+ All Categories
Home > Documents > Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya mit Sprachbeispiel, Transkription, Analyse und Übersetzung

Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya mit Sprachbeispiel, Transkription, Analyse und Übersetzung

Date post: 22-Jan-2023
Category:
Upload: uni-bonn
View: 0 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
19
Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya mit Sprachbeispiel, Transkription, Analyse und Übersetzung (Stand 08.10.2013) Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 2. Orthographie 3. Sprachstruktur 3.1 Ableitungs- und Wortbildungsprozesse 3.2 Transitive und intransitive Verben 3.3 Satzstellung 3.4 Possession 3.5 Numeralklassikatoren 3.6 Handlungsaspekte 3.7 Teilergativität 3.8 Stativ 4. Sprachbeispiel 4.1 Texttranskription in moderner Orthographie 4.2 Morphologische Textanalyse 4.3 Übersetzung 4.4 Inhaltlicher Kontext der Geschichte 5. Koloniales Yukatekisches Maya 6. Literatur Einführung Das Yukatekische Maya (Maaya T’aan) ist eine der 30 Mayasprachen, die heute in südlichen Teilen Mexikos, in Guatemala, Belize und im Westen von Honduras gesprochen werden. Aufgrund ihres gemeinsamen Ursprungs werden diese zuweilen stark divergierenden Sprachen zu einer Sprachfamilie zusammengefasst, wobei das Yukatekische Maya, gemeinsam mit dem Lacandon-, Itza‘- und Mopan-Maya, zum Zweig der Yukatek–Sprachen gehört (vgl. Abbildung 1). Abb. 1: Sprachbaum der Maya-Sprachen (eigener Entwurf nach Kaufman 1976) Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. http://www.iae.uni-bonn.de/fach/lehr-und-forschungsschwerpunkte/sprachenportal/yukatekisches-maya/
Transcript

Sprachbeschreibung Yukatekisches Mayamit Sprachbeispiel, Transkription, Analyse und Übersetzung

(Stand 08.10.2013)

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung2. Orthographie3. Sprachstruktur

3.1 Ableitungs- und Wortbildungsprozesse3.2 Transitive und intransitive Verben3.3 Satzstellung3.4 Possession3.5 Numeralklassifikatoren3.6 Handlungsaspekte3.7 Teilergativität3.8 Stativ

4. Sprachbeispiel4.1 Texttranskription in moderner Orthographie4.2 Morphologische Textanalyse4.3 Übersetzung4.4 Inhaltlicher Kontext der Geschichte

5. Koloniales Yukatekisches Maya6. Literatur

Einführung

Das Yukatekische Maya (Maaya T’aan) ist eine der 30 Mayasprachen, die heute in südlichenTeilen Mexikos, in Guatemala, Belize und im Westen von Honduras gesprochen werden.Aufgrund ihres gemeinsamen Ursprungs werden diese zuweilen stark divergierenden Sprachenzu einer Sprachfamilie zusammengefasst, wobei das Yukatekische Maya, gemeinsam mit demLacandon-, Itza‘- und Mopan-Maya, zum Zweig der Yukatek–Sprachen gehört (vgl.Abbildung 1).

Abb. 1: Sprachbaum der Maya-Sprachen (eigener Entwurf nach Kaufman 1976)

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. http://www.iae.uni-bonn.de/fach/lehr-und-forschungsschwerpunkte/sprachenportal/yukatekisches-maya/

Mit gegenwärtig rund 800.000 Sprechern ist das Yukatekische Maya nicht nur die zweitgrößteMayasprache nach dem K’iche‘, sondern auch diejenige mit dem größten Verbreitungsgebiet.Dieses umfasst schwerpunktmäßig die südmexikanischen Bundesstaaten Yucatán, Campecheund Quintana Roo; kleinere Sprechergemeinschaften finden sich auch im Staat Belize an derGrenze zu Mexiko (vgl. Abbildung 2). In Yucatán beläuft sich der Anteil der mayasprachigenBevölkerung auf 30,3% (537.516 Sprecher), in Quintana Roo auf 13,4% (177.979 Sprecher)und in Campeche auf 12,3% (71.852 Sprecher) (INEGI 2011). Diese Momentaufnahme deraktuellen Sprachsituation suggeriert eine auf den ersten Blick große und stabileSprachgemeinschaft. Tatsächlich ist jedoch seit den 1990er Jahren zu beobachten, dass dieSprecherzahlen trotz der Einführung zweisprachiger Schulen und verschiedenerRevitalisierungsprogramme langsam aber kontinuierlich sinkt. Das Yukatekische Maya wirddaher – wie die Mehrzahl der indigenen Sprachen des amerikanischen Doppelkontinents – als»gefährdete Sprache« klassifiziert (Adelaar 2007).

Abb. 2: Karte der Halbinsel Yukatan (eigener Entwurf, Satellitenfoto: earthdata.nasa.gov)

Die Ursachen, die dazu führen, dass indigene Sprachen zugunsten offizieller Landessprachenaufgegeben werden, hängen von den jeweils vorherrschenden regionalen und lokalenGegebenheiten ab. Im Falle des Yukatekischen Maya lassen sich zwei zentrale Faktorenbestimmen: a) die massive Abwanderung der mayasprachigen Bevölkerung in urbaneZentren, in denen das gesellschaftliche und berufliche Weiterkommen von der Beherrschungdes Spanischen abhängt und b) das im Vergleich zum Spanischen niedrigere Prestige desYukatekischen Maya. Während Erstere untrennbar mit Fortschritt, Reichtum und beruflicherZukunft assoziiert wird, wird Letztere oftmals mit Rückständigkeit, Armut und bäuerlicherLebensweise in Verbindung gebracht (Gabbert 2001).

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 2

OrthographieDas Yukatekische Maya wurde zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich geschrieben. Diekoloniale Schreibweise wurde 1984 durch ein neues Standardalphabet abgelöst, das sichjedoch bislang nicht konsistent durchgesetzt hat. Die seitdem geltende orthographischeKonvention für Konsonanten gestaltet sich wie folgt:

ARTIKULATIONSORT

ARTIKULATIONSART

bilabial labiodental alveolar alveo-palatal

palatal velar glottal

Plosive stimmlos p

b

p‘

t

(d)*

t‘

k

(g)

k‘

stimmhaft

glottal

Nasale m n

Laterale l

Frikative (f) s x j

Affrikate stimmlos ts

ts‘

ch

ch‘

glottal

Vibranten (r)

Halbvokale w y*Die Phoneme f, d, g und r finden sich nur in spanischen Lehnwörtern.

