+ All Categories
Home > Documents > „Wissenschaft“¹ und „Religion“: Das Konstruieren der Grenzen

„Wissenschaft“¹ und „Religion“: Das Konstruieren der Grenzen

Date post: 16-May-2023
Category:
Upload: uq
View: 0 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
20
04_Harrison_20130613.doc 1 1 Preprint: Final version in Theologie und Naturwissenschaften, ed. Christian Tapp and Christof Breitsameter (Berlin: De Gruyter, 2014), pp. 39-68. Peter Harrison „Wissenschaft“ 1 und „Religion“: Das Konstruieren der Grenzen 2 Im Laufe des letzten Jahrzehnts haben Wissenschaftshistoriker vermehrt Vorbehalte geäußert, ob ihr Untersuchungsgegenstand überhaupt viel von einer Geschichte hat. Während es üblich ist, die Ursprünge der neuzeitlichen Naturwissenschaft [science] im 17. Jahrhundert zu suchen, haben zuletzt viele Historiker dafür argumentiert, dass Naturwissenschaft – so wie sie gegenwärtig verstanden wird – nicht vor dem 19. Jahrhundert aufgetreten ist. Vertreter dieser Position verweisen auf die Tatsache, dass die Naturforscher vor dem 19. Jahrhundert davon ausgingen, sie würden „Naturphilosophie“ oder „Naturgeschichte“ betreiben – Disziplinen mit einer etwas anderen Ausrichtung als jene der Naturwissenschaft im 21. Jahrhundert. Diese Behauptung hat offensichtliche Auswirkungen für jene, die sich für die frühere Beziehung zwischen Naturwissenschaft und Religion interessieren, denn wenn sie wahr ist, kann es eine solche Beziehung nicht vor dem 19. Jahrhundert gegeben haben. Ähnliche historische Empfindlichkeiten treten im Bereich der Religionswissenschaften auf, wo eine zunehmende Zahl an Forschern vorgeschlagen hat, dass der Begriff „Religion“ ebenso wie der Begriff „Naturwissenschaft“ eine neuzeitliche Entwicklung ist. Bis zum 17. Jahrhundert hatten die Ausdrücke „Religion“ und der Plural „Religionen“ noch nicht ihre gegenwärtige Bedeutung. Die Auffassung, dass es „Religionen“ gibt, die sich durch eine bestimmte Menge an Überzeugungen und Praktiken unterscheiden und durch eine gemeinsame und allgemeine „Religion“ verbunden sind, ist tatsächlich ein Produkt der europäischen Aufklärung. Während dieser Periode hat die akute Notwendigkeit, verschiedene Arten religiösen Glaubens mittels eines Kriteriums unterscheiden zu können, zur Konstruktion von „Religionen“ als einer Menge propositionaler Überzeugungen geführt, die man unparteiisch vergleichen und beurteilen kann. In diesem Aufsatz werde ich die historischen Umstände des Aufkommens der dualen Kategorien Wissenschaft [science] und Religion stellenweise detailliert dahingehend untersuchen, welche unmittelbare Relevanz sie für gegenwärtige Diskussionen der Relation von Wissenschaft und Religion haben. Wie wir sehen werden, verfälschen beide Kategorien zu einem gewissen Grad das, was sie abbilden wollen, und solche Verfälschungen übertragen sich dann auch unausweichlich auf die Diskussion ihrer Beziehung. Die Berücksichtigung des historisch bedingten Wesens von 1 Anm. d. Übers.: In diesem Aufsatz wird „science“ grundsätzlich mit „Wissenschaft“ übersetzt – abgesehen von der Einleitung und den wenigen Fällen, wo es explizit um das englische Wort „science“ geht. Das ist nicht in allen Fällen glücklich, doch in der Mehrzahl der Fälle die angemessenere Übersetzung. Es wurde für einen einheitlicheren Text darauf verzichtet, in einigen wenigen Fällen die Übersetzung „Naturwissenschaft“ zu wählen. Das Problem, dass „science“ seit dem 19. Jh. zunehmend im engeren Sinne von Naturwissenschaft gebraucht wird, ist gerade deshalb kein Verständnisproblem bei der Übersetzung mit „Wissenschaft“, weil es genau darum geht, inwieweit sich Wissenschaft entwickelt hat und wann der Kern der neuzeitlichen Naturwissenschaften erstmals ausformuliert worden ist. Harrison gebraucht die Anführungszeichen im Original primär, um das zu bezeichnen, was er eine Kategorie nennt, und nicht um sich auf das Wort „science“ zu beziehen. 2 Das ist eine überarbeitete und aktualisierte Version eines Aufsatzes mit dem Titel „‚Science’ and ‚Religion’: Constructing the Boundaries“, der zuerst in The Journal of Religion 86 (2006), 81–106, erschienen ist.
Transcript

04_Harrison_20130613.doc 1

 

1

Preprint:  Final  version  in  Theologie und Naturwissenschaften, ed. Christian Tapp and Christof Breitsameter (Berlin: De Gruyter, 2014), pp. 39-68.  

 

Peter  Harrison    

„Wissenschaft“1  und  „Religion“:  Das  Konstruieren  der  Grenzen2      

Im  Laufe  des  letzten  Jahrzehnts  haben  Wissenschaftshistoriker  vermehrt  Vorbehalte  geäußert,  ob  ihr  Untersuchungsgegenstand  überhaupt  viel  von  einer  Geschichte  hat.  Während  es  üblich  ist,  die  Ursprünge  der  neuzeitlichen  Naturwissenschaft  [science]  im  17.  Jahrhundert  zu  suchen,  haben  zuletzt  viele  Historiker  dafür  argumentiert,  dass  Naturwissenschaft  –  so  wie  sie  gegenwärtig  verstanden  wird  –  nicht  vor  dem  19.  Jahrhundert  aufgetreten  ist.  Vertreter  dieser  Position  verweisen  auf  die  Tatsache,  dass  die  Naturforscher  vor  dem  19.  Jahrhundert  davon  ausgingen,  sie  würden  „Naturphilosophie“  oder  „Naturgeschichte“  betreiben  –  Disziplinen  mit  einer  etwas  anderen  Ausrichtung  als  jene  der  Naturwissenschaft  im  21.  Jahrhundert.  Diese  Behauptung  hat  offensichtliche  Auswirkungen  für  jene,  die  sich  für  die  frühere  Beziehung  zwischen  Naturwissenschaft  und  Religion  interessieren,  denn  wenn  sie  wahr  ist,  kann  es  eine  solche  Beziehung  nicht  vor  dem  19.  Jahrhundert  gegeben  haben.  Ähnliche  historische  Empfindlichkeiten  treten  im  Bereich  der  Religionswissenschaften  auf,  wo  eine  zunehmende  Zahl  an  Forschern  vorgeschlagen  hat,  dass  der  Begriff  „Religion“  ebenso  wie  der  Begriff  „Naturwissenschaft“  eine  neuzeitliche  Entwicklung  ist.  Bis  zum  17.  Jahrhundert  hatten  die  Ausdrücke  „Religion“  und  der  Plural  „Religionen“  noch  nicht  ihre  gegenwärtige  Bedeutung.  Die  Auffassung,  dass  es  „Religionen“  gibt,  die  sich  durch  eine  bestimmte  Menge  an  Überzeugungen  und  Praktiken  unterscheiden  und  durch  eine  gemeinsame  und  allgemeine  „Religion“  verbunden  sind,  ist  tatsächlich  ein  Produkt  der  europäischen  Aufklärung.  Während  dieser  Periode  hat  die  akute  Notwendigkeit,  verschiedene  Arten  religiösen  Glaubens  mittels  eines  Kriteriums  unterscheiden  zu  können,  zur  Konstruktion  von  „Religionen“  als  einer  Menge  propositionaler  Überzeugungen  geführt,  die  man  unparteiisch  vergleichen  und  beurteilen  kann.  

In  diesem  Aufsatz  werde  ich  die  historischen  Umstände  des  Aufkommens  der  dualen  Kategorien  Wissenschaft  [science]  und  Religion  stellenweise  detailliert  dahingehend  untersuchen,  welche  unmittelbare  Relevanz  sie  für  gegenwärtige  Diskussionen  der  Relation  von  Wissenschaft  und  Religion  haben.  Wie  wir  sehen  werden,  verfälschen  beide  Kategorien  zu  einem  gewissen  Grad  das,  was  sie  abbilden  wollen,  und  solche  Verfälschungen  übertragen  sich  dann  auch  unausweichlich  auf  die  Diskussion  ihrer  Beziehung.  Die  Berücksichtigung  des  historisch  bedingten  Wesens  von                                                                                                                            1  Anm.  d.  Übers.:  In  diesem  Aufsatz  wird  „science“  grundsätzlich  mit  „Wissenschaft“  übersetzt  –  abgesehen  von  der  Einleitung  und  den  wenigen  Fällen,  wo  es  explizit  um  das  englische  Wort  „science“  geht.  Das  ist  nicht  in  allen  Fällen  glücklich,  doch  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  die  angemessenere  Übersetzung.  Es  wurde  für  einen  einheitlicheren  Text  darauf  verzichtet,  in  einigen  wenigen  Fällen  die  Übersetzung  „Naturwissenschaft“  zu  wählen.  Das  Problem,  dass  „science“  seit  dem  19.  Jh.  zunehmend  im  engeren  Sinne  von  Naturwissenschaft  gebraucht  wird,  ist  gerade  deshalb  kein  Verständnisproblem  bei  der  Übersetzung  mit  „Wissenschaft“,  weil  es  genau  darum  geht,  inwieweit  sich  Wissenschaft  entwickelt  hat  und  wann  der  Kern  der  neuzeitlichen  Naturwissenschaften  erstmals  ausformuliert  worden  ist.  Harrison  gebraucht  die  Anführungszeichen  im  Original  primär,  um  das  zu  bezeichnen,  was  er  eine  Kategorie  nennt,  und  nicht  um  sich  auf  das  Wort  „science“  zu  beziehen.  2  Das  ist  eine  überarbeitete  und  aktualisierte  Version  eines  Aufsatzes  mit  dem  Titel  „‚Science’  and  ‚Religion’:  Constructing  the  Boundaries“,  der  zuerst  in  The  Journal  of  Religion  86  (2006),  81–106,  erschienen  ist.  

04_Harrison_20130613.doc 2

 

2

„Wissenschaft“  und  „Religion“  erhellt  eine  Reihe  von  unausgesprochenen  Voraussetzungen  in  einigen  Mainstream-­‐Diskussionen  über  Wissenschaft  und  Religion  und  zeigt  die  Notwendigkeit,  die  üblichen  Zugänge  zu  diesem  Thema  ernsthaft  zu  überdenken.  

1. Wissenschaftsgeschichte:  Ein  Fach  ohne  Gegenstand?  

Bis  vor  kurzer  Zeit  war  es  relativ  unumstritten,  von  einer  ehrwürdigen  Geschichte  der  Disziplin  der  Wissenschaft  [science]  auszugehen.  Die  klassischen  Wissenschaftsgeschichten  zum  Beispiel  beginnen  üblicherweise  mit  der  Wissenschaft  des  antiken  Griechenlands.  Tatsächlich  geht  George  Sartons  monumentale  History  of  Science  (1927–1947),  die  auf  neun  Bände  angelegt  war,  nicht  über  das  hellenistische  Zeitalter  hinaus,  mit  dem  der  dritte  Band  vorzeitig  endet.3  Die  meisten  Zugänge  konstatieren  für  das  Mittelalter  im  Westen  eine  lange  Auszeit,  während  im  17.  Jahrhundert,  gemäß  der  gängigen  Ansicht,  mit  der  Geburt  der  neuzeitlichen  Wissenschaft  plötzlich  wieder  Wissenschaft  betrieben  wird.  Wenn  die  Stammväter  der  modernen  Disziplin  –  üblicherweise  werden  sie  als  Galilei  oder  Newton  identifiziert  –  auch  aus  einem  viel  späteren  Jahrgang  wären,  würde  jene  Naturforscher,  die  in  der  Antike  wissenschaftliche  Pionierarbeit  leisteten,  dennoch  als  ihre  Ahnen  ansehen.  

Im  Laufe  der  letzten  Jahrzehnte  haben  sich  allerdings  viele  Historiker  zurückhaltend  über  behauptete  Kontinuitäten  in  der  Wissenschaftsgeschichte  geäußert.  Diese  Zurückhaltung  wurde  auf  unterschiedliche  Art  und  Weise  ausgedrückt.  Der  geläufigste  Einspruch  ist  der  Einwand  gegen  die  anachronistische  Voraussetzung,  die  Untersuchung  der  Natur  sei  in  den  früheren  historischen  Epochen  mehr  oder  weniger  in  der  gleichen  Richtung  abgelaufen  wie  bei  den  neuzeitlichen  Wissenschaftlern.4  Margaret  Osler  hat  z.B.  die  unkritische  Voraussetzung,  „dass  disziplinäre  Grenzen  im  Verlauf  der  Geschichte  statisch  geblieben  sind“5,  in  Frage  gestellt.  In  ähnlicher  Richtung  hat  Paolo  Rossi  den  Wissenschaftshistorikern  vorgeworfen,  sich  mit  einem  „eingebildeten  Gegenstand“  beschäftigt  zu  haben,  indem  er  argumentierte,  dass  „Wissenschaft“  erst  kürzlich  erfunden  wurde.6  Der  Wissenschaftstheoretiker  David  Hull  bekräftigt  diesen  Punkt,  indem  er  anmerkt,  dass  „Wissenschaft  als  historische  Entität  ebenso  wenig  ein  Wesen  hat,  wie  spezielle  wissenschaftliche  Theorien  oder  Forschungsprogramme.  Die  Arten  von  Aktivitäten,  die  Teil  von  Wissenschaft  zu  irgendeinem  Zeitpunkt  sind,  sind  extrem  heterogen  und  sie  verändern  sich  im  Laufe  der  Zeit.“7  Andrew  Cunningham,  der  die  traditionelle  Position  wohl  am  lautesten  kritisiert,  fragt  geradeheraus,  ob  die  Untersuchung  von  Wissenschaft  in  der  Vergangenheit  in  irgendeinem  nachvollziehbaren  Sinn  Wissenschaft  untersucht.8  

Diese  Behauptungen  werden  durch  eine  eindrucksvolle  Reihe  von  Belegen  bestätigt.  Aber  der  vielleicht  klarste  Hinweis  darauf,  dass  die  Disziplin  relativ  neu  ist,  findet  sich  in  der  breiten  Bedeutung,  die  der  Ausdruck  „science“  vor  dem  19.  Jahrhundert  haben  kann.  Oft  wird  angenommen,  dass  Wissenschaft  mit  den  antiken  Griechen  begonnen  hat,  aber  –  wie  eine  der  wichtigsten  Autoritäten  über  die  Gedankenwelt  dieser  Epoche  betont  hat  –:  Wissenschaft  ist  eine  neuzeitliche  Kategorie,  keine  antike;  es  gibt  im  Altgriechischen  keinen  einzigen  Ausdruck,  der  exakt  

                                                                                                                         3  George  Sarton,  A  History  of  Science,  New  York:  Norton  1970.  4  Für  einen  Überblick  über  unterschiedliche  Konzepte  vom  Studium  der  Natur  in  der  westlichen  Geschichte  vgl.  Wrestling  with  Nature:  From  Omens  to  Science,  Hrsg.  v.  Peter  Harrison,  Ronald  L.  Numbers,  Michael  H.  Shank,    Chicago:  University  of  Chicago  Press  2011.  5  Margaret  J.  Osler,  „Mixing  Metaphors:  Science  and  Religion  or  Natural  Philosophy  and  Theology  in  Early  Modern  Europe“,  in:  History  of  Science  35  (1997),  91–113,  hier  91.  Übersetzungen  englischer  Zitate  stammen,  wenn  nicht  anders  vermerkt,  vom  Übersetzer  dieses  Aufsatzes.  6  Paolo  Rossi,  The  Dark  Abyss  of  Time:  The  History  of  the  Earth  and  the  History  of  Nations  from  Hooke  to  Vico,  Chicago:  University  of  Chicago  Press  1984,  vii.  7  David  Hull,  Science  as  a  Process,  Chicago:  University  of  Chicago  Press  1988,  25.  8  Andrew  Cunningham,  „Getting  the  Game  Right:  Some  Plain  Words  on  the  Identity  and  Invention  of  Science“,  in:  Studies  in  the  History  and  Philosophy  of  Science  19  (1988),  365–389,  hier  365.  

