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Naturwunder in Gefahr: Rift-Valley-Seen Kenias

Date post: 17-Nov-2023
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Nr. 2 | 33. Jahrgang 2003 | Biol. Unserer Zeit | 123

R I F T - V A L L E Y - S E E N | L E B E N S R Ä U M E – L E B E N S FO R M E N

Die Rift-Valley-Seen und ihre Lebeweltgehören zu den Naturwundern unserer Erde,denn sie geben faszinierende Einblicke in diehydrologische und biologische Vielfalt vonSeeökosystemen. Eingebettet in Gebirgs- undSavannenlandschaften liegen einige kleinereSeen wie Perlen einer Kette im keniatischenTeil des Gregory Rift Valleys. Jeder dieser Seenist auf seine Art einzigartig – und jeder vonihnen ist akut gefährdet, wobei Verlandung,Versalzung und giftige Cyanobakterien einewichtige Rolle spielen.

Der Große Afrikanische Grabenbruch (Rift Valley) istdas Resultat gewaltiger tektonischer und vulkanischer

Kräfte, die seit 18 Millionen Jahren wirken und neben interessanten geologischen Formationen auch eine Reihevon limnologischen Besonderheiten geschaffen haben.

Der unterschiedliche Charakter dieser Gewässer wirdvon vielen Kriterien geprägt: von Höhenlage und Morpho-metrie, von den Eigenschaften des Einzugsgebietes, vonphysiko-chemischen Eigenschaften, speziell vom Salzge-halt, vom Nahrungsnetz der Pflanzen und Tiere, die hier leben und von den Menschen, die diese Seen nutzen. Ge-wässer ziehen den Menschen, seine Nutztiere und die spek-takulären Wildtierpopulationen in diesem Gebiet von jehermagisch an, denn Wasser ist ein wichtiges Gut im alltäg-lichen Kampf ums Überleben. Mittlerweile gehört auchKenia zu den Ländern mit knappen Wasserressourcen.

Rift-Valley-Seen Kenias

Naturwunder in GefahrLOTHAR KRIENITZ | ANDREAS BALLOT | KIPLAGAT KOTUT | CLAUDIA WIEGAND | GEOFF. A. CODD | STEPHAN PFLUGMACHER

A B B . 1 Das Uferdes Baringosees imNovember 2001: Ein Goliathreiherüberfliegt den dich-ten Makrophyten-gürtel, ein Refugiumseltener Wasser-vögel.

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Ursache für viele Probleme ist das Wechselspiel mit demEinzugsgebiet, das in den meisten Regionen auf Grund derhohen Bevölkerungszahlen völlig übernutzt ist. Beweidungund das Sammeln von Brennmaterial zerstört die pflanz-liche Schutzschicht der Erdkruste, die daraus resultierendeErosion bewirkt eine Verschlammung und Verlandung derGewässer. Darüber hinaus führt die globale Erwärmung zuimmer längeren Trockenperioden, das Wasser verdunstetstärker und die Seen versalzen. Diese Prozesse führen zuVeränderungen in den Nahrungsnetzen der Seen und zueiner drastischen Verschlechterung der Wasserqualität. Im Rahmen eines Projektes der BIOLOG–Initiative (Biodi-versity and Global Change) des Bundesministeriums für Bil-dung und Forschung verschaffen wir uns gemeinsam mit

unseren Partnern von der Kenyatta Universität Nairobi ei-nen Überblick über die ökologische Situation von rund 50keniatischen Binnengewässern, die intensiv von Menschund Tier genutzt werden. Dabei bewerten wir hauptsäch-lich einen biologischen Parameter: die Biodiversität desPhytoplanktons. Die Bedeutung der Phytoplanktonbesied-lung als Güteparameter in Standgewässern leitet sich ausfolgenden Umständen ab:– Phytoplankton spielt als Hauptträger der Primärpro-

duktion eine Schlüsselrolle in Binnengewässern.– Die Struktur der Phytoplanktonpopulationen, also auch

deren Biodiversität, hat entscheidenden Einfluss auf dieNutzbarkeit des Wassers.

