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Zur Syntax und Semantik von adverbialen Intensifikatoren.

Date post: 17-Nov-2023
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Mitsunobu Yoshida (ed.) Grammatische Kategorien aus sprachhistorischer und typologischer Perspektive: Akten des 29. Linguisten-Seminars (Kyoto 2001). Hamburg: Iudicium. Selber essen macht fett: Zur Syntax und Semantik von adverbialen Intensifikatoren Peter Siemund (Universität Hamburg) 1 Einleitung Unter ‘adverbialen Intensifikatoren’ werden im folgenden Ausdrücke wie dt. selbst/selber verstanden, die in Distanzposition zu ihrer Bezugs-NP auftreten (vgl. (1)). (1) Paul hat den Tee selbst gekauft. Adverbiale Intensifikatoren sind streng von adnominalen Verwendungen dieser Ausdrücke (wie in (2)) zu unterscheiden (König 1991, Siemund 2000, Hole 2001). Mit den Unter- schieden werden wir uns genauer in Abschnitt 2 beschäftigen. (2) Der Professor selbst wusste die Antwort nicht. Weiterhin sind die im folgenden zu untersuchenden Intensifikatoren von Gradadverbien wie sehr, genau, außerordentlich, etc. zu unterscheiden, mit denen sie hinsichtlich ihrer Syntax und Semantik sehr wenig gemeinsam haben. Sowohl adnominale als auch adverbia- le Intensifikatoren sind in vielen neueren Arbeiten als Fokuspartikeln wie nur und auch analysiert worden (König 1991, Primus 1992, Siemund 2000), da sie mit einer (nominalen) Satzkonstituente interagieren und Alternativen zum semantischen Wert dieser Konstituente evozieren. Als besonders problematisch für eine Analyse als Fokuspartikeln hat sich her- ausgestellt, dass Intensifikatoren immer einen Fokusakzent tragen, also die vermeintlichen Fokuspartikeln selbst fokussiert sind. Alternative Analysen wurden jüngst in Eckardt (2000) und Hole (2001) vorgeschlagen. Die hier zu diskutierenden Intensifikatoren selbst (bzw. selber) sind die prototypischen Vertreter eines relativ umfangreichen Wortfelds an Ausdrücken mit ähnlichen distributio- nellen und semantischen Eigenschaften, zu denen unter anderem eigen, persönlich, höchst- persönlich, von selbst, von sich aus und noch andere Ausdrücke gehören. Auf diese ver- wandten Ausdrücke kann im folgenden leider nicht eingegangen werden (vgl. König & Siemund 2000). Der Aufbau der vorliegenden Studie ist wie folgt. Bevor ich mich in Abschnitt 0 und 4 genauer mit den verschiedenen Verwendungen von adverbialem selbst befassen werde, soll in Abschnitt 2 erst einmal die Unterscheidung von adnominalen und adverbialen Intensifi- katoren motiviert werden. In Abschnitt 4 werde ich mich neueren Ansätzen zur Explikation des Bedeutungsbeitrags von adverbialem selbst zuwenden, insbesondere Hole (2001). Ei- nen wichtigen Teil des vorliegenden Aufsatzes wird die Diskussion von Problemen ausma- Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines von der DFG und der japanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft genehmigten Kooperationsvorhabens (Aktenzeichen JAP# ; KO 497/8). Ich danke allen Teil- nehmern des 29. Linguistenseminars in Kyoto, insbesondere aber Akio Ogawa, Volker Gast, Daniel Hole und den Herausgebern dieses Bandes, für nützliche Bemerkungen und weiterführende Hinweise.
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Mitsunobu Yoshida (ed.) Grammatische Kategorien aus sprachhistorischer und typologischer Perspektive: Akten des 29. Linguisten-Seminars (Kyoto 2001). Hamburg: Iudicium.

Colchester, England

Selber essen macht fett:

Zur Syntax und Semantik von adverbialen Intensifikatoren♣

Peter Siemund (Universität Hamburg)

1 Einleitung Unter ‘adverbialen Intensifikatoren’ werden im folgenden Ausdrücke wie dt. selbst/selber verstanden, die in Distanzposition zu ihrer Bezugs-NP auftreten (vgl. (1)).

(1) Paul hat den Tee selbst gekauft.

Adverbiale Intensifikatoren sind streng von adnominalen Verwendungen dieser Ausdrücke (wie in (2)) zu unterscheiden (König 1991, Siemund 2000, Hole 2001). Mit den Unter-schieden werden wir uns genauer in Abschnitt 2 beschäftigen.

(2) Der Professor selbst wusste die Antwort nicht.

Weiterhin sind die im folgenden zu untersuchenden Intensifikatoren von Gradadverbien wie sehr, genau, außerordentlich, etc. zu unterscheiden, mit denen sie hinsichtlich ihrer Syntax und Semantik sehr wenig gemeinsam haben. Sowohl adnominale als auch adverbia-le Intensifikatoren sind in vielen neueren Arbeiten als Fokuspartikeln wie nur und auch analysiert worden (König 1991, Primus 1992, Siemund 2000), da sie mit einer (nominalen) Satzkonstituente interagieren und Alternativen zum semantischen Wert dieser Konstituente evozieren. Als besonders problematisch für eine Analyse als Fokuspartikeln hat sich her-ausgestellt, dass Intensifikatoren immer einen Fokusakzent tragen, also die vermeintlichen Fokuspartikeln selbst fokussiert sind. Alternative Analysen wurden jüngst in Eckardt (2000) und Hole (2001) vorgeschlagen. Die hier zu diskutierenden Intensifikatoren selbst (bzw. selber) sind die prototypischen Vertreter eines relativ umfangreichen Wortfelds an Ausdrücken mit ähnlichen distributio-nellen und semantischen Eigenschaften, zu denen unter anderem eigen, persönlich, höchst-persönlich, von selbst, von sich aus und noch andere Ausdrücke gehören. Auf diese ver-wandten Ausdrücke kann im folgenden leider nicht eingegangen werden (vgl. König & Siemund 2000). Der Aufbau der vorliegenden Studie ist wie folgt. Bevor ich mich in Abschnitt 0 und 4 genauer mit den verschiedenen Verwendungen von adverbialem selbst befassen werde, soll in Abschnitt 2 erst einmal die Unterscheidung von adnominalen und adverbialen Intensifi-katoren motiviert werden. In Abschnitt 4 werde ich mich neueren Ansätzen zur Explikation des Bedeutungsbeitrags von adverbialem selbst zuwenden, insbesondere Hole (2001). Ei-nen wichtigen Teil des vorliegenden Aufsatzes wird die Diskussion von Problemen ausma- ♣ Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines von der DFG und der japanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft genehmigten Kooperationsvorhabens (Aktenzeichen JAP# ; KO 497/8). Ich danke allen Teil-nehmern des 29. Linguistenseminars in Kyoto, insbesondere aber Akio Ogawa, Volker Gast, Daniel Hole und den Herausgebern dieses Bandes, für nützliche Bemerkungen und weiterführende Hinweise.

petersiemund
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Siemund, Peter (2002) ‘Selber essen macht fett: Zur Syntax und Semantik von adverbialen Intensifikatoren’, in: Mitsunobu Yoshida (ed.) Grammatische Kategorien aus sprachhistorischer und typologischer Perspektive: Akten des 29. Linguisten-Seminars (Kyoto 2001). Hamburg: Iudicium, 187-204.

