+ All Categories
Home > Documents > Privatisierung und Politisierung humanitärer Hilfe in der Europäischen Union

Privatisierung und Politisierung humanitärer Hilfe in der Europäischen Union

Date post: 03-Feb-2023
Category:
Upload: uni-koblenz-landau
View: 0 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
22
1 Charlotte Dany Goethe Universität Frankfurt am Main Institut für Politikwissenschaft Campus Westend PEG Gebäude Grüneburgplatz 1 60323 Frankfurt/Main [email protected] Paper für die Offene Sektionstagung Internationale Politik der DVPW, Magdeburg, 25.-27.9.2014 DRAFT bitte nicht zitieren oder weiterleiten! Privatisierung und Politisierung humanitärer Hilfe in der Europäischen Union 1 1. Einleitung Es ist das Ziel Humanitärer Hilfe „Einwohnern von Drittländern, die von Naturkatastrophen oder von vom Menschen verursachten Katastrophen betroffen sind, gezielt Hilfe, Rettung und Schutz zu bringen, damit die aus diesen Notständen resultierenden humanitären Bedürfnisse gedeckt werden können“ (AEUV 26.10.2012, Art. 214(1)). Damit dies gelingt, muss sie den Prinzipien der Neutralität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit folgen und nicht als politisches Instrument genutzt werden. Gelingt dies nicht, wird dies oftmals als Politisierung humanitärer Hilfe beschrieben. Ein aktuelles Beispiel hierfür war der mit Hilfsgütern bestückte Konvoi von knapp 300 Lastwagen, der erst kürzlich zum Gegenstand des russisch-ukrainischen Konfliktes wurde. Russland hatte die Hilfsgüter ausgesandt um sie nach eigenen Angaben den unter dem Konflikt leidenden Menschen in der Ukraine zukommen zu lassen. Obwohl die Lieferung von der ukrainischen Regierung als zynisch abgelehnt wurde, überquerte der Konvoi unerlaubt die Grenze, was von der Ukraine sowie der internationalen Gemeinschaft als Provokation aufgefasst wurde. Vorab war diskutiert worden, ob nicht das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) die nicht unwesentliche Menge an bitter 1 Das Papier basiert auf Arbeiten, die ich während meines Forschungsaufenthaltes am ARENA Centre for European Studies der Universität Oslo, durchgeführt habe. Der Aufenthalt wurde durch ein Forschungsstipendium der DFG unter Kennziffer DZ 1637/1-1 finanziert.
Transcript

1

Charlotte Dany

Goethe Universität Frankfurt am Main

Institut für Politikwissenschaft

Campus Westend – PEG Gebäude

Grüneburgplatz 1

60323 Frankfurt/Main

[email protected]

Paper für die Offene Sektionstagung Internationale Politik der DVPW, Magdeburg, 25.-27.9.2014

DRAFT – bitte nicht zitieren oder weiterleiten!

Privatisierung und Politisierung humanitärer Hilfe in der

Europäischen Union1

1. Einleitung

Es ist das Ziel Humanitärer Hilfe „Einwohnern von Drittländern, die von Naturkatastrophen oder von

vom Menschen verursachten Katastrophen betroffen sind, gezielt Hilfe, Rettung und Schutz zu

bringen, damit die aus diesen Notständen resultierenden humanitären Bedürfnisse gedeckt werden

können“ (AEUV 26.10.2012, Art. 214(1)). Damit dies gelingt, muss sie den Prinzipien der Neutralität,

Unabhängigkeit und Unparteilichkeit folgen und nicht als politisches Instrument genutzt werden.

Gelingt dies nicht, wird dies oftmals als Politisierung humanitärer Hilfe beschrieben.

Ein aktuelles Beispiel hierfür war der mit Hilfsgütern bestückte Konvoi von knapp 300 Lastwagen, der

erst kürzlich zum Gegenstand des russisch-ukrainischen Konfliktes wurde. Russland hatte die

Hilfsgüter ausgesandt um sie nach eigenen Angaben den unter dem Konflikt leidenden Menschen in

der Ukraine zukommen zu lassen. Obwohl die Lieferung von der ukrainischen Regierung als zynisch

abgelehnt wurde, überquerte der Konvoi unerlaubt die Grenze, was von der Ukraine sowie der

internationalen Gemeinschaft als Provokation aufgefasst wurde. Vorab war diskutiert worden, ob

nicht das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) die nicht unwesentliche Menge an bitter

1 Das Papier basiert auf Arbeiten, die ich während meines Forschungsaufenthaltes am ARENA Centre for

European Studies der Universität Oslo, durchgeführt habe. Der Aufenthalt wurde durch ein Forschungsstipendium der DFG unter Kennziffer DZ 1637/1-1 finanziert.

2

benötigten Hilfsgütern über die Grenze bringen und verteilen könne.2 Dieses Beispiel zeigt einerseits,

dass humanitäre Hilfe oftmals als politisch motiviert wahrgenommen wird und auch tatsächlich als

politisches Instrument in Konflikten eingesetzt werden kann. Andererseits zeigt es, dass humanitäre

Hilfe, die durch private Akteure geleistet wird, wie dem IKRK, weniger politische Motivation

unterstellt wird als Staaten. Private Akteure gelten in ihren Verteilungsmustern und

Vorgehensweisen bei der Leistung humanitärer Hilfe grundsätzlich den Prinzipien der Neutralität,

Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verpflichtet (Büthe u.a. 2012).

Das legt die Vermutung nahe, dass die Privatisierung humanitärer Hilfe den Trend zur Politisierung

humanitärer Hilfe aufzuhalten vermag. Doch ist der Zusammenhang zwischen der Privatisierung

humanitärer Hilfe und deren Politisierung weitaus komplexer, wie diese paper zeigen wird. Es stellt

explorativ den Zusammenhang zwischen Privatisierung und Politisierung der humanitären Hilfe dar.

Dazu wird auf das Beispiel der humanitären Hilfe der Europäischen Union (EU) zurückgegriffen. Denn

dort übernehmen zumeist nicht-staatliche humanitäre Organisationen, die so-genannten

implementierenden Partner (implementing partners), die Ausführung humanitärer Hilfsmaßnahmen

in akuten Notsituationen. Die Aufgaben der EU liegen hingegen in der Bereitstellung finanzieller

Mittel, der Koordination und Überwachung der Hilfsmaßnahmen, sowie in der Politikformulierung.

Auch übernimmt sie die Funktion einer Normunternehmerin, indem sie eine angemessene Strategie

der Bereitstellung humanitärer Hilfe formuliert und zu verbreiten sucht (Keukeleire/Delreux 2014:

28). Auch bei letzteren Funktionen sind die implementing partners beteiligt. Insofern liegt eine

zweifache Privatisierung der humanitären Hilfe vor: zum einen durch die überwiegende

Durchführung der Hilfsmaßnahmen durch private Akteure; zum anderen durch deren Einbeziehung in

Politikformulierung und die Übernahme von Advokatenfunktionen.

Trotz dieser starken Privatisierung lässt sich auch in der EU ein Trend zur Politisierung humanitärer

Hilfe beobachten, wie aus dem empirischen Teil des papers hervorgeht. Wie wirkt sich die

Privatisierung der humanitären Hilfe in der EU also auf diese Politisierungstendenzen aus? Inwiefern

verhindert oder verstärkt sie diese Tendenzen? Untersucht wird dies anhand der Konflikte und

Argumente der unterschiedlichen stakeholder in den Politikformulierungsprozessen und

Verhandlungen über aktuelle politische Strategien der EU, die sich auf die humanitäre Hilfe

auswirken: den Europäischen Konsens über Humanitäre Hilfe (2008) (im Folgenden ‚Konsens‘), die

Resilienz-Strategie (2012) und den Comprehensive Approach (2013). Hier zeigen sich Konflikte

zwischen den Akteuren, die den Stellenwert der Kernprinzipien humanitärer Hilfe sowie die

2 Agence France Press: Red Cross denies coordinating Russian aid convoy to Ukraine, 9.8.2014,

http://reliefweb.int/report/ukraine/red-cross-denies-coordinating-russian-aid-convoy-ukraine?utm_campaign=mailto.

3

Auswirkungen der Politiken auf diese Kernprinzipien unterschiedliche bewerten. Gerade die

humanitären Nichtregierungsorganisationen (NGOs) begleiten die Politikformulierungsprozesse

kritisch und machen auf die Risiken einer zunehmenden Politisierung Aufmerksam. Allerdings sind

diese privaten Akteure als implementierende Partner wiederum so stark mit den Europäischen

Institutionen verknüpft und in einer gegenseitigen Abhängigkeit mit diesen verstrickt, dass eine

starke Kritik, die auch öffentlichkeitswirksam werden könnte, verhindert wird. Daher zeigt die

Analyse, dass sich die Privatisierung humanitärer Hilfe nicht eindeutig in einer Verhinderung der

Politisierungstendenzen auswirkt.