– Auf Grund ihrer schnellen Reproduktionsraten gebenPhytoplankter eine rasche Antwort auf veränderte Um-welteinflüsse.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Cyanobakterien diePhytoplanktongruppe mit dem stärksten Einfluss auf dieGewässerressourcen ist – positiv (oder ambivalent) alsHauptprimärproduzent, negativ durch die potenzielleFähigkeit, Toxine zu produzieren. Insbesondere fanden wirlebertoxische � Microcystine und neurotoxisches � Ana-toxin-a in für Mensch und Tier gefährlichen Konzentrationen.

Hier möchten wir speziell über fünf Rift-Valley-Seenund die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, berichten. Un-sere Reise geht von Norden nach Süden, vom in Zentralke-nia gelegenen Baringosee weiter zum Bogoriasee, dannüberqueren wir den Äquator zwischen dem Bogoriaseeund dem Nakurusee und kommen schließlich weiter süd-lich zum Naivashasee und seiner ehemaligen Bucht, demOloidiensee, die nur noch eine gute Autostunde vonNairobi entfernt liegen.

Baringosee: Wassermangel und schlechte Wasserqualität

Der Baringosee war ursprünglich ein Süßwassersee [12].Inzwischen ist sein Salzgehalt auf 0,5 – 0,7 g l–1 gestiegen,was als Schwellenkonzentration für � subsaline Seen gilt.Der flache, � polymiktische See hat ein arides Einzugsge-biet von knapp 7.000 Quadratkilometern. Dürre, Überwei-dung und Sturzfluten während der wenigen Regenperi-oden haben eine Erosionslandschaft gestaltet (Abbildung2). Dem Baringosee werden deshalb gewaltige Mengen anSchlamm zugeführt und es besteht die Gefahr, dass sich derSee in einen Sumpf verwandelt.

Gegenwärtig sind mehr als 100.000 Menschen in derBaringoregion von Wassermangel betroffen, weshalb offizi-ell der Notstand ausgerufen wurde. Normalerweise erlaubtder See einen Fischfang von 100 bis 400 Tonnen pro Jahr,jedoch ist zur Zeit wegen Überfischung der Fischfang ver-boten worden.

Die weltberühmte Tierwelt des Baringosees leidetunter der Trockenheit, aber auf Grund des trockengefalle-nen Ufers geht es auch der Tourismusbranche schlecht,weil Bootsfahrten weitgehend ausbleiben müssen (Abbil-dung 3).

A B B . 2 Dasaride Einzugs-gebiet des Baringosees ist zu einer Erosions-landschaft geworden.

A B B . 3 Das Uferdes Baringoseesim September2002: Die Kinder-gruppe steht auf dem trocken-gefallenen Uferbereich.

A B B . 4 DichteBlüten des Cyano-bakteriums Micro-cystis aeruginosarahmen auf undsind potenzielleProduzenten vonCyanotoxinen.

Die mit einem grünen Pfeil markierten Begriffewerden im Glossarerklärt.

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Doch nach Angaben der Bewohner dieser Region ist derSee in den vergangenen Jahrzehnten schon öfter fast aus-getrocknet und immer wieder durch starke Regenfälle ge-füllt worden. Es bleibt zu hoffen, dass auch diesmal derWunsch der Menschen nach Niederschlägen in Erfüllunggeht. Die starke Verlandung lässt jedoch eher ein pessimis-tisches Szenario erwarten. Zusätzlich zu all den Problemenfanden wir Konzentrationen von Cyanotoxinen im Barin-gosee, die ein Risiko für Mensch und Tier darstellen [2].Dichte Cyanobakterienblüten von Microcystis aeruginosa(Abbildung 4) produzieren bis zu 3,25 µg Microcystine proLiter Seewasser. Zum Vergleich: die WHO hält bereits einenSchwellenwert von 1 µg Microcystinen pro Liter für riskant.Es gibt bislang nur wenige Nachweise von Cyanotoxinen inafrikanischen Binnengewässern; insbesondere aus Süd-afrika und Marokko wurden hohe Toxinproduktionen inBinnengewässern gemeldet [10] [13]. Auch im keniati-schen Teil des Victoriasees wurden Cyanotoxine nachge-wiesen [8].