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chen, die von den bisherigen Analysen nicht gelöst werden konnten. Obwohl ich keinen eigenen neuen Beitrag zur Bedeutungsbeschreibung von adverbialem selbst machen werde, hoffe ich zur Aufdeckung der Probleme beizutragen und künftige Analysen damit zu er-leichtern.

2 Adnominal versus adverbial Die Unterschiede zwischen adverbialen und adnominalen Intensifikatoren liegen zum ei-nen in ihren verschiedenen syntaktischen Positionen, aber auch – und das ist hier von be-sonderer Bedeutung – in ihren Verwendungsbedingungen. Im Gegensatz zu adnominalen Intensifikatoren sind adverbiale Intensifikatoren als Bestandteile der VP zu analysieren. Darauf weisen alle einschlägigen Distributionstests hin (vgl. Siemund 2000).

(3) a. Selbst gebaut hat er das Haus nicht. b. Das Haus selbst gebaut hat er nicht.

In Hinblick auf die Eigenschaften ihrer Bezugs-NP sind adnominale Intensifikatoren rela-tiv wenig eingeschränkt. Sie lassen sich mit allen NPn unabhängig von deren grammati-scher Funktion kombinieren und sind auch bezüglich der durch diese NPn bezeichneten Referenten vergleichsweise wenig festgelegt. Wie das Beispiel in (4) zeigt, lässt sich adnominales selbst auch mit obliquen NPn kombinieren sowie mit NPn deren Referenten nicht belebt sind.

(4) Im Arbeitszimmer selbst kann man nicht übernachten (aber in einem Nebenraum).

Bei den adverbialen Intensifikatoren gibt es hinsichtlich dieser Parameter jedoch klare Be-schränkungen. Aus den folgenden Beispielen wird ersichtlich (vgl. (5)), dass diese Ausdrü-cke im wesentlichen auf Subjekts-NPn mit menschlichen oder wenigsten belebten Referen-ten beschränkt sind (vgl. Hole 2001). Es wird sich jedoch später noch zeigen, dass sich noch genauere Differenzierungen treffen lassen.

(5) a. Die Polizisten (selbst) versperren den Taleingang (selbst). b. Die Gletscher (selbst) versperren den Taleingang (*selbst).

Der Bedeutungsbeitrag von adnominalen Intensifikatoren wie selbst/selber lässt sich ver-einfacht als Aufbau einer Opposition zwischen einer im Diskurskontext zentralen Entität und dazu in Beziehung gesetzten peripheren Entitäten beschreiben (vgl. König 1991, Siemund 2000). Diese Charakterisierung entspricht den Intuitionen, die man typischer-weise bei Beispielen wie (6a) hat und erklärt zudem, warum selbst nicht oder nur marginal an NPn adjungiert werden kann, deren Referenten im Diskurskontext keine zentrale Rolle einnehmen (vgl. (6b)). Mit dem Beitrag, den adverbiale Intensifikatoren zur Satzbedeutung machen, werden wir uns unter anderem im folgenden Abschnitt befassen.

(6) a. Der Direktor selbst hat uns empfangen und nicht seine Sekretärin. b. ??Die Sekretärin selbst hat uns empfangen und nicht der Direktor.

3 Zwei grundlegende Verwendungen von adverbialem selbst In Abhängigkeit von der kontextuellen Einbettung kann die Interpretation von adverbialem selbst stark variieren. Die wohl prototypischste Lesart wird durch die Beispiele in (7) illus-

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triert, in denen adverbiales selbst anzeigt, dass die Ausführung der durch den entsprechen-den Satz (d.h. das Satzfragment) bezeichneten Situation vom Subjektsreferenten nicht an eine andere Person delegiert worden ist.

(7) a. ein Haus selber bauen b. das Auto selber fahren c. selber zum Postamt gehen / selbst nach Kyoto fahren

Ein etwas andere Interpretation ergibt sich bei Prädikaten, die Sachverhalte bezeichnen, die man nicht oder nur schwerlich delegieren kann. In den Beispielen in (8) geht es eher da-rum, dass dem Subjektsreferenten bei der Durchführung der entsprechenden Aktivität nicht geholfen wird.

(8) a. selber durch den Kanal schwimmen b. den Weg selber finden c. selber laufen können

Wiederum anders liegen die Verhältnisse in (9), in denen primär ausgedrückt wird, dass der Subjektsreferent anderen Referenten die Partizipation am Sachverhalt verweigert.

(9) a. die Banane selber essen b. den Wein selber trinken

In Zusammenhang mit Prädikaten, bei denen die thematische Rolle der Subjekts-NP starke Merkmale eines Experiens trägt, zeigt adverbiales selbst hauptsächlich an, dass es sich um eine unmittelbare und nicht um eine mittelbare Erfahrung handelt.

(10) a. den Kuchen selber probieren b. den Unfall selber sehen

Eine der kompliziertesten Verwendungen von adverbialem selbst wird schließlich durch Beispiel (11) exemplifiziert, bei dem von Nicht-delegation oder einem damit in Verbin-dung stehenden Bedeutungsbeitrag nicht die Rede sein kann.

(11) Paul würde Georg gerne wegen dessen Kopfschmerzen bei seiner Jahresabrechnung hel-fen, aber er hat selber starke Kopfschmerzen.

