+ All Categories
Home > Documents > Opfer und Fleischkonsum als Bildmotive der frühen griechischen Vasenmalerei

Opfer und Fleischkonsum als Bildmotive der frühen griechischen Vasenmalerei

Date post: 25-Nov-2023
Category:
Upload: unibas
View: 0 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
17
INNSBRUCKER KLASSISCH- ARCHÄOLOGISCHE UNIVERSITÄTS- SCHRIFTEN IKARUS 9 Akten des 15. Österreichischen Archäologentages in Innsbruck 27. Februar−1. März 2014
Transcript

INNSBRUCKERKLASSISCH-ARCHÄOLOGISCHEUNIVERSITÄTS-SCHRIFTEN

IKARUS 9

Akten des 15. ÖsterreichischenArchäologentages

in Innsbruck27. Februar−1. März 2014

Gerald Grabherr / Barbara Kainrath (Hrsg.)

Innsbruck 2016

Akten des15. Österreichischen

Archäologentagesin Innsbruck

27.Februar−1. März 2014

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . 8

Programm . . . . . . . . . . 9

Katrin Bernhardt Mix-and-match. Über die Verwendung mykenischer Elemente auf Kreta in Spätminoisch IIIA−IIIB . . . . . . . 13

Mirja Biehl Das sogenannte Leokoreion, ein klassisches Felsheiligtum auf der Athener Agora . . . . . . . . 21

Fritz Blakolmer Eine ›spezielle Prozession‹ in minoischen Siegelbildern: Evidenz für ein Herrschaftsritual im neopalatialen Kreta? . . . . 33

Katharina Blasinger/Marianne Erber/Ruth Irovec/Arpad Langer/Stephan Leitner/Martina OttNorische Keramik − eine statistische Annäherung . . . . . 41Josef EitlerSpätantike Umbrüche im Stadtbild von Teurnia . . . . . 55Fathia Gaber EbrahimFalse Doors on Funerary Loculi Slabs in Greek and Roman Alexandria . . 67

Stefan Groh/Florian Schimmer/Patrizia DonatForschungen im westlichen Suburbium von Aquileia. Erste Ergebnisse eines Surveys im Bereich des Westhafens . . . . 79

Marion Großmann Fluch und Segen. Zur Wissensvermittlung und Kulturpädagogik in der Archäologie . . . . . . . . . 89

Christoph HinkerNeue Forschungsansätze zum Gebäudekomplex »Tycheion« von Aigeira, Peloponnes . . . . . . . . 97

Silvia Kalabis/Lisa Peloschek/Walter GaußSäure und Keramik? Praktische Versuche am Beispiel der Keramik von Aigeira . . . . . . . . . 105

Artemis KarnavaMinoische Siegel: ein Fremdkörper in Akrotiri auf Thera . . . . 113Johanna KraschitzerKalziumkarbonatgemagerte Kärntner Schwarzhafnerware − Ergonomie eines Kochgeschirrs der frühen Neuzeit . . . . 123

Gabrielle KremerZum Corpus Signorum Imperii Romani Carnuntum – Ergebnisse und Fragestellungen . . . . . . . 129

Karl R. Krierer/Ina FriedmannAlexander Conze in Wien (1869−1877) . . . . . . 141Andrea KurzDie Entwicklung von Diskontinuitätsmodellen am Beispiel von Aigeira . . 153

6

Susanne LammGlasfunde aus der römischen Villa Grünau (Steiermark) und den benachbarten Hügelgräbern . . . . . . . 163Felix Lang/Raimund Kastler/Elisabeth Binder/Wolfgang WohlmayrDie Grabungen in der villa rustica Neumarkt-Pfongau I in den Jahren 2013 und 2014 . . . . . . . 175

Manuela LeibetsederNeue Forschungen zu den Naiskoi (Gebäude D, E und F). Erste Untersuchungen zur Innenausstattung . . . . . . 187

Ute Lohner-UrbanDas Osttor von Side − ein hellenistisches Tor? . . . . . 195

Patrick MarkoAusgewählte Keramikfunde aus der römischen villa Thalerhof . . . 203

Katharina MeineckeAntike Motive in der frühislamischen Kunst: Neue Beobachtungen zur Bauornamentik des Palastes Mschatta in Jordanien (8. Jh.) . . . 215

Martin Mosser/Kristina Adler-Wölfl/Theresia Pantzer/Bendeguz Tobias/Karin Wiltschke-SchrottaZwei Ziegelöfen der legio XIIII gemina martia victrix in den Legionsziegeleien von Vindobona . . . . . . . 227

Florian Martin Müller„Archäologie“ in der Antike? – Ausgrabungen bei Griechen und Römernim Spiegel literarischer Quellen . . . . . . . 243

Lisa ObojesKinderbestattungen in Daunien - Nordapulien (7.−3. Jh. v. Chr.). Ein Überblick . . . . . . . . . . 257

Birgit ÖhlingerRitueller Konsum am Monte Iato. Ein überregionaler Kultplatz im Binnenland des archaischen Siziliens . . . . . . . 265

Toshihiro OsadaUnsichtbare Götter. Darstellung der Intervention der Gottheit in frühklassischer Zeit . . . . . . . . 275

Andreas Picker/Bernhard Hebert/René Ployer/Marianne PollakBraucht Österreich ein Unterschutzstellungsprogramm für seine archäologischen Denkmale? . . . . . . . 285

Dagmar ProbstDie älteren Metopen von Foce del Sele . . . . . . 289

Josef Ries/Raimund KastlerDie Villa rustica von Bergheim–Kerath. Ein Zwischenbericht zur geophysikalischen Prospektion . . . . . . . 297

Ursula SchachingerDer Münzumlauf in Ephesos von hellenistischer Zeit bis in die spätbyzantinische Periode − ein Überblick . . . . . . 307

7

Sven Th. SchipporeitColumna Rostrata: Das triumphale Säulenmonument im republikanischen Rom . . . . . . . . . 321

Günther SchörnerSurvey in den suburbia von Ephesos und Metropolis: Fragestellungen − Methoden − erste Ergebnisse . . . . . 331

Hadwiga SchörnerDie Disziplin Klassische Archäologie an der Universität Wien in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts (1898−1951) . . . . . . 347

Veronika SchreckRömische Keramik aus Nordetrurien. Ein Vergleich der Keramik aus urbanen und ländlichen Kontexten . . . . . . . 359

Verena SchumacherDie großformatigen Terrakotten des spätarchaischen Hauses vom Monte Iato . . . . . . . . . 369

