wiederausgleichend. Entsprechend viele Mütter müssen in der Lage sein, sich miteinander so gut zu verständigen, wie es für die Aufgabenteilung und die Auf-rechterhaltung der Gruppe notwendig ist, weil nur Kinder, die einander gut kennen und zusammenwachsen und sich naturgemäß entwickeln, lernen sich gegenseitig ohne Unterwerfung anzupassen, Rücksicht zu üben und Verantwortung zu übernehmen, ohne Einmischung erwachsener „Erzieher“, d.h. ohne die fatalen Schäden der Familienkinder zu erleiden: narzisstische Fixierung und moralische Kastration. Nur aus solchen Kindern werden als Erwachsene wirklich souveräne Menschen, die sich nie entmündigen lassen und die in der Lage sind, echte Geschlechtergruppen zu bilden, die sich gegenseitig souverän ergänzen und helfen, ohne sich einander zu unterwerfen und auszubeuten, egalitäre Oasen in unserer Welt

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erschaffend, die mit der umgebenden Gesell-schaft zu verhandeln und sich der kulturell-zivilisatorischen Errungenschaften zu bedienen wissen, ohne sich einzufügen und einzuschmei-cheln, unverführbar und unkorrumpierbar von Macht, Reichtum und Prestige, da ihnen solche Scheinwert- und -glücksvorstellungen wesens-fremd sind... Diese Gruppen werden nicht mehr wie wir das Gefühl haben, sich für das Wohl ihrer Kinder überwinden und aufopfern zu sollen, weil ihre Instinkte und die Wert- und Glücksvorstel-lungen ihres Denkens im Einklang miteinander stehen, während die Wunschvorstellungen, die wir ihnen opfern zu müssen glauben, egoistisch und widernatürlich sind.. Nicht nur für die Kinder wird die Wiedereinfüh-rung des Horden-Modells zum Vorteil, sondern auch für ihre Mütter, denn in der Kindergruppe kümmern sich die älteren Mädchen und Knaben zunehmend um die jüngeren. Außerdem erlaubt gemeinsame Pflege der Kinder allen Müttern die Teilung der Aufgaben, und dies alles führt zur Entlastung aller. Vollbeansprucht als Mütter werden Frauen naturgemäß nur während der Laktation. In dem Maße aber, in dem das Kind sich auf die übliche Ernährung umgewöhnt und in die Kindergruppe eingelebt hat, nimmt ihre Mutterschaft wieder ab und verfügen sie über mehr Zeit und Bewegungsfreiheit für ihre eigenen Interessen. So kann die moderne Frau nach 1-2 Jahren ihren Beruf wieder ergreifen, wenn sie will, und dies im guten Bewusstsein, dem Kind all das verschafft zu haben, was es für seine optimale psychische Entwicklung, für seiner körperliche Gesundheit und für seine Sicherheit braucht und weiterhin bekommt, während die Gesellschaftsfrau 18 Jahre lang an ihrer Mutterpflicht gebunden bleibt, schließlich feststellend, dass diese langjährige Verkettung dem Kinde nur geschadet hat... Eine trügerische Scheinlösung stellen die Kindergärten, Kinderheimstätten und Heran-wachsenden-Tagesheime dar. Diese staatlichen Einrichtungen verschaffen zwar den Müttern eine gewisse Entlastung und Bewegungsfreiheit, sie sortieren aber – wie die Schulen – die Kinder nach dem Alter, waagerechte Gruppen einrichtend, in denen nur eine Art der Auseinan-

dersetzung: Rivalenkampf – möglich ist. Diese Struktur führt dazu, dass die Kinder nur zwei Anpassungsmöglichkeiten finden und kennen lernen: entweder sich gewaltsam zu behaupten, oder sich zu unterwerfen. Die ersten werden zu ‚Herrschern‘, die zweiten zu ‚Untertanen‘, unsere Klassengesellschaft gestaltend... Nur in einer senkrechte Gruppe, in der alle Altersstufen von 1-12 vertreten sind, findet jedes Kind außer dem Rivalen, mit dem es sich messen, kennen und seine Grenzen austesten lernen kann, auch ältere Kinder, die ihm als Vorbilder, Rückhalt und Zuflucht dienen, ebenso umgekehrt die Möglichkeit, für jene jüngeren Kinder, die sich auf der Suche darnach zu ihm wenden, Verant-wortung zu übernehmen... Nur anhand solch’ eines beständigen, innerlich dreifach geglieder-ten Gebildes reift jedes einzelne Kind psychisch optimal, und nur in einer senkrechten Gruppe kann jedes diese Beziehungskonstellationen her-stellen, vorausgesetzt, dass die Gruppe Bestand hat, nicht wie die üblichen, in denen die Kinder jeden Abend, Monat und Semester auf nimmer Wiedersehen voneinander gerissen und immer wieder von Neuem mit unbekannten psychisch geschädigten Kinder konfrontiert werden... Das Optimale ist also, dass die Kinder vom 1. Lebensjahr bis zur Pubertät zusammenwohnen und dass die pflegenden Mütter sich ablösen ohne ‚ihr‘ Kind mit nach Hause zu nehmen. Dem Zusammenwohnen der Mütter, die nicht in einer derartigen Kindergruppe gewachsen sind, ist dagegen abzuraten, denn narzisstische Frauen, die in der Kindheit nicht gelernt haben Konflikte zu lösen, lernen es als Erwachsene auch nicht mehr. So ist es besser, dass die Mütter in ihren geprägten Zweierbeziehungen bleiben und nur während des nach dem Rotationsprinzip reihum wieder abzugebenden Pflegedienstes bei den Kindern wohnen.. Was die Kinder überhaupt nicht brauchen ist Vaterdienst – wie Chris in ihrem ganzen Werk mit Nachdruck fordert. In der primatischen Urhorde übte die jeweilige Siegermannschaft eine Schutzfunktion des Territoriums aus, in dem sich die im Wettbewerbskampf ‚eroberte‘ Frauen-/ Kinder-Gruppe aufhielt, sorgte sich

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aber allein darum, potentielle Eindringlinge zu verscheuchen, hatte also überhaupt nichts mit der Kinder-Pflege zu tun... Die Annahme, dass Kinder weibliche und männliche Erwachsenen-Vorbilder brauchen, ist nicht grundfalsch, beschränkt sich aber auf pubertäre Heranwachsende, die schon dabei sind, die Kindergruppe zu verlassen, indem sie sich der jeweiligen Frauengruppe oder Sieger-mannschaft zuwenden; Was sie darin suchen und lernen, ist das Verhalten und die existenzi-elle Aufgabe des psychisch reifen Menschen, und beides ist spezifisch der parallel zur psychischen zur biologischen Reife gelangenden Keimzellen. Die kleinen Jungen und Mädchen in der Kindergruppe dagegen wenden sich – und auch erst in dem Maße, wie sie sich ab dem 5ten L.j. ihrer Geschlechtszugehörigkeit bewusst werden – w.o.g. zunehmend an die jeweils etwas älteren Geschlechtsgenossen, an deren größerer Erfahrung und weiteren Vorzügen sie sich orientieren. Im Patriarchat hatte ursprünglich der Vater die Aufgabe, den pubertären Sohn je nach dem als Machtanwärter oder untertänige Arbeitskraft dem System einzuweihen (Pubertätsrituale). In unserer heutigen Gesellschaft erübrigt sich diese Funktion, weil die Mutter ihre Kinder von Geburt an den Forderungen des Systems unterwirft, indem sie sie zuerst psychisch kastriert (‚stuben-rein‘ domestiziert) und dann die modisch aktuelle Geschlechterrolle vorschreibt, den Vater zur Geldquelle reduzierend. Und die Rolle, die Chris in ihrem Buch dem Vater auferlegt: den Sohn vor den sexuellen Gelüsten der Mutter abzuschirmen und die sexuellen Gelüste der Tochter zu befriedigen, hat im Patriarchat keine Allgemeingültigkeit, denn dieser Forderung liegt eine der zahlreichen Entartungsformen des Empfindens in unserer Gesellschaft zugrunde. In diesem speziellen Fall (Chris) ist es für die Kinder im Endeffekt egal, ob dem Vater die unersättliche Mutter vom überforderten Sohn abzuschirmen und die Frustration der Tochter zu lindern gelingt, oder ob er dabei versagt. Denn auch dann, wenn man die Forderung Chris begrifflich korrigiert (was sie mit sexuellen

Gelüsten meint, kann lediglich Hautlust sein)-, begründet sich das primäre Bedürfnis der Kinder nicht auf erotisch gesunde (vulg. ‚bisexuelle‘) Eltern, oder heteromanische Elternteile, die ihre Problematik ‚gerecht‘ verteilen und in ihren Nachkommen betonieren, sondern brauchen Kinder eine primatenspezifische Kindergruppe, in der alle Kinder ihre Lustbedürfnisse und -erfahrungen untereinander austauschen. Erst in diesen Gruppen sind Kinder nicht auf krankge-macht-machende Erwachsene angewiesen und wird die gesunde, naturechte Frau wieder auferstehen, nach der Chris fragt, die aus ihrem gesunden Instinkt weiß, wie sie mit ihren Kindern umgehen soll, ohne sie zu entstellen. Nun; solche Gruppen müssen unsere heutigen, psychisch entstellten Frauen gründen und auf-rechterhalten, bis die 1, Generation glücklicher Naturkinder erwachsen geworden ist und damit fähig, die Gruppenbetreuung zu übernehmen. Die persönliche Heilung, ihr Glück, müssen die Gründerinnen auf dem langen schwierigen Weg der Psychoanalyse suchen, denn leider! gibt es keinen anderen, besseren; aber das Wissen, für die Befreiung der Menschheit beigetragen zu haben, wird für sie eine unschätzbare, unver-gleichliche Genugtuung sein und ihr Leben mit existenziellen Sinn erfüllen... Frauen wie Chris, die nur darauf aus sind, von ihrem Kind los zu werden, um ihre Illusionen zu verwirklichen, sind für dieser Aufgabe ideal. Egal was für unsinnige Theorien sie im Kopf haben: was sie sonst zu wissen brauchen ist nur, wie die Kindergruppe strukturiert sein soll, damit sie mit ihren Leidensgenossinnen zusammen eine grün-den, anstatt ihre Kinder – wie den armen Jérôme – im Kindergarten zu stecken, der ihnen den Rest gibt... Sind die Kinder schon in einer senkrechten, beständigen Kindergruppe integriert, dann können sie ohne großes Risiko auf die üblichen Schulen gehen – je normaler desto besser (Erfahrung machen mit einem realistischen Durchschnittsbild der „Gesellschaft“), und am Besten zusammen mit einem Altersgenossen aus der eigenen Gruppe als Verbündeten, denn

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entscheidend ist, wie die Kinder privat leben und heranwachsen. Von Fremden sind gefühls-mäßig erfüllte Kinder gefühlsmäßig unerpress-bar... Wenig oder gar nichts würde dem Kinde nützen, den Tag über in einer ‚naturähnlichen‘ Kinder-gruppe zu verbringen, Abends aber und am Wochenende Familienleben spielen zu müssen, denn dann würde es mehr oder weniger narzisstisch-fixiert bleiben und als Erwachsener – anstatt sich in eine Geschlechtergruppe zu integrieren – eine ‚bessere‘ Familie gründen wollen, womit das ganze Unglück einen neuen Anfang nähme... Und der Mann, der sein Kind wirklich von der Mutter abschirmen will, soll sie zur Gründung und Aufrechterhaltung einer Kindergruppe bewegen, ihr dabei helfend, anstatt Vater zu spielen, um sich die Schuld für die Wesensent-stellung seines Kindes mit der Mutter zu teilen – wie Chris fordert... Damit ist allerdings für ihn nicht alles getan, denn, wo die Aufgabe der Mutter endet, beginnt die des Vaters. Er muss seinem mannhaftwerdenden Sohn helfen, die geeigneten Beziehungen anzuknüpfen und die nötigen Voraussetzungen schaffen, damit sich eine beständige ‚Mannschaft‘ bildet, mit der er sich der Gesellschaft gegenüber behauptet, dabei die psychische Reifung vollendend d.h. die narzisstische Fixierung restlos aufgebend... Ideal wäre, dass der Vater aus Liebe und Verantwortung für seinen Sohn im Voraus die Gründung und Konsolidierung solch’ einer Männergruppe selbst anstrebte, die den Sohn

und weite Knaben der Kindergruppe, in der Pubertät angelangt, aufnimmt. Dafür müsste er rechtzeitig sowohl nach den dafür geeigneten Männern Ausschau halten, als auch sich selbst auf den Weg der psychische Reifung begeben, denn eine echte, brauchbare Männergruppe setzt die Bereitschaft aller Mitglieder psychisch zu reifen voraus. Nur so können sie sich den irreführenden gesellschaftlichen Scheinwert- und - glücksvorstellungen entziehen. Der Gesellschaftsmann aber, der heiratet, will auf keinen Falle psychisch reifen und sein Leben aus eigener Kraft meistern, sondern ein Kind bleiben und fordert – freilich vergebens – solch Potenzleistungen von seiner Frau, deshalb im Sohn einen Rival erblickend (Laios-Syndrom). So ist es utopisch zu erwarten, dass er aus sich heraus – aus Liebe zu seinem Rivalen – auf Mutterliebe verzichte und solche Anstrengung mache. Es bleibt also nur zu hoffen, dass er sich mit der Zeit – wenn sich seine illusorische Hoffnung auf narzisstisches Glück in Ehe- und Berufsleben verflüchtigt und der heran-wachsende Sohn ihn mit der Realität konfron-tiert hat – dazu entschließe, ihm bei der Suche nach einer Mannschaft für beide zu helfen, um ihm sein Schicksal zu ersparen. Die Praxis aber lehrt, dass auch diese Hoffnung illusorisch ist. Die große Mehrheit der Gesellschaftsmänner wartet bis zum Lebensende – freilich vergeb-lich! auf eine Traummutter und findet sich mit der sadomasochistischen Realität ihrer Ehe (-wünsche) ab. Der Junge aber, der in einer gesunden Kindergruppe wächst, verfügt auf alle Fälle über eine bessere Ausgangsbasis als die „Kinder der Jokaste“...