Die Frage, um die es angesichts der Fülle der verschiedenen Interpretationen gehen muss, ist, ob man eine plausible Semantik für adverbiale Intensifikatoren finden kann, aus der sich in Zusammenhang mit dem Kontext die entsprechende Interpretation ableiten lässt. Wir werden sehen, dass ein solches Unterfangen sehr schwer zu realisieren ist und dass sich die Annahme von Polysemie nicht vermeiden lässt. Die im vorausgehenden diskutierten Vorkommen von adverbialen Intensifikatoren lassen sich im wesentlichen auf zwei grundlegende Verwendungstypen reduzieren, gegen deren Existenz sich nur sehr schwer plausibel argumentieren lässt. Alle jüngeren Arbeiten (Kö-nig 1991, Siemund 2000, Hole 2001) – mit Ausnahme von Eckardt (2000) – folgen dieser Annahme. Intuitiv kann man sich den beiden grundlegenden Verwendungstypen durch Paraphrasebeziehungen nähern. Während adverbiales selbst in der einen Verwendung

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durch ‘allein’, ‘ohne fremde Hilfe’, ‘persönlich’ paraphrasiert werden kann, hat es in der anderen Verwendung eher eine Bedeutung, die der von auch entspricht (vgl. (12)).

(12) a. Rita hat den Artikel selbst geschrieben. (selbst ≈ ‘allein’) b. Rita weiß, was es heißt, Kinder zu haben, denn sie hat selbst Kinder. (selbst ≈

‘auch’)

Da im Fall von (12a) alternative Referenten durch den durch die Bezugs-NP bezeichneten von der Handlungsbeteiligung ausgeschlossen werden, ist für diese Verwendung auch oft der Terminus ‚adverbial-exklusivierendes selbst’ verwendet worden. Bei der durch (12b) illustrierten Verwendung wird hingegen ausgesagt, dass die durch den Satz bezeichnete Situation auch für die alternativen Referenten zutrifft. Demzufolge bietet es sich an, in diesem Fall von einer ‚adverbial inklusivierenden’ Verwendung zu sprechen. Die oben besprochenen Beispiele lassen sich wie folgt unter diese Unterscheidung subsu-mieren: die Beispiele in (7) bis (10) gehören zur adverbial-exklusivierenden Verwendung während nur Beispiel (11) die adverbial-inklusivierende illustriert. Diese ungleiche Vertei-lung sollte allerdings nicht Anlass zu der Vermutung geben, dass es über die adverbial-inklusivierende Verwendung nur wenig interessantes zu erzählen gäbe. Das Gegenteil ist der Fall. Wie in Siemund (2000) gezeigt wird, handelt es sich bei dieser Verwendung um die kompliziertere von den beiden. Wenn hier die Verwendungskontexte der adverbial-exklusivierenden Verwendung ausführlicher diskutiert worden sind, so hat das primär da-mit zu tun, dass diese Verwendung im weiteren Verlauf unserer Betrachtungen die ent-scheidende Rolle spielen wird. Bevor wir uns genauer mit den kontextuellen Bedingungen beschäftigen, die mehr oder weniger genau zwischen der exklusivierenden und der inklusivierenden Verwendung di-sambiguieren können, scheint es jedoch angebracht zu sein, die Annahme dieser beiden grundlegenden Verwendungen von adverbialem selbst, die faktisch auf die Annahme von Polysemie hinausläuft, genauer zu motivieren. Neben den geradezu kontradiktorischen Paraphrasebeziehungen der beiden Verwendungen, lassen sich noch die folgenden Argu-mente für eine Polysemieannahme anführen. Erstens kann man Sätze konstruieren, in de-nen beide Verwendungen von adverbialem selbst gleichzeitig vorkommen können und zudem mit ein und derselben Bezugs-NP interagieren (vgl. (13)). In Beispiel (13) wird ausgesagt, dass der durch Paul bezeichnete Referent einen Artikel allein oder ohne Hilfe einer anderen Person verfasst hat und dass dieser Referent nicht der einzige ist, der eine solche Handlung vollzogen hat. Natürlich sind solche Sätze konstruiert und würden sicher-lich nicht in einem natürlichsprachigen Korpus vorkommen.

(13) Paul hat selbst schon einmal einen Artikel selbst geschrieben.

Weiterhin gibt es Kontexte, in denen adverbiales selbst entweder die exklusivierende oder die inklusivierende Bedeutung erhalten kann. Da in diesen Beispielen der Kontext konstant gehalten wird, ist die wohl einzige plausible Erklärung, dass es zwei verschiedene Ver-wendungen von adverbialem selbst mit unterschiedlichen Bedeutungen gibt.

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(14) Ich habe diese Rede selbst gehalten.

Bedeutungsbeschreibungen von selbst, in denen versucht worden ist, diese beiden Ver-wendungen auf eine einzige zu reduzieren (vgl. Primus 1992), scheitern in der Regel an einer überzeugenden Einbeziehung von adverbial-inklusivierendem selbst. Bei der exklu-sivierenden Verwendung wird grob gesagt ausgedrückt, dass der Referent der Bezugs-NP, mit der selbst interagiert, maximal in die durch den Satz beschriebene Handlung involviert ist (vgl. Edmondson & Plank 1978). Diese grundlegende Intuition lässt sich natürlich noch präzisieren, womit wir uns in einem der nächsten Abschnitte beschäftigen wollen. Obwohl dieser Bedeutungsbeitrag sicherlich nur schwer mit dem von auch zu vereinbaren ist, ist es zudem bei weitem nicht ausreichend, inklusivierendes selbst mit auch gleichzusetzen. Zu-nächst ist bemerkenswert, dass Sätze mit inklusivierendem selbst ohne angemessene kon-textuelle Einbettung nur sehr schwer zu interpretieren sind und dass diese Verwendung von selbst nicht ohne weiteres mit auch ausgetauscht werden kann (vgl. (15)).

(15) a. ???Paul schnarcht selbst. / ??Sie hat selbst eine große Nase. b. A: Ich liebe dich. – B: Ich liebe dich auch / ???selbst.

Sobald man die Sätze in (15a) mit einem angemessenen Kontext umgibt, werden sie jedoch problemlos interpretierbar (vgl. (16)).

(16) a. Paul beschwert sich ständig über das Rauchen anderer Leute, dabei schnarcht er selbst.

b. Wie kann sie sich über das Aussehen anderer lustig machen, wo sie selbst so eine große Nase hat.

Das Problem bei diesen Beispielen besteht darin, dass inklusivierendes selbst eine sehr spezifische Präsupposition auslöst, die nur in speziellen Kontexten akkommodiert werden kann. In Siemund (2000) ist ein Versuch dahingehend unternommen worden, diese Prä-supposition als eine Voraussetzung für kontextuell relevante Schlussfolgerung zu charakte-risieren. Da dieses Problem jedoch nicht im Mittelpunkt unseres derzeitigen Interesses steht, wollen wir jetzt zur angekündigten Diskussion der kontextuellen Disambiguierung der beiden Verwendungen von adverbialem selbst übergehen.