04_Harrison_20130613.doc 3

 

3

bedeutungsgleich  mit  unserem  „science“  ist.9  David  Lindberg  hat  in  seiner  bahnbrechenden  Studie  zur  antiken  und  mittelalterlichen  Naturforschung  auf  ähnliche  Weise  betont,  dass  selbst  dann,  wenn  wir  uns  auf  eine  Definition  von  neuzeitlicher  Wissenschaft  einigen  könnten,  eine  Untersuchung  von  bloß  jenen  Aspekten  klassischer  und  mittelalterlicher  Disziplinen,  „insoweit  diese  Praktiken  und  Überzeugungen  moderner  Wissenschaft  entsprechen“,  zu  einem  „verzerrtem  Bild“  führen  würde.  Wir  müssen  uns  daher  davor  hüten,  „die  Vergangenheit  durch  ein  Raster  zu  betrachten,  das  nicht  genau  passt“.10  Auch  wenn  es  nicht  absurd  ist,  z.B.  von  Aristoteles  anzunehmen,  dass  er  „Wissenschaft“  betrieben  hat,  muss  daher  berücksichtigt  werden,  dass  die  so  beschriebenen  Aktivitäten  nur  sehr  frei  als  Vorläufer  von  dem  bezeichnet  werden  können,  was  wir  heute  als  Wissenschaft  betrachten  würden.  Das  Gleiche  gilt,  wenn  Philosophen  im  Mittelalter,  weitestgehend  an  die  aristotelischen  Einteilungen  anknüpfend,  von  den  drei  „spekulativen  Wissenschaften“  sprechen:  Metaphysik  (auch  als  „heilige  Wissenschaft“  oder  Theologie  bekannt),  Mathematik  und  Naturphilosophie.11  Scholastische  Diskussionen  ob  Theologie  eine  spekulative  Wissenschaft  ist  oder  nicht,  bieten  einen  guten  Indikator  für  die  Tatsache,  dass  „Wissenschaft“  damals  eher  etwas  anderes  bedeutet  hat  als  heute.  Daraus  ergibt  sich,  dass  die  Rede  von  einer  Beziehung  zwischen  Theologie  und  Wissenschaft  jene  Kategorien  ignoriert,  mit  denen  die  historischen  Figuren  dieser  Epoche  selbst  gearbeitet  haben.  Noch  einmal:  Damit  soll  nicht  geleugnet  werden,  dass  es  eine  fruchtbare  historische  Untersuchung  der  Beziehung  zwischen  Naturphilosophie  und  Theologie  in  dieser  Epoche  geben  kann.  Aber  die  Tatsache,  dass  beide  Disziplinen  spekulative  Wissenschaften  waren,  macht  für  unsere  Untersuchung  einen  wichtigen  Unterschied.    

Gleiches  gilt  für  jene  Epoche,  die  üblicherweise  mit  der  Geburt  der  neuzeitlichen  Wissenschaft  in  Zusammenhang  gebracht  wird.  Nicholas  Jardine  hat  beobachtet,  dass  „keine  Kategorie  der  Renaissance  auch  nur  annähernd  ‚the  sciences‘  oder  ‚the  natural  sciences‘  in  unserem  Sinne  dieser  Ausdrücke,  entspricht“.12  In  der  frühen  Neuzeit  wurde  die  Natur  in  unterschiedlichen  Disziplinen  studiert,  von  denen  die  wichtigsten  „Naturphilosophie“  und  „Naturgeschichte“  waren.13  So  hat  z.B.  Isaac  Newton  selbst  angenommen,  dass  er  Naturphilosophie  betreibt,  wie  der  Titel  seines  bekanntesten  Werkes  bezeugt:  Philosophiae  naturalis  principia  mathematica  (1687)  –  „Die  mathematischen  Prinzipien  der  Naturphilosophie“.  Kurioserweise  hat  man  zu  dieser  Zeit  angenommen,  dass  für  das  Label  „Wissenschaft“  weder  Naturgeschichte  noch  experimentelle  Naturphilosophie  exakt  genug  sind  –  erstere,  weil  es  sich  um  ein  historisches  Unternehmen  handelte;  letztere,  weil  man  annahm,  dass  sie  bloß  zu  wahrscheinlichem,  nicht  aber  zu  beweisbarem  Wissen  führt.14  John  Locke,  einer  der  Großen  des  empirischen  Zugangs  zu  Wissen,  merkte  daher  an,  dass                                                                                                                            9  G.  E.  R.  Lloyd,  Early  Greek  Science,  New  York:  Norton  1970,  iv.  10  David  C.  Lindberg,  The  Beginnings  of  Western  Science,  Chicago:  University  of  Chicago  Press  1992,  2f.  11  Vgl.  z.B.  Boethius,  De  Trinitate  2;  Thomas  von  Aquin,  Expositio  supra  librum  Boethii  De  Trinitate,  q.5  a.1.;  Aristoteles,  Metaphysik  1025b–1026a;  Platon,  Politeia,  509–511.  Für  die  Auffassung  von  „Naturphilosophie“  im  Mittelalter  und  der  Renaissance  vgl.  William  Wallace,  „Traditional  Natural  Philosophy“,  in:  The  Cambridge  History  of  Renaissance  Philosophy,  Hrsg.  v.  Charles  Schmitt,  Quentin  Skinner,  Cambridge:  Cambridge  University  Press  1988,  201–235.    Zu  „scientia“,  vgl.  Stephen  F.  Brown,  „Later  Thirteenth  Century  Theology:  ‚Scientia’  pushed  to  its  limits“,  in:  “Scientia”  und  “Disciplina”:  Wissenstheorie  und  Wissenschaftspraxis  im  12.  und  13.  Jahrhundert,  Hrsg.  v.  R.  Berndt,  M.  Lutz-­‐Bachmann,  R.  Stammberger,  Berlin:  Akademie-­‐Verlag  2002,  249–260.  12  Nicholas  Jardine,  „Epistemology  of  the  Sciences“,  in:  Cambridge  History  of  Renaissance  Philosophy,  685.  Vgl.  auch  Jardine,  „Demonstration,  Dialectic,  and  Rhetoric  in  Galileo’s  Dialogue“,  in:  The  Shapes  of  Knowledge  from  the  Renaissance  to  the  Enlightenment,  Hrsg.  v.  Donald  R.  Kelley,  Richard  H.  Popkin,  Dordrecht:  Kluwer  1991,  101–121;  Pierre  Wagner  (Hg.),  Les  Philosophes  et  la  Science,  Paris:  Gallimard  2002,  Einleitung.  13  Ebd.,  384.  Vgl.  auch  Cunningham,  „How  the  Principia  got  its  Name:  Or,  Taking  Natural  Philosophy  Seriously“,  in:  History  of  Science  28  (1991),  381;  Christoph  Lüthy,  „What  to  do  with  Seventeenth-­‐Century  Natural  Philosophy?  A  Taxonomic  Problem“,  in:  Perspectives  on  Science  8  (2000),  164–195.  14  Vgl.  z.B.  Francis  Bacon,  Advancement  of  Learning  I.i.3,  II.xvii.7,  in:  The  Works  of  Francis  Bacon,  14  Bde.,  hrsg.  v.  James  Spedding,  Robert  Ellis,  Douglas  Heath,  London:  Longman  1857–1874,  III,  267,  405;  John  Sergeant,  The  Method  to  Science,  London  1696,  sig.  d1r.  Vgl.  auch  Ernan  McMullin,  „Conceptions  of  Science  in  the  Scientific  Revolution“,  in:  Reappraisals  of  the  Scientific  Revolution,  Hrsg.  v.  David  C.  Lindberg,  Robert  Westman,  

 

04_Harrison_20130613.doc 4

 

4

„Naturphilosophie  ist  nicht  in  der  Lage,  zu  einer  Wissenschaft    gemacht  zu  werden“.15  Ebensowenig  waren  Naturgeschichte  und  Naturphilosophie  Synonyme  für  das,  was  wir  heute  Naturwissenschaft  nennen.  Sie  implizieren  eher  ein  unterschiedliches  Verständnis  von  Naturerkenntnis:  Sie  waren  von  anderen  Anliegen  motiviert  und  wurden  in  andere  Formen  von  Wissen  und  Überzeugungen  auf  eine  Art  integriert,  die  den  neuzeitlichen  Wissenschaften  fremd  ist.  Die  Bereiche  dieser  Untersuchungen  waren  nicht  deckungsgleich  mit  denen  von  „Wissenschaft“,  wie  sie  damals  oder  heute  aufgefasst  wird.    

Nirgends  springt  der  Unterschied  zwischen  diesen  Disziplinen  und  neuzeitlicher  Wissenschaft  stärker  ins  Auge  als  bei  jenen  religiösen  Elementen,  die  ein  fester  Bestandteil  der  Praxis  frühneuzeitlicher  Untersuchungen  der  Natur  waren.  Naturgeschichte  und  Naturphilosophie  wurden  regelmäßig  auf  Grund  von  religiösen  Motiven  betrieben,  sie  basierten  auf  religiösen  Voraussetzungen  und  sie  bekamen,  sofern  sie  als  legitime  Form  von  Wissen  angesehen  wurden,  ihre  gesellschaftliche  Billigung  von  der  Religion.  Das  war  besonders  in  England  der  Fall,  wo  die  Naturgeschichte  bis  ins  19.  Jahrhundert  gemäß  dem  theologischen  Prinzips  des  Designs  strukturiert  war.  Die  intimen  Beziehungen  zwischen  dem  Studium  der  Natur  und  religiösen  Aspekten  werden  durch  die  Allgegenwart  der  frühneuzeitlichen  Bilder  von  der  Natur  als  Buch  Gottes  offenbar.  Der  Arzt  Thomas  Browne  bietet  uns  eine  für  diesen  Zugang  typische  Aussage:  „Es  gibt  zwei  Bücher,  aus  denen  ich  meine  Gottheit  sammle“,  schrieb  er,  „neben  dem  von  Gott  geschriebenen,  ein  anderes  seines  Dieners  Natur  –  dieses  universelle  und  öffentliche  Manuskript,  das  ausgebreitet  vor  den  Augen  aller  liegt.“16  In  eine  ähnliche  Kerbe  schlägt  Johannes  Kepler,  der  Astronomen  beschreibt  als  „Priester  des  höchsten  Gottes  im  Bereich  des  Buches  der  Natur“.17  Auch  der  Naturalist  John  Johnston  (1657)  sprach  vom  „Buch  der  Natur,  durch  das  wir  die  überragende  Macht  Gottes  betrachten  können“.  „Gott“,  fuhr  er  fort,  „wird  unter  dem  Titel  der  Naturgeschichte  erfasst“.18  Am  bekanntesten  ist  der  Standpunkt  von  Robert  Boyle,  einer  Lichtgestalt  des  17.  Jahrhunderts,  der  Naturphilosophie  als  „den  ersten  Akt  er  Religion,  der  in  allen  Religionen  gleich  verbindlich  ist“  beschrieb.  Boyle  betrachtete  seine  eigenen  Aktivitäten  und  die  seiner  Kollegen  als  „philosophischen  Gottesdienst“.19  Einem  Historiker  zufolge  beschäftigte  sich  Naturphilosophie  in  der  frühen  Neuzeit  mit  „Gottes  Errungenschaften,  Gottes  Intentionen,  Gottes  Absichten,  Gottes  Botschaften  an  den  Menschen“.20  Die  Legitimität  der  Naturphilosophie  oder  ihre  „Brauchbarkeit“,  wie  ihre  Praktiker  im  17.  Jahrhundert  

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Cambridge:  Cambridge  University  Press  1990,  27–92;  Peter  Harrison,  „Natural  History“,  in:  Wrestling  with  Nature,  hrsg.  v.  Harrison,  Numbers,  Shank,  117–148;  John  Heilbron,  „Natural  Philosophy“,  ebd.  173–199.  15  „Natural  philosophy  is  not  capable  of  being  made  a  science“  –  John  Locke,  An  Essay  concerning  Human  Understanding,  Hrsg.  v.  A.  C.  Fraser,  2  Bde.,  New  York  1959,  IV.xii.10  (II,  349).  Vgl.  auch  Essay  IV.iii.26;  IV.iii.29;    Some  Thoughts  Concerning  Education,  190,  Hrsg.  v.  John  W.  Yolton,    Jean  S.  Yolton,  Oxford:  Clarendon  1989,  244.  16  Thomas  Browne,  Religio  Medici,  1.16,  in:  Religio  Medici  Hydriotaphia,  and  The  Garden  of  Cyrus,  hrsg.  v.  Robin  Robbins,  Oxford:  Clarendon  1982,  16f.  17  Johannes  Kepler,  Gesammelte  Werke  (München:  C.  H.  Beck,  1937–1945),  VIII,  193.  Zu  dieser  Metapher  und  inwieweit  sich  Naturalisten  der  frühen  Neuzeit  von  Wissenschaftlern  der  Gegenwart  unterscheiden  vgl.  Peter  Harrison,  „‚Priests  of  the  Most  High  God,  with  Respect  to  the  Book  of  Nature’:  The  Vocational  Identity  of  the  Early  Modern  Naturalist“  in:  Reading  God’s  World,  hrsg.  v.  Angus  Menuge,  St.  Louis:  Concordia  2005,  55–80.  18  John  Johnston,  Wonderful  Things  of  Nature,  London    1657,  sig  a3v.  19  Robert  Boyle,  Some  Considerations  touching  the  Usefulness  of  Experimental  Natural  Philosophy,  in:  The  Works,  hrsg.  v.  Thomas  Birch,  6  Bde.,  Hildesheim:  Olms  1966,  II,  62f.  20  Cunningham,  „The  Identity  and  Invention  of  Science“,  384.    Vgl.  Peter  Harrison,  The  Bible,  Protestantism,  and  the  Rise  of  Natural  Science,  Cambridge:  Cambridge  University  Press  1998,  169–176,  zur  essentiell  religiösen  Natur  dieser  Disziplin;  Brooke,  Science  and  Religion:  Some  Historical  Perspectives,  Cambridge:  Cambridge  University  Press  1991,  192–225;  Osler,  „Mixing  Metaphors“;  Andrew  Cunningham,  Perry  Williams,  „De-­‐centring  the  big  picture:  The  Origins  of  Modern  Science  and  the  Modern  Origins  of  Science“,  in:  British  Journal  for  the  History  of  Science  26  (1993),  387–483.  