Yvonne SeidelLichter der Lebenszyklen . . . . . . . . 381

Veronika SossauOpfer und Fleischkonsum als Bildmotive der frühen griechischen Vasenmalerei . 391

Magdalena StützAntike Darstellungen römischer Foren . . . . . . 403

Dieta F. SvobodaIntra urbane Steinbrüche − ein Beispiel aus Velia . . . . . 415

Emiko TanakaAthletendarstellungen auf Grabstelen spätarchaischer Zeit . . . 425

Alice Waldner/Christian GuglDer Oberflächensurvey in Troesmis (RO) 2012−2013: Keramikfunde und Verbreitungsbilder . . . . . . . . . 433

Jörg WeilhartnerZum Konsum von Bier in der ägäischen Bronzezeit . . . . . 445

Michaela ZavadilDie Besiedlung der Peloponnes in der mittleren Bronzezeit: regionale und zeitliche Aspekte . . . . . . . . . 455

Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . 465

391

Opfer und Fleischkonsum als Bildmotive der frühen griechischen Vasenmalerei

Veronika Sossau, Tübingen

Als zwar nicht unmittelbar überlebensnotwendige, aber hochwertige Protein-quelle nimmt Fleisch nicht nur eine besondere ernährungsphysiologische, sondern vor allem auch soziale Rolle ein. So lässt es sich auch nach der Domestikation von Tieren als hoch begehrtes und prestigeträchtiges Nahrungsmittel greifen, dessen Konsum nach gängiger For-schungsmeinung ein vorangegangenes Opfer erforderte1.

Immer häufiger angewandte Stabilisotopenanalysen und Zahngesundheitsunter-suchungen an menschlichen Skeletten sowie Untersuchungen des archäozoologischen und -botanischen Fundmaterials archäologischer Kontexte geben an immer mehr Orten im ägä-ischen Mittelmeerraum Aufschluss über die tatsächliche Zusammensetzung der Ernährung von Individuen und erlauben weiterführende Überlegungen darüber, inwieweit sich Aspekte wie Geschlecht und sozialer Status die Ernährungsphysiologie beeinflussen.

Vor der besseren Erschließung dieser naturwissenschaftlichen Möglichkeiten wurden vor allem Text- und Bildquellen zur Rekonstruktion vergangener Lebensrealitäten herangezogen.

Die durch naturwissenschaftliche Möglichkeiten erweiterte Quellenlage unter-stützt einen neuen Zugang zu Text- und Bildquellen: Diese werden zunehmend weniger als Belege für historische Lebensrealitäten behandelt, sondern vermehrt als Medien betrach-tet, in denen im Hintergrund stehende, häufig nicht explizit erklärte Konventionen diskursiv verarbeitet werden. Eine diskursive Auseinandersetzung mit Bildquellen ist schließlich auch Thema des vorliegenden Aufsatzes, der einen kurzen Überblick zu Genese und Veränderun-gen von Darstellungskonventionen des Motives des Konsums von Fleisch und des damit ver-bundenen blutigen Opfers liefern soll.

Mit dem Einsetzen der figürlichen Bildkunst in der spätgeometrischen atti-schen Vasenmalerei lassen sich erste Überlegungen zur Thematisierung von Fleisch in der frühen griechischen Kunst anstellen. Szenen, die Aufbahrung und Ausfahrt des Verstor-benen zeigen, setzen sich als zentrale Bildmotive auf qualitativ hochwertigen spätgeo-metrischen Grabgefäßen durch. Bei den Bildträgern selbst handelt es sich zum einen um monumental ausgeführte Behälter alkoholischer Getränke wie Kratere und Amphoren2. Diese Gefäße zeugen davon, dass die um die Toten Trauernden nicht nur in der Lage wa-ren, ein hochwertiges Grabdenkmal in Auftrag zu geben, sondern dass sie sich anlässlich der Bestattung auch als Festgeber erwiesen hatten. Bilder, die Prothesis und Ekphora zeigen, dekorieren jedoch auch kleinere Gefäße wie Krüge, Kannen und Amphoren, die auch als Grabbeigabe dienten. In einer Reihe von Prothesisbildern treten schließlich auch Tiere in Erscheinung, die sich zumeist direkt unter der Totenbahre befinden3. Es ist

1 Dazu überblickend (mit weiterführender Literatur): DNP 4 (1998) 553−554 s. v. Fleischkonsum I (M. Jameson); DNP 8 (2000) 1241−1243 s. v. Opfer IIIB (J. Bremmer).2 Vgl. zur Rolle von monumental ausgeführten Weinbehältern als Grabdenkmäler im geometrischen Athen zuletzt WecoWski 2014, 271−275. 3 vgl. z. B. Grabkrater aus dem Hirschfeld-Workshop, 750−735 v. Chr., New York, Metropolitan Museum Inv. 14.130.14: richter 1915, 386−394. Taf. 17−20. Taf. 23,1; ahlBerg-cornell 1971, 26,25. 156. Abb. 25a−f; Oder die spätere Prothesis-Darstellung auf einem Krug des Athen-897-Malers, London, British Museum Inv. 1912,0522.1: ahlBerg-cornell 1971, 28,45. 156. 253−260. Abb. 45a−d. Ein motivisch eng mit dieser Darstellung verbundener Vor-läufer (SHIIIC) des Tieres unter der Kline findet sich auf einem im pictorial style bemalten Krater aus Agia Triada in Elis: hiller 2006, 185−188. Abb. 5 (mit weiteren Literaturangaben).

392

Veronika Sossau

durchaus möglich, dass hierbei auf Tiere angespielt wird, die anlässlich der Bestattungs-feierlichkeiten geopfert und gemeinsam verzehrt oder die dem Verstorbenen als Grab-beigabe mitgegeben wurden.

Deutlicher zeigt sich dieser Zusammenhang auf dem sogenannten Molione-Krater, einem um 725 v. Chr. entstandenen Grabkrater aus dem Trachones-Workshop4. Das oberste Bildfeld zeigt einen aufgebahrten Toten im Zentrum. Unter dem Totenbett sitzen Frauen, die sich im Trauergestus die Haare raufen, auf Stühlen. Links der Kline naht ein Zug trauernder Frauen, während sich von rechts bewaffnete Männer auf die Kline zubewegen, die immer wieder als „Gabenträger“ angesprochen werden. Die Leerräume zwischen den Männern sind mit verschiedenen Tieren gefüllt (Abb. 1). Unter diesen erscheinen vor allem jene, die die ersten beiden Zwischenräume füllen (möglicherweise Hunde), tot und leblos. Weiter hinten folgen Männer mit Ketten von Meerestieren, wobei es sich um Fische oder Austern handeln könnte, sowie Vögeln. Diese Tiere werden zumeist als Anspielung auf jene Tiere betrachtet, die während der Bestattungsfeierlichkeiten geopfert und verspeist wurden5, deren Überre-ste häufig gemeinsam mit dem Toten verbrannt wurden und schließlich in die Bestattungen gelangten, manchmal sogar mit dem menschlichen Leichenbrand vermengt6.