Im Folgenden wird zunächst humanitäre Hilfe als Teil der EU Außenpolitik und die beteiligten

stakeholder vorgestellt. Dann wendet sich das paper verschiedenen Formen von Politisierung zu; es

werden Instrumentalisierung, Militarisierung und Annäherung an Entwicklungszusammenarbeit

unterschieden. Im empirischen Teil wird der Zusammenhang zwischen Privatisierung und

Politisierung beleuchtet, indem Konflikte über den Konsens, den Comprehensive Approach und

Resilienz dargestellt werden. Hier werden die unterschiedlichen Perspektiven und Interpretationen

der involvierten staatlichen und privaten Akteure in Bezug auf die Auswirkungen dieser Politiken auf

aktuelle die Kernprinzipien humanitärer Hilfe deutlich gemacht. Im Schlusskapitel wird der

Zusammenhang zwischen Privatisierung und Politisierung diskutiert und gezeigt, dass Privatisierung

ambivalente Effekte auf die Politisierungstendenzen humanitärer Hilfe in der EU hat.

2. Humanitäre Hilfe im Mehrebenen-Kontext der EU Außenpolitik

Die EU ist der weltweit größte Geber humanitärer Hilfe, die bilaterale Hilfe der Mitgliedsstaaten als

auch die multilaterale Hilfe der Europäischen Kommission zusammengenommen. Aber auch die

Kommission allein ist ein führender Geber mit einem Budget von 1 Milliarde Euro für humanitäre

Hilfe. 2012 hat sie damit 122 Millionen Menschen in über 90 nicht-EU Staaten versorgt (European

Commission 2014a: 3-4). Obwohl EU Bürger diese Rolle der EU als humanitäre Akteurin immer

stärker anerkennen und sie ein starkes Gefühl der Wichtigkeit dieser Aufgabe empfinden, wissen

noch immer ein Drittel der Befragten einer Eurobarometer-Umfrage nicht, dass die EU in diesem

Bereich überhaupt aktiv ist. Mehr als die Hälfte der Befragten fühlt sich zudem schlecht über diese

Aktivitäten informiert (European Commission 2012: 5). Ebenso wenig befasst sich der akademische

Diskurs über die EU Außenpolitik mit diesem Politikfeld (Keukeleire/Delreux 2014: 12-13). EU

Außenpolitik wird hier meist mit Gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik (CFSP) oder

Gemeinsamer Sicherheits- und Verteidigungspolitik (CSDP) gleichgesetzt. Diese Indifferenz steht in

krassem Gegensatz zur Zentralität des Humanitarismus für die Identität der EU als zivilisatorischer

bzw. normativer Macht (Orbie 2008: ch. 1). Sie steht auch im Widerspruch zur steigenden

4

Notwendigkeit humanitärer Hilfsangebote, in einer Welt, in der es immer mehr und immer

zerstörerische Naturkatastrophen und einen Anstieg an bewaffneten Konflikten und Kriegen gibt. Die

Zentralafrikanische Republik, Syrien, oder die Ukraine sind nur drei von vielen Regionen weltweit, in

denen zahllosen Menschen derzeit humanitäre Hilfe dringend benötigen.

Angesichts dieser Herausforderungen formuliert die EU derzeit Strategien, um den humanitären

Bedürfnissen besser gerecht zu werden. Sie diskutiert, wie die Notwendigkeit einer effektiveren und

koordinierten Bereitstellung humanitärer Hilfe mit einer angemessenen Respektierung der

humanitären Prinzipien vereinbart werden kann. Diese Politikformulierungsprozesse finden, wie

andere Belange der EU Außenpolitik, in der Komplexität eines Mehrebenen-Kontextes statt, in dem

verschiedene governance-Ebenen miteinander verknüpft sind (Keukeleire/Delreux 2014: 17). Eine

Vielfalt an Akteuren ist an der politischen Gestaltung und Durchführung humanitärer Hilfe beteiligt,

vom agenda-setting, über Politikformulierung und Entscheidungsfindung bis hin zur

Implementierung von Projekten.

In der EU ist die Europäische Kommission zentrales Organ der Bereitstellung und Koordination

humanitärer Hilfe. Zuständige Kommissarin für Internationale Kooperation, Humanitäre Hilfe und

Krisenbewältigung ist derzeit (noch) die Bulgarin Kristalina Georgieva.3 1992 wurde das European

Community Humanitarian Office (ECHO) gegründet und ist seit 2004 General-Direktorat der

Europäischen Kommission. Es wird von Claus Sørensen geleitet. Das DG ECHO arbeitet mit dem

General-Direktorat Entwicklung und Kooperation (EuropeAid) und dem Europäischen Auswärtigen

Dienst (EAD) zusammen, ist aber institutionell unabhängig von diesen. Der Europäische Rat und der

Parlamentsausschuss Entwicklung (DEVE) beraten über die politischen Vorschläge der Kommission

und billigen diese oder lehnen sie ab. Zudem bietet die EU-Ratsarbeitsgruppe für Humanitäre Hilfe

und Nahrungsmittelhilfe (COHAFA) den Rahmen für einen regelmäßigen Austausch über Fragen der

internationalen Gestaltung humanitärer Hilfe. Das Parlament übernimmt weiterhin die

Überwachungsfunktion über die humanitären Hilfsaktivitäten der Kommission und setzt eigene

Akzente in Bezug auf die Gestaltung von Politiken in diesem Bereich. Dennoch genießt ECHO

weitgehend Autonomie gegenüber den anderen EU Institutionen (Versluys 2008a: 214).

Humanitäre Hilfe ist zudem ein Politikfeld geteilter Kompetenzen zwischen der EU und den

Mitgliedstaaten (De Baere 2014: 722; AEUV Art. 4(4)). Das bedeutet, dass die EU und die 28

Mitgliedstaaten voneinander weitgehend unabhängige Geber humanitärer Hilfe sind. Jedoch hat die

Kommission die Aufgabe, die Aktivitäten der Mitgliedstaaten in diesem Bereich zu koordinieren, “in

order to enhance the efficiency and complementarity of Union and national humanitarian aid

3 In der neuen Kommission wird das Amt voraussichtlich vom Zyprioten Christos Stylianides übernommen.

5

measures” (AEUV, Art. 214 (6)). Die Mitgliedstaaten wiederum können ECHO über einen eigenen

Ausschuss, das Humanitarian Aid Committee, überwachen. Dieses hat jedoch bislang keinen

Vorschlag von ECHO abgelehnt. ECHO kann also weitgehend unabhängig entscheiden, jedoch sollte

der Einfluss der Mitgliedstaaten auch nicht unterschätzt werden: “Multilateral aid is technically

defined as channeled through intergovernmental organizations, which supposedly have discretion

over how the money is spent – although it would be naïve to think that (…) ECHO would turn a deaf

ear to its major European member states” (Barnett/Weiss 2011: 30-31).

Als Ausdruck der Privatisierung sind nicht zuletzt auch eine Vielfalt an Nichtregierungsorganisationen

(NGOs) an der humanitären Hilfe der EU beteiligt. Sie sind für die Durchführung von Projekten

unverzichtbar, so dass ihre Beteiligung an der Politikgestaltung akzeptiert und durch die EU gefördert

wird. Ihre Verbindung zu ECHO ist sehr eng, fast symbiotisch, denn ECHO braucht die Partner um

humanitäre Hilfe zu verteilen und Projekte durchzuführen. Gleichzeitig brauchen die Partner das

Wohlwollen ECHOs, das eine ihrer wichtigsten Finanzierungsquellen darstellt (Versluys 2008b: 99).

Nur in enger Partnerschaft mit ECHO kann das organisationelle Überleben der humanitären NGOs

gesichert werden. Zudem erhalten sie dadurch Legitimität in ihrer oftmals schwierigen Arbeit in

Konflikten.