04_Harrison_20130613.doc 5

 

5

sagen  würden,  wurde  im  englischen  Kontext  größtenteils  aus  dieser  religiösen  Ausrichtung  abgeleitet.21    

Die  beiden  Angelegenheiten,  Gott  und  Natur,  waren  so  untrennbar  miteinander  verbunden,  dass  es  in  die  Irre  führt,  wenn  man  versucht,  verschiedene  Arten  der  Beziehung  zwischen  Wissenschaft  und  Religion  im  17.  und  18.  Jahrhundert  dingfest  zu  machen.  „Wissenschaft“  und  „Religion“  waren  keine  voneinander  unabhängigen  Dinge,  die  eine  positive  oder  negative  Beziehung  zueinander  haben  könnten,  und  zu  versuchen,  solche  Verbindungen  zu  bestimmen,  hieße  eine  Menge  von  Interessen,  die  typisch  für  unsere  Zeit  sind,  auf  diese  Zeit  zurück  zu  projizieren.  So  bekundete  der  Historiker  Charles  Webster:    

„Schlussfolgerungen  über  die  Unabhängigkeit  wissenschaftlicher  Betätigung  im  siebzehnten  Jahrhundert  basieren  nicht  auf  der  vorurteilsfreien  und  vollständigen  Auswertung  der  Belege,  sondern  werden  eher  von  den  Anforderungen  der  gegenwärtigen  Ideologie  diktiert,  und  sie  beschreiben  nicht  die  Beziehung,  die  tatsächlich  bestand,  sondern  die  Beziehung,  von  der  man  glaubt,  sie  hätte  gemäß  der  heutigen  Meinung  über  die  Methodologie  von  Wissenschaft  bestehen  sollen.“22  

Heute  ist  man  sich  einig,  dass  die  Geburt  der  neuzeitlichen  Disziplin  im  19.  Jahrhundert  stattgefunden  hat.  Gemäß  Simon  Schaffer  war  es  das  19.  Jahrhundert,  das  „das  Ende  der  Naturphilosophie  und  die  Erfindung  der  neuzeitlichen  Wissenschaft“  gesehen  hat.23  Andrew  Cunningham  stimmt  zu,  dass  die  „Erfindung  der  Wissenschaft“  ein  „historisches  Ereignis  der  Periode  von  ca.  1780  und  1850“  war.24  Der  Ausdruck  „scientist“  wurde  1833  von  William  Whewell  geprägt,  und  obwohl  er  bis  zum  Ende  des  Jahrhunderts  nicht  breit  rezipiert  wurde,  deutet  er  auf  eine  wichtige  neue  Allianz  von  früher  unterschiedenen  Disziplinen  hin.  Während  dieser  Zeit  entstanden  auch  die  ersten  professionellen  Vereinigungen  für  Wissenschaftler.25  Die  British  Association  for  the  Advancement  of  Science  etwa  wurde  in  dem  frühen  1830ern  gegründet.  Die  Gründung  dieser  

                                                                                                                         21  Vgl.  z.B.  Boyle,  Usefulness  of  Natural  Philosophy;  Sprat,  History  of  the  Royal  Society,  Teil  III;  Joseph  Glanvill,  The  Usefulness  of  Real  Philosophy  to  Religion,  in  Essays  on  Several  Important  Subjects  in  Philosophy  and  Religion  (London,  1676).    Man  kann  sich  darüber  streiten,  in  welchem  Ausmaß  Naturgeschichte  und  Naturphilosophie  intrinsisch  religiös  waren.  Bei  diesen  Aktivitäten  ging  es  „um  Gott“,  aber  nicht  nur  um  Gott.  Zur  aktuellen  Diskussion  von  Cunninghams  Position  vgl.  Peter  Dear,  „Religion,  Science,  and  Natural  Philosophy:  Thoughts  on  Cunningham’s  Thesis“,  in:  Studies  in  History  and  Philosophy  of  Science  32A  (2001),  377–386;    Andrew  Cunningham,  „A  Response  to  Peter  Dear’s    ‚Religion,  Science,  and  Philosophy’“,  in:  Studies  in  History  and  Philosophy  of  Science  32A  (2001),  387–391;  Peter  Harrison,  „Physico-­‐theology  and  the  Mixed  Sciences:  Theology  and  Early  Modern  Natural  Philosophy“,  in:  Peter  Anstey  and  John  Schuster,  Hgg.,  The  Science  of  Nature  in  the  Seventeenth  Century,  Dordrecht:  Kluwer  2005.  22  Webster,  The  Great  Instauration:  Science,  Medicine,  and  Reform,  1626–1660,  London:  Duckworth  1975,  494.  Für  ähnliche  Beobachtungen  über  andere  historische  Epochen  vgl.  Wolfgang  van  den  Daele,  „The  Social  Construction  of  Science:  Institutionalisation  and  Definition  of  Positive  Science  in  the  latter  half  of  the  Seventeenth  Century“,  in:  E.  Mendelsohn,  P.  Wengart  und  R.  Whitley,  Hrsg.,  The  Social  Production  of  Scientific  Knowledge,  Dordrecht:  Reidel  1977,  39;  Robert  M.  Young,  Darwin’s  Metaphor,  Cambridge:  Cambridge  University  Press  1985,  167;  Amos  Funkenstein,  Theology  and  the  Scientific  Imagination,  Princeton:  Princeton  University  Press  1986,  3.  23  Simon  Schaffer,  „Scientific  discoveries  and  the  End  of  Natural  Philosophy“,  in:  Social  Studies  of  Science  16  (1986),  387–420,  hier  413.  Vgl.  John  Henry,  The  Scientific  Revolution  and  the  Origins  of  Modern  Science,  London:  Palgrave  Macmillan  2009,  4;  Peter  Dear,  „What  Is  the  History  of  Science  the  History  Of?  Early  Modern  Roots  of  the  Ideology  of  Modern  Science“,  in:  Isis  96  (2005),  390–406.  24  Cunningham,  „Getting  the  Game  Right“,  385.  25  Sydney  Ross,  „‚Scientist’:  the  Story  of  a  Word“,  in:  Annals  of  Science  18  (1962),  65–86.  Vgl.  Le  Robert,  Dictionnaire  historique  de  la  langue  française  (1992),  Art.  „scientifique“;  Pierre  Wagner,  Hg.,  Les  Philosophes  et  la  Science,  Paris:  Editions  Gallimard),  vgl.  besonders  die  Einleitung  und  Kapitel  6;  Helmut  Holzhey,  „Der  Philosoph  im  17.  Jahrhundert“,  in:  Grundriss  der  Geschichte  der  Philosophie.  Reihe  17.  Jahrhundert,  hrsg.  v.  Jean-­‐Pierre  Schobinger,  Basel  1993,  I,  3–30  (13f.).  

04_Harrison_20130613.doc 6

 

6

Vereinigungen  brachte  für  praktizierende  Wissenschaftler  einen  neuen  Status  und,  einhergehend  mit  diesem  Status,  eine  neue  Menge  an  professionellen  Verpflichtungen.26  

Die  Transformation  von  Naturgeschichte  in  wissenschaftliche  „Biologie“  war  ein  wesentlicher  Teil  dieses  Prozesses.  Während  die  Naturgeschichte  traditionell  von  den  Klerikern  dominiert  wurde,  erlangten  die  neuen  wissenschaftlichen  Disziplinen  Biologie  und  Geologie  schrittweise  Unabhängigkeit  von  klerikalem  Einfluss,  während  sie  gleichzeitig  eine  Reihe  von  nicht-­‐kirchlichen  Autoritäten  legitimierten.27  Das  war  explizit  das  Ziel  von  Thomas  Huxley  und  seinen  Kollegen  im  „X-­‐Club“,  die  mit  evangelikalem  Eifer  einen  wissenschaftlichen  Status  der  Naturgeschichte  etablieren  und  dafür  alle  Frauen,  Amateure  und  Pfarrer  aus  der  Disziplin  entfernen  wollten.  So  sollte  eine  säkulare  Wissenschaft  ins  Zentrum  des  kulturellen  Lebens  des  viktorianischen  Englands  gerückt  werden.28  Es  diente  den  politischen  Absichten  dieser  Gruppe,  eine  Rhetorik  des  Konflikts  zwischen  Theologie  und  Wissenschaft  einzusetzen;  ein  Konflikt,  der  kein  Unikum  des  19.  Jahrhunderts  war,  der  aber  angeblich  die  ständigen  Beziehungen  zwischen  diesen  beiden  hypostasierten  Entitäten  charakterisiert  hatte.  

Weitestgehend  als  Konsequenz  der  Bemühungen  jener,  die  versuchten,  das  politische  Schicksal  der  „Wissenschaft“  zu  fördern,  ist  die  historische  These  eines  dauerhaften  Konflikts  zwischen  Religion  und  Wissenschaft  aufgekommen  –  eine  Sichtweise,  die  von  den  mittlerweile  überholten  historischen  Darstellungen  von  Andrew  Dickson  White  und  John  Draper  verkörpert  wurde.  Ein  guten  Eindruck  vom  generellen  Tenor  dieser  Werke  kann  man  schon  durch  ihre  Titel  bekommen:  A  History  of  the  Warfare  of  Science  with  Theology  in  Christendom (1896)  und  History  of  the  Conflict  between  Religion  and  Science  (1875).29  Das  weiter  bestehende  Erbe  dieser  Gruppe  ist  jedoch  die  Fortschreibung  des  Mythos  eines  andauernden  Kriegs  zwischen  Wissenschaft  und  Religion.  

Damit  soll  nicht  gesagt  werden,  dass  die  Grenzen  der  neuen  Disziplin  des  19.  Jahrhunderts  nie  angegriffen  wurden.  Eine  Reihe  von  viktorianischen  Naturalisten  waren  anfangs  zögerlich,  ihre  Aktivitäten  mit  etwas  anderem  als  Philosophie,  Ethik  oder  Theologie  zu  identifizieren.  Herbert  Spencer,  der  Evolutionist,  der  die  Phrase  „the  survival  of  the  fittest“  geprägt  hat,  hat  die  viktorianische  Einteilung  der  Wissenschaften  als  künstlich  betrachtet,  insbesondere  die  Trennung  von  Wissenschaft  und  Kunst  und  von  Wissenschaft  und  Alltagsverstand.30  Doch  solche  Bedenken  haben  sich  nicht  gehalten.  Am  Ende  des  Jahrhunderts  gab  eine  nahezu  durchgehende,  wenn  auch  stillschweigende,  Übereinstimmung  darüber,  dass  der  Ausdruck  „science“,  das  Ästhetische,  Ethische  und  Theologische  ausschloss.  Max  Weber  konnte  schon  1922  die  Aufgabe  des  Wissenschaftlers  als  eine  eng  spezialisierte  beschreiben,  in  der  die  breiteren  Fragen  von  Wert  und  Sinn  keinen  Platz  finden  können.31  Auch  wenn  bis  ins  21.  Jahrhundert  immer  noch  unterschiedliche  Ansichten  darüber  

                                                                                                                         26  Frank  Turner,  „The  Victorian  Conflict  between  Science  and  Religion:  A  Professional  Dimension“,  in:  Isis  49  (1978),  356–376;  Brooke,  Science  and  Religion,  5,  50.  27  Turner,  „The  Victorian  Conflict“;  Brooke,  Science  and  Religion,  5,  50;  Patrick  Armstrong,  The  English  Parson-­‐Naturalist:  A  Companionship  between  Science  and  Religion,  Leominster:  Gracewing  2000;  David  Livingstone,  „Science  and  Religion:  Toward  a  New  Cartography“,  in:  Christian  Scholar’s  Review  26  (1997),  270–292.  28  Ruth  Barton,  „‚An  Influential  Set  of  Chaps’:  The  X-­‐Club  and  Royal  Society  Politics,  1864-­‐85“,  in:  British  Journal  for  the  History  of  Science  23  (1990),  53–81;  T.  W.  Heyck,  The  Transformation  of  Intellectual  Life  in  Victorian  England,  London:  Croom  Helm  1982.  29  A.  D.  White,  A  History  of  the  Warfare  of  Science  with  Theology  in  Christendom,  2  Bde.,  New  York  1896;  John  Draper,  History  of  the  Conflict  between  Religion  and  Science,  London,  1875.  30  Herbert  Spencer,  „The  Genesis  of  Science“,  in:  British  Quarterly  Review  20  (1854),  108–162,  besonders  152–159;    Richard  Yeo,  Defining  Science:  William  Whewell,  Natural  Knowledge,  and  Public  Debate  in  early  Victorian  Britain,  Cambridge:  Cambridge  University  Press  1993,  49f.  31  Max  Weber,  „Science  as  a  Vocation“,  in:  Max  Weber’s  ‘Science  as  a  Vocation’,  hrsg.  v.  Peter  Lassman,  Irving  Velody,  London:  Unwin  1989.  Dieses  Werk  behandelt  die  Auswirkungen  von  Weber’s  Konzeptoin  „des  Wissenschaftlers“.  Vgl.  auch  William  A.  Durbin,  „What  Shall  We  Make  of  Henry  Margenau?  A  Religion  and  Science  Pioneer  of  the  Twentieth  Century“,  in:  Zygon  34  (1999),  167–193.  

04_Harrison_20130613.doc 7

 

7

bestehen,  welche  Aktivitäten  genau  zur  Rubrik  „Wissenschaft“  gezählt  werden  sollten,  gibt  es  also  einen  allgemeinen  Konsens  darüber,  dass  gewisse  Dinge  aus  ihr  ausgeschlossen  werden  müssen.    

Wir  haben  den  Vorteil,  im  Nachhinein  auf  diesen  Prozess  in  den  letzten  150  Jahren  blicken  zu  können,  und  sehen  so,  dass  eine  bemerkenswerte  Umkehrung  stattgefunden  hat.  Während  einstmals  die  Untersuchung  der  Natur  einen  aus  ihrer  intimen  Beziehung  zu  den  höherwertigen  Disziplinen  der  Ethik  und  Theologie  abgeleiteten  Status  hatte,  haben  im  Verlauf  des  20.  Jahrhunderts  zunehmend  die  letzteren  beiden  Disziplinen  demütig  Bezüge  zur  Wissenschaft  gesucht,  um  etwas  von  deren  Glanz  abzukriegen;  daher  kommen  auch  Bioethik  und  die  Wissenschaft-­‐und-­‐Religion-­‐Thematik.  Das  19.  Jahrhundert  erlebte  die  Übergabe  des  Zepters  der  Autorität  von  denen,  die  einer  religiösen  Berufung  folgten,  an  die  neue  Art  der  Wissenschaftler.  So  beobachtete  der  Historiker  A.W.  Benn  mit  eigenen  Augen:  „Ein  großer  Teil  der  Verehrung,  die  einst  Priestern  und  ihren  Geschichten  von  einem  unsichtbaren  Universum  entgegengebracht  wurde,  ist  transformiert  worden  hin  auf  den  Astronomen,  den  Geologen,  den  Physiker  und  den  Ingenieur.“32  Zur  gleichen  Zeit  wurden  die  „Wunder  der  Natur“  zunehmend  als  „Wunder  der  Wissenschaft“  angesehen.  Die  Verschmelzung  dieser  neuen  Allianz  an  Disziplinen  unter  dem  Banner  „Wissenschaft“  ermöglichte  es  erstmals  von  einer  Beziehung  zwischen  „Wissenschaft“  und  „Religion“  zu  sprechen.    

Es  war  nahezu  unvermeidbar,  dass  in  den  historischen  Darstellungen  der  relevanten  menschlichen  Aktivitäten  verschiedene  Aspekte  der  neuen  Beziehung  aus  dem  19.  Jahrhundert  auf  die  Vergangenheit  zurückprojiziert  wurden.  Wie  wir  bereits  festgestellt  haben,  verkörpern  die  Arbeiten  von  Draper  und  White  diesen  Zugang.  Auch  andere  historische  Entwicklungen  beförderten  den  Mythos  vom  andauernden  Konflikt  zwischen  Wissenschaft  und  Religion.  Das  Aufkommen  des  Berufs  des  Wissenschaftlers  passte  gut  zu  progressivistischen  Konzeptionen  von  Geschichte,  wie  jener  des  Positivisten  Auguste  Comte,  der  annahm,  sein  Zeitalter  sei  Zeuge  des  Übergangs  der  Menschheit  vom  „metaphysischem  Stadium“  zur  höheren  wissenschaftlichen  oder  „positiven“  Ebene  der  Entwicklung.  A.D.  White  stellt  ein  klassisches  Beispiel  dieser  Ansicht  von  Geschichte  dar,  indem  er  sich  auf  „einen  Konflikt  zwischen  zwei  Epochen  in  der  Entwicklung  des  menschlichen  Denkens  –  der  theologischen  und  der  wissenschaftlichen“33  bezieht.  Hinzukommt,  dass  die  zunehmende  Popularität  der  Geschichtstheorie  der  „großen  Männer“  dazu  geführt  hat,  vergangene  Helden  zu  identifizieren,  ihnen  große  Leistungen  zuzurechnen  und  sie  gegen  unbeugsame  Institutionen  und  dogmatische  Traditionen  in  Stellung  zu  bringen.  Der  Untergang  der  Naturphilosophie  und  der  Aufstieg  der  Wissenschaft  waren  gemäß  Simon  Schaffer  „gekennzeichnet  durch  die  Vergegenständlichung  heroischer  Entdeckungen  und  wertvoller  Techniken“.34  „Galileo  gegen  die  Inquisition“  ist  das  beliebteste  Beispiel  dieser  Art.  Diese  Art,  Wissenschaftsgeschichte  zu  präsentieren,  ist  auch  heute  jene,  die  die  Phantasie  der  Öffentlichkeit  am  meisten  beflügelt  und  natürlich  sind  nicht  alle  wissenschaftlichen  Historiker  immun  gegen  deren  Anziehungskraft.35    

Ausgehend  von  dieser  Geschichte  können  wir  nun  zu  einigen  vorläufigen  Schlussfolgerungen  über  die  Beziehung  “Wissenschaft-­‐Religion“  kommen.  Die  vielleicht  offensichtlichste  Lektion,  die  aus  dieser  Analyse  gezogen  werden  kann,  ist,  dass  die  Ansicht,  es  habe  vor  dem  19.  Jahrhundert  eine  Beziehung  von  Wissenschaft  und  Religion  gegeben,  der  Gefahr  des  Anachronismus  ausgesetzt  ist.  Zu  einem  gewissen  Grad  ist  dieser  Tatsache  von  scharfsichtigeren  Historikern  Rechnung  getragen  worden.  John  Brooke  hat  gewarnt:  „Genau  das  Unternehmen,  ‚Wissenschaft‘  und  die  ‚Theologie‘  früherer  Generationen  abstrakt  und  im  Blick  darauf  zu  betrachten,  wie  sie  aufeinander  bezogen  waren,  kann  zu  künstlichen  Ergebnissen  führen.“36  Claude  Welch  spricht  ebenfalls  von  „der                                                                                                                            32  A.  W.  Benn,  A  History  of  English  Rationalism  in  the  Nineteenth  Century,  2  Bde.,  London:  Longmans  1906,  I,  198.  33  White,  Warfare  between  Religion  and  Science,  I,  ix.  34  Schaffer,  „Scientific  Discoveries  and  the  End  of  Natural  Philosophy“,  413.  35  Vgl.  z.B.  John  Brooke,  „Does  the  History  of  Science  have  a  Future?“,  in:  British  Journal  for  the  History  of  Science  32  (1999),  1–20.  36  Brooke,  „Science  and  Theology  in  the  Enlightenment“,  in:  Religion  and  Science:  History,  Method  and  Dialogue,  hrsg.  v.  W.  Mark  Richardson,  Wesley  J.  Wildman,  London:  Routledge  1996,  23;  vgl.  Brooke,  Science  

 

04_Harrison_20130613.doc 8

 

8

Hypostasierung  von  ‚Wissenschaft‘  und  ‚Religion‘“,  die  durch  die  Werke  von  Draper  und  White  repräsentiert  wird.37  Manchmal  jedoch  scheinen  Kritiker  an  Draper  und  White  davon  auszugehen,  dass  deren  einziger  Fehler  in  einer  negativen  Charakterisierung  der  vergangenen  Beziehung  zwischen  Wissenschaft  und  Religion  lag,  während  das  wahre  Bild  das  einer  positiven  oder  „komplexen“  Beziehung  sei.  Tatsächlich  liegt  ihr  grundsätzlicherer  Fehler  jedoch  in  der  Annahme,  dass  Wissenschaft  und  Religion  Kategorien  sind,  die  sich  auf  alle  Epochen  westlicher  Geschichte,  und  zu  einem  gewissen  Grad  auf  die  historische  Entwicklung  nicht-­‐westlicher  Kulturen  sinnvoll  anwenden  lassen.  