Abb. 1: Die sogenannten Gabenträger des sog. Molione-Kraters, attisch geometrischer Krater (New York, Metropolitan Museum Inv. 14.130.15).

4 New York, Metropolitan Museum Inv. 14.130.15: ThesCRA 5 (2005) 311, 1016 (J. metz); richter 1915, 394−396. Taf. 21. 22. 23, 2−3; Boardman 1966, 1−4. Taf. 1−3; Fittschen 1969, 20. 68−69, M3. 70−75; ahlBerg-cornell 1971, 27 Nr. 22. 212−213. 240−252. Abb. 22a−i (datiert den Krater früher, LG Ib); Froning 1988, 182−187. Abb. 10−112; giuliani 2003, 56−58. 5 Boardman 1966, 1−4; Fittschen 1969, 20; Froning 1988, 180; himmelmann 1997, 15. Annette Haug glaubt dagegen an eine Anspielung auf das männlich konnotierte Thema der Jagd: haug 2012, 72−73.6 Vgl. dazu schon Boardman 1966, 2 Anm. 10 mit Beispielen und Literaturverweisen.

Mit Aufkommen der orientalisierenden Periode werden erstmals Aspekte wie das blutige Opfer, die Schlachtung sowie der Verzehr von Fleisch thematisiert. Es handelt sich da-bei zunächst um wenige und sehr eigenständige Darstellungen innerhalb des 7. Jhs. v. Chr. Mit zunehmendem Verlauf der Zeit ist aber eine Entwicklung von Bildkonventionen feststellbar, die sich zum Teil auch überregional fassen lassen. Hierbei spielen die Motive des Lagernden auf einer Kline sowie der Andeutung des blutigen Opfers durch die Darstellung der Opferpro-zession eine bedeutende Rolle.

Opfer und Fleischkonsum als Bildmotive der frühen griechischen Vasenmalerei

393

Die Gruppe der Gelageszenen zeigt zumeist nicht im Einzelnen hervorgehobene auf Klinen lagernde Männer (in manchen Fällen auch Frauen)7 und bildete sich in der korin-thischen Vasenmalerei heraus. Fleisch spielt dabei zunächst eine untergeordnete Rolle. Eine Ausnahme bildet der um 600 v. Chr. entstandene korinthische Eurytos-Krater8, auf dessen Hauptbildfeld Herakles beim Gelage mit Eurytos und dessen Söhnen erscheint. Alle Teilneh-mer sind durch Namensbeischriften zu identifizieren. Der besondere Status des Herakles wird unter anderem durch ein Messer, das der Heros in der Hand hält, betont (Abb. 2). Die-ses Gerät interpretierte man zumeist als Essbesteck9 und brachte es mit der Darstellung der Schlachtung eines Tieres unter dem Henkelansatz in Verbindung, auf der ein Schenkel, der möglicherweise als Ehrenanteil10 zu verstehen ist, wegtransportiert wird. Hält sich Herakles, der als großer Fleischesser bekannt ist11, in Erwartung des Mahles schon ein Messer bereit? Wahrscheinlicher ist das Messer aber als Symbol für den herausragenden Status des Herakles zu verstehen, dem als Heros ähnlich wie einem basileus eine Funktion als machtvoller Zer- und Verteiler von Fleisch zukommt. Der Eurytos-Krater ist das früheste Beispiel (und das ein-zige mit klarem mythologischem Bezug) eines Bildes, das auf Klinen lagernde Männer zeigt.

In der attischen Vasenmalerei wird das Bildmotiv der Lagernden schließlich über-nommen, wobei das Motiv des Fleisches immer stärker betont wird. Es hängt bis in die spä-te schwarzfigurige Vasenmalerei hinein in großen Stücken von den Tischen, die den Klinen

7 Die Gruppe der Gelageszenen wurde mehrfach untersucht, vgl. insbes.: dentzer 1982; Fehr 1971; WolF 1993 (in Bezug auf Herakles).8 Protokorinth. Kolonettenkrater ohne Malerzuschreibung, um 600 v. Chr., Paris, Louvre Inv. E635: amyx 1988, 147,1; LIMC 4 (1988) 118 s.v. Eurytos 1 (R. olmos); denoyelle 1994, 38−39,14; Fehr 1971, 28−29. 138,5; genière 1988, 84 Abb. 1. 85; kyrieleis 1969, 116,1; Payne 1931, 302,780; Pottier 1897−1922, 65. Taf. 48−49; scheFold 1993, 251−252 Abb. 270; WolF 1993, 42. 220−221, Kor. Taf. 1 Abb.1−4.9 Nach Sparkes (sParkes 1962, 132) lässt sich eine Verwendung des Messers als Essbesteck nicht greifen. Zustim-, 132) lässt sich eine Verwendung des Messers als Essbesteck nicht greifen. Zustim-mend: giuliani 2003, 180.10 Zu Ehrenanteilen vgl. v. a. tsoukala 2009.11 So etwa Blatter 1976, 52, der im Attribut des Messers eine Anspielung auf die literarische Typisierung des He-, 52, der im Attribut des Messers eine Anspielung auf die literarische Typisierung des He-rakles als großer Fleischesser aufgegriffen sieht.

Abb. 2: Herakles mit Messer. Detail aus dem Hauptbildfeld des sog. Eurytos-Kraters.

394

vorgelagert sind oder seltener auch zwischen Stühlen stehen. Zumeist wird die Präsenz der Fleischstücke als Beleg dafür verstanden, dass in den frühen Symposien das Speisen und das Trinken weniger voneinander getrennt gewesen wären als ab der spätarchaischen/frühklassischen Epoche oder als Hinweis auf das dem Symposion vorangegangenen gemein-samen Mahl12. Auffällig ist dabei jedoch, dass es sich bei den großen Fleischstreifen um rohes Fleisch handelt, das zwar bereits grob portioniert wurde, aber noch einer weiteren Zerteilung und vor allem auch einer Zubereitung bedarf, bevor es verspeist werden kann. Die Fleischstreifen dürften daher vermutlich weniger als eine während des Gelages konsu-mierte Speise zu verstehen sein, sondern eher einen symbolischen Gehalt einnehmen13. Dies dürfte auch auf die zuweilen in Erscheinung tretenden Messer zutreffen, die ähnlich wie beim bereits besprochenen Eurytos-Krater wohl weniger als Essbesteck oder als Anspielung auf den besonderen Appetit des Heros, sondern vielmehr als Zerteilwerkzeug zu verstehen sind. Durch Messer werden vor allem bestimmte Heroen wie Achill und Herakles als beson-ders mächtig hervorgehoben.