Wenn NGOs die EU Politik über humanitäre Hilfe mitgestalten, geschieht dies meist durch Voluntary

Organisations in Cooperation in Emergencies (VOICE). In diesem Netzwerk haben sich über 80

humanitäre NGOs zusammengeschlossen um gemeinsame Positionen zu formulieren, Informationen

auszutauschen, und Einfluss auf die EU sowie die Mitgliedstaaten und deren Gestaltung humanitärer

Hilfe zu nehmen. Daneben treten auch einzelne NGOs als Lobbyisten auf, wie Oxfam, Ärzte Ohne

Grenzen, die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, EU-CORD,

das Norwegische Flüchtlingshilfswerk oder das Global Justice Center. Neben dem auf humanitäre

Hilfe spezialisierten NGO Netzwerk VOICE und den direkten Partnerorganisationen versuchen also

weitere NGOs in Brüssel die EU-Politik zu humanitärer Hilfe zu beeinflussen.

In diesem Umfeld muss die Kommission die schwierige Herausforderung meistern “to engage and

influence all the key actors involved so as to promote a more humanized politics and more effective

humanitarian action” (Collinson/Elhawary 2012: 4). Vor diesem Hintergrund möchte das paper zeigen,

wie sich die private Akteure, insbesondere die humanitären NGOs, in diese Diskussionen einbringen

und welchen Effekt dies auf die Politisierung humanitärer Hilfe in der EU hat. Um diese Frage zu

beantworten, muss jedoch zunächst geklärt werden, was unter Politisierung genau verstanden wird.

6

3. Formen der Politisierung humanitärer Hilfe

Ein wichtiger Grundpfeiler ist bei diesem Vorhaben eine starke Verpflichtung für die Einhaltung der

grundlegenden humanitären Prinzipien. In nahezu allen EU Dokumenten, die sich mit humanitärer

Hilfe befassen, finden sich daher umfassende Verweise auf diese Kernnormen. Der Vertrag über die

Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) betont beispielsweise “the principles of international

law and (...) the principles of impartiality, neutrality and non-discrimination” (AEUV, Art. 214 (2)); der

Konsens verweist auf “humanity, neutrality, impartiality and independence” (European Council

30.1.2008: §10). Als Politikunternehmer versucht ECHO explizit die prinzipiengeleitete humanitäre

Hilfe auch bei anderen humanitären Akteuren durchzusetzen. Der ECHO Managementplan 2014 sieht

vor, die EU darin zu unterstützen Wegweiserin für andere humanitäre Hilfsakteure zu werden, damit

die Verteilung der Hilfe stets nach dem Grad der Bedürftigkeit (needs) erfolgt und keine humanitäre

Krise von der internationalen Gemeinschaft übersehen wird. Die EU soll zudem darin stärker andere

Geber dazu ermutigen, effektivere und prinzipientreuere humanitäre Hilfsstrategien durchzusetzen

(European Commission 2014b: 11).

Einige Studien deuten darauf hin, dass die Kommission in diesem Sinne bislang erfolgreich agiert.

Dies geht beispielsweise aus einer Evaluation des DG ECHO aus dem Jahr 2006 hervor, die auch die

Vorzüge einer prinzipientreuen und needs-geleiteten Herangehensweise an humanitäre Hilfe

thematisiert:“DG ECHO, is neither formally guided by, nor subject to any foreign policy, when

managing the implementation of humanitarian aid. This allows DG ECHO to act throughout the world

including in many regions where there are underfunded crises, or so-called ‘forgotten’ crises –

regions and situations, where bilateral aid only finds its way with difficulty” (Daldrup u.a. 23.6.2006:

2). Dieses Vorgehen und ihr “respect for the traditional core European humanitarian values” mache

die EU zur weltweit wichtigsten humanitären Akteurin, ganz abgesehen von dem beträchtlichen

Budget, das sie für humanitäre Krisen bereitstelle (ebd.: 3). Zu einer ähnlich positiven Einschätzung

kommt der Humanitarian Response Index (HRI) aus 2010, der verschiedene Geber nach ihrem Erfolg

bewertet, humanitäre Hilfe nach Bedürftigkeit statt nach politischen Interessen zu vergeben. Bei dem

Kriterium ‘responding to needs’ schnitt die Europäische Kommission überdurchschnittlich gut ab

(DARA 2010a).

Vor diesem Hintergrund mag es erstaunlich anmuten, die Politisierung humanitärer Hilfe am Beispiel

der EU erforschen zu wollen. Doch erstens teilen nicht alle Beobachter die positive Einschätzung, die

aus den oben genannten Studien hervorgeht. So liest es sich in einem Lehrbuch über die Rolle der EU

in den Internationalen Beziehungen lakonisch: “like most other EU foreign policy tools, ECHO

spending is also intended to mesh with the EUs broader normative or political goals, such as

7

democracy and human rights” (Smith 2011: 185). Andere betonen, dass die EU und die

Mitgliedsstaaten politische Ziele verfolgen würden, wie jeder andere Geber humanitärer Hilfe auch

(Pontiroli et al. 2013). Zweitens ist die Politisierung humanitärer Hilfe ein Trend mit vielen Facetten,

so dass es erstaunlich wäre, wenn sich die EU diesem Trend vollkommen wiedersetzen könnte oder

wollte. Im Folgenden werden unterschiedliche Verwendungsweisen des Begriffs der Politisierung

humanitärer Hilfe unterschieden, um diese Facetten zu verdeutlichen. Dann wird gezeigt, inwiefern

die Politisierung humanitärer Hilfe Gegenstand von Debatten zwischen den unterschiedlichen

stakeholdern in aktuellen Politikformulierungsprozessen der EU sind.

Tatsächlich ist die humanitäre Hilfe immer eng mit ihrem politischen Umfeld verknüpft, so dass

Politisierung nicht meinen kann, dass etwas vormals vollkommen unpolitisches nun plötzlich politisch

würde. Humanitäre Hilfe ist “a political project in a political world” (Slim 8.10.2003). Doch können

seit den 1970er Jahren mit der steigenden Komplexität von Konflikten und der zunehmenden

Bedeutung humanitärer Hilfe Wellen von mehr oder weniger politisierter Hilfe nachgezeichnet

werden (für die folgenden Ausführungen s. Collinson/Elhawary 2012: 5-11). In den 1970er Jahren

wurden viele humanitäre Organisationen, wie Médecins Sans Frontières (MSF), gegründet. Ees

entstand ein Drang humanitäre Hilfe zu leisten, der angeregt wurde durch die erstmals medial und

weltweit vermittelten erschreckenden Bilder von den unter dem Biafra Konflikt leidenden Kindern

und Erwachsenen. Die Helfenden nahmen hier zugleich Partei ein, indem sie unterdrückte Gruppen

offen unterstützten. Mitte der 1980er Jahre wurden Neutralität und Unparteilichkeit wieder stärker

betont, um bessere Zugangsmöglichkeiten zu betroffenen Gebieten in Sudan, Angola oder Äthiopien

zu erhalten. In den 1990er Jahren wiederum verquickten sich humanitäre Hilfe und Politik in den

zunehmenden UN Peacekeeping Missionen. Die Idee ‚humanitärer Interventionen‘ entstand, durch

die humanitäre Ziele durch eine orchestrierte Aktion von humanitären Organisationen, Militär,

Internationalen Organisationen und Staaten erreicht werden sollten. Die Umsetzung humanitärer

Interventionen, beispielsweise in Ruanda oder im Kosovo, stand dann jedoch stark in der Kritik. Trotz

allem blieb die Idee auch im beginnenden 21. Jahrhundert ein Leitbild und humanitäre Hilfe wurde

abermals von Staaten als Mittel im so-genannten ‚Krieg gegen den Terrorismus‘ genutzt. Sie sollte

nicht mehr nur unmittelbar das Leben von Menschen in Drittländern retten, sondern darüber hinaus

Gesellschaften demokratisieren, das Territorium des eigenen Nationalstaates oder Europas sichern

sowie Migrationsströme abwenden. Diese Entwicklungen wurden von Seiten humanitärer

Organisationen sowie der Wissenschaft kritisch reflektiert und unter dem Stichwort eines ‚Trends der

Politisierung humanitärer Hilfe‘ diskutiert.

Humanitäre Organisationen meinen mit Politisierung vor allem eine Reaktion auf ethische Dilemmata

in der Leistung humanitärer Hilfe, die es zum Teil unausweichlich und manches Mal sogar

8

erforderlich machen, von einer strikten Verfolgung der humanitären Prinzipien abzuweichen. Die

Verpflichtung zur Neutralität schien sie beispielsweise daran zu hindern, Zeugnis über massive

Kriegsverbrechen abzulegen. Die Verpflichtung zur Unparteilichkeit führte dazu, dass sie das Leben

eines an einem Völkermord beteiligten retteten, der dann weitere Menschen tötete. Zudem wurde

Humanitäre Hilfe zum Bestandteil von Kriegsökonomien und verlängerte somit sogar Konflikte.