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Freuds Auffassung des Ödipus-Syndroms

(aus der Arbeit Narzissmus vom Februar 2000 entnommen) All diese pathologischen Phänomene unseres Patriarchats ab seiner Erschaffung bis zur Gegenwart hat Freud gekannt und durchleuchtet – ohne seine Forschungsarbeit wären die Versuche zur Deutung der hier betrachteten Mythen undenkbar. Mit welcher Berechtigung hat er sich aber des Oidipus-Mythos bedient, um die psychische Entwick-lungsproblematik des Familienkindes ab der Analphase (3.-5. L. j.) zu erklären? In der Analphase versucht das Kind zwar – angetrieben vom erwachenden Selbstbe-stimmungs- und Eigenständigkeitsdrang –, sich auf den Weg der psychischen Reifung in Einklang mit seinem körperlichen Wachstum zu begeben und dadurch endgültig von der narzisstischen Mutterabhängigkeit zu lösen. Genau in diesem Alter aber schaltet sich die Umwelt massiv mit Anpassungsforderungen ein, was – meist von der Mutter auf-erlegt – mit einer Maßregelung der bewusst werdenden Ausscheidungsfunktionen und des begleitenden kindlichen Kreativitätsvermögens beginnt, das Kind im Sinne der Sauberkeits-Vorschriften des Haushalts seiner Bezugsperson erzieherisch unterwerfend. Darauf folgen die Gehorsamkeitsforderungen, die das Souveräntitätsstreben des Kindes weiter einschränken, mit dem Zweck, seine Abhängigkeit zur Mutter aufrecht zu erhalten, woran die Zügelung seiner Protestäußerungen schließt, was zuletzt in die Komplettverdrängung (Depotenzierung) der gesunden Aggression endet. Und wenn die Bezugsperson Hautkontakt-phobisch ist, ihn fürchtend und meidend, bekämpft und bestraft sie dazu systematisch die Lustäußerungen und -handlungen ihres Kindes... Solche Eingriffe unserer naturwidrigen Umwelt in die Kindesentwicklung ab der analen Phase verinnerlichen sich in das Über-Ich (Prägung). Derart moralisiert, wird diese Instanz das Verhalten des Kindes für den Rest seiner Entwicklung – ja seines Lebens! bestimmen, es zwingend, sich – anstatt gemäß seiner angeborenen Triebe und Instinkte – im Sinne der auferlegten Erziehung, die es zu seinem Kategorischen Imperativ erhebt, zu verhalten... Das Kind wird also in dieser entscheidenden Entwicklungsphase mit instinktwidrigen Bestimmungen, Tabus und Strafangst verfrachtet, demnach regelrecht totemisiert (wesensentstellt); und insofern von diesen naturentfremdenden Zusammen-hängen im Oidipus-Mythos besonders drastisch die Rede ist (der König macht sich mit der Kleiderspange seiner Mutter selbst blind für seine Triebe, psychisch uneigenständig) ist Freuds Rückgriff auf diese Erzählung, um sie zu illustrieren, berechtigt.

Der Laios-Komplex Passend dazu ist ein Problem, dass die Väter unserer patriarchalischen Familien parallel zur Mutterschaft ihrer Gattinnen kriegen und das nicht das Kind ab der Analphase anbetrifft, sondern sie selbst, und das sich gleich nach der Geburt oder noch davor einschaltet, u.z. der eifersüchtige Hass des narzisstischen Vaters gegen den Säugling, der – durch seinen Anspruch auf pausenlose Zuwendung und auf die Mutterbrust – zu seinem Rival um den Besitzanspruch auf die Gattin (Mutter) wird.... Ob das Kind solchen

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D i e t h e b a n i s c h e n M y t h e n 1 Die Püx (Faustkämpfer) war eine wehrhafte, geis-tig hochstehende Mannschaft mit weitem Über-blick (geflügelt), so gelang ihr ein sehr fruchtbares Gebiet (große Frauen-Kindergruppe) zu erobern. Die Labdakos Mannschaft dagegen geriet häufig in Not und ersuchte bei Püx um Unterstützung, die unter 3 Bedingungen gewährt wurde:

- Unberührbarkeit der Befehlsoberhoheit Püx‘ - Unberührbarkeit der Stammesfrauengruppe (Inzest-Tabu-Herkunft ) und - Unberührbarkeit weiterer Lebensquellen.

2 Als die Daseinskrise unauflöslich wurde, verbün-dete sich die Labdakos-Mannschaft mit ihrem ‚Sohn‘ Laios (Löwe). Sich gemeinsam im Territori-um der Püx-Horde festsetzend, bildeten sie mit deren Mannschaft einen chronischen Stamm, Laios bemächtigte sich aber des Chrysippos (entweder eines Knaben oder Pferdes/ beides Lebensquellen), dadurch das III-Tabu antastend. 3 Aus diesem Anlass beschloss der Rat, die Laios-mannschaft – um sie besser unter Kontrolle zu halten – in einzelne Männer zu zerteilen und jeden mit je einer Frau der Gruppe Iokaste zu verpaaren. Aus diesen monogamisierten Paaren ist die Generation Oidipus geboren, den Stamm in eine Genea verwandelnd, die also aus zwei Schichten oder Kulturen bestand: eine megalithische, deren Mannschaften unter Führung der Püx zusammen traten, und die Schicht der dem Megalithstamm unterworfenen, Tributs-verpflichteten Familen-männer aus der ehemaligen Mannschaft Laios.

4 Mit den Söhnen dieser Familienschicht (Oidipüs-Generation) entstand ein neuer, ungeahnter Typ Mensch: narzisstisch egoistisch, hochmütig, unbe-rechenbar mörderisch (s. Kajins-Syndrom; Hesiods Heroen), so erhoben sie sich wider ihre noch der Urmenschheit entstammenden Väter (Laios) und entmachteten sie (Mythem der Vaterstötung). 5 Seit Stufe 3 hatten sich einige Männer der tote-misierten Mannschaften anhand ‚Kultivierung‘ der Besessenheit profiliert. In einer an Frauenphobie* leidenden Männersekte (Ur-Kirche; Kreon) organi-siert, verstanden diese Chamanen, Oidipus Gene-ration gegen den Urstammrat (Püx) aufzuwiegeln. Dadurch den Minderwertigkeitskomplex (Strafangst) kompensierend, verstießen sie zugleich gegen das geistige (I.) Tabu. Püx erkannte die Monogamiesie-rungslösung als fatalen Irrtum. Die Folgen als Selbststurz einsehend, wurde diese Megalithkultur als Die Flüchtende (Sphygx) im Gedächtnis Thebens verewigt. / * S. auch die Problematik u.a. der Odys-seus-Mannschaft gegenüber den Sirenen)... 6 Unschuldige Opfer aber wurden die Kinder der sich mit ihrer Müttergeneration (Iokaste) monogam paarenden Oidipusmänner, die nicht nur am Narzissmus-Syndrom litten, sondern auch unter den psychisch kastrierenden Terror der Priesterkas-te gerieten – wie Kreons Strafpredigt bald offenbart (s. Orakelswarnung: Du wirst deinen Vater töten und deine Mutter ehelichen), bis heute zur Selbsterkenntnis und Eigenständigkeit unfähige Schwellfüß-Nachkommen bleibend...

1 Püx-Horde gewährt Labadkos-Mannschaft gelegentlich Gastfreudschaft (vorrüber-gehende Stammbidung)

2 Labdakos verbündet sich mit ‚Sohn‘ Laios gegen die Püx; alle 3 bilden einen chron-ischen Stamm. Gezänk der Mann-schaften um Chrysippos (Knaben-/Pferderaub)

3 Püx-Mannschaft behauptet sich. Vereinzelung der Laios-Männer und deren Verpaarung mit den Frauen d. Gruppe Iokaste. Geburt der Oidi-pus Generation.

4 Die zur Masse vermehrte Fami-lienschicht (Oidi-pusgeneration) bringt ihre Väter (Laios) um. Von der Hexerkaste angestachelt, widersetzt sich

5 Oidipus Genera-tion Püx-Rat, dieser ergreift als Sphygx die Flucht. Paarung der Familien-söhne mit der Müttergenera-tion. Von Kreon

6 erpresst wegen des Inzest-Tabu-bruchs, blendet sich Ödipus Generation selbst. (Verdrängung der Erkenntnis- und Handlungsdrang-Potenz)

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Hass verspürt, so dass dies ein zusätzlicher Beitrag zur Verunmöglichung seiner Eigen-ständig wird – wie der Mythos beim Oidipus als Kind seines ihm die Füße durchste-chenden und fesselnden Vaters Laios suggeriert –, sei dahin gestellt; solche Krise ist jedenfalls nicht dem Säugling eigentümlich, sondern seinem Vater. Sie sollte also der Laios-Komplex genannt werden, weil er nichts zu tun hat mit dem eigentlich kastrieren-den, wesensentstellenden Prozess der Potenzberaubung des zur Analphase gelangten Kindes durch die ‚Stubenrein‘ dressierende Moralerziehung – woraus das klassisch psychoanalytische Ödipus-Trauma besteht und wofür meistens die Mutter verantwortlich ist –, sondern bedingt von dem für die Eifersucht maßgeblichen Narzissmus des Vaters (Bettpartners der Mutter). Mit solcher Krise wird also das Kind einer alleinerziehenden Mutter nicht noch extra konfrontiert – was freilich nicht heißt, dass es nicht trotzdem bald am ödipalen Kastrationskomplex leidet... Die kastrierende, Eigenständigkeits-beraubende ‚Instanz‘, ist also die erziehende... Grunbergers Spekulationen Die Vermischung beider Sachverhalte führt dahin, dem Kind Empfindungen zuzuschrei-ben, die erst für narzisstische Erwachsene spezifisch sind. Z.B. die unhaltbare Annahme Grunbergers und vieler weiterer Analytiker, dass sich „beim Kind auf der ödipalen Stufe der Wunsch nach sexueller Vereinigung mit dem gegengeschlechtlichen Elternteil äußert". Solche Begattungswünsche können nur Erwachsene spüren, nicht Kinder in der Analphase, während der ihnen ihre und die Geschlechtszugehörigkeit der Eltern noch nicht bewusst ist, denn diese Erkenntnis erfolgt in der Genitalphase (5.-7. L. j.), wobei der Sexualinstinkt wiederum erst ab der Pubertät (Keimzellenreife) erwacht... Dem Kind ‚Sexualwünsche‘ zuzuschreiben, ist also völlig unwissenschaftlich. Nichts desto trotz versuchen viele Theoretiker, solch morbide Phantasien mit dem seinerseits rein spekulativen Argument zu rechtfertigen, dass, wenn der Oidipusmythos geeignet sei, die Totemisierung des Kindes während der Analphase und die Eifersucht des Vaters auf den Sohn als Rival bei der Mutter zu illustrieren, dann auch für alle weiteren Kompo-nenten dieses mythischen Berichts ähnliche Anwendungsmöglichkeiten zu finden seien. So glauben sie in der Warnung des Delphischen Orakels (sie bezieht sich auf den erwachsenen! Sohn) den heimlichen Wunsch des Kindes nach Begattung (!) des gegen-geschlechtlichen Elternteils zu erkennen, wobei sie all diese mythischen Details offen-sichtlich nicht als Zeugnisse kultur-historisch gestufter Prozesse begreifen, sondern immer als der Familienkonstellation eigentümlich und insofern den Kindern angeboren. Mythen aber entstehend Generationen und Jahrhunderte nach den die jeweilige Kultur traumatisierenden Ereignissen, von denen sie rückblickend berichten, insofern kann die prophetische Warnung: „der Sohn wird zum Rival um die Gattin des Vaters werden“, als Ausdruck narzisstischer Eifersucht wohl den Autoren dieses Mythos zugeschrieben werden, nicht aber Männern wie Laios selbst. Sie wurden soeben monogam gepaart – und werden somit zu Stammvätern aller bis heute narzisstischen Oidipusgenerationen, sie können nur nicht selbst an diesem Syndrom gelitten haben, da in der Primatischen

