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Therapiekonzeption für traumatisierte Patienten
mit schweren Persönlichkeitsstörungen
Wolfgang Wöller
Rhein-Klinik Bad Honnef Krankenhaus für Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie
Rhein-Klinik Bad Honnef
Krankenhaus für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
2 W. Wöller - Therapiekonzeption für traumatisierte Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen
Rhein-Klinik Bad Honnef
Krankenhaus für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Traumatische Belastung bei
Persönlichkeitsstörungen
• Borderline-PS: alle Formen der Kindesmisshandlung (Herman et
al. 1989, Yen 2003, Zanarini et al. 2002), insbes. emotionale
Misshandlung (Allen 2009, Kaehler u. Freyd 2009, Lobbestael et al. 2010,
Widom et al. 2009)
• Dissoziale PS (Gao et al. 2010, Nederlof et al. 2010)
• Paranoide PS (Lobbestael et al. 2010)
• Schizoide PS (Yen et al. 2003, Lobbestael et al. 2010)
• Ängstlich-vermeidende PS: körperl. und emot. Missbrauch (Rettew
et al. 2003), sex. Missbrauch (Lobbestael et al. 2010) Vernachlässigung (Battle et al. 2004)
3 W. Wöller - Therapiekonzeption für traumatisierte Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen
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Komorbidität von Persönlichkeitsstörungen
und PTBS
• Borderline-PS: 39,2 bis 51 % (McGlashan et al., 2000, Golier et al. 2003, Grant
et al. 2008, Yen et al. 2002)
• Andere PS:
• Ängstliche (vermeidende) PS: 37 % (Yen et al. 2002).
• Anankastische PS: 21,6 % (Yen et al. 2002).
• 75 % der Veteranen mit PTBS erfüllten die Kriterien einer
komorbiden PS, 50 % die Kriterien zweier PS (Bollinger et al. 2000)
• Höchste Komorbiditätsrate für die vermeidende PS (46 %), gefolgt
von der anankastischen (28 %) und der antisozialen (15 %) PS.
4 W. Wöller - Therapiekonzeption für traumatisierte Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen
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Persönlichkeitsstörungen als
Bindungsstörungen
• Borderline-PS
• unsicher-ambivalente Bindungsstile (Buchheim 2011; Fonagy et al.
1996; Levy et al. 2006, 2011; Timmerman u. Emmelkamp 2006)
• unsicher-desorganisierte Bindungsmuster („unresolved“) (Agrawal et al., 2004, Fonagy et al., 1996, 2000; Patrick et al. 1994)
• Übrige Persönlichkeitsstörungen
• dissoziale PS: überwiegend unsicher-distanzierte
Bindungsstile (Timmerman u. Emmelkamp 2006).
• Clusters C-PS: überwiegend unsicher-ambivalente
Bindungsmuster (Rosenstein & Horowitz 1996, West u. Sheldon 1988).
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Neurobiologische Befunde bei Borderline-
Persönlichkeitsstörung
• präfrontale Dysfunktion beim Anhören persönlicher
Scripts von Verlassenheit und Misshandlung (Schmahl et al.,
2003, 2004, Silbersweig et al. 2007)
• Neutrale Gesichter werden als bedrohlich erlebt (Donegan et
al., 2003)
Verstärktes Bedrohungserleben
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Neurobiologie bei
chronischer PTBS
•Überaktivität und erhöhte
Reaktionsbereitschaft der
Amygdala (Shin et al. 2006)
•vermindertes Hippokampus-
Volumen (Karl et al. 2006)
•verminderte Volumina und
Aktivität des präfrontalen Kortex
(PFC) einschl. des vorderen
zingulären Kortex (ACC) (Rauch et
al. 2003, Woodward et al. 2006).
Neurobiologie der
Borderline-Störung
•gesteigerte Amygdala-Aktivierung bei
Darbietung emotional aufgela-dener
Bilder (Donegan et al., 2003)
•Volumenminderungen im Bereich des
präfrontalen Kortex und des
Hippokampus (Irle et al. 2005;Tebartz van Elst et
al. 2003) sowie des vorderen zingulären
Kortex (Minzenberg et al. 2008)
•verminderte Aktivität des
orbitofrontalen Kortex (OFC) und des
vorderen zingulären Kortex (New et al.