Insbesondere nach dem Genozid in Ruanda 1994 mussten sich daher auch humanitäre

Organisationen die Kritik gefallen lassen, dass ihre Hilfe nicht nur ineffektiv sei, sondern – in

Extremfällen – sogar zu einem Teil des Problems wurde und Leiden verschlimmerte: “How ever

diplomatically stated, the charge was that humanitarianism had contributed to an unnecessary loss of

life” (Barnett 2011: 213, Herv.i.O.; s.a. Terry 2002). Die Politisierung humanitärer Hilfe kann unter

diesen Vorzeichen auch als Strategie verstanden werden, diesen ethischen Problemen zu begegnen.

Dessen ungeachtet wird Politisierung gemeinhin als problematische Entwicklung betrachtet, da sie

den spezifischen Charakter humanitärer Hilfe, und damit auch ihren Nutzen, beschädigt.

Ich schlage vor, drei Verwendungsweisen von Politisierung zu unterscheiden: Instrumentalisierung,

Militarisierung und Annäherung an Entwicklungspolitik. Diese Einteilung spiegelt Idealtypen wider,

wobei Kombinationen dieser Formen sicher möglich und üblich sind.

1) Instrumentalisierung würde bedeuten, dass humanitäre Hilfe als Mittel eingesetzt wird, um

politische Interessen durchzusetzen. Einige Studien zeigen, dass insbesondere staatliche

Geber Hilfe nicht nach Bedürftigkeit, sondern nach politischen Interessen verteilen. Sie

privilegieren bei der Vergabe beispielsweise Regionen, die von besonderem strategischen

Interesse für sie sind (DARA 2010b: 2; Eberwein/Runge 2002: 26; Drury et al. 2005). Dies

beeinträchtigt das humanitäre Prinzip der Unparteilichkeit.

2) Militarisierung würde bedeuten, dass sich die Aktivitäten von humanitären und militärischen

Akteuren zunehmend miteinander verbinden. So könnte humanitäre Hilfe beispielsweise

zum Zweck strategischer Kriegsführung eingesetzt werden, wie es nach 2001 in Afghanistan

geschehen ist (Krähenbühl 22.2.2011). Eine Militarisierung findet ebenfalls statt, wenn

Mitglieder bewaffneter Truppen oder privater Militärfirmen die Verteilung von Hilfsgütern

überwachen, z.B. um humanitäre Helfer vor Angriffen zu schützen (Schneiker 2011; Singer

2010; Vaughn2009). Diese Entwicklung beeinträchtigt die Prinzipien der Neutralität sowie der

Unabhängigkeit.

3) Annäherung an Entwicklungspolitik ist eine weitere Form der Politisierung humanitärer Hilfe.

Dies bedeutet, dass sich das Aufgabenspektrum humanitärer Hilfe ausdehnt auf

längerfristige und stärker politische Ziele. So haben es sich viele humanitäre Organisationen

zur Aufgabe gemacht, durch ihre Aktivitäten Menschenrechte oder Demokratie zu stärken

9

(Barnett 2009: 623), statt sich bedingungslos und ausschließlich auf die Reduzierung von

unmittelbarem Leid und lebensrettende Maßnahmen zu fokussieren. Dies beeinträchtigt die

Prinzipien der Neutralität, Unparteilichkeit und auch der Unabhängigkeit, da es bedeutet,

dass humanitäre Hilfe verstärkt mit Regierungen zusammenarbeitet.

Inwiefern lassen sich diese Tendenzen der Politisierung humanitärer Hilfe nun in der EU beobachten?

Welche Rolle spielt dabei die starke Beteiligung privater Akteure an der Politikformulierung und

Implementierung der humanitären Hilfe der EU? Um diese Fragen zu beantworten wendet sich das

folgende Kapitel den Konflikten über humanitäre Hilfe in aktuellen politischen Prozessen der EU zu.

4. Konflikte über humanitäre Hilfe in der EU

Vertreter von ECHO und anderen EU-Institutionen, von Mitgliedstaaten, NGOs sowie Internationalen

Organisationen diskutieren aktuell in der EU, wie humanitäre Hilfe in der heutigen Zeit geleistet

werden soll und kann. Die Konflikte darüber zwischen den Akteuren offenbaren eine starke

Spannung zwischen der politischen Funktion der EU als Akteurin in der internationalen Politik sowie

der Notwendigkeit zugleich die Neutralität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit humanitärer Hilfe

sicherzustellen. Insbesondere NGOs weisen auf die Kluft zwischen den Zielen und der

Implementierung des Konsens‘ hin. Sie betonen Risiken der Einbeziehung humanitärer Hilfe in den

Comprehensive Approach und weisen darauf hin, welche Auswirkungen die zentrale neue Resilienz-

Strategie der EU auf humanitäre Hilfe haben kann.

4.1. Europäischer Konsens über Humanitäre Hilfe: Anspruch vs. Realität

Die Europäische Kommission legte 2008 den Konsens über Humanitäre Hilfe vor. Das Dokument

schlägt eine gemeinsame Perspektive auf die Zukunft humanitärer Hilfe vor, und formuliert konkrete

Maßnahmen, wie diese Zukunftsperspektive umgesetzt werden kann. Die humanitären Prinzipien

werden dabei als zentrale Eckpfeiler Europäischer humanitärer Hilfe stark gemacht.

Der Konsens ist tatsächlich Ausdruck eines gemeinsamen Willens. So wurden die Sichtweisen

unterschiedlichster stakeholder durch einen Konsultationsprozesses in die Gestaltung des

Dokuments mit einbezogen. 22 Mitgliedstaaten, 10 Internationale Organisationen, die Internationale

Rotkreuz und Rothalbmond Bewegung, sowie 112 NGOs haben sich an den Konsultationen beteiligt

(EC 13.6.2007: 6). Das Dokument wurde zudem von der Kommission, dem Parlament und dem Rat

gemeinsam unterzeichnet. Auch die Mitgliedstaaten erkennen den Konsens als wegweisendes

Dokument an. Für das Deutsche Auswärtige Amt ist diese erste umfassende Erklärung der EU zu

humanitärer Hilfe ein Grundsatzdokument, das „international anerkannte Richtlinien über die

Gestaltung guter humanitärer Hilfe“ beinhaltet (Auswärtiges Amt 12.112012: 10). Der Konsens dient

10

als Referenzpunkt in nahezu allen politischen Dokumenten der EU oder der Mitgliedstaaten, in denen

es um humanitäre Hilfe geht.

Doch Auseinandersetzungen über den Konsens zeigen, dass eine Kluft zwischen dem Anspruch an

humanitäre Hilfe und ihrer Realisierung existiert. NGOs und Mitgliedstaaten sind sich uneinig,

inwieweit die EU in der Praxis den Konsens umsetzt. Die Mitgliedstaaten finden, dass die EU

ausreichend auf die Einhaltung der Prinzipien, die im Konsens formuliert sind, besteht, sowohl

generell, als auch in konkreten Krisensituationen. Die meisten NGOs sind jedoch der Meinung, dass

die EU mehr tun müsste, um humanitäre Hilfe von Politik fernzuhalten. Sie sollte insbesondere die

Mitgliedstaaten stärker dazu anhalten, den Konsens in ihren nationalen Politiken umzusetzen

(European Commission 25.6.2013: 4).

Auch das Parlament kritisiert die mangelnde Implementierung des Dokuments in einer Evaluation. Es

moniert “insufficient awareness of the European Consensus on Humanitarian Aid, and calls for the

introduction of specific training about the Consensus, particularly for the European External Action

Service (EEAS), for diplomats from the Member States and for military bodies” (European Parliament

15.12.2010: 6-7). Diese Akteure, die an der humanitären Hilfe der EU beteiligt sind, scheinen die

humanitären Prinzipien und andere Ideen des Konsenses in der Praxis nicht immer einzuhalten. Aus

diesem Grund zeigt sich das Europäische Parlament “concerned to defend the independence of DG

ECHO, preventing it from becoming part of the EEAS and thus avoiding any possible

instrumentalization of humanitarian aid” (ebd.: 14). Ein weiteres Problem sieht es in der mangelnden

Bereitstellung finanzieller Ressourcen durch die Kommission. Um sicherzustellen, dass humanitäre

Hilfe unabhängig geleistet werden kann, müssten mehr Kapazitäten und Mittel zur Verfügung gestellt

werden (ebd.: 7). Das Parlament befürchtet sonst, dass militärische und humanitäre Akteure ihre

zugeschriebenen Aufgabenfelder übertreten und humanitäre Hilfe dadurch ihren spezifischen

Charakter verlieren könnten. In den Diskussionen über den Comprehensive Approach wird diese

Angst noch deutlicher formuliert.

