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SYNCHRON, DYSCHRON, ANACHRON. Zeitlichkeit als Material der Gegenwartskunst, Master Thesis, Academy...

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Katharina Brandl SYNCHRON, DYSCHRON, ANACHRON. ZEITLICHKEIT ALS MATERIAL DER GEGENWARTSKUNST. Zeitlichkeit als Material der Gegenwartskunst. SYNCHRON, DYSCHRON, ANACHRON. Katharina Brandl
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Katharina Brandl

SYNCHRON, DYSCHRON, ANACHRON.ZEITLICHKEIT ALS MATERIAL DER GEGENWARTSKUNST.

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01 EINLEITUNG UND PROBLEMSTELLUNG

1.1. Zum Begriff der Gegenwartskunst

1.2. Zeitlichkeit als Material

1.3. Gegenwartskunst und Geschichtsschreibung

02 SYNCHRON

2.1. Peter Osborne und die transnationale Gleichzeitigkeit

2.2. Johannes Fabian: Time & the Other. Zum Potential von Gleichzeitigkeit

2.3. Situation Rooms von Rimini Protokoll

03 DYSCHRON

3.1. Die Unterbrechung der Stasis: Groys im Dialog mit Rancière

3.2. Praxen der Gegenzeit bei Mathias Poledna und Michael Asher

04 ANACHRON

4.1.Anachronismus/Anachronie

4.2. Sherrie Levines Appropriation kanonisierter Geschichte

05 RÉSUMÉ

06 LITERATUR

01 EINLEITUNG UND PROBLEMSTELLUNG

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01 Einleitung und Problemstellung

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1 Rebentisch 2013, S. 13.

2 Aranda/Kuan Wood/Vidokle 2010, S. 6.

3 Bois/Krauss 1997, S. 25.

4 Vgl. Osborne 2013a.

Der Begriff der Gegenwartskunst, oder gar das englische Pendant contem-porary art, schlägt Gräben zu dem, was umgangssprachlich als Gegenwart be-griffen wird. Die Kunst der Gegenwart bezieht sich nicht auf die ephemere Natur des jeweiligen Moments, der gerade noch Zukunft war, und schon wieder in die Vergangenheit gleitet - sie bezieht sich auf die Vorstellung einer historischen Ge-genwart, der hier in Bezug auf die Kunstproduktion begrifflich begegnet werden soll. Es ist unbestritten, dass der Begriff der Gegenwartskunst und wahrschein-lich umso mehr die Textproduktion zu contemporary art (oder the contemporary) eine steile Begriffskarriere hingelegt hat, welche das Fach der Gegenwartskunst auch in kunsthistorische Institute einziehen hat lassen. Nun kann man den Be-griff als weiteren Periodisierungsversuch der Kunsthistoriographie abtun, ihm zusprechen, dass er als solcher diejenigen Arbeiten, die er subsumiert, einander - fast gewaltsam - angleicht. Man kann ihn auch als Affirmation gegenüber un-serer sozioökonomischen Gegenwart lesen: Der Gegenwart des transnationalen Neoliberalismus, in welcher der Kunstmarkt seine spezifischen Spekulations-objekte hervorbringt. Man kann sich allerdings auch denjenigen Autor_innen anschließen, die das kritische Potential, das der Begriff auch birgt, ernst nehmen wollen. Juliane Rebentisch konstatiert beispielsweise, dass die Qualifizierung ei-ner künstlerischen Arbeit als Gegenwartskunst insofern normativ sei, als dass die sich „in [ihr] manifestierenden kritischen Auseinandersetzungen mit den Deutungsmustern, die für die eigene Zeit bereitstehen“ fokussiert werden, und dass diese „ihre historische Gegenwart gegenwärtig machen soll“1. Auch wenn periodisch-definitorische Herangehensweisen teils zurecht kritisiert werden, ist es umso schwieriger, sich ihnen gänzlich zu entziehen: Der Begriff ist allgegen-wärtig - als Bezeichnung von entsprechenden Museen, als Sammlungsstrategie, als Kennzeichnung von Lehrstühlen und in diversen Publikationen zum Thema in den letzten Jahren. Die Diskussion um den Begriff und seine Bedeutung ist gerade notwendig, weil contemporary art als solcher de facto in Verwendung ist – und die Selbstevidenz dieses Begriffs, auch wenn man ihn als ausgehöhlt und

bedeutungsentleert wahrnehmen kann, zeugt davon, dass ein Ringen um den Bedeutungshorizont (auch aus politischen Gründen) notwendig ist, denn: „(…), it is precisely through their apparent self-evidence that they [Begriffe dieser Art, Anm. KB] cease to be problematic and begin to exert their influence in hidden ways; and their paradox, their unanswerability begins to constitute a condition of its own, a place where people work.“2

Egal ob der Begriff als Periodisierungsversuch gefasst wird, oder als diskur-siver Rahmen, in dem man die Kunstproduktion der letzten Jahrzehnte verorten will, liegt dessen Hintergrund – der Erklärungsbedarf - in der Unmöglichkeit, Kunstpraxen der letzten 50 Jahre mit den Paradigmen der modernen Kunst zu erklären. Wenn man Yve Alain Bois in seiner Zusammenfassung der Ontologie des Modernismus folgen will, dann sind deren Paradigmen die Vorstellung von reiner Visualität (auch das Taktile der Kunst sei letztlich am Beginn der Kunstge-schichte als akademischer Disziplin nur als Repräsentation von Taktilität gefasst, die Materie existiere nur als geformte Materie), eine ganz spezifische Zeitlichkeit, die Bois an Lessings Laokoon-Aufsatz rückbindet und die Vertikalität des Bildes des Moderne.3 Durch diese Aufzählung wird unter anderem luzide, weshalb auch Kunstpraxen der Nachkriegsmoderne nicht mit dem, was im Greenberg’schen Sinne als „high modernism“ bezeichnet werden kann, verstanden werden kön-nen. Selbstverständlich ist der Begriff Gegenwartskunst oder die parallele Dis-kussion um contemporary art oder the contemporary nicht der einzige Versuch gewesen, diesem Umstand zu begegnen: Alleine die jüngste, scheinbar abge-schlossene Periodisierung, nämlich jene der Postmoderne, reagiert umfassend auf die Krise der Reichweite des Begriffs der modernen Kunst. Insofern ist auch jene Kritik am Begriff contemporary art einleuchtend, die den Begriff als einen sieht, der andere begriffliche Zugänge quasi hegemonial absorbiert hat: Warum, beispielsweise, erscheint der Begriff der Postmoderne im Kunstfeld so zahnlos?4

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01 Einleitung und Problemstellung

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Zurückkommend auf Yve Alain Bois‘ Aufzählung will ich einen Aspekt des Bruchs, der Krise der modernen Kunst ins Zentrum stellen: den Aspekt der Zeit-lichkeit. Lessing bestimmte in seiner Schrift „Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie“ im Jahr 1766 die bildenden Kunst, beispielhaft an der antiken Laokoon-Gruppe, als Raumkunst, die Gegenstände abbildet, und, wie im Falle des Laokoon, eine ganze Geschichte in einem Augenblick ins Bild setzt.5 Unvergleichbar dazu sei die Poesie, deren Metier die Darstellung von Handlun-gen in der Zeit sei. Diese Unterscheidung zwischen Raum- und Zeitkünsten sieht Bois noch in der modernistischen Ontologie fortleben. Die Kunsthistorikerin Christine Ross fasst diese Auffassung folgendermaßen zusammen: „According to this aesthetics, the artist’s sole hope was to induce time by selecting the most pregnant moment in a given narrative. Such a selection, when successful, promi-sed to give ‘free reign’ to the spectator’s imagination, allowing him or her to see, through infinite extrapolation, all times at once. (…) Refuting the Lessing-ins-pired time code of formalist modernism – what Michael Fried called the grace of presentness in his opposition to the phenomenological deployment of endless duration in the experience of the Minimalist artwork – contemporary aesthetics has generated pictoral, sculptural, installational, and photographic as well as time-based practices (…) that inscribe the spectator in different experiences of time (…).”6 Die Frage, die sich aus dieser Bestandsaufnahme entspinnt, ist jene nach der Rolle von Zeitlichkeit in der Gegenwartskunst: Wie wird Zeitlichkeit als Material in der Gegenwartskunst verwendet? Inwiefern kann in diesen Stra-tegien ein Bruch zum Paradigma der modernen Kunst gelesen werden? Welche kritischen Strategien ergeben sich durch die Verwendung von Zeitlichkeit als Material?

Innerhalb der Struktur der Arbeit werden vor allem drei Strategien iso-liert: die Synchronie, die Dsychronie und die Anachronie. Unter dem Stichwort „Synchron“ wird die Fiktion von transnationaler Gleichzeitigkeit diskutiert, mit besonderem Augenmerk auf die Theorieproduktion Peter Osbornes. Osbornes

Ansatz wird in einem nächsten Schritt mit einem Klassiker der Anthropologie, Johannes Fabians Monographie „Time & The Other. How Anthropology Ma-kes Its Object“, zusammengedacht, um eine weitere Facette zum Potential der Gleichzeitigkeit hinzuzufügen. Das Kapitel „Dsychron“ widmet sich den Stö-rungen, den Unterbrechungen durch Zeitlichkeiten, die von dominanten Zeit-regimen abweichen. In diesem Abschnitt werde ich vor allem Texte von Boris Groys und Jacques Rancière zueinander in Beziehung setzen und auf den An-satz „Gegenwart als Stasis“ genauer eingehen. Der Abschnitt „Anachron“ seziert Verkehrungsstrategien in Bezug auf zeitliche Ordnungen, mittels der Diskussi-on von Terry Smith und Giorgio Agamben, sowie grundlegenden Texten zum Thema Anachronismus in der (Kunst-)Geschichtsschreibung von Jacques Ran-cière und Georges Didi-Huberman. Innerhalb dieser drei Hauptkapitel werden zentrale Texte der Diskussion um den Begriff Gegenwartskunst rekapituliert, sicherlich mittels einer Lesart, die den Blick auf die Verwendung von Zeitlich-keit verengt. Zugleich werden die vorgestellten Theorien direkt in einen Dialog mit ausgewählten künstlerischen Arbeiten gesetzt, um die Frage nach „Zeitlich-keit als Material“ an die Singularität einzelner Arbeiten rückzubinden. Die drei Hauptkapitel bieten somit auch einen prägnanten roten Faden durch die vorlie-gende Literatur zum Begriff Gegenwartskunst an, zeichnen eine Begriffsgene-se nach und ergänzen die Positionen durch die vorgeschlagene Perspektive der Arbeit. Der Ansatzpunkt, mittels einer Diskussion von Zeitlichkeit als Material zur Begriffsdiskussion von Gegenwartskunst beitragen zu wollen, wurzelt in der Grundproblematik des Begriffs: der Abgrenzung zur modernen Kunst. Wenn-gleich der Ansatzpunkt zurecht kunstimmanent erscheinen mag, wird in den Hauptkapiteln der Versuch unternommen, diese Idee mit Diskussionen mit grö-ßerer Reichweite, insbesondere mit jener zum Begriff der historischen Gegen-wart/the contemporary, zu verbinden. Vor dem Einstieg in die drei Hauptkapitel wird der Versuch unternommen, die Begriffe „Gegenwartskunst“ und „Zeitlich-keit“ so zu umreißen, dass man sie als Handgepäck auf den Weg durch den Text

5 Vgl. Lessing 1994.

6 Ross 2012, S. 3.

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01 Einleitung und Problemstellung

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mitnehmen kann: Welche grundlegenden Fragen werden in der Diskussion an den Begriff der Gegenwartskunst gestellt? Was meine ich, wenn ich von Zeit oder Zeitlichkeit spreche? Eine weitere grundlegende Frage, die meiner Ansicht nach, aufgrund des Rahmens, den sie eröffnet, vor den Hauptkapiteln stehen muss, ist jene nach der Möglichkeit von Geschichtsschreibung in Bezug auf Gegenwarts-kunst. Dafür werde ich Juliane Rebentischs „Theorien der Gegenwartskunst zur Einführung“ mit einem Text von Helmut Draxler konfrontieren.

Keines der Hauptkapitel diskutiert nur eine einzelne theoretische Positi-on, sondern setzt verschiedene Ansätze in Beziehung zueinander. Teils wird man Thesen, Antithesen und Synthesen entdecken können, teils werden Positionen herangezogen, um andere zu problematisieren – ohne diese Problematisierung schlussendlich auflösen zu können. Für die Diskussion künstlerischer Positionen erscheint es mir zentral zu betonen, dass diese keine abbildende Funktion in Be-zug auf die theoretische Diskussion einnehmen. Das ist letztlich schon aufgrund der linearen Struktur des Textes nicht ganz vermeidbar – die vorangehende the-oretische Diskussion schafft unweigerlich einen Bedeutungshorizont, innerhalb dessen die künstlerischen Arbeiten gelesen werden. Dies abzustreiten wäre ab-surd, immerhin führte auch mein (durch die Texte informierter) Filter zur Aus-wahl der Arbeiten. Dennoch soll das Verhältnis zwischen Theoriediskussion und künstlerischer Arbeit keine Einbahnstraße werden, oder wie mit Helmut Draxler weiter unten diskutiert werden wird: Kunst ist nie ein Mittel der Illustration, son-dern immer auch ein Selbstzweck.

1.1 Zum Begriff der Gegenwartskunst

The contemporary hat in den letzten fünfzehn Jahren einen steilen Aufstieg im kunsthistorischen Begriffsolymp hingelegt. Die Frage, die sich bereits nach den ersten Zeilen dieser Arbeit stellt: Sind contemporary art, Gegenwartskunst und zeitgenössische Kunst äquivalente Begriffe? Ich werde auf den folgenden Seiten die Begriffe weitgehend deckungsgleich verwenden bzw. mich an jene Be-griffe halten, welche die Autor_innen selbst verwenden. Als Lücke ergibt sich im Zuge dieser Arbeit die Tatsache, dass der absolute Großteil der konsultierten Literatur englischsprachig ist und manche der Autor_innen aus etymologischen Gründen spezifische Begriffe bevorzugen. Peter Osborne spricht sich beispiels-weise deutlich für den Begriff contemporary aus und weist dezidiert darauf hin, dass es keine deutschsprachige Entsprechung für diesen Begriff gäbe - im Sinne eines Begriffes, der die Vorsilbe „con“ gleichermaßen betonen würde. Osborne fasst in einer Fußnote zusammen: „None of the standard synonyms for ‚contem-porary‘ in German – Heutigkeit, Gegenwärtigkeit, Gleichzeitigkeit or Zeitgenossen – comes close to conveying the dual (conjuctive and disjunctive) connotation of the term ‚con-temporary‘.”7 Die Betonung der Vorsilbe, des Zusammenseins (in der Zeit), sei ein spezifisch posthegelianisches Phänomen, so Osborne – was inhaltlich unmittelbar nicht von weiterem Belang sein soll; deutlich gemacht werden muss dennoch, dass eine Gleichsetzung der Begriffe zum Zwecke dieser Arbeit, nicht im Umkehrschluss bedeuten muss, dass ihre Verwendung beliebig wäre.8 Da ich auf die Beiträge zur Begriffsdiskussion von einzelnen Autor_innen im Detail eingehen werde, verwende ich die Begriffe Gegenwartskunst/zeitge-nössische Kunst/contemporary art weitgehend deckungsgleich. Eine ähnliche Fragestellung ergibt sich für the contemporary. Als deutsche Entsprechung habe ich „historische Gegenwart“ gewählt, da es bei dem Begriff und bei der Diskussi-on um den Begriff nicht um eine phänomenologische Gegenwart geht, sondern um eine Gegenwart, die zur historischen bzw. historiographischen Kategorie wird.

7 Osborne 2014, S. 27.

8 Osborne 2014, S. 23.

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die selbst wieder von einer historischen Zeitlichkeit gefolgt werden wird – dieses Konzept trieft von überholten Vorstellungen, die bereits Walter Benjamin mit der Illusion einer leeren Zeit, die mit homogenen, linearen Perioden gefüllt wer-den kann, identifizierte und historistisch nannte.10

Letztlich scheint eine grundlegende Motivation der begrifflichen Diskus-sion in der Unmöglichkeit zu liegen, mit dem Paradigma der modernen Kunst gewisse künstlerische Praxen, besonders ab den 1960er Jahren begrifflich fas-sen zu können. Diese Bemerkung stellt natürlich auch die grundlegende Frage in den Raum, inwiefern ein Begriff von Gegenwartskunst auch mit der Kate-gorie einer historischen Gegenwart verwoben ist: Teilen wir unsere historische Gegenwart mit den 1960er Jahren? Oder steckt alleine im Ansatz dieser Frage das Grundproblem dieser Diskussionen: Wenn Periodisierungen, all jenes, das darunter subsumiert wird, gewaltsam einander angleichen, und wir mit Praxen konfrontiert sind, die sich dieser Unterordnung verwehren, ist dann eine erneute Periodisierung die richtige Antwort? Welche Reichweite wird von einem Begriff wie jenem von Gegenwartskunst oder Begrifflichkeiten für die historische Ge-genwart erwartet?

Eine Strategie gegen diesen Umstand ist es, the contemporary als diskur-sive Kategorie, als spezifische, historische Zeitlichkeit der Gegenwart, zu lesen. Der diskursive Rahmen, der eröffnet werden soll, ist durch gewisse historische Ereignisse und Entwicklungen bedingt, wirkt aber weder als epochaler Nach-folger der Moderne, noch losgelöst von seiner historischen Bedingtheit. Claire Bishop fasst in ihrem Essay „Radical Museology, or, What’s ‚Contemporary’ in Museums of Contemporary art” verschiedene diskursive Herangehensweisen an the contemporary zusammen und spricht von zwei Lagern in Hinblick auf den Bedeutungshorizont des Begriffs. Sie unterscheidet jene Autoren, bei denen the contemporary mit Stasis identifiziert (was sie wesentlich Peter Osborne und Boris Groys zuschreibt, wobei bei ersterem die Zuschreibung meiner Ansicht nach

Periodisierungsphobien und andere Sorgen

Eine grundlegende Frage, die sich in der entsprechenden Literatur immer wieder findet, ist die Idee, wie und ob the contemporary (und in Folge meist auch der Begriff von Gegenwartskunst) in Hinblick auf eine historische Periodisie-rung herangezogen werden kann. Teilweise wird diese Fragestellung zu schnell verworfen, da der Impetus sich von der Konstruktion einer Periode, einer Epoche oder gar eines Narratives mit umfassendem Deutungshorizont zu verabschie-den, offensichtlich eine kritische Triebfeder ist. Diese Motivation ist nachvoll-ziehbar, allerdings darf dabei nicht aus dem Blickfeld geraten, dass der Begriff als Periodisierungsbegriff de facto in Verwendung ist, insbesondere in Hinblick auf die geläufigste historische Zäsur, die mit 1989 eingezogen wird. Die Zäsur, der Beginn der „neuen Zeit“, wird in der Regel mit dem Ende des Kalten Kriegs gesetzt, außer Acht lassend, dass eine historische Kategorie, der in den 1990er Jahren durchaus analytisches Potential zugesprochen wurde - die Postmoderne - damit ignoriert, oder vielmehr zu einer überholten historischen Kategorie im Plusquamperfekt wird. Claire Bishop führt ablehnend das naheliegende Argu-ment ins Rennen, dass ein einheitliches Konzept von Gegenwartskunst, das eine Periodisierung auch mit sich bringt, auf rein westlicher Perspektive aufbauen kann. In China werde beispielsweise der Beginn der Gegenwartskunst mit dem Ende der Kulturrevolution enggeführt; in Lateinamerika werde meist kaum zwi-schen „modern“ und „contemporary“ unterschieden, weil die Aneignung dieser Begriffe als Entsprechung gegenüber westlicher, kultureller Hegemonie gelesen wird; in Afrika spielt das Ende des Kolonialismus in nationalen Antworten auf diese Frage eine Rolle, in Süd-Afrika das Ende der Apartheid.9 Natürlich kann dagegen eingewandt werden, dass the contemporary nicht mit nationalen oder regionalen Lesarten von Gegenwartskunst unterfüttert werden kann, und dass es sich eventuell vielmehr um eine historische Bedingung handle – was nicht unbedingt mit spezifischen Periodisierungen von Gegenwartskunst einhergehen muss. The contemporary als historische Periode, die auf die Moderne folgt, und

9 Bishop 2013, S. 18.

10 Benjamin 1942, http://www.textlog.de/benjamin-begriff-geschichte.html, zuletzt abgerufen am 05.12.2015.

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Ausstellungsformaten (Biennalen, Triennalen, usw.), der Ausformung eines neu-es Sammler_innentyps, dessen Interesse vor allem auf Kunst als Spekulationsob-jekt gelenkt ist, oder künstlerischen Strategien, die sich neuer Medien bedienen.12

Die Schmerzen der Komplexität

Wenn wir es mit einer globalen, transnationalen Gegenwart zu tun haben, wie kann nun eine solche Gegenwart praktisch gedacht werden? Wie kann die Vorsilbe, das Spezifikum des englischen Begriffs, das mit Peter Osborne weiter oben erwähnt wurde, denkbar werden? Wie kann eine gemeinsame Gegenwart, das gemeinsame In-der-Zeit-Sein gedacht werden? Wenn man annimmt, dass historische Periodisierungen den praktischen Nutzen haben, Ähnlichkeiten und Differenzen von Objekten intelligibel zu machen, sie eventuell in eine Erzählung einzubetten, dann wünscht man sich an dieser Stelle eine Periodisierung, um die Komplexität von transnationaler Gegenwart vereinfachen zu können. Alexan-der Alberro schafft es, zwischen den Stühlen „Periodisierung“ und „diskursiver Rahmen“ zu stehen, indem er zwar Anleihen bei Michel Foucault nimmt, um the contemporary als diskursive Formation zu lesen, allerdings um die Periode the contemporary als diskursive Formation zu untersuchen. Das Problem, so Al-berro, sei nicht auf eine Periodisierungsfrage zu reduzieren, aber: “I use perio-dization as a model to be able to think the whole social formation, a model that allows us to think the society in its totality.”13 Das Denken der (globalen) sozialen Totalität wird tatsächlich immer schwieriger, und man kann Alberro zumindest in der Herangehensweise zustimmen, dass ein soziales Konstrukt wie eine Pe-riodisierung ein angreifbareres Analysetool darstellt – sofern man die Kosten dieser Vereinfachungsstrategien, ihre Ausschlussmechanismen, hinnehmen will. (Und natürlich, sofern man den Standpunkt vertritt, dass das „unmögliche Ob-jekt“ Gesellschaft mit Oliver Marchart der geeignete Rahmen für die Diskussion ist.) Wenn man die Globalisierung beispielsweise auf die globale Deregulierung der Finanzmärkte oder die zunehmende Zahnlosigkeit nationaler Regulations-

fragwürdig ist) wird, und von jenen Autoren, die the contemporary mit pluralen, und disjunktiven Beziehungen zu Zeitlichkeit kennzeichnen (Giorgio Agamben oder Terry Smith – meiner Einschätzung nach, Bishop widersprechend, auch Peter Osborne). Obwohl das Moment der Stasis nach kulturpessimistischem Stillstand klingt, speist es sich, abseits von Bishops Lesart, aus Walter Benjamins thesenhaften Erläuterungen in „Über den Begriff der Geschichte“. So postuliert Benjamin etwa in These XIV: „Die Geschichte ist Gegenstand einer Konstrukti-on, deren Ort nicht die homogene und leere Zeit sondern die von Jetztzeit erfüll-te bildet.“ „Auf den Begriff einer Gegenwart, die nicht Übergang ist sondern in der die Zeit einsteht und zum Stillstand gekommen ist, kann der historische Ma-terialist nicht verzichten.“, fügt er in These XVI hinzu, „Denn dieser Begriff de-finiert eben die Gegenwart, in der er für seine Person Geschichte schreibt.“11 Die Aufgabe des historischen Materialisten liegt in diesem Stilllegen der Gegenwart, um, wie er an anderer Stelle sagt, die Geschichte gegen den Strich zu bürsten, um keine linear fortschreitende Geschichte der Sieger zu schreiben, sondern die im-manenten Brüche und Verschiebungen herauszuarbeiten. Walter Benjamin kann damit als Anker für beide Lager gelten – für die Stasis und für die Herangehens-weise des Bruchs, aber das nur am Rande.