Es  sind  nicht  nur  die  Historiker,  die  die  Lektionen  ihrer  eigenen  Disziplin  beherzigen  sollten.  Zu  einem  gewissen  Grad  nehmen  die  „künstlichen  Resultate“,  vor  denen  Brooke  uns  warnt,  unter  denen,  die  sich  gegenwärtig  mit  dem  Dialog  von  Wissenschaft  und  Religion  beschäftigen,  einen  ebenso  großen  Raum  ein,  denn  von  einer  allgemeinen  Entität  Wissenschaft  zu  sprechen,  heißt  auf  eine  enorme  Simplifizierung  festgelegt  zu  sein.  Die  Geschichte  des  Ausdrucks  zeigt,  dass  „Wissenschaft“  eine  menschliche  Konstruktion  oder  Vergegenständlichung  ist.  Damit  ist  nicht  notwendigerweise  gesagt,  dass  wissenschaftliches  Wissen  sozial  konstruiert  wird:  es  ist  eher  die  Kategorie  „Wissenschaft“  –  ein  Weg,  gewisse  Formen  des  Wissens  zu  identifizieren  und  andere  auszuschließen  –  die  konstruiert  ist.  Diese  historischen  Behauptungen  über  den  Ursprung  der  Disziplin  sind  daher  relativ  unabhängig  von  allen  Behauptungen,  die  man  für  jene  Aktivitäten  vorbringen  könnte,  die  sie  beschreibt.  Eine  unvermeidbare  Konsequenz  der  Konstruktion  der  Kategorie  ist  jedoch,  dass  Wissenschaft  umstrittenen  Inhalt  und  in  Frage  gestellte  Grenzen  hat.38  Die  bleibenden  Fragen  über  die  Einheit  der  Wissenschaft,  die  sich  entweder  durch  das  Bewusstsein  der  Geschichten  der  Wissenschaften  oder  durch  heutige  Analysen  der  Ziele  und  Methoden  unterschiedlichster  Wissenschaften  ergeben,  legen  nahe,  dass  es  keine  normative  Beziehung  zwischen  Wissenschaft  und  Religion  als  solche  geben  kann,  denn  die  Wissenschaften  sind  vielfältig  und  verschieden.  Wie  Fraser  Watts  festgestellt  hat:  „Es  gibt  viele  verschiedene  Wissenschaften  und  jede  hat  ihre  eigene  Geschichte,  ihre  eigenen  Methoden  und  Annahmen.  Jede  hat  auch  eine  unterschiedliche  Beziehung  zu  Religion.“39    

Nun  kann  es  scheinen,  als  wäre  am  besten,  die  Beziehung  zwischen  Religion  und  verschiedenen  Wissenschaften  jeweils  für  sich  zu  diskutieren,  doch  auch  dieses  Vorgehen  hat  seine  Schwierigkeiten.  Offensichtliche  Übereinstimmungen  zwischen  Wissenschaft  und  Religion  sind  in  einem  gewissen  Grad  eine  Funktion  davon,  wo  die  relevanten  Grenzen  gezogen  werden.  Der  Wissenschaftstheoretiker  David  Hull  benutzt  im  Hinblick  auf  die  unterschiedlichen  Arten  von  Disziplinen,  die  zu  den  Wissenschaften  gezählt  wurden,  eine  bekannte  biologische  Metapher:  „In  den  meisten  Fällen  existiert  innerhalb  einer  Art  mehr  Variation  als  zwischen  nah  verwandten  Arten.“40  Mit  anderen  Worten:  Es  könnte  sein,  dass  es  zwischen  den  Wissenschaften  größere  Unterschiede  gibt,  als  zwischen  einer  einzelnen  Wissenschaft  und  einer  nicht-­‐wissenschaftlichen  Disziplin  (z.B.  der  Theologie).  Dass  die  gegenwärtige  Kosmologie  und  Quantenphysik  Wasser  auf  den  Mühlen  der  

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           and  Religion,  6–11.    Vgl.  auch  David  Wilson,  „On  the  Importance  of  Eliminating  Science  and  Religion  from  the  History  of  Science  and  Religion:  The  Cases  of  Oliver  Lodge,  J.  H.  Jeans  and  A.  S.  Eddington“,  in:  Facets  of  Faith  and  Science,  hrsg.  v.  Jiste  van  der  Meer,  New  York:  University  Press  of  America  1996,  27–47.  37  Claude  Welch,  „Dispelling  some  Myths  about  the  Split  between  Theology  and  Science  in  the  Nineteenth  Century“,  in:  Ebd.,  29–40,  hier  29.  38  The  Disunity  of  Science,  hrsg.  v.  Peter  Galison,  David  Stump,  Stanford:  Stanford  University  Press  1996;  R.  G.  A.  Dolby,  Uncertain  Knowledge,  Cambridge:  Cambridge  University  Press  1996,  Teil  II;  Joseph  Margolis,  Science  without  Unity,  Oxford:  Blackwell  1987;  S.  Jasonoff,  „Contested  Boundaries  in  Policy  Relevant  Science“,  in:  Social  Studies  of  Science  17  (1987),  195–230;  Charles  Taylor,  Defining  Science:  A  Rhetoric  of  Demarkation,  Madison:  University  of  Wisconsin  Press  1996.    Für  ein  energisches  Argument  gegen  die  Auffassung,  dass  es  eine  einheitliche  Methode  in  der  Wissenschaft  gibt,  vgl.  Paul  Feyerabend,  Against  Method:  Outline  of  an  Anarchistic  Theory  of  Knowledge,  London:  Verso  1975.  39  Fraser  Watts,  „Are  Science  and  Religion  in  Conflict?“,  in:  Zygon,  32  (1997),  125–139.  40  David  Hull,  Science  as  a  Process,  512f.  

04_Harrison_20130613.doc 9

 

9

Theologen  ist,  sagt  weniger  über  eine  allgemeine  Beziehung  zwischen  Wissenschaft  und  Religion  aus,  als  über  die  Nähe  dieser  beiden  Wissenschaften  zur  Theologie.  Tatsächlich  ist  Paul  Feyerabends  Behauptung,  dass  „Wissenschaft  dem  Mythos  viel  näher  steht,  als  ein  wissenschaftlicher  Philosoph  bereit  ist,  zuzugeben“41,  nirgends  zutreffender  als  im  Fall  der  Quantenkosmologie.  Der  Hinweis  auf  solche  Nähe  sagt  insofern  mehr  über  die  Grenzen  der  betreffenden  Disziplinen  aus,  als  irgendetwas  über  eine  tatsächliche  substantielle  Beziehung  zwischen  unabhängigen  Entitäten.  Hier  wäre  auf  jeden  Fall  noch  etwas  zu  sagen,  aber  wir  müssen  uns  darüber  im  Klaren  sein,  was  das  genau  ist.  

Um  das  Argument  bis  hierher  zusammenzufassen:  Während  die  Untersuchung  der  Natur  im  Westen  einen  langen  Stammbaum  hat,  ist  „Wissenschaft“,  wie  wir  sie  gegenwärtig  auffassen,  eine  Kategorie,  die  ihre  charakteristische  Form  während  des  19.  Jahrhunderts  angenommen  hat.  Von  einer  Beziehung  zwischen  Wissenschaft  und  Religion  vor  dieser  Zeit  zu  sprechen,  erfordert  eine  Reihe  von  sorgfältigen  Näherbestimmungen.  Es  kommt  hinzu,  dass  es  in  einem  gewissen  Ausmaß  historischen  Zufällen  zugeschrieben  werden  kann,  was  „Wissenschaft“  einschließt  und  ausschließt.  Daher  ist  jede  Beziehung  zwischen  „Wissenschaft“  und  anderen  menschlichen  Einrichtungen  von  den  Umständen  ihres  Ursprungs  bedingt.  Wie  wir  sehen  werden,  ist  das  insbesondere  dann  der  Fall,  wenn  der  andere  Teil  der  Beziehung,  in  diesem  Fall  „Religion“,  wiederum  selbst  als  intellektuelle  Konstruktion  angesehen  werden  kann.  

2. „Religion“,  Theologie,  und  „die  Religionen“  

Während  einer  Reihe  von  Wissenschaftshistorikern  die  Bedingungen  bewusst  sind,  die  die  neuzeitliche  Auffassung  von  „Wissenschaft“  geprägt  haben,  sind  sich  nur  wenige  über  die  Behauptung  einiger  Religionsgeschichtler  im  Klaren,  dass  der  neuzeitliche  Begriff  „Religion“  lediglich  150  Jahre  zuvor  aufgekommen  ist.  Wurde  „Wissenschaft“  im  19.  Jahrhundert  erfunden,  so  kann  man  sagen,  dass  „Religion“  im  Verlauf  der  europäischen  Aufklärung  erfunden  worden  ist,  und  zwar  im  Gefolge  der  post-­‐reformatorischen  Zersplitterung  des  Christentums.  Wilfried  Cantwell  Smith,  einer  der  ersten,  die  unsere  Aufmerksamkeit  auf  die  Künstlichkeit  der  Kategorie  „Religion“  gelenkt  haben,  schreibt:    

„Dann  entwickelte  sich  im  Westen  der  Begriff  ‚Religion’.  Seine  Entstehung  hat  eine  langfristige  Entwicklung  beinhaltet,  die  wir  einen  Prozess  der  Vergegenständlichung  nennen  könnten:  eine  Religion  mental  zu  einem  Ding  zu  machen  und  so  schrittweise  dazu  zu  kommen,  sie  als  einen  objektiven  systematischen  Gegenstand  wahrzunehmen.“42    

Wie  Smith’s  Pionierarbeit  gezeigt  hat,  ist  der  religiöse  Schwerpunkt  des  Mittelalters  im  Westen  Glaube  und  Frömmigkeit  gewesen  –  eine  innere  Dynamik  des  Herzens.  In  den  religiösen  Kontroversen  der  frühen  Neuzeit  hat  man  jedoch  die  Aufmerksamkeit  zunehmend  auf  diese  externen  objektiven  Aspekte  des  Lebens  der  Gläubigen  gerichtet,  da  es  eine  immer  drängendere  Frage  wurde,  wie  man  jene  entscheidenden  Unterschiede,  von  denen  die  ewige  Erlösung  abhängt,  identifizieren  kann.  

Eine  Folge  davon  war,  dass  spezifische  Bekenntnisse  und  rituelle  Handlungen  zum  Wesen  der  neuen  Vorstellung  „Religion“  wurden.  Plötzlich  hatte  wahre  Religion  weniger  mit  aufrichtiger  Hingabe  zu  tun,  sondern  damit,  ob  die  Propositionen,  denen  man  seine  intellektuelle  Zustimmung  gab,  wahr  waren.  Im  Gefolge  des  sich  entwickelnden  Geists  der  Aufklärung  wurde  Vernunft  der  ultimative  Maßstab  wahrer  Religion,  wodurch  sich  die  objektive,  rationalistische  Ausrichtung  der  neuen  Entität  bestätigte.  Seit  diese  These  erstmals  aufgekommen  ist,  haben  eine  Reihe  von  Historikern  ihre  wesentlichen  Implikationen  weiter  herausgearbeitet.43  

                                                                                                                         41  Feyerabend,  Against  Method,  295.  42  Wilfred  Cantwell  Smith,  The  Meaning  and  End  of  Religion,  London:  SPCK  1978,  51.  43  Vgl.  z.B.,  Michel  Despland,  La  religion  en  occident:  évolution  des  idées  et  du  vécu,  Montréal:  Fides  1979;  Ernst  Feil,  Religio:  Die  Geschichte  eines  neuzeitlichen  Grundbegriffs  vom  Frühchristentum  bis  zur  Reformation,  Göttingen:  Vandenhoeck  &  Ruprecht  1986,  und  „From  the  Classical  Religio  to  the  Modern  Religion:  Elements  of  

 

04_Harrison_20130613.doc 10

 

10

Wenn  die  Erfindung  von  Wissenschaft  im  19.  Jahrhundert  erstmals  eine  Beziehung  zwischen  Wissenschaft  und  Religion  möglich  gemacht  hat,  hat  die  Geburt  von  „Religion“  und  „die  Religionen“  während  der  Aufklärung  eine  vergleichende  Tätigkeit  anderer  Art  möglich  gemacht  –  den  Vergleich  von  einer  „Religion“  mit  einer  anderen.44  Wiederum  wurde  der  Vernunft  eine  Rolle  beim  „unparteilichen“  Vergleich  von  Religionen  gegeben.  Sie  sollte  theoretisch  ein  Urteil  über  den  relativen  Nutzen  der  miteinander  konkurrierenden  Bekenntnisse  und  Kulte  erlauben.  Die  vergleichende  Religionswissenschaft  ist  daher  aus  der  Objektivierung  der  Glaubensrichtungen  der  frühen  Neuzeit  hervorgegangen,  wobei  der  Prozess  schnell  auf  die  anderen  drei  „Religionen“  –  „Mohammedanismus“,  „die  jüdische  Religion“  und  die  Fang-­‐sie-­‐alle-­‐ein-­‐Kategorie  „Heidentum“  –  ausgeweitet  wurde,  von  denen  jede  in  unterschiedlichem  Ausmaß  als  dem  Christentum  unterlegen  konstruiert  wurde.  In  all  diesen  Fällen  wurden  der  religiöse  Glaube  und  die  Lebensweise  ganzer  Völker  auf  eine  Menge  an  Dogmen  reduziert,  und  zum  wesentlichen  Merkmal  einer  Religion  wurde  das,  was  ihre  Anhänger  glaubten.  „Religion“  wurde  so  zum  konzeptuellen  Raster,  durch  das  das  Wissen  exotischer  Völker  in  die  westliche  Vorstellungswelt  hineingefiltert  wurde.  