4.2. Comprehensive Approach: Humanitäre Hilfe und Sicherheit

Bereits seit langem gibt es in der EU, ebenso wie in anderen Kontexten, Bestrebungen einen

Comprehensive Approach in der Sicherheitspolitik durchzusetzen. Derzeit versucht die EU jedoch,

einen solchen Ansatz systematischer als Mittel für Krisenmanagement und -prävention

durchzusetzen (European Union External Action 2013; European Parliament 26.4.2013). Der

Comprehensive Approach zielt darauf ab, verschiedene EU Instrumente und Ressourcen zu bündeln,

“spanning the diplomatic, security, defense, financial, trade, development cooperation and

humanitarian aid fields”, um die EU besser in die Lage zu versetzen, komplexe Krisen zu verhindern

11

bzw. zu meistern (European Commission/ European Union External Action 11.12.2013: 3). Der

Comprehensive Approach soll gleichermaßen dazu beitragen, dass Europäische Interessen und Werte

verteidigt und verbreitet werden (ebd.: 4). Nicht nur sollen so Krisen verhindert und die

Lebensbedingungen betroffener Menschen verbessert werden, der Comprehensive Approach soll

auch die EU und ihre Bürger vor Unsicherheit schützen, die durch Krisen in Drittländern verursacht

wird(ebd.: 3).

Trotz dieser Vorteile ist der Comprehensive Approach in der EU nicht unumstritten, besonders

aufgrund der engen Verbindung zwischen der Sicherheits- und der humanitären Agenda und dem

daraus folgenden mutmaßlichen negativen Effekt auf die Erbringung der humanitären Hilfe. Diese

Befürchtung hat bereits dazu geführt, dass EUFOR Libya nicht umgesetzt wurde. Die EU hatte diese

militärische Operation 2011 ins Leben gerufen, zum Schutz von humanitären Hilfslieferungen,

Helfern und Menschen auf der Flucht. Doch das humanitäre Büro der UN (UN OCHA) hat EUFOR

Libya nicht aktiviert, was für eine Durchführung der Operation jedoch notwendig gewesen wäre.

Diese Zurückhaltung wurde unter anderem mit der Angst vor den negativen Auswirkungen auf die

Durchführung humanitärer Maßnahmen erklärt (Bommier 2011; Brattberg 2011: 1; Koenig 2012).

Diese Angst tauchte wieder in den jüngsten Diskussionen über den Comprehensive Approach auf.

Im Dezember 2013 legte die Europäische Kommission zusammen mit dem High Representative of the

European Union for Foreign Affairs and Security Policy eine gemeinsame Kommunikation über den

Comprehensive Approach vor. Zuvor hatte die Kommission online stakeholder über ihre Ideen und

Forderungen in dem so-genannten Fit for Purpose-Konstulationsprozess befragt. Im Dezember 2012

waren die stakeholder vom Generalsekretär des DG ECHO dazu aufgefordert worden, der

Kommission ihre “views on the challenges, objectives and options to enhance the effectiveness and

efficiency of the Union's humanitarian aid” mitzuteilen. Die bis März des folgenden Jahres

eingehenden Antworten sollten die Politik der Kommission beeinflussen, um die humanitäre Hilfe der

EU insgesamt zukunftsweisend zu gestalten (Sørensen 14.12.2012). ECHO erhielt 55 Antworten von

Mitgliedstaaten, den implementing partners, Wissenschaftlerinnen, Mitarbeiterinnen von

Denkfabriken, Individuen, Kampagnenleitern, Lobbyisten und Agenturen (EC 25.6.2013: 2). Auf einer

Stakeholder Konferenz in Brüssel wurden die Ergebnisse des Konsultationsprozesses zwischen den 82

Teilnehmenden diskutiert.

Diese breite Partizipation, die gemeinsame Autorenschaft der Kommunikation von ECHO und EAD,

sowie eine gemeinschaftsstiftende Rhetorik in den Dokumenten suggeriert, dass der Comprehensive

Approach eine breite Basis hat. Dennoch traten in den Konsultationen einige Konfliktlinien zutage. In

der Sitzung eines Parlamentsausschusses wurden diese Konflikte offen angesprochen, sogar von den

12

beiden Institutionen, die die Politik gemeinsam formuliert hatten. Als Vertreter des EAD erklärte

Maciej Popowski die lange Dauer des Konzeptionsprozesses damit: “ it touches on some sensitivities”

und “there are some irritations that have to be overcome”.4 Konkreter noch sprach Sørensen vom DG

ECHO Probleme in der Formulierung des Comprehensive Approaches sowie seiner Implementierung

an: “It’s full of difficult issues that we are dealing with every day. So, it is not to say that we are all in

agreement. Yes, we are in agreement about the Comprehensive Approach, about holding hands,

about working together, but each situation is different and has to be analysed on its own merit. (…)

It’s not harmony; it’s a battleground for how do we actually make sure that we keep this

independence, while at the same time ensuring the security”.5 Konflikte zeigten sich darüber hinaus

in den Diskussionen zwischen den anderen stakeholdern, insbesondere den privaten humanitären

Organisationen. Hier ging es um die schwierige Balance zwischen der Notwendigkeit einer

verbesserten Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren, die an Krisenprävention und -

bewältigung beteiligt sind, und dem Risiko, dass die humanitäre Hilfe durch den Comprehensive

Approach einer Sicherheitsagenda unterstellt wird.

Die für die humanitäre Hilfe relevanten Fragen sind, ob die humanitäre Hilfe überhaupt Teil des

Comprehensive Approach sein sollte und, wenn ja, wie dies umgesetzt werden kann, ohne die

humanitären Prinzipien der Neutralität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in Frage zu stellen. Zwar

verspricht die gemeinsame Kommunikation diese im Konsens dargelegten Prinzipien vollständig zu

respektieren (European Commission/European Union External Action 11.12.2013: 4), doch weisen

besonders die nicht-staatlichen Partner darauf hin, dass die Politik im Widerspruch zu dem

prinzipiengeleiteten Ansatz der humanitären Hilfe steht. VOICE-Vorsitzender Nicolas Borsinger

warnte auf der ECHO Annual Partners Conference 2012 eindringlich vor den Tücken des

Comprehensive Approach: “The danger of politicization of humanitarian aid is unfortunately

embedded in the concept (…). Including humanitarian aid as just another tool of crisis management

would be a disaster, and unfortunately certain to impact on the needs-based approach towards

affected populations and the principle of impartiality” (Borsinger 17.10.2012: Absatz 4). In einer

daraufhin verfassten Resolution der VOICE-Generalversammelung fordern die in diesem Netzwerk

organisierten NGOs: “the humanitarian objective – to save lives and reduce suffering – should not be

undermined by the inclusion of humanitarian action in a comprehensive approach” (VOICE 2013: 1).

Während VOICE nicht explizit die Beteiligung humanitärer Akteure an gemeinsamen und

koordinierten Aktionen in komplexen Krisen ablehnen, warnen sie doch klar vor einer möglichen

Politisierung humanitärer Hilfe durch den Comprehensive Approach. VOICE schlägt vor, dass die EU

4 Maciej Popowski, EAD, 20.1.2014, Transkribiertes Hearing im Parlamentsausschuss DEVE.

5 Claus Sørensen, DG ECHO, 20.1.2014, Transkribiertes Hearing im Parlamentsausschuss DEVE.

13

von den Erfahrungen der Umsetzung eines solchen Ansatzes in anderen Kontexten lernen sollte, wie

beispielsweise in der UN (ebd.). Ein Vertreter von UN OCHA, Antoine Gérard, erklärte in dem DEVE

im Januar 2014, der Comprehensive Approach sei ein politisches Instrument, weshalb humanitäre

Akteure eine gewisse Distanz zu diesem Instrument sicherstellen sollten: “To be fully incorporated

into a comprehensive approach to crisis management would in fact for the humanitarian actors be

counterproductive and might actually cause a great deal of harm”.6 Humaniätre Hilfe würde sonst

zurückgewiesen, das heißt von betroffenen Staaten nicht akzeptiert werden. Daher würde UN OCHA

dafür plädieren, statt eines comprehensive einen “constitutive approach towards the political and

peacekeeping agenda” zu verfolgen. Dies bedeute, dass die unterschiedlichen Akteure einer klaren

Rollenaufteilung folgten. Zudem sollten humanitäre Organisationen die Möglichkeit beibehalten, aus

gemeinsamen Aktionen auszusteigen und die EU müsse genau klarstellen, was sie unter

Comprehensive Approach verstehe. Alle drei Punkte schien Gérard in der aktuellen gemeinsamen

Kommunikation der EU bis dahin zu vermissen.