Nichtdestotrotz führt alle diese Ansätze zusammen, dass sie von einem Be-griff unserer historischen Gegenwart ausgehen, der seine Bedingungen nicht nur in dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung des Kalten Kriegs findet, sondern auch in der Ausweitung des Neoliberalismus – der bekanntlich nicht erst seit 1989 sein Unwesen treibt – zu einer transnationalen Hegemonie. Die Kulmination verschiedener Faktoren am Beginn der 1990er Jahre, die spezifi-sche kapitalistische Form, weitreichende technologische Veränderungen und die postkoloniale Struktur zeichnen das aus, was gemeinhin als the contemporary gelesen wird. Im Kunstfeld geht diese Entwicklung mit Spezifika einher, wie mit der Beschäftigung mit globalen Fragestellungen (und/oder Globalisierungskri-tik) auf der Ebene einzelner künstlerischer Arbeiten, der Zunahme von globalen

11 Benjamin 1942, http://www.textlog.de/benjamin-begriff-geschichte.html, zuletzt abgerufen am 05.12.2015.

12 Vgl. Alberro 2012, S. 66-67.

13 Alberro 2012, S. 65.

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One for the road

Die Beziehung der Begriffe the contemporary und contemporary art, dies-mal in ihrer englischen Form um ihre Nähe zu betonen, lädt zum Schluss die-ser einleitenden Worte noch zu einem Kommentar ein: Durch die nähere Be-schäftigung mit den relevanten Texten zu den Begrifflichkeiten im Umfeld der Gegenwartskunst kann konstatiert werden, dass die gewöhnliche Annäherung an diese Relation eine der Bedingung ist. Die historische Gegenwart ist also der Rahmen, der so etwas wie Gegenwartskunst hervorbringt. Das mag schlüssig sein, jede Kunst mag eine Kunst ihrer Zeit sein, kann man salopp zustimmen - und eine grundlegende Widerlegung dieser Aussage wird auch in einer Runde an Kunsthistoriker_innen wahrscheinlich nicht unmittelbar erfolgen. Tatsäch-lich ist eine solche Engführung, die man bis hin zu einer kausalen Abhängigkeit von Gegenwartskunst zu ihrer historischen Gegenwart denken kann, nicht un-problematisch, abhängig davon, welchen Grad an Deckungsgleichheit man von dem Begriffspaar erwartet. Es wäre absurd, die Moderne nicht als grundlegen-de Bedingung von moderner Kunst, von Modernismus oder der Avant-Garde, anzunehmen, das macht allerdings im Umkehrschluss moderne Kunst nicht zu einem Ausdruck der Moderne, den man nur als solchen dechiffrieren muss. Das mag ohnehin selbstverständlich sein, allerdings scheint mir diese zu simple Verbindung zwischen historischer Gegenwart und Gegenwartskunst (als deren Produkt) in diversen Ansätzen immer wieder aufzuscheinen. Künstlerische Ar-beiten sind, wie bereits erwähnt, immer auch ein Selbstzweck und sind oft wi-derspenstiger gegenüber ihrer Zeit, als eine Relation der Bedingung zugestehen würde.

mechnismen verengt, kann man, mit Peter Osborne, die Unmöglichkeit global zu denken, über das Fehlen eines sozialen Ortes im Konzept der Globalisierung argumentieren. Konzeptuell werde mit Globalisierung ein Raum geöffnet, der sich vor allem durch die hochgradig abstrakten globalen Kapitalbewegungen auszeichnet, was soziale Nutzer_innen nicht miteinschließt, „in so far as the subject position that unifies the process of globalization (that of a globally mo-bile capital) is not that of a possible socially actual agent, or subject of action.“14 Insofern kann man hinter der Problematik der Periodisierungsdiskussion auch die Frage verorten, mit welchen Vereinfachungsstrategien soziale Realitäten in-telligibel gemacht werden können und sollen: Welchen Grad der Vereinfachung kann man hinnehmen, um die eigene Gegenwart so weit zu verstehen, dass der Zugang zur eigenen, politischen Agency noch gewahrt bleibt? Jene großen Er-zählungen, aber ebenso die Etablierung von Epochen – Modi und historische Verfahren von denen wir uns offenbar zurecht verabschiedet haben (müssen) – liefern immerhin Bedeutungshorizonte, innerhalb derer soziale Phänomene erklärbar werden. Die Pattsituation, auf die ich hier hinweisen will, ist folgende: Eine globale Gegenwart von pluralen, synchronen und asynchronen, einander durchdringenden, einander nicht tangierenden, heterogenen Zeitlichkeiten ist sicherlich als Analysefeld spannend; wir handeln aber gleichermaßen mit einem Modell mit erheblich höheren Komplexitätsgrad als jenem der „großen Erzäh-lung“. Es wird damit auch immer schwieriger eine soziale Gesamtheit, so etwas wie „Gesellschaft“, zu denken - man kann sich fast von Margarete Thatcher ab-geholt fühlen, 1987, als sie in einem Interview in Women’s Own verlautbarte: „There is no such thing as society.“ Insofern ist es immer auch ein politisches Ziel, zwei Bewegungen innerhalb eines Begriffs von historischer Zeitlichkeit gleichzeitig denken zu können: einerseits den globalen Rahmen der historischen Gegenwart, der immer von Widersprüchen und Ungleichheiten durchzogen sein wird, und andererseits die Spezifik der lokalen Situation.

14 Osborne 2014a, S. 21.

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rie Visualität als auch gegen die Kategorie Vertikalität. Die Unterordnung des Materials und die Ausrichtung der Leinwand am vertikal gedachten, durch die Schwerkraft bestimmten, aufrechten Subjekt gehen Hand in Hand. Die Unter-ordnung des Materials gegenüber der Idee, die im Werk nur geformte Materie zurücklässt, wiederholt Dichotomien, die in grundlegenden Wissensstrukturen der Aufklärung wurzeln: dem Vorrang von Geist vor dem Körper und in einer weiteren Parallele die Vorrangstellung des Männlichen vor dem Weiblichen. „Diese geschlechtsspezifische Implikation läßt [sic!] sich jahrhundertelang als Subtext abendländischer Kunsttheorie verfolgen, wobei das Männliche als Allge-mein-Menschliches des Weiblichen lediglich zur Ergänzung bedarf. Meist aber wird, bis heute, das Geschlechterverhältnis in den Künsten als ein Gewaltver-hältnis beschrieben, in dem der Schöpfer das Material ‚unterwerfen‘, ‚überwin-den‘ oder gar ‚vernichten‘ müsse, damit ein Kunstwerk gelinge – ohne daß [sic!] Spuren dieser gewaltsamen Umwandlung erkennbar bleiben.“15 Alleine hier wird die Dimension deutlich, die eine Diskussion vordergründig Kunst-immanenter Kriterien mit sich bringt: Wenn Helmut Draxler von zentralen Einwänden gegen die moderne Kunst spricht, die dem Begriff von Gegenwartskunst anhaften (na-mentlich die Kritik am Geschichtsverständnis der Moderne, sowie postkolonia-le und feministische Kritiken), dann wird luzide, weshalb Bois‘ Umschreibung modernistischer Ontologie eine geeignete Folie für die Diskussion darstellt. Spezifische Wissensstrukturen der Moderne lodern auch in diesen Kategorien, weshalb eine Abgrenzung von offenbar Kunst-immanenten Kriterien weitere Kreise ziehen muss. Ähnlich verhält es sich mit der Kategorie der Zeitlichkeit im Lessing’schen Verständnis. Zeitlichkeit als Material entzieht sich der Möglichkeit der Reduktion auf einen Augenblick, sie wehrt sich gegen das Ins-Bild-Setzen.

In ihrer empirischen Evidenz ist Zeitlichkeit als Material widerständig. Die ausgewählten künstlerischen Beispiele werden im Verlauf des Textes zeigen, dass Zeitlichkeiten als Material kontingent und fiktional sind; dass sie – um eine letzte passive Formulierung einzufügen – verwendet werden, aber nicht belie-

1.2 Zeitlichkeit als Material

Weshalb nun der Kniff, Zeitlichkeit als Material anzunehmen? Um noch einmal auf die Bois’sche Beschreibung der modernistischen Ontologie zurück-zukommen, erscheint mir Zeitlichkeit als Material alle drei Eckpunkte (Visuali-tät, Vertikalität und die beschriebene spezifische Zeitlichkeit) zu berühren. Na-türlich kann man einem Argument, das sich lediglich gegen den Modernismus wendet und dabei andere Formationen der modernen Kunst, insbesondere die Avant-Garde, vernachlässigt, mit dem Einwand begegnen, dass das Argument gegen den Modernismus fälschlicherweise mit einer Zäsur gegenüber der mo-dernen Kunst insgesamt gleichgesetzt wird. Diesem Vorwurf ist viel zu entgeg-nen, die Frage inwiefern historische „Epochenbegriffe“ zu ihren kunsthistorio-graphischen Äquivalenten stehen, wird auf den folgenden Seiten immer wieder diskutiert werden. Zentral erscheint mir an dieser Stelle, dass dieser Einwand nur ein Argument als valide zulassen würde, das die Reichweite und die Vereinheitli-chungskraft eines solchen ehemaligen Epochenbegriffs hätte, was mir grundsätz-lich, wenn man vom Ende der großen Erzählungen spricht, schwierig erscheint.

Um dem Anstoß „Zeitlichkeit als Material“ auf den Grund zu gehen, müs-sen die drei Mengen Visualität, Vertikalität und die spezifische Zeitlichkeit ent-wirrt werden. Sie als „Menge“ zu denken, erlaubt ein Venn-Diagramm zu visuali-sieren: Jede dieser Kategorien, zumindest vor unserem inneren Auge, entspricht einer Kreisfläche, alle drei überschneiden sich in der Mitte des Bildes, wo wir in idealisierter Form „Modernismus“ eintragen können. Ein Venn-Diagramm zeigt aber nicht nur die mittige Überschneidung aller drei Kreise, sondern auch die Schnittmengen zwischen jeweils zwei Kategorien. Diese Überschneidungen hallen auch in der Kritik am Modernismus wider: Wenn man beispielsweise mit Georges Bataille gegen die Fortschrittslogik der Moderne vorgeht, und mit ihm das Material politisch auflädt als den Rest, das was übrig bleibt – den Schmutz, den Dreck, das Animalische – dann stellt sich dies sowohl gegen die Katego-

15 Rübel/Wagner/Wolff 2005, S. 299.

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rer die Diskussionen um Zeit geführt werden. Ross‘ Rezeption von Klein ist in-sofern von Interesse, da sie die Schnittpunkte zu künstlerischen Arbeiten freilegt. Die erste Konfliktlinie, die vor allem ideengeschichtlich relevant ist, berührt die Frage nach dem Verhältnis zwischen Zeit und Veränderung. Der Zünder dieser Idee ist Aristoteles, der postulierte, dass Zeit Veränderung (Bewegung) brauche, um wahrgenommen zu werden. Ab dem 18. Jahrhundert wurde an der Aristote-lischen Einsicht einerseits durch die Etablierung von „naturalisierter“ Zeit durch Newton, und durch Kants Konzeption der Zeit als Apriori gerüttelt. Insofern geht es auch nicht um Bewegung oder Veränderung, wenn von Zeitlichkeit als Material die Rede sein wird: Man könnte natürlich annehmen, dass diese Frage-stellung den Fokus auf künstlerische Arbeiten, die im engeren Sinne „in der Zeit“ passieren – also das, was unter dem Adjektiv „zeitbasiert“ gehandelt wird – legt. Die Zeit mit Kant als Apriori zu verstehen, führt auch zur zweiten Konfliktlinie, dem Verhältnis von Geist und Zeit. Couzens Hoy sieht hier ein fundamentales Auseinanderdriften der Idee des Vorrangs: Wenn bei Kant der Geist Vorrang vor der Zeit hat, dann wird die Heideggerianische Phänomenologie die Zeitlich-keit als Bedingung für die Möglichkeit für Subjektivität annehmen.18 Außerdem weist Ross (mit Klein) auf die Hierarchien hin, die in der Diskussion um Zeit immer wieder auftauchen. Dabei handelt es sich insbesondere um den Gegen-satz zwischen physikalischer Zeit, die als objektiv und real beschrieben wird, und psychologischer Zeit, die als unreal und subjektiv identifiziert wird. In diesem binären Muster findet sich auch die gängige Unterscheidung zwischen Zeit und Zeitlichkeit. Zeit wird zumeist mit der Vorstellung einer physikalischen Zeit (die sich der subjektiven Wahrnehmbarkeit entzieht und nur vermittelt hervortreten kann) identifiziert; Zeitlichkeit hingegen, in ihrer phänomenologischen Verwen-dung, mit dem zeitlichen Dasein. Ich werde den Begriff Zeitlichkeit sowohl für die gelebte Zeit des Subjekts verwenden als auch für andere hochgradig vermit-telte Formen von Zeit, die aufgrund ihrer sozialen Bedingtheit begrenzt sind. Eine Formulierung von Begrenztheit ist problematisch, weil dies impliziert, dass

big geformt werden können. Sie sind fiktional, im Sinne des lateinischen Verbs fingere, sie formen und gestalten, sie nehmen die Rolle eines „intentionalen Akt des Formgebens“ ein.16 Bei einigen der genannten Beispiele wird das Material die Form herausfordern bzw. den Formbegriff gänzlich unterlaufen. Die Zeitlichkeit der Biographien von „Experten“ in den Arbeiten von Rimini Protokoll ist bei-spielsweise ein Material, das singulär sowie begrenzt wiederhol- und kontrollier-bar ist. Das Material wird zum Konfliktort.

Bezüglich der Verortung von Materialität deckt diese Arbeit einen gro-ßen Teil der akademischen Diskussion nicht ab. Insbesondere in der jüngeren Vergangenheit gibt es ein neues Interesse an Materien- und Materialfragen, im Kunst-Kontext ist dies speziell über die Rezeption diverser Vertreter_innen der objektorientierten Philosophie, wie etwa Graham Harman, Quentin Meillassoux oder Levi Bryant, ganz abgesehen von der starken Diskussion der Akteur-Netz-werk-Theorie Bruno Latours, nachvollziehbar. Genauso wenig wird in weiterer Folge auf den größeren Rahmen dieser Diskussion im Zuge der Klammer „New Materialism“ eingegangen werden. Was allerdings, quasi als „Geleit“, für die fol-genden Seiten sinnvoll erscheint, ohne deshalb für eine flache Ontologie (Levi Bryant) argumentieren zu müssen, ist, einen Machtbegriff mitzudenken, der – wenn schon von der Widerständigkeit die Rede ist – keine Eigentümer_innen oder Quellen derselben ausmacht.

Eine grundlegende begriffliche Frage wurde bisher noch nicht geklärt: Worüber spreche ich, wenn ich von Zeitlichkeit spreche? In welcher Relation stehen Zeitlichkeit und Zeit? Fragen zu Zeit und Zeitlichkeit werden in diversen Disziplinen (wenngleich wiederum sehr disziplinär) diskutiert – in einer Band-breite von Philosophie, Physik, Mathematik, Sozialwissenschaft bis zu Neurowis-senschaften, Psychologie oder Geschichte. In Christine Ross‘ Monographie „The Past is the Present; It’s the Future Too. The Temporal Turn in Contemporary art”17 rekapituliert sie mit Étienne Klein die grundlegenden Konfliktlinien, anhand de-

16 Dreysse 2007, S. 85.

17 Vgl. Ross 2012.

18 Couzens Hoy 2009, vii.

24

01 Einleitung und Problemstellung

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1.3 Gegenwartskunst und Geschichtsschreibung

Juliane Rebentischs Monographie „Theorien der Gegenwartskunst zur Einführung“ stellt die sicherlich am breitesten rezipierte deutschsprachige Zu-sammenfassung und Stellungnahme zur Begriffsdiskussion dar. Ihr Beitrag dazu ist aber nicht nur deshalb für den Kontext dieser Arbeit relevant, in ihrer Arbeit schwingt auch latent die Problematik mit, die sich aus kunsthistorischer Sicht für die Gegenwartskunst stellt: Inwiefern kann man eine „Geschichte“ der Gegen-wartskunst schreiben, wenn man sich von der Moderne und ihrem Wissensho-rizont abgrenzen will?

Rebentisch sieht wie die meisten Autor_innen die Wurzel der Begriffs-diskussion über Gegenwartskunst in der Notwendigkeit einer Abgrenzung von gewissen Paradigmen der Moderne. Sie stellt sich deutlich gegen eine Begriff-lichkeit, die vordergründig empirisch argumentierend Gegenwartskunst mit der „Kunst der Jetztzeit“ identifiziert. Das kann aus simplen argumentativen Grün-den widerlegt (paraphrasiert: Gehört gestern dann auch noch zur Jetztzeit?), insbesondere aber aufgrund des affirmativen Charakters einer solchen Heran-gehensweise abgelehnt werden. Wenn, wie anhand der Kopplung von Groys und Rancière weiter unten argumentiert wird, die Gegenwart als Immergleiche, sich reproduzierende Zeitlichkeit verstanden wird und dies als Ideologie enttarnt wird, dann entspricht der Ansatz „Gegenwartskunst als Kunst der Jetztzeit“ sei-ner Affirmation: „Die empiristische Fixierung auf das Jetzt in der Kunst ist dann das genaue Korrelat einer in Immanenz gefangenen Zeit.“19 Sich von diesem An-satz abgrenzend, argumentiert Rebentisch für eine Abgrenzung von der Moder-ne, um einen normativen Begriff von Gegenwartskunst entwickeln zu können: Es geht ihr um „(…) eine Figur des Fortschritts an kritischem Bewusstsein vom Gehalt der Moderne“.20 Sie fasst ihren normativen Ansatz folgendermaßen zu-sammen: „Etwas als Gegenwartskunst zu qualifizieren heißt dann, es normativ auszuzeichnen, und zwar sicherlich nicht zuletzt hinsichtlich der in ihm sich

die physikalische Zeit als unbegrenzt (und damit „ewig“) angenommen wird, was wiederum selbst ein breit diskutiertes philosophisches Problem ist. Relevan-ter an dieser Stelle ist allerdings, dass die Verwendung von Zeitlichkeit als Mate-rial auch bedeutet, dass Zeitlichkeit konstitutiv, ja eine Eigenschaft einer künstle-rischen Arbeit sein kann. Vielleicht ist John Cages 4‘33‘‘ eine geeignete Folie, um den hier angenommenen Unterschied zwischen Zeit und Zeitlichkeit zu verdeut-lichen: Man könnte beispielsweise argumentieren, dass John Cage nicht die Zeit selbst als Material dieser Arbeit, in der während der Spieldauer nichts passiert, in der Stille herrscht, verwendet, sondern er verwendet eine spezifische Zeitlichkeit des Wartens und der Erwartung, eine Zeitlichkeit, die den Ton hinterfragt. Das würde auch die Frage beantworten, warum John Cages Stück nicht immer läuft, wenn um uns herum Stille herrscht.

19 Rebentisch 2013, S. 11.

20 Rebentisch 2013, S. 12.

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01 Einleitung und Problemstellung

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lichkeiten wie contemporary art und the contemporary führen muss. Ihr Argu-ment der multiplen Modernen, die den „universalistischen Anspruch der west-lichen Moderne“ kritisch reflektieren und neu verorten, führt gleichermaßen nicht dazu, dass sie sich als paralleles Phänomen für eine kritische, neue moderne Kunst ausspricht. Die Kunst, die sich grob in den letzten 50 Jahren als Gegen-wartskunst ausdifferenziert hat, in Abgrenzung zu spezifischen Paradigmen und Vorstellungen der modernen Kunst, kann trotzdem als Gegenwartskunst qua-lifiziert und als solche diskutiert werden. „Obwohl dies alles darauf hindeutet, wie der mit den Tendenzen zur Entgrenzung der Kunst und der Künste in den 1960er Jahren beginnende kunstpraktische und –theoretische Umbruch verstan-den werden sollte, nämlich im Sinne einer kritischen Fortsetzung des modernen Projekts – und nicht seiner Destruktion oder Ersetzung im Ganzen -, relativiert sich dadurch keineswegs, dass es sich um einen für das Verständnis von Kunst weitreichenden Umbruch handelt.“25

Diesen weitreichenden Umbruch diskutiert Rebentisch in Folge über die Begriffe „Entgrenzung“ und „Erfahrung“. Entgrenzung bezieht sich dabei auf die Entwicklung von offenen Werkformen, Erfahrung hingegen auf die Beto-nung von rezeptionsästhetischen Wirkungsargumenten. Die „Zentralstellung“ dieser beiden Begriffe sei zwar spezifisch für die deutschsprachige Diskussion, „doch werden unter ihrer Überschrift Motive und Probleme verhandelt, die von so grundsätzlicher Natur sind, dass sich auch die internationale Diskussion auf sie beziehen lässt“.26 Rebentisch skizziert die beiden Begriffe vor allem durch die Rezeption zwei einflussreicher Texte, einerseits Umberto Ecos „Die Poetik des offenen Kunstwerks“ und Rüdiger Bubners „Über einige Bedingungen gegenwär-tiger Ästhetik“.