In  der  Epoche  der  Kolonisierung,  die  auf  die  Entdeckungsreisen  folgte,  wurden  immer  mehr  empirische  Daten  aus  fernen  Ländern  gesammelt,  was  spezielle  Arten  von  „Heidentum“  erzeugt  hat.  Im  Laufe  der  Zeit  verwuchsen  sich  die  „östlichen  Religionen“  zu  minderwertigen  unvollständigen  Versionen  des  Christentums,  mit  ihren  unvollkommenen  Gottheiten,  ihren  fehlerhaften  Schriften,  ihren  betrügerischen  Wundern  und  ihren  abergläubischen  Kulten.  Diese  Entitäten  hatten  ihre  Geburt  in  den  Vorstellungen  westlicher  Denker,  für  die  entfernte  und  exotische  Orte  ein  Hintergrund  wurden,  auf  den  die  provinziellen  europäischen  Konfessionsstreitigkeiten  projiziert  werden  konnten.45  Entscheidend  dafür  war  die  Annahme,  dass  sich  die  anderen  „Religionen“  in  dem  Sinne  gegenseitig  ausschließen,  wie  die  unterschiedlichen  Formen  des  Christentums.  Kurz  gesagt  wurden  die  Weltreligionen  durch  eine  Projektion  der  Uneinigkeit  des  Christentums  auf  die  Welt  geschaffen.  Ihre  Erfindung  in  der  westlichen  Vorstellungswelt  wird  durch  die  Ausdrücke,  die  ihre  Geburt  anzeigen,  festgehalten:  „Boudhism“  taucht  zuerst  1821  auf,  „Hindooism“  1829,  „Taouism“  1829  und  „Confucianism“  1862.46  

Wenn  das  19.  Jahrhundert  die  Entstehung  der  östlichen  Religionen  als  vergegenständlichte  Entitäten  beobachtet  hat,  repräsentiert  es  schließlich  auch  eine  weitere  Phase  in  der  Entwicklung  von  „Religion“.  Denn  wenn  dies  die  Epoche  ist,  aus  der  „Wissenschaft“  letztlich  als  eine  Disziplin  hervorging,  die  frei  von  religiösen  und  theologischen  Angelegenheiten  ist,  dann  wurde  logischerweise  „Religion“  nun  auch  als  ein  Unternehmen  verstanden,  das  das  Wissenschaftliche  

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           a  Transformation  between  1550  and  1650“,  in:  Religion  in  History:  The  Word,  the  Idea,  the  Reality,  hrsg.  v.  Michel  Despland,  Gérard  Vallée,  Waterloo:  Wilfrid  Laurier  University  1992,  31–43;  Peter  Harrison,  „Religion“  and  the  Religions  in  the  English  Enlightenment,  Cambridge:  Cambridge  University  Press  1990;  John  Bossy,  „Some  Elementary  Forms  of  Durkheim“,  in:  Past  and  Present  95  (1982),  3–18.    Vgl.  auch  Russell  McCutcheon,  „The  Category  ‚Religion’  in  Recent  Publications:  A  Critical  Survey“,  in:  Nvmen  42  (1995),  285–301;  Nicholas  Lash,  The  Beginning  and  End  of  ‚Religion’,  Cambridge:  Cambridge  University  Press  1996.  44  Harrison,  “Religion”  and  the  Religions  in  the  English  Enlightenment;  Guy  G.  Stroumsa,  A  New  Science:  The  Discovery  of  Religion  in  the  Age  of  Reason,  Cambridge:  Harvard  University  Press  2010.  45  Wie  Edward  Said  über  den  Prozess  der  „Orientalisierung“  schreibt:  „The  imaginative  examination  of  things  Oriental  was  based  more  or  less  exclusively  upon  a  sovereign  Western  consciousness  out  of  whose  unchallenged  centrality  an  Oriental  world  emerged,  first  according  to  general  ideas  about  who  or  what  was  an  Oriental,  then  according  to  a  detailed  logic  governed  not  simply  by  empirical  reality  but  by  a  battery  of  desires,  repressions,  investments,  and  projections“,  in:  Orientalism,  London:  Routledge  1978,  8.    Vgl.  auch  Talal  Asad,  Genealogies  of  Religion:  Discipline  and  Reasons  of  Power  in  Christianity  and  Islam,  Baltimore:  John  Hopkins  University  Press  1996;  Richard  King,  Orientalism  and  Religion:  Postcolonial  Theory,  India,  and  „The  Mystic  East“,  London:  Routledge  1999.  46  Smith,  Meaning  and  End  of  Religion,  61.    Für  detaillierte  Studien  zur  Formulierung  dieser  Traditionen,  vgl.  Philip  C.  Almond,  The  British  Discovery  of  Buddhism,  Cambridge:  Cambridge  University  Press  1988;  P.  J.  Marshall  (Hg.),  The  British  Discovery  of  Hinduism  in  the  Eighteenth  Century,  Cambridge:  Cambridge  University  Press  1970;  Tomoko  Masuzawa,  The  Invention  of  World  Religions,  Chicago:  University  of  Chicago  Press  2005.  

04_Harrison_20130613.doc 11

 

11

ausschloss.  Die  Geburt  von  „Wissenschaft“  war  Teil  der  fortlaufenden  Geschichte  der  Vorstellung  von  „Religion“.  

Die  Konsequenzen  dieser  insgesamt  nicht  allzu  glücklichen  historischen  Prozesse  sind  folgende.  Erstens  gibt  es  eine  Reihe  von  Bruchstellen,  die  deutlich  zeigen,  wie  fragil  die  dualen  Kategorien  „Religion“  und  die  „Religionen“  sind.  So  ist  es  kein  Wunder,  dass  die  meisten  Wissenschaftler  bemerkenswerte  Schwierigkeiten  haben,  eine  exakte  Definition  von  Religion  vorzulegen.47  Die  Unfähigkeit,  zu  einem  Konsens  darüber  zu  kommen,  was  „Religion“  wirklich  ist  oder  was  als  „eine  Religion“  zählt,  kann  vernünftigerweise  als  Beleg  für  die  problematische  Natur  der  Kategorie  genommen  werden.  Außerdem  können  wir  auch  einige  Kategorien  aufzählen,  die  unterschiedliche  Traditionen  umgreifen  und  trotzdem  eine  gewisse  Einheit  behalten.  „Mystizismus“  z.B.  beschreibt  Anhänger  verschiedener  Glaubensrichtungen,  und  man  könnte  sagen,  dass  einige  christliche,  jüdische,  islamische  und  buddhistische  Mystiker  mehr  miteinander  gemein  haben  als  mit  anderen,  die  sich  zur  gleichen  „Religion“  zählen.48  Die  Kategorie  „Fundamentalist“  scheint  ebenso  einen  Kernbestand  an  Haltungen  zu  bestimmen,  der  vor  den  niedlichen  Grenzen  „der  Religionen“  keinen  Halt  macht.  In  der  Tat  kann  der  Ausdruck  „Fundamentalist“  mit  einer  gewissen  Berechtigung  auch  auf  die  extremeren  Vertreter  des  wissenschaftlichen  Naturalismus  angewandt  werden.    

Zweitens  ist  das  philosophische  Problem  des  religiösen  Pluralismus  –  dass  die  Weltreligionen  konkurrierende  Wahrheitsansprüche  haben  und  deshalb  nicht  alle  wahr  sein  können  –  zu  einem  gewissen  Grad  aus  der  Kategorie  „Religion“  hervorgegangen.  Die  konfligierenden  Wahrheitsansprüche  der  Weltreligionen  ergeben  sich  nicht  aus  der  Art,  wie  einzelne  religiöse  Menschen  ihren  Glauben  praktizieren,  sondern  aus  der  Klassifizierung  dessen,  was  sie  tun,  wenn  sie  eine  „Religion“  praktizieren.  Durch  die  Klassifizierung  von  Überzeugungen  als  Lehren  und  indem  man  ihnen  jenen  Status  aufzwingt,  den  sie  im  nach-­‐aufgeklärten  Christentum  hätten,  werden  Konflikte  erzeugt.  Die  Konsequenzen  dieses  Prozesses  sind  in  den  sogenannten  östlichen  Religionen  am  offensichtlichsten.  Die  gängige  westliche  Annahme,  dass  es  drei  Religionen  in  China  gibt  –  Konfuzianismus,  Taoismus  und  Buddhismus  –  zwingt  den  Chinesen  Kategorien  auf,  auf  die  sie  nicht  von  alleine  gekommen  wären.  Viele  Chinesen  kombinieren  Aspekte  dieser  drei  Traditionen,  ohne  dass  sich  für  sie  irgendeine  Art  von  Verwirrung  ergibt.  Das  macht  die  Auffassung  unsinnig,  dass  Konfuzianismus,  Taoismus  und  Buddhismus  abgesonderte  und  sich  gegenseitig  ausschließende  „Religionen“  sind.  Diese  Verwirrung  muss  auf  die  Kategorie  zurückgeführt  werden.  Wie  Cantwell  Smith  in  Bezug  auf  eine  dieser  Traditionen  feststellt,  ist  die  Frage,  ob  Konfuzianismus  eine  Religion  ist,  eine  Frage,  die  der  Westen  nie  beantworten  und  der  Chinese  nie  stellen  konnte.49  

Drittens  und  im  Anschluss  an  den  vorhergehenden  Punkt,  werden  die  Kategorien  häufig  von  denen  zurückgewiesen,  die  sie  zu  charakterisieren  vorgeben.  Der  neo-­‐orthodoxe  protestantische  Theologe  Karl  Barth  hat  darauf  bestanden,  dass  das  Christentum  keine  Religion  ist.  Dietrich  Bonhoeffer  plädierte  für  ein  „religionsloses  Christentum“50.  Das  Judentum  auf  eine  Religion  zu  reduzieren  „ist  ein  Verrat  an  seiner  wahren  Natur“,  erklärt  Milton  Steinberg.  Anhänger  anderer  sogenannter  Religionen  sind  genauso  unnachgiebig:  „Buddhismus  ist  keine  Religion“;  „Islam  ist  nicht  bloß  eine  ‚Religion’“;  „Es  ist  kaum  möglich  zu  sagen,  ob  Hinduismus  eine  Religion  ist  oder  nicht“.51  

                                                                                                                         47  Vgl.  z.B.  Thomas  Lawson  und  Robert  McCauley,  Rethinking  Religion,  Cambridge:  Cambridge  University  Press  1990;  J.  Samuel  Preuss,  Explaining  Religion:  Criticism  and  Theory  from  Bodin  to  Freud,  New  Haven:  Yale  University  Press  1987;  Stewart  Guthrie,  „Religion:  What  is  it?“,  in:  Journal  of  the  Scientific  Study  of  Religion  35  (1996),  412–420,  und  „Buddhism  and  the  Definition  of  Religion“,  in:  Journal  for  the  Scientific  Study  of  Religion  32  (1993),  1–17;  Brian  K.    Smith,  „Exorcising  the  Transcendent:  Strategies  for  Defining  Hinduism  and  Buddhism“,  in:  History  of  Religions  27  (1987),  32–55.  48  Zur  Geschichte  der  Kategorie  „Mystizismus“  vgl.  Leigh  Eric  Schmidt,  „The  Making  of  Modern  ‚Mysticism’“,  in:  Journal  of  the  American  Academy  of  Religion  71  (2003),  273–302.  49  Smith,  Meaning  and  End  of  Religion,  69.  50  Karl  Barth,  Kirchliche  Dogmatik,  I/2,  Zürich:  EVZ  1938,  313f;  Dietrich  Bonhoeffer,  Letters  and  Papers  from  Prison,  New  York:  Macmillan  1962,  161–169,  194–200,  226.  51  Die  Beispiele  werden  zitiert  bei:  Smith,  Meaning  and  End  of  Religion,  125f.  

04_Harrison_20130613.doc 12

 

12

Während  zugestanden  werden  muss,  dass  die  Begriffe  „Religion”  und  „die  Religionen“  sich  am  Ort  ihres  Ursprungs,  dem  Westen,  in  bemerkenswerter  Weise  eingebürgert  haben,  kann  man  dagegenhalten,  dass  diese  Zustimmung,  insbesondere  bei  jenen,  die  sich  selbst  als  religiös  verstehen,  zu  einer  Verarmung  des  religiösen  Lebens  geführt  hat.    

Wenn  wir  die  Geschichte  des  Christentums  als  Beispiel  nehmen,  kann  man  einen  gewissen  Eindruck  davon  gewinnen,  was  in  der  frühen  Neuzeit  durch  die  Transformation  von  „christlichem  Glauben“  zu  „der  christlichen  Religion“  an  die  Tradition  verloren  worden  ist.  Der  erste  Ausdruck  hatte  auf  einen  Glauben  Bezug  genommen,  der  Christus-­‐ähnlich  war,  der  zweite  bezeichnete  eine  Religion  –  eine  Menge  an  Überzeugungen  –,  die  Christus  angeblich  gepredigt  hatte.  Das  christliche  Leben  besteht  in  dieser  neuen  Konzeption  weniger  in  der  Nachahmung  Christi,  als  vielmehr  in  der  intellektuellen  Zustimmung  zu  den  Lehren,  die  er  gepredigt  hat.  Das  Konzept  der  Offenbarung  hat  einen  ähnlichen  Wandel  erfahren.  Während  einst  angenommen  wurde,  dass  Gott  sich  in  Christus  selbst  offenbart  hat,  offenbarte  er  nun  Lehren.52  Repräsentativ  für  diese  Veränderungen  ist  die  Behauptung  von  Nathaniel  Crouch,  einem  vergleichenden  Religionswissenschaflter  des  17.  Jahrhunderts,  dass  „dass  das  Christentum  die  Lehre  von  der  Erlösung  ist,  dem  Menschen  übergeben  durch  Jesus  Christus.“53  Daher  liegt  der  Schwerpunkt  in  den  Konfessionsstreitigkeiten  der  frühen  Neuzeit  nicht  auf  dem  besten  Weg  ein  Christus-­‐gemäßes  Leben  zu  führen,  sondern  auf  der  Identifizierung  jener  spezifischen  Lehren,  von  denen  angenommen  wird,  Christus  und  seine  rechtmäßigen  Erben  hätten  sie  verkündigt.  Das  ist  die  Ansicht,  gemäß  der  das  Christentum  eine  Religion  ist,  und  zwar  die  paradigmatische  Religion,  die  das  Modell  dafür  darstellt,  wie  die  „anderen  Religion“  konstruiert  werden  müssen.    

Während  viele  Christen  sich  heutzutage  so  verstehen,  dass  sie  einer  „Religion“  im  neuzeitlichen  Sinne  angehören,  und  das  bestimmt  auch  von  vielen  Außenstehenden  so  wahrgenommen  wird,  sind  gegen  diese  Kategorisierung  auch  Einwände  vorgebracht  worden.  Die  Vorbehalte  von  Karl  Barth  und  Dietrich  Bonhoeffer  gegenüber  „Religion“  sind  bereits  angemerkt  worden.  Raimundo  Panikkar  hat  ähnliche  Beobachtungen  gemacht  und  seine  Sehnsucht  nach  vorneuzeitlicher  Frömmigkeit  zum  Ausdruck  gebracht:  „Der  christliche  Glaube  muss  sich  der  ‚christlichen  Religion’  entledigen.“54  Panikkar  verweist  auf  wichtige  Unterscheidungen  zwischen  Christenheit  (eine  Zivilisation),  Christentum  (eine  Religion)  und  Christlichkeit  (eine  persönliche  Religiosität):  Ein  Christ  zu  sein,  so  argumentiert  er,  muss  nicht  notwendigerweise  bedeuten,  zu  „der  christlichen  Religion“  zu  gehören.  Entsprechend    

„kann  ein  Christ  zu  sein,  auch  so  verstanden  werden,  dass  ein  persönlicher  Glaube  bekannt  wird  und  man  eine  Christus-­‐ähnliche  Haltung  einnimmt,  insofern  Christus  das  zentrale  Symbol  des  eigenen  Lebens  repräsentiert.  Ich  nenne  das  Christlichkeit.  Christlichkeit  unterscheidet  sich  von  der  Christenheit,  da  sich  die  Christenheit  vom  Christentum  ableitet.“55  

Während  wir  unseren  Schwerpunkt  bisher  auf  die  subtilen  Veränderungen  gelegt  haben,  die  das  Aufkommen  des  Begriffs  Religion  für  das  christliche  Selbstverständnis  gehabt  hat,  gibt  es  hinreichende  Belege  dafür,  ähnliche  Verzerrungen  in  anderen  Traditionen  zu  vermuten.  „Religion“  hat  wie  „Wissenschaft“  eine  Geschichte,  und  diese  Geschichte  hat  essentielle  Auswirkungen  auf  Behauptungen  über  ihre  Beziehungen  mit  anderen  menschlichen  Aktivitäten  und  Formen  des  Wissens.  In  der  vorliegenden  historischen  Analyse  wird  nicht  nahegelegt,  dass  lehrmäßige  Bindungen  keine  legitime  Rolle  im  religiösen  Leben  spielen  oder  dass  religiöse  Überzeugungen  als  non-­‐kognitiv  angesehen  werden  sollten.  Eher  soll  betont  werden,  dass  der  Begriff  „Religion“  zu  einer  Erhöhung  des  Stellenwerts  propositionaler  Behauptungen  führt,  und  dass  der  damit  einhergehende  Vergleich                                                                                                                            52  Zu  diesen  Transformationen,  vgl.  Harrison,  ‘Religion’  and  the  Religions,  19–28.  53  Nathaniel  Crouch,  The  Strange  and  Prodigious  Religions,  Customs,  and  Manners  of  Sundry  Nations,  London  1683,  27f.  54  Nathaniel  Crouch,  The  Strange  and  Prodigious  Religions,  Customs,  and  Manners  of  Sundry  Nations,  London  1683,  27f.  55  Panikkar,  „The  Jordan,  the  Tiber,  and  the  Ganges“,  in:  The  Myth  of  Christian  Uniqueness,  London:  SCM  1988,  104–105.  