Das Yukatekische Maya ist im Gegensatz zu anderen Mayasprachen eine Tonsprache, dessenVokalsystem vier unterschiedliche Artikulationsarten aufweist. Für die vier Vokalphonemegilt folgende orthographische Konvention:

Kurzer Vokal Langer Vokal (hoch) Langer Vokal (tief) Reartikulierter Vokal

a áa aa a’a

e ée ee e’e

i íi ii i’i

o óo oo o’o

u úu uu u’u

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 3

Sprachstruktur

Die folgenden Abschnitte geben einen Überblick über die grundlegenden Strukturen desYukatekischen Maya, wie es gegenwärtig auf der Halbinsel Yukatan gesprochen wird.

Ableitungs– und Wortbildungsprozesse

Das Yukatekische Maya ist eine agglutinierene Sprache. Sämtliche Wörter basieren aufWortwurzeln, welche die Struktur Konsonant–Vokal–Konsonant (KVK) aufweisen (Bsp.: kan= etwas lernen). Bei diesen Wortwurzeln handelt es sich in den meisten Fällen um eine derdrei Wortarten Verb (transitiv oder intransitiv), Adjektiv oder Nomen. Ausgehend vondiesen Wortwurzeln können durch verschiedene Kompositions– und Derivationsprozesse neueWörter gebildet bzw. zwischen den einzelnen Wortarten übergeleitet werden. So lässt sichaus dem Nomen aal (Kind einer Mutter) beispielsweise das intransitive Verb aalankil(gebären) ableiten.

Besondere Bedeutung bekommen diese Worbildungsprozesse im Zusammenhang mit den Ver-ben, da das Yukatekischa Maya strikt zwischen transitiven und intransitiven Verben unter-scheidet, welche sich wiederum in Wurzeltransitive bzw. –intransitive sowie abgeleitete tran-sitive und intransitive Verben unterteilen.

Transitive und intransitive Verben

Wohingegen transitive Verben obligatorisch Subjekt (Agens) und Objekt (Patiens) benöti-gen, können intransitive Verben nur ein Argument, das Subjekt, an sich binden. Zur Bildungdes Satzes „ich schreibe“ (intransitiv) sowie „ich schreibe es“ (transitiv) müssen daher imYukatekischen Maya zwei unterschiedliche Verbstämme verwendet werden, welche sich jeweilsvon der Wurzel ts‘íib (die Schrift) herleiten: ts‘íib–ø (schreiben, abgeleitet.intransitiv.antipas-siv) sowie ts‘íib–t– (etwas schreiben, abgeleitet.transitiv.von.Nomen).

Neben der Ableitung intransitiver sowie transitiver Verben von Nomen (s.o.) existieren eineReihe weiterer Derivationsregeln, welche die Bildung von transitiven und intransitiven Ver-ben ermöglichen. So können wurzeltransitive Verben beispielsweise durch die Inkorporationdes Objektes in intransitive Verben umgewandelt werden: kin chak‘ik che‘ – ich fälle Bäume(wurzel.transitiv) wird zu kin chak‘che‘ – ich „baumfälle“ (abgeleitet.intransitiv.antipassiv).Diese intransitiven Verben können wiederum transitiviert werden: kin chak‘che‘tik in kool –ich „baumfälle“ (= rode) mein Maisfeld (abgeleitet.transitiv). Diese zyklische Ableitung in-transitiver von transitiven Verben und umgekehrt ist eines der wesentlichen Merkmale desVerbsystems im Yukatekischen Maya. Das Schema in Abbildung 3 fasst die strukturellenZusammenhänge zwischen den einzelnen Verbklassen (transitiv/intransitiv) zusammen.

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 4

Abb. 3: Struktureller Zusammenhang zwischen den Verbklassen (eigener Entwurf)

Satzstellung

Die Satzstellung folgt im Yukatekischen Maya bei transitiven Sätzen dem Schema Verb–Ob-jekt–Subjekt (VOS) sowie bei intransitiven Sätzen dem Schema Verb–Subjekt (VS):

Transitiv V O S S V Otu ts‘aaj teen óoxp‘éel ja‘as le koonolo‘ = der Verkäufer gab mir drei Bananenku jantik tsajbil je‘ Xmaria = Maria isst Rührei

IntransitivV S S Vku wenel Jwaan = Hans schläfttun xook le máako‘ = der Mann liest gerade

Possession

Eine Besonderheit des Yukatekischen Maya sind die verschiedenen Possessionsklassen. Sowird unter anderem zwischen Neutralen, Veräußerlichen und Unveräußerlichen Nomen unter-schieden. Neutrale Nomen können sowohl innerhalb als auch außerhalb von Possessiv–Kon-struktionen verwendet werden. Anders verhält es sich mit den Veräußerlichen und Un-veräußerliche Nomen. So benötigen Veräußerliche Nomen in possessivem Gebrauch einespezielle morphologische Markierung (das Suffix –il bzw. –el) und können in ihrer ur-sprünglichen Form lediglich in absolutem Gebrauch verwendet werden. UnveräußerlichenNomen kommen hingegen in ihrer ursprünglichen Form nur in Possessiv–Konstruktionen vorund benötigen in absolutem Gebrauch eine spezielle morphologische Markierung (das Suffix–tsil).

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 5

Bsp.: Neutral in lóol = meine Blume

le lóolo‘ = die Blume

Unveräußerlich in suku‘un = mein älterer Bruder

le suku‘untsilo‘ = der ältere Bruder

Veräußerlich le bejo‘ = der Weg

in bejil = mein Weg

Darüber hinaus existieren einige Nomen der Unveräußerlichen sowie Veräußerlichen Klasse,welche sich nicht durch morphologische Markierung überleiten lassen und damit entwederobligatorisch besessen oder schlicht unbesitzbar sind.