Rebentischs Monographie „Theorien der Gegenwartskunst zur Einfüh-rung“ stellt eine sehr hilfreiche Geschichte der Gegenwartskunst dar, in engem Dialog mit der ästhetischen Theorie der letzten 50 Jahre. Als „Geschichte“ (in

manifestierenden kritischen Auseinandersetzungen mit den Deutungsmustern, die für die Beschreibung der eigenen Zeit bereitstehen. Der volle normative Sinn des Begriffs Gegenwartskunst besteht darin, dass sie ihre historische Gegenwart gegenwärtig machen soll.“21

Rebentisch diskutiert in weiterer Folge drei datierbare „Schwellen“ – 1945, 1965 und 1989 –, die in der Diskussion von Gegenwartskunst auftauchen, be-zugnehmend auf Cuauhtémoc Medinas Beitrag zum E-Flux Sammelband „What is Contemporary art?“.22 Alle diese Datierungen stehen, so Rebentisch, für „Kri-sen moderner Fortschrittserzählungen“ ein. Interessanterweise, und in deutli-cher Unterscheidung zu anderen, im Zuge dieser Arbeit diskutierter Positionen, schreibt Rebentisch allerdings den Topos des Fortschritts nicht grundsätzlich ab, sondern wertet „die künstlerische Kritik moderner Fortschritts- und Geschichts-modelle selbst als Fortschritt“. 23

Der Begriff des Fortschritts selbst ist bereits weiter oben in einem Zitat aufgetaucht. Bevor in Bezug auf Helmut Draxler das damit implizierte Verhältnis zur Geschichte weiter diskutiert werden soll, muss entgegen der Erwartungen, die an einen solchen Begriff gekoppelt sind, eingefügt werden, dass es Rebentisch nach eigener Aussage um mehr gehe als die „bloße Teilhabe an der chronologi-schen Zeit“.24 Mit Rekurs auf Boris Groys und Giorgio Agamben, die beide gegen eine linear fortschreitende Zeitvorstellung argumentieren, betont sie außerdem, dass Diskontinuitäten oder Zäsuren zentral für das Hervortreten und das Ver-ständnis von Gegenwart wären. Rebentisch‘ Fortschrittsverhaftung kommt aus den binären Optionen, die sie als potentielle Argumentationsstränge sieht: Ent-weder man entscheide sich für die Post-Histoire-Diagnose, was sie ablehnt, oder man verbleibe argumentativ bei der Moderne. In diesem Gegensatz wird auch luzide, warum sie sogar von einer historischen Entwicklungslogik spricht.

Es scheint mir zentral für das Verständnis von Rebentischs‘ Text, dass die Gegenwart der Gegenwartskunst in ihrer Lesart nicht zu zwei parallelen Begriff-

21 Rebentisch 2013, S. 13.

22 Vgl. Medina 2010.

23 Rebentisch 2013, S. 14.

24 Rebentisch 2013, S. 13.

25 Rebentisch 2013, S. 21.

26 Rebentisch 2013, S. 25.

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01 Einleitung und Problemstellung

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„Daran zeigt sich, dass Kunstgeschichte und Kunstkritik nicht einfach Lö-sungen bereitstellen können hinsichtlich des Problems der Gegenwart der Ge-genwartskunst, dass sie vielmehr selbst immer schon Teil dieses Problems sind. Denn entscheidend für die Struktur der Gegenwartskunst ist gerade das eben nicht einseitig abbildende, sondern das kategorisch wechselseitige Verhältnis von Kunstgeschichte und Kunstkritik zu den praktischen Formen der Kunstaus-übung.“28

Draxler argumentiert deshalb für eine Neuordnung der Begriffe Kunst, Geschichte und Kritik. Er reagiert insofern genau auf jene Schwelle, an der Rebentisch die Fortschrittslogik der Moderne im Sinne der Geschichte, die sie schreibt, weiterführen muss, mit einer denkbar anderen Strategie.

Die Frage nach der Gegenwart als historischer Form stellt sich für Draxler als eine Frage nach dem Bezug zwischen Gegenwart und Geschichte, die jenseits der Entwicklungslogik der Moderne gedacht werden muss. Die angesprochene „Geschichte“ im Singular macht die Gegenwart zur Schnittstelle, die der Ge-schichte erst ihren Sinn verleihe; er begreift die Geschichte als moderne symboli-sche Form im Sinne Cassirers, die eingesetzt werde, um „ (…) die Vergangenheit zu vergegenwärtigen und auf eine mögliche Zukunft hin auszurichten“.29 Das be-deute immer eine bestimmte Auswahl zu treffen, und insofern auch konstitutive Privilegierungs- und Ausschlussmechanismen zu beherbergen: „Die Gegenwart wäre in diesem Verständnis die immer wieder inszenierte symbolische Bruch-stelle, an der die Geschichte einsetzt und an der sie die Vergangenheit zurichtet und perspektiviert. Diese Bruchstelle ermöglicht ihr überhaupt erst, sich im Mo-dus des Verknüpfens und des Ausgrenzens, der sinngebenden Inklusion und der Exklusion ins Sinnlose zu etablieren, als Möglichkeit wie als Problem wird die Gegenwart erst mit dieser Idee von Geschichte virulent.“30

ihrem modernen Singular) wäre es von einer Makroperspektive aus wahrschein-lich schwierig, sich vollends von der Fortschrittlogik der Moderne und der Ge-schichte abzutrennen – was Rebentisch folgerichtig auch nicht anstrebt. Die Kri-tik an der Fortschrittslogik wird, wie bereits erwähnt, zum Fortschritt selbst. Die Frage, die sich im Anschluss an diesen Argumentationsstrang stellt, ist, welche Historizität Ansätze einfordern können, die eine deutlichere Trennung von der Moderne, als dies bei Rebentisch eingefordert wird, vorsehen: Kann man dann noch eine Geschichte der Gegenwartskunst schreiben?

Dieser Frage begegnet unter anderem Helmut Draxler in seinem Text „Jenseits des Augenblicks: Geschichte, Kritik und Kunst der Gegenwart“. Für ihn stellen jene Kritiken an der Moderne und der modernen Kunst, die das Feld der Gegenwartskunst auszeichnen, zentrale „Fragen in Bezug auf Verhältnis von Geschichte und Gegenwart jenseits des Bildes einer progressiven, inneren Ent-wicklung, eines zentralen Orts und einer heroischen Handlungsmacht“.27 Die moderne Kunst hätte vor allem drei kritische Repliken hervorgebracht: die Kritik am Geschichtsverständnis der Moderne, sowie postkoloniale und feministische Kritiken. Diese Einwände gegen die moderne Kunst sind für ihn auch die Wurzel ebenjener begrifflichen Krise, welche die Diskussion von Gegenwartskunst un-terfüttern. Die Antworten, welche die kunstwissenschaftliche Diskussion darauf gefunden hat, sind einerseits der Ansatz der globalen Kunstgeschichte, die eine inhaltliche Ausweitung des zentrumbasierten Modells der modernen Kunst pro-pagierte und auch die Kritik an der Erzählform der Moderne aufnahm, anderer-seits Dokumentationen von jenen Praxen, die vom Narrativ der modernen Kunst bisher ausgeschlossen wurden. Er erkennt an, dass diese Ansätze klassische Nar-rative infrage stellen, allerdings auch keine neuen oder alternativen Narrative stattdessen anbieten können – ebenso konstatiert er für die Kanon-Diskussion, dass der klassische Kanon in der Regel lediglich um marginalisierte Positionen erweitert werde, nicht aber insgesamt neu bearbeitet. Diese Herleitung führt ihn zum grundliegenden Problem dieser Diskussion:

27 Draxler 2015, S. 133.

28 Draxler 2015, S. 135.

29 Draxler 2015, S. 137-138.

30 Draxler 2015, S. 138.

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Gegenwartskunst ist deshalb niemals nur ein Ausdruck ihrer Zeit, sondern bezieht sich, laut Draxlers Lesart, immer auch auf Gegenwärtigkeit insgesamt und damit auch auf ihre Relation zu Geschichte und Zukunft. „In diesem Sinne kann sie kein versöhntes oder endgültiges vermitteltes Wahrheits-, Schönheits- oder Kraftmoment verkörpern. Als Gegenwartskunst ruft sie stets die Spannun-gen, Spaltungen und Ambivalenzen von Geschichte und Gegenwart, Kritik und Behauptung notwendigerweise mit auf.“35 Gegenwartskunst hat für ihn deshalb immer ein mimetisches Moment (man denke wohl zurecht an Adorno), das sich allerdings nicht auf die Natur oder die Realität, sondern auf seine eigenen struk-turellen Bedingungen beziehe, sowie ein funktionelles Moment in Bezug auf ihre Stellung zu Geschichte, Gegenwart, Behauptung und Kritik. Sie verkörpere die Spannung und reflektiere sie gleichermaßen – zumindest schlägt Draxler das in Hinblick auf ein Verständnis von „Qualität“ in Bezug auf Gegenwartskunst vor. Dieser Anspruch, sich der Universalisierung einer künstlerischen Arbeit zu ver-wehren und sie in ihrer Singularität zu behandeln, ihr Wahrheits- oder Schön-heitsansprüche zu verwehren, hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf die ästhetische Theorie. Der Grund für die Ablehnung von Universalisierungen ist ein politischer: soziale Differenzen sollen dahinter nicht nivelliert werden, „(…) sondern begründen diese [die künstlerischen Arbeiten, Anm. KB] vielmehr als Moment der Reflexion hinsichtlich der Augenblicke, der Orte und der Hand-lungsmacht der jeweiligen Gegenwart.“36

Kunst ist aber allerdings nicht nur ein Mittel, um die Gegenwart hervort-re-ten zu lassen, sie bearbeitbar zu machen: Da Kunst ebenso seit dem 18. Jahr-hundert ein Singular sei wie „Geschichte“ sei ein rein funktionaler Be-zug unrea-listisch. Die drei Begriffe Kunst, Geschichte und Kritik zu entwir-ren, entspreche ihrem Funktionieren als eigenständige, alternative Modi der Sinnbehauptung, die sowohl als autonom, als auch in ihrer Bezogen-heit aufeinander verstanden werden müssen. Die Idee des Kanons, die gewissermaßen durch die eingangs

Im direkten Anschluss an diese Frage und an die Bruchstelle, welche die Gegenwart darstellt, wird der gesellschaftliche Horizont der Gegenwart mittels des Begriffs der Kritik aufgenommen. Die Kritik schaffe wiederum einen Ab-stand zwischen dem Gegenwärtigen und dem Vergangenen, und steht immer schon in starkem Bezug zur Geschichte, da sie „als Medium der Umformung von Tradition in Geschichte“31 gelesen werden kann. Kritik greife außerdem auf zeitlicher Ebene auf das Gegenwärtige zu: Macht, Gewalt oder Hegemonie, so Draxler, materialisieren sich immer in räumlichen Strukturen, die Kritik liefe-re hingegen eine Interpretation im zeitlichen Sinne – soziale Realitäten werden durch die Kritik in bestimmte Abfolgen gestellt, was ihnen „ (…) Erwartungen hinsichtlich ihrer eigenen Veränderbarkeit“32 einschreibt. Es gehe nicht darum, dass Kritik die Geschichte in Hinblick auf die anderen Zeitdimensionen kriti-siere: „Sie erlaubt vielmehr, den symbolischen Komplex Geschichte-Gegenwart sich innerhalb eines spezifischen sozialen Raums zu repräsentieren und zu rea-lisieren.“33

Die Gegenwart wird also durch die zwei Gegenspieler Behauptung und Kritik aufgerufen. Sie kann dabei nicht nur als Aktualisierung des historischen Moments verstanden werden, sondern auch als Ausverhandlungsort. Die Kri-tik nehme nicht nur die bereits beschriebene Funktion für Geschichte ein, sie verschiebt auch die Bedeutung jeder anderen Aussage, sei sie kritisch, sei sie be-hauptend. Damit wird die Gegenwart zu einem Ort des Konflikts.

Kritik impliziert immer auch ein Werturteil, so Draxler, und gerade jene modernen Begriffe wie Autonomie, die per definitionem nur innerhalb der Kunst liegen, sprechen für eine Unauflösbarkeit des Streits, da eine Wertent-scheidung nicht mehr möglich ist. „In ihrem [Autonomie, Anm. KB] Namen muss über Kunst gestritten werden (…). Darin liegt ihr eigentlicher Wert. Die Gegenwärtigkeit der Gegenwartskunst liegt daher in dieser immanenten Streit-form begründet.“34

31 Draxler 2015, S. 139.

32 Draxler 2015, S. 139.

33 Draxler 2015, S. 140.

34 Draxler 2015, S. 142.

35 Draxler 2015, S. 141.

36 Draxler 2015, S. 141-142.

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genannten Kritiken an der modernen Kunst genannt wurde, entsteht in der un-rechtmäßigen Verschmelzung dieser Kategorien, die über die Differenzen zwi-schen den Begriffen hin-wegtäuschen will. Ein Kanon kann im Anspruch der Gegenwart immer nur relativiert greifen. „Die Idee des Kanons ist selbst eine Symbolisierungs-form der Moderne mit dem Ziel, dem konstitutiv mangelnden Wert zu begegnen. Die Gegenwart ist in ihrer grundlegenden Widersprüchlich-keit, ihrer konstitutiven Nachträglichkeit und Verschobenheit der symbolische Austragungsort dieses Mangels.“37

37 Draxler 2015, S. 143.

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cke in einem Kontinuum sind, das von homogener, linear gedachter Zeit gefüllt wird. Insbesondere in den letzten zweihundert Jahren der Kunstgeschichte wer-de eher – in Hinblick auf Periodisierungskategorien – mit Formen historischer Zeitlichkeit gearbeitet denn mit Bewegungen oder Stilen.39 Er spielt dabei natür-lich auf die großen Kategorien an: die Avant-Garde und die Moderne. Er betont außerdem, dass jede Periodisierung das Verständnis für Periodisierungen an sich neu eröffne, was in diesem Zusammenhang auch bedeutet, dass the contem-porary als Periodisierung nur im Zusammenhang mit anderen Kategorien, wie eben der Moderne, gedacht werden kann. Das ist insofern nicht ganz selbstver-ständlich, da man bei oberflächlicher Lektüre der relevanten Texte zur entspre-chenden Begriffsdiskussion den Eindruck erlangen kann, dass es miteinander konkurrierende Periodisierungen gibt – insbesondere zwischen einem Begriff von Gegenwartskunst der ab den 1960er Jahren ansetzt und der oft diskutierten Schwelle 1989. Diese Konkurrenz existiert insofern, da the contemporary letzt-endlich sehr stark mit 1989 identifiziert wird. Was mir allerdings nicht haltbar erscheint, ist ein Ansatz, der einerseits die Schwelle der 1960er Jahre entwirft, die künstlerischen Praxen, die gegen den Modernismus vorgehen – beispielsweise Konzeptkunst, Minimalism oder Performance Art – in den Blick rückt. Ande-rerseits wäre die Schwelle 1989 dann ein geopolitischer Marker, der eine größere Klammer eröffnet, die als Bedeutungsrahmen für Gegenwartskunst wirkt. Das mag zwar auch nicht falsch sein, impliziert allerdings ein polares Verständnis dieser beiden Perspektiven (Kunstpraxen vs. Geopolitik), und daraus folgend, dass erstere nicht in einem spezifisch geopolitischen Zusammenhang stehe (man lenke nur die Aufmerksamkeit auf die Stellung der US-amerikanischen Kunst-geschichte in Hinblick auf Conceptual Art, Minimalism und Performance Art). Außerdem würde das auch implizieren, dass letztere weniger aus der Konfron-tation mit den Paradigmen des Modernismus entstanden wären, wogegen Peter Osborne schlüssig argumentieren kann. In seinem Aufsatz „Temporalization as Transcendentral Aesthetics. Avant-Garde, Modern, Contemporary“ geht er

2.1. Peter Osborne und die transnationale Gleichzeitigkeit

Peter Osborne ist einer der wichtigsten Vertreter in der Diskussion um den Begriff von contemporary art. Er interessiert sich für den Begriff the con-temporary als Form historischer Zeitlichkeit. Das bedeutet im Rahmen seiner Arbeit vor allem auch Fragen in Hinblick auf die (Kunst-) Geschichtsschreibung zu stellen und mitunter über die Beziehungen zwischen the contemporary und dem Begriff der Moderne bzw. dem Begriff der Postmoderne grundlegende Pro-bleme von Geschichtsschreibung abzuleiten. Auch die Frage, inwiefern the con-temporary als Periodisierung sinnvoll ist, ist für ihn in diesem Zusammenhang relevant. Außerdem entwickelt er ausgehend von seinen Ausführungen zu the contemporary eine Matrix für contemporary art: “The coming together of diffe-rent times that constitute the contemporary, and the relations between the social spaces in which these times are embedded and articulated, are thus the two main axes along which the historical meaning of art is to be plotted.“38

Die Leistung Peter Osbornes in der Diskussion um die historiographische Dimension des Begriffs besteht darin, dass er einen Begriff entwirft, der zwi-schen einer Form historischer Zeit (als diskursive Kategorie) und einer Perio-disierung oszillieren kann. Er schafft dies, ohne den Eindruck zu erwecken, die unliebsame Periodisierung zwar zu vermeiden, aber dennoch ein dementspre-chendes Konzept zu verwenden - wie es bei anderen Autor_innen, überspitzt formuliert, anklingt. Das bedeutet in seinem Zusammenhang auch, dass histo-riographische Überlegungen in seiner Diskussion einerseits einen sehr hohen Stellenwert einnehmen, und andererseits, dass er bei einem dialektischen Begriff von the contemporary enden muss.

Die erste zentrale Bemerkung, die Peter Osborne in verschiedenen Auf-sätzen und in seinem Buch „Anywhere or not at all“ ausgeführt hat, ist die An-nahme, dass Formen von historischer Zeitlichkeit (die oft mit Periodisierungen enggeführt werden) einander überlagern und keine aneinander gereihten Blö-

38 Osborne 2013a, S. 27.

39 Osborne 2013b, S. 31.

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dieser Herangehensweise, die er selbst anführt ist, dass er sowohl für ein verein-heitlichendes Konzept, alleine durch die Schaffung einer begrifflichen Klammer, argumentiert, als auch für Brüche innerhalb dieser Vereinheitlichung.

Abgesehen von diesem vereinheitlichenden Impetus kann er sich einer Datierung des Konzepts nicht verwehren: Wenn man von globalisierten Moder-nen spricht, also auch einer räumlichen Ausweitung, dann wird man diese erst nach dem Ende des Staatssozialismus ansetzen können – die globale Ausweitung des Kapitalismus ist die Realität eines transnationalen Finanzkapitalismus, was erst nach 1989 einleuchtend erscheint.

Periodisierungen in Konkurrenz?

Grundsätzlich unterscheidet Osborne in „Anywhere or not at all“ drei überlappende historische Herangehensweisen an zeitgenössische Kunst. Die früheste Datierung ist dabei 1945 – einer der Ansätze, die er als „geopoli-tisch-epochal“ bezeichnet: Es geht dabei um die Verwendung des Begriffs in Osteuropa, quasi als sowjetische Reaktion auf den westlichen Modernismus, u.a. in der Verwendung von Georg Lukács. „In Eastern Europe, ‚modernity‘ was considered an ideological misrepresentation of the historical time of capitalism, covering over its internally antagonistic class forms of historical temporality and representation.”43 Ebenso in der Logik des Kalten Kriegs findet sich die zeitlich weiteste Definition von zeitgenössischer Kunst, die gegenwärtig noch Verwen-dung findet, die ebenso geopolitisch motiviert verstanden werden kann und auch mit 1945 datiert werden kann. 1945 wird hierbei als Beginn der Hegemo-nie der US-amerikanischen Kunstinstitutionen gesehen, insbesondere auch über den Einzug der Vorkriegsavantgarden in die Institutionen und die Entstehung der Neo-Avantgarden. Er stellt, zurecht, die Frage in den Raum, ob ein Begriff der historischen Gegenwart tatsächlich 1945 ansetzen sollte: Leben wir noch immer in einer ausgedehnten Nachkriegszeit bzw. teilen wir unsere historische Gegenwart mit der Nachkriegszeit?

insbesondere auf die Überlagerungen zwischen den unterschiedlichen Formen von historischer Zeitlichkeit ein. Eine abgelöste Form von historischer Zeitlich-keit, so argumentiert er, ist jene der Postmoderne. Er bezieht sich auf Frederic Jameson’s Buch „Postmodernism, or, the Cultural Logic of Late Capitalism“, um ihm zuzustimmen und ihn gleichzeitig zu widerlegen: „In a nutshell, if moder-nity is the temporal culture of capital (as Jameson discerned), within its current form, contemporaneity is the temporal structure that articulates the unity of glo-bal modernity.“ Das Präfix der Postmoderne hätte heimlich so etwas wie einen Post-Kapitalismus an den Horizont gemalt, der ganz offensichtlich nicht einge-treten ist.40 Insofern wäre es treffender von einer Globalisierung des Konzepts der Moderne (in der zeitlichen Minimaldefinition) zu sprechen, als darüber, dass die Kritik der Postmoderne nicht mehr greifen würde.

Im nächsten Schritt steckt der Kern von Osbornes Arbeit zum Thema: The contemporary ist jene historische Zeitlichkeit, die eine Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen („(…)multiple, alternative and postcolonial (…)“41) Moder-nen verspricht. Diese Gleichzeitigkeit nimmt auch die eingangs erwähnte Be-merkung auf, dass das Präfix „con“ für Peter Osborne eine zentrale Bedeutung hätte – es geht ihm bei the contemporary nicht darum, dass Zeitgenoss_innen gemeinsam in einer Zeit wären, sondern um die Gleichzeitigkeit unterschiedli-cher Zeitlichkeiten. Insofern bedeutet the contemporary als historische Zeitlich-keit der Gegenwart folgendes: „(…) a coming together of different but equally ‚present‘ times, a temporal unity in disjunction, or a disjunctive unity of present times. As a historical concept, the contemporary thus involves a projection of unity onto the differential totality of the times of human lives that are in prin-ciple, or potentially, present to each other in some way, at some particular time – paradigmatically, now, since it is the living present that provides the model of contemporaneity. That is to say, the concept of the contemporary projects a single historical time of the present, as a living present: a common, albeit internally dis-junctive, present historical time of human lives.”42 Die offensichtliche Kritik an

40 Osborne 2014a, S. 20.

41 Osborne 2014a, S. 20.

42 Osborne 2014a, S. 22.

43 Osborne 2013a, S. 18.

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epistemologically constructive character, contributing to the discursive produc-tion of ‚the present‘ as cultural form.“45 Für den Zweck des Verständnisses der Begriffsgenese sind diese drei Herangehensweisen erhellend, dennoch stehen insbesondere die Schwellen 1960er Jahre und 1989 nicht dermaßen in Konkur-renz, wie die entsprechende Literatur teils vermuten lässt. Auf das eben genannte Osborne-Zitat zurückzukommend, stehen sie jedoch insofern in Konkurrenz, als dass sie Ausdruck unterschiedlicher (politischer) Vorannahmen, unterschiedli-cher historischer Lesarten und verschiedener Perspektiven und Fokussierungen sind. Das bedeutet im Umkehrschluss allerdings nicht, dass sie sich einander, für ein Verständnis eines Begriffs von Gegenwartskunst, ausschließen müssten.