Neben der Veranschaulichung der Verbindung der Aspekte Fleisch, Macht, Stär-ke, Opfern, Zerteilen/Verteilen bildet sich schließlich auch eine weitere, erstaunlich über-regionale Gruppe von Bildern heraus. Diese Bilder deuten das blutige Opfer mit der Darstel-lung der pompé, des friedlichen Opferzuges, lediglich an. Dabei schreitet das unversehrte Tier gleichsam zustimmend zum Altar, während die blutige Durchführung des Opfers den Augen des Betrachters in aller Regel verborgen bleibt. Immer wieder wurde versucht, in solchen Prozessionsszenen Illustrationen bestimmter Feste zu erkennen. Allerdings fehlen für derart konkrete Zuschreibungen letztlich klare ikonographische Evidenzen14. Anstelle des durch den Heros veranschaulichten wirkmächtigen basileus tritt hier die Gemeinschaft in den Vordergrund. Der Zug mit den Opfertieren wird als soziales Ereignis gezeigt, an dem in der Regel Männer und Frauen teilnehmen und bestimmte Personen in spezialisierte Funktionen gezeigt werden.

Die Herausbildung des Motives der pompé lässt sich überregional fassen. Zu-nächst tritt es in der korinthischen Vasenmalerei in Erscheinung, in der das blutige Opfer schon im 7. Jahrhundert vereinzelt thematisiert wurde15. Eine Reihe von frühmittelkorin-thischen Darstellungen zeigt schließlich Prozessionszüge, bei denen Tiere mitgeführt oder -getragen werden16, andere Bilder zeigen Rinder, die geführt werden oder, wie auf einem Alabastron in Berlin17 zu sehen, einem kurz gewandeten Mann, der eine Doppelaxt erhoben

12 Zu differenzierteren Analysen des Motives der Fleischstreifen vergl. schmitt Pantel 1994, 18−20; WolF 1993 93−96.13“Die außergewöhnliche Nahrungsaufnahme bezeichnet Ehrung, Stärkung, Macht. Die Motive übernehmen da-mit eher charakterisierende Funktion, als daß sie direkte Anspielungen auf ein Kultgeschehen enthalten“: WolF 1993, 95−96.14 Vgl. z. B. die Diskussion um die Darstellung des Panathenäenzuges auf einer att. sf. Bandschale ohne Maler-zuschreibung, 560−540 v. Chr., Paris, Sammlung Stavros Niarchos Inv. A031: Zusammenfassung der Diskussion bei geBauer 2002, 32−34.15 Vgl. die Fragmente der um 660−640 v. Chr. entstandenen protokorinth. Kanne des Sacrifice Malers aus Aegina, Archäologisches Museum Aegina Inv. K340: EAA VI (1965) 1061 s.v. sacrificio, pittore del (P. Bocchi); amyx 1988, 35, A7. Taf. 12,2; geBauer 2002, 274 Sv15. 288. 732 Abb. 150; himmelmann 1997, 16−17 Abb. 6; kraiker 1951, Taf. 27, 340; lehnstaedt 1970, 21; Van straten 1995, 23−24. 213, V113; Welter 1938, 37 Abb. 35. 16 Beispiele: Frühmittelkorinth. Teller aus Perachora, Athen, Nationalmuseum Inv. P1951; Mittelkorinth. Pyxis (nach Amyx möglicherweise dem Skating Maler zuzuschreiben), München, Staatl. Antikensammlung Inv. 7741; Mittelkorinth Pyxis des Skating Malers, Paris, Bibliothèque National, Cabinet des Medailles Inv. 94. 17 Frühmittelkorinth. Alabastron, Berlin, Antikensammlung Inv. 3419: BAD 9019314: Berger 1998, 134; Brendel 1930, 219−220; durand 1986, 104 Abb. 24; geBauer 2002, 274, Sv16. 733 Abb. 151; himmelmann 1997, 16−9.17 Abb. 7; Payne 1931, 283,362; Peirce 1993, 257; Van straten 1995, 220, V148. Abb. 113.

Veronika Sossau

395

Abb. 3: Prozession zum Altar der Athena, auf dem Bildfeld einer attisch schwarzfigurigen Bauchamphora des Malers von Berlin 1686

(Berlin, Antikensammlung F1686).

18 Korinth. Pinax aus Pitsa bei Sikyon, um 540−520 v. Chr., Athen, Nationalmuseum Inv. 16464: BAD 9019342: Thes-CRA 1 (2004) 15−16, 97. Taf. 5, Gr.97 (M. true et al.); aktseli 1996, 14−15. 18.87, Re4; amyx 1988, 394−395. 604−605; Brand 2000, 220−221, Korinth 1. Taf. 7; connelly 2007, 170−171. Taf.3,6,3; geBauer 2002, 163, Pv 142; hausmann 1960, 15−16 Abb. 4; himmelmann 1997, 20. 21 Abb. 9; kaltsas − shaPiro 2008, 225,101 (E. stasinoPoulou-kakarouga); lehnstaedt 1970, 213; neumann 1979, 27. Taf. 12a; nordquist 1992, 147 Anm. 17; Jones roccos 1995, 651−652 Abb. 8; schelP 1975, 86, K16; Van straten 1995, 57−58. Abb. 56.19 Böot. sf. Dreifußkothon der Gruppe der böotischen Tänzer (Maler von Berlin 1727), Berlin, Antikensammlungen Inv. F1728: BAD 300333: ABV 29,1; Add2 8; ThesCRA 2 (2004) 374, 216. Taf. 85, Gr.216 (A. goulaki Voutira); CVA Berlin, Staatliche Museen Antikensammlung (4), Taf. (1621−1623) 195−196.197, 5−7; ghiron-Bistagne 1976, 215 Abb. 69−70; kilinski 1978, 176,1. 177 Abb. 4−5: kilinski 1990, 15−17,1. Taf. 7,1−2; nordquist 1992, 145 Abb. 1.146 Anm. 9; scheFFer 1992, 120 Abb. 1 (Prozession). 121 Abb. 2 (Bankett). Abb. 3 (Tanz).127, B1.138, B1; schmitt Pantel 1992, Abb.26.20 Vgl. dazu überblickend insbesondere: laxander 2000, 7−27; geBauer 2002, 146−209; Van straten 1995, 13−22.21 Att. sf. Bauchamphora des Berlin 1686-Malers aus Vulci, um 55/40 v. Chr., Berlin, Antikensammlung Inv. F1686: BAD 320383: ABV 296,4; Add2 77; Para 128; LIMC 2 (1984) 1010 s.v. Athena 575 (P. demargne); connelly 2008, 187−188 Abb. 1; geBauer 2002, 40−42, P8. 685 Abb. 8; laxander 2000, 160, OZ9. Taf. 2, 2−3; lehnstaedt 1970, 191, K9; nor-dquist 1992, 146 Anm. 14. 148−149 Abb. 3a−b; shaPiro 1989, 30. Taf. 9c−d; shaPiro 1992, 54−55, Abb. 34a−b; Van straten 1995, 197,V21. Abb.4a.