Die meisten implementing partners fordern, die institutionelle Unabhängigkeit ECHOs sicherzustellen,

insbesondere in Bezug auf den EAD (European Commission 25.6.2013: 4). Oxfam beispielsweise

schreibt: “humanitarian aid must remain part of a separate budget, while decision-making must be

fully independent from political or security interests, in accordance with humanitarian principles and

the European Consensus on Humanitarian Aid” (Oxfam 23.1.2012). Oxfam hegt zudem Bedenken,

dass eine Zusammenarbeit mit dem EAD das Risiko einer Politisierung von humanitärer Hilfe

verstärken könne. Die NGO sieht “a clear danger that ‘coherence’ could just become a cover for the

instrumentalization of soft power for politically motivated security gains” (ebd.). Dies würde zum

einen den besonderen Charakter humanitärer Hilfe beinträchtigen und zum anderen Menschenleben

kosten. Denn betroffene Menschen seien schwerer zu erreichen, wenn EU-finanzierte humanitäre

Projekte als Teil einer EU-Außenpolitik missverstanden würden. Zudem würde auch das Leben der

humanitären Helfer aufs Spiel gesetzt. Es ist insbesondere diese letzte Befürchtung, die die meisten

an der Diskussion beteiligten stakeholder dazu bringt, von ECHO zu fordern, “to take measures to

both de-link EU humanitarian aid from wider EU foreign policy and to step up its advocacy of

humanitarian principles, particularly in the case of emerging powers and non-traditional donors”

(European Commission 25.6.2013: 3). Auch das Europäische Parlament macht unmissverständlich

klar: “the difference between military and humanitarian bodies must be maintained” (EP 15.12.2010:

7, 10).

6 Antoine Gérard, UN OCHA, 20.1.2014, Transkribiertes Hearing im Parlamentsausschuss DEVE.

14

Im Gegensatz dazu sind einige der Mitgliedsstaaten bereits seit einiger Zeit bestrebt, eine engere

institutionelle Verbindung zwischen humanitärer Hilfe und Konfliktbewältigung zu gewährleisten.

“The Dutch, Canadian, Swedish and British governments have all reorganized their aid departments

to foster better links between humanitarian action and conflict resolution” (Duffield 2001: 94). In den

Diskussionen über den Comprehensive Approach sind die Mitgliedstaaten daher daran interessiert,

Synergien zwischen militärischen, staatlichen und humanitären Akteuren zu nutzen, z.B. indem

Akteure des Katastrophenschutzes field offices von ECHO im Sinne eines ‘one stop shops’ mitnutzt.

Dies wird jedoch von den meisten NGOs aus den oben genannten Gründen abgelehnt (EC 25.6.2013:

10). Insgesamt sind also neben dem Europäischen Parlament und Internationalen Organisationen

insbesondere die privaten Akteure daran interessiert, die institutionelle und finanzielle

Unabhängigkeit ECHOs zu stärken, um einen mission creep zwischen humanitären und

Sicherheitsakteuren zu verhindern, zu der der Comprehensive Approach, ebenso wie die Resilienz-

Strategie der EU, zu der wir nun kommen, beizutragen scheinen (European Commission 5.6.2013: 4).

4.3. Resilienz: An der Schnittstelle zwischen humanitärer Hilfe und

Entwicklungszusammenarbeit

Resilienz meint “the ability of an individual, a household, a community, a country or a region to

withstand, to adapt, and to quickly recover from stresses and shocks” (European Commission

13.10.2012: 5). Individuen sollten in die Lage versetzt werden, einerseits die widrigen Effekte von

großen Katastrophen besser abzuwehren und sich andererseits schneller von solchen extremen

Ereignissen zu erholen. Um dies zu erreichen müssten die tieferen Ursachen großer Katastrophen am

besten frühzeitig erkannt werden (ebd.). Konkret geht es darum, das Handeln humanitärer und

entwicklungspolitisch relevanter Akteure, einschließlich auch Vertreterinnen von Regierungen,

effektiver aufeinander abzustimmen (EC 19.6.2013: 4). Aus diesen Gründen kann Resilienz an der

Schnittstelle von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit angesiedelt werden.

Resilienz ist ein aktuelles Modekonzept in der EU in Bezug auf Krisenprävention und –management,

doch es basiert auf der bereits bekannten, älteren politischen Strategie Linking Relief, Rehabilitation

and Development (LRRD), die in den Jahren 1996 und 2001 formuliert wurde. Aktuell hat die

Kommission die Kommunikation The EU Approach to Resilience: Learning from Food Security Crises

verfasst (EC 13.10.2012) und daraufhin einen Action Plan for Resilience in Crisis Prone Countries 2013-

2020 (EC 19.6.2013) entwickelt. The post 2015 Hyogo Framework for Action - Managing risks to

achieve resilience (EC 8.4.2014) ist ein weiterer Schritt, um Resilienz als Thema der 2015

anstehenden UN Weltkonferenz zu Disaster Risk Reduction zu lancieren. Mit diesen Dokumenten

verfolgt die Kommission eine breite Agenda, um ihr Katastrophenmanagement zu verbessern. Sie

erfährt dabei international große Anerkennung und wird auch innerhalb der EU von Europäischem

15

Rat und Europäischem Parlament stark unterstützt (siehe, European Parliament 11.11.2013;

European Council 28.5.2013; European Council 5-6.6.2014).

Doch ungeachtet der Tatsache, dass die genannten Dokumente sich regelmäßig auf den

Europäischen Konsens zur Humanitären Hilfe und die notwendige Wahrung der humanitären

Prinzipien beziehen, kann Resilienz problematische Auswirkungen auf den grundlegenden Charakter

humanitärer Hilfe haben. So meinen einige, das Konzept “challenges the very nature and role of

emergency relief” (Levine u.a. 2012: 3). Da Annäherung an Entwicklungszusammenarbeit eine Form

der Politisierung humanitärer Hilfe darstellt, kann Resilienz generell mit seiner potentiellen

Aufweichung des Unterschieds zwischen Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe als

Gefahr für humanitäre Organisationen aufgefasst werden.

Um Resilienz zu fördern werden weniger die Bedürftigsten adressiert, als die Regionen, in welchen

der größte Effekt zu erwarten ist: “in areas, both in terms of sectors and geographic regions, where

an enhanced resilience approach could have the most impact” (European Commission 13.10.2012:

10). Die EU verfolgt mit Resilienz damit keine genuin humanitäre Ethik. Zudem verweist sie an

einigen Stellen in den politischen Dokumenten auf die Kosten-Nutzen-Rationalität dieser Strategie:

“Investing in resilience is cost effective. Addressing the root causes of recurrent crises is not only

better, especially for the people concerned, than only responding to the consequences of crises, it is

also much cheaper” (European Commission 13.10.2012: 3).

Obwohl Resilienz den prinzipiengeleiteten Ansatz der EU zu humanitärer Hilfe beeinträchtigen kann,

sind offene Konflikte, gerade im Vergleich zum Comprehensive Approach, eher selten: “the role of

humanitarian action in building resilience is rarely discussed” (Levine u.a. 2012: 3). Trotz allem wird

die Resilienz-Strategie für ihre potentiellen negativen Auswirkungen auf humanitäre Hilfe kritisiert,

vor allem von privaten Aktueren: “a strong case would be needed to address long-term needs, or for

believing that the short-term horizons, tools and skills of emergency response are appropriate for

bringing about structural change” (ebd.: 4). Bislang sei das Konzept “at odds with a core

humanitarian approach to crises”, wie Mitarbeiter von Médecins Sans Frontières monieren (Whittall

et al. 7.2.2014). MSF betont dabei insbesondere drei Probleme: Erstens entspreche die Strategie

nicht dem Prinzip der Unabhängigkeit, da sie sich primär an Staaten richte, die oftmals eine

Konfliktpartei sei. Zweitens wird befürchtet, dass resilienzsteigernde Maßnahmen als

unangemessener Ersatz für humanitäre Hilfe im Notfall könnten. Drittens gebe es wenig belastbare

Beweise dafür, dass diese Strategie tatsächlich kostensparender sei als traditionelle Notfallhilfe

(ebd.). Trotz dieser aufkeimenden Konfliktpunkte gab es bislang noch keine größere

16

Auseinandersetzung über das Thema Resilienz in der EU, was erstaunlich ist, da diese Strategie das

Potential hat, zur Politisierung humanitärer Hilfe beizutragen.