Bogoriasee: mysteriöses Flamingosterben Der Bogoriasee ist eines der harschesten, vom Vulkanismusgeprägten Gebiete des Rift Valleys, ein im wahrsten Sinnedes Wortes „hot spot“ des cyanobakteriellen Lebens. Das � alkaline Wasser des Sees fördert das Massenwachstum der Blaualge Arthrospira (früher als Spirulina bezeichnet) (Abbildung 5). Die Salzkonzentration ist mit circa 45 g l–1

die höchste in den fünf vorgestellten Untersuchungsge-wässern. Zahlreiche heiße Quellen und Geysire sind amUfer des Sees aktiv. Diese Extremhabitate mit Temperatu-ren von 35 bis 100° C sind von dichten Matten fädiger undeinzelliger Cyanobakterien besiedelt (Abbildung 6). DerBogoriasee ist die Heimat der dichtesten Population desKleinen Flamingos (Phoeniconaias minor), der touristi-schen Hauptattraktion des Gewässers (Abbildung 7). In den1970er Jahren durchgeführte Experimente zur Nahrungs-aufnahme der Flamingos am benachbarten Nakurusee führ-ten zu folgenden Werten: Ein erwachsenes Exemplar diesesrosafarbenen Vogels konsumiert circa 72 Gramm Trocken-masse Arthrospira pro Tag. Die gesamte Flamingopopula-tion des Sees verzehrt etwa 60 Tonnen Algentrockenmassetäglich, was 50 bis 94 Prozent der täglichen Primärproduk-tion bedeutet [15]. Die Zahl der Vögel variierte zwischen1991 und 1999 zwischen 175.000 und 1.074 000 Exempla-ren [11]. In den vergangenen beiden Jahrzehnten ist es im-mer wieder zu einem mysteriösen Massensterben der Fla-mingos gekommen, so wurden beispielsweise 1999 über30.000 tote Flamingos am Bogoriasee gefunden.

Die Ursachen für diese Todesfälle sind noch nicht völligaufgeklärt. In Frage kommen bakterielle Infektionen [7]und verschiedene Umweltgifte. Unsere Untersuchungenzeigten, dass auch Cyanotoxine in die Palette der mögli-chen Todesursachen mit aufgenommen werden müssen,oder dass sie zumindest zum Flamingosterben beitragen. Sofanden wir Toxine im Seewasser und in Flamingogewebe,beispielsweise der Leber, und konnten hohe Toxingehalte

A B B . 5 DasCyanobakteriumArthrospira fusi-formis ist dieHauptnahrungs-grundlage vonhunderttausen-den von KleinenFlamingos(Phoeniconaiasminor) amBogoriasee.

A B B . 6 HeißeQuellen, die sichin den Bogoriaseeergießen, sindHabitate ver-schiedener Cyanobakterien-matten, dieMicrocystine undAnatoxin-a pro-duzieren können.

A B B . 7 DichtePopulation des Kleinen Flamingos amUfer des Bogoriasee.

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in den Cyanobakterien der heißen Quellen nachweisen. Eswurden bis zu 800 µg Microcystine pro Gramm Trocken-masse der cyanobakteriellen Matten gemessen. Der Ma-geninhalt eines Flamingos enthielt 4,3 µg g–1 des Neuro-toxins Anatoxin-a. Auch das neurologische Verhalten derFlamingos deutete auf eine Vergiftung durch Neurotoxinehin. So zeigten die Vögel Probleme in der Koordination ih-rer Bewegungen und starben mit charakteristisch nach hin-ten verkrampftem Hals (Abbildung 8). Dies wird als Ophis-totonus bezeichnet und gilt als Anzeichen von Neurotoxin-einfluss. Wie kommen die Flamingos an diese tödlicheKost? Verhaltensstudien haben gezeigt, dass die Flamingos,wenn es möglich ist, einmal am Tag Wasser aufsuchen, dasnicht so alkalin ist wie das des Sees [1]. Im alkalinen Wasserverklebt das Federkleid, und offensichtlich haben die VögelDurst. So kommen die Flamingos zu den heißen Quellen,an deren Mündungen das Wasser nur noch um 30 °C warmist und waschen ihr Gefieder und trinken. Bei dieser Gele-genheit nehmen sie auch die Cyanotoxine auf. Bei Unter-suchungen des Mageninhalts und des Kotes konnten Restevon Cyanobakterien der heißen Quellen nachgewiesenwerden.