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Kindergruppe herangewachsen. Was annehmbar ist, ist, dass das Kind gleich welcher Geschlechtszugehörigkeit aufgrund einer angeborenen Ausstattung mit jedem senkrecht emporragenden Organismus oder Gegenstand das Wesensmerkmal der Potenz (Erwach-sen-Sein; Homo erectus) instinktiv verbindet, solch quasi-phallischer Archetyp führt aber weder direkt zu Betattungswünschen, geschweige notwendig zu Rivalität. Annehmbar ist das Gegenteil: dass er beim Kinde zur nachahmenden Empathie führt, die ihrerseits den psychischen Reifungsdrang (Souveränitätsstreben) des Kindes voraussetzt. Auch dieser aber erwacht oder wird erst bewusst ab der analen Phase… Eine grundsätzliche Erklärung von Spekulationen wie Grunbergers bietet die bei der unwissenden Masse übliche Gleichsetzung von ‚Erotik‘ und ‚Sexualität‘. Beide gelten als austauschbare Begriffe, obwohl die mit ihnen gemeinten Phänomene jeweils ganz verschiedene instinktive Bestimmungen haben: Die Erotik – die schon im Mutterleib voll entwickelt ist und von Geburt an aktiv geäußert wird – hat als Zweck die Körper-pflege, für deren lustbefriedigenden Vollzug das Kind vorerst an die Mutter bzw. seine Bezugsperson angewiesen ist, u.z. unabhängig deren Geschlechtszugehörigkeit; die Sexualität hingegen steht im Dienste der Arterhaltung (Umsetzung des Natürliche Zuchtwahl Gesetzes + Vermehrung) und ist erst gegen Ende der Pubertät vollentfaltet. Mangels genauerer Informationen nutzte Freud zwar für beide den seinerzeit üblichen Begriff sexuelle Begierde, er unterschied aber die kindliche Lust von dem erwachsenen Begattungsdrang. Er nannte die kindliche Neugierde, Lusthandlungen und körperlichen Bedürfnisse Partialtriebe der Libido – fasste sie also als Teile der Triebenergie auf, und beschrieb sie als äußerst vielgestaltig (polymorph), wesensverschieden vom Begattungs-drang der Erwachsenen. Heute hätte er erstere Lust-Formen asexuelle kindliche Erotik genannt, die Differenz dieses Instinktes von dem der Sexualität also weiter verdeutlicht. Es ist unglaublich, wie Ilona Kaminier, diesen Sachverhalt ignorierend oder gar sich auf Freud berufend, dem Kind Begattungswünsche zuschreibt!!! Freuds Sexual- und Ödipus-Komplex-Lehre Schon in seinen frühen Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905) erkannte Freud die Lustäußerungen des Kindes als eigenständigen Trieb, so sind sie ab der Geburt mani-fest, während die erwachsene Lust in der Pubertät erwacht und ihr Zentrum in den Genitalien findet. Beim Erwachsenen wirken Erotik und Sexualität nebeneinander und äußern sich verschiedentlich. Ersterer Trieb beinhaltet Sympathie und Zärtlichkeit, dem Menschen schon als Embryo erlaubend, Lust anhand eigener Körperberührung und später durch Austausch mit anderen zu gewinnen, ohne dabei Unterschiede hinsichtlich Alter oder Geschlecht zu machen - (erst die Moral-Erziehung und andere traumatische Erlebnisse führen zur einseitigen oder gar vollständigen Versperrung: Frigidität, der Lustwege hin) –, der zweite Trieb hingegen besteht aus kämpferischer Lust – auch auf Seiten der provozierenden Frauen, und hat als Endziel die Befruchtung. Heute würde Freud den 1. Trieb des psychisch gesunden Erwachsenen genitale Erotik nennen, nicht Sexualität, auch dann, wenn er die Begattung miteinbegreift – solange der Beweggrund Lustge-winn (z.B. bei der Homoerotik) ist –, und den 2. Trieb als eigentliche Sexualität.

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Was das Kind seinen Eltern und der weiteren Umwelt gegenüber äußert, ist also reine asexuelle Lust. Für die Bevorzugung einer bestimmten Person ist aber nicht die Lust maßgeblich, sondern ein weiterer Trieb: die Sozialität, und wenn Männer Männer meiden – wie in der sophokleischen Fassung des Oidipusmythos –, dann lässt sich solch' Patriarchats-kennzeichnende Lust-Reduktion diagnostisch auf traumatische Erlebnisse, die den männlichen Kindern von Männern verabreicht worden sein müssten, zurückführen. Dies ist der Fall in den Frühstufen unseres Patriarchats, wo die Knaben von einer männlichen Priesterkaste ‚Kreon‘ totemisiert wurden (s. a. Margaret Meads Kindheit und Jugend auf Samoa).... Ein Beleg, dass Freud beim Formulieren des Ödipus-Komplex‘ die Erotik und nicht die Sexuelle Begattungslust Erwachsener im Auge hatte, findet sich außerdem in der Tatsache, dass heute alle Kinder – ob männlich oder weiblich – von der moral-totemischen Potenzberaubung betroffen sind, ‚verhängt‘ zu Beginn der Analphase und nicht erst in der genitalen (5. bis 7. L. j.), geschweige denn zur Pubertät, wie in der barbarischen Frühstufe unserer den Totemismus fortsetzenden Gesellschaft, wo wie gesagt nur die Knaben traumatisch ‚initiiert‘ wurden. Insofern sind heute beide Geschlechter vom Oidipus-Komplex betroffen, von Grund auf die Potenzbe-raubung der analen Eigenwilligkeit anbetreffend (erwachender Eigenständigkeitsdrang) – und nicht erst die der Sexualität, sonst gäbe es keine narzisstische Mutter-Tochter-Fixierung oder den Wunsch nach Regression im Mutterleib auch bei Frauen … Führt man die heillos aussichtslosen Dreiecksbeziehungen unter Erwachsenen auf die Eltern-Säuglings-Beziehung zurück, dann soll diese Konstellation von Seiten des Kindes also als aus affektmäßiger Vollabhängigkeit – wie typisch fürs Verliebtheits-Syndrom – zur ihrerseits narzisstisch infantilen Mutter und von Seiten des Vaters als aus narziss-tischer Eifersucht, Neid bestehend aufgefasst werden. 7 Maßgebend sind oral-masoch-istische ‚Liebes‘- und anal-sadistische Hassgefühle – nicht erfüllte Erotik, geschweige denn Sexualität. In der Tat: ein Kind, das von einem Menschen mit Nahrung, Wärme und dem überlebensnotwendigen Minimum an Sympathie versorgt wird, beansprucht diese Mutterperson für sich ganz allein und reagiert aggressiv ablehnend ‚eifersüchtig‘ auf jeden, der das Interesse der Mutter von sich ablenkt, gleichgültig welchen Alters und Geschlechts. Von diesem Muster weicht die klassische Oidipus-Sage zwar ab, allerdings! hat die von Sophokles zur Bühne gebrachte Vater-Sohn-Konkurrenz – auf die Oidipus‘ Nachkommen nachträglich ihre narzisstische Eifersucht projizieren – offensichtlich auch keinen familien-spezifischen Hintergrund, sondern kultur-historische Ursachen... Abgesehen davon trifft Freuds Versuch, den Narzissmus anhand der Oidipus-Sage, wie sie von Sophokles für Athens Theater verarbeitet wurde, zu veranschaulichen, voll zu, nicht nur für die Kleinkinder unserer Gesellschaft, sondern auch für die Beziehungen unter Erwachsenen, denn ihnen allen liegt die narzisstische Mutter-Kind-Fixierung zugrunde... Solch Syndrom beruht auf der nachgeburtlich erfolgenden Verunmöglichung der psychischen Reife, so zeugt weder der Oidipus-Mythos noch der Oidipus-Komplex von angeborenen Phänomenen – wie Grunberger annimmt.... 7 Wie so oft wurde auch dies 3erlei, lange bevor es zum Gegenstand der Wissenschaft wurde, von einem Künstler realisiert, so behandelt Shakespieres Sommernachtstraum die ‚plötzlich‘ aufflammende Verliebt-heitsfixierung einer Person an eine es unerwidert lassende zweite und den Neid einer 3. geradezu seriell..

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Inzest-Spekulationen Was das Kind von den Menschen seiner nächsten Umgebung haben will, ist also lust-volle Berührung (Erotik), nicht sexueller Begattungsvollzug mit dem gegengeschlecht-lichen Elternteil! ... Wie unkritisch grotesk solch Annahme ist, wird – unter vielem anderen – noch deutlicher in der weiteren unfassbaren Spekulation Grunbergers, u.z. Dass das Kind durch seine körperliche Unreife in kaum erträglicher Weise frustriert würde, gäbe es nicht das Inzestverbot, das dem Kind vom gleichgeschlechtlichen Elternteil erklärt wird und dem es sich unterwirft, um den Drang, mit Vater oder Mutter die Begattung zu vollziehen unbeschadet zu überstehen. Grunberger nimmt also wie selbstverständlich nicht nur an, dass die Natur in weiser Voraussicht der kindlichen Körperunreife das Inzesttabu evolutioniert habe und dass das Kind deswegen von Geburt an davon ahnt, sondern auch, dass es sich ihm ebenso einsichtig unterwirft. (!)

Wir haben aber oben gesehen, dass solch Tabu ursprünglich Bestandteil eines Vertrages war, den die Urmannschaften in der Überbevölkerungskrise vereinbart hatten, um sie in Frieden zu überstehen. Dass dieser Aspekt – wie alle weiteren der Urpolitik – das Über-Ich der Menschheit infiltrierte (Versittlichung des Gewissens), von jeder Generationen an die folgende weitergegeben wurde – gerade, nachdem der anfängliche Beweggrund vergessen war – und sich bis heute als Verbot der Blutschande erhielt, heißt deswegen natürlich! nicht, dass der Homo sapiens mit solcher Strafangst geboren würde. Jeder Mensch unseres Patriarchats wird über die Sitten im Verlauf seiner Erziehung ‚aufge-klärt‘, so kennt ein Erwachsener, dem dieser Totemisierungs-Prozess erspart blieb, solche Scheu nicht und noch viel weniger ein Kleinkind, das mit seinen Geschwistern oder Eltern lediglich Berührungslust tauschen will. Wenn es den gleichgeschlechtlichen Elternteil nicht umbringen will, um den anderen zu ehelichen, dann also nicht weil es dafür körperlich nicht gewachsen, geschweige vom Inzesttabu gezügelt sei – wie Grunberger spekuliert –, sondern weil weder Oidipus noch je ein anderes Kind der Menschheitsgeschichte solch' Verlangen gespürt haben, ja sich unmöglich vorstellen kann... (Dass ein Säugling seinen narzisstischen Vater als Rival um die Mutterbrust empfinden und ihn später – wenn er völlig versagt, seinem Sohn oder Tochter gegenüber die illusorisch gute Mutterrolle zu spielen – nur hassen kann, stellt eine andere Sache dar, jedenfalls keine sexuelle...)

Grunberger wendet diesen Mythos unkritisch, unmittelbar, wortwörtlich auf unsere spät-patriarchalischen Familienverhältnisse an, offensichtlich ohne zu ahnen, dass Iokaste und Laios ursprünglich keine Personen, sondern symbolische Konkretationen einer heute verschollenen Lebensform sind: Stellvertreter einer Frauengruppe und einer Mannschaft, deren Mitglieder aus politischen Motiven monogam vereinzelt und erst in dieser Form zu ‚Oidipus Eltern‘ wurden – zugleich wie schon Adam und Eva im Zwei-stromland zum mythologisch-historischen Kernbausein unseres Patriarchats. Diese Familienschicht der Genea Thebens wurde also von einem Rat urmegalithischer Mannschaften (Püx) ‚erschaffen‘ und politisch kontrolliert – dazu von einer totemischen Männersekte (Kreon) erpresst, so litt sie entsprechend außer am narzisstischen Syndrom an einer Pervertierung der Aggression, was sich erst gegen die eigene Vätergeneration (Oidipus bringt Laios um), noch verhängnisvoller aber gegen die Megalithkultur Thebens entlud, ihren Sturz veranlassend (Püx ergreift als Sphygx die Flucht) – ein

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Muster, das sich weltweit in fast jeder Kultur wiederholt. So begann unser heutiges glo-bales Patriarchat und wurde seine lokalen Primitivstufen von Tabus und Perversionen bestimmt, deren Verhängung zwar als autogen wirkender Fluch (s. Ödipus' Selbstver-stümmelung) aufgefasst, jedoch masochistisch beibehalten und im Laufe der Zeit sadistisch verfeinert wurde (Pädagogie), damit unsere Gesellschaft weiter bestehe und zunehmend funktioniere (sog. Fortschritt). Wären Moral, Inzesttabu und Strafangst angeboren – wie Grunberger voraussetzt –, wäre ‚Erziehung‘ gegenstandslos...

Die Narzisstische (!) Reife

Die Totemisierung des Kindes in der Analphase dient nun dem Zweck, es endgültig in der Mutterabhängigkeit zu fixieren, nicht etwa dem (noch eine unter G.s Spekulationen), dass es die psychosexuelle Reife erlange. Im Gegenteil! führt die Erziehung ab dieser Phase zum Abbruch der psychischen Entwicklung. Das Kind wächst zwar körperlich und entwickelt sich ‚geistig‘, emotionell aber bleibt es liebesbedürftig, infantil, egoistisch, hilflos (s. Narzissmus-Syndrom), bindet sich im ‚Rausch‘ der Keimzellenreife an eine neue ‚Liebe‘, unterwirft sich den wirtschaftspolitisch-religiösen Institutionen unseres Patriar-chats, um als ‚Ausbeuter oder Arbeitnehmer‘ zu überleben, und gründet eine neue Familie, in der es seine sinngebende Lebensaufgabe wähnt. In Wirklichkeit findet jeder Bürger sowohl in solcher Partnerbeziehung wie in seinem Beruf und den ‚Ehrenämtern‘ lediglich ein Ventil seines Drangs nach Macht, Reichtum und Prestige, in all diesen persönlichen oder anonymen Bereichen sein narzisstisch fixiertes Verlangen nach illusorischer Mutterliebe (Zuwendung, Aufmerksamkeit) verewigend.