4 Zur Kontextabhängigkeit von adverbialen Intensifikatoren Ein erstes Kriterium, das erstaunlich genau zwischen den beiden im vorherigen Abschnitt eingeführten Verwendungen von adverbialem selbst zu disambiguieren vermag, ist Negati-onsskopus.1 In Sätzen, in denen die Negation Skopus über selbst hat, finden wir aus-schließlich die exklusivierende Verwendung (vgl. (17a)). Bei diesen Skopusverhältnissen ist die inklusivierende Verwendung ausgeschlossen. Wenn die Skopusverhältnisse jedoch vertauscht werden, d.h. selbst bekommt Skopus über die Negation, wie in (17b), so ist nur noch die inklusivierende Verwendung möglich.

(17) a. Paul hat seine Hausaufgaben nicht selbst gemacht. b. Paul hat seine Hausaufgaben selbst nicht gemacht.

1 Auf viele der im folgenden diskutieren Zusammenhänge ist schon in König (1991) und Siemund (2000) hingewiesen worden.

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Ähnlich liegen die Verhältnisse bei Quantorenskopus. Wenn Quantoren wie einige oder Numeralia Skopus über selbst haben, so ist die inklusivierende Verwendung in solchen Kontexten ausgeschlossen (vgl. (18a)). Bei umgekehrten Skopusverhältnissen wird dage-gen systematisch die exklusivierende Verwendung blockiert (vgl. (18b)).

(18) a. Ich habe einige Kinder selbst großgezogen. b. Ich habe selbst einige Kinder großgezogen.

Eine ähnliche Komplementarität zwischen den zwei adverbialen Verwendungen von selbst besteht auch in Hinblick auf die Definitheit der Objekts-NP, sofern eine solche vorhanden ist. In diesem Fall besteht die Generalisierung darin, dass definite Objekts-NPn mit der exklusivierenden Verwendung korrelieren, während bei indefiniten Objekts-NPn eine star-ke Präferenz für die inklusivierende Verwendung besteht (vgl. (19)). Wie der Kontrast zwischen (19b) und (19c) jedoch zeigt, ist die bloße Anwesenheit einer indefiniten Ob-jekts-NP noch kein hinreichendes Kriterium für die inklusivierende Verwendung. Da inde-finite Artikel Eigenschaften von Bereichsträgern besitzen, ergeben sich die in Zusammen-hang mit Bereichsträgern beobachtbaren distributionellen Effekte, d.h. (19b) enthält inklu-sivierendes selbst, (19c) jedoch die exklusivierende Verwendung.

(19) a. Ich habe den Kuchen selbst gebacken. b. Ich habe selbst einen Kuchen gebacken. c. Ich habe einen Kuchen selbst gebacken.

Weitere distributionelle Unterscheidungen zwischen den beiden Verwendungen von ad-verbialen Intensifikatoren bestehen hinsichtlich der Eigenschaften der Bezugs-NP. Die exklusivierende Verwendung ist in dieser Beziehung viel eingeschränkter als die inklusi-vierende und im wesentlichen auf NPn in Subjektsfunktion sowie mit einer agentiven Rolle beschränkt. Beispiele wie in (20), in denen adverbiales selbst mit einer Objekts-NP intera-giert, erlauben in der Regel nur die inklusivierende Verwendung.2

(20) Mich hat sein Vorschlag selbst verwundert.

Diese Beschränkungen zeigen sich besonders gut in Kontexten, die aus anderen Gründen auf die exklusivierende Verwendung festgelegt sind (vgl. (21)). In Anwesenheit einer inde-finiten Objekts-NP ist ein Satz wie (21a) mühelos interpretierbar. In diesem Fall handelt es sich bei selbst um die inklusivierende Verwendung. Wenn die indefinite Objekts-NP durch eine definite ersetzt wird (vgl. (21b)), also ein Kontext für exklusivierendes selbst geschaf-fen wird, so führt das zur Ungrammatikalität des entsprechenden Satzes.

(21) a. Ihm ist selbst schon einmal eine Vase kaputt gegangen. b. *Ihm ist die Vase selbst kaputt gegangen.

Ein weiteres kontextuelles Kriterium, mit dessen Hilfe sich zwischen den beiden adverbia-len Verwendungen von selbst differenzieren lässt, ist der durch den entsprechenden Satz instantiierte Situationstyp. Leider ist dieser Test nicht besonders sicher, aber dennoch kann man generell davon ausgehen, dass die exklusivierende Verwendung eher mit dynami-schen Sachverhalten zu finden ist und die inklusivierende eher mit statischen (vgl. (22)).

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(22) a. Ich habe den Baum selbst gefällt. b. Ich habe selbst Kopfschmerzen.

Streng genommen müsste man sich jedoch auf die Behauptung beschränken, dass in stati-schen Kontexten, wie in (22b), nur die inklusivierende Verwendung vorkommen kann. Beispiele wie (23) machen deutlich, dass das Auftreten der exklusivierenden Verwendung in dynamischen Kontexten allenfalls eine Tendenz ist.

(23) Ich habe selbst einen Baum gefällt.

Die beiden letzten Faktoren, die hier noch kurz angesprochen werden sollen, lassen sich in weitaus weniger starkem Masse zu den etablierten linguistischen Testkriterien rechnen, sondern sind weitgehend den semantischen Besonderheiten der hier besprochenen Ausdrü-cke geschuldet. Zum einen kann man feststellen, dass die inklusivierende Verwendung von selbst Sachverhalte erfordert, die gemäss unseres Weltwissens nicht-singulär oder wieder-holbar sind. Beispiel (24a) ist deshalb nur mit der exklusivierenden Verwendung sinnvoll interpretierbar. Dagegen sind in (24b) beide Verwendungen möglich, da eine Rede ja mehrmals gehalten werden kann.

(24) a. Gott hat die Welt selbst erschaffen. b. Ich habe die Rede selbst gehalten.

Ein weiterer Faktor besteht darin, ob der durch die Bezugs-NP von adverbialem selbst be-schriebene Referent in dem durch den Satz ausgedrückten Sachverhalt einen untrennbaren Partizipanten darstellt oder ob der Sachverhalt auch auf alternative Referenten ‚übertragen’ werden kann. Zur Verdeutlichung dieses Unterschieds soll (25) dienen. Den Sachverhalt des Suppekochens in (25a) kann man an alternative Referenten delegieren. In solchen Kon-texten wird die exklusivierende Verwendung bevorzugt. Eigenschaften wie in (25b) lassen sich dagegen nicht in diesem Sinne auf andere Referenten übertragen.

(25) a. Ich habe die Suppe selbst gekocht. b. Ich habe selbst Kopfschmerzen.