Nakurusee: toxische Cyanobakterienarten Ähnlich wie der Bogoriasee ist der Nakurusee stark alkalinund die Heimat von bis zu einer Million Exemplaren desKleinen Flamingos. Der See ist zentraler Bestandteil des in-ternational bedeutenden Lake Nakuru Nationalparks: Hiergibt es eine Vielzahl von interessanten, geschützten Tierar-ten, wie beispielsweise Spitz- und Breitmaulnashörner. DasNaturschutzgebiet ist in einem dichten urbanen Ballungs-raum gelegen und wird insbesondere durch Emissionen ausIndustrie und Landwirtschaft belastet [9].

Auf der Fahrt zum Reservat durchquert man diese intensiv bewirtschafteten Gebiete. Die Straßen der StadtNakuru sind voller geschäftiger Menschen. Um so stärkerist der Kontrast, wenn man am Ufer des Nakurusees ange-langt ist. Hier dominiert die rosa Farbe der Flamingos, dieim flachen Wasser staksen und die dichten Cyanobakte-rienblüten durch ihre Schnäbel seihen.

Doch auch am Nakurusee kommt es zum Massenster-ben von Flamingos (Abbildung 9). In der Literatur werdenneben den schon für den Bogoriasee genannten Ursachen,wie beispielsweise bakterielle Infektionen [14], auch wei-tere Gründe diskutiert. Schwerpunkt bilden hier Pestizide[2] und Schwermetalle [5]. Diese Umweltgifte gelangen vorallem aus dem industriellen und landwirtschaftlichen Ein-zugsgebiet des Parks in den Nakurusee. Zusätzlich zu die-sen Belastungen des Ökosystems konnten wir jedoch auchCyanotoxinkonzentrationen nachweisen, die für Flamingostödlich sein können. In der Trockenmasse der Cyanobakte-rien wurden bis zu 552,4 µg g–1 Microcystine und 62,9 µgg–1 Anatoxin-a nachgewiesen. Eine Analyse der Zusammen-setzung des Phytoplanktons ergab, dass zu der Hauptfutte-ralge Arthrospira weitere Cyanobakterienarten hinzukom-men, die potenziell in der Lage sind, Toxine zu produzie-

A B B . 9 DerUferbereich desNakurusees istvon Cyano-bakterienblütenbedeckt. Im Vor-dergrund Resteeines verendetenFlamingos.

A B B . 1 0 Anabaenopsis abijatae, einepotenziell giftige Cyanobakterienart,welche die Populationen der herkömm-lichen Flamingonahrung Arthrospiraüberwuchert.

ABB. 11 Verschiedene Phytoplankterim Süßwasser des Naivashasees:Pediastrum simplex (a), Pediastrumboryanum (b) und Cyanocatenaplanctonica (c).

A B B . 8 Veren-deter Flamingomit neurotoxi-scher Indikation,erkennbar an derVerrenkung desNackens und derBeine.

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ren, beispielsweise Vertreter der Gattungen Anabaena undAnabaenopsis (Abbildung 10). Aus der Sicht der Biodiver-sitäts- und Nahrungsnetzforschung ergeben sich hieraus in-teressante Ansätze:

Erstens haben wir es hier mit einem Beispiel zu tun, dasvom Paradigma: Hohe Biodiversität = hohe Ökosystemsta-bilität abweicht! Im Zuge der Erhöhung der Biodiversitätdes Phytoplanktons kommt es zu einer eklatanten Störungdes Ökosystems. Die urprünglich „monotone“ Flamingo-nahrung, die vorwiegend aus dem Cyanobakterium Ar-throspira besteht, wird durch mehrere potenziell toxischeCyanobakterientaxa durchmischt, und die Nahrungskettegerät aus dem Gleichgewicht.

Zweitens haben wir hier das erste Beispiel dafür, wieein Wasservogel durch Veränderung der Artzusammenset-zung seiner Hauptnahrungsgrundlage zugrunde gehenkann. Besonders interessant für die Erforschung kausalerZusammenhänge ist die extrem kurzgeschlossene Nah-rungskette vom Cyanobakterium (Arthrospira) direkt zumKonsumenten (Flamingo). Darüber hinaus ist zu klären, obArthrospira entgegen bisheriger Annahmen nicht doch toxische Populationen bilden kann.