Der Fokus auf eine geopolitische Ebene einerseits oder auf eine ästheti-sche Ebene andererseits lässt zweifelsohne verschiedene Brüche mit jeweils un-terschiedlichen Datierungen hervortreten, allerdings dürfen dabei die Vernet-zung und die Abhängigkeit dieser beiden Ebenen voneinander nicht aus dem Blick treten. Das Phänomen der „modernen Kunst“ wird vor allem mit der Autonomisierung der künstlerischen Sphäre identifiziert, was wiederum ohne die grundlegenden sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen in Folge der Französischen Revolution undenkbar wäre. Die eingangs mit Bois genannten modernistischen Paradigmen implizieren eine ästhetische Ebene, die in ihrer Eindeutigkeit weder mit 1789, noch mit diversen Veränderungen im Zuge der ökonomischen Rationalisierung des 19. Jahrhunderts einhergehen, was dennoch nicht ihren Zusammenhang unterminiert. Datierungen in Hinblick auf ästheti-sche Veränderungen (wie jene der 1960er Jahre) müssen nicht exakt deckungs-gleich mit gesellschaftlichen Veränderungen sein. Wenn die Gleichzeitigkeit von the contemporary, wie im nächsten Kapitel ausgeführt wird, auch eine postko-loniale Bedingung ist, dann spielen dafür die antiimperialistischen Kämpfe der 1960er Jahre eine Rolle, ebenso wie auf ästhetischer Ebene der Bruch mit moder-nistischer Ontologie auch noch ein Thema der 1990er Jahre gewesen ist. Mein Argument an dieser Stelle ist, dass sich die drei Ansätze, die Osborne beschreibt,

Osbornes zweiter Ansatz, der den Fokus mehr auf künstlerische Arbei-ten und institutionelle Mechanismen legt, lässt die Gegenwartskunst ab den 1960er Jahren beginnen, insbesondere argumentiert über den Bruch mit der Me-dienspezifität und objektbasierten Praxen. Die klassischen Beispiele dafür sind Performance Art, Konzeptkunst und Minimalism. Der Vorteil dieser Herange-hensweise ist, dass sie einerseits, meiner Ansicht nach, die Grundherausforde-rung an eine Begrifflichkeit von zeitgenössischer Kunst, nämlich den Bruch mit dem Modernismus, impliziert. Andererseits können die „1960er“ als ein langes Jahrzehnt für diverse Umbrüche stehen, die letztlich nicht nur auf den US-ame-rikanischen Kontext zutreffen. Das betrifft auch die sozialen Herausforderungen und politischen Veränderungen, die weitgehend mit 1968 identifiziert werden, sowie antiimperialistische Kämpfe und Veränderungen in der Kommunikations-technologie, wie er selbst auch anführt.

Die dritte Herangehensweise, auch diejenige, die in dieser Arbeit bisher die meiste Aufmerksamkeit bekommen hat, setzt die Datierung 1989 ins Zentrum. Die Schlagworte, die dahinterstehen, sind schon mehrmals gefallen: Ende des Staatssozialismus und das Ende des Kalten Kriegs, Neoliberalismus, Globalisie-rung von Finanzkapital. Als konkrete Veränderungen in Bezug auf die Kunstwelt beschreibt Osborne des Weiteren das Verschwinden des historischen Horizonts der Avant-Garde (über das Verschwinden des Staatssozialismus), eine stärkere Verbindung zwischen bildender Kunst und Kulturindustrie und die Globalisie-rung und Transnationalisierung des Ausstellungsformats der Biennale, was er an anderer Stelle noch genauer ausführt.44

In dem bereits genannten Aufsatz „The postconceptual condition. Or, the cultural logic of high capitalism today“ kommentiert Osborne, ohne spezifisch auf die genannten Ansätze einzugehen, die Konkurrenz zwischen den verschie-denen Datierungen, die in Bezug auf Gegenwartskunst im Umlauf sind: „The competition between these conceptions registers their politically as well as their

44 Vgl. Osborne 2014b.

45 Osborne 2014a, S. 24.

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achieved.“47 Die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Zeitlichkeiten widerspricht selbstverständlich der Vorstellung einer homogenen, linearen Zeit massiv, was seiner Ansicht nach die Vorstellung einer Heterochronie begünstig, was er auf generelle Heteronomien oder die Vielzahl an Determinierungen zurückführt. In seinen Worten: „The contemporary marks both the moment of disjunction (and hence antagonism) within the disjunctive unity of the historical present and the existential unity of the disjunctiveness of present itself.“48

In Hinblick auf das Konzept der Gleichzeitigkeit multipler Modernen und das Argument, dass die Konstatierung derselben nur insofern sinnvoll ist, als dass diese als solche erkannt werden, ist es von besonderer Bedeutung auf einen zusammenfassenden, begrifflichen Schirm zurückgreifen zu können – wenn dieser auch nur über eine Fiktion zu haben ist. Das von Osborne ausgeführte Konzept der disjunkten Einheit ist nicht nur zeitlicher Bestimmung, sondern ebenso räumlich verortbar. Diese Einheit von disjunkten Sozialräumen identifi-ziert er als zentrales Problem der Geopolitik. Seine Anmerkungen zum Problem der Subjektposition sowie der zeitlichen und räumlichen Dialektik zwischen Ein-heit und Bruch führt er mit dem Begriff des „global transnational“ zusammen:

„(…) [the] global transnationality (…) is a fiction – a projection of the temporary unity of the present across the planet – grounded in the contradic-tory penetration of received social forms (…) by capital, and their consequent enforced interconnection and dependency. In short, today, the contemporary (the fictive relational unity of the historical present) is transnational because our mo-dernity is that of a tendentially global capital. Transnationality is the putative socio-spatial form of the current temporal unity of historical experience.”49

Eine zentrale Kritik an Modellen von globaler Gleichzeitigkeit ist der Vorwurf, dass solche Herangehensweisen globale Ungleichheiten und globale Ausbeutungsstrukturen verschleiern würden. Stellvertretend für diese Kritik konstatiert beispielsweise David Joselit: „[D]ieses vordergründig harmlose ‚mit‘

nicht ausschließen, sondern ergänzen. Das Argument gilt einem breiten Begriff von Gegenwartskunst, der sich nicht zwischen den 1960ern oder 1989 entschei-den muss, oder dass als Kompromiss die Idee des „langen Jahrzehnts“ in Bezug auf die 1960er Jahre ins Absurde gezogen werden muss. Der Kern all dieser Her-angehensweisen ist eine Abarbeitung, wenn nicht sogar eine Abgrenzung von der Moderne als Epochenbegriff einerseits sowie vom Modernismus als spezifische Ontologie der modernen Kunst andererseits. Diese Integration hat zwar den of-fensichtlichen Nachteil, dass sie Ungenauigkeiten hofiert, dafür aber das verbin-dende Element zwischen diesen Ansätzen ins Zentrum stellt. Einzuwenden wäre dagegen natürlich die Art von Fundamentalkritik, die jedem datierenden oder periodisierenden Verfahren entgegengebracht werden kann: Wenn die Kunst-geschichte selbst als Disziplin ein Produkt der Moderne ist, ist dann nicht jede Diskussion von Periodisierungen, die ihr folgen, noch viel zu sehr in ihrer Logik selbst verhaftet? Kann man überhaupt eine Kunstgeschichte schreiben, die sich ihrer ursprünglichen Verankerung als Produkt der Moderne entzieht?46

Kritik

Zurückkommend auf Peter Osborne und auf die Problematisierung, die Osborne selbst gegenüber der vereinheitlichenden Wirkung seines Konzepts vorbringt, werde ich auf die Schwierigkeiten der Begrifflichkeit in der Osbor-ne’schen Fassung eingehen.

Grundsätzlich merkt er an, dass das Konzept von the contemporary als his-torischer Zeit empirisch höchst problematisch ist: Es gäbe keine Subjektposition, so Osborne in diversen Aufsätzen, die diese relationale Ganzheit des Konzepts erfahrbar machen würde. Das Konzept operiert als Fiktion, indem insbesondere die Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Gegenwart in der Gegenwart bestimmt wird, mit einem normativen Aspekt: „(…) it does so, in part, not sim-ply by recognizing certain contemporaneities, but by projecting contemporeane-ity – the establishment of connections within the living present – as a task to be

46 Vgl. Draxler 2015.

47 Osborne 2013a, S. 24.

48 Osborne 2013a, S. 24f.

49 Osborne 2013a, S.26.

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postconceptual condition is double-coded. It is determined at once as an artistic situation and that which conditions it – primarily, that interplay of communica-tion technologies and new forms of spatial relations that constitute the cultural and political medium of economic processes of globalization, the experience of which (when successful) it artistically condenses, reflects and expresses. Such a condition is historical, but it functions transcendentally from the standpoint of interpretation, as a condition of certain (unpredictable) possibilities that are embedded within, and come constructively to express, a particular historical ac-tuality.“51

Zusammengefasst sind drei Faktoren für den Begriff „postconceptual art“ zentral: das Abarbeiten an dem Erbe der Konzeptkunst, was für ihn insbesondere die Aushebelung der Medienspezifik betrifft. Das bedeutet zweitens für ihn, dass es nicht mehr um Medien, sondern um Materialisierungen geht, wenngleich es unendlich viele Materialien gäbe, in denen sich eine künstlerische Arbeit materi-alisieren könne. Das heißt zugleich, dass es unendlich viele emergente Möglich-keiten der Materialisierungen einer künstlerischen Arbeit gibt, die zwar nicht realisiert wurden, aber latent vorhanden sind. Drittens betont er, ganz offen-sichtlich in Anschluss an Adorno, die zentrale Rolle der Interpretation für sei-nen Begriff. Der Austausch von Medienspezifik durch Materialisierung ist auch für die Perspektive, die diese Arbeit einnimmt, von Relevanz; die Gefahr daran ist natürlich, dass man Konzeptkunst wiederum mit der klassischen Vorstellung der Dominanz der Idee vor dem Material zusammenführt. Diese Vorrangstel-lung der Idee vor dem untergeordneten Material kann, wenn undifferenziert verwendet, ebenso in Osbornes Begriff von „postconceptual art“ gelesen werden. Insbesondere seine Bemerkung über die Emergenz unterschiedlicher Materiali-sierungen kann die Idee als Essenz erst recht befördern, denn wenn es unendlich viele mögliche Materialisierungen gibt, ist es nur naheliegend, dass die Idee den Kern der Arbeit ausmacht.52 Dagegen müsste betont werden, dass die Materi-alisierung nicht als lapidare Konsequenz in der Nachfolge der Medienspezifik

[bezogen auf das „con“ von „contemporary“, Anm. KB] kaschiert die dramatisch uneinheitliche Entwicklung der Globalisierung. Denn ‚Genossen ein und der-selben Zeit‘ zu sein [er bezieht sich sprachlich vor allem auf Boris Groys Text ‚Comrades of Time‘, Anm. KB] trägt nichts dazu bei wirtschaftliche Ungleich-heit zu überwinden, was die Opfer der in Bangladesch eingestürzten Beklei-dungsfabriken, in denen Billigware für westliche Konzerne produziert wurde, bestätigen können. (…) Ungleiche Entwicklung führt zu Asynchronität, nicht zu Zeitgenossenschaft.“50 Ich werde diese zugespitzte Kritik im nächsten Kapitel mit einem Klassiker der Anthropologie, Johannes Fabians „Time & the Other“ kontrastieren, um eine andere Facette von globaler Gleichzeitigkeit (auch wenn man sie als Fiktion begreifen mag) in den Fokus zu stellen: die epistemologische Asynchronität der Moderne durch Strategien des Otherings.

The postconceptual condition

Die Achsen, die Osborne als Matrix für zeitgenössische Kunst aufzieht – die Gleichzeitigkeit globaler Zeitlichkeiten und die sozialen Räume, in denen diese eingebettet sind – liefern also einen Kontext für zeitgenössische Kunst. Wenn man mit Osborne nun über eine kritische, historische Periodisierung nachdenken will, dann geht das gemäß der Lektüre seiner Texte vor allem über die Wechselwirkung zwischen der historischen Ontologie einer spezifischen künstlerischen Arbeit und der Ontologie der historischen Form von Zeitlich-keit, die sich immer auf spezifische soziale und kulturelle Formen bezieht. Als vereinheitlichendes Prinzip in Bezug auf künstlerische Arbeiten führt er deshalb den Begriff der „postconceptual art“ ein. Der Präfix „post“ impliziert dabei fälsch-licherweise eine chronologische Nachfolge zur Konzeptkunst, ihm geht es eher um den ontologischen Bruch der Konzeptkunst (meiner Ansicht nach in Bezug auf den Modernismus). Sein Begriff von „postconceptual art“ setzt eben nicht auf der Ebene des Mediums, der ästhetischen Form, einem Stil oder einer Bewegung an, sondern arbeitet sich an dem Erbe der Konzeptkunst ab: „(…) the idea of a

50 Joselit 2015, S. 115-116.

51 Osborne 2014a, S. 25.

52 Osborne 2014a, S. 26.

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2.2. Johannes Fabian: Time & the Other. Zum Potential von Gleichzeitigkeit

In seiner einflussreichen Monographie „Time & the Other“ (erste Auflage 1983) zeigt Johannes Fabian, dass Zeit eine zentrale Rolle in der Entstehung der Anthropologie als akademischer Disziplin spielte und Zeitlichkeit dabei als Mit-tel der Unterdrückung eingesetzt wurde. Der historische Kitt zwischen dem eu-ropäischen Kolonialismus und der Entstehung der Anthropologie ist nicht neu, Fabian jedoch stellt mittels seines Klassikers in den 1980er Jahren die kleintei-ligen Mechanismen in der Verwendung und Konstruktion von Zeitlichkeit dar, die das Objekt der Anthropologie erzeugten – „the Other“. Er argumentiert für eine Lesart von Anthropologie, die als machtvolle Technik das Objekt der For-schung (die „Primitiven“, „Wilden“, etc.) nicht nur an einem anderen Ort, son-dern vor allem in einer anderen Zeit festmacht.

Um dieses Argument zu entwickeln, rekapituliert er, ohne das explizit so zu nennen, gewisse „Epochen“ der europäischen Geschichte in Hinblick auf ihre relevanten und gesellschaftlich wirksamen Zeitkonzeptionen. In jüdisch-christ-licher Tradition ist die Zeitlichkeit des Mittelalters eine messianische Zeit: Die Zeit wird quasi zum heiligen Medium des Fortschreitens, das auf die Wieder-kunft des Messias ausgerichtet ist. Die Zeitlichkeit der Erlösung entspricht damit dem Glauben an eine Verbindung zwischen einem Gott und einer spezifischen, auserwählten Gruppe – jene der Gläubigen. Wenngleich diese Zeitlichkeit of-fensichtlich exklusiv erscheint, merkt Fabian an, dass sie inklusiver wäre, als ihre konzeptuellen Nachfolger. Die Paganen, die Ungläubigen könnten auch Teil der Erlösung werden, sofern sie konvertieren – „[e]ven the conquista, certainly a form of spatial expansion, needed to be propped up by an ideology of con-version.“53 Die Aufklärung liest Fabian als Schritt der Säkularisierung von Zeit, indem durch die Entstehung der Geschichte der Philosophie auch geschichtliche Fragen gestellt wurden, die nicht allein durch eschatologische Heilsgeschichte beantwortet werden konnten und wurden. Als besonders relevant dafür nennt er

verstanden wird, sondern die Materialisierung die Rolle der Medienspezifik ein-nimmt „Postconceptual art“ ist insofern jene Gegenwartskunst, die the contem-porary gerecht wird: Nicht jede künstlerische Arbeit, die in unserer historischen Gegenwart produziert wurde bzw. produziert wird, kann diesem Konzept ent-sprechen – was allerdings für Ansätze, die letztendlich einen normativen Kern haben, anders auch gar nicht möglich wäre. Jeder Besuch einer Kunstmesse be-stätigt, dass es in der gegenwärtigen Produktion ein Gros an Arbeiten gibt, die - obwohl sie im historischen Kontext i.e. des vergangenen Jahrzehnts produziert wurden -, diversen definitorischen (weil kritisch-normativen) Ansprüchen an Gegenwartskunst nicht gerecht werden. Dennoch wäre es absurd, ihnen eine grundlegende Zeitgenossenschaft abzusprechen – denn gerade ihr Kontext ist ungemein zeitgenössisch, sie affirmieren ihn nur vielleicht eher, als dass sie ihn kritisieren. Der Kontext der historischen Gegenwart betrifft auch einen (kapi-talintensiven) Kunstmarkt, ein Luxussegment, dessen Zahnräder umso besser greifen, je mehr man Osbornes Diagnose, die er mit der Umschreibung von the contemporary verfasst, Glauben schenkt. Der gleiche historische Kontext bedingt nicht nur kritische Formen von Gegenwartskunst, sondern auch jene Waren, die für die Zirkulation und den Tausch geeignet sind und bei denen sich die Frage der Materialisierung nicht stellt, weil in ihnen noch die Logik des Mediums fort-leben muss. Insofern ist diese Unterscheidung zwischen contemporary art und postconceptual art begrüßenswert.

53 Fabian 2002, S. 26.

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logie verantwortlich wären. Andererseits bot er ein Modell an, wie Fabian aus-führt, das mit biblischer Chronologie nicht vereinbar war, da der zeitliche Rah-men, den die biblische Erzählung bot, für naturgeschichtliche Veränderungen zu eng war. Außerdem führt Lyell damit qualitativ eine Zeit ein, die linear und vor allem als Variable unabhängig von den Vorgängen und Ereignissen in der Zeit gedacht werden musste. Interessant dabei ist, dass die naturalisierte Zeit grund-legend für die Evolutionstheorien war; sie für Theorien der soziokulturellen Evo-lution, aber wieder mit Bedeutung aufgeladen wurden, indem Stufen hin zur Zi-vilisation markiert wurden. Wie Fabian ausführt, verzerrten die soziokulturellen Evolutionstheorien als Spin-Off der naturwissenschaftlichen Evolutionstheorien die grundlegende Erkenntnis der bedeutungsleeren, physikalischen Zeit: „They [soziokulturelle Evolutionstheoretiker, Anm. KB] were too full of the conviction that Time ‚accomplished‘ or brought about things in the course of evolution. (…) [They had a] preoccupation with stages leading to civilisation, each of them as meaningful as a sentence leading toward the conclusion of a story.”55 Damit einher ging eine Verräumlichung von Zeit: „By claiming to make sense of cont-emporary society in terms of evolutionary stages, the natural histories of evolu-tionism reintroduced a kind of specificity of time and place – in fact a history of retroactive salvation – that has its closest counterpart in the Christian-medieval vision contested by Enlightenment.”56

In dieser Verknüpfung von Zeit und Ort in der Konstruktion des ethno-graphischen Objekts sieht Fabian den epistemologischen Beitrag der Anthropo-logie zum Kolonialismus durch pseudo-evolutionäre Zeitkonzeptionen. Über verschiedene Zeitkonzeptionen werde, so Fabian, die Distanz zum Objekt der Anthropologie, hergestellt, auch in den ihm zeitgenössischen Studien. Letztlich führe das dazu, dass sozialen Gruppen, die nicht dem/der Anthropolog_in ent-sprechen, die Gleichzeitigkeit mit der Zeit des/der Forschenden verwehrt werde, was er „denial of coevalness“ nennt: „By that I mean a persistent and systematic tendency to place referent(s) of anthropology in a Time other than the present of

den Topos der Reise im Kontext der Aufklärung. Die räumliche Dimension der Reise ist auch in der christlichen Tradition relevant – wie bereits erwähnt, mitun-ter über die Kreuzzüge, Pilgerfahrten oder die Missionen. Die Vektoren der Rei-se des Mittelalters und der Aufklärung sind für ihn allerdings widersprüchlich: Während die Reisen des Mittelalters auf religiöse Zentren oder auf die Orte der Ungläubigen ausgerichtet waren, bestimmt der bürgerliche Reiseimpetus ab dem 18. Jahrhunderts den Vektor von den Zentren weg. Die Reise war ein essentielles Mittel in der Erlangung von Wissen, sie wurde zur Wissenschaft an sich. Indem er Reiseberichte diskutiert, destilliert er einerseits die Identifikation von Reisen als „Zeitreisen“, andererseits die Ausformung eines Standpunktes des überlege-nen Wissens der Reisenden über die Geschichte des bereisten Ortes, von dem aus die Gegenwart kommentiert wird. „Prefigured in the Christian tradition, but crucially transformed in the Age of Enlightenment, the idea of a knowledge of Time which is a superior knowledge has become an integral part of anthropolo-gy’s intellectual equipment. (…) The posited authenticity of a past (savage, tri-bal, peasant) serves to denounce an inauthentic present (the uprooted, évolués, acculturated).”54 Insofern wurden Relationen im Raum (die durch Reisen von einem Ort zum anderen hergestellt wurden) auch zu Relationen in der Zeit.