Diese Grundmotivation äußert sich in zwei Grundverhaltensmustern: Entweder trägt der narzisstisch fixierte Mensch seine kindische Ohnmacht offen zur Schau, um über die Erregung von Mitleid Zuwendung zu erangen, oder verbirgt er sie unter megalomanisch kompensierender Scheinpotenz, um über Beeindruckung seiner Umwelt das gleiche zu bekommen. Beide Verhaltensextreme und ihre unendlichen Mischformen weisen also nicht etwa auf psychische Reife hin – wie Grunberger glaubt –, sondern kennzeichnen sie das narzisstisch-sadomasochistische Syndrom, das sämtlichen Phänomenen unserer entarteten (totemisch-patriarchalischen) Gesellschaft zugrunde liegt...

Zusammenfassende Betrachtung

Inwiefern darf nun die ‚Analphase‘ der verunmöglichten psychischen Entwicklung ödipal genannt werden? Eigentlich überhaupt nicht, denn die um Oidipus Gestalt gerankten Erzählungen berichten in ihrer ursprünglichen Form (wie grundsätzlich alle Mythen) von keinem zwischenmenschlich-individuell erlebten Drama – als was es durch Sophokles psychologisierende Bearbeitung erscheint –, sondern handeln von Geschehnissen, die 1000 Jahre umfassen – eher mehr, wenngleich so erscheint als begönne die Erzählung mit der Ankunft der Püx-(Kadmos)Mannschaft am Kithareironsberg. Da aber heute die Totemisierung bei allen Kindern ab ca. dem 3. Lebensjahr erfolgt – sie wie Oidipus' Generation der psychischen Eigenständigkeit (Potenz) beraubt und dem patriarchali-schen System unterworfen werden –, bleibt berechtigt, die anale Phase als ödipal zu bezeichnen: durch diesen Kunstgriff wies Freud auf die Tragik des Familienkindes hin...

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Historisch-anthropologischer Rückblick Der Thebanische Mythenkomplex beinhaltet historische Ereignisse, deren Abfolge sich in 6 Stufen untergliedern lässt. In der 2. ist die Rede von der Bildung eines Chronischen Stammes, dessen Kern aus 2 vertraglich gebundenen Parteien bestand: die Püx-Mann-schaft einerseits und ihr gegenüber Labdakos mit Laios.* Labdakos kam in diesem 3er-Bündnis die unterlegenste Position zu (hinkend), Püx und Laios führten den Stamm nahezu ebenbürtig, indem sie folgende Talente ergänzten: von ersterer das geistig-strategische, von letzterer das körper-kämpferische Vermögen.

* Diese Struktur (zwei Mannschaften, die sich mit einer überlegenen vertragen) deckt sich also mit der, die den 2 Bögen von Stonehenge zugrunde liegt (s.a. S. 56). Laios als Labdakos Sohn darf dann genauso wenig patriarchalisch umgedeutet bleiben, wie u.a. Zeus. Annehmbar ist erst, dass die Labdakos-Mannschaft durch Aufnahme eines Jungen aus der Frauen-/Kindergemeinschaft ihre 11-Zahl überschritt, beginnend, sich in zwei Gruppen zu zerteilen: aus Labdakos erschien zusätzlich Laios… Auch diesen Vorgang bringt das Monument zum Ausdruck, u.z. anhand des Steins x 11. Nur halb so stark gebaut wie die anderen 29 Menhire des Kreises x, symbolisiert er einen Knaben, den die Mannschaft z1-11 bei sich aufnahm, um entlang der Kampfbahn und eines Wettschwimmens im Avon ihre 2-Teilung zu absolvieren. Infolge dieser Anstren-gung waren oft Tote zu beklagen (der Gefallene z 12) Da sie sich aber im Zusammenhang der Sexualität vollzog (N.A.G +

Vermehrung), erobert die abends von der Fluss-Mündung zurückkehrende Siegerpartei am Eingang die Begattung des Kreises 1 (50 Frauen), die Verluste kompensierend… Bemerkenswerter Weise orientiert sich die künstlerische Abbildung dieses Vorganges durch das Monument an einem Phänomen, das erst jüngst wiederentdeckt wurde, nämlich die Generierung der Organismen entlang des Goldenen Schnitts. Von den alten Griechen treffend die Göttliche Proportion genannt, kennzeichnet jene Lebewe-sen, die diesem Verhältnis am besten entsprechen (Plus-Mutanten), eine außergewöhnliche Schönheit und Stabil-ität gegen Störfaktoren – kämpferische Tüchtigkeit …

Nord-Ost z1 am Morgen

137,5°

222,5° 1 am Abend, Süden West

Gemeinschafts-gräber

Goldener Schnitt

360 : 222,5 = 222,5 : 137,5. Kreis x aus 30 Steinen: 30 zu 19, wie 19 zu 11.

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So bildete sich aus diesen für das urpolitische Gebilde maßgeblichen Fähigkeiten: Püx geflügelter Überblick des Himmels herab und Laios ‚erdgebundener Löwen-Kraft, ein Doppelbegriff, der – die Püx-Frauengruppe als Gesichts-gebend mit umfassend – als politische Chimäre in Thebens Geschichte einging und oft durch die Künste zum Ausdruck gebracht worden ist...

Der Wendepunkt dieser Kultur fand anlässlich des von Laios begangenen Pferde- oder Knabenraubes statt; diese Verletzung der II. Vertragsbestimmung (s.o.) veranlasste Püx, die Männer der Laiosmannschaft mit Hilfe Labdakos oder weiterer Mannschaften zu überwältigen und vor die Wahl zu stellen: entweder das Stammesgebiet geschlossen zu verlassen, oder jeder für sich eine Kleinparzelle des Territoriums zu beziehen, deren Boden Nahrung bieten und als Zugabe mit je einer Frau der Gastruppe Iokaste ergänzt würde, mit dem doppelten Zweck, den vereinzelten Mann für seine Unterwerfung unter den Megalithstamm zu entschädigen (die Urfrau galt den Mannschaften als Fruchtbarkeitsarche-

typ wie Gaia, Mutter Erde) und – als Herr über die Frau – ein Ventil für die verunmöglichte Mannschaftskampfaggression zu bieten. Dies Angebot nahmen die Laiosmänner an, so entstand in Theben eine Schicht monogam gepaarter Familien, die vom Megalithstamm ‚Spüx‘ politisch-ökonomisch verwaltet und einmal im Jahr vereinbarungsgemäß zur Ablieferung eines Teils der Bodenerträge ‚heimgesucht‘ wurde... Dass Laios sowohl als Individuum und König Thebens gilt, als auch im Löwenleib des ‚Spüx‘ steckt:

die Megalithkultur, deren Rat sich w. g. alljährlich bei der Siegessäule herab-ließ und die Familienmänner Thebens – wie die Art solcher Wesen war – zum sexuellen Wetteifern auf dem Gebiet der geistigen Leistungen herausforderte, im Falle seiner Überlegenheit auf dem vereinbarten Tribut bestehend,

– scheint ungereimt. Es klärt sich aber auf dem Wege der Annahme, dass sich der Spüx für Thebens Familien zu einem chthonischen Symbol gewandelt hatte. So stammt der Löwe von Laios Mannschaft, die de facto seit Einführung der Monogamie nicht mehr existierte, deren Leib aber der Gewohnheit wegen dem Bildnis der Megalith-Kultur zugeordnet blieb, während Laios zum Inbegriff der von ihr kontrollierten Familien-schicht Thebens wurde. Darin war – wegen des göttlichen Ratschlusse des Spüx – Jedermann König über die ihm assignierte Gattin (Iokaste)....

Ob Sophokles bei der Verarbeitung des thebanischen Mythenkomplex‘ von der im Bildnis des Spüx verborgenen Urlebensform und -weise der Menschheit gewusst habe, sei dahingestellt. Jedenfalls beließ er es bei dem chthonischen Symbol, schlimmsten-falls aus Rücksicht gegen die athenische Familienmasse. Davon abgesehen ist die poetische Verarbeitung dieser Mythen zur Oidipus-Tragödie genial genug, denn darin schrieb er dem Familienkind Oidipus rollenmäßig zwei Funktionen zu:

• Dadurch, dass er dem neugeborenen Oidipus vom Vater die Füße durchstechen lässt, weißt er unmissverständlich auf die vom totemischen System mittels Erziehung voll-streckte Potenz- bzw. Eigenständigkeitsberaubung hin, ein Prozess, der ins Über-Ich geprägt und dort verdrängt wird (infantile Amnesie).

• Dadurch, dass Sophokles dies unwissende Opfer – als es körperlich erwachsen war – in Konflikt mit dem selben System geraten und darüber siegen lässt (Oidipus bringt seinen Vater um), erweist er ihn wiederum als Gründer unseres patriarchalischen

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Systems, das sich anmaßt, geistig über die megalithischen Kulturen triumphiert zu haben, obwohl die Urmenschheit von der sich ungebremst vermehrenden Familien-masse lediglich ‚hinweggeschwemmt‘, d.h. abgeschafft, umgebracht oder ihrerseits zum Wechsel in die monogame Existenzform gezwungen wurde (s. Sinflutsmythen).

Wie überkompensatorisch solch in Wirklichkeit abgrundtief tragischer ‚Triumph‘ ist, bringt Sophokles durch Oidipus' Selbstblendung auf die Bühne, ihn dadurch das aus-drücken lassend, was er seit seiner frühkindlich erlittenen Potenzberaubung war: Opfer des Totemismus, seither aber aus den Augen verlor und auch als Erwachsener nicht anschauen kann, der ins ÜBER-ICH verinnerlichten, mörderischen Strafangst wegen.... Diese Sophokles'sche Fassung steht also in Einklang mit den historischen Ereignissen, während der ein urmegalithischer Stamm die Männer seiner rebellischen Mannschaften, anstatt sie vom Territorium zu verjagen, vereinzelt und monogam mit Frauen gepaart bei sich wohnen ließ, dessen totemisierte Abteilung Kreon auf den zu Tabus erstarrten Vertragsbestimmungen beharrte, die die Erziehung (Pubertätsritale) erfand und nach und nach zunehmend verfeinerte, die Massenvermehrung und den Machtdrang der Familien förderte und den Untergang der Urmenschheit in Theben herbeiführte. Der Sinn (die Weisheit) des delphischen Orakels (ein der Spüx wesensidentisches, nur nicht Theben selbst sondern ganz Hellas beratendes Symbol) besteht nun darin, die Mannschaft Laios gewarnt zu haben, ihre Knaben auf keinem Fall artwidrig zu behandeln, sonst ist unvermeidlich, dass Leid entsteht, dem letztlich seine Urheber selbst zum Opfer fallen würden. Dass die Urmenschheit diese weise Stimme der Natur (s.a. Sokrates Daimonion) nicht verstand oder wider besseres Wissen in die Irre ging, sie gänzlich ins Tiefe Unbewusste verdrängend, kennzeichnet Hellas' und unser aller Tragik... Ihr Anfang liegt nun in der chronisch gewordenen Überbevölkerungskrise. In solcher Situation verfügt der Homo sapiens – anders als sein nächster Verwandter (dessen Gruppen sich in auswegloser Raumnot w. g. bis zur Vernichtung der unterlegenen bekämpfen) – seines höher evolutionierten Geistes wegen über die Voraussetzung, seine verfeindeten Mannschaften Verträge schließen zu lassen, die ihnen erlaubten, die Krise als Stamm gemeinsam zu überbrücken. Es wurden also Bedingungen (Rechte, Pflichten) vereinbart, deren Befolgung das friedliche Zusammenleben im Territorium gewährten und die das Natürliche Auslese Gesetz widergeben, da die unterlegenen Mannschaften der Sieger-mannschaft die Vorteile auf drei maßgeblichen Gebieten des ES überließen:

I- geistig hinsichtlich der Führung (Überblick), II- in Bezug auf die Lebens- (Nahrung, weitere Güter) und III- Quelle der Knaben (Frauen; Mittel der Mannschaftsverjüngung).

Insofern stellt Urpolitik eine natureigene Errungenschaft dar, ja die höchstdenkbare Kulturleistung überhaupt, denn der Preis der ‚Waffenruhe‘ im Stamm war die aus Einsicht selbst auferlegte Selbstbezähmung des ES in seinen mächtigsten körperlichen Forderungen: territorialer und sexueller Mannschaftskampfdrang... Dass der Geist des Lebensmoleküls dies vermag – gestattet von der artikulierten Sprache des Homo sapiens, anhand der die Gehirne von bis zu 11 Männern wie ein einziges kommunizierten –, liegt also

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in der menschlichen Natur, ihrem ES bzw. Libido. Allerdings! nur solange, wie das einmal kämpferisch festgestellte Überlegenheits-Unterlegenheitsverhältnis mit der entsprechend ungleichen Verteilung von 'Rechten und Pflichten' nicht verabsolutiert sondern periodisch erneuten Prüfungen unterzogen wird, der männlichen Sexualität (Natürliche Auslese Gesetz) dadurch ihren Lauf lassend. Ein mythisches Relikt solcher Gelegenheit bietet das alljährliche Rätselraten dar, mit dem ‚die Sphinx‘ Thebens Mannschaften zu einer erneuten Probe der Berechtigung ihres im Vorjahr behaupteten Führungsanspruches herausforderte, und noch deutlicher zeigt es sich in den olympischen Kampfspielen, zu denen Sparta die Mannschaften der Hellenen insgesamt lud – ein Brauch, dessen instinktgelenkter Sinn freilich durch den Arbeitsvertrag (die Abgabeverpflichtung zu Ungunsten der in den Stämmen unterlege-nen Mannschaften) von vornherein aussichtslos erscheint. Ohne ‚Freizeit‘ lässt sich weder Forschung betreiben (Überblick auf das Weltgeschehen gewinnen, um seinen Rätseln gewachsen zu sein) noch der Leib methodisch ertüchtigen, doch fanden sich die betroffenen Mannschaften nicht damit ab, lehnten sich immer wieder auf, mit dem Ergebnis immer erneuter Niederlagen und der parallel zur wachsenden Bevölkerung zunehmenden Verschärfung ihrer Abgabeverpflichtung, ein Teufelskreis, der schließlich zur Entstehung der Totemischen Kulturen führte, in denen sich der Mensch der Warnung seines Über-Ichs vor dem Verstoß gegen die verinnerlichten Verträge nicht mehr entziehen kann. Aus der Sicht solch‘ versittlichter Mannschaften wird also der ‚weise‘ Megalithrat (Spüx) zu einem grausamen, ausbeuterischen Ungeheuer, das ihnen von irgendwo herkommend (eigentlich aus dem eigenen Über-Ich) arglistig ‚Fangfragen' stellt und mit dem Tode droht, wenn sie nach der falschen Antwort seinen Forderungen nicht gehorchen... In Wirklichkeit lebten im Theben dieser Zeit also zwei Kulturen: eine urmegalithische und die totemische, der ersteren unterworfen; demgemäß gibt es zwei Arten von einander teils widersprechenden Oidipusmythen, die in Hellas nebeneinander erzählt wurden und die Sophokles kunstvoll miteinander verflocht, um seine und Athens Tragödie psychodramatisch zu verarbeiten...