Gegenwärtig ist das mysteriöse Flamingosterben im RiftValley Gegenstand einer multidisziplinären Forschung vonPathologen, Toxikologen, Ökologen und Ethnologen. Die-ses hochkomplexe Problem zu enträtseln wird durch einPhänomen im Verhalten der Flamingos sehr erschwert: ihreaußerordentlich hohe Wanderungsaktivität. Die Flamingo-populationen sind sehr mobil und fliegen in Abhängigkeitvon Nahrungsangebot und Brutaktivitäten sowie weiterenbisher nicht geklärten Ursachen [1, 15] weite Strecken undwerden so an den verschiedenen Seen unterschiedlichenGefährdungen ausgesetzt.

Naivashasee: Übernutzung schadet der Biodiversität

Der Naivashasee ist der am höchsten gelegene Rift-Valley-See Kenias (circa 1900 Meter). Dank eines unterirdischenAbflusses ist sein Süßwassercharakter erhalten geblieben:Auf diese Weise kann das durch die hohe Verdunstung imSee akkumulierte Salz ausgeschwemmt werden. Der Seezeichnet sich durch eine sehr hohe Diversität von Flora undFauna aus [3]. Detaillierte Untersuchungen zur Phyto-planktonbiodiversität dokumentieren den Naivashasee alsdas artenreichste Gewässer in der Region [6] (Abbildung11). Auf Grund seiner guten Wasserqualität wird der Seevielseitig genutzt und unterliegt teilweise Interessenkon-flikten. Tourismus, Fischerei, Trink- und Brauchwasserent-nahme (Abbildung 12) sind in vernünftigen Relationen zusteuern. Landwirtschaftliche Einrichtungen, speziell riesigeGewächshausanlagen für Blumen (unter anderem werdenhier Rosen für Europa produziert), entnehmen zur Bewäs-serung große Wassermengen aus dem See. Um die zu er-wartenden Konflikte zu verringern, wurde zu Beginn der1990er Jahre ein Managementplan vorgeschlagen [3]. Den-noch sind die Probleme gewachsen, und eine Prognose

A B B . 1 2 Ausdem Naivashaseewird Trink- undBrauchwasser di-rekt entnommen.

A B B . 1 3Botryococcus-Wasserblüte(Neustonhaut)am Naivashaseeim September2002.

A B B . 1 4 Tier-herden kommenzum Trinken ansUfer des Oloidien-sees, im Hinter-grund Frauenbeim Wäsche-waschen.

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über die Entwicklung des Sees ist sehr schwierig [4]. Über-nutzung, verbunden mit Wasserspiegelabsenkungen, Zer-störung weiter Teile des Papyrussaumes, der als Filter ge-gen negative Einflüsse aus dem Einzugsgebiet fungiert, unddie Einfuhr nichtheimischer Fisch- und Pflanzenarten inden See haben das Gleichgewicht empfindlich gestört. Ge-genwärtig ist der Fischfang verboten. Unsere bisherigenBefunde zeigen, dass es zu Massenentwicklungen einigerArten von Makrophyten (der Wasserhyazinthe Eichhorniaund des Wasserfarns Salvinia) sowie des Phytoplanktons(des potenziell toxischen Cyanobakteriums Microcystisund der Grünalge Botryococcus, die auf Grund ihres hohenÖlgehaltes (Reservestoff) auch als „Ölalge“ bezeichnetwird. Das Öl verleiht Auftrieb, und so kann die Alge auf-rahmen und Oberflächenhäute (Neuston) auf dem Wasserbilden. (Abbildung 13). In der Folge der Massenentwick-lung einzelner Arten kommt es zu einer Verarmung derBiodiversität.

Oloidiensee: Versalzung als Antwort auf Degradation und Klimawandel

Der Oloidiensee war früher eine Bucht des Naivashasees,die durch eine Absenkung des Wasserspiegels von ihm ge-trennt wurde. Heute entwickelt sich der Oloidiensee phy-siko-chemisch und biologisch anders als der Naivashasee.Besonders augenscheinlich ist die Tendenz zur Versalzung,die Mensch und Tier gefährdet (Abbildung 14). Auch diePhytoplanktongesellschaft reagiert prompt. In den 1980erJahren war das Phytoplankton noch vielfältig und dem desNaivashasees sehr ähnlich [6]. Später dominierten coccaleGrünalgen, das Ende dieser Grünalgendominanz setzte imJahre 2001 ein. Seither beobachten wir artenarme Aspekteaus Cyanobakterien (Chroococcus div. spec., Anabaenop-sis div. spec., Abbildung 15).