Neben der Säkularisierung der Zeit, die ins 19. Jahrhundert mitgetragen wurde, war die Naturalisierung der Zeit der nächste Schritt, um Zeitlichkeit zu ihrer modernen Form zu bringen. Die Grundlage für Darwins Evolutionstheorie, von der danach auch soziokulturelle Evolutionstheorien abgeleitet wurden, wa-ren naturwissenschaftliche Fortschritte. Charles Lyell etablierte mit dem Lehr-buch „Principles of Geology“ die Meinung, dass alle geologischen Umbrüche mit der Vorstellung von aufeinander folgenden Vorgängen vereinbar wären – und es sich dabei um Vorgänge handle, die auch gegenwärtig zu beobachten wären, sofern man ihnen genug Zeit einräumt. Damit unterlief er einerseits die damals herrschende Vorstellung, dass regelmäßig auftretende Naturkatastrophen (die auch mit göttlicher Intervention enggeführt wurden) für die gegenwärtige Geo-

54 Fabian 2002, S. 10-11.

55 Fabian 2002, S. 15.

56 Fabian 2002, S. 17.

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Fabians Theorie als Einwurf zu verwenden, erscheint mir nicht nur sinn-voll, da the contemporary immer wieder im Kontext seiner postkolonialen Be-dingung gelesen wird; alleine auch das Datum 1989 als oft zitierte und disku-tierte potentielle Schwelle zeugt von einer Lesart, in der eine Weltsicht, welche die Welt ehemals in drei Sphären geteilt hatte, zerbrochen ist. Auch wenn im Zusammenhang dieses Exkurses wahrscheinlich der Terminus „dritte Welt“ als ein Mittel der zeitlichen Distanzierung verstanden werden kann, so ist ebenso bedeutsam für the contemporary, dass auch die „zweite Welt“ (und das politische Distancing im Rahmen des Kalten Krieges) zusammengebrochen ist. Im nächs-ten Kapitel werde ich einen künstlerischen Beitrag zur Diskussion um transna-tionale Gleichzeitigkeit untersuchen, die Arbeit „Situation Rooms“ von Rimini Protokoll.

the producer of anthropological discourse. What I am aiming at is covered by the German terms gleichzeitig and Gleichzeitigkeit.”57

Will man auf David Joselits Einwand gegen begriffliche Bestimmungen von Gegenwartskunst zurückkommen, die ungleiche Entwicklung als Wurzel von globaler Asynchronität verstehen, kann man ihm aus Fabians Perspektive, vorwerfen, sein Argument könne diametral gegen seine Intention verstanden werden. Asynchronität verursache Ungleichheit, könnte man mit Fabian ant-worten, nicht Ungleichheit Asynchronität. Fabian skizziert auch in Hinblick auf die ethnographische Praxis Wege aus der Allochronie, wie er sie nennt, gerade auf der Ebene der Kommunikation, die Teil jeder ethnographischen Forschung ist. Problematisch sieht er dabei die Divergenz zwischen der Feldforschungspra-xis, der er viel eher zuschreibt, dass sie die zeitliche Distanzierung überwinden kann, und den Formen der Verschriftlichung von Forschungsergebnissen in Lehrbüchern und Publikationen. Wenn nun interpersonelle Kommunikation (die Grundlage von Feldforschung laut Fabian) ein Schlüssel sein kann, der die-ses Distancing aushebelt, kann dann nicht die globalisierte Kommunikation, die globalisierte Information, die seit den 1990er Jahren durch die entsprechenden Technologien, ausgebaut und beschleunigt wurde, allochronomatische Mecha-nismen unterlaufen?

Hätte Osborne dieses Argument angeführt, würde Joselits breite Kritik greifen. Denn bei Fragen nach Informationstechnologien kann die Frage nach Zugangsmöglichkeiten und Teilhabe anders gestellt werden, als bei einem Mo-dell von Gleichzeitigkeit, das als primären Faktor die Globalisierung von Kapital betont. Osborne erarbeitet einen Begriff von Globalisierung, der Subjektpositio-nen verneint und gerade deshalb wird the contemporary auch zur operativen Fik-tion. Hätte Joselits auf dieser Ebene angesetzt, wäre sie erhellend, nicht aber über das Argument, dass die schiere Konstatierung von Gleichzeitigkeit Ungleichhei-ten verschleiern würde.

57 Fabian 2002, S. 31.

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Im „Multiplayer-Videostück“ des Autor_innen/Regie-Trios Rimini Pro-tokoll wird globaler Waffenhandel auf verschiedensten Ebenen verhandelt. Es handelt sich dabei um eine Arbeit, die zwischen Theater, Reenactment, Instal-lation und Gaming-Reality changiert. Das Stück wurde 2013 erstmals auf der Ruhrtriennale aufgeführt, die hier beschriebene, unveränderte Fassung wurde im Mai 2015 beim donaufestival in Krems gezeigt. Die Teilnehmer_innen, die im Programmheft als „spectators“ bezeichnet werden (in einem sehr aktiven Ver-ständnis des Begriffs), finden sich vor dem Beginn der Aufführung vor einem großen, uneinsehbaren Set wieder, das durch eine fixe Anzahl an Türen betreten werden kann.

Die Teilnehmer_innen (insgesamt 20 Rollen stehen zur Verfügung) wer-den vor dem Eintreten in eine szenographische Landschaft mit Tablets und Kopf-hörern ausgestattet, die ihnen den Weg vorgeben werden. Jede_r Teilnehmer_in betritt durch eine vorgegebene Tür das Set und nimmt die erste Rolle ein: So beginnt beispielsweise das Stück für eine Teilnehmer_in mit der Geschichte eines Arztes, der für die NPO „Ärzte ohne Grenzen“ arbeitet. Mit Volker Herzog, einer authentischen Person mit authentischer Biographie, findet man sich in einem Konferenzraum der NPO „Ärzte ohne Grenzen“ in Paris wieder. Volker Herzog bekommt seinen Auftrag, er wird nach Sierra Leone gesandt – mit ihm, als er, sitzt man an einem Konferenztisch und sieht entweder Volker Herzog selbst die Situation in dem Set, inklusive Tablet, nachspielen, oder man nimmt die Ego-perspektive des Arztes ein, um bei einem Gaming-Begriff zu bleiben. Mit Volker geht man in den nächsten Raum, man manövriert sich aus dem Konferenzraum durch einen Zeltvorhang – man ist in einem Operationszelt in Sierra Leone ange-kommen. Das Licht, die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit ändern sich. Ein_e andere_r Teilnehmer_in liegt verletzt auf einer Krankenliege, das Tablet zeigt ei-nen Verletzten, der nun von dem/der genannten Teilnehmer_in dargestellt wird, dessen Hose von Blut getränkt ist, im abgefilmten Set. Mit Volker lernt man eine sogenannte Triage durchzuführen, um bei einer großen Anzahl verletzter Perso-

2.3. Situation Rooms von Rimini Protokoll

Das Conflict Barometer des Heidelberger Instituts für Internationale Kon-fliktforschung zählt 424 politische Konflikte weltweit im Jahr 2014, davon wer-den 223 als gewaltsam eingestuft; davon wiederum 46 als höchst gewaltsam (25 limited wars, 21 Kriege)58. Nach den UNHCR Midyear trends 2014, sind mo-mentan 51 Millionen Menschen auf der Flucht.59 Krieg ist für viele Menschen weltweit eine tägliche Routine. Das Ende des Kalten Krieges hat jedenfalls nicht zur Befriedung des Globus geführt – vielmehr haben sich die Kriegsformen weiter ausdifferenziert und sind weniger auf der Ebene des zwischenstaatlichen Konflikts zu finden. Asymmetrische Kriege, als deren Handlungen immer öfter auch die jüngsten Terroranschläge in Europa klassifiziert werden, sind nur eine Spielart von globalen Konflikten. Insgesamt ist, dies wird auch an Daten des Con-flict Barometer ersichtlich, die Anzahl der bewaffneten Konflikte in den letzten 25 Jahren gestiegen. Ein Aspekt, anhand dessen diese Interdependenzen nach-vollziehbar gemacht werden können, ist der internationale Waffenhandel: Ohne Waffen kein Krieg – kein Krieg ohne Waffen. Die Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen Interessen der verbleibenden sowie der neuen Industriemächte und globalen Krisenherden wurden vor kurzem verstärkt im bundesdeutschen Kontext aufgrund der verheerenden Streifzüge des Islamischen Staats anhand der Frage, woher der Islamische Staat seine militärische Ausrüstung beziehe, dis-kutiert. Abgesehen davon, dass der IS nach verschiedenen Medienberichten ganz dezidiert gestreut hatte, auf Waffen amerikanischen Ursprungs zurückzugreifen, die durch Georg W. Bushs Irak-Invasion 2003 in die Region kamen, konnte die Organisation Conflict Armament Research feststellen, dass der IS mit Waffen aus mindestens 20 verschiedenen Nationalstaaten kämpft. Obwohl ein großer Anteil der Kriegsgeräte und Munition aus US-amerikanischer Produktion stammt, sei ein mindestens gleich großer Anteil aus China, Russland und dem Iran. 60

58 Heidelberg Institute for International Conflict Research 2015, http://www.hi i k . d e / d e / k onf l i k tb arom e te r / p d f /ConflictBarometer_2014.pdf, zuletzt abgerufen am 05.12.2015.

59 UNHCR 2015, http://unhcr.org/54aa91d89.html, zuletzt abgerufen am 05.12.2015.

60 http://www.srf.ch/news/international/der-is-hat-waffen-aus-20-verschiedenen-laendern, zuletzt abgerufen am 05.12.2015.

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Die Realitätsebenen des Stücks ändern immer wieder ihre Intensität, nicht nur durch die Kamera-Perspektive der Tablet-Bilder, die entweder zur Identifikati-on mit der Kamera einladen oder eben die Szene als Reenactment lesbar ma-chen, sondern auch durch die Niveaus der Interaktion der Teilnehmer_innen. Die Teilnehmer_innen können demnach in der Geschichte des jeweils anderen konkrete Rollen einnehmen, wie Abu Abdu al Homssi für Volker Herzog. Eben-so können die anderen Teilnehmer_innen als Teilnehmer_innen, die nichts mit der jeweils aktuellen Geschichte zu tun haben, im eigenen Set auftauchen und die Konstruiertheit des Stücks hervortreten lassen. Gleichermaßen oszilliert die Involvierung der Teilnehmer_innen zwischen tatsächlichem Embodiment der Personen und starker Abstraktion und Virtualisierung der authentischen Per-son. Beispielsweise als Kindersoldat in der Demokratischen Republik Kongo: Yaoundé Malamba Nkita erzählt, wie er in Schule saß, als plötzliche Schüsse zu hören waren. Als Yaoundé Malamba Nkita duckt man sich vor den Schüssen und geht im Klassenzimmer auf den Boden, und hört wie er aus seiner Biographie erzählt, den Moment eines Fluchtversuchs beschreibt und er Soldaten schreien hört: „Nein! Jetzt sind nicht mehr eure Väter die Soldaten, jetzt seid ihr die Sol-daten.“61 Im Wechsel zur nächsten Rolle weist meistens eine ausgestreckte Hand den Weg bzw. öffnet eine Hand die Tür, durch die der Weg führen soll. In Ya-oundés Beispiel ist es keine Hand, sondern eine halbautomatische Schusswaffe – das virtuelle Pendant zur realen Hand des/der Teilnehmer_in im Set. Diese Überlagerung ist insbesondere interessant, weil damit wiederum die Egopers-pektive eines Ego-Shooter-Games parallelisiert wird. Eine ähnlich irritierende Situation ergibt sich in der Rolle eines Oberleutnants der Indischen Luftwaffe a.D., der über die Praxis von Drohnenangriffen spricht. Der/die Teilnehmer_in steuert mit ihm eine Drohne mittels eines Joysticks und bezieht Live-Bilder aus dem Set – von anderen Teilnehmer_innen in einem der Gänge des Sets: „Wenn ich anfange, darüber nachzudenken ob der Typ vielleicht unschuldig ist oder ob da möglicherweise Frauen und Kinder drin sind – kann ich nicht kämpfen und

nen die medizinische Versorgung zu priorisieren. Die Teilnehmerin auf der Liege kann noch drei Stunden warten, bis sie operiert werden muss; sie erhält einen gelben Punkt auf ihren Handrücken. Diese spezifischen Überschneidungen und Interaktionen mit anderen Teilnehmer_innen ergeben sich immer wieder, sei es in der Interaktion zwischen Ärzten und Verletzten, oder als Teilnehmerin eines Rüstungskongresses beim Anprobieren einer schusssicheren Weste. Das Tablet zeigt uns an, dass wir die Schublade im OP-Zelt öffnen sollen, um Fotos eines jungen Mannes herauszunehmen, der Volker noch immer schlaflose Nächte be-reitet: Ihm wurden im Krieg beide Hände amputiert, und nachdem er darum bat, getötet zu werden, wurde ihm seine Oberlippe mit einer Machete abgetrennt. Danach sind die sieben Minuten der ersten Rolle um, und das Tablet zeigt an – meist mittels Bewegung durch das virtuelle Set, der man im realen Set zu folgen hat – weiter zu gehen. Der Syrer Abu Abdu al Homssi erzählt die Geschichte seines stattgegebenen Asylantrags in Deutschland und seiner Schussverletzung, während wir auf Volkers Krankenliege liegen. Mit und als Abu Abdu al Homssi bewegen wir uns kaum, da sein Bein aufgrund der Schussverletzung gelähmt ist. Die nächste Rolle führt weiter im Set auf eine Terrasse mit Ausblick auf eine nächtlich beleuchtete Stadt, arabische Schriftzeichen, leichte Brise. Insgesamt wird der/die Teilnehmer_in zehn von insgesamt 20 zur Verfügung stehenden Rollen einnehmen. Darunter sind neben den beiden genannten ein Sportschüt-ze, ein Friedensaktivist, ein Anwalt für zivile Drohnen-Opfer, ein Entwickler von Sicherheitstechnik, ein Journalist aus dem Süd-Sudan, ein Kriegsfotograf oder ein Administrator eines mexikanischen Drogenkartells. Die Räume, in denen die verschiedenen Personen ihre Geschichte erzählen, oder diese durch Überlage-rung von virtuellem und realem Raum erlebbar werden lassen, überschneiden sich und sind jeweils mehr als einer Rolle zugeteilt. So kann die Kantinen-Chefin einer russischen Munitionsfabrik eben jenen Borschtsch kochen und anrichten, der ebenso Requisit in der Küche einer Flüchtlingsfamilie ist, die den Weg mit-tels Boot über das Mittelmeer überlebt hat und mittlerweile in Deutschland lebt.

61 Rimini Protokoll 2013, S. 71.

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globalen Raums – es scheint diesen einen Ort zu geben, an dem die Möglichkeit von Übersicht und Entscheidung noch behauptet werden kann – und damit auch eine lineare Handlungskette, an deren Ende der Commander in Chief steht.“63

Dem Modus der Darstellung eines globalen Phänomens entziehen sich Rimini Protokoll – dafür fassen sie das Verhältnis zwischen Realität und Fikti-on komplexer. Das Verhältnis von Realität, Fiktion, Illusion oder die Rolle des Dokumentarischen bei Rimini Protokoll ist in diversen Beiträgen diskutiert worden, sowohl aufgrund der spezifischen Fragen, die sich innerhalb des Thea-terkontextes diesbezüglich ergeben, als auch aufgrund der Involvierung von „Ex-pert_innen“, die sie nicht als Laiendarsteller_innen verstanden haben wollen.64 Die Expert_innen, die in Rimini Protokolls Stücken auftreten/mitarbeiten/per-formen, sind tatsächlich so etwas wie das Kernstück ihrer Inszenierungen – und dennoch scheint es nicht das Ziel zu sein, mittels biographischer Erzählungen, die Realität direkt in die künstlerische Arbeit zu holen. Obwohl die Texte, die von den Experten_innen gesprochen werden, aus ihren persönlichen Erzählun-gen entstehen, sprechen diese Personen immer Texte, die für den „Auftritt“ als solchen geschrieben wurden. Insbesondere in den Bühnenstücken bricht deshalb die fiktive Realität der Erzählung, da diese Expert_innen nicht vor Aussetzern gefeit sind oder man ihnen das ungelernte Sprechen anmerkt. Der Text, wie au-thentisch er auch sein mag, steht auch im Sprechen der authentischen Figuren immer im Kontrast zur Fiktion der Inszenierung – oder anders gesagt, die Frage, wo die Linie zwischen Fiktion und Realität zu ziehen ist, bleibt unbeantwortet. Bei „Situation Rooms“, auch wenn es sich dabei um kein Bühnenstück im enge-ren Sinne handelt, schaffen es Rimini Protokoll eine unvollständige, gebrochene Perspektive auf ein globales Phänomen herzustellen. Im Vergleich mit der Ab-bildung des US-amerikanischen Situation Rooms und der Verselbstständigung dieses Bildes in seiner medialen Verbreitung, will die Arbeit kein abbildendes Verhältnis zwischen der Realität und dem Stück herstellen. Das leitet sich formal schon über die Erzählstruktur her: In der Konfrontation der unterschiedlichen

siegen! Es ist ganz einfach: Wir lokalisieren – feuern – vergessen!“62 Weitere Rol-len sind ein Protokollstabsoffizier, eine Aktivistin gegen die Finanzierung von Waffen, ein Manager eines internationalen Rüstungskonzerns, ein Mitglied des Bundestags, ein Hacker, ein Fabrikarbeiter und ein ehemaliger Soldat der israe-lischen Streitkräfte. In der begleitenden Publikation werden die Rollen zuerst als Rollen abgehandelt: als Soldat, als Politiker, als Flüchtling, oder als Hacker. In einem zweiten Absatz wird die authentische Person vorgestellt. In dieser Abfolge steht auch die Konstruktion der Rolle: Es geht nur sekundär um die Personen, die hinter den Rollen stehen. Aber es geht auch nicht um die Universalisierung der Biographie – die Rolle kippt immer wieder zwischen ihrem universalisierten Standpunkt (Hacker, Kindersoldat oder Arzt) und der Biographie der/der Ex-pert_in, deren Lebensgeschichte Material für die Rolle war.

Ebenso, wie es im Alltag unmöglich ist, die vielmals verzweigten Vernet-zungen eines globalen Phänomens wie des internationalen Waffenhandels zu verstehen, ist es in dem Stück nicht möglich, alle Rollen einzunehmen – und auch wenn, würde das die Totalität des Phänomens nie erfahrbar machen kön-nen.

Der Titel „Situation Rooms“ bezieht sich, will man den einleitenden Wor-ten in der Begleitpublikation folgen, auf die Bilder des Situation Rooms im Wei-ßen Haus, die nach der Ermordung von Osama Bin Laden 2011 um die Welt gin-gen. Der Situation Room, in dem weltweit gesammelte Informationen aufbereitet und als Grundlage für sicherheits- und geopolitische Entscheidungen herange-zogen werden, wird zur Darstellung einer Form von Gleichzeitigkeit, die den tat-sächlichen weltpolitischen Ereignissen, den geopolitisch wirksamen Angriffen vorausgehen. „Wo zuvor nur unzusammenhängende Information war, werden nun (…) verschiedene Orte räumlich verschränkt und zeitlich gekoppelt. (…) Si-multane Ereignisse werden an einen Raum rückgekoppelt, in dem verschiedene Perspektiven zu einem einzigen Blick werden. Bei aller Unübersichtlichkeit des

62 Rimini Protokoll 2013, S. 59.

63 Hirsch 2013, S. 12-13.

64 Vgl. u.a. Dreysse/Malzacher 2007, Jackson 2011, Dreysse 2011.

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Zeitlichkeiten der einzelnen biographischen Erzählungen werden einzelne Pers-pektiven, Zeugenschaften und Betroffenheiten zum globalen Phänomen des in-ternationalen Waffenhandels miteinander konfrontiert. Obwohl die Bewegung durch die Arbeit äußerst kontrolliert und durchaus linear abläuft, verwehrt sich die Arbeit gleichermaßen einer linearen Erzählstruktur. Man erlebt unweigerlich heterochrone Zeitlichkeiten in Form von Brüchen oder Überschneidungen. Ei-nem abbildenden Verhältnis verwehrt sich die Arbeit außerdem durch die Sicht-barmachung der Techniken, mittels derer die Realität in das Set und damit quasi auf die Bühne geholt wird. Alleine, dass die Expert_innen das Stück selbst in dem Set nachspielen und die Kameraperspektive auf den Tablet-Bildern dies immer wieder verdeutlicht, verweist auf diese Brecht-ähnliche Montage.65 Scheinbar ohne eine Lösung oder ein Argument anzubieten, behandelt „Situation Rooms“ ein internationales Phänomen in seiner internationalen Verstricktheit. Durch singuläre Betroffenheiten wird der Abstraktionsgrad des unzugänglichen The-menkomplexes des internationalen Waffenhandels reduziert und gleichzeitig die Abhängigkeit der Geschichten voneinander betont.

Die Arbeit insgesamt gibt mehrere Rätsel zu Fragen an Zeitlichkeit auf: In der unmittelbaren Erfahrung der Arbeit ist der/die Teilnehmer_in mit einzelnen biographischen Erzählungen konfrontiert, die immer selbst auch eine gewisse Nachträglichkeit im Moment des Wahrnehmens haben. Sie sind nicht nur bereits passiert, der/die Sprecher_in hat die Ereignisse, über die berichtet wird, bereits in einen Bedeutungsrahmen gesetzt. Durch das „Vorspielen“ der Rollen durch die Expert_innen, was auf der Tablet-Bilderebene eine wichtige Rolle einnimmt, ist auch unklar, wer wessen Auftritt probt: Simulieren die Expert_innen die Rolle der Teilnehmer_innen? Oder verhält es sich umgekehrt?

Gerade durch die Gaming-Anleihen der Arbeit muss die weiter oben ge-stellte Frage, wie die Begriffe Fiktion und Realität zu ordnen wären, noch weiter verkompliziert werden. Rimini Protokoll arbeiten immer wieder mit popkul-

turellen Verweisen, wofür sich Gaming-Referenzen bestens eignen: Die Ga-ming-Industrie ist nicht zuletzt mit fast 1,8 Milliarden Spieler_innen weltweit (und entsprechenden Umsätzen) einer der wichtigsten kulturindustriellen Zwei-ge der Gegenwart.66 Dennoch erscheint mir diese Dimension für das Verständnis zu kurz gefasst. Drei Aspekte von Spielen können als potentiell relevant angese-hen werden: erstens die Schaffung von Möglichkeitsräumen, die eine Ungewiss-heit des Ausgangs mit sich bringen (und insofern Kontingenz artikulieren kön-nen), zweitens das Spiel als dezidierter Konfliktraum und drittens die spezifische Zeitlichkeit des Spiels, die weder mit der hegemonialen Zeit der kapitalistischen Produktion, noch mit der Zeit der individuellen Konsumption deckungsgleich ist. Diese drei Aspekte tauchen in anderer Form auch bei Klassikern der Spiel-theorie auf: Roger Caillois sieht die Freiwilligkeit des Spiels, die Ungewissheit über seinen Verlauf, die Unproduktivität, die Regelhaftigkeit und die Vorspiege-lung einer fiktiven Wirklichkeit nämlich jener des Spiels als definitorische Eck-punkte.67 Diese fast utopischen Erwartungen an Spiele wurden selbstverständlich auch oftmals kritisiert, nicht zuletzt von Theodor W. Adorno, der auf das Werk „Homo ludens“ des Urvaters der Theorie des Spiels, Johan Huizinga, reagier-te und die Zeitlichkeit des Spiels vor allem als Wiederholung identifizierte als „Nötigung zum Immergleichen“68, die er mit der Praxis unfreier Arbeit verband. Wenngleich das Argument nachvollziehbar bleibt, spricht Adorno von wesent-lich anderen Spielen, als den zeitgenössischen, bildschirmbasierten Spielen. Was Adorno in der Rezeption von Huizinga allerdings als verbindend zwischen Kunst und Spiel benennt, ist das „Bewusstsein der Unwahrheit des Wahren“.69 Damit verweist er auf das, was Huizinga den „heiligen Ernst“ des Spieles genannt hat: Die Fiktion des Spiels so ernst zu nehmen, als wäre sie keine, während man sie aber durchwegs als solche entlarvt. Nicht ohne Grund hat der Aspekt des „heili-gen Ernst“ auch Georges Bataille Huizinga rezipieren lassen.70

Rimini Protokoll produzieren in ihrer Arbeit „Situation Rooms“ eine Gleichzeitigkeit, die sich auf ein transnationales Phänomen bezieht. Sie schaffen

65 Vgl. Dreysse 2007.

66 http://www.statista.com/statistics/293304/number-video-gamers/, zuletzt abgerufen am 05.12.2015.