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Ein rein megalithischer Oidipusmythos berichtet über das weitere Schicksal Thebens, nämlich anhand Oidipus-II, der als von Theben ausgewandert gilt, dabei gesund war – er stellt auch eine pferde-/knabenraubende Mannschaft dar – und nach Theben zurück kehrend die bereits totemisch wehruntüchtig gewordene Schicht anfällt und unterwirft (Laios Ermordung).... Iokaste meint hier noch keine Einzelfrau, sondern eine Frauengrup-pe, die auf ihrer Wanderschaft nach Theben gelangte und von Laios vor Angriffen durch Artfeinde geschützt wurde, wobei diese Mannschaft seit ihrer Seßhaftwerdung an Thebens fruchtbarem Acker nicht hindern konnte, der sich als überlegen erweisenden Mannschaft Püx immer wieder die tüchtigsten der zur Pubertät ihrer Kindergruppe entflüchtenden Knaben überlassen zu müssen. Solch Vereinbarung war und galt als eine reine Männerangelegenheit, sie betraf also nicht die Frauengruppe, die genauso sou-verän wie ihre ursprüngliche Schutzmannschaft Laios war und es auch blieb, nachdem diese, die Vertragsbedingungen verinnerlichend, ihre Urfreiheit eingebüßt hatte. So blieb der Gruppe Iokaste die Wesens- und Verhaltensentstellung erspart, während die Moralisierung des Gewissens unter den der Spüx tributsverpflichteten Mannschaften das Phänomen der totemischen Besessenheit und Hexerei entstehen ließ, das nach und nach zur Herausbildung einer Schicht von Schamanen führte, die vom urmegalithisches Stammesrat – weil als wesensfremd empfunden – nicht mehr als ‚Löwe‘, sondern als Gebrüderpaar (Kreon) Jokastes aufgefasst wurde. Dieser Begriff – wir kennen ihn von den titanischen Mannschaften Epi- und Prometheus – gelangte schon im 2. Mythem zur Bedeutung, seit sich die Mannschaft Labdakos mit ihrem ‚Sohn‘ Laios verbrüderte, Labdakos aber galt bereits als totemisiert (hinkend) und so blieb es weiterhin, ja wurde ärger, denn die Schamanen ersannen Pubertätsrituale, anhand derer die Knaben vorsorglich zur totemischen Sittlichkeit ‚initiiert‘ wurden, und vermehrte sich diese Schicht derart, dass der Rat der urmegalithisch gebliebenen Mannschaften gezwungen war, sie als eine in Theben neben sich waltende Macht zu dulden. III. Myhtenkomplex Die Mythen um Laios Nachkommenschaft sind von bösen Omen beschattet. Die ahnungslos heimkehrende Oidipusmannschaft wird gleich mit der Hinfälligkeit des totemisierten Menschen konfrontiert. Aus der alten megalithischen Theben ist ein zwielichtiges Ungeheuer geworden, aus dem sich unsere moderne patriarchalische Gesellschaft entwickeln wird. Iokaste, die sich beim 2. Mythem als Frauengruppe am fruchtbaren Acker Thebens, reich an Lebensquellen und Nachwuchs angesiedelt hatte und um die die Mannschaften der ganzen Umgebung ständig wetteiferten, wurde von der opportunistischen Hexerkaste bedrängt, und geriet auch die Mannschaft Oidipus unter diese unheimliche Macht, als sie den von dieser Schicht ausgerufenen Siegespreis zum Sturz der Spüx akzeptierte, ihr Mannschaftszusammenleben aufgebend.... (vgl. den der „Irrfahrt“ wegen schließlich mannschaftslos in Penelopes Hafen strandenden Odysseus).... Die Ehe von Iokaste und Oidipus wurde zum Fundament der ersten patriarchalischen Machtdynastie Thebens. Oidipus und Iokaste symbolisieren keine Geschlechtergruppen mehr, sondern sich selbst. Diese Individuen wurden nicht vom megalithischen Stammrat – den Oidipus Mannschaft stürzte (s. flüchtender Sphygx) –, sondern von der Priester-

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kaste Kreon monogamisiert, also eine Urkirche, die Thebens Familienmasse mit den totemischen Tabus (Strafangst) terrorisierte und sich mit dem von ihr als militärische Macht eingesetzten Adel die Herrschaft, den Grundbesitz, Reichtum und die enteignete Bevölkerung Thebens als ‚Leibeigene‘ teilte, ein Primitivpatriarchat gründend, aus dem sich eine Feudal- und schließlich eine kapitalistische Klassengesellschaft entwickeln wird, die sich dieses Mythenkomplexes als Stoff ihrer klassischen Tragödien bedient.... Entstehung des „Patriarchats“ Alle Mythen, die über den Beginn unserer Gesellschaft berichten, wie die Paarungen Oidipus(II)-Iokaste, Epimetheus-Pandora, Adam-Eva usf., haben gemein, dass sie wie von einem schicksalhaften Fluch bestimmt scheinen, den die Protagonisten weder ahnen noch abwenden können, dennoch erklärt man sie für schuldig am Leiden der Mensch-heit, das sich aus dieser Verfluchung ergibt. Schuldig machen sie sich durch die Berührung eines Tabus, und als erstes und am stärksten trifft der Fluch die Frau – darnach den von ihr ‚verführten‘ Mann und von da ab all ihre Nachkommen bis heute.

Jene 1. Frau, die als Urquell allen Leidens gilt, war aber erstaunlicherweise in ihrem Empfinden und Handeln gesund. Eva fand z.B. gut, durch Kosten vom tabuisierten Baum der Erkenntnis göttlich zu werden; dieser Zusammenhang (Erkennen, Göttlich) gilt bis heute als unanfechtbar. So brachte auch Pandora den Menschen gern eine Büchse voll göttlicher Geschenke, genauso wenig wie Eva ahnend, dass die Götter sie nur benutzten, um den Menschen, die sie glücklich machen wollte, eine Falle zu stellen, die alle ins Verderben stürzen würde. Für genauso weise erachtete Iokaste Kreons Forderung, dass die Monogamisie-rung des Mannes beständigen Friede auf Erden bringen würde, erklärte sich bereit, ihr Gruppenleben zu verlassen um Oidipus Gefährtin zu werden, lenke ihn ab vom kämpferischen Mannschaftsleben und zog in dieser ‚Familie‘ vier gemeinsame Kinder

groß in der Überzeugung, sie würden aus Theben ein friedliches Paradies machen... Keiner dieser Frauen und Männer ahnte, dass das System, das ihre Monogamisierung veranlasst hatte, neue Wert- und Glücksvorstellungen anstrebte, die völlig verschiede-nen von denen der Welt, in der sie geboren wurden waren, ja diese alten Empfindungen und Vorstellungen galten in der neuen patriarchalischen Ordnung als Unwerte, so mussten sie verdrängt werden, damit das neue System sich erhalte, wachse und

Jokaste vor Kreon

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gedeihe. Die natürlichen Impulse galten als sündhaft und strafbar, so wurden sie methodisch bekämpft und – wenn ihre Befriedigung unabdingbar war, dann nur anhand komplizierter heikler Rituale gestattet, wobei Missgriffe, auch ungewollte, unheimliche, oft zu Tode quälende Geister wachrief.... All dies Leiden traf die unschuldigen Gründer des Patriarchats und ihre Kinder bis heute. Ihre Schicksale sind sogar noch leidensvoller als die der Gründer. Auch hierbei gibt's Parallelen: Die Zwillingssöhne Iokastes und Oidipus' haben sich nicht weniger als Kain und Abel gehasst. Ihre Töchter Antigone und Isme starben tragisch und rissen andere in den Tod mit. Dass die ersten monogam gepaarten Frauen und Männer psychisch gesund waren, konnte also nicht verhindern, ihre eigenen Kinder zu verderben, denn maßge-bend hierfür wird nicht die Mühe oder das Versagen der Eltern, ihren Kindern Zuwen-dung zu bieten, sondern der Auftrag des Systems, sie seinen Ansprüchen gemäß zu erziehen, und vor allem das Fehlen der großen Kindergruppe, in der jedes Kind seine Anlagen im Einklang mit denen der anderen Kinder vollentfalten kann, was das Familienleben verunmöglicht, da unvereinbar mit den Ansprüchen des Patriarchats. Der Fluch, der aus der Büchse der Pandora entfloh: Unmenschlichkeit, Unrecht einerseits, degenerative körperlichen Krankheiten anderseits, die den Gründern des Patriarchats – mehr noch ihren Nachkommen aufgebürdet wurden und deren eigentliche Abkunft niemand kennt, ja der mythischen Erklärung nach von Göttern bewusst verursacht wurde, die demnach reinste Sadisten gewesen sein müssten, nicht besser als ihr entartetes Geschöpf, besteht also aus der Einführung der Monogamie unter den rebellischen Mannschaften, um das Zusammenleben in den Stämmen der Urmenschheit zu befrieden – an sich eine effektive Maßnahme der Megalithkulturen, ihre Territori-umskonflikte zu befrieden und die Überbevölkerungskrise zu überbrücken. Dieser Eingriff war nicht böse, sondern im Gegenteil! realistisch, sinnvoll, menschenliebend... Den Megalithräten, die als erste in der Menschheitsgeschichte diese Maßnahme ersannen und umsetzten, fehlte also lediglich die Erfahrung mit den unvorhersehbaren verhängnisvollen Folgen dieser Abschaffung der evolutionsmäßig entstandenen Form des Zusammenlebens; hätten die ‚Weisen‘ geahnt, welche Auswirkungen sie haben würde, hätten sie vorgezogen, in der ständigen Unruhe der Binnenkämpfe ihrer Stämme zu bleiben, zu der die Raumknappheit die Mannschaften zwang. Solche immer wieder in schwere Krisen mündende Unruhen hätten die Menschheit wiederum gedrängt, die eigentliche einwandfrei richtige Lösung zu erkennen: die Regelung der Geburten; dann wäre uns der Fluch der narzisstischen Wesensentstellung und genetisch degenerativen Krankheiten erspart geblieben...

Das Unwissen über die Abkunft ihres naturfremden Leidens veranlasste die Menschheit indes, nach Rechtfertigungen zu greifen, die es auf einem „Bösen“ der Natur selbst verankern und die seinen Ausbruch zurückführen auf die Verfluchung durch eine höhere, ‚göttliche‘ Macht: Die uns bekanntesten solcher Mythen sind: der Sündenfall Evas, Adam ebenfalls zur Sünde verführend, und die Büchse der Pandora, auf Zeus' Befehl hin erschaffen zum Zwecke der Vergeltung, Prometheus' Feuerraub wegen...

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Titanen-Mythen

Prometheus-Mythos – nacherzählt von Gustav Schwab

Himmel und Erde waren geschaffen; das Meer wogte in seinen Ufern, und die Fische spielten darin; in den Lüften sangen beflügelt die Vögel; der Erdboden wimmelte von Tieren. Aber noch fehlte es an dem Geschöpf, dessen Leib so beschaf-fen war, dass der Geist in ihm Wohnung nehmen und von ihm aus die Erdenwelt beherrschen konnte. Da betrat Prome-theus die Erde, ein Sprössling des alten Göttergeschlechtes, das Zeus entthront hatte, ein Sohn des erdgeborenen Uranus-sohnes Iapetos, kluger Erfindung voll. Dieser wusste wohl, dass im Erdboden der Same des Himmels schlummerte; darum nahm er vom Tone, befeuchtete ihn mit dem Wasser des Flusses, knetete ihn und formte daraus ein Gebilde nach dem Ebenbilde der Götter, der Herren der Welt. Diesen seinen Erdkloß zu beleben, entleh-nte er von den Tierseelen gute und böse Eigenschaften und schloss sie in die Brust des Menschen ein. Unter den Himmlischen hatte er eine Freundin.. Athene, die Göttin der Weisheit. Diese bewunderte die Schöpfung des Titanensohnes und blies dem halbbeseel-ten Bilde den Geist, den göttlichen Atem, ein. So entstan-den die ersten Menschen und füllten bald vervielfältigt die Erde. Lange aber wussten sie nicht, wie sie sich ihrer edlen Glieder und des empfangenen Götterfunkens bedie- nen sollten. Sehend sahen sie nichts, hörten hörend nicht; wie Traumgestalten liefen sie umher und wussten sich

der Schöpfung nicht zu bedienen. Unbekannt war ihnen die Kunst, Steine auszugraben und zu behauen, aus Lehm Ziegel zu brennen, Balken aus dem gefällten Holze des Waldes zu zimmern und mit allem diesen sich die Häuser zu erbauen. In sonnenlosen Höhlen wimmelte es von ihnen wie von beweglichen Ameisen: nicht den Winter, nicht den blütenvollen Frühling, nicht den früchtereichen Sommer kannten sie an sicheren Zeichen; planlos war alles, was sie verrichteten. Da nahm sich Prometheus seiner Geschöpfe an: Er lehrte sie den Auf- und Nieder-

Frauengruppe Gaia (Erde) gebiert Uranos Mannschaft (Himmel) und alle Lebewesen. Lokale Überbe-völkerungs-krisen – Uranos bildet mit seinen titanischen Söhnen befristete Stämme.