hat, gegenübertreten. Während das Motiv des Altares in den früh- und mittelkorinthischen Bildern noch nicht präsent ist, ist es auf dem zwischen 540 und 520 v. Chr. entstandenen bemalten hölzernen Pinax aus der Pitsa-Höhle bei Sikyon18 deutlich zu sehen.

Auch in der böotischen Vasenmalerei treten ab etwa 570 v. Chr. Prozessionsszenen auf, die auf einen Altar ausgerichtet sind, wie etwa auf einem böotischen Dreifuß-Kothon aus Tanagra19 zu sehen ist. Hier schreitet ein großes Schwein gefolgt von einem Prozessionszug gleichsam aus eigenen Stücken zum Altar.

Opfer und Fleischkonsum als Bildmotive der frühen griechischen Vasenmalerei

Zur Mitte des 6. Jahrhunderts tritt die pompé schließlich auch in der at-tischen Vasenmalerei in Erscheinung, wo sie bis in die Spätarchaik hinein präsent bleibt20. Auch wenn die Ausgestaltung des Motivs im Detail stark variiert, was Anzahl und Ausgestaltung der Prozessionsteilneh-merInnen, Präsenz und Form von Altären so-wie Gottheiten oder ihrer Bildnisse, Andeu-tung der architektonischen Ausgestaltung des Heiligtums etc. betrifft, so steht das prachtvolle, unversehrte Opfertier im Vor-dergrund, das zwar zumeist geführt wird, jedoch ohne sichtbare Anwendung von Ge-walt. So etwa zeichnet sich das Bildfeld ei-ner um 550/40 v. Chr. entstandenen attisch schwarzfigurigen Bauchamphora des Malers von Berlin 1686 (Abb. 3)21, die einen Opferzug zum Altar der Athena zeigt, durch eine ruhi-ge und friedliche Atmosphäre aus. Das Bild zeigt ein rundum gelungenes Opfer mit einem „willigen“ Opfertier.

Vereinzelt treten allerdings auch Darstellungen des Opfers mit einer weniger friedlichen Bildsprache in Erscheinung − in seltenen Fällen wird dabei die Tötung des Opfers gezeigt. Zumeist wurde versucht, diese Darstellungen als Illustrationen spezifischer Opfer-riten mit bestimmten Festen oder Kulten in Verbindung zu bringen, wie etwa die viel disku-tierte, um 550/30 v. Chr. entstandene attisch schwarzfigutrige Bauchamphora aus Viterbo

396

(Abb. 4)22, auf der eine nicht wiederholte Szene zu sehen ist: Eine Gruppe von insgesamt zehn Männern schafft mit großen Mühen einen Stier heran − das Tier wird dabei getragen. Bis auf einen in einen Kurzchiton gekleideten bärtigen Mann, der dem angespannten, sich offen-sichtlich wehrenden Tier ein Messer in die Kehle rammt, sind alle übrigen Männer nackt dar-gestellt. Während die meisten Männer damit beschäftigt sind, den Stier in die Höhe zu stem-men, zieht ganz links noch einer der Männer am Schwanz, während sich ein weiterer rechts in den Führstrick wirft, um den Kopf des Tieres nach vorn zu ziehen. Ein weiterer Mann schafft eine Wanne herbei, die zumeist als sphageion, ein Behältnis zum Auffangen des Opferblutes, gelesen wird. Weil er sich zugleich damit beschäftigt, die Schnauze des Stieres nach oben zu drücken, befindet sich die Wanne in Schräglage. Darunter liegt ein nicht identifizierbares und in der Forschung weitgehend ignoriertes Objekt auf dem Boden. Ein Altar ist nicht dargestellt.

Dieses Bild wurde auf ganz unterschiedliche Art in der Forschung thematisiert. Immer wieder wurde auf ein aus späteren Quellen überliefertes durchaus heftig diskutier-tes Ritual des „Anhebens des Rindes“23 verwiesen. Eine oftmals versuchte Festlegung auf

22 Att. sf. Bauchamphora des Malers von Louvre F51 (Beazley) in Viterbo, Museo Civico o. Inv., BAD 10600: BarBieri − durand 1985, 1−2,6−7,10−11, Abb. 1−3. 6−7. 11−12; Bonnechere 1998, 387−388; Boardman 1991, 97. 99 Abb.40; con-nelly 1996, 62. 63 Abb. 6; durand − schnaPP 1984, 55 Abb. 83; geBauer 2002, 257−259, S1.726 Abb. 134; henrichs 2006, 69; himmelmann 1997, 22−25. Abb. 13; laxander 2000, 28−32. Taf. 18; mylonoPoulos 2013, 75; Parker 2007, 180−181 Abb. 9; Peirce 1993, 220. 234−235. 266 Abb. 1; Van straten 1995, 109−113. 219,V141. Abb. 115.23 Zur Quellenanalyse vergl. insbes. Fritze 1903, 61−67; stengel 1910, 105−116; RE 18,1 (1939) 610−611 s. v. Opfer (L. ziehen); Van straten 1995, 109−111. Diskutiert wurde dabei insbesondere, ob der ganze, auch nicht-betäubte Stier nur dessen Kopf gehoben wird. Nach Stengel und dessen Rücksprache mit Metzgern eines Berliner Schlacht-hofes ist ersteres als praktisch unmöglich anzusehen (diese Meinung setzte sich lange Zeit durch). Fritze und Ziehen lehnten Stengels Vorstellung vehement ab. Auch van Straten überlegt, wie Stengel auf das diesem noch nicht bekannte Bild auf der Amphora aus Viterbo reagiert hätte (Van straten 1995, 111), das er selbst als eine Art Gegenbeweis für dessen oftmals wiederholte These anführt: Van straten 1995, 109. Zustimmend: naiden 2007, 69. Auch Henrichs geht davon aus, dass das Hochheben „seinen rituellen Sitz im Leben“ hat: henrichs 2006, 69.