Durch den Anstieg des Salzgehaltes werden auch zu-nehmend Flamingos an den See gelockt. Im Frühjahr 2001beobachteten wir mehrere hundert Exemplare des KleinenFlamingos. Gerade an diesem Gewässer kann dokumentiertwerden, in welch kurzen Zeiträumen Änderungen der abio-tischen Bedingungen sich auf die Abundanzen der Artendieses Ökosystems auswirken.

Die fünf Untersuchungsgewässer repräsentieren hoch-interessante Biodiversitäts- und Salinitätsgradienten. DieSeen stellen besonders eindringliche Beispiele dar, wie esdurch Übernutzung von Oberflächengewässern und ihrerterrestrischen Einzugsgebiete zu einer Gefährdung vonÖkosystemen kommt. So vermitteln die Rift-Valley-Seennicht nur Vorstellungen über den Wandel von Gewässer-systemen in erdgeschichtlichen Zeiträumen, sondern auchvon den rasanten Veränderungen innerhalb wenigermenschlicher Generationen. Als Biodiversitätsforscher ge-raten wir in einen Konflikt: an einem Gewässer stört uns,dass die Biodiversität steigt und toxische Cyanobakterienzu stark aufkommen, mit dramatischen Folgen für die Fla-mingos (Nakurusee). An anderen Seen stört uns jedoch,dass die Biodiversität sinkt und ebenfalls toxische Cyano-bakterien stärker aufkommen (Naivashasee, Oloidiensee).Dies zeigt, dass wir noch weit von der Beantwortung derFrage entfernt sind, welcher Grad von Biodiversität für dieStabilität eines Ökosystems „gut“ oder „schlecht“ ist. Da-rüber hinaus müssen wir erkennen, dass die Interpretationdes Biodiversitätsbegriffs hochgradig von den menschli-chen Wertmaßstäben und Interessen beeinflusst ist.

ZusammenfassungAn fünf Rift-Valley-Seen in Kenia wird gezeigt, welchen Ge-fahren diese einmaligen Habitate ausgesetzt sind. Als Para-meter zur Gewässerbewertung wurde die Biodiversität desPhytoplanktons herangezogen. Besonders die Cyanobakte-rienpopulationen haben erheblichen Einfluss auf das öko-logische Gleichgewicht der Seen und die Nutzbarkeit desWassers. Die Untersuchungsgewässer repräsentieren hoch-interessante Biodiversitäts- und Salinitätsgradienten. Der Baringosee ist starken Verlandungs- und zunehmend auchVersalzungsproblemen ausgesetzt, darüber hinaus wurden

G LOSSA R |alkaline Seen: Stark salzhaltige Gewässer, die speziell durch ihren hohen Anteil an Karbonaten (Soda = Natriumkarbonat) und Bikarbonaten eine hohe Alkalinität(60 –1500 meq l –1) und einen hohen pH-Wert (> 10) aufweisen.

Anatoxin-a: Neurotoxin aus der Gruppe der Alkaloide, das irreversibel am Acetylcholin-Rezeptor bindet, was Muskelkrämpfe mit anschließender Erschöpfung verursacht. Es wird von Anabaena-, Aphanizomenon-, Oscillatoria- und Cylindrospermum-Artenproduziert.

Microcystine: Oligopeptide aus sieben Aminosäuren in etwa 60 Strukturvarianten, dieProtein-Phosphatasen inhibieren und Leberblutungen verursachen. Microcystine werdenvon Microcystis-, Anabaena-, Oscillatoria-, Anabaenopsis-, Nostoc- und Hapalosiphon-Arten produziert.

polymiktische Seen: Gewässer, deren Wasserkörper sehr häufig durchmischt wird.Hier haben wir es mit den warmen polymiktischen Seen der Tropen zu tun, die regelmäßig (nahezu täglich) bei starker nächtlicher Abkühlung durchmischt werden.

subsaline Seen: Subsaline Seen stehen in ihrem Salzgehalt (0,5 – 5 g l –1) zwischen Süß-wasser (< 0,5 g l –1) und salinen Gewässern (> 5 g l –1). Über die Schwellenkonzen-trationen bestehen jedoch in der Literatur unterschiedliche Ansichten.