Die Distribution der beiden Verwendungen von adverbialem selbst lässt sich wie folgt zu-sammenfassen. Es gibt Kontexte, die nur mit einer der beiden Verwendungen kompatibel sind. Statische Sachverhalte erlauben z.B. nur die inklusivierende Verwendung. Sätze, die singuläre Sachverhalte bezeichnen, sind dagegen für die inklusiverende Verwendung aus-geschlossen. Wir haben jedoch auch gesehen, dass bei vielen Beispielen sowohl die inklu-sivierende als auch exklusivierende Verwendung möglich ist, was zu unterschiedlichen Interpretationen der entsprechenden Sätze führt. Die Existenz solcher Beispiele zeigt, dass trotz aller kontextuellen Disambiguierung, die Annahme von zwei grundlegenden Verwen-dungen adverbialer Intensifikatoren gerechtfertigt ist.

5 Zur Semantik von adverbialen Intensifikatoren Nachdem wir uns nun intensiv mit den zwei Grundverwendungen von adverbialen Intensi-fikatoren sowie verschiedenen kontextuell induzierten Lesarten beschäftigt haben, soll es

2 Mit den Ausnahmen werden wir uns später detailliert beschäftigen.

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im folgenden darum gehen, wie sich der Bedeutungsbeitrag dieser Ausdrücke explizieren lässt. Da ein solches Unterfangen angesichts der empirischen Probleme sowie der bisher zu diesem Thema gelieferten Beiträge den Umfang der hier angestrebten Studie bei weitem übersteigen würde, werden wir uns im weiteren auf die Untersuchung der exklusivierenden Verwendung beschränken, sowie auf die Besprechung eines jüngst vorgestellten Ansatzes von Hole (2001), der sicherlich die für diesen Teilbereich derzeit genaueste Analyse liefert. In Hinblick auf die bisher zur Bedeutungsbeschreibung von adverbial-exklusivierendem selbst gemachten Vorschläge lässt sich grob gesprochen zwischen maximalistischen (Edmondson & Plank 1978, König 1991, Siemund 2000) und minimalistischen Ansätzen (Eckardt 2000, Hole 2001) zur Bedeutungsbeschreibung unterscheiden, wobei mit ‚mini-malistisch’ hier nicht eine zur Zeit viel diskutierte syntaktische Theorie angesprochen wird. Diese Grobeinteilung zielt eher darauf ab, ob die entsprechende semantische Analyse eine starke oder schwache Semantik für selbst annimmt. Gemäss den hier als maximalistisch bezeichneten Ansätzen drückt adverbial-exklusivierendes selbst aus, dass der durch die Bezugs-NP bezeichnete Referent im durch den Satz beschriebenen Sachverhalt relativ zu alternativen Referenten am stärksten involviert ist oder darin den zentralen Zurechnungs-punkt bildet. Diese Ausdrücke nehmen also auf eine Skala der Involviertheit bezug, auf der die kontextuell gegebenen – oder möglichen – Partizipanten eines Sachverhalts angeordnet werden. Die These, nach der der Referent der Bezugs-NP als zentraler Zurechnungspunkt der Handlung charakterisiert wird, versucht zusätzlich zu erfassen, dass dieser von allen kontextuell gegebenen Partizipanten der am stärksten affizierte ist.3 Die Bedeutung von adverbial-exklusivierenden Intensifikatoren im Sinne der minimalistischen Analysen ist dagegen einfach zu beschreiben. Gemäss diesen Ansätzen denotiert adverbial- exklusivie-rendes selbst die Identitätsfunktion.4

5.1 Adverbiales selbst als Identitätsfunktion Die Identitätsfunktion ist insofern eine besondere Funktion als sie ihr einziges Argument auf sich selbst abbildet (ID: x → x) und somit semantisch mehr oder weniger leer ist. Die Herausforderung für Analysen, die adverbialem selbst – und auch selbst im allgemeinen – die Bedeutung der Identitätsfunktion zuzuweisen versuchen, besteht hauptsächlich darin, die beobachtbaren Effekte aus einer stark unterspezifizierten Semantik abzuleiten. Hole (2001) erreicht das hauptsächlich dadurch, indem er besondere Anforderungen an das Ar-gument der Identitätsfunktion stellt sowie auf die Informationsstruktur der adverbiales selbst enthaltenen Sätze bezug nimmt. Gemäss des Ansatzes von Hole (2001) nimmt adverbiales selbst als Identitätsfunktion die Agensrolle oder Agensrelation der Subjektskonstituente als Argument und bildet diese Relation auf sich selbst ab. Argument der Identitätsfunktion ist also ebenfalls eine Funkti-

3 Der interessierte Leser sei hier auf die Ausführungen in Siemund (2000) verwiesen. 4 Hole (2001) versucht sogar, dieselbe Bedeutung (Identitätsfunktion) für adverbial-exklusivierendes und adnominales selbst anzunehmen. Allerdings bleibt dabei die inklusivierende Verwendung als Problemfall bestehen. Eckardt (2000) versucht, die Analyse als Identitätsfunktion uneingeschränkt auf alle Daten anzu-

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on. Damit wird die Analyse von vornherein in etwa auf die Fälle eingeschränkt, die hier als ‚adverbial-exklusivierend’ bezeichnetet werden (vgl. Abschnitt 4). Aufbauend auf einem jüngeren Vorschlag von Kratzer (1996) nimmt Hole an, dass Subjekte von agentiven Prä-dikaten keine Argumente des Verbs sind, sondern einer funktionalen Projektion überhalb der VP, die als ‚agen-tive Voice head’ bezeichnet wird und in der gewisser-maßen die durch das Verb lizensierte agentive Rolle verankert ist. Durch diese Trennung der Subjektskonsti-tuente und der dieser zugewiesenen thematischen Rolle in der syntaktischen Repräsentation wird es möglich, die semantischen Fakten sinnvoll auf die Syntax zu beziehen. Unter Abstraktion von der genauen Bezeichnung der Phrasenknoten ist diese Analyse in der nebenstehenden Abbil-dung dargestellt. Da adverbiales selbst immer fokussiert ist, ergibt sich aus allgemein akzeptierten Annah-men zur Informationsstruktur, dass dadurch alternative Werte zum Denotat von selbst auf-gerufen werden. Wenn selbst nun eine Funktion bezeichnet, so bedeutet dies nach Hole (2001), dass die alternativen Werte ebenfalls funktionaler Natur sein müssen. Es wird also eine Menge von Funktionen evoziert, die, wie die Identitätsfunktion, die Agensrelation als Argument nehmen und auf eine andere Relation abbilden. Da die Identitätsfunktion in die-ser Menge nicht enthalten ist, wird die Agensrelation auf dazu alternative Relationen – also Nicht-Agensrelationen – abgebildet. Als Resultat der Fokussierung ergibt sich also eine Menge von alternativen Relationen, durch die der Subjektsreferent in den jeweiligen Sach-verhalt eingebunden sein könnte. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass das Er-gebnis der Fokussierung der Identitätsfunktion im Grunde auf eine Fokussierung der A-gensrelation hinausläuft, dass aber durch den ‚Umweg’ über die Fokussierung der Identi-tätsfunktion die Agensrelation Teil des Hintergrunds ist.5 Zur Verdeutlichung dieser Analyse soll das Beispiel in (26) dienen (vgl. Hole 2001). Die assertive Bedeutung dieses Satzes ist durch (27) gegeben. Die allgemeinste Alternative zur assertiven Bedeutung ist in (28) dargestellt, während sich in (29) zwei mögliche genaue Ausformulierungen solcher Alternativen finden.