04_Harrison_20130613.doc 13

 

13

von  „Religionen“  oder  „Religion“  und  „Wissenschaft“  ebenso  die  Idee  fördert,  dass  diese  Unternehmungen  einen  wesentlichen  Kern  haben,  der  ausschließlich  mit  ihrem  kognitiven  Gehalt  identifiziert  werden  kann.  

Eine  umfassende  Analyse,  was  in  anderen  Traditionen  geschehen  ist,  muss  notwendigerweise  Gegenstand  anderer  Untersuchungen  sein,  aber  eine  kurze  Anmerkung  zu  einigen  kürzlich  erschienenen  Arbeiten  zu  Buddhismus  und  Wissenschaft  ist  möglich.  Der  Fall  des  Buddhismus  passt  besonders  gut  zu  dem  Argument,  das  in  diesem  Aufsatz  dargestellt  wird,  da  die  westliche  Konstruktion  eines  idealen  schriftlichen  Buddhismus  in  der  viktorianischen  Epoche  mit  der  Erfindung  der  neuzeitlichen  Wissenschaft  zusammenfällt.56  Es  ist  vielleicht  nicht  überraschend,  dass  eine  Reihe  von  einflussreichen  westlichen  Apologeten  des  Buddhismus,  diese  neu  „entdeckte“  Religion  als  mit  der  westlichen  Wissenschaft  besonders  kompatibel  präsentiert  hat.  Im  Lichte  der  Kontroversen,  die  sich  durch  die  Evolutionstheorie  ergeben  haben,  wurde  behauptet,  der  Buddhismus  stimme  mit  den  neuesten  wissenschaftlichen  Entwicklung  besser  überein  als  das  Christentum.  Helena  Blavatsky,  die  Anführerin  der  theosophischen  Bewegung,  hat  kühn  behauptet,  der  Buddhismus  sei  wissenschaftlich  und  philosophisch  reiner  als  jede  andere  der  religiösen  Alternativen.  Ebenso  hat  der  amerikanische  Befürworter  eines  „wissenschaftlichen  Buddhismus“,  Paul  Carus,  die  wissenschaftlichen  Errungenschaften  des  Buddhismus  hervorgehoben  und  behauptet,  er  sei  „eine  Religion,  die  keine  andere  Offenbarung  anerkennt,  außer  der  Wahrheit,  die  durch  Wissenschaft  bewiesen  werden  kann.“57  Diese  Behauptungen  stimmen  auch  mit  einigen  asiatischen  Buddhisten  überein,  besonders  mit  Anagarika  Dharmapala,  der  die  Begriffe  der  Evolution,  der  Naturgesetze  und  von  Ursache  und  Wirkung  mit  grundlegenden  buddhistischen  Lehren  verbunden  hat.  In  einem  gewissen  Sinn  hat  Dharmapala  sich  hier  auf  eine  Art  inversen  Orientalismus  berufen  oder,  um  es  mit  James  Ketelaar  zu  sagen,  auf  einen  „strategischen  Okzidentialismus“.  Wie  David  McMahan  vorgeschlagen  hat,  haben  beide  Seiten  –  die  westlichen  Aneigner  und  die  einheimischen  Apologeten  –  „Buddhismus  in  wissenschaftlichen  rationalistischen  Ausdrücken  als  Antwort  auf  die  unterschiedlichen  Krisen  in  ihren  verschiedenen  kulturellen  Kontexten  konstruiert“.  Im  einen  Fall  war  dies  die  viktorianische  Glaubenskrise,  im  anderen  Fall  eine  Krise,  die  durch  den  Kolonialismus  ausgelöst  wurde.58  Letztlich  wurden  selbst  bei  diesen  Versuchen,  einen  Buddhismus  zu  fördert,  der  auf  einzigartige  Weise  mit  neuzeitlichen  Wissenschaft  übereinstimmt  –  und  insofern  Vorteile  gegenüber  dem  Christentum  genießt  –,  dem  Buddhismus  jene  tiefgehenden  Strukturen  der  protestantischen  Religion  aufgezwungen,  die  eine  so  bedeutende  Rolle  bei  der  Erschaffung  des  Begriffs  „Religion“  gespielt  haben.59  Am  Fall  des  Buddhismus  ist  vor  allem  interessant,  dass  seine  Rekonstruktion  in  wissenschaftlicher  Form  nicht  nur  von  außen  aufgezwungen  wurde,  sondern  durch  manche  auch  als  apologetische  Strategie  von  innen  angeeignet  wurde.  In  diesem  letzteren  Aspekt  gibt  es  eine  interessante  Übereinstimmung  zwischen  „wissenschaftlichem  Buddhismus“  und  „wissenschaftlichem  Christentum“,  die  beide  zu  selbstverschuldeten  Kategorien  geworden  sind.  60  

                                                                                                                         56  Zur  Entdeckung,  oder  Konstruktion,  des  neuzeitlichen  Buddhismus,  vgl.  Almond,  British  Discovery  of  Buddhism,  besonders  24–28.  Ich  stehe  bei  diesem  Abschnitt  in  der  Schuld  von  Almonds  Buch  und  David  L.  McMahon,  „Modernity  and  the  Early  Discourse  of  Scientific  Buddhism“,  in:  Journal  of  the  American  Academy  of  Religion  72  (2004),  897–933.  57  Paul  Carus,  Buddhism  and  its  Christian  Critics,  Chicago:  Open  Court  1897,  114,  zitiert  in  McMahon,  „Early  Discourse  of  Scientific  Buddhism“,  917.  Siehe  auch  Almond,  British  Discovery  of  Buddhism,  84–93.  58  McMahan,  „Discourse  of  Scientific  Buddhism“,  908,  924f.  59  Stephen  Prothero,  The  White  Buddhist:  The  Asian  Odyssey  of  Henry  Steel  Olcott,  Bloomington:  Indiana  University  Press  1996,  7–9;  MacMahan,  „Discourse  of  Scientific  Buddhism“,  924f.  Vgl.  auch  Donald  S.  Lopez,  Jr.,  A  Modern  Buddhist  Bible:  Essential  Readings  from  East  and  West,  Boston:  Beacon  2002,  Einleitung.  60  Zur  Frage  des  konstruierten  Wesens  des  Buddhismus  im  Vergleich  zur  Wissenschaft,  vgl.  besonders  Donald  S.  Lopez  Jr.,  Buddhism  and  Science:  A  guide  for  the  perplexed,  Chicago:  University  of  Chicago  Press  2009,  und  Peter  Harrison,  „A  Scientific  Buddhism?“,  in:  Zygon  45  (2010),  861–870.  

04_Harrison_20130613.doc 14

 

14

3. „Wissenschaft“  und  „Religion“  in  Beziehung  setzen  

Die  Geschichte  der  kulturellen  Konstruktion  von  beiden  Kategorien  in  der  Paarbildung  „Wissenschaft  und  Religion“  hat  eine  tiefgehende  Bedeutung  für  jeden  gegenwärtigen  Versuch,  die  vermeintlichen  Beziehungen  zwischen  ihnen  zu  erkennen.  Während  sich  einige  Diskussionsteilnehmer,  wie  wir  gesehen  haben,  auf  die  vergegenständlichte  Natur  eines  der  Ausdrücke  der  Relation  –  „Wissenschaft“  –  eingelassen  haben,  wurde  fast  immer  angenommen,  dass  der  andere  Ausdruck  der  Relation  relativ  unproblematisch  ist.  Nun  sind  wir  in  der  Lage,  zu  sehen,  dass  das  nicht  der  Fall  ist.  Eine  mögliche  Antwort  auf  die  Geschichte  von  „Religion“  wäre  es,  die  Aufmerksamkeit  auf  die  Beziehung  einzelner  religiöser  Traditionen  zur  Wissenschaft  (oder,  genauer  gesagt,  zu  einzelnen  Wissenschaften)  zu  richten.  Das  würde  zu  einem  gewissen  Ausmaß  der  irreführenden  Ansicht  begegnen,  es  gäbe  ein  allgemeines  Etwas    –  „Religion“  –,  das  von  all  diesen  Traditionen,  die  wir  mit  dem  Label  „Religion“  versehen,  geteilt  wird.  Zu  einem  gewissen  Grad  ist  diese  Option  schon  im  Spiel,  denn  die  große  Mehrheit  der  Arbeiten,  die  das  Verhältnis  von  Wissenschaft  und  Religion  zum  Gegenstand  haben,  beschäftigen  sich  mit  Wissenschaft  und  christlicher  Theologie.  Angesichts  der  Natur  der  Kategorie  „Religion“  mag  das  als  eine  vielversprechende  Entwicklung  erscheinen.  Allerdings  kann  es  dazu  führen,  dass  lediglich  die  Verzerrung  der  allgemeineren  Kategorie  aufrecht  erhalten  wird,  denn  es  wird  oft  angenommen,  dass  „die  christliche  Religion“  problemlos  mit  christlicher  Theologie  identifiziert  werden  kann  und  dass  eine  Betrachtung  von  christlicher  Theologie  und  Wissenschaft  Licht  auf  die  allgemeinere  Frage  nach  Wissenschaft  und  Religion  werfen  wird.    

Zum  Beispiel  hat  Arthur  Peacocke  in  einem  einflussreichen  Werk  zur  Beziehung  zwischen  Wissenschaft  und  Theologie  behauptet,  die  Beziehung  des  Christentums  zur  Wissenschaft  „hat  eine  besondere  Bedeutung  für  alle  Formen  von  religiöser  Erfahrung  und  Kulturen“.61  In  seiner  Rechtfertigung  dieser  Behauptung  bezieht  sich  Peacocke  auf  die  einzigartige  Geschichte  des  Christentums:  

Der  zweite  Grund,  warum  die  christliche  Religion  als  paradigmatischer  Fall  einer  Religion,  die  in  dem  neuen  kulturellen  Klima  operiert,  das  mit  dem  Aufstieg  der  Wissenschaft  zusammenhängt,    besondere  Aufmerksamkeit  verdient,  ist,  dass  die  christliche  Religion  den  Fehdehandschuh  annehmen  musste,  der  durch  das  geworfen  wurde,  was  man  grob  ‚Aufklärung’  nennt.  Unter  den  großen  Weltreligionen  war  es  nahezu  allein  damit,  in  seiner  eigenen  Kultur  zum  Gegenstand  kritischer,  historischer,  linguistischer  und  literarischer  Analysen  seiner  heiligen  Schriften  und  ihrer  Quellen  zu  werden;  seine  Überzeugungen  sind  skeptischer  philosophischer  Kritik  ausgesetzt  worden;  seine  Haltungen  psychologischer  Untersuchung;  und  seine  Strukturen  soziologischen  Untersuchungen.62  

Man  kann  dem  zustimmen,  dass  „die  christliche  Religion“  in  der  Tat  ein  „paradigmatischer  Fall“  ist,  so  dass  eine  Explikation  ihrer  Beziehung  zur  Wissenschaft  „besondere  Aufmerksamkeit“  verdient.  Doch  sind  wir  nun  in  einer  Position,  in  der  wie  sehen  können,  warum  und  in  welchem  Sinne  das  wahr  ist.  Das  Christentum  ist  die  paradigmatische  Religion,  weil  die  „anderen  Religionen“  nach  ihrem  Bild  konstruiert  wurden.  Hinzukommt,  dass  Peacocks  Darstellung,  wie  der  christliche  Glaube  Gegenstand  verschiedenster  Formen  rationaler  Untersuchungen  war,  nicht  die  Geschichte  der  christlichen  Religion  in  ihrer  Beziehung  zu  einer  kritischen  Kultur  beschreibt.  Tatsächlich  ist  dieser  Prozess  eher  das  Entstehen  „der  christlichen  Religion“,  die  als  eine  Menge  von  propositionalen  Wahrheiten  wahrgenommen  wird,  die  den  Grundsätzen  rationaler  Forschung  unterworfen  werden  können.  „Die  christliche  Religion“  wird  daher  eher  durch  diese  Interaktionen  konstituiert,  als  dass  sie  einer  der  beiden  Pole  [co-­‐respondents]  in  einer  Beziehung  ist.  Es  war  genau  die  Entwicklung  der  Überlegenheit  der  rationalen  Autorität  in  der  Aufklärung,  die  die  Idee  der  Religion  und  ihren  Archetyp,  „die  christliche  Religion“,  hervorgebracht  hat.63  

                                                                                                                         61  Arthur  Peacocke,  Theology  for  a  Scientific  Age,  erweiterte  Auflage,  London:  SCM  1993,  3.  62  Ebd.,  4f.  63  Variationen  dieses  Schrittes  sind  in  der  Literatur  zu  Wissenschaft  und  Religion  nicht  ungewöhnlich.  John  Polkinghorne  beginnt  seine  Diskussion  in  Belief  in  God  in  an  Age  of  Science  indem  er  anmerkt,  dass  unterschiedliche  religiöse  Gruppierungen  unterschiedliche  Antworten  auf  die  Frage  haben,  was  es  bedeutet  in  Gott  zu  glauben.  Dabei  scheinen  polytheistische  und  atheistische  Religionen  ausgeschlossen  zu  werden.  Das  

 

04_Harrison_20130613.doc 15

 

15

Das  Problem  der  Beziehung  des  Christentums  zur  Wissenschaft  ist  daher  ein  Problem,  das  in  großem  Maße  von  den  in  Frage  stehenden  Kategorien  kreiert  wurde.  Auf  ziemlich  ähnliche  Weise,  wie  die  objektivierenden  und  logozentrischen  Tendenzen  der  Aufklärung  die  „anderen  Religionen“  produziert  haben  –  was  zur  gleichen  Zeit  die  schwierige  Frage  ihrer  Relation  zueinander  erschaffen  hat  –,  ist  auch  „Wissenschaft  und  Religion“  eine  Beziehung,  die  sich  nur  auf  Grund  der  verzerrenden  Zersplitterung  von  Mengen  menschlicher  Aktivitäten  ergeben  hat.  Mit  der  Erschaffung  jeder  Kategorie  ist  eine  unwillkommene  Abstraktion  von  der  Wirklichkeit  hinzugekommen.  Der  Historiker  Andrew  Cunningham  hat  dafür  in  Hinblick  auf  die  Wissenschaft  argumentiert:    

„Der  gewöhnliche  Fokus  unserer  Aufmerksamkeit  als  Wissenschaftshistoriker  hat  nicht  primär  auf  den  Menschen  in  der  Praxis  dieser  menschlichen  Aktivität  ‚Wissenschaft’  gelegen,  sondern  auf  der  einen  oder  anderen  Abstraktion  einer  anderen  Art  –  abstrahiert  nämlich  von  der  menschlichen  Aktivität,  die  sie  ausmacht.“64    

Diese  Beobachtung  ist  nicht  nur  auch  für  die  Kategorie  „Religion“  wahr,  sondern  ihre  Konsequenzen  für  die  Aktivitäten,  die  diese  Kategorie  repräsentieren  sollte,  sind  in  diesem  Fall  sogar  noch  vernichtender  als  im  Fall  von  „Wissenschaft“.  Der  unreflektierte  Gebrauch  von  „Religion“  diente  daher  dazu,  das  Aufklärungsideal  von  der  „christlichen  Religion“  als  einem  primär  intellektuellen  Unternehmen  zu  erhalten,  und  (was  eine  weniger  offensichtliche  Konsequenz  ist)  auch  dazu,  die  privilegierte  Stellung  des  Christentums  unter  den  Weltreligionen  zu  erhalten.  Beide  Tendenzen  sind  zu  einem  großen  Ausmaß  unbewusste  und  vielleicht  sogar  unerwünschte  Konsequenzen  eines  unkritischen  Gebrauchs  der  Kategorien.    