Bsp.: Oblig. Besessen a wich = dein Auge

le icho‘ = das Auge

Unbesitzbar le sujuyo‘ = die Jungfrau

in sujuy = meine Jungfrau

Nummeralklassifikatoren

Eine weitere Besonderheit des Yukatekischen Maya sind die zahlreichen Nummeralklassifika-toren. So wird zum Zählen von Objekten stets ein entsprechender Klassifikator benötigt, wel-cher das Objekt näher bezeichnet. Die im Alltag am gebräuchlichsten Klassifikatoren sinddabei jene für belebte (–túul) und unbelebte (–p‘éel) Objekte:

junp‘éel ja‘as = eine Banane (unbelebt)

ka‘ap‘éel óon = zwei Avocado (unbelebt)

óoxtúul wakax = drei Kühe (belebt)

kantúul wíinik = vier Menschen (belebt)

Weitere, des öfteren gebrauchte Klassifikatoren sind –ts‘íit (für lange, schmale Dinge), –xeet‘(für Stücke, Teile, Scheiben), –múuch‘ (für Anhäufungen, Cluster), –kúul (für Bäume oderStämme) und –téen (Male, die etwas getan wird).

junts‘íit chamal = eine Zigarette

ts’a teen junxeet’ = gib mir ein Stück

ka‘amúuch’ bu‘ul = zwei Haufen Bohnen

juntéen meeta‘abi = es wurde einmal gemacht

junkúul jabin = ein Jabin Baum

Helga-Maria Miram (1983) hat in ihrer Feldstudie in einer Yukatekischen Maya Gemeindeüber 225 solcher Nummeralklassifikatoren dokumentieren können.

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 6

Handlungsaspekte

Wie alle anderen Mayasprachen, so unterscheidet auch das Yukatekische Maya keine ab-soluten Zeiten, mit Hilfe derer sich Vor– und Nachzeitigkeiten ausdrücken lassen, sonderndrei verschiedene Handlungsaspekte, welche den Fokus auf die Charakteristika der Handlunglegen: den Inkompletiv, den Kompletiv, sowie den Subjunktiv. Wohingegen der Kompletivsämtliche abgeschlossenen Handlungen umfasst bezieht sich der Inkompletiv auf Handlungenund Ereignisse, welche in der nahen Vergangenheit, der Gegenwart oder der nahen Zukunftliegen. Der Subjunktiv umfasst hingegen Handlungen und Ereignisse, welche in der entfern-ten Vergangenheit sowie der fernen Zukunft liegen und findet ebenso in abhängigen Satzkon-struktionen Verwendung. Letztgenannter Aspekt spiegelt die Vorstellung wider, dass sichentfernte Vergangenheit und ferne Zukunft überlappen und damit ein zyklisches Zeitver-ständnis abbilden. Den Zusammenhang der drei Aspekte verdeutlicht das folgende Schaubild.

Abb. 4: Handlungsaspekte im Yukatekischen Maya (eigener Entwurf)

Beispiele:

INKOMPLETIV táan in jantik – ich esse es gerade

yaan in jantik – ich werde es essen (weil ich muss)

jo‘op in jantik – ich habe begonnen es zu essen

ts‘o‘ok in jantik – ich habe es schon gegessen

suuk in jantik – ich bin gewohnt es zu essen

(...)

KOMPLETIV tin jantaj – ich aß es

SUBJUNKTIV úuch in jantej – ich habe es vor langer Zeit gegessen

bin in jantej – ich werde es irgendwann essen

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 7

Teilergativität

Als Ergativsprachen werden jene Sprachen bezeichnet, bei welchen das Subjekt intransitiverVerben sowie der Patiens transitiver Verben mit dem selben Pronomen (dem Absolu-tivpronomen) markiert werden. Der Agens transitiver Verben wird in diesen Sprachen hinge-gen mit einem separaten Pronomen, dem Ergativpronomen markiert. InAkkusativsprachen – wie beispielsweise dem Deutschen – gestaltet sich die Markierung genauumgekehrt, hier werden das Subjekt intransitiver Verben sowie der Agens transitiver Verbenmit dem selben Pronomen (dem Nominativpronomen) markiert. Der Patiens transitiver Ver-ben wird hingegen mit einem gesonderten Pronomen, dem Akkusativpronomen, markiert.

Das Yukatekische Maya ist eine Teilergative Sprache, wobei besagte Teilung aspektbedingtist. Das bedeutet, dass das Yukatekische Maya im Inkompletiv–Aspekt dem Nominativ/Akkusativ Schema folgt, wohingegen der Kompletiv– sowie der Subjunktiv–Aspekt demErgativ/Absolutiv Schema folgen. Die folgenden Schaubilder zeigen die Markierung von Sub-jekt, Agens und Patiens an intransitiven und transitiven Verben beispielhaft für alle drei As-pekte und verdeutlichen damit die Teilergativität des Yukatekischen Maya.

Inkompletiv Aspekt

táan in wenelSubjekt

Agens Patiens

(VT)

(VI) ich schlafe

ich schlage dichtáan in jats‘ikechNomitativ Akkusativ AkkusativNomitativ

Subjekt

Agens Patiens

Kompletiv Aspekt

wenenSubjekt

PatiensAgens

(VT)

(VI) ich schlief

ich schlug dich

Ergativ Absolutiv

tin jats‘ajechAkkusativNomitativ

Subjekt

Agens Patiens

Subjunktiv Aspekt

bin wenekenSubjekt

PatiensAgens

(VT)

(VI) ich werde schlafen

ich werde dich schlagen

ErgativAbsolutiv Akkusativ

Nomitativ

Subjekt

Agens Patiens

bin in jats‘ejech

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 8

Stativ

Der Stativ oder Zustandspassiv drückt einen Zustand aus, der aus einem vorangegangenenEreignis resultiert. Im Deutschen werden solche Sätze mit dem Hilfsverb „sein“ gebildet,z.B.: ich bin ein Mensch, oder ich bin reich. Da im Yukatekischen Maya kein Hilfsverb ex-istiert, welches Seins–Zustände beschreibt, wird das Zustandspassiv mithilfe der Absolu-tivpronomen gebildet, welche direkt an das entsprechende Nomen oder Adjektiv angehängtwerden:

wíiniken = ich bin ein Mensch

ayik‘alen = ich bin reich

polokech = du bist dick

tsíiminech = du bist ein Pferd (i.e. du bist dumm)

Da die 3. Person Singular der Absolutivpronomen durch ein Nullmorphem repräsentiert wirdbedeutet dies, dass ein einzelnes Nomen bzw. ein einzelnes Adjektiv bereits einen komplettenSatz darstellt:

wíinik = sie ist ein Mensch

ayik‘al = sie ist reich

polok = er ist dick

tsíimin = es ist ein Pferd

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 9

SprachbeispielDas nachfolgend transkribierte und analysierte Sprachmaterial wurde von Christian W. R.Klingler und Catherine J. Letcher Lazo im Februar 2012 im Osten Yucatáns, Mexikodokumentiert. Es handelt sich hierbei um eine Videoaufnahme1, in der ein Muttersprachlerdes Yukatekischen Maya eine autobiographische Geschichte erzählt, welche die Beziehungzwischen der armen Land- und reichen Stadtbevölkerung thematisiert (vgl. hierzu deninhaltlichen Kontext). Da es sich hierbei um die Dokumentation lokaler Alltagssprachehandelt, ist das Material – neben seiner thematischen Ausrichtung – insbesondere auchaufgrund der daran ersichtlichen, umgangssprachlichen Prozesse für die Forschung vonbesonderem Interesse. Wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bei Don Victorbedanken, der sich damit einverstanden erklärte, das Videointerview im Sprachenportal derAbteilungs-Webseite zu veröffentlichen: ¡jach dyoos bo‘otik teech!