67 Vgl. Caillois 2001.

68 Adorno 1973, S. 470.

69 Adorno 1973, S. 472.

70 Vgl. Pfaller 2010.

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eine Fiktion und verlangen ihr zeitgleich den „heiligen Ernst“ des Spiels ab. Miri-am Dreysse diskutiert Rimini Protokolls Fiktionalisierungen mit Blick auf Wolf-gang Isers Monographie „Das Fiktive und das Imaginäre“ (1993): „Die Auswahl der Experten und ihrer Berichte und die damit einhergehende Dekontextualisie-rung ebenso wie ihr dramaturgisches und szenisches Arrangement sind mithin Akte des Fingierens. Das Fiktive ermöglicht, das Imaginäre in eine konkrete Ge-stalt zu überführen sowie Realität umzuformulieren und neue Perspektiven auf sie zu eröffnen.“71 Der „heilige Ernst“ des Spiels bestätigt wiederum das Erken-nen der Fiktion, der Vereinfachung eines komplexen Phänomens, was allerdings nicht die Treffsicherheit und den konkreten Realitätsbezug untergräbt. Interes-sant in Bezug auf die Rezeption von Peter Osborne innerhalb dieser Arbeit sind neben der Ausarbeitung der Fiktion des Transnationalen in der Arbeit „Situation Rooms“ auch die zeitlichen Nähte, die niemals ohne Spannung im Rahmen der Arbeit verlaufen. Ebenjener glatte, homogene Raum des Transnationalen, der vom Kapital bevölkert wird, existiert für Subjekte nicht – das transnationale Sub-jekt erlebt zeitliche Grabenkämpfe, Unvereinbarkeiten und Widersprüche.

71 Dreysse 2007, S. 85.

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3.1. Die Unterbrechung der Stasis: Groys im Dialog mit Rancière

Kaum ein Aufsatz, der die Begriffsdiskussion von Gegenwartskunst auf-nimmt, kommt ohne einen Rekurs auf Boris Groys Text „Comrades of Time“ aus.72 Das mag daran liegen, dass Groys‘ Argumentation in einer unvergleichba-ren Klarheit einen Topos, der auch bei anderen Autor_innen anklingt, aufarbei-tet: die Gegenwart als Stasis. Im Kontext der Moderne war die Gegenwart etwas zu Vernachlässigendes, so Groys, denn in der Logik des Bruchs mit der Traditi-on, in der fortwährenden Schaffung des „Neuen“, war es nicht die Gegenwart, die im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, sondern die Zukunft. Die Gegenwart sollte im Namen der Zukunft überwunden werden. Die Gegenwart sei in ihrer Konstitution verhindernd; sie sei die Zeitlichkeit der Reflexion, der Analyse und damit der Verzögerung: „This is because the contemporary is actually constituted by doubt, hesitation, uncertainty, indecision – by the need for prolonged reflec-tion, for a delay. We want to postpone our decisions and actions in order to have more time for analysis, reflection, and consideration. And that is precisely what the contemporary is – a prolonged, even potentially infinite period of delay.“73

Die historische Bedingung – der Grund für seine Lesart der Gegenwart als Verzögerung – ist unser Bezug zur Moderne. Die Relation zur Moderne be-schreibt er nicht als Aufgabe oder als Zurückweisung („not abandon, not re-ject“), sondern als Analyse und Überdenken. Das leitet er wiederum über das Ende des Staatssozialismus her, was implizit eine datierbare, historische Schwelle für seine Gedanken einführt. Groys argumentiert generell für eine unmittelbare Verbindung zwischen the contemporary und contemporary art, was ihn auch zu folgender Aussage bringt: „Thus, contemporary art can be seen as art that is in-volved in the reconsideration of the modern projects.”74

Zusammengefasst verkehrt Groys die Erwartungen in Hinblick auf die Ge-genwart und die Zukunft zwischen Moderne und the contemporary. Wenn die Moderne für die Endlichkeit der Gegenwart einstand, die überwunden werden

sollte, um den verheißenden, unendlichen Horizont der Zukunft zu erreichen (i.e. mittels politischer Utopien), dann begegnen wir mit the contemporary ei-ner historischen Gegenwart, deren Gegenwart als unendlich begriffen wird, nachdem wir den Zukunftshorizont der Moderne verloren haben. Ein weiterer interessanter Punkt seiner Ausführungen ist, dass die künstlerische Arbeit der Moderne deshalb von einer Auslöschung der Zeit der Produktion gekennzeich-net sei – die vollendete künstlerische Arbeit vernichte die Zeit der Produktion, was umgekehrt durch die Glorifizierung des/der Produzent_innen (beispiels-weise über das Genie-Narrativ) kompensiert wurde. Die Erwartungen an eine Zukunft, in der sich die Resultate der Produktion der Künstler_innen oder der Praxis der Revolutionäre (um noch deutlicher auf die Avant-Garde anzuspielen) verwirklichen würden, wären nicht mehr haltbar, deshalb würden sich auch die (modernen) Orte der akkumulierten, angehäuften Zeit („accumulated time“) verändern. Damit meint Groys insbesondere Museen mit Sammlungspraxis und permanenten Sammlungsausstellungen, aber auch Archive und Bibliotheken.

„The present has ceased to be a point of transition from the past to the fu-ture, becoming instead a site of the permanent rewriting of both past and future – of constant proliferations of historical narratives beyond any individual grasp or control. The only thing that we can be certain about in our present is that these historical narratives will proliferate tomorrow as they are proliferating now – and that we will react to them with the same sense of disbelief. Today, we are stuck in the present as it reproduces itself without leading to any future. We simply lose our time, without being able to invest it securely, to accumulate it, whether utopically or heterotopically.”75

Gewisse zeitbasierte künstlerische Arbeiten, so Groys, würden diesen Umstand reflektieren, indem nicht-produktive, verschwendete, überflüssige Zeit (excess time) thematisiert werde. Dies passiere über die Darstellung von Aktivi-täten, die in der Zeit passieren, aber sich der Produktion insofern verwehren,

72 Vgl. Groys 2010.

73 Groys 2010, S. 25-26.

74 Groys 2010, S. 26.

75 Groys 2010, S. 28.

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als dass sie zu keinem Produkt führen. Ein paradigmatisches Beispiel für diese Herangehensweise sieht er in Francis Alÿs‘ Arbeit „Song for Lupita“ (1998); einer Animation, in der eine Frau Wasser von einem Glas in ein anderes leert. Diese Tätigkeit hat weder einen Anfang, noch ein Ende – vielmehr wird ein Vorgang wiederholt, der zur keinem Ergebnis führt – „[w]e are confronted with a pure and repetitive ritual of wasting time (…).“76

Die Wiederholung, der Loop, erscheint in Groys‘ Text als die essentielle Zeitlichkeit der Gegenwartskunst – wir sprechen dabei auch über eine Zeitlich-keit, die sich potentieller Historizität entzieht. Mit Bataille kommt er in einem Nebensatz auf eine zentrale Aussage zu sprechen: Zeitverschwendung wird zur Strategie gegen die Fortschrittsideologie der Moderne. Obwohl sein Ansatz si-cherlich zurecht meist als „Gegenwart als Stasis“ zusammengefasst wird, was auf kurze Sicht deterministisch oder pessimistisch klingt, geht es ihm um das Element der Unterbrechung (im Vergleich zur Zeitlichkeit der Moderne), das durch die Wiederholung herbeigeführt werden kann. „And under the condi-tions of our contemporary product-oriented civilization, time does indeed have problems when it is perceived as being unproductive, wasted, meaningless. Such unproductive time is excluded from historical narratives, endangered by the pro-spect of complete erasure. This is precisely the moment when time-based art can help time, to collaborate, become a comrade of time – because time-based art is, in fact, art-based time.”77 Entsprechende zeitbasierte künstlerische Arbeiten würden Zeitlichkeiten dokumentieren, die Gefahr laufen, aufgrund fehlender Produktivität marginalisiert bzw. überhaupt negiert zu werden. In der Betonung der unproduktiven Zeit wird natürlich eine Kritik, wie er es selbst sagt, an einer „produktorientierten Zivilisation“ deutlich. Es fällt schwer an dieser Stelle nicht an die Marx’sche Werttheorie zu denken, an die Idee der Korrelation zwischen abstrakter gesellschaftlicher Arbeit und (Waren-)Wert. Wasser fortwährend von einem Glas in ein anderes zu leeren, entzieht sich nicht nur dem Begriff von ab-strakter gesellschaftlicher Arbeit, sondern diese Handlung kann nicht einmal als

konkrete Arbeit begriffen werden. Problematisch wird dieser Gedanke, sobald man versucht, Groys Rolle von spezifischen, zeitbasierten künstlerischen Arbei-ten eine besondere Kritikfähigkeit auf dieser Ebene zuzuschreiben. Die künstle-rische Arbeit als „Werk“ entzieht sich aufgrund der Thematisierung von excess time noch lange nicht ihrem Warencharakter, sie kann aber auf gewisse Risse hinweisen. Interessanterweise schreibt Groys künstlerischen Arbeiten in der Ma-trix, die er entwirft, eine zentrale Rolle zu, indem sie nicht nur diejenigen sind, die mit dieser excess time arbeiten, sondern auch eine allzu pessimistische Lesart der „Immanenz der Gegenwart“78 unterbinden. Auch für politische Praxis kann die Betonung der Gegenwart eine Position stärken, deren Ziel nicht das Denken einer anderen Zukunft, sondern das Handeln in der Gegenwart ist.

In der Einleitung zu dem E-Flux-Sammelband, in dem Groys‘ Text er-schienen ist, zeichnen Julieta Aranda, Brian Kuan Wood und Anton Vidokle ein ähnliches Bild von der historischen Gegenwart und den entsprechenden Be-grifflichkeiten, auch sie sehen eine Gegenwart, die gewissermaßen in sich selbst gefangen ist – eine Verkürzung, gemäß deren Groys‘ Text oftmals rezipiert wird. „[T]he summation (…) does not admit to being critical or projective (in the grand tradition of modernist ideological voices), to denoting an inside and an outside, a potential project, but is simultaneously there, saying nothing.”79 Mit dieser Bestandsaufnahme liefern die Autor_innen auch die Notwendigkeit für die laufenden Begriffsdiskussionen: Auch wenn man the contemporary oder con-temporary art nicht zugestehen kann, die Rolle einer der großen Narrative der Moderne einzunehmen – es gewissermaßen anachronistisch wäre, dies zu tun – ist es gerade deshalb wichtig, über die Bedeutung des Begriffs zu diskutieren. Die Beweinung eines Bedeutungshorizonts in der Tragweite der Narrative der Moderne wirkt dann umso kontraproduktiver.

Durch die Veränderung in der Konzeption von spezifischen Zeitlichkei-ten (Gegenwart und Zukunft) und geopolitische Veränderungen, so könnte man

76 Groys 2010, S. 29.

77 Groys 2010, S. 32.

78 Aranda/Kuan Wood/Vidokle 2010, S. 7 (eigene Übersetzung, KB).

79 Aranda, Kuan Wood/Vidokle 2010, S. 7.

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Groys zusammenfassen, sind wir in einer historischen Gegenwart gelandet, die durch Stasis gekennzeichnet wird. Dies ist eine Gegenwart, in der gewisse große Narrative nicht mehr greifen. Aber heißt das tatsächlich, dass wir diese wirklich gänzlich verloren haben? Wie „post“ ist die historische Gegenwart?

Jacques Rancière argumentiert in seinem Text „In What Time Do We Live?“, dass die großen Erzählungen durch zwei Merkmale gekennzeichnet wä-ren. Einerseits handelt es sich um den Eindruck von historischer Notwendig-keit, den sie erwecken; andererseits um ihr Vermögen unsere Welt intelligibel zu machen. Der Eindruck von historischer Notwendigkeit, die Vorstellung von der Determiniertheit unserer Gegenwart, die Unmöglichkeit Alternativen zu formulieren, sprechen eher dafür, dass wir nicht in der Zeit nach den großen Erzählungen leben, sondern dass wir einer solchen auf den Leim gehen. Um die Logik eines umfassenden Narratives deutlich zu machen, erklärt er vorerst den Marxismus als Erzählung unter den Gesichtspunkten „Notwendigkeit“ und „Deutungsmuster“. Aus der „Notwendigkeit“ heraus, im Marxismus namentlich die kapitalistische Ausbeutung, werde nicht nur das Wissen über die Lage der Dinge generiert, sondern auch das Wissen um die Notwendigkeit, die letztlich zur Beendigung der kapitalistischen Ausbeutung führt: „The future will happen for the same reasons that kept it from being present.“80 Insofern biete uns dieses Narrativ das Wissen, das gelebte Phänomene intelligibel macht, und gleichzeitig auch die Werkzeuge für den Kampf für eine alternative Ordnung.

„Our time – meaning the dominant description of the state of things that constructs the frame of our present – has not rid itself of the Marxist mode of intelligibility of our lived world. It has only disconnected them from the sense of the possible with which they were linked. The celebrated end of the grand narra-tive changed only one articulation in that narrative: it changed the way in which it staged the relation between the possible and the impossible.”81

Das Narrativ konnte also den Modus der historischen Notwendigkeit bei-behalten, verlor gleichzeitig aber seine eingeschriebene Selbstzerstörung (im Sinne des Horizonts der Zukunft, der Revolution etc.), was laut Rancière dazu führt, dass dieses Narrativ in unserer Zeit lediglich ein Mittel der Rechtfertigung des dominanten Modus des Wirtschaftens geworden sei. Diese Anmerkungen erklären einerseits, woher die von Groys und anderen Autor_innen konstatierte, sich selbst immerfort reproduzierende Gegenwart kommen könnte. Rancières Antwort auf die Fragen nach den Mechanismen dieser Veränderung ist eine spe-zifische Verwendung von Zeit in diesem Narrativ, sodass diese bestimmt, was möglich ist, und was nicht. Einerseits geht es ihm um den Einsatz homogener, einzigartiger, linearer Zeit, was aber für die Differenzen zur Moderne nicht als Erklärung ausreichen würde. „That homogeneous time is also a principle of in-ner differentiation: it is a time that makes those who live in it unable to master it, unable to understand what it makes possible or impossible, always walking too slowly or too fast to be contemporaneous with the intelligence of the process. Both construct at once a global one-way time and an inner differentiation of that time that makes the individuals who live in it unable to understand how it proceeds and where it leads.”82 Dieser zeitliche Plot bestimmt Rancière zufolge, was möglich und was unmöglich sei und führt so Unterscheidungen zwischen Zeitlichkeiten und entsprechenden Kapazitäten ein. Seine zentrale Kritik an anderen Bestandsaufnahmen unserer Gegenwart ist Herstellung von Identität zwischen einer globalen Zeit (im Regelfall jener des Kapitals) und der individu-ellen Zeitlichkeit des einzelnen Lebens. Diese Identität stelle die Dominanz einer absoluten Gegenwart dar, einer Gegenwart in der Produktion, Konsumption, Information usw., die allesamt die gleiche Geschwindigkeit hätten. Er wendet dagegen ein, dass unsere Zeit nicht nur über die Geschwindigkeit des Kapitals schematisiert werden könne, sondern vor allem von denjenigen Institutionen be-stimmt werde, deren Fokus die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung von Zeitlichkeiten sei: „Our world does not function according to a homogenous

80 Rancière 2012, S. 13.

81 Rancière 2012, S. 14.

82 Rancière 2012, S. 20.

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process of presentification and acceleration. It functions according to a regulati-on of the convergence and divergence of time.“83

Zeit ist für Rancière also ein zentrales Mittel von Herrschaft – ein Weg, der sich gegen diese Herrschaft wendet, muss sich demnach auch gegen ihre Zeit wenden. Das bedeute zuallererst gegen die Homogenität der Zeit einzustehen, die Idee eines globalen „Fortschritts“ als Fiktion zu demaskieren und die Do-minanz spezifischer Zeitlichkeiten als solche lesbar zu machen. Er benennt zwei Strategien gegen die herrschende Zeitlichkeit, die er als Intervalle und Unterbre-chungen identifiziert.

Intervalle sind für ihn Zeitlichkeiten, mittels derer die herrschenden zeit-lichen Rhythmen und Zäsuren neu ausverhandelt werden, was bei ihm insbe-sondere bei der Organisation von Arbeit und Freizeit (über beschleunigte und verlangsamte Zeitlichkeiten) eintritt. Bezogen auf seine Studie „Die Nacht der Proletarier. Archive des Arbeitertraums“ (1981) beschreibt er zwei Beispiele für diese neuen Intervalle: Indem beispielsweise die Arbeitsunterbrechungen nicht als Pause (von der Arbeit), sondern als Freizeit behandelt werden, wurde die Un-terscheidung zwischen den beiden verwischt; oder durch das Training von gewis-sen Fähigkeiten, aus denen auch in der Freizeit ein Vorteil gezogen wurde. Durch die Neuaufteilung der handwerklichen Fähigkeiten und ihrer Bestimmung wur-de die Arbeitszeit gewissermaßen seitens der Arbeiter_innen angeeignet. „This is what emancipation means: the practice of dissensus, constructing another time in the time of domination, the time of equality within the time of inequality.“84

Eine Unterbrechung hingegen ist für ihn ein “ (…) moment when one of the social machines which structure the time of domination breaks down and stops”.85 Neben den offensichtlichen Beispielen, wie etwa Störungen im öffent-lichen Verkehr, werden u.a. jene Politiken anvisiert, die auf der Straße gemacht werden und die sich implizit gegen die Zeit des Politischen, die Zeit der Wahlen, richten. Es geht ihm insgesamt, meiner Ansicht nach, in der Beschreibung die-

ser Strategien, um den Punkt des widerständigen Charakters, der Formulierung eines Dissenses gegen die dominierende zeitliche Ordnung, was durch Gleich-zeitigkeit oder Überlagerung von verschiedenen Zeitlichkeiten erreicht werden soll. Die dominierenden Zeitlichkeiten werden durch die Schaffung dissensualer Zeitlichkeiten unterlaufen: „(…) emancipation is in fact a way of putting several times into the same times, it is a way of living as equals in the world of inequa-lity. The forms of subjectivation through which individuals and groups distance themselves from the constraint of the ‘normal’ time are at once ruptures in the sensory fabric of domination and ways of living in its framework.”86

Zwischen Groys‘ Gedanken zur excess time und Rancières Überlegungen zur Gegenwart gibt es fruchtbare Anknüpfungspunkte, die reziprok den jeweils anderen Text luzider machen: Groys‘ Verwendung von unproduktiver Zeit imi-tiert nicht jene Gegenwart, die als Stasis wahrgenommen wird, mit Rancière kön-nen wir argumentieren, dass sie diese unterbricht. Die konstatierte Stasis speist sich nicht aus dem erreichten Telos unserer Geschichte, das jegliche Zukunft ve-runglimpft hat, sondern das autoreproduktive Stillstehen unserer Gegenwart ist ein zentrales Moment ihres inneren Funktionierens, ihres ideologischen Gehalts. Groys‘ excess time gibt vor, sich an diese Bedingung mimetisch anzunähern, und dennoch öffnet sie den Blick auf ebendiese. Groys‘ Konzept kann in einem letzten Schritt mit Rancières Verwendung des Foucault’schen Lehnbegriffs der Heterochronie enggeführt werden. Am Ende seines Aufsatzes führt Rancière den Begriff ein, um Kunstpraxen zu beschreiben, die wie Maschinen oder Di-spositive funktionieren und alternative Lesarten der Gegenwart ermöglichen. Heterochronien versteht er als die Kombinationen von Zeitlichkeiten, die nor-malerweise nicht kompatibel wären – wie die Zeitlichkeiten von Konsens und Dissens, von Herrschaft und Emanzipation. „A heterochrony“, so Rancière, „is a redistribution of times that invents new capacities of framing a present.“87

83 Rancière 2012, S. 20.

84 Rancière 2012, S. 28.

85 Rancière 2012, S. 29.

86 Rancière 2012, S. 31 -32.

87 Rancière 2012, S. 36.

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3.2. Praxen der Gegenzeit bei Mathias Poledna und Michael Asher

Um zum Einstieg auf Groys eigenes Beispiel von Francis Alÿs‘ Arbeit „Song for Lupita“ zurück zu kommen: Gerade weil sie in einer globalen Ökonomie als Ware gehandelt werden kann, verbindet die Arbeit verschiedenen Zeitlichkeiten – jene der globalen Ökonomie und eine Zeitlichkeit, die sich in ihrer sinnlosen Wiederholung jeglicher Aneignung als Arbeitszeit durch die Verweigerung von Produktivität entzieht. Oder: Da Alÿs eine Zeitlichkeit dokumentiert, die auf-grund der fehlenden Produktivität (historisch) marginalisiert wird, tritt er für eine Zeitlichkeit des Dissens ein.