(26) Hannes backt den Kuchen selbst.

(27) Assertion Hannes RELSUBJEKT/AGENS das Backen des Kuchens ‘Hannes steht in einer Agens-Relation zum Ereignis des Kuchenbackens.’

wenden, verliert dabei jedoch die empirischen Befunde aus den Augen und erhält eine Restmenge von Bei-spielen, die in etwa mit unserer adverbial-exklusivierenden Verwendung deckungsgleich ist. 5 Einen wichtigen Teil innerhalb von Holes (2001) Argumentation nimmt die formale Ableitung der Bedeu-tung von Sätzen mit adverbialen Intensifikatoren ein. Auf diesen Teil seiner Studie gehe ich hier nicht ein, da die Behandlung der Formalismen für das Verständnis der Grundidee und meiner im weiteren dargelegten Kritik daran nicht zentral ist.

Subj

VP

selbst Agens

X

Y

Z

ID(Agens)

Subj

VP

selbst Agens

X

Y

Z

ID(Agens)

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(28) Alternativen Hannes RELNON-SUBJEKT/NON-AGENS das Backen des Kuchens ‘Hannes steht in einer Nicht-Agens-Relation zum Ereignis des Kuchenbackens.’

(29) a. Hannes lässt seine Mutter den Kuchen backen. b. Hannes kauft den Kuchen in einer Bäckerei, wo gestern ein Bäcker den Kuchen ge-

backen hat.

5.2 Positive Punkte Für die von Hole (2001) vorgelegte Analyse lassen sich eine Reihe guter Argumente vor-bringen. Zum einen ist die Bedeutungsdefinition von adverbialem selbst als Identitätsfunk-tion klar und präzise, und zudem einfach. Das ist vielleicht nicht unbedingt notwendig für eine gute Analyse, aber sicherlich vorteilhaft. Weiterhin lässt sich durch die vorgeschlage-ne Bedeutungsdefinition im Sinne der Identitätsfunktion die Semantik plausibel auf die Syntax beziehen. Ein großer Mangel der bisher vorgeschlagenen Analysen bestand darin, dass die Einsichten zur Bedeutung von adverbialem selbst zwar richtig, aber nur schwer mit den syntaktischen Daten in Einklang zu bringen waren. Allerdings muss man sich auch darüber im klaren sein, dass diese Beziehbarkeit der Semantik auf die Syntax durch zusätz-liche Annahmen für die syntaktische Theorie erkauft wird. Solange für diese Zusatzan-nahmen genug unabhängige Rechtfertigung erbracht werden kann, ist das sicherlich kein Problem. Man muss jedoch abwarten, ob diese Forderung für Kratzers (1996) Theorie der VoicePhrase erfüllt werden kann. Der vielleicht überzeugendste Beweis für die Stichhal-tigkeit von Holes (2001) Analyse ist jedoch die Tatsache, dass die informationsstrukturel-len Fakten korrekt mit einbezogen werden. Aus den bisherigen Analysen (König 1991, Primus 1992, Siemund 2000), die selbst in die Klasse der Fokuspartikeln versuchen einzu-ordnen, ergibt sich in der Regel ein Konflikt mit den für diese Klasse von Ausdrücken an-genommenen prosodischen Merkmalen. Während Fokuspartikeln (nur, auch, etc.) norma-lerweise mit einer fokussierten Konstituente interagieren, tragen die hier betrachteten In-tensifikatoren selbst den Fokusakzent. Obwohl das vielleicht kein zwingender Grund ge-gen eine Analyse als Fokuspartikel ist, schließlich trägt die Partikel auch in postfokaler Stellung ebenfalls den Fokusakzent, so ist es doch um ein vielfaches überzeugender, wenn die alternativen Werte zum Denotat der Konstituente evoziert werden, die auch den Fo-kusakzent trägt.

6 Probleme Trotz aller positiven Punkte, die man in Zusammenhang mit der Analyse von Hole (2001) anführen kann, gibt es natürlich auch einige Probleme, mit denen ich mich in diesem Ab-schnitt auseinandersetzen möchte. Diese betreffen im wesentlichen die Voraussagen, die diese Analyse in Hinblick auf die Bezugs-NP von adverbialen Intensifikatoren, deren the-matische Rolle, sowie den Bedeutungsbeitrag von diesen Ausdrücken macht.

6.1 Bezugs-NP Mit Hinblick auf die Bezugs-NP ist die von Hole vorgeschlagene Analyse explizit auf sol-che Vorkommen von adverbialem selbst beschränkt, die (i) mit Bezugs-NPn in Subjekts-position interagieren und (ii) deren thematische Rolle die eines Agens ist. Das entspricht

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im wesentlichen den Vorkommen von selbst, die hier als adverbial-exklusivierend be-zeichnet werden. Allerdings gibt es auch Vorkommen von adverbialem selbst, die ohne weiteres als exklusivierend einzustufen sind, für die sich aber die Beschränkung auf A-genssubjekte als zu stark erweist (vgl. (30)). Natürlich ist es ohne weiteres möglich, den Analyserahmen derart zu beschränken, aber angesichts der syntaktischen und vor allem semantischen Gemeinsamkeiten, die die Beispiele in (30) mit anderen Vorkommen adver-bial-exklusivierenden Intensifikatoren verbinden, erscheint dieser Schritt etwas willkürlich.

(30) a. Mir ist die Lösung für dieses Problem selbst eingefallen. b. Mir ist die Idee selbst gekommen.