Texttranskription in moderner Orthographie

Paachil tu nayl u p‘éel xook tin wil u túul chan paal, u túul chan paal jach tu máan yaj utuukul, ts‘o‘oke‘ jach máan yaj u yok‘ol. Ka‘a tin nats‘inbae‘ ka‘a tin wa‘aj ti‘: ¿ba‘ax yaanteech chan paal? taak in biskinba uts tawéetel, a‘al teen jaajil a wóol. Ka‘a tu li‘is u yich,ts‘o‘oke‘ ka‘a tu ya‘aj teen: taak in wokol xook je‘ebix u jee le mejen paalalo‘obo‘, peerojna‘an u ba‘alil in ts‘ik in kwaaderno, na‘an teen ju‘un, leti‘ meetke‘ mun beyt in wokol xooktu‘ux ku yokol paalal tu nayl xook.

ka‘a tin mach u k‘ab, ka‘a tin wa‘alaj ti‘: yéetel le ba‘ax ku yúuchul teech ku yúuchul xanteeni, ku k‘a‘ajal teen bix yaan tin paalil, ma‘ xooknajeni, óotsilen. Ka‘a ka‘a in wok‘tik,taak in wok‘ol yéet le chan paal, ka‘atúulo‘on tumen iigwal in tristesa, iigwal in sufriro‘on,ba‘ax úuchul teen paalen úuchul ti‘. Ichil lelo‘ ma‘ in wojel ba‘ax swerte, ba‘ax ti‘ jachyajóotale‘, ka‘a tin wa‘aj ti‘, u túu chan paal, tin akonsejartik, tin waik ti‘, tin wak ti‘, tintsolik ti‘, ka‘a tin wa‘aj tie‘: teeche‘ ta wóotik til a wokol eskwela, teeche‘ yaan u p‘éel oorota k‘ab, taak a kanik xook, peeroj na‘an teech ju‘un a ts‘íib, mun beyt a wokol tu nayl xook.

En kaambyo u jew u paalal, u ijos ts‘uul, leti‘e‘, tumben u mochilas, lapiserose‘ tak de ooroku ya‘al u ma‘anle‘, peeroj mun k‘uchul eskwela tumen u papaje‘ yaan taak‘in ti‘. Kuk‘e‘eyel, ku ya‘ala‘al ti‘ men u papaj: ¡chan paal, ijo, péenen ta xook! ku yaik tu papaj:¡teene‘ ma‘ k‘abéet teen xook! ku machk u kwaaderno, ku ja‘ajatik, ku ya‘alik, k‘eyaj kumeetik tu papaj: ¡ma‘ taak in bin xooki! ¿tumen ba‘axten? tumen tuláakal yaan ti‘.

Entonses, le chan paal ku ya‘ake‘, esten, komo leti‘ óotsil, óotsilen xan. Ich in tsikbatik ti‘ba‘ax ku yúuchul xan teene‘ ka‘a kóola‘ kaampana, ka‘a jo‘osaj mejen paalal rekreo. Kumáan u yaalkabo‘, tu máan u baaxlo‘, tun che‘ejo‘. Peeroj teene‘ u túul chan paal je‘ebixteen, óotsil, óotsilen xane‘, chéen paach u nayl xooke‘ chéen puro ok‘ol ka k meetik.

Morphologische Textanalyse

1. Abrufbar auf dem Sprachenportal der Abteilung für Altamerikanistik der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn: www.iae.uni-bonn.de/fach/lehr-und-forschungsschwerpunkte/sprachenportal/yukatekisches-maya/sprachbeispiel

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 10

paachil tu nayl u p‘éel xook tin wil u túul chan paal,paachil t[i‘]–u nayl [j]u[n]–p‘éel xook t–inw–il–[aj]–ø [j]u[n]–túul chan paalhinter an–3sE Haus(besessen) 1–NC(inan) Studium AUX–1sE–sehen(VT)–KOM–3sA 1–NC(anim) klein KindHinter dem Haus des Studiums sah ich ein kleines Kind

u túul chan paal jach tu máan yaj u tuukul,[j]u[n]–túul chan paal jach t–u–máan–yaj–ø u–tuukul1–NC(anim) klein Kind sehr AUX–3sE–sehr–schmerzen(VI)–INC 3sE–Gedanken/Gefühleein kleines Kind, dessen Gedanken/Gefühle ihn sehr schmerzen

ts‘o‘oke‘ jach máan yaj u yok‘olts‘o‘ok‘[ol]–e‘ jach máan yaj–ø uy–ok‘olbeenden–DX sehr sehr schmerzhaft–3sA 3sE–Weinenund dann ist sein Weinen sehr schmerzhaft

ka‘a tin nats‘inbae‘ ka‘a tin wa‘aj ti‘ka‘a t–in–nats‘–[aj]–inba–e‘ ka‘a t–inw–a‘a[l]–[a]j–ø ti‘als AUX–1sE–nähern(VT)–KOM–1sREF–DX da AUX–1sE–sagen(VT)–KOM–3sE 3sDATals ich mich näherte, da sagte ich zu ihm

¿ba‘ax yaan teech chan paal?ba‘ax yaan teech chan paalwas es_existiert 2sDAT klein Kindwas hast du, kleines Kind

taak in biskinba uts tawéetel, a‘al teen jaajil a wóol taak–in–bi–s–[i]k–inba uts tawéetel, a‘al teen jaaj–il aw–óolAUX–1sE–gehen(VI)–KAUS–INK–1sREF gut mit_dir sagen(IMP) 2sDAT wahr–ABSTR 2sE–Lebensessenzich möchte gut mit dir auskommen, sag mir die Wahrheit deines Herzens

ka‘a tu li‘is u yich, ts‘o‘oke‘ ka‘a tu ya‘aj teen ka‘a t–u–li‘i–s–[aj]–ø uy–ich, ts‘o‘ok[ol]–e‘ ka‘a t–uy–a‘a[l]–[a]j–ø teendann AUX–3sE–aufsteigen(VI)–KAUS–KOM–3sA 3sE–Gesicht/Auge beenden–DX dann AUX–3sE–sagen(VT)–KOM–3sA 1sDATdann erhob er sein Gesicht und danach sagte er zu mir