Kommen  wir  noch  einmal  auf  Arthur  Peacockes  Theology  of  a  Scientific  Age  zurück.65  Hier  finden  wir  das  frühe  Dementi,  seine  Schlussfolgerungen  seien  keinesfalls  „so  gedacht,  dass  impliziert  wird,  dass  andere  nicht-­‐christliche  Religionen  kein  Weg  zu  der  Wirklichkeit  sein  können,  die,  wie  ich  argumentieren  werde,  Gott  ist“.66  Nichtsdestotrotz  erscheint  diese  Aussage  seltsam  im  Lichte  einger  anderer  in  dem  Buch  diskutierter  Themen:  Gottes  Interaktion  mit  der  Welt,  Gottes  Kommunikation  mit  der  Menschheit,  Die  Lange  Suche  und  Jesus  von  Nazareth,67  Göttliches  Wesen  und  Menschwerdung.  Wenn  man  zeigen  kann,  dass  die  Wissenschaft  der  Gegenwart  kompatibel  ist  mit  der  Existenz  eines  persönlichen  Gottes,  der  mit  der  Welt  interagiert,  mit  der  Menschheit  kommuniziert  und  in  der  Person  Jesu  Christi  Fleisch  geworden  ist  –  welche  Konsequenzen  hat  das  für  den  Wahrheitsanspruch  des  atheistischen  Buddhismus,  des  polytheistischen  Hinduismus  und  den  strikten  Monotheismus  von  Judentum  und  Islam?  Pace  Peacocke,  je  enger  man  die  Verbindung  zwischen  Wissenschaft  und  christlichen  Überzeugungen  macht,  umso  mehr  scheint  man  auf  den  christlichen  Exklusivismus  festgelegt  zu  sein  –  die  Position,  gemäß  der  der  Wahrheitsanspruch  des  Christentums  wahr  ist,  während  jene  der  anderen  Religionen  falsch  sind.  Daher  ist  eine  der  

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Kapitel  „Science  and  Religion  Compared“,  in  dem  die  Christologie  diskutiert  wird,  geht  unmerklich  in  eine  Diskussion  von  „science  and  [Christian]  theology“  über  (1998,  45–47).    Philip  Clayton  hält  fest,  dass  Gott-­‐Welt-­‐Verhältnis  „is  a  question  shared  by  numerous  religious  traditions,  each  of  which  turns  to  a  different  set  of  scriptures  for  its  answer“,  wobei  er  wiederum  die  paradigmatische  Natur  von  monotheistischen  „religions  of  the  book“  impliziert  (God  and  Contemporary  Science,  Grand  Rapids:  Eerdmans  1997).  Zugegeben,  an  anderer  Stelle  scheint  Clayton  etwas  mehr  Feingefühl  für  die  Probleme  zu  haben,  die  sich  durch  religiösen  Pluralismus  ergeben  (vgl.  z.B.  x,  58,  66  Fn.  12,  155),  aber  diese  Schwierigkeiten  werden  letztlich  bei  Seite  gelassen.  Keith  Ward  hat  sich  auch  dem  Problem  des  religiösen  Pluralismus  zugewandt,  aber  seine  sorgfältige  Diskussion  von  „other  religions“  wird  nicht  wirklich  in  seinen  Zugang  zur  Relation  von  Christentum  und  Wissenschaft  miteinbezogen.  Vgl.  God,  Faith,  and  the  New  Millenium:  Christian  Belief  in  an  Age  of  Science,  Oxford:  Oneworld  1997,  10f.,  152–171.  64  Cunningham,  „The  Identity  and  Invention  of  Science“,  372.  65  Ich  komme  nicht  wieder  auf  Peacockes  Werk  zurück,  weil  ich  denke,  dass  es  besonders  einfach  zu  kritisieren  ist.  Im  Gegenteil,  es  ist  eines  der  Besten  dieses  Genres.  Nichtsdestotrotz  sind  es  die  Voraussetzungen  dieses  Genres,  die  ich  untersuchen  will.  66  Peacocke,  Theology  for  a  Scientific  Age,  3.  67  Hier  handelt  es  sich  um  eine  Aufzählung  von  Kapitelüberschriften  aus  Peacockes  Werk,  wobei  die  „Lange  Suche“,  sich  die  Suche  nach  dem  historischen  Jesus  bezieht.  (A.d.Ü.)  

04_Harrison_20130613.doc 16

 

16

unvorhergesehenen  Konsequenzen  dieses  gängigen  Ansatzes,  dass  Wissenschaft,  wenn  sie  gewisse  religiöse  Überzeugungen  stützen  kann,  andere  notwendigerweise  ausschließt.  

Ich  sage  hier  nicht,  dass  der  christliche  Exklusivismus  notwendigerweise  falsch  ist.  Es  ist  nicht  offensichtlich,  dass  der  religiöse  Exklusivismus  philosophisch  oder  moralisch  unangemessen  ist,  auch  wenn  manche  in  dieser  Richtung  argumentiert  haben.  Trotzdem  kann  es  sein,  dass  der  Wunsch,  nach  einer  Annäherung  von  Christentum  und  Wissenschaft  zu  suchen,  die  Aussicht  auf  einen  sinnvollen  Dialog  von  Christentum  und  anderen  Glaubensrichtungen  verringert.  Das  Argument  einer  engen  Übereinstimmung  zwischen  der  neuzeitlichen  Wissenschaft  und  der  christlichen  Religion  führt  das  Ideal  der  Aufklärung,  ein  rationales  Christentum  sei  die  Religion,  die  den  Angriffen  von  Vernunft  und  Naturphilosophie  am  besten  widerstehen  kann,  fort.  Die  Berufung  auf  die  Vernunft,  daran  sollten  wir  uns  erinnern,  diente  nicht  primär  dazu,  christliche  Überzeugungen  gegen  die  Angriffe  von  Atheismus  und  Naturphilosophie  zu  verteidigen,  sondern  dazu,  die  Wahrheit  des  Christentums,  bzw.  einer  seiner  konfessionellen  Formen,  gegenüber  konkurrierenden  Formen  der  Religiosität  nachzuweisen.  Man  kann  der  Ansicht  sein,  dass  diese  vergangenen  Siege  des  Christentums  nur  für  den  hohen  Preis  einer  Verzerrung  des  christlichen  Glaubens  und  des  religiösen  Lebens  jener,  die  ungewollt  den  anderen  „Religionen“  zugeordnet  wurden,  errungen  wurden.  

Diejenigen,  die  einen  rationalen  und  unparteiischen  Zugang  zu  Wissenschaft  und  christlichem  Glauben  erlangen  wollen,  stehen  vor  nahezu  exakt  demselben  Dielamma  wie  jene,  die  während  der  Aufklärung  „die  Religionen“  objektiv  verglichen,  nur  um,  nahezu  ausnahmslos,  zu  dem  Schluss  zu  kommen,  dass  das  Christentum  überlegen  ist.  Wie  ich  vorgeschlagen  habe,  sind  für  diese  Situation  größtenteils  die  in  Frage  stehenden  Kategorien  verantwortlich,  aber  diese  Kategorien  repräsentieren  wiederum  sich  widersprechende  Festlegungen  –  einerseits  auf  die  Wahrheit  einer  einzelnen  Tradition,  andererseits  auf  eine  Menge  rationaler,  kritischer  Verfahren,  die  einen  unbefangenen  Vergleich  der  Alternativen  erlauben.  Ohne  Neutralität  ist  der  Vergleich  sinnlos.  Aber  ist  eine  solche  neutrale  Objektivität  überhaupt  mit  religiöser  Überzeugung  vereinbar?  Die  Aufklärung  hat  zur  Verwandlung  des  christlichen  Glaubens  in  „die  christliche  Religion“  geführt  –  einer  Menge  an  Dogmen,  die  rationaler  Kritik  widerstehen  konnten  –  und  in  ihrem  Gefolge  zur  Verwandlung  der  „anderen  Religionen“,  die  ähnlich  aufgefasst  wurden,  wenn  sie  auch  weniger  dazu  in  der  Lage  waren,  den  Angriffen  der  Vernunft  zu  widerstehen,  als  das  Original.  

Die  Schwierigkeit  mit  einer  solchen  Sichtweise  von  Religion  ist,  dass  sie  wirksam  jene  persönlichen  und  affektiven  Verpflichtungen  ausblendet,  von  denen  man  vernünftigerweise  argumentieren  könnte,  dass  sie  wichtig  für  Glaubensgemeinschaften  sind.  Sie  reduziert  Glaube  auf  Theologie;  sie  verwandelt  Frömmigkeit  in  „eine  Religion“.  Schon  während  diese  Verwandlungen    ausgeführt  wurden,  ging  diese  Marginalisierung  von  Frömmigkeit  und  Glauben  nicht  ohne  Protest  durch.  Das  zeigt  sich  am  Aufkommen  des  Pietismus  im  frühen  18.  Jahrhundert  und  der  noch  früheren  berühmten  Unterscheidung  von  Blaise  Pascal  zwischen  dem  Gott  des  Glaubens,  „Abrahams,  Isaaks  und  Jakobs“,  und  „dem  Gott  der  Philosophen“  –  einer  bewohnt  den  Bereich  des  Glaubens,  der  andere  den  von  Vernunft  und  „Religion“.68  Es  ist,  so  vermute  ich,  der  Gott  der  Philosophen,  der  in  vielen  Diskussion  der  Beziehung  von  Wissenschaft  und  Religion  vorkommt  –  der  Gott,  der  die  notwendige  Ursache  für  die  Existenz  des  Universums  ist,  der  die  erschaffene  Ordnung  und  ihre  mathematischen  Gesetze  erhält,  der,  wenn  es  nötig  sein  sollte,  in  Quantenunsicherheiten  arbeitet,  kurz  gesagt,  der  Gott,  zu  dessen  Glauben  Vernunft  führt.  Dieser  Gott  ist  auch  der  Gott  der  „Religion“  

                                                                                                                         68  Blaise  Pascal,  Gedanken über die Religion und einige andere Themen, Stuttgart:  Reclam  1997,  „Memorial“,  S.  484.    Søren  Kierkegaard  wies  auf  ein  ähnliches  Dilemma  hin,  mit  dem  ein  Befürworter  einer  objektiven  und  rationalen  Religion  konfrontiert  ist:  „The  inquiring  subject  must  be  in  one  or  the  other  of  two  situations.    Either  he  is  in  faith  convinced  of  the  truth  of  Christianity,  and  in  faith  assured  of  his  own  relationship  to  it;  in  which  case  he  cannot  be  infinitely  interested  in  all  the  rest,  since  faith  itself  is  the  infinite  interest  in  Christianity,  and  since  every  other  interest  may  readily  come  to  constitute  a  temptation.    Or  the  inquirer  is,  on  the  other  hand,  not  in  an  attitude  of  faith,  but  objectively  in  an  attitude  of  contemplation,  and  hence  not  infinitely  interested  in  the  determination  of  the  question“,  Concluding  Unscientific  Postscript,  übersetzt  v.  David  Swenson  und  Walter  Lowrie,  Princeton:  Princeton  University  Press  1968,  23.  

04_Harrison_20130613.doc 17

 

17

und  damit  auch  der  von  „Wissenschaft  und  Religion“:  Ob  er  mit  dem  Gott  des  Glaubens  vereinbar  ist,  bleibt  eine  offene  Frage.  

Letztlich  kann  der  Historiker  keine  Antworten  auf  normative  Fragen  dieser  Art  geben.  Es  ist  gut  vorstellbar,  dass  die  Arten  konzeptueller  Transformationen,  wie  sie  in  diesem  Aufsatz  kurz  dargestellt  wurden,  von  einigen  religiösen  Menschen  willkommen  geheißen  werden.  Ein  wissenschaftlich  ausgerichtetes  Christentum  könnte  von  jenen,  deren  christliche  Hingabe  nicht  ernsthaft  in  Frage  steht,  gut  als  positive  Entwicklung  angesehen  werden.  Es  kann  auch  nicht  ignoriert  werden,  dass  z.B.  einige  Vertreter  eines  „wissenschaftlichen  Buddhismus“  eine  tadellose  buddhistische  Glaubwürdigkeit  haben  –  nicht  zuletzt  hat  der  Dalai  Lama  die  wissenschaftliche  Rechtfertigung  von  Aspekten  der  buddhistischen  Praxis  hervorgehoben.  Was  Historiker  aber  schon  tun  können,  ist,  Daten  zur  Verfügung  zu  stellen,  die  diejenigen  mit  religiösen  Verpflichtungen  bei  der  Bewertung  verschiedener  historischer  Übergänge  und  ihrer  Auswirkungen  hilfreich  finden  könnten.  Es  ist  zuguterletzt  wichtig,  sich  darüber  im  Klaren  zu  sein,  dass  diese  Übergänge  schon  stattgefunden  haben.  Die  anschließende  Frage,  wie  gut  diese  Entwicklungen  –  besonders  das  Aufkommen  der  neuzeitlichen  Begriffe  „Wissenschaft“  und  „Religion“  –  mit  der  langen  Geschichte  dieser  Traditionen  zusammenpassen,  sollte  eine  Frage  von  ziemlicher  Wichtigkeit  für  jene  sein,  die  sich  mit  diesen  Traditionen  identifizieren.  

4. Schlussfolgerung:  Welche  Zukunft  gibt  es  für  „Wissenschaft  und  Religion“?  

Was  lässt  sich  im  Lichte  all  dieser  Überlegungen  über  die  zukünftige  Aussicht  für  Diskussionen  über  Wissenschaft  und  Religion  sagen?  Lassen  Sie  mich  zum  Abschluss  einige  kurze  und  vorläufige  Vorschläge  machen.  Erstens  muss  zugestanden  werden,  dass  Abstraktionen  verschiedenster  Art  eine  notwendige  Bedingung  für  Wissen  sind.  Das  gilt  auch  für  „Wissenschaft“  und  „Religion“.  Während  diese  Kategorien  wie  viele  andere  die  Tendenz  haben,  ein  Eigenleben  zu  entwickeln  und  die  Wirklichkeit,  die  sie  abbilden  sollen,  zu  verdunkeln,  haben  sie  nichtsdestotrotz  ihren  Platz  im  Lexikon  des  20.  Jahrhunderts  so  sicher,  dass  es  nutzlos  wäre,  zu  versuchen,  vollkommen  auf  sie  zu  verzichten.  Was  mittlerweile  jedoch  klar  sein  sollte,  ist,  dass  jene,  die  ganz  auf  diese  Ausdrücke  bauen,  darauf  achten  müssen,  sie  mit  einem  erneuerten  Feingefühl  für  ihre  Grenzen  und  die  ihnen  eigenen  Verzerrungen,  zu  denen  sie  unausweichlich  Anlass  geben,  anzuwenden.  Religiöse  Dogmen  machen  nicht  die  Gesamtheit  des  religiösen  Lebens  aus,  noch  verkörpern  wissenschaftliche  Theorien  alles,  was  zum  wissenschaftlichen  Unternehmen  dazugehört.  Es  sollte  auch  klar  sein,  dass  wenn  die  konstruierte  Natur  der  Kategorien  erst  einmal  mit  berücksichtigt  wird,  sich  wechselseitige  Beziehungen  zwischen  Wissenschaft  und  Religion  als  Produkt  der  Kategorien  selbst  herausstellen  könnten.  Ob  Wissenschaft  und  Religion  in  Konflikt  stehen,  unabhängige  Entitäten  sind,  sich  im  Dialog  befinden  oder  wesentlich  miteinander  zusammenhängen,  wird  davon  bestimmt  sein,  wo  genau  jemand  die  Grenzen  innerhalb  der  breiten  Rahmenbedingungen  zieht,  die  durch  die  Konstruktionen  gegeben  sind.69  In  der  Tat  ist  die  Tatsache,  dass  jede  dieser  Positionen  auch  an  diesem  Punkt  der  Geschichte  noch  Anhänger  anziehen  kann,  ein  Hinweis  auf  die  künstliche  Natur  beider  Termini  der  Relation.  