4.4. Zusammenfassung: Politisierung humanitärer Hilfe in der EU

Der Comprehensive Approach insbesondere, und zu einem geringeren Anteil Resilienz, fordern den

starken prinzipiengeleiteten Ansatz der EU zur humanitären Hilfe heraus. Stakeholder diskutieren

kontrovers inwiefern sich diese Politiken die Prinzipien humanitärer Hilfe aufweichen und damit zu

einer Politisierung beitragen. Als Erinnerung, es wurden drei mögliche Formen der Politisierung

humanitärer Hilfe unterschieden: Instrumentalisierung meint, dass humanitäre Hilfe zu politischen

Zwecken eingesetzt wird. Militarisierung bedeutet, dass die Aktivitäten von militärischen und

humanitären Akteuren sich verweben. Annäherung an Entwicklungspolitik verweist darauf, dass

zentrale Unterschiede zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit aufgelöst

werden.

Zwar gab es keine Anzeichen dafür, dass eine deutliche Militarisierung humanitärer Hilfe stattfindet,

in dem Sinne dass militärische Akteure die Aufgaben humanitärer Helfer übernehmen. Doch

befürchten einige Beobachter, die comprehensive security agenda führe dazu, dass militärische und

humanitäre Akteure nicht mehr zu unterscheiden sind, was zur Folge haben könnte, dass humanitäre

Aktivitäten der EU als politische Aktivitäten missverstanden werden könnten. Im Comprehensive

Approach sehen auch insbesondere die privaten humanitären Organisationen die Gefahr, dass die

humanitäre Hilfe der EU von ihrem strikten Fokus auf Bedürftigkeit abweicht und auch politische

Ziele verfolgt. So trägt dieser Ansatz zu einer Instrumentalisierung humanitärer Hilfe bei, indem

humanitäre Hilfe ein Mittel zur Krisenbewältigung wird. Der Comprehensive Approach ist ein

politisches Instrument, was die Vereinnahmung humanitärer Akteure in diese Strategie besonders

problematisch erscheinen lässt. Schließlich wird hier auch die enge institutionelle Verbindung

zwischen ECHO und EAD, die den Comprehensive Approach gemeinsam ausformuliert haben, von

privaten Akteuren kritisch bewertet. ECHO reagiert darauf mit einer „in-but-out“-Strategie7. Das soll

bedeuten, dass humanitäre Hilfe zwar Teil des Comprehensive Approaches sein, ihr aber eine

Sonderrolle zukommen soll. Doch sind die Bedingungen, unter denen humanitäre im Comprehensive

Approach drin ist oder außen vor bleibt, bislang nicht ausbuchstabiert worden.

Auch der Fokus auf Resilienz trägt zur Politisierung humanitärer Hilfe bei, denn er führt dazu, dass

sich humanitäre Hilfe an Entwicklungspolitik annähert. Humanitäre Hilfe soll breitere Ziele verfolgen,

indem sie auch langfristig und bereits frühzeitig Individuen, Haushalte und Gemeinschaften stärkt,

7 Claus Sørensen, DG ECHO, 20.1.2014, Transcript of Parliamentary Hearing by C.D.

17

damit sie besser mit Katastrophen umgehen können und sich schneller von diesen erholen. Dies

verändert jedoch den spezifischen Charakter und die Ziele humanitärer Hilfe.

Schluss

Humanitäre Hilfe wird nicht allein durch Entscheidungen humanitärer Helfer oder Regierungen

politisiert, sondern auch durch die EU, wie es sich in den politischen Strategien des Comprehensive

Approach und Resilienz ausdrückt. Durch diese wird humanitäre Hilfe stärker für politische, auch

sicherheitsrelevante, Zwecke eingesetzt und es kommt zu einer Annäherung der humanitären Hilfe

an Entwicklungspolitik. Wie hängt nun die Privatisierung humanitärer Hilfe in der EU mit dieser

Entwicklung zusammen? Privatisierung humanitärer Hilfe findet in zwei Entwicklungen Ausdruck.

Zum einen in der zunehmenden Beteiligung privater Organisationen in den

Politikformulierungsprozessen der EU. Zum anderen in der Übernahme von humanitären Funktionen,

da es humanitäre Organisationen sind, die die von der EU finanzierten und koordinierten Projekte im

Feld durchführen.

Zunächst einmal vermögen es die privaten Akteure nicht, trotz ihrer Beteiligung an der

Politikformulierung die Politisierungstendenzen in der EU aufzuhalten. Sie verstärken jedoch

Kontroversen um die Gefahren aktueller Politiken für die humanitären Leitprinzipien der Neutralität,

Unparteilichkeit und Unabhängigkeit. Privatsierung trägt also zu einer verstärkten norm contestation

bei, die jedoch vorranging von der EU selbst vorangetrieben wird. Denn es ist die EU, die

verschiedene stakeholder in unterschiedlichen Phasen der Politikformulierung mit einbezieht. Die

NGOs verweisen dabei meist auf von ihnen als problematisch erachtete Auswirkungen aktueller EU

Politiken auf die humanitären Prinzipien. Wie im empirischen Teil gezeigt wurde argumentieren sie,

dass diese zu einer Politisierung humanitärer Hilfe beitragen, die die Überbringung humanitärer

Leistungen an die Opfer von Naturkatastrophen oder Konflikten verhindere und überdies

Menschenleben – auf Seiten der Betroffenen aber auch auf Seiten der Helfenden – koste. Dennoch

sind aktuell Politisierungstendenzen, im Sinne einer Instrumentalisierung und einer Annäherung an

Entwicklungszusammenarbeit in der EU zu verzeichnen. Zudem führen die kritischen Stimmen

innerhalb der EU nicht dazu, dass es zu einer breiteren Mobilisierung bzw. zu Protesten oder

Kampagnen gegen die humanitäre Hilfe der EU kommt.

Dies könnte damit zusammenhängen, dass humanitäre NGOs eine implementierende Funktion

erfüllen. Die NGOs sind als implementing partners so eng, fast symbiotisch, mit dem

Generaldirektorat ECHO verknüpft, dass jenseits des Netzwerkes VOICE kaum weitere

Organisationen mobilisiert werden (Egger 2013: 18). Indem die EU die privaten Akteure zudem direkt

in die Verhandlungen einbeziehen und ihre Expertise abfragen, verhindert sie weiteres Mobilisations-

18

und Protestpotential (Imig/Tarrow 2001: 8). Letztlich bleiben die humanitären Organisationen

abhängig von der Finanzierung durch ECHO, und sie werden zu Mitverfassern der Politiken, die sie

kritisieren wollen, so dass eine größere Form der Auseinandersetzung verhindert wird. Als

ambivalentes Ergebnis muss daher festgehalten werden, dass die Privatisierung humanitärer Hilfe

einerseits dazu beiträgt, die Gefahren aktueller politischer Strategien der EU für die humanitäre Hilfe

sichtbar zu machen, andererseits die Privatisierung gleichzeitig eine stärkere Opposition gegen die

Politisierung humanitärer Hilfe verhindert.

Literaturverzeichnis

AEUV, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (konsolidierte Fassung) (26.10.2012):

Amtsblatt der Europäischen Union, C 326/47, http://eur-lex.europa.eu/legal-

content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:12012E/TXT&from=DE (zuletzt aufgerufen 10.9.2014).

Auswärtiges Amt (12.11.2012): Strategie des Auswärtigen Amtes zur humanitären Hilfe im Ausland,

http://www.auswaertiges-

amt.de/cae/servlet/contentblob/631154/publicationFile/174161/121115_AA-

Strategie_humanitaere_hilfe.pdf (zuletzt aufgerufen 10.9.2014).

Barnett, Michael (2009): Evolution Without Progress? Humanitarianism in a World of Hurt. In:

International Organization 63 (4), S. 621-663.

Barnett, Michael (2011): Empire of humanity. A history of humanitarianism. Ithaca, N.Y: Cornell

University Press.

Barnett, Michael/Weiss, Thomas G. (Hg.) (2011): Humanitarianism Contested. Where Angels Fear to

Tread. London/New York: Routledge.

Bommier, Bruno (2011): The use of force to protect civilians and humanitarian action: the case of

Libya and beyond, In: International Review of the Red Cross, Vol. 93(884), S. 1063-1083.

Borsinger, Nicolas (17.10.2012): “Speaking points for address of Nicolas Borsinger, VOICE President

to ECHO Annual Partner Conference”,

http://ec.europa.eu/echo/files/partners/humanitarian_aid/conferences/2012/VOICE_President_spe

aking_points.pdf (zuletzt aufgerufen 10.9.2014).