Kronos – jüngste Sohn- bzw Ableger-mannschaft Uranos' – gründet mit den Titanen Hyperion und Iapetos einen chronischen Stamm. Beute-ablieferungs-vertrag – Beginn der Totemisierung

Prometheus u. Epi-metheus (Ableger der Iapetos-Mannschaft) vertragen sich mit Kronos-Sohn Zeus. Prometheus erlöst die Triebenergie von ihrer Verdrängung ins Unbewusste (Feuer-Raub). Folge: er zankt mit Zeus um ein Rind. Zeus-Horde erschafft Pan-dora: Epimetheus wird monogamisiert.

Prometheus, nun ohne Rückhalt seiner Bruder-mannschaft, ent-flieht in den Kaukasus, in Hellas brechen die Übel aus: Pandoras Büchse geht auf. Der sich ungebremst ver-mehrenden Famil-ienmasse gilt Zeus als ihr Schöpfer, ist er doch gepaart

mit Hera: Göttin der Ehetreue. Es entstehen Perversionen (Typhäos), die mit Zeus um die Weltmacht rin-gen; Zeus ver-drängt sie – durch Tugend – in die Unterwelt und ordnet seinen Untertanen die Funktionen.

Prometheus wird vom Patriarchat im Kaukasus ge-fesselt, Opfer seiner Revolte (Selbstzerstör-ung; Leberfraß). Kratos und Bia (Zwang u. Gewalt) ergreifen Epime-theus: er hängt – linkisch – an Pandoras Büchse (narzisstischer Regressions-drang.

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gang der Gestirne beobachten, erfand ihnen die Kunst zu zählen, die Buchstabenschrift, lehrte sie Tiere ans Joch spannen und als Genossen ihrer Arbeit verwenden, gewöhnte die Rosse an Zügel und Wagen, erfand Nachen und Segel für die Schifffahrt. Auch für alle übrigen Fälle des Lebens belehrte er den Menschen. In früheren Zeiten wusste man kein Heilmittel anzuwenden, wenn jemand krank wurde, kannte weder Salben zur Linderung noch zuträgliche Kost; aus Mangel an Arznei starben die Kranken elendiglich dahin. Darum zeigte ihnen Prome-theus die Mischung milder Heilmittel, um die Krankheiten damit zu bekämpfen. Dann lehrte er sie die Wahrsage-kunst, deutete ihnen Vorzeichen und Träume, Vogelflug und Opferschau. Er lenkte ihren Blick unter die Erde und ließ sie hier das Erz, das Eisen, das Silber und das Gold entdecken; in alle Bequemlichkeiten und Künste des Lebens führte er sie ein. Im Himmel herrschte seit kurzem Zeus mit seinen Kindern, der seinen Vater Kronos entthront und das alte Göttergeschlecht gestürzt hatte, von dem auch Prometheus abstammte. Jetzt wurden die neuen Götter aufmerksam auf das eben entstandene Menschenvolk. Sie verlangten Verehrung von ihm und versprachen dafür ihren Schutz. Zu Mekone in Griechenland trafen sich Sterbliche und Unsterbliche, und Rechte und Pflichten der Menschen wurden bestimmt. Bei dieser Versammlung erschien Prometheus als Anwalt seiner Menschen, um dafür zu sorgen, dass die Götter für den versprochenen Schutz den Sterblichen nicht allzu schwere Bedingungen stellten. Da verführte den Titanen-sohn seine Klugheit, die Götter zu betrügen. Er schlachte-te im Namen seiner Geschöpfe einen großen Stier, und die Himmlischen sollten nun wählen, was sie gerne für sich verlangten. Er hatte aber aus den Stücken des Opfertieres zwei Haufen gemacht; auf die eine Seite legte er das Fleisch, die Eingeweide und den Speck in die Haut des Stieres zusammengefasst, und deckte den Magen darauf, auf die andere die nackten Knochen, künstlich in den Talg des Schlachtopfers eingehüllt. Und dieser Haufen war der größere. Zeus, der allwissende Götterva-ter durchschaute aber seinen Betrug und sprach: „Sohn des Iapetos, erlauchter König, guter Freund, wie ungleich hast du das Opfer geteilt!“ Prometheus glaubte jetzt erst recht, dass er ihn betrogen, lächelte bei sich selbst und sprach: „Erlauchter Zeus, größter der ewigen Götter, wähle den Teil, zu dem dein Herz dir rät!“ Zeus ergrimmte im Herzen, aber absichtlich griff er mit beiden Händen in den weißen Talg. Als die bloßen Knochen zu Tage traten, stellte er sich, als entdecke er jetzt erst den Betrug, und zornig sprach er: „Ich sehe wohl, Freund Iapetionide, dass du die Kunst des Truges noch nicht verlernt hast!“

Zeus beschloss, sich an Prometheus für diesen Betrug zu rächen, und versagte den Sterblichen die letzte Gabe, die sie zur Erhaltung ihres Lebens brauchten, das Feuer.

Doch auch da wußte der schlaue Sohn des Iapetos Rat. Er nahm den langen Stengel des markigen Riesenfenchels, näherte sich mit ihm dem vorüberfahrenden Sonnenwa-gen und setzte so den Stengel in glosenden Brand. Mit dem glimmenden Zunder kam er auf die Erde, und bald loderte der erste Holzstoß gen Himmel.

In innerster Seele schmerzte es Zeus, als er den leuchtenden Glanz des Feuers unter den Menschen emporsteigen sah. Sofort ersann er, da das Feuer den Sterblichen nicht mehr zu nehmen war, ein neues Unheil für sie. Der seiner Kunst wegen berühmte Feuergott Hephästos musste ihm das Steinbild einer schönen Jungfrau fertigen; Athene selbst, die auf Prometheus eifersüchtig geworden war, warf der Gestalt ein weißes, schimmerndes Gewand über, ließ ihr einen Schleier über das Gesicht wallen, bekränzte ihr Haupt mit frischen Blumen und umschlang es mit einer goldenen Binde, die Hephästos seinem Vater zulieb kunstreich mit bunten Tiergestalten verziert hatte. Hermes, der Götterbote, musste dem holden Gebilde, Sprache verleihen, und Aphrodite schenkte ihm allen Liebreiz. So hatte Zeus in der Gestalt des Guten ein blendendes Übel geschaffen und nannte sie die Pandora, das heißt die Allbeschenkte; denn jeder der Unsterblichen hatte dem Mägdlein irgend-ein unheilbringendes Geschenk für die Menschen mitgegeben.

Darauf führte er die Jungfrau hernieder auf die Erde, wo Götter und Sterbliche gemeinsam lustwandelten. Alle bewunderten die unvergleichliche Gestalt. Sie aber schritt zu Epimetheus, dem arglosen Bruder des Prometheus‘, ihm das Geschenk des Zeus zu bringen. Vergebens hatte Prometheus ihn gewarnt, niemals ein Geschenk vom olympischen Zeus anzunehmen, sondern es sofort zurück-zusenden. Epimetheus dachte nicht mehr an dieses Wort, nahm die schöne Jungfrau mit Freuden auf und empfand das Übel erst, als er es hatte. Denn bisher lebten die Geschlechter der Menschen, von seinem Bruder beraten, frei vom Übel, ohne beschwerliche Arbeit, ohne quälende Krankheit. Das Mädchen aber trug in den Händen ihr Geschenk, ein großes, verschlossenes Gefäß. Vor Epime-theus schlug sie den Deckel zurück, und aus dem Gefäß stieg das Unheil wie eine schwarze Schar und verbreitete sich mit Blitzesschnelle über die Erde. Eine einzige gute Gabe war zuunterst in dem Gefäß verborgen, die Hoffnung; aber auf den Rat des Göttervaters warf Pandora den Deckel wieder zu, ehe sie herausflattern konnte, und verschloss sie für immer in dem Gefäß. Das Elend erfüllte inzwischen in allen Gestalten Erde, Luft und Meer. Die Krankheiten irrten bei Tag und Nacht unter den Menschen umher, unheimlich und schweigend, denn Zeus hatte ihnen keine Stimme gegeben; eine Schar von Fiebern hielt die Erde belagert, und der Tod beflügelte seinen Schritt.

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ΟΡΦΕΥΣ

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Traumdeutung und Therapie Keiner der Zeitgenossen Freuds vermag sich geistig mit ihm zu messen, weder in Viel-seitigkeit noch in Tiefe, geschweige denn ihn zu übertreffen. In jedem der Gebiete, mit denen er sich als Theoretiker und Forscher befasste, hat er kopernikanische Erkennt-nisse gewonnen und unvermutete Entdeckungen gemacht. Er stellt unbestreitlich den wichtigsten Geist des Abendlandes im 20. Jhdt, wenn nicht der ganzen Menschheitsge-schichte dar. Jede einzelne seiner Erkenntnisse reicht für seine Unsterblichkeit. Freud hat sowohl den Gipfel als auch den Urgrund der menschlichen Erkenntnis in der Vorgeschichte, Archäologie, Mythenforschung, Naturphilosophie und Glaubensphäno-men der Antike bezwungen, denn ihm gelang – wie Orpheüs in die Unterwelt – ins Unbewusste herabzusteigen, wie er erkennend, dass das eigentliche Problem der Menschheit die oralnarzisstische Fixierung ist und dass ihre Lösung nicht aus Regression im Mutterleib besteht, sondern aus der Rückkehr zur Urlebensweise des Menschen....

Orpheüs stellt tatsächlich den seit der Antike gesuchten Wegweiser der Menschheit dar, den aber bis heute niemand zu deuten und zu befolgen in der Lage war – auch Freud nicht, da zuvor das Phänomen der psychischen Wesensentstellung: nur mythisch-orakelhaft überliefert, vollständig ausgelegt werden musste, was uns erst heute gelungen ist. Der Mythos berichtet, dass Orpheüs der Sohn eines Flusses: des Oiagros in Thrakien, und Mitglied einer nomadisierenden Jägermannschaft war, die in die Ge-schichte einging, weil sie – dem Mythos nach – von den wilden, im Walde wohnenden Mainaden zerstückelt wurde.

Ein weiterer Mythos, mit dem ersten unvereinbar, aber anknüpfend: die Argonauten, erzählt, dass Orpheüs von Apollon und Kalliope zusammengeflickt wurde und von ihnen die Begabung des Leierspielens und des Gesangs in hohem Maße erwarb, so bewunderte Apollon ihn und schenkte ihm seine eigene Leier. Er wurde dadurch nicht nur zum größten Barde der Menschheit, sondern erbte von Apollon übernatürliche magische Kräfte dazu, dank derer die Argonauten-Expedition nach Kolchis im fernen Schwarzen Meer, wohin sie die Suche nach dem Goldenen Fließ geführt hatte, erfolgreich beendet wurde, denn mit seiner Zauberkraft bezwang er alle Hindernisse und Gefahren.

Diesem waghalsigsten Unternehmen der Vorgeschichte wird der bekannteste Orpheüs-Mythos zugeordnet: Er ehelichte Eürydike, die aber am selben Tag von einer giftigen Schlange gebissen ins Totenreich hinüberwandern musste. Untröstlich schritt er ihr nach bis ans Tore der Unterwelt, sang die Wachhunde in Schlaf und bat hindurchtretend den Herrscher, ihm Eürydike zurückzugeben. Dies erlaubte er ihm unter der Bedingung, dass er sie vorerst nicht anschaue. Erst unter den Lebenden wieder angelangt dürfte er sie in die Arme nehmen; Orpheüs aber hielt sich nicht daran und verlor sie endgültig... Allein von der Unterwelt emporgestiegen, kehrte er in seine thrakische Heimat zurück und bildete mit den Männern und Herangewachsenen der umliegenden Dörfer eine neue Jägermannschaft, was die verlassenen Ehefrauen und Mütter ihm sehr übel nahmen. Damit schließt dieser Mythenkomplex...