A B B . 1 5 Cyano-bakterien derGattungen Chroo-coccus (a) undAnabaenopsis(b) dominierendas artenarmePhytoplanktondes Oloidiensees.

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Microcystine nachgewiesen. An den alkalinen Seen Bogoriaund Nakuru ist seit zwei Jahrzehnten eine erhöhte Sterberatedes Kleinen Flamingos beobachtet worden. Bisherige Be-funde weisen auf verschiedene Ursachen hin: Pestizide,Schwermetalle, bakterielle Krankheiten sowie Leber- undNervengifte aus der Gruppe der Cyanotoxine. Der Naivasha-see als Süßwasser leidet unter erheblicher Übernutzung undDegradation, was sich auch an seiner ehemaligen Bucht, demOloidiensee, durch einen deutlichen Anstieg des Salzgehaltesund einer Verarmung des Phytoplanktons zeigt.

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Weitere Literatur liegt bei den Autoren vor.

Die AutorenLothar Krienitz, geboren 1949, ist Leiter des Laborsfür Phykologie am Leibniz-Institut für Gewässer-ökologie und Binnenfischerei in Berlin. Nach Studiumund Promotion an der Pädagogischen HochschuleKöthen habilitierte er sich 1985 an der UniversitätRostock. Schwerpunkt seiner gegenwärtigen Arbeitsind Ökologie und Systematik von Grünalgen undCyanobakterien.

Andreas Ballot, geboren 1961, studierte Biologie ander Universität Freiburg. Er arbeitet zur Zeit als Pro-jektmitarbeiter im BIOLOG-Projekt zur Phytoplank-tonbiodiversität von Standgewässern Kenias und beschäftigt sich hauptsächlich mit der Biologie toxischer Cyanobakterien.

Kiplagat Kotut, geboren 1963, studierte und promo-vierte an der Kenyatta Universität Nairobi, wo er als Dozent für Botanik arbeitet. 1996/97 arbeitete er im Rahmen eines vom DAAD geförderten Phytoplanktonprojektes am IGB Neuglobsow.

Claudia Wiegand, geboren 1965, studierte Biologiean der Freien Universität Berlin und startete ihre Arbeiten über den Entgiftungsmetabolismus währendihrer Promotion am Leibniz-Institut für Gewässer-ökologie und Binnenfischerei, Berlin. 2002 Berufungzur Junior Professur Biochemische/Molekulare Öko-toxikologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.Derzeit sind direkte Effekte cyanobakterieller Sub-stanzen auf Organismen eines ihrer Untersuchungs-gebiete.

Geoff A. Codd, geboren 1944, studierte Mikrobiolo-gie an der Universität Bradford, England und promo-vierte dort über Algenphotosynthese und Photo-respiration. Stipendium am Max-Planck-Institut fürZüchtungsforschung, Köln. Professor für Mikro-biologie an der Universität Dundee, Schottland.Seine Forschungsinteressen liegen auf dem Gebietder Bildung und der Analyse von Cyanotoxinen undderen ökophysiologischer und gesundheitlicher Relevanz sowie der Entwicklung von Gewässerschutzund -kontrollmethoden.

Stephan Pflugmacher, geboren 1965, ist Leiter derAG Detoxierung und Metabolismus am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei,Berlin. Nach dem Studium an der Universität Ulmfolgte die Promotion an der GSF Neuherberg. Er habilitierte sich im Jahr 2002 an der Humboldt-Uni-versität zu Berlin. Schwerpunkt seiner derzeitigen Arbeiten sind Cyanotoxine sowie Huminstoffe undderen direkte Wirkung auf aquatische Organismen.

Anschrift: Dr. Lothar Krienitz, IGB, Alte Fischerhütte 2, D-16775Stechlin-Neuglobsow, Email: [email protected]

Danksagung:Die Arbeiten werdenim Rahmen desBIOLOG-Projektes01LC0001 desBundesministeriumsfür Bildung undForschung geför-dert.


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