Abb. 4: Schächtung eines Stiers auf einer attisch schwarzfigurigen Bauchamphora des Malers von Louvre F51 (Viterbo, Museo Civico o. Inv).

Veronika Sossau

397

spezifische Feste24 ist aufgrund fehlender ikonographischer Anknüpfungspunkte nicht mög-lich25, zumeist wurde das Bild jedoch als Illustration eines konkreten, greifbaren Vorganges verstanden26. Für Van Straten steht dabei ähnlich wie für Jörg Gebauer die Präsentation des agonalen Elements im Vordergrund, das sich ikonographisch in Akzentuierung der in diesem spezifischen Ritual nötigen „geballten Manneskraft“ äußere, was auch die etwas ungewöhnlich für eine Opferszene anmutende Nacktheit der Männer sowie das Fehlen des Altares erkläre27. Heike Laxander begründete die ungewöhnliche Darstellung des Opfers mit einer besonderen Betonung der für den speziellen dargestellten Ritus notwendigen gemeinschaftlichen Aktion28.

24 Vgl. etwa lehnstaedt 1970, 89−90 (Panathenäen); Parke 1986, 73−74 (Herakles nach Theophr. Char. VIII (XXVII)5). 111. 263−264 (Hephaistos); Berger 1998, 30. 34 (Hephaistos); 25 Vgl. dazu shaPiro 1995, 5; Van straten 1995, 113; laxander 2000, 29.26 Vgl. Anm. 23. 27 Van straten 1995, 112−113; geBauer 2002, 259.28 laxander 2000, 31−32. 29 Bonnechere 1998, 384.30 Peirce 1993, 220. 234−235.31 Zusätzlich anzuführen wären Fragmente eines um 660 v. Chr. datierten frühattischen Kraters (Boston, Museum of Fine Arts Inv. 6,67), der eine Frau, die von mehreren Männern getragen wird, zeigt. Nachdem von der Frau allerdings nur die Unterschenkel und Füße erhalten sind, bleibt eine nähere Zuordnung der Szene spekulativ. Eine weitere Überlieferung des Motivs außerhalb der Vasenmalerei liegt in der Reliefdekoration des 1994 in Gümüsçay aufgefundenen Polyxena-Sarkophag (Çanakkale, Archäologisches Museum, 520−500 v. Chr.) vor: seVinç 1996; reins-Berg 2001; mylonoPoulos 2013, 76−78.32 Tyrrhen. Amphora des Timiades-Malers (Bothmer), London, British Museum Inv. 1897.7-27.2, BAD 310027: ABV 97,27. 683; Add2, 26; Para 37; LIMC VII (1994) 433 s.v. Polyxena 26.Taf. 755 (o. toucheFou-meynier); ThesCRA I, 130,595.Taf.34,GR.595 (A. hermanry); Blome 1998, 82−84; Bonnechere 1998, 380. 387−388; conelly 1996, 62. Abb.5; geBauer 2002, Sv25. 735 Abb.160; hedreen 2001, 134−135. 164-165. Abb.36; henrichs 2006, 70; maaskant kleiBrink 1989, insbes. 46 (mit Abb.); mylonoPoulos 2013, inbes. 74−77.83−84; Peirce 1993, 253−254; sPiVey 1991, 140−142. Abb.58; Van straten 1995, 114. 272,V422.Abb. 118;

Opfer und Fleischkonsum als Bildmotive der frühen griechischen Vasenmalerei

Abb. 5: Schächtung der Polyxena auf einer tyr-5: Schächtung der Polyxena auf einer tyr-: Schächtung der Polyxena auf einer tyr-rhenischen Amphora des Timiades-Malers

(London, British Museum Inv. 1897.7-27.2).

Die Methodik, konkrete reale Abläufe hinter den Bildern zu verorten − von Pierre Bonnechere mit den Worten „What you see is what it is“ 29 umschrieben −, räumt der Bildsymbolik und ihren Auswir-kungen allerdings wenig Raum ein. So wurde etwa die in diesem Bild sichtbar angewand-te Gewalt bislang kaum eingehender thema-tisiert. Sarah Peirce nahm auf die fehlende Harmonie in der Anordnung der Figuren Be-zug und identifizierte humoristische Züge in dem Bild. Dies bewog sie dazu, die Szene in einem komastischen bzw. dionysischen Zusammenhang zu betrachten, eventuell den eines Satyrspieles30. Lediglich Pierre Bonne-chere, der den Zusammenhang mit der einzigen wirklich vergleichbaren Szene auf einer Vase31, die eine ähnliche Durchführung eines Opferrituals zeigt, hebt allerdings den Aspekt der Gewalt klar hervor. Die motivische Ähnlichkeit des Bildes aus Viterbo zu einer um 570/60 v. Chr. entstandenen tyrrhenischen Amphora des Timiades-Malers (Abb. 5)32 war zwar mehrfach bemerkt worden. Nachdem auf dieser jedoch kein Tieropfer dargestellt ist, sondern die Tötung der Polyxena, erklärte man die Darstellung in der Regel damit, dass die trojanische Königstochter „nach gängigem Opferbrauch“ von Neoptolemos über dem

398

33 So etwa henrichs 2006.34 mylonoPoulos 2013, 84. Zu weiblichen Heldinnen, die z.T. „zum Wohle des Staates“ in ihre Opferung einwilligen, vgl. auch maaskant kleiBrink 1989.35 mylonoPoulos 2013, 62−63. 83; recke 2002; muth 2008.36 Verstöße gegen gesellschaftliche Normen werden auch in der Literatur thematisiert. Am Ende des 7. Gesangs der Ilias etwa schlachten und verzehren Angehörige des achäischen Heeres zeremonielos Rinder aus Lemnos, worauf sich der Zorn des Zeus in einem grollenden Himmel äußert: Hom. Il. 7,465−479.

Grab des Achilles oder über einem Altar geschächtet wurde33.Ihr Blut wurde dabei freilich nicht mit dem sphageion aufgefangen, sondern es benetzte das Grab des Achill bzw. den Altar. Im Gegensatz zu späteren literarischen und ikonographischen Aufgriffen des Themas ab dem ausgehenden 6. Jh. v. Chr. ist in dieser Darstellung keinerlei Freiwilligkeit oder ein „sich ins Schicksal ergeben“ der Polyxena zu erkennen34.