Anhand der von Freud angeregten Mythenforschung und des dadurch gewonnenen Auslegungskriteriums, offenbart sich in diesem Mythenkomplex die Geschichte der Menschheit von der Urlebensform in Horden von Geschlechtergruppen bis heute und

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weißt uns auf die Wiedergutmachung hin: „Zurück zur Natur“ des Menschen! Dies ist freilich nicht erst heute erkannt worden: Schon in der Antike versuchte Aischylos diesen Mythen- und Sagenkomplex zu ordnen und auszulegen und erahnte sogar die Lösung, wie Freud aber wusste er nicht, wie die Rückkehr der Menschheit zu ihrem Urzustand realisiert werden sollte. Auch Lévi-Strauss, dem – in Freuds Fußstapfen – diese Frage am weitesten zu klären gelang, erkannte es nicht. Erst heute verfügen wir über die dafür notwendigen Erkenntnisse: Primaten- und Megalithforschung. Demnach stellt Orpheüs – ja, dies war der Name einer Jägergemeinschaft – eine ursprünglich souveräne nomadisierende Mannschaft dar, die – infolge der Überbevölke-rungskrise – in die Abhängigkeit eines Megalith-Stammes geriet und wegen ihrer wiederholten Vertragsbrüche vereinzelt (zerstückelt) wurde. Über den Auslöser dieses Urdramas berichtet auch derselbe Mythos ausdrücklich: Kampf um die Stammesfrauen während ihrer Brunftkrisen, denn die Mainaden waren Frauen, die inbrünstig im Mondschein sangen und tanzten bis zur Ekstase. Für die Gastmannschaften des Stammes waren sie ‚tabu‘, d.h. dass sie nicht instinktmäßig (wetteifernd-kämpferisch) auf das Brunftphänomen reagieren durften. (All jene Mythen, die von Männern berichten, die heimlich oder zufällig nackte Frauen beschauten und aus diesem Grunde zerfetzt wurden, haben dieselbe Bedeutung). Allerdings, nicht durch die Frauen, sondern durch den Stammesrat wurde Orpheüs Mannschaft ‚zerfetzt‘ (vereinzelt), da aber der Tabubruch die Frauen in Brunft betraf, gingen sie als wilde Mainaden (Männermörderinnen) in die Geschichte ein. Als die von den Urfamilien der Genea stammenden Generationen ihre Argonauten-Expe-dition organisierten, waren ihre einst vereinzelt und gepaarten Vorfahren längst zum mythischen Götterehepaar Apollon und Kalliope geworden. Ihren Kindern flößten sie ganz andere, in der megalithischen Ordnung unbekannt und unvorstellbar gewesene Wert- und Glücksvorstellungen ein und spornten die begabtesten unter ihnen an, von Macht, Reichtum und Prestige besessene Schamanen zu werden, die – zu Königspries-tern avanciert – die totemische Feudalgesellschaft gründeten und unsere Religionen und den Totenkult einführten. Zu diesem Menschenalter gehört die Tragödie Orpheüs und Eürydike, deren Glücks- und Leidsvorstellungen bereits unsere narzisstisch-sado-masochistische, megalomanisch-regressive Gesellschaft verkörpern, so ist diese Sage

Horde Eürydike, von 11

er-Mannschaft umgeben

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die für uns vertrauteste. Dass solchem ‚Glück‘ gleich nach den Flitterwochen das Verliebtheitsende folgt, entspricht unserer ‚Realität‘. Dass die Trennung Todesangst auslöst, ebenfalls. Dass der Verlassene vor dem eigenen Abstieg ins Totenreich nicht zurückschreckt, ist das Thema unzähliger Kunstwerke im Patriarchat, und dass die ‚Liebe‘ nur so lange Bestand hat, wie das wahre Wesen des Partners nicht erkannt wird, erklärt die plötzliche Trennung aller Verliebten, sobald sie sich gegenseitig ergründen, wie die Veroperung der Sage durch Gluck so trefflich gezeigt hat. Anders als in den seit der Antike idealisierten Fassungen des verliebten Orpheüs, der von Sehnsucht und Verlustangst überwältigt seiner toten Geliebten in die Unterwelt folgt, schrieben Gluck und Calzabigi Eürydike im Totenreich ein derart kindisches und unerträglich verwöhntes Verhalten zu, dass Orpheüs die Nerven verlor und sich verzwei-felt zur ihr umwandte, wohl um das Mädchen zu beruhigen – wie Gluck und Calzabigi angenommen haben mögen, faktisch aber verstößt er damit gegen das Verbot, das ihm der Fürst des Totenreichs als Bedingung der Verewigung seiner Ehe mit Eürydike auferlegte, nämlich dass niemand in Dieser Welt das narzisstisch deformierte Wesen des patriarchalischen Menschen erkenne, damit er nicht erschrecke! d.h. weiter in Ruhe dämmern könne. Gluck und Calzabigi haben nun die Offenbarung des wahren Wesens Eürydike selbst mit italienischem Temperament auf der Opernbühne vorführen lassen....

Das Ende dieses Mythos wird in unserer Gesellschaft genauso wenig verstanden. Keiner vermag nachzuvollziehen, dass Orpheüs, anstatt Selbstmord zu begehen um bei seiner Eürydike ewig zu bleiben, sich von diesem Regressionsdrang erlöst und zu seiner Urheimat zurückkehrt, um mit seinen einstigen Verbündeten wieder zusammen zu jagen und zu leben. Dies lässt sich aber anhand der Methode, die Lévi-Strauss für die Ausle-gung der Urmythen entdeckte und die ich ergänzt habe, wie folgt erklären:

Apollon-Orpheüs-Mytheme

Mainaden-Eürydike-Mytheme

Das 1. Mythem berichtet über das Urleben und das 2. über den dramatischen Kampf zweier in Raumnot geratener Horden. Orpheüs Mannschaft, die in Abhängigkeit von der Horde der Mainaden geriet, wird von dieser – zwecks Kontrolle – in wehrlose Einzel-männer zerfetzt, den Männern gelang aber trotzdem – über die Geschichten erzählende Musik ihrer Barden und die Magie – eine gewisse Verbundenheit zu bewahren; diese Kultur gilt deswegen als von Apollon zusammengeflickter Python (Schlange, Drache).

Orpheüs, Sohn des Oiagros-Fluss Mainaden von 11 Schlangen geschützt; Brunftgesang im

Orpheüs wird von den Mainaden zerfetzt Walde (vgl. die myth. männer-fressende Sirenen)

Apollon flickt Orpheüs Fetzen zum Python-drache (Orpheüs III) zusammen Pythondrache Orp.. III heiratet die Mainade Eürydike

Orpheüs IV, Sohn der Eürydike und des Py-thon, fährt mit den Argonauten nach Kolchis und raubt dort dem Python das Goldene Fließ. Python beißt die Mainade Eürydike tot

Apollon tötet Python u. begräbt ihn in Delphi; wo sein ‚Geist‘ zum Orakel wird. Verfluchung Eürydi-kes als Schlangen-dompteuse in der Unterwelt ewig zu bleiben

Einsa-mes Herumir-ren Orpheüs auf der Suche nach der verlore-nen Urhei-mat

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Das 3. Mythem berichtet über den fatalen Irrtum, den die Megalithstämme, um die rebellischen Mannschaften effektiv zu bändigen, begangen: die Männer nicht lediglich zu vereinzeln, sondern die Monogamie unter ihnen einzuführen (s. Ehebund zwischen Orph. III [Python] und Eürydike). Dieser Eingriff erwies sich als verhängnisvoll, weil aus solchen Paaren ein neuer Menschtyp (Orpheüs IV) entstand, der unerklärlicherweise wesensmäßig anders war... Über die Taten und das Schicksal, Wert- und Glücksvorstellungen dieser neuen Genera-tionen berichten das 4. und die restlichen Mytheme: Orpheüs IV wurde zu einem jener Helden der Antike, die ihr Leben lang infantil (narzisstisch) blieben (Verliebtheit in Eürydike), zugleich aber ihre innere Halt- und Hilflosigkeit überkompensierten, ein magisch-megalomanisches Verhalten (Besessenheit), das sie sowohl gegen die Kultur ihrer Vätergeneration trieb (Orpheüs raubt dem Python das Goldene Fließ) als auch dahin, die zwar monogam gepaarten, wesensmäßig aber gesund gebliebenen Urfrauen ebenfalls der totemischen Moral zu unterwerfen (Python beißt Eürydike tot), worauf sich das Patriarchat endgültig konsolidierte: Im 5. Mythem bringt Apollon den Python um – bedient sich freilich als Hexer dessen kultureller Errungenschaften, so wie auch die Gaben der entrechtet in der Unterwelt lebenden Frau für die systemkonforme Kinderer-ziehung missbraucht werden –, so dass das 6. nur noch die Suche nach einer Art von Glück zum Gegenstand hat, das restlos auf dem Streben nach Macht, Reichtum und Prestige verankert wurde und aus dem sich unsere heutige Klassengesellschaft heraus-bilden wird. Im 5. Mythem erscheint noch immer – wie bei allen mythisch aufbewahrten Berichten – der Begriff oder Name, mit dem die Ereignisreihe begann, diese Schlangen (Python) wurden jedoch ab dem 3. Mythem zu einem chthonischen Symbol, so gelten sie – aus der Sicht der neuen Kultur – als verflucht und werden zuletzt verdrängt. Anhand solcher Relikte lässt sich die Tragödie der Menschheit immer von neuem rekonstruieren. Der herkunftsmäßige Inhalt der chthonischen Symbole bestätigt auch die erstaunlich intuitive Auslegung Aischylos, Glucks und Calzabigis (s.o.), wonach sich der ‚aufgeklärte‘ Orpheüs nach dem Sterben der ‚Liebe‘ nicht – wie die heutige Menschheit und Orpheüs VI seit dem 3. Mythem – enttäuscht auf die Suche nach utopischer Geborgenheit im Mutterleib, wo das Leiden undenkbar war, begibt, sondern zurück zur daseinskämpferi-schen Natur, von der die Menschheit einst – infolge eines fatalen Irrtums – abgefallen war. Sobald dieser Vorschlag Aischylos verwirklicht sein wird, wird sich also ein zusätzliches 7tes: messianisches Mythem herausbilden... Solch' Versuch wird freilich – falls er publik würde – wie im antiken Athen zu einer krassen Konfrontation mit den Institutionen unserer patriarchalischen Gesellschaft führen, denn der psychisch geheilte und gereifte Mensch will souverän sein, d.h. er bindet sich weder monogam, noch unterwirft er sich einem machthierarchischen System – egal wie demokratisch –, so ließ Aischylos diesen Mythos mit einer weiteren Zerfet-zung Orpheüs samt seiner thrakischen Verbündeten, diesmal durch die athenischen Bacchantinnen, enden, und noch heute würden die Feministinnen ihre der Heilung zuliebe von Ehe und Familie entlaufenen Männer und Söhne genauso wenig schonen... (aus meiner Arbeit Orpheüs, 1998)...

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Nach Orpheüs ist Freud der erste, dem der Abstieg in die Unterwelt gelungen ist, freilich, nur bis zum Vorbewussten, denn das noumenale Tiefe Unbewusste bleibt unserem Geist verschlossen. Wie Orpheüs erkannte auch Freud in diesem Ort seine eigene oralnarzisstische Fixierung, anders als er freilich wusste Freud nicht, wie er sich praktisch von ihr befreien und die Nachreifung erlangen sollte, obwohl er sein Leben lang nach dem Weg dafür suchte, vergeblich, da die damals verfügbaren Berichte über die zoologische Menschwerdung und Geschichte der megalithischen Kulturen allesamt unbemerkt im Sinne des patriarchalischen Zusammenlebensmodells gefälscht waren, es aufgrund den Projektionen der Forscher so aussehen lassend, als sei die Menschheit in Familien evolutioniert und darin zum ‚Kulturwesen‘ geworden (s. Totem und Tabu). In diesem Labyrinth kam ihm aber die Offenbarung des Göttlichen am Menschen entgegen und inspirierte ihm ins Vorbewusste seine gewaltigen Lehren. Im Vorbewussten erhält der nackten Wille – wie einst Aphrodite – sein symbolisches Gewand, indem seine 12 Urteilsdimensionen mit den für das ICH vertrauten Wahrneh-mungsstücken verkleidet werden, der Wirklichkeit eine für uns greifbare Gestalt gebend, verzaubert von Farben, Tönen und Gerüchen. Ebenfalls werden in diesem Ort die vom ES geforderten 6 lebenserhaltenden Grundbedürfnisse mit den vom Gedächtnis aufbewahrten Erfahrungen eingekleidet, eine unmissverständliche Bedeutung für das Ich erlangend, was wir Intuition nennen. Schließlich erscheinen dem Ich dieselben Botschaften – wenn es allabendlich seine Sinnespforten schließt – wie zugeschaute oder aktiv selbst mitgestaltete Erlebnisse auf der Bühne seiner Träume. Diese symboli-schen Allegorien verhüllen nicht nur die noumenale Nacktheit des ES-Wille, ihn für unseren Geist vorstellbar machend, sondern zwingen das Ich auch zum Nachdenken und

Orpheus unter den Thrakern. Vasenbild um 440 v. Chr.