6.2 Thematische Rolle Aber auch in der Menge der adverbialen Intensifikatoren, die mit einer Subjekts-NP inter-agieren, lassen sich leicht Vorkommen finden, deren Bezugs-NP nicht die thematische Rolle eines Agens hat. Da der Bedeutungsbeitrag von adverbialem selbst in diesen Fällen nicht von dem in Beispielen mit agentiver Subjekts-NP zu unterscheiden ist, gibt es keinen guten Grund, diese Beispiele von der Analyse auszuschließen. Einige einschlägige Beispie-le sind in (31) aufgeführt, wobei Fälle wie in (31a) auch von Hole (2001) als problematisch eingestuft werden und unter Rückgriff auf einen prototypischen Agensbegriff (vgl. Dowty 1991) in die Analyse inkorporiert werden. Abgesehen von der Unschärfe, die ein solcher Ansatz mit sich bringt, ist er sicherlich nicht auf die Beispiele (31b,c) übertragbar, in denen eine agentive Relation des Subjektsreferenten zum Sachverhalt offensichtlich ausgeschlos-sen ist. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist noch (31d), der von einigen Spre-chern in der Lesart akzeptiert wird, in der die Subjektsreferentin versehentlich vom Balkon fällt.

(31) a. Ich habe den Verstorbenen selbst gesehen. b. Georg hat den Tee selbst verschüttet. c. Paul hat die Antwort selbst gewusst. d. Rita wurde nicht gestoßen. Sie ist selbst vom Balkon gefallen. (marginal)

Erwähnt werden sollte in diesem Zusammenhang auch noch die Tatsache, dass es auch Beispielsätze mit eindeutig agentiven Subjekten gibt, in denen adverbiale Intensifikatoren in der exklusivierenden Verwendung jedoch nur sehr schwer zu kontextualisieren sind (vgl. (32)).

(32) a. Alle waren geschockt. ?Paul hatte absichtlich laut selbst gerülpst. b. ?Paul wackelte selbst mit den Ohren.

Diese Beispiele sind schwer zu interpretieren, da Aktivitäten wie ‚aufstossen’ und ‚mit den Ohren wackeln’ nicht delegierbar sind. Man kann Sätzen wie in (32) allerdings eine sinn-volle Interpretation geben, wenn man die Delegation nicht nur auf die Ausführung der ent-sprechenden Handlung selbst, sondern auch auf den Handlungsstimulus bezieht (vgl. (33)).6

6 Diesen Hinweis verdanke ich Ekkehard König.

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(33) Herr S. hatte seinen Sohn gebeten, bei seiner Geburtstagsfeier mit den Ohren zu wa-ckeln. Als er merkte, dass dieser es nicht schaffte, wackelte er kurzerhand selbst mit den Ohren.

6.3 Alternative Nicht-Agens-Relation Ein weiteres Problem betrifft die alternativen Relationen, in denen der Subjektsreferent zu dem im Satz ausgedrückten Sachverhalt stehen kann. Aus Holes (2001) Analyse folgt, dass diese Relation nicht-agentiv sein muss, da ja Alternativen zur Agens-Relation evoziert werden. Bei einigen Beispielen bereitet diese Voraussage jedoch Schwierigkeiten. Betrach-ten wir dazu die negierten Fälle in (34), bei denen der Subjektsreferent auch in der alterna-tiven Relation in der Beziehung eines Agens zum Sachverhalt steht. Adverbiales selbst drückt in diesen Beispielen eher aus, dass dem Subjektsreferenten bei der Durchführung der Handlung assistiert wurde, verneint jedoch nicht dessen aktive Beteiligung.

(34) a. Georg läuft noch nicht selbst. b. Georg kann das Puzzle noch nicht selbst legen. c. Sie hat das Kind nicht selbst zur Welt gebracht. (marginal)

Ähnlich liegen auch die Fälle in (35), bei denen sich adverbiales selbst am besten durch eigenmächtig paraphrasieren lässt. Auch bei diesen Beispielen ist der Subjektsreferent in der wahrscheinlichsten alternativen Relation ebenfalls agentiv in den Sachverhalt invol-viert.

(35) a. Ich habe die Angelegenheit selbst (‘eigenmächtig’) entschieden. d. Der Bankangestellte hat uns den Kredit selbst (‘eigenmächtig’) eingeräumt.

Schließlich sollen hier auch noch kurz zwei Beispiele Erwähnung finden, für die es de fac-to ausgeschlossen ist, eine plausible alternative Nicht-Agens-Relation zu formulieren (vgl. (36)). So wird der Satz mit adverbialem selbst in (36a) nicht primär so verstanden, dass der durch das Pronomen der ersten Person bezeichnete Referent im alternativen Handlungsver-lauf in irgendeiner Beziehung zur Handlung der Polizei steht. Bei dem authentischen Bei-spiel (36b) erscheint die Konstruktion einer überzeugenden alternativen Nicht-Agens-Relation sogar ganz ausgeschlossen.

(36) a. A: Hat die Polizei Frau W. vom Tod ihres Mannes unterrichtet? – B: Nein, ich habe es ihr selbst sagen müssen.

b. Fidel Castro beendete die Spekulationen über seine Nachfolge selbst. (Er versprach den Posten seinem Bruder.) [FAZ]

6.4 Bedeutungsbeitrag Gemäss des Vorschlags von Hole (2001) denotiert adverbial-exklusivierendes selbst die Identitätsfunktion und besitzt somit eine klare, wenn auch sehr schwache Semantik. Streng genommen ist nach dieser Analyse der Beitrag adverbialer Intensifikatoren zur deskripti-ven Bedeutung eines Satzes null. Die beobachtbaren Effekte werden im wesentlichen aus der Interaktion von selbst mit der Informationsstruktur eines Satzes erklärt. Eine negative Begleiterscheinung dieses Ansatzes ist, dass wichtige empirische Beobachtungen zur Be-deutung von adverbial-exklusivierendem selbst unerklärt bleiben. So lassen sich unter an-derem klare Intuitionen bezüglich der Charakterisierung des Referenten der Bezugs-NP

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durch adverbiales selbst innerhalb dieses Ansatzes nicht erklären. Wie frühere Arbeiten gezeigt haben (vgl. Siemund 2000), wird dieser Referent in vielen Beispielen durch selbst als besonders interessiert, verantwortlich oder affiziert charakterisiert. Das zeigt sich insbe-sondere dann, wenn man den Status des Subjektsreferenten mit den evozierten Alternativen vergleicht. So ist z.B. ein Assistenzarzt eine mögliche und sinnvolle Alternative zum in (37a) erwähnten Oberarzt. Umgekehrt ist der Alternativenaufbau jedoch nicht möglich, d.h. ein Oberarzt ist keine mögliche Alternative zum Assistenzarzt in (37b). Diese Unidi-rektionalität im Alternativenaufbau bleibt in Holes Analyse unerklärt.