Die Anwendung von Gewalt, die die griechische Bildkunst in anderen Themen-feldern keineswegs scheut, sondern zum Teil auch durchaus exzessiv verarbeitet35, unter-scheidet sowohl das Bildfeld auf der Amphora aus Viterbo als auch jenes auf der tyrrhe-nischen Amphora des Timiades-Malers ganz klar vom einem Großteil der Opferbilder des 6. Jahrhunderts, die eine friedliche Bildsprache zeigen. Dass es für diese gewaltsame und direkte Zurschaustellung des Tötungsaktes kaum Parallelen gibt, während ein offenbar be-reits standardisierter Mainstream eine friedliche Andeutung des Opferrituals zeigt, spricht dafür, dass diese Bilder einen gesellschaftlichen Diskurs über die Institution des Opfers bzw. deren Durchführung in der Praxis ausdrücken. Der bewusste Ausbruch aus den gängigen Dar-stellungskonventionen36 könnte so etwa auch als Aufzeigen von Verstößen gegen gängige Konventionen und in diesem Sinne als Gegenbild gewertet werden und muss nicht zwingend als Illustration einer bestimmten Opferpraxis verstanden werden.

Veronika Sossau

399

Abgekürzt zitierte Literatur

ahlBerg-cornell 1971g. ahlBerg-cornell, Prothesis and Ekphora in Greek Geometric Art (Gœteborg 1971).amyx 1988 d. a. amyx, Corinthian Vase-Painting of the Archaic period, California studies in the history of art (Berkeley, Calif. 1988).BarBieri − durand 1985g. BarBieri − J.-l. durand, Con il bue a spalla, BdA 29, 1985, 1−16.Berger 1998k. W. Berger, Tieropfer auf griechischen Vasen (Würzburg 1998).Blatter 1976r. Blatter, Herakles beim Gelage, AA 1976, 49−52.Blome 1998P. Blome, Das Schreckliche im Bild, in: F. graF (Hrsg.), Ansichten griechischer Rituale, Geburtstagssym-posium für Walter Burkert, Castelen bei Basel, 15.−18. März 1996 (Berlin 1998) 72−95.Boardman 1966J. Boardman, Attic Geometric Vase Scenes, Old and New, JHS 86, 1966, 1−5.Boardman 1991J. Boardman, The sixth-century Potters and Painters of Athens and their Public, in: T. rasmussen − n. J. sPiVey (Hrsg.), Looking at Greek vases (Cambridge 1991) 79−102.Bonnechere 1998P. Bonnechere, Le sacrifice grec entre texte et image. À propos de l’ouvrage de F.T. Van Straten, Hierà kalá, Kernos 11, 1998, 377−388.Brendel 1930o. J. Brendel, Immolato Boum, RM 45, 1930, 196−226.connelly 2007J. B. connelly, Portrait of a Priestess. Women and Ritual in Ancient Greece (Princeton 2007).connelly 2008J. B. connelly, In divine Affairs − the greatest Part: Women and Priesthoods in Classical Athens, in: N. E. kaltsas − h. a. shaPiro (Hrsg.), Worshiping Women. Ritual and Reality in Classical Athens (New York 2008) 187−193.denoyelle 1994m. denoyelle, Chefs-d‘oeuvre de la céramique grecque dans les collections du Louvre (Paris 1994).dentzer 1982J. m. dentzer, Le motif du banquet couché dans le Proche-Orient et le monde grec du VIIe au IVe siècle avant J.-C, BEFAR fasc 246e (Rom − Paris 1982).durand 1986J.-l. durand, Sacrifice et labour en Grèce ancienne essai d‘anthropologie religieuse, Images à l‘appui 1 (Paris 1986).durand − schnaPP 1984J.-l. durand − a. schnaPP, Boucherie sacrificielle et chasses initiatiques, in: I. d. A. e. d. H. Ancienne (Hrsg.), La cité des images. Religion et société en Grèce antique (Lausanne 1984) 49−66.Fehr 1971B. Fehr, Orientalische und griechische Gelage, Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissen-schaft 94 (Bonn 1971).Fittschen 1969k. Fittschen, Untersuchungen zum Beginn der Sagendarstellungen bei den Griechen (Berlin 1969).V. Fritze 1903h. V. Fritze, Zum griechischen Opferritual, JdI 18, 1903, 58−67.Froning 1988h. Froning, Anfänge der kontinuierenden Bilderzählung in der griechischen Kunst, JdI 103, 1988, 169−199.

Opfer und Fleischkonsum als Bildmotive der frühen griechischen Vasenmalerei

400

geBauer 2002J. geBauer, Pompe und Thysia. Attische Tieropferdarstellungen auf schwarz- und rotfigurigen Vasen, Eikon 7 (Münster 2002).genière 1988J. d. l. genière, Les acheteurs des cratères corinthiens, BCH 1988, 83−90.ghiron-Bistagne 1976P. ghiron-Bistagne, Recherches sur les acteurs dans la Grèce antique (Paris 1976).giuliani 2003l. giuliani, Bild und Mythos. Geschichte der Bilderzählung in der griechischen Kunst (München 2003).haug 2012a. haug, Die Entdeckung des Körpers. Körper- und Rollenbilder im Athen des 8. und 7. Jahrhunderts v. Chr, Image & context 10 (Berlin 2012).hausmann 1960u. hausmann, Griechische Weihreliefs (Berlin 1960).hedreen 2001G. M. hedreen, Capturing Troy. The Narrative Functions of Landscape in Archaic and Early Classical Greek Art (Ann Arbor 2001).henrichs 2006a. henrichs, Blutvergießen am Altar. Zur Ritualisierung der Gewalt im griechischen Opferkult, in: B. seidensticker − m. Vöhler (Hrsg.), Gewalt und Ästhetik. Zur Gewalt und ihrer Darstellung in der griechi-schen Klassik (Berlin 2006) 59−87.hiller 2006s. hiller, The prothesis scene. Bronze Age-Dark Age relations, in: E. rystedt − B. Wells (Hrsg.), Pictorial pursuits. Figurative painting on Mycenaean and Geometric pottery. Papers from two seminars at the Swedish Institute at Athens in 1999 and 2001, ActaAth 53, 4°(Stockholm 2006) 183−190.himmelmann 1997n. himmelmann, Tieropfer in der griechischen Kunst, Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaf-ten: Vorträge G 349 (Opladen 1997).Jones roccos 1995l. Jones roccos, The Kanephoros and Her Festival Mantle in Greek Art, AJA 99, 1995, 641−666.kaltsas − shaPiro 2008n. e. kaltsas − h. a. shaPiro, Worshiping Women. Ritual and Reality in Classical Athens (New York 2008).kilinski 1978k. kilinski, The Boeotian Dancers Group, AJA 82, 1978, 173−191.kilinski 1990k. kilinski, Boeotian Black Figure Vase Painting of the Archaic Period (Mainz am Rhein 1990).kraiker 1951W. kraiker, Aigina. Die Vasen des 10. bis 7. Jahrhunderts v. Chr (Berlin 1951).kyrieleis 1969h. kyrieleis, Throne und Klinen. Studien zur Formgeschichte altorientalischer und griechischer Sitz- und Liegemöbel vorhellenistischer Zeit, JdI Ergh. 24 (Berlin 1969).laxander 2000h. laxander, Individuum und Gemeinschaft im Fest: Untersuchungen zu attischen Darstellungen von Festgeschehen im 6. und frühen 5. Jahrhundert v. Chr. (Münster 2000).lehnstaedt 1970k. lehnstaedt, Prozessionsdarstellungen auf attischen Vasen (Diss. München 1970).maaskant kleiBrink 1989m. maaskant kleiBrink, The Stuff of which Greek Heroines are made, BaBesch 68, 1989, 179−194.muth 2008s. muth, Gewalt Im Bild. Das Phänomen der medialen Gewalt im Athen des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr, Image & context v 1 (Berlin 2008).