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Fragen zu stellen, auf die es vom Es weitere, gezielte, spezifische Informationen erhält, nämlich die Freien Assoziationen, so nannte Freud dies erneute Eintauchen unter die Oberfläche der Träume den Königsweg zum Unbewussten... Dieser Bereich birgt in sich also jene weise Energie, die uns und den Kosmos erschafft und deren Intelligenz auch die Inhalte des Vorbewusstseins eigenmächtig erfasst, beleuchtet und ihrem unfehlbaren Urteil unterzieht. In diesem Ort wird nämlich vor allem das, was das Ich nicht wahrhaben will – also das Unangenehme, Peinliche, Kränkende, Demütigende, alles Strafbare, ob anerzogen oder selbsterfunden, Schuld- Ohnmachts- und Minderwertigkeitsgefühle, auch jene Bedürfnisse oder Perversionen nebst unseren teuersten, sehnlichsten Wünschen, die von der Umwelt verboten oder geächtet, bemitleidet oder verlacht wurden –, verdrängt geheim oder verbannt gehalten, am tiefsten aber die sog. Traumatischen Erlebnisse. Insofern findet sich hier jene Wahrheit, die unsere Umwelt, unser von ihr geprägtes Über-Ich oder wir selbst nicht dulden, der Konsequenzen wegen... Viele von diesen versteckten Sachen wurden zu diesem Geheimfach in einem Alter verfrachtet, an das wir uns später nicht erinnern können (Kindheitsamnesie), so erfahren wir von ihnen erst im Traum oder Albtraum, wenn wir schlafen und das Über-Ich seine Zensur für weniger dringend hält, oder in schweren Daseinskrisen, wenn das Es mit Kraft nach allen bisherigen Erfahrungen greift und uns wie in einem das ‚Leben‘ in Sekunden abspulenden Film vorführt, damit wir die rettende Lösung entdecken... Sehr problematisch ist, wenn nicht die aktuelle Umwelt einen Erwachsenen bedroht, sondern gleichzeitig das Ich seit der Frühkindheit vom eigenen, anhand Liebesentzug traumatisierten Über-Ich erpresst wird, den Lebenstrieb seines Es zu bekämpfen und sich dies Verhalten verselbstständigt, nicht nur den Schlaf in einen endlosen Albtraum sondern auch das Wachsein in eine neurotische Hölle verwandelnd, gar in eine Verfol-gungspsychose treibend... Nur mit Hilfe einer methodischen Analyse vermag man solcher Verfolgung durch das inwendig strafdrohende Gewissen ein Ende zu setzen. Der Umgang mit dieser unheimlichen Welt erfordert freilich heldenhaften Mut. Freud wagte es – mit seinem Intellekt bewaffnet – in diese Terra incognita einzudringen, um sie zu erhellen.... Unser Geist vermag die Inspiration von der Intuition zu unterscheiden, so wissen wir, dass das Es uns nicht nur Bedürfnisse vermittelt, die für die Lebenserhaltung unent-behrlich sind, sondern stillt es auch unseren Durst nach dem Wesen des Guten, des Wahren und des Schönen mit dem lebendigen Wasser seines Weisheitsbrunnen. Inspiration treibt uns also nicht zum Handeln lediglich um zu überleben, sondern bereichert uns mit göttlicher Erkenntnis, die uns den Sinn des Lebens offenbart, ein Ziel, das nicht erst am Lebensende liegt, sondern mit jedem Schritt dahin erlangt wird („Der Weg ist das Ziel“) – solange die Vollreife angestrebt wird. Dies immanente Streben nach psychischer Reifung ist unendlich bereichernd, da es göttlich ist... Indem aber das Es uns anhand seiner Träume auf den Sinn hinweist, orientiert es uns auch, wenn wir uns irren oder Irre geführt worden sind, damit wir den Pfad wieder finden – insofern ist die Traumauslegung heilsam. Träume leiten uns also nicht nur zu unserer Vollendung an, sondern helfen sie uns auch, die Schädigungen selbst zu erkennen und zu beseitigen – daraus besteht die eigentliche Therapie...

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Sicher! sind nicht wir, die träumen oder selbst Geheimnisse im Oberstübchen unseres Privatgedächtnis verstecken, sondern tun das Gehirnzellen – u.a. des limbischen Systems –, die vom Lebensprinzip auf diese Tätigkeiten spezialisiert wurden. In diesem Bereich liegt also die ‚Kleiderkammer‘, in der die noumenalen Botschaften der Lebenstriebe: die Forderungen ihrer Grundinstinkte und die diesen Sinnes interpretieren Wahrnehmungen der Umwelt – ihr für den Besuch des Ichs maßgeschneidertes Gewand erhalten, so ist dies der Ort, wo das Göttliche und unser menschlicher Geist einander begegnen. Hier erfährt das Ich, was der Organismus für sich und für das Überleben seiner Art braucht, freilich nur dann unmittelbar und spontan einleuchtend, wie die Grundinstinkte nicht traumatisiert oder ganz verdrängt wurden, wie es bei uns infolge der sozial isolierenden Familie und Moralerziehung der Fall ist. In diesem Fall meldet sich das darunter leidende Es, das Ausmaß seiner Verkrüppelung schonungslos offenbarend, während das Ich dies nicht leicht wahrhaben will oder kann, sich entsetzt oder gleichgültig abwen-dend und die Träume zu ‚Schäume‘ erklärend. Für jene Mystiker aber – wie Sebastian Frank –, die wissen, dass das Noumenon, wiewohl unfassbar, lebt und spricht und die nichts sehnlichster wünschen als Ihm persönlich zu begegnen, wird es zu einer ernüch-ternden Überraschung, wenn sie das Göttliche, von der Hintertür am Vorbewussten klopfend, anstatt in der erwarteten Herrlichkeit unaussprechlich seufzend finden... Alle Lebewesen, von der Urzelle bis zum Homo sapiens, vermögen die inspirierenden Botschaften des Lebensprinzips – das sie erschafft – spontan zu erfassen, vorausgesetzt, sie werden von der Außenwelt nicht ständig traumatisiert beim Versuch, ihre Primärbe-friedigung zu erlangen. Andernfalls entsteht in ihrem Über-Ich eine fremde Macht, die dem Ich den Zugang zu seinem Schöpfer verriegelt und es zwingt, ihren Interessen anstatt seiner Inspiration zu dienen. Sind wir aber der Verbindung mit dem Es verlustig gegangen oder beraubt, brauchen wir dann jemand, dem es ein Quäntchen besser ging oder dem seine Tragödie schon zu verarbeiten gelang, um uns helfen zu können, den Kontakt wiederherzustellen. Solche ist die Aufgabe des Traumdeuters. Seine Aufgabe ist aber doppelt: heilsam und dialektisch zugleich, denn das Lernen der dialektischen Denkungsart befähigt den Träumer, Deutung und Umsetzung seiner Träume selbst in die Hand zu nehmen. Fundierte Selbstanalyse setzt grundsätzlich psychische Gesund-heit voraus, so kann die Befähigung zur Deutung der Träume nur schrittmäßig: dialek-tisch und in Wechselwirkung mit der Ich-klärung anderer Träumer – erlangt werden. Eigene Träume sollen grundsätzlich nicht ohne Überprüfung (Supervison) eines anderen Experten als endgültig erfasst betrachtet werden. Auch setzt die Befähigung zur Traumdeutung die sokratische elenktischer Reinigung des Ichs von den Einflüsterungen seines Moral-verseuchten Über-Ichs und eigenen Narzissmus‘ voraus, was parallel zur Tiefenanalyse durchgeführt werden soll, um hindernde, verzerrende Projektionen (Gegenübertragung) von Seiten des Analytikers zu vermeiden. Ziel der Traumauslegung ist aber nicht die Ich-klärung oder Reife nur des rationalen Intellekts, sondern die emotionelle Gesundheit; sie besteht aus dem Vermögen, den von der Natur vorbestimm-ten Weg der Selbstverwirklichung zu erkennen und ungehindert folgen zu können, anderen helfend, ihren eigenen Weg zu erkennen und sich auf Entdeckungsreise zu begeben, denn Selbstverwirklichung ist individuell verschieden und unberechenbar.

(Dass Träume die Zukunft voraussagen, ist ein verbreiteter Aberglaube des Massenmensch)...

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Träume sind Inspirationen, die im Vorbewussten inszeniert werden. Sofern Kunstwerke zum Ausdruck gebrachte Inspirationen sind, sind sie wesensmäßig mit den Träumen identisch – also genauso geeignet, in die Psyche des Künstlers einzublicken bzw. Rückschlüsse auf seine Innere Situation zu gewinnen, vorausgesetzt, er sei bereit, über seine Kunstwerke frei zu assoziieren. Kunstdeutung ohne Zusammenarbeit mit dem Urheber – wie so viele Kunstkritiker und gar Kunstwissenschaftler tun – bleibt beim technischen Aspekt der Konkretisierung stehen oder vermag höchstens den allgemeins-ten Gehalt seiner Wesensgesundheit oder -erkrankung zu erfassen, ohne zur Klarheit über den gefühlsmäßigen Anteil in der Botschaft des Unbewussten zu gelangen, den es nur für den Künstler gibt und den er auch nur dann und in dem Maße selbst voll zu empfinden vermag, wie er sein Ich bereits vom Müll unseres Patriarchats gereinigt hat (s. Elenktik) oder von vornherein gesund blieb; sonst muss er sich psychoanalytisch anhand eigener Freier Assoziationen über sein Kunstwerk helfen lassen, wenn er die Botschaft begreifen will. Was man sonst bei der Betrachtung eines Kunstwerkes zu erkennen glaubt, stellt nur ein Bündel unbewusster ‚animistischer‘ Projektionen auf es dar, die auch wenn sie vom Es inspiriert wären, für den psychisch erkrankten Künstler ohne seine Freien Assoziationen unbegreiflich blieben. (Einige Randbemerkungen zur Traumdeutung)....

am 28. Februar 2005 entworfen Schlusswort Ein Überblick der Lehren Freuds stellt klar, dass dem Menschen – als Träger des höchst evolutionierten Gehirns in der belebten Natur – eine großartige Bestimmung zugefallen ist, dank derer er mehr als jede andere Art befähigt wurde, sein Dasein durch kultur-zivilisatorische Entwicklungen zu erleichtern und auch den restlichen Lebewesen bei der Herstellung einer weltweiten optimalen ökologischen Harmonie zu helfen – dass es also seine Berufung ist, für sich und die ganze belebte Natur ‚das Glück anzustreben und das Leid zu meiden‘; statt dessen aber verwüstet er seinen Planet, rottet die Arten aus und hat selbst ein System erschaffen, das sein Glück garantieren soll, das ihn in Wirklichkeit aber krank macht und ausbeutet und dem er sich mit jeder Generation von neuem unterwirft, indem er in seinen Kindern die Natur verdrängt, eine Funktion in solchem System für sie sucht und sie in diesem Sinne erzieht und prägt, in einem Alter, in dem sie sich nicht wehren und an das sie sich bald nicht mehr erinnern können, so dass sie für immer diesem Hirngespinst unterworfen blieben und ihm selbst, unwissend, ihre Kinder und Kindeskinder im Rachen werfen... Zur Zeit Freuds gab's immer noch viele von der Aufklärung übrig gebliebene Denker, die solche Missstände mit der These rechtfertigten, dass das System und gar der menschli-che ‚Geist' Schöpfungen jener seien, die sich von den Fesseln der Natur als erste zu befreien vermochten, so dass demnach der Preis für die Erschaffung und Vervollkomm-nung dieses Systems aus der Instinktverarmung besteht, und manch andere wiederum behaupten sogar, dass unser Patriarchat ein Ergebnis der Evolution, also natur- und gar gottgewollt sei, überzeugt, in der besten aller denkbaren Welten bereits zu leben.

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Freud dagegen war der Überzeugung, dass der heutige perverse Mensch und sein System unmöglich naturgemäß sein konnten – ja nicht einmal Folge einen Naturirrtums (wie anfänglich angenommen), weil die Natur unfehlbar ist, so suchte er sein Leben lang nach einer Erklärung unserer Realität und nach dem Ausweg, der sich durch die Aufdeckung der krankmachenden Ursachen hätte offenbaren sollen, in der Überzeu-gung, dass es vor unserem Patriarchat eine andere: naturechte, heile Lebensform der Menschheit gegeben haben muss, die ebenso wie alle restlichen Arten auf dem Weg der Evolution entstand, vergeblich, denn die Ergebnisse der damals vorliegenden Forschung schienen überzeugend zu beweisen, dass der Homo sapiens bereits zum Zeitpunkt seiner Menschwerdung in patriarchalischen Machtstrukturen gelebt hat.... In Die Zukunft einer Illusion blieb Freud dabei, dass die Naturwissenschaft künftig den Weg finden werde, auf dem die Menschheit gesund heranwuchs und fähig war, glückli-che Kulturen und Zivilisationen zu erschaffen, d.h. ohne als Preis den Triebverzicht zu entrichten, wofür so viele ‚Forscher‘ und v.a. Theologen immer noch plädieren. Schon die nächste Generation junger Wissenschaftler gewann den Verdacht – dank Freuds Erkenntnis des Projektions-Phänomens -, dass die Gelehrten ihre Forschungsge-biete ahnungslos mit reinstem Gewissen gefälscht hätten, und entwarfen neue Untersu-chungsmethoden, die diese Gefahr ausschließen sollten, stellten fest, dass die Zoologen und Kulturforscher ihre ‚Naturberichte‘ mit lauter Projektionen ihrer Probleme bevölkert hatten und schrieben neue, dabei nach und nach die Zusammenlebensform wieder entdeckend, nach der Freud vergeblich gesucht hatte: die Horde von zwei symbiotisch und nur vorrübergehend verbundenen souveränen Geschlechtergruppen, die der Homo sapiens mit allen bewusstseinsmäßig höchststehenden Arten teilte, bei denen also die Monogamie und ihre patriarchalischen Machtstrukturen unbekannt – ja undenkbar waren... Aus dieser neuen Perspektive betrachtet, glänzen heute Freuds intuitive Hypothesen und Theorien in ihrer ganzen Herrlichkeit, die Kühnheit, Kraft und Tiefe seines schöpfe-rischen Geistes offenbarend. Es liegt nun an uns, dem von ihm vorgezeichneten Weg der Selbstbefreiung, -heilung und -vollendung zu befolgen...


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