Brattberg, Erik (2011): Opportunities lost, opportunities seized: the Lybia crisis as Europe’s perfect

storm, Policy Brief, European Policy Center, Juni 2011.

19

Büthe, Tim/Major, Solomon/de Mello e Souza, André (2012): The Politics of Private Foreign Aid:

Humanitarian Principles, Economic Development Objectives, and Organizational Interests in NGO

Private Aid Allocation, In: International Organization, Vol. 66(4), S. 571-607.

Collinson, Sarah/Elhawary, Samir (2012): Humanitarian Space: A Review of Trends and Issues. HPG

Report 32, April 2012, London: Overseas Development Institute.

Daldrup, Ulrich/Grünewald, Francois/Maij Weggen, Hanja R.H./White Graham 23.6.2006: Evaluation

of the European Commission’s Directorate General for Humanitarian Aid (DG ECHO) 2000 – 2005,

GFE Consulting worldwide, http://ec.europa.eu/echo/files/evaluation/2006/dg_echo.pdf (zuletzt

aufgerufen 10.9.2014).

DARA (2010a): Humanitarian Response Index 2010. Donor Assessment “European Commission”,

http://daraint.org/wp-content/uploads/2010/12/EC-Donor-Assessment_HRI-2010.pdf (zuletzt

aufgerufen 10.9.2014).

DARA (2010b): Humanitarian Response Index 2010. Overview Fact Sheet. http://daraint.org/wp-

content/uploads/2010/10/HRI-overview-fact-sheet.pdf (zuletzt aufgerufen 10.9.2014).

De Baere, Geert (2014): EU External Action, In: Barnard, Catherine/Peers, Steve (Hg.), European

Union Law, Oxford: Oxford University Press, S. 704-750.

Drury, A. Cooper/ Olson, Richard Stuart/van Belle, Douglas A. (2005): The Politics of Humanitarian Aid:

U.S. Foreign Disaster Assistance, 1964-1995. In: The Journal of Politics, Vol. 67(2), S. 454–473.

Duffield, Mark (2001): Global Governance and the New Wars. The Merging of Development and

Security, London/New York: Zed Books.

Eberwein, Wolf-Dieter/Runge, Peter (Hg.) (2002): Humanitäre Hilfe statt Politik? Neue

Herausforderungen für ein altes Politikfeld. Münster: Lit.

Egger, Clara (2013): L’Union européenne est-elle une source de coopération inter-organisationnelle?

Le cas du réseau VOICE, In: Revue Etudes internationales, vol. XLIV(1), S. 5-24.

European Union External Action (2013): EEAS Review.

http://eeas.europa.eu/library/publications/2013/3/2013_eeas_review_en.pdf (zuletzt aufgerufen

10.9.2014).

20

European Commission (13.6.2007): Commission Staff Working Document Accompanying the

Communication from the Commission to the European Parliament and the Council - Towards a

European Consensus on Humanitarian Aid, Brussels, SEC(2007) 782.

European Commission (2012): Report on Special Eurobarometer 384 ‘Humanitarian Aid’,

durchgeführt von TNS Opinion & Social, Juni 2012.

European Commission (13.10.2012): The EU Approach to Resilience. Learning from Food Security

Crises, COM(2012) 586 final.

European Commission (5.6.2013): Meeting Report: Stakeholder conference on the future of EU

humanitarian aid, DG ECHO, Brussels,

http://ec.europa.eu/echo/files/policies/consultations/FFP_stakeholder_conference_report_en.pdf

(zuletzt aufgerufen 10.9.2014).

European Commission (19.6.2013): Action Plan for Resilience in Crisis Prone Countries 2013-2020,

SWD(2013) 227 final.

European Commission (25.6.2013): The Union’s Humanitarian Aid: Fit for Purpose? Summary of

Responses to the Stakeholder Consultation,

http://ec.europa.eu/echo/files/policies/consultations/Fit-for-purpose_summary_en.pdf (zuletzt

aufgerufen 10.9.2014).

European Commission (2014a): The European Union Explained: Humanitarian Aid and Civil Protection.

Helping Victims of Disasters and Conflicts, and Protecting those at Risk, February 2014,

http://europa.eu/pol/pdf/flipbook/en/humanitarian-aid_en.pdf (zuletzt aufgerufen 10.9.2014).

European Commission (2014b): DG for Humanitarian Aid and Civil Protection, Management Plan

2014, http://ec.europa.eu/atwork/synthesis/amp/doc/echo_mp_en.pdf (zuletzt aufgerufen

10.9.2014).

European Council (30.1.2008): Europäischer Konsens über Humanitäre Hilfe, http://eur-

lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2008:025:0001:0012:EN:PDF (zuletzt aufgerufen

10.9.2014).

European Parliament (26.4.2013): RECOMMENDATION to the High Representative of the Union for

Foreign Affairs and Security Policy and Vice President of the European Commission, to the Council

and to the Commission on the 2013 review of the organisation and the functioning of the EEAS.

Recommendation to the EEAS (A7-0147/2013).

21

Imig, Douglas R./Tarrow, Sidney G. (2001): Contentious Europeans: Protest and Politics in an

Emerging Polity, Rowman&Littlefield.

Keukeleire, Stephan/Delreux, Tom (2014): The Foreign Policy of the European Union, 2. Aufl.,

Houndmills: Palgrave.

Krähenbühl, Pierre (22.2.2011): The militarization of aid and its perils, ICRC Resource Center,

http://www.icrc.org/eng/resources/documents/article/editorial/humanitarians-danger-article-2011-

02-01.htm (zuletzt aufgerufen 10.9.2014).

Levine, Simon/Pain, Adam/Bailey, Sarah/Fan, Lilianne (2012): The Relevance of ‘Resilience’? HPG

Policy Brief 49, Overseas Development Institute.

Orbie, Jan (Hg.) (2008): Europe’s Global Role. External Policies of the European Union, Aldershot:

Ashgate.

Pontiroli, Andrea/Ponthieu, Aurelie/Derderian, Katharine (2013): Losing Principles in the Search of

Coherence? A Field-Based Viewpoint on the EU and Humanitarian Aid, 29.5.2013,

http://sites.tufts.edu/jha/archives/2010 (zuletzt aufgerufen 10.9.2014).

Singer, P. W. (2010): Private Military Contractors and Humanitarians, In: Lakoff, Andrew (Hg.),

Disaster and the politics of intervention. New York: Columbia University Press, S. 70–99.

Schneiker, Andrea (2011): Sicherheitskonzepte deutscher Hilfsorganisationen. Zwischen

Identitätswahrung und Pragmatismus, In: Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik, Vol. 4 (4), S.

627–644.

Slim, Hugo (8.10.2003): Is Humanitarianism Being Politicised? A Reply to David Rieff, The Dutch Red

Cross Symposium on Ethics in Aid, Den Hague.

Smith, Michael (2011): Implementation: Making the EU’s International Relations Work, In: Hill,

Christopher/Smith, Michael, International Relations and the European Union, 2. Aufl., S. 171-193.

Sørensen, Claus (14.12.2012): Stakeholder consultation on the Union's humanitarian aid: Fit for

purpose?, Brüssel, ECHO,

http://ec.europa.eu/echo/files/policies/consultations/20121213_CSorensen_letter_Fit-for-

Purpose.pdf (zuletzt aufgerufen 10.9.2014).

Terry, Fiona (2002): Condemned to Repeat? The Paradox of Humanitarian Action, Ithaca: Cornell

University Press.

22

Vaughn, Jocelyn (2009): The Unlikely Securitizer: Humanitarian Organizations and the Securitization

of Indistinctiveness, In: Security Dialogue, Vol. 40 (3), S. 263–285.

Versluys, Helen (2008a): Depoliticising and Europeanising humanitarian aid: Success or Failure?, In:

Perspectives on European Politics and Society, Vol. 9(2), S. 208-224.

Versluys, Helen (2008b): European Union Humanitarian Aid: Lifesaver or Political Tool?, In: Orbie, Jan

(Hg.), Europe’s Global Role. External Policies of the European Union, Aldershot: Ashgate, S. 91-115.

VOICE (2013): General Assembly Resolution “Humanitarian Aid and the EU Comprehensive Approach:

Recommendations”, Mai 2013.

Whittall, Jonathan/Philips, Mit/Hofman, Michiel (7.2.2014), Building Resilience by Deconstructing

Humanitarian Aid, MSF, http://www.msf.org.uk/article/opinion-and-debate-building-resilience-

deconstructing-humanitarian-aid (zuletzt aufgerufen 10.9.2014).


Recommended