taak in wokol xook je‘ebix u jee le mejen paalalo‘obo‘ taak–inw–ok–ol xook je‘ebix u jee[l] le mejen paal–al–o‘ob–o‘AUX–1sE–eintreten(VI)–INK studieren wie 3sE–andere ART klein(pl) Kind–PL–PL–DXich möchte studieren, wie die anderen kleinen Kinder

peeroj na‘an u ba‘alil in ts‘ik in kwaaderno na‘an teen ju‘un, peeroj na‘an u ba‘al–il in–ts‘[a]–ik–ø in–kwaaderno na‘an teen ju‘unaber es_existiert_nicht 3sE Ding–REL 1sE–geben/legen(VT)–INK–3sA 3sE–Heft es_existiert_nicht 1sDAT Papieraber ich habe nichts wo ich mein Heft hineintun kann, ich habe kein Papier

leti‘ meetke‘ mun beyt in wokol xookleti‘ mee[n]–t–[i]k–e‘ mun–bey–t[al] inw–ok–ol xook3sFPP Tat–TRANS–INK–DX NEG.3sE–können(VI)–INK 1sE–eintreten(VI)–INK studierenaus diesem Grund kann ich nicht studieren gehen

tu‘ux ku yokol paalal tu nayl xook

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 11

tu‘ux k–uy–ok–ol paal–al t[i‘]–u nayl xookwo AUX–3sE–eintreten(VI)–INK Kind–PL in–3sE Haus(besessen)Studiumdort wo die Kinder eintreten, in das Haus des Studiums

ka‘a tin mach u k‘ab, ka‘a tin wa‘alaj ti‘ ka‘a t–in–mach–[aj]–ø u–k‘ab, ka‘a t–inw–a‘al–aj–ø ti‘dann AUX–1sE–greifen(VT)–KOM–3sA 3sE–Hand und AUX–1sE–sagen(VT)–KOM–3sA 3sDATdann ergriff ich seine Hand und sagte zu ihm

yéetel le ba‘ax ku yúuchul teech ku yúuchul xan teeni, yéetel le ba‘ax k–uy–úuch–ul teech k–uy–úuch–ul xan teen–imit ART was AUX–3sE–passieren(VI)–INK 2sDAT AUX–3sE–passieren(VI)–INK auch 1sDAT–EMPHdas was dir widerfährt, ist auch mir widerfahren

ku k‘a‘ajal teen bix yaan tin paalil, ma‘ xooknajeni, óotsilenk–u–k‘a‘aj–al teen bix yaan t[i‘]–in paal–il, ma‘ xook–naj–en–i, óotsil–enAUX–3sE–erinnern(VI)–INK 1sDAT wie es_existiert in–1sE Kind–ABSTR NEG studieren–KOM–1sA–NEG arm–1sAich erinnere mich daran, wie es in meiner Kindheit war, ich habe nicht studiert, ich bin arm

ka‘a ka‘a in wok‘tik,ka‘a ka‘a inw–ok‘[ol]–t–ik–øda wieder 1sE–weinen(VI)–TRANS–INK–3sA da beweine ich es wieder

taak in wok‘ol yéet le chan paal, taak–inw–ok‘ol–ø yéet[el] le chan paalAUX–1sE–weinen(VI)–INK mit ART klein Kindich möchte mit dem kleinen Kind weinen

ka‘atúulo‘on tumen iigwal in tristesa, iigwal in sufriro‘on, ka‘a–túul–o‘on tumen iigwal–ø in–tristesa iigwal–ø in–sufrir–o‘on2–NC(anim)–1plA weil gleich–3sA 1sE–Trauer gleich–3sA 1plE–Leiden–1plEwir sind zu zweit, weil unsere Trauer gleich ist, unser Leiden gleich ist

ba‘ax úuchul teen paalen úuchul ti‘ba‘ax úuch–ul teen paal–en úuch–ul ti‘was passieren(VI)–INK 1sDAT Kind–1sA passieren(VI)–INK 3sDATwas mir passiert ist als ich ein Kind war, das passiert ihm

ichil lelo‘ ma‘ in wojel ba‘ax swerte, ba‘ax ti‘ jach yajóotale‘, ka‘a tin wa‘aj ti‘ichil lelo‘ ma‘ inw–ojel ba‘ax swerte–ø ba‘ax ti‘ jach yajóo[l]–ø–tal–e‘ ka‘a t–inw–a‘a[l]–aj–ø ti‘während DEM NEG 1sE–wissen(VD) was Schicksal–3sA was ? sehr traurig(ADJ)–INCH–INK–DX dann AUX–1sE–sagen(VT)–KOM–3sA 3sDAT währenddessen weiss ich nicht, welches Schicksal es ist, wieso er so traurig wird, dann sagte ich zu ihm

u túu chan paal, tin akonsejartik, tin waik ti‘, tin wak ti‘,[j]u[n]–túu[l] chan paal t–in–akonsejar–t–ik–ø t–inw–a[‘al]–ik–ø ti‘ t–inw–a[‘al]–[i]k–ø ti‘1-NC(anim) klein Kind AUX–1sE–beraten–TRANS–INK–3sA AUX–1sE–sagen(VT)–INK–3sA 3sDAT AUX–1sE–sagen(VT)–INK–3sA 3sDATein kleines Kind, ich berate ihn, ich sage es ihm, ich sage es ihm

tin tsolik ti‘, ka‘a tin wa‘aj tie‘

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 12

t–in–tsol–ik–ø ti‘ ka‘a t–inw–a‘a[l]–aj–ø ti‘AUX–1sE–ausrichten/erklären(VT)–INK–3sA 3sDAT dann AUX–1sE–sagen(VT)–KOM–3sA 3sDATich erkläre es ihm, dann sagte ich ihm:

teeche‘ ta wóotik til a wokol eskwela, teech–e‘ t–aw–óo[l]–t–ik–ø ti[a‘a]l aw–ok–ol eskwela2sFPP–DX AUX–2sE–Lebensessenz(N)–TRANS–INK–3sA um 2sE–eintreten(VT)–INK Schuledu hast dich dazu entschieden, in die Schule zu gehen

teeche‘ yaan u p‘éel ooro ta k‘ab, taak a kanik xook, teech–e‘ yaan [j]u[n]–p‘éel ooro t[i‘]–a–k‘ab taak–a–kan–ik–ø xook2sFPP–DX es_existiert 1–NC(inan) Gold in–2sE–Hand AUX–2sE–lernen(VT)–INK–3sA studierendu hast ein Stück Gold in deiner Hand, du möchtest studieren lernen