Zweitens  folgt  direkt  aus  dem  ersten  Punkt,  dass  es  wichtig  ist,  ein  Augenmerk  auf  die  politischen  Dimensionen  der  Kategorien  und  ihrer  Relationen  zu  legen.  Wie  es  John  Bowker  kurz  und  bündig  ausgedrückt  hat,  hat  die  Frage  von  Wissenschaft  und  Religion  weniger  mit  Propositionen  als  vielmehr  mit  Macht  zu  tun.70  In  diesem  Licht  betrachtet,  könnten  einige  gut  gemeinte  Versuche,  den  Dialog  zwischen  Wissenschaft  und  Religion  zu  fördern,  die  kulturelle  Autorität  der  Wissenschaften  

                                                                                                                         69  Ich  baue  hier  auf  Ian  Barbour’s  bekannte  Typologie  zur  Kategorisierung  der  Relation  von  Wissenschaft  und  Religion  auf:  Konflikt,  Unabhängigkeit,  Dialog,  und  Integration.  Religion  and  Science:  Historical  and  Contemporary  Issues,  San  Francisco:  Harper  1997,  Kapitel  4.  70  John  Bowker,  „Science  and  Religion:  Contest  or  Confirmation?“,  in:  Science  meets  Faith,  hrsg.  v.  Fraser  Watts,  London:  SPCK  1998.  

04_Harrison_20130613.doc 18

 

18

stillschweigend  bekräftigen,  christliche  und  andere  Glaubenstraditionen  verzerren  und  die  problematischen  Aspekte  der  Kategorie  „Religion“  fortführen.  Manchmal  ist  das,  was  als  Interaktion  zwischen  Religion  und  Wissenschaft  durchgeht,  eine  versteckte  Berufung  auf  das  Prestige  der  Wissenschaften  samt  der  dazugehörigen  Gefahr  eines  Verlusts  von  dem,  was  religiöse  Traditionen  ausmacht.  Symptomatisch  für  diese  Tendenz  sind  die  kürzlich  gemachten  Studien  über  christliche  Überzeugungen  und  Praktiken,  die  vorgeben  zu  zeigen,  dass  Vergebung  gut  für  die  Gesundheit  ist,  dass  Kirchenbesuch  zu  einem  langen  Leben  führt  oder  dass  Bittgebete  medizinische  Auswirkungen  haben.  Solche  Studien  sind  auf  einem  gewissen  Level  ganz  harmlos,  aber  die  allgemeine,  wenn  auch  unausgesprochene,  Annahme,  dass  diese  empirische  Forschung  bedeutsame  religiöse  Implikationen  hat,  ergibt  sich  aus  einer  tiefreichenden  Verwirrung.  Auch  der  Buddhismus  hat  unter  gelegentlichen  Tendenzen  gelitten,  seine  epistemische  Autorität  an  wissenschaftliche  Experten  abzugeben.  Ein  Wachstumsgebiet  für  empirischer  Studien  des  Buddhismus  ist  die  Untersuchung  von  Meditationstechniken  mittels  Magnet-­‐Resonanz-­‐Tomographie  gewesen.  Die  Ergebnisse  solcher  Studien  –  die  z.B.  berichten,  dass  es  in  den  „Lustzentren“  der  Gehirne  von  meditierenden  Mönchen  hohe  Aktivität  gibt  –  werden  oft  als  Bestätigung  der  buddhistischen  Lehren  präsentiert;  als  ob  religiöse  Praktiken  und  Überzeugungen  vorläufig  bleiben  würden,  bis  sie  den  Stempel  der  empirischen  Verifikation  erhalten.71  

Ein  damit  zusammenhängender  Fall  einer  unziemlichen  Kollision  von  Wissenschaft  und  Religion  betrifft  die  religiösen  und  moralischen  Absegnungen  der  biotechnologischen  „Fortschritte“.  Bioethik,  sei  es  unter  ihrem  religiösen  oder  ihrem  säkularen  Deckmantel,  ist  daher  regelmäßig  (wenn  auch  nicht  ausnahmslos)  eine  Quelle  der  Legimitation  für  die  heutige  Medizin  gewesen,  indem  sie  zur  Fortschreibung  fragwürdiger  Modelle  wissenschaftlicher  Medizin  und  zur  Medikalisierung  der  westlichen  Gesellschaft  im  Namen  des  wissenschaftlichen  Fortschritts  beigetragen  hat.72  Die  Lektion  darin  liegt  in  der  Notwendigkeit  einer  kritischen  Distanz,  die  zwischen  Theologie  und  Wissenschaft  aufrechterhalten  werden  muss.  Das  ist  keine  Verteidigung  eines  Unabhängigkeits-­‐Modells  der  Art,  unterschiedliche  Sphären  zu  postulieren,  in  denen  Theologie  und  Wissenschaft  ohne  die  Angst  vor  gegenseitiger  Beeinflussung  arbeiten  können.  Noch  viel  weniger  ist  es  eine  Kritik  all  deren,  die  versuchen,  moralische  und  religiöse  Wegweiser  in  einer  Arena  aufzustellen,  in  der  eine  solche  Anleitung  wohl  mehr  nötig  ist  als  jemals  zuvor.  Der  Vorschlag  ist  eher,  dass  es  für  die  Theologie  unmöglich  sein  wird,  eine  kritische  –  oder  religiös  ausgedrückt:  eine  „prophetische“  –  Rolle  in  einer  Gesellschaft  auszuüben,  wenn  sie  nicht  eine  angemessene  Distanz  gegenüber  den  dominanten  kulturellen  Kräften  beibehält.  Das  ist  eine  Unabhängigkeit  der  Theologie  von  der  Wissenschaft,  die  Raum  für  legitimen  Konflikt  lässt.  

Drittens  sollte  klar  sein,  dass  Diskussionen  über  die  Relation  von  Wissenschaft  und  Religion  nicht  unabhängig  von  der  Thematik  des  religiösen  Pluralismus  diskutiert  werden  können.  Die  gängige  Annahme  des  19.  Jahrhunderts,  dass  alle  „Religionen“  irgendeine  gemeinsames  Wesen  teilen  oder  verschiedene  Manifestationen  einiger  zentraler  Wahrheiten  darstellen,  ist  in  unserer  heutigen  Zeit  zunehmend  schwerer  beizubehalten.  Der  Dialog  zwischen  Wissenschaft  und  Religion  kann  nicht  auf  Basis  der  Annahme  geführt  werden,  dass  der  religiöse  Pol  der  Diskussion  eine  Art  von  allgemeiner  natürlicher  Religion  ist,  die  im  Hinblick  auf  den  spezifischeren  Gehalt  verschiedener  Glaubensrichtungen  im  Wesentlichen  neutral  ist.  Behauptungen,  die  über  die  Kompatibilität  von  wissenschaftlichen  Behauptungen  mit  den  religiösen  Dogmen  einer  Tradition  gemacht  werden,  haben  Implikationen  für  den  Wahrheitsanspruch  der  anderen  Traditionen.  Jene,  die  auf  Diskussionen  der  Beziehung  von  Wissenschaft  und  Religion  festgelegt  sind,  können  diese  Dimension  nicht  ignorieren.  Es  ist  verführerisch  zu  glauben,  dass  die  Lösung  für  dieses  Dilemma  darin  liegt,  die                                                                                                                            71  Vgl.  z.B.  Visions  of  Compassion:  Western  Scientists  and  Tibetan  Buddhists  examine  Human  Nature,  hrsg.  v.  Richard  Davidson  und  Anne  Harrington,  Oxford:  Oxford  University  Press  2001;    Cary  Barbour,  „The  Science  of  Meditation“,  in:  Psychology  Today  05/2001;  Daniel  Goleman,  „Taming  Destructive  Emotions“,  in:  Tricycle:  The  Buddhist  Review  47  (2003),  75–78;    McMahan,  „Discourse  of  Scientific  Buddhism“,  927f.  72  Stanley  Hauerwas,  „Styles  of  Religious  Reflection  in  Medical  Ethics“,  in:  Religion  and  Medical  Ethics:  Looking  Back,  Looking  Forward,  hrsg.  v.  Allen  Verhey,  Grand  Rapids:  Eerdmans  1996.  

04_Harrison_20130613.doc 19

 

19

Beziehung  von  jeder  dieser  Traditionen  zu  den  Wissenschaften  zu  untersuchen.  Die  historischen  Überlegungen  dieses  Aufsatzes  schlagen  hingegen  vor,  dass  „Wissenschaft  und  Religion“  primär  ein  westliches  Problem  ist,  denn  dort  sind  die  entsprechenden  Kategorien  entstanden  und  am  wirkmächtigsten.  Bei  „den  östlichen  Religionen“  beispielsweise  dringt  die  Thematik  von  Wissenschaft  und  Religion  nur  in  dem  Ausmaß  ein,  dass  die  Leute  im  Osten  überlegen,  ob  sie  sich  „einer  Religion“  zuordnen.  Aus  dieser  relativen  Indifferenz  von  Leuten  aus  anderen  Traditionen  lässt  sich  etwas  für  die  Thematik  von  Wissenschaft  und  Religion  lernen  –  und  ich  beziehe  mich  hier  auf  jene,  die  gegenüber  dem  westlichen  Konzept  von  „Religion“  und  der  kulturellen  Autorität  von  Wissenschaft  immun  geblieben  sind.  Es  könnte  besser  sein,  diese  Gleichgültigkeit  zu  übernehmen,  anstatt  eine  Menge  von  Problemen  zu  exportieren,  die  zu  einem  großen  Ausmaß  Schöpfungen  der  Kategorien  des  westlichen  Wissens  sind.  Was  den  Zuwachs  von  wissenschaftsbezogenen  Themen  in  Traditionen  wie  Islam  und  Buddhismus  betrifft,  würden  sie  einen  interessanten  Testfall  für  die  in  diesem  Aufsatz  entworfene  These  darstellen.  

Viertens  sollten  die  persönlichen  Dimensionen  wissenschaftlicher  und  religiöser  Aktivitäten  ernster  genommen  werden.  In  einem  bestimmten  Sinne  sollten  wir  abstrakte  Diskussionen  über  Theologie  und  Wissenschaft  mehr  als  persönliche  Aussagen  denn  als  Äußerungen  über  die  Beziehung  zwischen  zwei  unabhängigen  Denksystemen  lesen.  Theoretische  Zugänge  zu  Wissenschaft  und  Theologie  werden  vielleicht  am  besten  verstanden  als  autobiographische  Aussagen  darüber,  wie  Individuen,  die  religiösen  Glauben  ernst  nehmen,  zu  einem  persönlichen  Umgang  mit  der  mächtigen  und  dominierenden  Ansicht  der  natürlichen  Welt  gefunden  haben,  von  der  sie  bemerkt  haben,  dass  sie  sie  nicht  ignorieren  können.  Zu  einem  gewissen  Grad  ist  eine  solche  Lesart  bloß  eine  Erweiterung  des  historischen  Vorgehens  mittels  „Fallstudien“  auf  die  gegenwärtige  Debatte  hin,  und  ausgehend  von  der  Annahme,  dass  dies  ein  fruchtbarer  Weg  ist,  um  zu  einem  Verstehen  der  Vergangenheit  zu  kommen,  gibt  es  keinen  Grund,  warum  das  nicht  auch  für  die  Gegenwart  gelten  sollte.  Dieser  nahegelegte  Perspektivenwechsel  soll  Arbeiten,  die  vorgeben,  substantielle  Themen  zu  diskutieren,  nicht  abwerten  oder  schlecht  machen.  Nicht  zuletzt  gibt  es  im  Westen  eine  lange  Tradition  religiöser  Biographien  und  Autobiographien,  auch  wenn  diese  Praxis  zugegebenermaßen  mit  der  Erfindung  der  propositionalen  „Religion“  in  der  Aufklärung  einen  Rückschlag  erfahren  hat.  Vielleicht  sollten  wir  „wissenschaftliche“  Kritiker  von  Religion  in  einem  ähnlichen  autobiographischen  Licht  betrachten.  Der  Historiker  Owen  Chadwick  hat  bei  seiner  Bezugnahme  auf  den  wechselseitigen  Konflikt  zwischen  Wissenschaft  und  Religion  im  viktorianischen  Zeitalter  unterschieden  „zwischen  Wissenschaft,  die  gegen  die  Religion  war  und  Wissenschaftlern,  die  gegen  die  Religion  waren“.73  Eine  solche  Charakterisierung  ist  heute  nicht  weniger  angemessen.  Es  gibt  auch  im  21.  Jahrhundert  immer  noch  jene,  die  mit  einer  reizendenden  Wunderlichkeit  eine  Fackel  für  das  „Kriegs-­‐Modell“  der  Beziehung  zwischen  Wissenschaft  und  Religion  tragen.  In  einem  starken  Sinn  verraten  solche  Überzeugungen  mehr  darüber,  was  sich  solche  Personen  persönlich  unter  „Religion“  vorstellen,  als  sie  über  zwei  vermeintlich  im  Konflikt  zueinander  stehenden  Zugänge  zur  Welt  aussagen.  Die  Macht  ihrer  Rhetorik  hat  jedoch  meistens  weniger  mit  der  Kohärenz  ihrer  Ansichten  zu  tun,  als  vielmehr  mit  ihrer  kulturellen  Autorität  als  Wissenschaftler.    

Zu  guter  Letzt,  und  in  einem  gewissen  Sinne  mit  den  vorgehenden  Punkten  zusammenhängend,  spielt  die  historische  Analyse  eine  zentrale  Rolle  in  der  gegenwärtigen  Diskussion  um  Wissenschaft  und  Religion.  Die  Geschichte  ist  es,  die  Einsicht  in  die  Machtdimensionen  menschlicher  Aktivitäten  gibt,  ob  sie  nun  religiösen  Glauben  oder  das  Studium  der  Natur  betreffen;  und  durch  historische  Studien  kann  das  menschliche  Moment,  das  für  wissenschaftliche  und  religiöse  Aktivitäten  fundamental  ist,  besser  gesehen  werden.  John  Brooke  ist  einer  von  denen,  die  schon  zu  mehr  Fallstudien  in  der  Wissenschaftsgeschichte  aufgerufen  haben,  um  die  Nuancen  und  Komplexitäten  der  Vielfalt  der  Beziehungen  besser  zu  erfassen;  und  das  scheint  vollkommen  angemessen  zu  sein.74  

                                                                                                                         73  Owen  Chadwick,  The  Victorian  Church,  Oxford:  Oxford  University  Press  1970,  II,  3.  74  Brooke,  „Religious  Belief  and  the  Natural  Sciences:  Mapping  the  Historical  Landscape“,  in:  Facets  and  Faith  and  Science,  hrsg.  v.  van  der  Meer,  I;  Durbin,  „What  Shall  We  Make  of  Henry  Margenau?“;  Geoffrey  Cantor,  

 

04_Harrison_20130613.doc 20

 

20

Auch  wenn  historischen  Erwägungen  oft  nur  ein  geringer  Wert  für  Argumente  über  den  gegenwärtigen  Status  der  Beziehung  von  Wissenschaft  und  Religion  beigemessen  werden,  können  Historiker  bedeutende  Beiträge  zu  den  andauernden  Diskussionen  leisten,  indem  sie  die  Aufmerksamkeit  auf  die  historischen  Bedingungen  lenken,  die  zu  den  heute  im  Spiel  befindlichen  Kategorien  geführt  haben.  Es  ist  wiederum  die  Geschichte,  die  die  Umstände  aufzeigt,  unter  denen  menschliche  Akteure  am  Werk  sind,  und  die  einzigartige  Einsichten  darüber  liefern  kann,  auf  welche  Art  die  verschiedenen  Aspekte  des  Lebens  dieser  Akteure  –  die  „wissenschaftlichen“  und  die  „religiösen“  eingeschlossen  –  zusammenhängen.  

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Michael  Faraday,  London:  Macmillan  1991;  John  Brooke  und  Geoffrey  Cantor,  Reconstructing  Nature:  The  Engagement  of  Science  and  Religion,  Edinburgh:  T.  &  T.  Clark  1998,  247–281.  Vgl.  Telling  Lives  in  Science:  Essays  on  Scientific  Biography,  hrsg.  v.  Michael  Shortland  und  Richard  Yeo,  Cambridge:  Cambridge  University  Press  1996.  


Recommended