Veronika Sossau

401

mylonoPoulos 2013I. mylonoPoulos, Gory Details? The Iconography of Human Sacrifice in Greek Art, in: P. Bonnechere − r. gagné (Hrsg.), Sacrifices humains. Perspectives croisées et représentations, Collection religions 2 (Liège 2013) 61−85.naiden 2007F. s. naiden, The Fallacy of the Willing Victim, JHS 127, 2007, 61−73.neumann 1979g. neumann, Probleme des griechischen Weihreliefs, Tübinger Studien zur Archäologie und Kunstge-schichte 3 (Tübingen 1979).nordquist 1992g. c. nordquist, Instrumental Music in Representations of Greek Cult, in: R. hägg (Hrsg.), The Iconogra-phy of Greek Cult in the Archaic and Classical Periods: Proceedings of the First International Seminar on Ancient Greek Cult, organised by the Swedish Institute at Athens and the European Cultural Centre of Delphi, Delphi, 16−18 Novembre 1990 (Liége 1992) 143−168.Parke 1986h. W. Parke, Festivals of the Athenians (London 1986).Payne 1931h. Payne, Necrocorinthia. A Study of Corinthian Art in the Archaic Period (Oxford 1931).Peirce 1993s. Peirce, Death, Revelry, and Thysia + Ancient-Greek Religion and Alimentary Blood Sacrifice, ClAnt 12, 1993, 219−266.Pottier 1897−1922e. Pottier, Vases antiques du Louvre, 1−3 (Paris 1897−1922).recke 2002m. recke, Gewalt und Leid. Das Bild des Krieges bei den Athenern im 6. und 5. Jh. v. Chr. (Istanbul 2002).reinsBerg 2001c. reinsBerg, Der Polyxena-Sarkophag in Çanakkale, Olba 4, 2001, 71−99.richter 1915g. m. a. richter, Two Colossal Athenian Geometric or „Dipylon“ Vases in the Metropolitan Museum of Art, AJA 19, 1915, 385−397.scheFFer 1992c. scheFFer, Boeotian Festival Scenes: Competition, Consumption and Cult in Archaic Black Figure in: R. hägg (Hrsg.), The Iconography of Greek Cult in the Archaic and Classical Periods: Proceedings of the First International Seminar on Ancient Greek Cult, organised by the Swedish Institute at Athens and the European Cultural Centre of Delphi, Delphi, 16−18 Novembre 1990 (Liége 1992) 117−137.scheFold 1993k. scheFold, Götter- und Heldensagen der Griechen in der Früh- und Hocharchaischen Kunst (München 1993).schelP 1975J. schelP, Das Kanoun. Der griechische Opferkorb, Beiträge zur Archäologie 8 (Würzburg 1975).schmitt Pantel 1992P. schmitt Pantel, La cité au banquet. Histoire des repas publics dans les cités grecques, CEFR 157 (Rome 1992).schmitt Pantel 1994P. schmitt Pantel, Sacrificial Meal and Symposion. Two Models of Civic Institutions in the Archaic City? in: O. murray (Hrsg.), Sympotica. A symposium of the Symposion (Oxford 1994) 14−33.seVinç 1996n. seVinç, A new Sarcophagus of Polyxena from the Salvage Excavations at Gümüsçay, StTroica 6, 1996, 251−264.shaPiro 1989h. a. shaPiro, Art and Cult under the Tyrants in Athens (Mainz am Rhein 1989).

Opfer und Fleischkonsum als Bildmotive der frühen griechischen Vasenmalerei

402

shaPiro 1992H. A. shaPiro, Mousikoi Agones. Music and Poetry at the Panathenaia, in: J. neils (Hrsg.), Goddess and polis. The Panathenaic Festival in ancient Athens (Princeton 1992) 53−75.shaPiro 1995h. a. shaPiro, Art and Cult under the Tyrants in Athens. Supplement (Mainz am Rhein 1995).sParkes 1962B. a. sParkes, The Greek Kitchen, JHS 82, 1962, 121−137.stengel 1910P. stengel, Opferbräuche der Griechen (Leipzig 1910).tsoukala 2009V. tsoukala, Honorary Shares of Sacrificial Meat in Attic Vase Painting Visual Signs of Distinction and Civic Identity, Hesperia 78, 2009, 1−40.Van straten 1995F. t. Van straten, Hiera kala. Images of Animal Sacrifice in Archaic and Classical Greece, Religions in the Graeco-Roman world 127 (Leiden 1995).WecoWski 2014m. WecoWski, The Rise of the Greek Aristocratic Banquet (Oxford 2014).Welter 1938g. Welter, Aigina (Berlin 1938).WolF 1993s. r. WolF, Herakles beim Gelage. Eine motiv- und bedeutungsgeschichtliche Untersuchung des Bildes in der archaisch-frühklassischen Vasenmalerei, Arbeiten zur Archäologie (Köln 1993).

Abbildungsnachweis

Abb. 1: Zeichnung der Verfasserin nach Boardman 1966, Taf. 3b.Abb. 2: Zeichnung der Verfasserin nach Payne 1931, Taf. 27.Abb. 2: nach E. gerhard, Etruskische und Kampanische Vasenbilder des Königlichen Museums zu Berlin (Berlin 1843) Taf. 2.Abb. 4: Zeichnung der Verfasserin nach Peirce 1993, 266 Abb. 1.Abb. 5: Photo © Trustees of the British Museum (Detail).

Veronika Sossau


Recommended