peeroj na‘an teech ju‘un a ts‘íib, mun beyt a wokol tu nayl xookpeeroj na‘an teech ju‘un a–ts‘íib–ø mun–bey–t[al] aw–ok–ol t[i‘]–u–nayl xookaber ex_existiert_nicht 2sDAT Papier 2sE–schreiben(VI)–INK NEG.3sE–können(VI)–INK 3sE–eintreten(VI)–INK in–3sE–Haus(besessen) Studiumaber du hast kein Papier, um zu schreiben, du kannst nicht in die Schule gehen

en kaambyo u jew u paalal, u ijos ts‘uul, leti‘e‘, tumben u mochilas, en kaambyo u–je[el]w u paal–al u–ijos ts‘uul leti‘e‘ tumben u–mochilasAndererseits 3sE–andere 3sE Kind–PL 3sE–Söhne Reicher 3sFPP neu 3sE–RucksackAndererseits gibt es andere Kinder, die Söhne der Reichen, sie haben neue Rucksäcke,

lapiserose‘ tak de ooro ku ya‘al u ma‘anle‘ lapiseros–e‘ tak de ooro k–uy–a‘al u–ma‘an–[a]l–e‘Kugelschreiber–DX bis aus Gold AUX–3sE–sagen 3sE–gekauft_werden(VI)–INK–DXsogar besagte Kugelschreiber aus Gold werden für sie gekauft

peeroj mun k‘uchul eskwela tumen u papaje‘ yaan taak‘in ti‘peeroj mun–k‘uch–ul eskwela tumen u–papaj–e‘ yaan taak‘in ti‘aber NEG.3sE–ankommen(VI)–INK Schule weil 3sE–Vater–DX es_existiert Geld 3sDATaber sie kommen nicht in die Schule, weil ihr Vater Geld hat

ku k‘e‘eyel, ku ya‘ala‘al ti‘ men u papaj: k–u–k‘e‘ey–el k–uy–a‘al–a‘al ti‘ [tu]men u–papajAUX–3sE–geschimpft_werden(VI)–INK AUX–3sE–sagen(VT)–PASS.INK 3sDAT durch 3sE–Vaterer wird geschimpft, es wird ihm von seinem Vater gesagt:

¡chan paal, ijo, péenen ta xook!chan paal ijo péen–en t[i‘]–a–xookklein Kind Sohn bewegen(VI)–IMP zu–2sE–Studiumkleines Kind, Sohn, geh studieren!

ku yaik tu papaj: ¡teene‘ ma‘ k‘abéet teen xook! k–uy–a[‘al]–ik–ø t[i‘]–u–papaj teen–e‘ ma‘ k‘abéet teen xookAUX–3sE–sagen(VT)–INK–3sA zu–3sE–Vater 1sFPP–DX NEG es_brauchen 1sDAT studierener sagt zu seinem Vater: ich brauche nicht zu studieren!

ku machk u kwaaderno, ku ja‘ajatik,k–u–mach–[i]k–ø 3sE–kwaaderno k–u–ja‘a–jat–ik–øAUX–3sE–fassen(VT)–INK–3sA 3sE–Heft AUX–3sE–RE–zerreisen(VT)–INK–3sAer nimmt sein Heft, er zerreist es mehrfach,ku ya‘alik, k‘eyaj ku meetik tu papaj:

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 13

k–uy–a‘al–ik–ø k‘eyaj k–u–mee[n]–t–ik–ø t[i‘]–u–papajAUX–3sE–sagen(VT)–INK–3sA Schimpfen AUX–3sE–Tat–TRANS–INK–3sA zu–3sE–Vaterer sagt es, er beschimpft seinen Vater:

¡ma‘ taak in bin xooki!ma‘ taak–in–bin xook–iNEG AUX–1sE–gehen(VI) studieren–NEGich will nicht studieren gehen!

¿tumen ba‘axten? tumen tuláakal yaan ti‘tumen ba‘axten tumen tuláakal yaan ti‘weil warum weil alles es_existiert 3sDATund warum? Weil er alles hat.

entonses, le chan paal ku ya‘ake‘, esten, komo leti‘ óotsil, óotsilen xan,entonces le chan paal k–uy–a‘a[l]–[i]k–ø–e‘ esten komo leti‘ óotsil–ø óotsil–en xanalso ART klein Kind AUX–3sE–sagen(VI)–INK–3sA–DX ähm da 3sFPP arm–3sA arm–1sA auchalso sagt das kleine Kind, ähm, da er arm ist, ich bin auch arm,

ich in tsikbatik ti‘ ba‘ax ku yúuchul xan teene‘ ka‘a kóola‘ kaampana, ich in–tsikba[l]–t–ik–ø ti‘ ba‘ax k–uy–úuch–ul xan teen–e‘ ka‘a kóol–a‘[aj] kaampanaPRÄ 1sE–unterhalten(VI)–TRANS–3sA 3sFPP was AUX–3sE–passieren(VI)–INK auch 1sFPP–DX dann aufeinanderfolgend_ziehen(VT)–PASS Glockewährend ich ihm erzähle, was auch mir passiert ist, wird die Glocke geläutet,

ka‘a jo‘osaj mejen paalal rekreo ka‘a jo‘o–s–aj–ø mejen paal–al rekreodann herauskommen(VI)–KAUS–KOM–3sA klein(pl) Kind–PL Pausesie holt die Kinder zur Pause heraus.

ku máan u yaalkabo‘, tu máan u baaxlo‘, tun che‘ejo‘, k–u–máan uy–aalkab–ø–o‘[ob] t–u–máan u–baax–[a]l–o‘[ob] tun–che‘ej–ø–o‘[ob]AUX–3sE–vorübergehen(VI) 3plE–rennen(VI)–INK–3plE AUX–3sE–vorübergehen(VI) 3plE–spielen(VI)–INK–3plE AUX.3plE–lachen(VI)–INK–3plEsie gehen rennend vorbei, sie gehen spielend vorbei, sie lachen

peeroj teene‘ u túul chan paal je‘ebix teen, óotsil, óotsilen xane‘ peeroj teen–e‘ [j]u[n]–túul chan paal je‘ebix teen óotsil–ø óotsil–en xan–e‘aber 1sFPP–DX 1–NC(anim) klein Kind wie 1sFPP arm–3sA arm–1sA auch–DXaber ich, ein kleines Kind wie ich, er ist arm, ich bin auch arm

chéen paach u nayl xooke‘ chéen puro ok‘ol ka k meetik.chéen paach u–nayl xook–e‘ chéen puro ok‘ol ka–k–mee[n]–t–ik–ønur hinter 3sE–Haus(besessen) Studium–DX nur lauter Weinen AUX–1plE–Tat–TRANS–INK–3sAhinter der Schule [sind wir], wir weinen einfach nur.