2002, Silbersweig et al. 2007)
7 W. Wöller - Therapiekonzeption für traumatisierte Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen
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Evidenzbasierte psychodynamische Konzepte
zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen
• Evidenz auf der Basis von RCT
• TFP (Übertragungsfokussierende PT bei BPS (Clarkin et al. 2008)
Wiederbelebung traumatischer Beziehungserfahrungen in der
Übertragung
Fokus auf Ich-Integration und Bindungsproblematik
• MBT (Mentalisierungsgestützte PT bei BPS) (Bateman & Fonagy 2008)
Fokus auf Mentalisierungsdefizite und Bindungsproblematik
jedoch
keine traumaspezifischen Stabilisierungstechniken
keine Berücksichtigung von PTBS-/dissoziativer
Komorbidität
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Evidenzbasierte kognitiv-behaviorale Konzepte
zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen
• Evidenzbasierung (RCT)
• DBT (Dialektisch-behaviorale PT für BPS) (Linehan 1996)
• Fokus auf Emotionsregulierung u. interpers. Regulation
• Schematherapie (Young et al. 2008; Giesen-Bloo et al. 2006)
• Traumaexposition in der Imagination
jedoch
keine konzeptuelle Berücksichtigung von PTBS- oder
dissoziativer Komorbidität
keine Traumafokussierung (DBT) bzw. keine
traumaspezifischen Stabilisierungstechniken (ST)
keine konzeptuelle Berücksichtigung der
Mentalisierungs-/Bindungsproblematik
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Evidenzbasierte Konzepte zur Behandlung
der komplexen PTBS
• Affektmanagement-Training + Expositionsbehandlung (Cloite 2002)
• PITT (Psychodyn.-imaginative Traumatherapie (Reddemann 2011; Sachsse et al. 2006; Lampe et al. 2008, Kruse et al. 2010)
Fokus auf Emotionsregulierungsstörung und
Traumabearbeitung
jedoch
keine konzeptuelle Berücksichtigung der Mentalisierungs-
/Bindungsproblematik und der maladativen Verhaltens- und
Beziehungsmuster
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Problembereiche bei traumaassoziierten
Persönlichkeitsstörungen
• Persönlichkeitsstrukturelle Defizite (Ich-Funktionen)
• Störung der Emotionsregulierung
• Wirksamkeit unreifer Abwehrmechanismen und schädigender Bewältigungsmuster
• Störungen der Mentalisierungsfunktion
• Veränderte innere Repräsentanzenwelt mit verzerrten Selbst- und Objektbildern
• Unzureichende Integration der Persönlichkeit
• Identitätsstörung, Identitätsdiffusion, „split self“
gestörte Bindungs- und Beziehungsfähigkeit
intensive Übertragungsmuster (Retter-Täter-Übertragungen)
maladaptive Verhaltens- und Beziehungsmuster
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Traumatisierungsmuster bei schweren
Persönlichkeitsstörung
• Bindungs- und Beziehungstraumatisierung mit frühen
spezifischen und unspezifischen Traumatisierungen
• Traumatisierungen im Erwachsenenalter
(Retraumatisierungsneigung!)
• Persönlichkeitssspezifische Vulnerabilität
• Alltagsstressoren erreichen je nach spezifischer
Vulnerabilität traumawertige subjektive Belastungsgrade
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Psychodynamisches Therapiekonzept
zur Behandlung von Patienten mit
traumaassoziierten Persönlichkeitsstörungen
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Therapiekonzepts bei traumabedingten
Persönlichkeitsstörungen
1. Sicherheit, Halt und die Stärkung der
Bewältigungskompetenz
2. Emotionsregulierung und Selbstfürsorge
3. Mentalisierung und die Entwicklung stabiler
Repräsentanzen
4. Schonende Traumabearbeitung
5. Konfliktorientiertes Arbeiten
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Phase 1: Sicherheit, Halt und Stärkung der
Bewältigungskompetenz
Externe Emotionsregulierung zur Reduktion des erhöhten
Bedrohungserlebens:
Maximaler Kontrast zur traumatischen Situation
Traumatische Situation Therapeutische Situation
Bedrohung, Unsicherheit Sicherheit
Kontrollverlust Kontrolle
Verwirrung, Intransparenz Aufklärung, Transparenz
Gefühl des Alleingelassenseins reale Präsenz
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Phase 1: Ressourcenaktivierung
• Aktivierung bisheriger Bewältigungsformen
• Positive Aktivitäten
• Aktivierung positiver Erinnerungsbilder
• Imaginative Techniken
• Vermittlung imaginativer Distanzierungstechniken (Container/Tresor)
• Imaginative Helfer für kindliche Persönlichkeitsanteile
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Als Ressource kann alles genutzt werden, was einen positiven
Körperstate hervorruft!
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Inverse Beziehung zwischen Mentalisierungs-
funktion und Aktivierung des Bindungssystems
• Aktivierung des Bindungssystems hemmt die Mentalisierungs-
fähigkeit normaler Erwachsener (Bartels u . Zeki 2004, Mikulincer
u. Shaver 2007).