Als ein anderes Beispiel für eine Zeitlichkeit des Dissenses kann man Ma-thias Polednas 35-mm-Farbfilm „Imitations of Life“ lesen, der im Zuge des Ös-terreichischen Beitrags zur Biennale in Venedig 2013 gezeigt wurde. In dem Film wird eine Cartoon-Figur im Stil der Disney-Filme der 1930er Jahre, ein Esel im Matrosenkostüm, durch eine Disney-Traumwelt geführt. In der dreiminütigen Arbeit wacht der besagte Esel in einem Wald auf und wird von einem Vogel ge-fragt, wie er dahin gekommen sei. Der Esel trällert die eingängige Melodie und den Text von „I’ve got a feeling you‘re fooling…“, begleitet von einem Orchester. Fabelhaft wird der Esel in Folge der Frage nachgehen, was er im Wald tut, Vö-gelchen verwandeln Blumen und Schmetterlinge, und sein Spiegelbild zu einem Fisch. Der Film besticht nicht nur durch die schlichte Nostalgie, die solche Bilder in den Zuseher_innen hervorrufen können; er lehnt sich nicht nur ästhetisch an seine Disney-Vorbilder an, sondern bringt auch die kostenintensive Produk-tion des goldenen Zeitalters der US-amerikanischen Animation in die Gegen-wart. Mathias Poledna ließ tausende Zeichnungen, aquarellierte Hintergründe und Tuschezeichnungen für die Figuren erstellen und produzierte den Trickfilm analog in Los Angeles. Die Musik, zu der der Esel singt, wurde von einem Or-chester in den Warner Brothers Studios in Los Angeles eingespielt und verbindet Originalmusik für das Projekt mit einer neuen Einspielung eines Hits von Art-

hur Freed und Nacio Herb Brown. Die Verwendung von dermaßen aufwändigen Produktionstechniken wurde selbstverständlich auch seitens der Kritik als ein zentrales Merkmal der Arbeit diskutiert. Von Bedeutung, auch in Hinblick auf die Fragestellung dieses Textes, erscheint mir die Verwendung der Produktions-techniken und auch der Zeit der Produktion als künstlerisches Mittel. Die Tat-sache, dass Poledna historische Produktionsformen gewählt hat, ist konstitutiv für den Film – gerade weil er auch als Unterhaltungsprodukt konsumiert werden kann. „In Imitations of Life ist der unsichtbare Riss, der den Zauber des Kinos ga-rantiert, maximal aufgespreizt: der enorme Arbeits-, Kosten- und Zeitaufwand, der in der Produktion von Imitations of Life steckt, ist im kurzweiligen Genuss, den das dreiminütige Trickfilmmusical gewährt, quasi vergessen.“88 Poledna be-zieht sich gleichzeitig aber auch auf die eskapistische Funktion des Trickfilms der 1930er und 1940er Jahre: die Entstehung und Blüte des US-amerikanischen Trickfilms nach den Jahren der Großen Depression, in Zeiten von Krise, Krieg und Stagnation. Die Parallelen zur Gegenwart wurden ebenso von vielen Kri-tiker_innen-Stimmen gezogen, wie die Geschichte von Disney-Filmen auf den Filmfestspielen in Venedig; zentral für die Polednas Verwendung von Zeitlich-keit als Material erscheint mir allerdings noch ein anderer, dritter Punkt. Dabei handelt es sich gewissermaßen um die Allegorisierung von Groys‘ Stasis-Diag-nose oder von Post-Histoire-Bestimmungen. Angelika Seppi fragt nicht zu Un-recht: „Wer möchte sich denn wünschen in der Haut des Esels zu stecken? Orien-tierungs-, geschichts- und bewusstlos im Fahrwasser des kinematographischen Stromes treibend, von unsichtbaren Händen gezeichnet, von einem unsichtbaren Orchester dirigiert, von einem unsichtbaren Apparat in Bewegung gesetzt?“89 Die Arbeit überhöht damit ihren vordergründig leicht verdaulichen Charakter, indem sie dieser Form von Unterhaltung den Spiegel des instrumentalisierten Eskapismus vorhält.

88 Seppi 2013.

89 Seppi 2013.

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Eine Arbeit Michael Ashers, im Herbst 1973 realisiert, zeigt weitere Strate-gien in Hinblick auf die Vollziehung einer „Gegenzeit“. Im September 1973 ließ Asher in der Galerie Heiner Friedrich in Köln die Decke der Galerieräumlichkei-ten im Farbton des Bodens streichen und griff an anderen Stellen noch minimal in den Raum ein. Übrig blieben leere, offene Räumlichkeiten, die durch den neu-en Farbton der Decke explizit eingefasst wurden, die „die arbiträre Anordnung und Beweglichkeit des Mobiliars – der Stühle, die gestapelt im Sekretariat stehen, der Bücher, der Bilder, die an den Wänden lehnen – auffällig“90 haben werden lassen. „Funktional betrachtet aber ist das Werk überhaupt nichts Materielles, sondern konstituiert sich als jene Konstellation, die die abstrakte Sichtbarkeit, das immaterielle Produkt der Galerie, auf diese selbst als den Ort ihrer Produk-tion zurücklenkt. In die Struktur des Werks ist so explizit die Zeit integriert: die Zeit, in der die Galerie diese Arbeit von Asher und keine andere ‚zeigt‘.“91 Galerien verkaufen Kunst, und Michael Asher lässt in die verkaufsorientierten Produktionsmodi der kommerziellen Galerie eine Arbeit einziehen, die sich ge-rade dem entzieht: Er raubt der Galerie ihren Zweck mit seiner ortsspezifischen Arbeit, indem er die Sichtbarkeit auf den Raum selbst und seinen Zweck zurück-lenkt, ohne ein verkäufliches Produkt beizusteuern. Die Zeit der Ausstellung, der verkaufsorientierten Präsentation, wird so bei Asher zu einem Offenlegen der Produktionsmodi der Galerie selbst. Ähnliche Strategien in Bezug auf das Hervorteten von Raum und Zweck hat Asher, ebenfalls im Herbst 1973, in der Galleria Toselli in Mailand durchgeführt.

90 Egenhofer 2010, S. 139.

91 Egenhofer 2010, S. 142.

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Wissen, um das Licht, das hinter der Dunkelheit steckt: Man kann in dieser Stelle die Zeitgenoss_innen, die Agamben umschreibt, als diejenigen verorten, die ent-weder dieses Wissen teilen, oder die kritische Frage nach der Dunkelheit stellen. Auch Agamben beschreibt die Gegenwart als etwas, das immer verpasst werden würde, weil man immer zu früh oder zu spät sei: Er bezieht sich dabei auf die immer wieder zitierte ephemere Natur der Gegenwart, auf die Problematik, das der gegenwärtige Moment immer entweiche – entweder er war gerade noch Zu-kunft, oder er ist bereits Vergangenheit. Dies bekommt, sofern man Agambens Ansatz eine politische Bedeutung einschreiben will, eine besondere Dynamik, da das Erkennen der „Dunkelheit“, beispielsweise von politisch wirksamen Aus-schlussmechanismen, niemals nur aus dem gegenwärtigen Moment gespeist sein kann – vielmehr wurzelt die gegenwärtige Erkenntnis im Wissen um die Genese der „Dunkelheit“ oder in der Projektion ihrer Zukunft. Terry Smiths Lesart der historischen Gegenwart lässt ebenso anachronistische Lesarten zu. Obwohl er keine kritische Zeitgenossenschaft innerhalb seines Konzepts bevorzugt, kons-tatiert er, dass nach den Epochen der großen Erzählungen das Konzept von the contemporary, das einzige ist, das für die Beschreibung unserer Gegenwart grei-fe. Die gleichzeitige und teils nicht vereinbare Existenz unterschiedlicher Modi des Daseins in und mit der Zeit sowie globale Ungleichheiten stellen eine Seite der Medaille dar – die Globalisierung und insbesondere die Zunahme der Ge-schwindigkeit von Kommunikationsmöglichkeiten die andere. Beide Seiten füh-ren dazu, dass die Gegenwart von Asynchronien geprägt ist: „(…) the concept of the ‚contemporary‘, far from being singular and simple – a neutral substitute for ‚modern‘ – signifies multiple ways of being with, in, and out of time, separately and at once, with others and without them. These modes, of course, have always been there. The difference nowadays is that the multiplicities of contemporary being predominate over the kinds of generative and destructive powers named by any other comparable terms (for example, the modern and its derivatives). After the era of grand narratives, they may be all that there is.”94

4.1. Anachronismus/Anachronie

Im Zuge der begrifflichen Diskussion über die historische Gegenwart stieg das Interesse am Begriff des Anachronismus, zitiert werden in solchen Fällen meist Giorgio Agamben und auf kunsthistorischer Seite Terry Smith. In den kommenden Zeilen werde ich kurz Agambens und Smiths Argumente rekapitu-lieren, um anschließend mit Georges Didi-Huberman und Jacques Rancière zu fragen, welche Konsequenzen diese Aneignung der „Tödsünde“92 des/der Histo-riker_in für (kunst-)historiographische Überlegungen hat. Was können wir von der historischen Gegenwart lernen?

Agamben bezieht sich auf Nietzsche, um die Zeitgenossenschaft als eine Unterbrechung, ein Nicht-Übereinstimmen mit der eigenen Zeit zu definieren. Die wirklichen Zeitgenoss_innen, die tatsächlich die Gegenwart mit ihrer Zeit teilen würden, stimmen nicht mit ihrer Zeit überein und passen sich nicht an ihre Anforderungen an. „Contemporariness is, then, a singular relationship with one’s own time, which adheres to it and, at the same time, keeps distance from it.“93 Agamben erweitert diese Herangehensweise um die Anmerkung, dass ein Zeitgenosse nicht nur in gewisser Unterbrechung seine Zeit sehe, sondern ins-besondere die Dunkelheit und nicht das Licht derselben wahrnehme. Licht und Dunkelheit wirken wie poetische (bis hin zu esoterischen) Beschreibungen, die eingeschriebene politische Bedeutung, wie ich meine, zeigt sich allerdings durch die eingangs paraphrasierte Bemerkung, dass der/die Zeitgenoss_in nicht mit seiner Zeit übereinstimme, da er sich ihr nicht unterordne. Licht und Dunkelheit können einerseits als Allegorie gelesen werden, als das Sichtbare, Wahrnehm-bare, Denkbare und Sagbare – das Wahrheitsregime mit Rancière. Andererseits führt Agamben auch aus, dass Licht und Dunkelheit am Firmament zu beob-achten wären: Die Dunkelheit zwischen den Gestirnen und Satelliten entspricht der Gegenwart von Galaxien, deren Licht uns aufgrund ihrer Distanz, und ihrer Bewegung weg von uns, nie erreichen kann. Die Astrophysik liefere uns dieses

92 Rancière 2015, S. 33.

93 Agamben 2009, S. 41.

94 Smith 2009, S. 6.

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Über eine andere Zeit als die eigene zu schreiben, eine künstlerische Ar-beit in einer anderen Zeit als der eigenen zu konzipieren, scheint der zeitgenös-sischen Praxis als grundlegende Bedingungen eingeschrieben zu sein. Der si-cherlich bekannteste Kunsthistoriker, der sich mit dem Thema Anachronismus, beschäftigt, ist Georges Didi-Huberman. Er schreibt dem kunsthistorischen Ob-jekt, bei ihm meist bezogen auf das Bild, einen grundlegenden Anachronismus zu: „(…) one must understand that in each historical object, all times encoun-ter one another, collide, or base themselves plastically on one another, bifurca-te, or even become entangled with each other.“95 Didi-Huberman geht in dem Text „Before the Image, Before Time” genauer auf ein Bespiel, einen Ausschnitt von Fra Angelicos „Madonna der Schatten“ (1440-1450), ein. Der Ausschnitt, mit dem er sich beschäftigt, ist überraschend abstrakt, weder Gegenständliches, noch Figuratives ist zu erkennen. Seine erste Frage gilt der Marginalisierung des Bildes: Wie kann es möglich sein, dass in einer so gut dokumentierten Zeit wie der italienischen Renaissance, ein Teil eines Bildes (zudem noch auf Augen-höhe) ignoriert wird, unter den Tisch fällt? Welche Weichenstellungen in der Disziplin, in der Ordnung des Diskurses, wie er mit Rekurs auf Foucault sagt, führen zu diesem Versäumnis? In der Ablehnung des Anachronismus seitens des/der Historiker_in ist es die Quellenkritik, die zur Erklärung eines histori-schen Objekts herangezogen wird: Wenn ein Objekt Fragen aufwirft, sind die Antworten in der Zeit des Objekts selbst zu suchen, dies entspreche einer Suche, einem Bestreben [quest] nach Übereinstimmung der Zeiten, nach euchronisti-schem Gleichklang. Indem er etabliert, dass die reine Zeitzeug_innenschaft nur begrenzte Aussagekraft hat – beispielsweise kann Albertis Schrift De Pictura, quasi der Zeitgenosse der Renaissance par excellence, nur begrenzt für das Ver-ständnis weiterhelfen – stellt er die Frage, ob Zeitgenoss_innenschaft überhaupt möglich ist. Didi-Hubermans Antwort darauf ist, dass Zeitgenoss_innenschaft immer durch Anachronismus geprägt sei: „All that leaves the impression that contemporaries often fail to understand one another any better than individuals

who are separated in time: all of the contemporaneities are marked by anachro-nism. There is no temporal concordance.”96 Dies führt allerdings nicht zu einem epistemologischen „Anything goes“, sondern zu der Konstatierung, dass dieser Umstand, wie eingangs bemerkt, im historischen Objekt selbst eingeschrieben ist. In Bezug auf das diskutierte Fresko hält Didi-Huberman mindestens drei heterogene Zeiten fest und diskutiert vier mögliche Lesarten des Bildes, um zu zeigen, wie überdeterminiert ein einzelnes Bild ist: „The image is therefore highly determined with regard to time. That implies the recognition of the functional principle of this overdetermination in a certain dynamic of memory. Well before art had a history – which began, or began again, it is said, with Vasari – images had, bore, produced memory.”97 Indem er das Bild zu einem zeitlichen Knoten macht, indem vergangene Zeiten und Ideen im Bild „nachleben“ können, treten diese symptomhaft in die Gegenwart ein. Die Vergangenheit kann mitunter nicht ausreichen, so sein Argument, um historische Objekte zu erklären: „What such a visuality demands is that it be envisaged from the perspective of its memory, that is, its manipulations of time.“98 Der Künstler der „Madonna der Schatten“ ist damit ein Künstler der historischen Vergangenheit, aber auch ein Künstler, der Zeiten, die nicht die seinigen waren, manipuliert – das steht im Zentrum von Didi-Hubermans Begriff von Erinnerung. Um solche historischen Objekte zu entdecken, braucht es im Vergleich zur „more-than-past“ des Fra Angelico auch eine Gegenwart, die „more-than-present“ ist, des/der Kunsthistorikers_in. In Didi-Hubermans „Entdecken“ des historischen Objekts, das von der For-schung marginalisiert wurde, ist es das irritierend-anachronistische Moment der Analogie zwischen Jackson Pollocks Drip Paintings und Fra Angelicos Fresko: Wenngleich Vergleiche zwischen den Genannten offensichtlich keinen Erkennt-nisgewinn bringen, ist es die Gegenwart des/der Historiker_in, die das Werk als solches emergieren lassen. Bilder sind, so Didi-Huberman, in ihrer Zeitlichkeit weder idealisiert lesbar, noch vertreten sie eine singuläre Zeitlichkeit: Sie sind „unrein“ bezogen auf ihre Zeitlichkeit, komplex und überdeterminiert. Sofern

95 Didi-Huberman 2003b, S. 131.

96 Didi-Huberman 2003a, S. 37.

97 Didi-Huberman 2003a, S. 39.

98 Didi-Hubermann 2003a, S. 40.

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man diese Herangehensweise an die Objekte der Forschung anerkennt, muss man auch eine Geschichte von polychronistischen, heterochronistischen oder anachronistischen Objekten anerkennen, so Didi-Huberman.

Zurückkommend auf das eingangs genannte Zitat von Terry Smith könnte man fragen, ob der Dsychronismus, der manchmal die Form des Anachronismus einnimmt, keine spezifische Bedingung der historischen Gegenwart ist, sondern eine Bedingung, die auch in der Vergangenheit verortet werden kann. Dies wür-de auch bedeuten, dass die Periodisierungs- und Klassifizierungsbegriffe genau jenes tun, was man ihnen vorwirft: Die Objekte, die durch die historischen Kate-gorien intelligibel gemacht werden, einander gewaltsam anzugleichen – auf sich nehmend, dass jene Objekte, die nicht mit den historischen Werkzeugen verstan-den werden können, marginalisiert werden.

Einer ähnlichen Fragestellung stellt sich auch Jacques Rancière in seinem Text „Der Begriff des Anachronismus und die Wahrheit des Historikers“ indem er untersucht, weshalb in Anschluss an Lucien Febvre und die Annales-Schule der Anachronismus die „Todsünde“ des/der Historiker_in sei, um letztendlich den positiv konnotierten Begriff der Anachronie einzuführen.99 Das Problem des Anachronismus ist nicht nur ein Problem der Chronologie, so Rancière, und damit ein horizontales Problem – es geht nicht nur darum, eine chronologische Aufeinanderfolge durch historische Werkzeuge durcheinander zu bringen. Es handelt sich auch um ein vertikales Problem: um die Frage, was einer spezifi-schen Zeit an Wahrheit zugeordnet wird. Nicht einzelne Daten werden in eine zeitlich nicht akzeptierte Reihenfolge gebracht, sondern Epochen bzw. Wahr-heitsregime. Gewisse Phänomene der Vergangenheit werden von einer spezifi-schen Wahrheit der Geschichte begleitet, die als der Zeit immanent gelesen wird. Rancière nimmt Febvres‘ Argumentation in „Das Problem des Unglaubens im 16. Jahrhundert: Die Religion des Rabelais“ (1942) zum Anlass, um die normie-rende Funktion des Anachronismus-Vorwurfs zu erläutern. François Rabelais,

ein Schriftsteller und Ordensbruder der Renaissance, so wurde es von anderen Autoren angeregt, hätte seine tatsächliche Ungläubigkeit in seinen Schriften durch Ambivalenzen und parodiehafte Doppeldeutigkeiten versteckt, da er die-se nicht offen artikulieren hätte können. Rancière interessiert daran vor allem Febvres Replik, nämlich dass es anachronistisch wäre, Rabelais Ungläubigkeit zu unterstellen: „Das bedeutet, ein Denken zum Zeitgenossen der Zeit von Rabelais zu machen, das nicht zu dieser Zeit gehört.“100 Rancières Punkt ist, dass sowohl jede Nicht-Übereinstimmung eines Zeitgenossen mit seiner Zeit, als auch das Absprechen einer grundsätzlichen Kontingenz von historischen Ereignissen, diesen Anachronismus auszeichne. Es geht nicht darum, dass ein Phänomen zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt nicht existiert hat, sondern dass es nicht existieren hat können. Da Rabelais‘ Zeit ganz und gar vom Glauben durchdrungen war, auch in der Organisation der täglichen Intervalle, „(…) er-laubte [sie] es ihm nicht, nicht zu glauben, weil die Form der Zeit mit der Form des Glaubens selbst identisch ist. Die Zugehörigkeit zu einer Zeit bedingt für die Sterblichen selbst die Tatsache, zu existieren. Somit ist diese Zugehörigkeit zu einer Zeit voll und ganz identisch mit der Zugehörigkeit zu einem Glauben. Nicht an den Glauben seiner Zeit zu glauben, hätte für Rabelais bedeutet, nicht zu existieren.“101 Um ein Objekt der Geschichte sein zu können, muss man also mit seiner Zeit sein, zu seiner Zeit gehören – man muss gemäß des Wahrheits-regimes der eigenen Zeit existieren. Diesen offensichtlich politischen Gehalt der Historiographie der Annales-Schule bezeichnet Rancière als „anti-historisch“, weil er eine grundlegende Bedingung für Geschichtlichkeit verbirgt: Die Ge-schichte wird von denen, die nicht zu ihrer Zeit passen, die mit ihrer Zeit bre-chen, gemacht. Insofern ist das Verbinden von verschiedenen Zeitlichkeiten eine Grundbedingung für Geschichte. Didi-Hubermans Rezeption von Fra Angelico deutet auch auf ein sehr ähnliches Nicht-Übereinstimmen der Zeitlichkeiten von Zeitgenoss_innen und zwischen Zeitgenoss_innen und der des dominierenden Prinzips von Zeitlichkeit der jeweiligen Gegenwart. Diese dominierenden Zeit-

99 Vgl. Rancière 2015.

100 Rancière 2015, S. 39.

101 Rancière 2015, S. 50.

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lichkeiten im Zuge historischer Arbeit zu wiederholen heißt nichts anderes, als die dominierenden Prinzipien der jeweiligen Zeit zu wiederholen – mitunter mit ihren Marginalisierungen und Repressalien. Rancière führt dagegen den positi-ven Begriff der Anachronie ein: „Ereignisse, Begriffe, Bedeutungen, die die Zeit gegen den Strich bürsten, die den Sinn in einer Weise zirkulieren lassen, die jeder Zeitgenossenschaft, jeder Identität der Zeit mit ‚sich selbst‘ entgeht. Eine Anach-ronie, das ist ein Wort, ein Ereignis, eine signifikante Sequenz, die ‚ihre‘ Zeit verlassen haben, zugleich ausgestattet mit dem Vermögen, noch nie dagewesene zeitliche Weichenstellungen zu definieren und den Sprung oder die Verbindung von einer Linie der Zeitlichkeit zu einer anderen zu gewährleisten.“102

4.2. Sherrie Levines Appropriation kanonisierter Geschichte

Die Arbeiten der US-amerikanischen Künstlerin Sherrie Levine gelten als Paradebeispiel für jene Künstler_innen, die unter dem Label Appropria-tion Art firmieren. Die wahrscheinlich bekanntesten ihrer Werke sind die Fo-toserie „After Walker Evans“ (1981) und die Arbeit „Fountain (after Marcel Duchamp)“ (1991), in denen sie unterschiedliche Strategien der Aneignung von bereits kanonisierten, kunsthistorischen Referenzen anwendete.

Für „After Walker Evans“ fotografierte Levine Reproduktionen von Wal-ker Evans‘ berühmten Fotografien aus dem Buch „Let Us Now Praise Famous Men“ (erstmalige Veröffentlichung 1941) aus der Zeit der Großen Depression. Die Fotografien von Walker Evans entstanden 1936 und portraitieren das Le-ben von drei verarmten, weißen Farmerfamilien in den Südstaaten, sogenannten Sharecroppers. Als Sherrie Levine die Reproduktionen von Evans Bildern abfoto-grafierte, war Evans längst in die Geschichte sozialdokumentarischer Fotografie eingegangen – nicht zuletzt durch seine Retrospektive im Museum of Modern Art in New York im Jahr 1971.

Sherrie Levine beschäftigte sich nicht erst seit ihrer Arbeit „After Walker Evans“ mit Aneignung und Repräsentation von Bildern und im Bild. Sie ist eine der Künstler_innen, die gemeinhin zur „Pictures-Generation“ gezählt werden; – benannt nach der Ausstellung „Pictures“, die Douglas Crimp 1977 im New Yorker Kunstraum Artists Space kuratierte und vergewissert durch die Ausstellung „The Pictures Generation“ im Metropolitan Museum of Art in New York 2009. Andere Künstler_innen, die Douglas Crimp zeigte, waren Cindy Sherman, Robert Longo oder Troy Brauntuch; Douglas Crimps Ausstellung gilt als Referenzpunkt für die US-amerikanische Diskussion zur Postmoderne in der bildenden Kunst.

Juliane Rebentisch diskutiert Crimps Katalogtexte zur Ausstellung, um he-rauszuarbeiten, dass es Fragen von Realismus und Repräsentation sind, welche 102 Rancière 2015, S. 50.