Abkürzungen

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 14

FPP – Freies PersonalpronomenDAT – DativpronomenDEM – DemonstrativpronomenA – AbsolutivpronomenE – ErgativpronomenREF – Reflexivpronomens – Singular (Pronomen)pl – Plural (Pronomen)ø – NullmorphemVT – Transitives VerbVI – Intransitives VerbAUX – Auxiliar / AspektpräfixINK – Inkompletiv AspektmarkerKOM – Kompletiv AspektmarkerINCH – Inchoativ SuffixKAUS – Kausativ Suffix

TRANS – Transitivierungs SuffixPASS – PassivNC(anim) – Numeralklassifikator (belebte)NC(inan) – Numeralklassifikator (unbelebt)PRÄ – PräpositionART – ArtikelPL – PluralsuffixABSTR – AbstraktionssuffixREL – Relationales SuffixNEG – NegationRE – ReduplikationDX – Deiktische PartikelEMPH – EmphaseN – NomenADJ – Adjektiv

ÜbersetzungHinter der Schule sah ich ein kleines Kind das sehr betrübt war. Zudem weinte es bitterlich.Als ich mich näherte sagte ich zu ihm: „Was hast du, kleines Kind? Ich möchte gut mit dirauskommen, schütte mir dein Herz aus.“ Dann hob er sein Gesicht und sagte zu mir: „Ichmöchte studieren wie die anderen kleinen Kinder, aber ich habe nichts worin ich meine Hefteverstauen kann, ich habe kein Papier, aus diesem Grund kann ich nicht studieren gehen, dortwo die Kinder hingehen, in die Schule.“

Dann ergriff ich seine Hand und sagte zu ihm: „Das was dir widerfährt, ist mir auchwiderfahren. Ich erinnere mich daran, wie es in meiner Kindheit war, ich habe nicht studiert,ich war arm.“ Da fange ich wieder an zu weinen. Ich möchte mit dem kleinen Kind weinen.Wir sind zu zweit, weil unsere Trauer und unser Leiden gleich sind. Was mir passiert ist alsich ein Kind war, das passiert nun ihm. Und während ich nicht weiss, welches Schicksal erhat, warum er so traurig wird, so sage ich zu ihm, zu dem kleinen Kind, ich berate ihn, icherkläre es ihm und sage: „Du hast dich dazu entschieden in die Schule zu gehen, du hast einStück Gold in deiner Hand, du möchtest Studieren lernen, aber du hast kein Papier, um zuschreiben, du kannst nicht in die Schule gehen.“

Andererseits gibt es andere Kinder, die Söhne der Reichen, sie haben neue Rucksäcke, sogarbesagte Kugelschreiber aus Gold werden für sie gekauft. Aber sie kommen nicht in dieSchule, weil ihre Väter Geld haben. Er [der Sohn] wird geschimpft, sein Vater sagt zu ihm:„Kleines Kind, Sohn, geh studieren!“ Aber er [der Sohn] sagt zu seinem Vater: „Ich brauchenicht zu studieren!“ Er nimmt sein Heft, er zerreist es mehrfach, er sagt und beschimpftseinen Vater: „Ich will nicht studieren gehen!“. Und warum [will er nicht studieren]? Weil eralles hat.

Also sagt das kleine Kind, ähm... da er arm ist und ich auch arm bin... während ich ihmerzähle, was auch mir passiert ist, da läutet die Glocke und holt die Kinder zur Pauseheraus. Sie gehen rennen und spielen und lachen. Aber ich und das kleine Kind, das so istwie ich – er ist arm und ich bin auch arm – wir stehen hinter der Schule und weinen einfachnur.

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 15

Inhaltlicher Kontext der Geschichte

In Don Victors Erzählung spieltder Gegensatz zwischen „denArmen“ und „den Reichen“ einezentrale Rolle. Die überwiegend inden ländlichen Gebieten lebendemayasprachige Bevölkerungverwendet beide Begriffe nicht nurin einem ökonomischen Sinne,sondern auch als ethnischeZuschreibungen, die mit jeweilsunterschiedlichen moralischenWertungen belegt sind. Óotsilmáako‘on („wir sind arme Leute“)gehört neben máasewal bzw.campesino und mayero/-a zu deram häufigsten verwendetenSelbstzuschreibung. Sie dient MayaSprecherinnen und Sprechern zurAbgrenzung von der städtischen,spanischsprachigen Bevölkerung,die unter anderem als ayik‘almáako’ob („reiche Menschen“)oder als ts’uulo‘ob (ursprünglich„die Fremden“, aber auch einfach„die Reichen“) bezeichnet wird.

Während diese Bezeichnungen zum einen darauf referieren, dass sich die mayasprachigeBevölkerung in der lokalen Ökonomie an unterster Stelle wiederfindet, so erfährt dieseHierarchie auf der moralischen Ebene eine Umkehrung. Denn ihre vergleichsweise großeArmut sowie die auf Subsistenz ausgelegte Wirtschaftsweise sind aus Sicht von Maya–Sprecherinnen und Sprechern eng mit Vorstellungen von Ruhe, Tugendhaftigkeit,Bescheidenheit und respektvollem Umgang miteinander verknüpft. Reichtum undGeldwirtschaft hingegen stehen für Unruhe, Ausschweifungen und moralischen Verfall.

Diese Aspekte werden in der Erzählung durch die beiden Kinder verkörpert. Dem armen,tugendhaften Kind, dessen größter Wunsch es ist, in die Schule zu gehen, um Lesen undSchreiben zu lernen, wird das flegelhafte Kind eines reichen Mannes (ts’uul)gegenübergestellt. Trotz der Tatsache, dass es ihm materiell an nichts mangelt (es besitztsogar einen Kugelschreiber aus Gold) weigert sich das reiche Kind in die Schule zu gehen,zerreißt aus Wut sein Schreibpapier und beschimpft seinen Vater.

(Foto: Mann und Kind auf dem Weg zur Milpa, eigene Aufnahme)

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 16

Kolonialzeitliches Yukatekisches Maya

Bereits kurz nach der Eroberungder Halbinsel Yukatan im Jahre1547 entstanden die ersten inYukatekischem Maya verfasstenTexte. Die Verfasser dieser Textewaren zunächst christlicheMissionare, die sich dem vertieftenStudium der indigenen Sprachezuwandten, um die Evangelisierungder mayasprachigen Bevölkerungvoranzutreiben. Im Rahmen dieserfrühen linguistischen Auseinander-setzungen entstanden umfangreicheWörterbücher wie beispielsweisedas Bocabulario de maya than(unbekannter Autor, ca. 1570) oderdas Calepino de Motul (FrayAntonio de Ciudad Real,1580-1614), sowie Grammatiken(z.B. Arte en lengua maya vonFray Juan Coronel, 1620) unddoktrinale Texte.