• Sicher gebundene Personen: Mentalisierungsfunktion (präfrontale
Aktivität) bleibt auch bei aktiviertem Bindungssystem erhalten
• Bei unsicher gebundenen wird die Mentalisierungsfunktion um so
stärker deaktiviert, je mehr das Bindungssystem aktiviert ist.
Borderline: Tendenz zur schnellen Aufnahme enttäuschend
verlaufender Beziehungen
Therapeutische Konsequenz: Deaktivierung des stark
aktivierten Bindungssystem, um die Mentalisierungsfunktion
zu stärken (Levy et al. 2011)
18 W. Wöller - Therapiekonzeption für traumatisierte Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen
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Phase 1: Therapeutische Haltung
• Antiregressives Beziehungsangebot
• Stärkung der Eigenverantwortung der Pat. Vermittlung von Bindungssicherheit, jedoch möglichst geringe
Aktivierung des Bindungssystems zur Erhaltung der
Mentalisierungsfunktion
möglichst geringe Aktivierung von Retter- oder
Täterübertragungen
dadurch geringere emotionale Belastung der Therapeuten
• Regeln, Vereinbarungen, Verträge
• zum Schutz der Patientin, der Therapeutin und der
Therapie vor destruktiven Persönlichkeitsanteilen
19 W. Wöller - Therapiekonzeption für traumatisierte Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen
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Phase 2:
Emotionsregulierung und Selbstfürsorge
Aufbau defizitärer Ich-Funktionen mit Hilfe ressourcenaktivierender
Techniken
• Strukturelle Defizite
• Emotionen nicht regulieren (können)
• Vergangenheit und Gegenwart nicht differenzieren (können)
• Gefahren nicht antizipieren (können)
• nicht für sich sorgen können (können)
• sich nicht abgrenzen (können)
• sich nicht schützen (können)
• hilflos sein, nicht handeln (können)
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Phase 2:
Emotionsregulierung und Selbstfürsorge
Aufbau defizitärer Ich-Funktionen mit Hilfe
ressourcenaktivierender Techniken
• Imaginative Techniken zur Mobilisierung von
Bewältigungskompetenzen • Wann in Ihrem Leben stand Ihnen diese Kompetenz zur
Verfügung?
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Phase 2:
Emotionsregulierung und Selbstfürsorge
• Förderung der Affektwahrnehmung und Affekt-
differenzierung
• Differenzierung von Vergangenheits- und
Gegenwartsanteilen undifferenzierter Affektzustände
• Imaginatives „Wegpacken“ der Vergangenheitsanteile
• Arbeit mit dem „inneren Kind“
• als Nachbeelterung auf der inneren Bühne
• Förderung der Selbstfürsorge
• Arbeit an verinnerlichten Verboten
22 W. Wöller - Therapiekonzeption für traumatisierte Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen
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Phase 3: Mentalisierung und die Entwicklung
stabiler Repräsentanzen
• Stärkung der Mentalisierungsfunktion
• zur Selbstbeobachtung und Reflexionsfähigkeit anleiten
• subjektive Bedeutung der Phänomene klären
• anregen, Hypothesen zu Befindlichkeiten und Motivationen anderer Menschen zu bilden
• anregen, mehrere Perspektiven zu sehen
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Phase 4: Schonende Traumabearbeitung
• Ausgiebige Ressourcenaktivierung im Wechsel mit ultrakurzer Traumaexposition
• Pendeltechnik (Fine u. Berkowitz 2001; Levine 1998; Reddemann et al. 2011)
• CIPOS (Constant Installation of of Present Orientation and Safety) (Knipe 2011)
• EMDR im „umgekehrten“ Standardprotokoll (Hofmann 2001)
• Beginn mit klar umschriebenen und gut erinnerbaren Traumen oder belastenden Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit
• Arbeit mit persönlichkeitsspezifischen Alltagsstressoren
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Phase 5: Konfliktorientierte Arbeit
• Arbeit an unbewussten Konflikten
• Klarifizierung, Konfrontation, Deutung
• Analyse von Abwehr, Widerstand und Übertragung
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Zusammenfassung: Grundprinzipien des
Konzepts
• Psychodyn. Beziehungs- und Strukturverständnis &
neurobiol. Verständnis psychischer Traumatisierungen
• Unspezifische und spezifische Ressourcenaktivierung
(Grawe 2004)
• Interventionen zur Förderung der Mentalisierungs-
funktion und der Ich-Integration
• EMDR: Ressourcenaktivierung schonende
Traumabearbeitung