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die sogenannte „Pictures Generation“ zusammenführen. Der Kern deren An-liegen sei nicht, wie gemeinhin angenommen, in der Ablehnung von künstleri-scher Autonomie zu finden; einer Ablehnung, die über den Abbau der Grenzen zwischen Kunst und Kulturindustrie durch die wechselseitige Bilderflut argu-mentiert wird.103 Crimp zeigte im Zuge der Ausstellung eine Arbeit von Sherrie Levine, in der sie den Umriss von erkennbaren Silhouetten amerikanischer Prä-sidenten als Cut-Outs verwendete, um dahinter den Blick auf Medienbilder von Müttern und Kindern freizulegen. Zentral sei dabei, mit Juliane Rebentisch, dass „(…) die Vorlagen hier in einer Weise bearbeitet [werden], dass der Schluss von der Repräsentation auf das Repräsentierte gestört wird.“104 Interessant an einer Neuformulierung von Fragen des Realismus sei außerdem, dass es nicht um ein mimetisches Verständnis zwischen Wirklichkeit und realistischer Darstellung gehe, sondern dass das Verhältnis zwischen Realismus und Wirklichkeit als Di-alektik gedacht werden müsse. „Das Bild der Wirklichkeit entsteht erst durch die realistische Darstellung; aber das, was dargestellt wird, gilt als ein wie auch immer latent Gegebenes, sonst handelt es sich nicht um eine realistische Darstel-lung. Das realistische Projekt bringt heraus, macht sichtbar – realisiert -, was als Wirklichkeit gegeben ist.“105

Die Repräsentation selbst wird dabei als konstitutiver (und durch Macht-strukturen geprägter) Teil der sozialen Wirklichkeit angenommen, Repräsen-tationen seien ein „Bestandteil der Materialität sozialer Wirklichkeit“106 – und werden dadurch zum Interesse für die Künstler_innen der Pictures-Generation. Es geht also zusammengefasst darum, einen Bruch zwischen der Repräsentation und dem Repräsentierten einzuziehen, um auch die Perspektive auf jene Bilder, über die bereits anerkanntes kulturhistorisches Wissen besteht, offensiv zu ver-schieben. Meiner Ansicht nach ist es zentral, dass es in der Wiederholung, die Levine bei „After Walker Evans“ durchführt, nicht um die Repräsentierten von Evans geht, nicht um die Sharecroppers in Alabama, sondern um das Bild in sei-ner bereits fixierten Stellung in der Kunstgeschichtsschreibung. Auch das Bild

in der Kunstgeschichtsschreibung ist Teil von und fixiert soziale Wirklichkeiten: Im Kontext von Levines Aneignungspraxis wird oft erwähnt, dass sie Akte von Künstlersubjekten wiederholt, die in einer paradigmatischen Weise das männli-che Künstlersubjekt als Genie in der Kunstgeschichte darstellen. Gleichsam un-terläuft sie eine zentrale Vorstellung, die an dieses Subjekt gekoppelt wurde: die der Originalität.

Die Modi und Machtstrukturen von Kunstgeschichtsschreibung und die kunsthistorische Referenz als Material treten noch mehr in ihrer Arbeit „Foun-tain (after Marcel Duchamp)“ von 1991 hervor. Levine ließ dafür ein Pissoir aus Bronze herstellen, ähnlich dem Pissoir, das Marcel Duchamp 1917 bei der So-ciety of Independent Artists einreichte. Da Levine nicht das exakt gleiche Mo-dell wie Duchamp finden konnte, wählte sie ein Modell des gleichen Herstellers und Jahrs und ließ daraufhin einen Abguss herstellen, der für die Ausführung in Bronze verwendet wurde. Als sie nach Abschluss der Arbeit noch ein weiteres Modell fand, das dem „Original“ noch ähnlicher war, schuf sie die Folgearbeit „Buddha“ (1996).107

„The ‚almostsame’ becomes the radically different when slight or even negligible shifts in form or image accompany dramatic changes in the context of the work’s reception. Caught in the space between Duchamp’s first readymades early in the twentieth century and Levine’s return at the century’s end is a whole series of intervening shifts, as definitions of authorship and originality have been continually adjusted in their application to works that incorporated elements of copying, mechanical production, or other forms of inherent multiplicity.“108 Die Fremdheit des „allmostsame” fasst auch die Verschiebung zusammen, die Re-bentisch im Verhältnis zwischen der Repräsentation und dem Repräsentierten in der Pictures-Generation verortet. Duchamps Fountain erlangte seine kunst-historische Bekanntheit über eine Fotografie von Alfred Stieglitz, den Duchamp, nur wenige Wochen nach der Ablehnung des Exponats seitens der Society of

107 Vgl. Buskirk 2005, S. 62-63.

108 Buskirk 2005, S. 65.

103 Vgl. Rebentisch 2013, S. 154.

104 Rebentisch 2013, S. 154.

105 Rebentisch 2013, S. 159.

106 Rebentisch 2013, S. 160.

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Independent Artists, bat, das von „R. Mutt“ signierte Exponat abzulichten. Das ikonische Bild mit dem Gemälde im Hintergrund und der Signatur von „R.Mutt“ links ersetzte bald das tatsächliche Objekt, das verloren ging. Erst 1964 signiert Duchamp acht idente Pissoirs, die das verlorene Objekt quasi als Edition ersetz-ten – und ankaufbar machten. Was Barbara Formis als Kommodifizierung des Pissoirs beschreibt, deutet auf das eigenartige Verhältnis zwischen Repräsentati-on und Repräsentiertem, das bereits in den Ursprung von Fountain eingeschrie-ben ist. Wie Formis schlüssig argumentiert, ist es mitunter die Auslöschung des Pissoirs, des Urvaters der Ready-Mades, das es sichtbar gemacht hat. Gemein-sam mit den Mitherausgeber_innen Beatrice Wood und Henri-Pierre Roche, publizierte Duchamp das Foto von Stieglitz in seinem Magazin The Blind Man im Zuge der Veröffentlichung des Artikels „The Richard Mutt Case“, womit er auch aus „R.“ einen Vornamen machte. „As such Duchamp actually succeeded in exhibiting the urinal through his denunciation of its not having been exhibited in the first place. He succeeded by creating a mystery around the identity of the artist and by making the actual object disappear. After organizing the urinal’s refusal, Duchamp denounced this refusal and its effects. (…) The urinal was vi-sible in and by its own invisibility; it inscribed itself in its own effacement.”109 Fountain ging also deutlicher in Form einer fotografischen Repräsentation in die Kunstgeschichte ein, also über seinen Status als Objekt, als Readymade. Das ver-doppelt gewissermaßen die Frage nach dem Verhältnis zwischen Repräsentation und Repräsentiertem bei Levines Arbeit „Fountain (after Marcel Duchamp)“: Das repräsentierte, modifizierte historische Material, ist selbst eine höchst ver-mittelte Repräsentation.

Eine weitere Lesart dieses Verhältnisses, die eine fruchtbare Schnittstel-le zu den bisher diskutierten Ansätzen zum Anachronismus bietet, ist Barbara Formis Text „The Urinal and the Syncope“. Sie bezeichnet darin den Modus, wie der Duchamp’sche Fountain immer wieder episodenhaft in die Kunstgeschichte hereinbricht, als Synkope. Eine Synkope ist in der Medizin das, was umgangs-

sprachlich als Ohnmachtsanfall bezeichnet wird: eine spontane Bewusstlosig-keit, die ohne weitere Behandlung wieder vergehen kann. Mit dem Begriff der Synkope, den sie von der Performance-Theoretikerin Rebecca Schneider ent-lehnt, will sie das Zusammenfallen von Vergangenheit und Gegenwart im Zuge von Aneignungsprozessen untersuchen. Duchamps Fountain ist sicherlich ein Paradebeispiel für Appropriation, man denke nur an Bruce Naumans „Self-Por-trait as Fountain“ (1966, das ebenfalls zerstört und neu 1970 herausgegeben wur-de), Pierre Pinoncellis Angriff auf eines der Objekte 1993 im Centre Pompidou, oder Saâdane Afifs Archivprojekt „Fountain Archive“, in dem er seit 2008 Re-produktionen von Fountain sammelt. Formis konstatiert, dass es im Diskurs der Kunstgeschichte drei Konzeptionen von Zeit gebe: Zeit als Spur (bezogen auf die Macht des Dokuments, des Archivs), Zeit als Präsenz (vor allem verstanden als das „Hier-und-Jetzt“ von Performance und anderen Formen von live art) und die Zeit als Repräsentation (dabei gehe es um die Logik der Wiederkehr in Form von Repräsentation). Mit Derrida argumentiert sie, dass das Regime der Reprä-sentation und jenes der Präsenz sich gegenseitig ausschließen müssen: Repräsen-tation hole das, was verschwunden sei, in die Gegenwart – und die Gegenwart selbst müsse als solche immer verschwinden. Repräsentation und Präsenz sind exklusiv und gleichzeitig bedingen sie auch einander: „Following Derrida, it can be understood that the binary vision of temporality – in which past and present enter into a conflict that rules out a mutually inclusive existence – it is not parti-cularly pertinent to the description of the lived experience of time and history. In brief, it is only if we start thinking that nothing is ever lost, that everything is kept alive, somehow, somewhere, here and now, that we can escape both the ontology of presence and the dictatorship of representation. Stories are told and transmit-ted, things are repeated and they become history only through the process of repetition.”110 Formis bezieht sich auf Rebecca Schneider, die Reenactments his-torischer Schlachten untersucht, und die als Synkope die gegenseitige Punktuie-rung von „damals” und „jetzt” liest. Die Zeit der Synkope wird dann mit Formis 109 Formis 2015, S. 94.

110 Formis 2015, S. 101.

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zu einer Zeitlichkeit, die sich von den Kategorien Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft abtrennt: „(…)The time of the syncope generates a way of understan-ding historical events from within their encounters, where each moment can be understood as a quotation, appropriation, and re-enactment of another one.”111

Levines künstlerische Praxis ist immer wieder, auch aufgrund von Levines Aussagen diesbezüglich, als feministisch gelesen worden. Beim Akt der Wieder-holung in feministischen Kontexten nicht an Judith Butlers Text „Performative Acts and Gender Constitution: An Essay in Phenomenology and Feminist The-ory“ zu denken, fällt selbstredend schwer. Rebecca Schneider bezieht sich selbst auch auf den Text, wenn sie über sedimentierte Praxen spricht. Butlers allseits bekannter Punkt ist, dass Gender als soziales Geschlecht über die Performanz von spezifischen Handlungen vollzogen wird, was auch bedeutet, dass auch Gen-der nicht ein essenzialistisch gedachter Teil der Identität ist, sondern in Form von sozialer Zeitlichkeit vollzogen wird. Mit Merleau-Ponty verweist sie auf den Körper als historische Idee; die Handlungen, die für die Vollziehung und Bestä-tigung einer gender-codierten Identität herangezogen werden, vergleicht sie mit einem Stück, einer Rolle, die bereits geprobt wurde. Das Stück, das zugrundelie-gende Skript, besteht, bevor jemand die Rolle ausfüllt – und es wird nach ihm oder ihr weiterhin bestehen. Allerdings benötigt es gleichermaßen diese Akteur_innen, um das Skript zu aktualisieren und um es als Realität zu reproduzieren.112 Die Perspektive, dass der historische Rahmen als Geschichte zwar gegeben sei, es aber für die gewisse Praxen nicht nur der Wiederholung bedarf, sondern es eine Agency in den Händen der Ausführenden gibt, scheint auch Levines Wiederho-lung in Bezug auf Marcel Duchamp zu informieren. Wie weiter oben in Bezug auf die Verdoppelung der Frage nach dem Verhältnis zwischen Repräsentation und Repräsentierten in Bezug auf Stieglitz‘ Foto von Duchamps Fountain aus-geführt, zitiert Levine nicht nur das Urobjekt der Readymades, sondern stülpt Duchamps Praxis um. Duchamp entlehnt ein Pissoir aus der Welt der Waren und lässt es letztendlich nicht durch das Objekt selbst, sondern eine Fotografie in die

Kunstgeschichte eingehen. Levines Bezug in den 1990er Jahren richtet sich ei-nerseits auf jenes Bild, andererseits auf die Geschichte, die mit Fountain im Zuge des 20. Jahrhunderts geschrieben wurde. Indem sie ein Objekt schafft, das auf-grund seiner Ausführung in Bronze ganz dezidiert nicht für die Nutzung als Pis-soir markiert wurde, stört sie den eindimensionalen Bezug auf das Vorbild, der mit „after Marcel Duchamp“ angekündigt wird. Kunsthistorische Validierung, das ist vielleicht der Witz, lässt ihr Objekt dann wiederum verschwinden: Wenn das Objekt in eine Sammlung eingeht, sozusagen proto-öffentlich ist, wird seine Existenz und sein Zirkulieren wiederum vom Bild abhängig sein. Diese Schwie-rigkeiten in Fragen von Sichtbarkeit und Repräsentation in Levines Arbeit, das Schaffen eines Objektes per se, bringen das verlorene Duchamp’sche „Original“ (auch wenn „Original“ bei einem Readymade zu einem Oxymoron wird) nicht wieder in die Gegenwart, auch nicht in der Form verschobener oder angeeigne-ter, veränderter Autorinnenschaft. Barbara Formis folgend, geht es in dieser An-eignung nicht um eine „Re-präsentation“ von Fountain, sondern Fountain wird „re-präsent“. Die Vergangenheit wird nicht wiederholt, sondern sie bricht in die Gegenwart hinein:

„The present embodies the past; it does not imitate the past, but rather its inner content, even at the price of criticizing it and breaking it with a hammer.“113

111 Formis 2015, S. 104.

112 Vgl. Butler 2010.

113 Formis 2015, S. 105.

05 RÉSUMÉ

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05 Résumé

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Paradigma der modernen Kunst gelesen werden? Welche kritischen Strategien ergeben sich durch die Verwendung von Zeitlichkeit als Material? Die Verwen-dung von synchronen zeitlichen Intervallen, wie in der besprochenen Arbeit von Rimini Protokoll, öffnet beispielsweise den Blick auf die transnationale Gleich-zeitigkeit als Fiktion und auf die Probleme, die sich für die Subjektposition und den möglichen Erfahrungshorizont ergeben. Gleichzeitigkeit zu artikulieren hat in diesem Fall auch geheißen, die Risse und Brüche zwischen diesen synchronen Intervallen offenzulegen, die letztlich auch in sozialer Ungleichheit begründet sind. Die gesellschaftliche Organisation von Zeit in Form von Intervallen und Rhythmen, die für eine Dauer oder eine Tätigkeit designiert sind, haben immer auch normierende Funktion. Zeitlichkeit als Material ist jedoch begrenzt kon-trollierbar und fügt in ihrer dyschronen Verwendung Störungen in normierte Intervalle ein: Die Zeitlichkeit der Faulheit oder der sinnlosen Tätigkeit steht diesen Normierungen beispielsweise entgegen, läuft aber gerade deshalb Gefahr marginalisiert und von der historischen Zeit ignoriert zu werden. Diese Inter-valle als Material zu verwenden, verhilft ihnen gewissermaßen zu ihrem Recht – wie beispielsweise in Groys‘ Beispiel von Francis Alÿs‘ Arbeit deutlich wird. Außerdem kann eine anachrone Einführung von historischen Referenzen in gegenwärtige Kontexte Perspektiven auf das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart eröffnen, die geschichtliche Erzählungen gegen den Strich bürsten und die Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als Frage neu stellen können.

Diese Rollen kann eine künstlerische Arbeit, die der eingangs genannten modernistischen Ontologie entspricht, selbstredend nicht einnehmen. Wenn unterschiedliche Zeitlichkeiten aufeinanderstoßen, wenn künstlerische Arbeiten Intervalle, Rhythmen und Aussetzer produzieren, dann wird die modernistische Zeitlichkeit Lessings zwangsläufig verabschiedet. Zeitlichkeit wurde in dieser Arbeit sowohl als Material als auch als Materialisierungsstrategie von Gegen-wartskunst gedacht.

Ein paar Schritte zurücktretend, kann mit einem Blick auf diese Arbeit konstatiert werden, dass erstens ein Bild von der historischen Gegenwart gezeich-net wurde, das auf transnationaler Gleichzeitigkeit beruht, wofür vor allem Peter Osborne herangezogen wurde. Obwohl die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Zeitlichkeiten, die untereinander teils unvereinbar und widersprüchlich sind, als konstitutiv für die Gegenwart angenommen wurde, wurde mit Peter Osborne gleichsam ein vereinheitlichendes Prinzip konstatiert. Aus diesem Widerspruch heraus wurden zweitens Herangehensweisen rekapituliert, die gegen zeitliche Normen, die sich aus der Vereinheitlichung heraus ergeben, arbeiten. Damit wurde sozusagen, das, was bei Osborne die Vereinheitlichung des transnatio-nalen Kapitalismus ist, mit Boris Groys‘ Beschreibung der Gegenwart als Stasis enggeführt. Mit Jacques Rancière wurde dann wiederum die Idee der „Stasis“ als Narrativ selbst befragt. Drittens reagierte das Kapitel „Anachron“ auf die Herausforderungen, die sich einerseits für historiographische Fragestellungen daraus ergeben, und andererseits durch die Verwendung von historischen Re-ferenzen als Material auftun. Hierbei war insbesondere von Bedeutung, dass die historische Referenz nicht in einem geschichtsleeren Raum des „Anything Goes“ passiert, sondern ganz grundlegende Fragen an die Kunst der Moderne stellt, insbesondere an ihre Befreiung von der Repräsentation, die neu aufgenommen und mit Brüchen versehen wird. Zeitlichkeit als Material künstlerischer Arbeiten anzunehmen, schafft dabei einen Raum, in dem nicht nur gegen gewisse moder-nistische Paradigmen argumentiert werden kann, sondern auch Schnittpunkte zur Diskussion um den Begriff von Gegenwartkunst geschaffen werden. Dies ist insbesondere von Relevanz, da im Kern der Begriffsdiskussion die Frage nach vereinheitlichenden und trennenden Verbindungen von Zeitlichkeiten steht und damit diese Perspektive selbst an die Diskussion über die historische Gegenwart anschließt. Zu Beginn des Textes habe ich drei Fragen gestellt, die ich an dieser Stelle wieder aufnehmen möchte: Wie wird Zeitlichkeit als Material in der Ge-genwartskunst verwendet? Inwiefern kann in diesen Strategien ein Bruch zum

06 LITERATUR

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David Joselit, Über Aggregatoren, in: Eva Kernbauer (Hg.), Kunstgeschicht-lichkeit. Historizität und Anachronie in der Gegenwartskunst, Paderborn 2015, S. 115-128.

Lee 2006

Pamela M. Lee, Chronophobia. On Time in the Art of the 1960s, Cam-bridge (MA)/London 2006.

Lessing 1994

Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon. Oder: Über die Grenzen der Malerei und Poesie, Stuttgart 1994.

Miller 2005

Daniel Miller (Hg.), Materiality, Durham/London 2005.

Johannes Myssok/Ludger Schwarte (Hg.), Zeitstrukturen. Techniken der Vergegenwärtigung in Wis-senschaft und Kunst, Berlin 2013.

Osborne 2013a

Peter Osborne, Anywhere or not at all. Philosophy of Contemporary art, London/New York 2013.

Osborne 2013b

Peter Osborne, Temporalization as Transcendental Aesthics. Avant-Garde, Modern, Contem-porary, in: The Nordic Journal of Aesthetics, 44-45, 2013, S. 28-49.

Osborne 2014a

Peter Osborne, The postconceptual condition. Or, the cultural logic of high capitalism today, in: Radical Philosophy, 184, 2014, S. 19-27.

Osborne 2014b

Peter Osborne, Every other Year Is Always This Year – Contemporaneity and the Biennial Form, in: Biennial Foundation, Fundação Bienal de São Paulo and ICCo - Instituto de Cultura Con-temporânea (Hg.), Making Bien-nials in Contemporary Times Essays from the World Bien-nial Forum nº2, São Paulo 2014, http://www.biennialfoundation.org/wordpress/wp-content/uploads/2015/05/Making-Biennials-in-Contemporary-Times_Home-Print.pdf, S. 15-27.

Questionnaire on ‘The contemporary’, October, 130, 2009.

Pfaller 2010

Robert Pfaller, Der Exzess des Spiels als Begründer der Kultur. Georges Bataille liest Johan Huizinga, in: Matthias Fuchs/Ernst Strouhal (Hg.), Das Spiel und seine Grenzen. Passagen des Spiels II, Wien 2010, S. 9-30.

Rancière 2012

Jacques Rancière, In What Time Do We Live?, in: Marta Kuzma/Pablo La-fuente/Peter Osborne, The State of Things, London 2012, S. 9 – 38.

Rancière 2015

Jacques Rancière, Der Begriff des Ananchronismus und die Wahrheit des Historikers, in: Eva Kernbauer (Hg.), Kunstgeschichtlichkeit. Historizität und Anachronie in der Gegenwartskunst, Paderborn 2015, S. 33-50.

Rebentisch 2013

Juliane Rebentisch, Theorien der Gegenwartskunst zur Einführung, Ham-burg 2013.

Rimini Protokoll 2013

Rimini Protokoll (Hg.), Situation Rooms. Ein Multiplayer Videostück, im Eigenverlag 2013.

Ross 2012

Christine Ross, The Past is the Present; It’s the Future Too. The Temporal Turn in Contemporary art, New York/London 2012.

Rübel/Wagner/Wolff 2005

Dietmar Rübel/Monika Wagner/Vera Wolff (Hg.), Materialästhetik. Quel-lentexte zu Kunst, Design und Architektur, Berlin 2005.

Seppi 2013

Angelika Seppi, „Hocus-pocus in your Eyes“. Matthias Polena an der 55. Biennale von Venedig, in: ALL-OVER #5, Herbst 2013, http://allover-magazin.com/?p=1550.

Smith 2009

Terry Smith, What is Contemporary art?, Chicago/London 2009.

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Online-Ressourcen

Benjamin 1942

Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, in: http://www.textlog.de/benjamin-be-griff-geschichte.html, zuletzt abgeru-fen am 05.12.2015.

Heidelberg Institute for International Conflict Research 2015

Heidelberg Institute for International Conflict Research (Hg.), Conflict Ba-rometer 2014, Hei-delberg 2015, in: http://www.hiik.de/de/konfliktbarometer/pdf/ConflictBarometer_2014.pdf, zuletzt abgerufen am 05.12.2015.

UNHCR 2015

UNHCR (Hg.), UNHCR Mid-Year Trends, Genf 2015, in: http://unhcr.org/54aa91d89.html, zuletzt abgerufen am 05.12.2015

Matthias Kündig im Interview mit Damien Spleeters (Conflict Armament Research, London), in: http://www.srf.ch/news/international/der-is-hat-waffen-aus-20-verschiedenen-laendern, zu-letzt abgerufen am 05.12.2015.


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