Die spanischen Kleriker widmetensich jedoch nicht nur derDokumentation der ihnen fremden Sprache, sondern unterwiesen die mayasprachigeBevölkerung auch in der christlichen Doktrin und vermittelten ihr das Lesen und Schreibenin Spanisch, Latein und Yukatekischem Maya. Diese Ausbildung beschränkte sich jedochvorrangig auf die Angehörigen der lokalen Oberschicht und diente neben der Konsolidierungder noch jungen Kolonialverwaltung, auch der nachhaltigen Verbreitung und Etablierung deschristlichen Glaubens. Ihre neuen Kenntnisse nutzend, verfassten indigene Schreibernotarielle und administrative Dokumente wie etwa Testamente, Petitionen und Landtitel.Darüber hinaus schufen sie eigenständige Textgenres, die von Medizinaltexten (z.B. El Ritualde los Bacabes und Los Libros del Judío) bis zu den sogenannten Chilam Balam-Büchernreichten.

Bei Letzteren handelt es sich um Textsammlungen, die neben Rätseln, Almanachen undmedizinischen Rezepturen, auch Prophetien und historische Erzählungen enthalten. Neunsolcher Chilam Balam-Bücher sind uns heute bekannt: das Chilam Balam von Chumayel, vonIxil, von Kaua, von Nah, von Chan Cah, von Tizimin, von Tekax, von Tusik und der CódexPérez. Sie gelten als wichtige historische Quellen zur Erforschung der kolonialzeitlichenGesellschaft und Kultur der Yukatekischen Maya.

(Foto: Konvent in Izamal, eigene Aufnahme)

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 17

Einführende Literatur

I. Linguistische Arbeiten

a) ArtesBeltrán de Santa Rosa María, Pedro2002 [1746] Arte de el Idioma Maya reducido a Succintas Reglas y Semilexicón

Yucateco. Fuentes para el Estudio de la Cultura Maya, 17.Herausgegeben von René Acuña. México, D.F.: Universidad NacionalAutónoma de México.

Coronel, Fray Juan1998 [1620] Arte en Lengua de Maya: y Otros Escritos. Fuentes para el Estudio de

la Cultura Maya, 14. Herausgegeben von René Acuña. México, D.F.:Universidad Nacional Autónoma de México.

San Buenaventura, Fray Gabriel de1996 [1684] Arte de la Lengua Maya. Fuentes para el Estudio de la Cultura Maya,

13. Herausgegeben von René Acuña. México, D.F.: UniversidadNacional Autónoma de México.

b) Kolonialzeitliches MayaMcQuown, Norman A.1967 Classical Yucatec (Maya). In Handbook of Middle American Indians,

Vol. 5: Linguistics. Austin: University of Texas Press, 201 - 247.Smailus, Ortwin1977 Einführung in das Klassische Yukatekisch. Hamburg: Archäolog.

Institut der Univ. Hamburg (Altamerikanistische Sprachen undKulturen, Mitteilungen Nr. 7). [Arbeit basiert auf kolonialzeitlichenArtes, s.o.]

Hanks, William F.2010 Converting Words: Maya in the Age of the Cross. Berkeley: University

of California Press.

c) Modernes MayaPfeiler, Barbara und Glenn Ayres1996 Los verbos Maya. La conjugación en el maya yucateco moderno.

Mérida, Yucatán: Ediciones de la Universidad Autónoma de Yucatán.Lehmann, Christian1990 Yukatekisch. Zeitschrift für Sprachwissenschaft 9(1-2): 28–51.Miram, Helga–Maria1983 Numeral Classifiers im yukatekischen Maya. Hannover: Verlag für

Ethnologie.Tozzer, Alfred M.1977 A Maya Grammar: With Bibliography and Appraisement of the Works

Noted. New York: Dover Publications.

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 18

II. Wörterbüchera) Kolonialzeitliche Wörterbüchero.V.1993 [ca.1570] Bocabulario de Maya Than. Codex Vindobonensis N.S. 3833. Fuentes

para el Estudio de la Cultura Maya, 10. Herausgegeben von RenéAcuña. México, D.F.: Universidad Nacional Autónoma de México.

Ciudad Real, Fray Antonio de2001 [ca.1580] Calepino Maya de Motul. Edición crítica y anotada por René Acuña.

México, D.F.: Plaza y Valdés.o.V.1976 [ca.1600] Diccionario de San Francisco. Herausgegeben von Oscar Michelon.

Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt.b) Moderne WörterbücherAcademia de la Lengua Maya de Yucatán (Hrsg.)2003 Diccionario Maya Popular. Maya – Español, Español – Maya.. Mérida:

Compañía Editorial de la Península.Bricker, Victoria, Eleuterio Po’ot Yah und Ofelia Dzul de Po’ot1998 A Dictionary of the Maya Language: As Spoken in Hocabá, Yucatán.

Salt Lake City: The University of Utah Press.Pacheco Cruz, Santiago1969 Hahil Tzolbichunil Than Mayab o Verdadero Diccionario de la Lengua

Maya. Mérida, Yucatán, Méjico: Sociedad Mejicana de Geografía iEstadística i de la de Geografía e Historia de Guatemala.

III. Ethnographische, ethnohistorische und allgemeine ArbeitenAdelaar, Willem F. H. 2007 Meso-America. In: C. Moseley (Hrsg.), Encyclopedia of the world’s

endangered languages, S. 197–210. London: Routledge.Arzápalo, Marín, Ramon1987 El Ritual de los Bacabes. México, D.F.: Universidad Nacional

Autónoma de México. Gabbert, Wolfgang2004 Becoming Maya. Ethnicity and Social Inequality in Yucatán since

1500. Tucson: The University of Arizona Press.Hanks, William F.1990 Referential Practice: Language and Lived Space among the Maya.

Chicago: University of Chicago Press.Kaufman, Terrence1976 Archaeological and Linguistic Correlations in Mayaland and

Associated Areas of Meso-America. World Archaeology 8(1): 101-118.

Christian W. R. Klingler & Catherine J. Letcher Lazo (2013): Sprachbeschreibung Yukatekisches Maya. 19


Recommended