(37) a. Der Oberarzt hat den Präsidenten selbst operiert. b. Der Assistenzarzt hat den Präsidenten selbst operiert.

Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch in Zusammenhang mit dem Beispielpaar in (38) machen, bei dem man nur für den Satz in (38b) eine gewisse kontextuelle Akkmmodierung benötigt. (38a) ist dagegen ohne weiteren Kontext verständlich und akzeptabel. Adverbia-les selbst in (38b) charakterisiert den durch das Pronomen der dritten Person bezeichneten Referenten in einer Weise als verantwortlich oder zuständig für den im Satz ausgedrückten Sachverhalt, die ohne weiteren Kontext nicht gerechtfertigt ist.

(38) a. Ich habe meinem Sohn die Windel selbst gewechselt. b. Er hat meinem Sohn die Windel selbst gewechselt. (Akkommodierung notwendig)

6.5 Negation Als letzter Punkt soll hier noch kurz ein Problem angesprochen werden, das nicht speziell Holes (2001) Analyse von adverbialen Intensifikatoren betrifft, sondern eine generelle Hürde für die Untersuchung dieser Ausdrücke darstellt. Das Problem ist, dass in negierten Beispielen mit adverbial-exklusivierenden Intensifikatoren der von der Negation betroffene Teil der Proposition von Beispiel zu Beispiel variieren kann. Betrachten wir dafür die Sät-ze in (39) und (40). In den wohl prototypischen Beispielen wie (39a) wird verneint, dass der Subjektsreferent an der Handlungsausführung beteiligt ist. Es wird jedoch nicht die Durchführung der Handlung an sich verneint. Wenn man adverbiales selbst vereinfacht als eine besondere Relation (REL) zwischen dem Subjektsreferenten und der durch den Satz beschriebenen Situation (S) begreift, die in diesem Fall eine Relation der Verursachung (CAUSE) ist, so lässt sich (39a) in etwa durch (39b) wiedergeben.

(39) a. Georg hat die Banane nicht selbst geschält. (CAUSE) b. NOT(X) PEEL Y & X REL S

Allerdings kann man diese Formalisierung nicht auf Beispiele wie (40a) übertragen, da in diesen Fällen die Negationsfakten anders liegen. Was in (40a) durch das negative Element verneint wird, ist nicht die Ausführung der Handlung durch den Subjektsreferenten, son-dern dessen völlige Kontrolle über diese Handlung. (40a) sagt aus, dass es weitere Hand-lungsbeteiligte gibt, die dem Subjektsreferenten bei der Ausführung assistieren. Gesetzt den Fall, das es gerechtfertigt ist, adverbiales selbst mit dieser Kontrollrelation (CON-TROL) gleichzusetzen, ergibt sich eine Formalisierung wie in (40b).

(40) a. Georg läuft nicht selbst. (CONTROL)

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b. X WALK & NOT(X) REL S

Die Frage ist, wie sich diese widersprüchlichen Negationsfakten in einem einheitlichen Analyserahmen miteinander in Einklang bringen lassen.

7 Zusammenfassung Mit den im vorausgehenden gemachten Erörterungen habe ich im wesentlichen zwei Ziele verfolgt. Auf der einen Seite habe ich zu zeigen versucht, dass ein relativ kleiner und eng umrissener Bereich der deutschen Grammatik, wie der der adverbialen Intensifikatoren, eine erstaunliche Komplexität und interne Differenzierung aufweist. Hier haben wir sicher-lich einen guten Beweis dafür, dass das oft zitierte Paradox des Betrachters durchaus Reali-tät besitzt. Auf der anderen Seite ging es mir um eine kritische Auseinandersetzung mit einem jüngeren Vorschlag (Hole 2001) zur Syntax und Semantik dieser Ausdrücke. Als Fazit der Diskussion kann man festhalten, dass Holes Vorschlag – trotz einiger Schwächen – den bislang gelungensten Versuch darstellt, die komplizierten syntaktischen und seman-tischen Fakten überzeugend miteinander in Einklang zu bringen. Im wesentlichen sind es die subtilen semantischen Beschränkungen der Bezugs-NP von adverbialen Intensifikato-ren, die sich aus einer Analyse dieser Ausdrücke als Identitätsfunktion nicht erklären las-sen. Wie die Diskussion von Holes Analyse gezeigt hat, gibt es auch noch weitere Proble-me, die aber in starkem Maße mit der in bisherigen Arbeiten und hier fortgeführten Klassi-fikation der Daten zusammenhängen. Hier stehen wir vor einer grundsätzlichen Frage, die unbeantwortet diesen Aufsatz beschließen soll. Für die bisher vorgenommene Einteilung der Beispiele adverbialer Intensifikatoren in einen exklusivierenden und einen inklusivie-renden Typ gibt es wichtige inhaltliche Gründe, besonders wenn man an einer Subsumie-rung dieser Ausdrücke unter die Klasse der Fokuspartikeln interessiert ist. Aus der Per-spektive der derzeitigen Theoriebildung, inbesondere Kratzer (1996), verschiebt sich diese Klassifikation zugunsten eines agentiven Typs adverbialer Intensifikatoren, der einer nun-mehr einer überzeugenden Behandlung erwartenden Restmenge gegenübergestellt wird. An diesem Beispiel zeigt sich sehr schön, wie die zugrunde gelegte Theorie unsere Sicht der Daten beeinflusst.

8 Literatur Dowty, David (1991): Thematic proto-roles and argument selection. In: Language 67:3. 547-619. Eckardt, Regine (2000): Reanalyzing selbst. Universität Konstanz. Ms. Edmondson, Jerry A. & Frans Plank (1978): Great expectations: An intensive self analysis. In: Linguistics

and Philosophy 2. 373-413. Hole, Daniel (2001): Agentive selbst in German. Freie Universität Berlin. Ms. König, Ekkehard (1991): The Meaning of Focus Particles: A Comparative Perspective. London: Routledge. König, Ekkehard & Peter Siemund (2000): Zur Rolle der Intensifikatoren in einer Grammatik des Deutschen.

In: R. Thieroff, M. Tamrat, N. Fuhrhop & O. Teuber (Hg.), Deutsche Grammatik in Theorie und Praxis. Tübingen: Niemeyer. 229-245.

Kratzer, Angelika (1996): Severing the external argument from ist verb. In: J. Rooryck & L. Zaring (Hg.), Phrase Structure and the Lexicon. Dordrecht: Kluwer. 109-137.

Primus, B. (1992): Selbst – Variants of a Scalar Adverb in German. In: J. Jacobs (Hg.), Informationsstruktur und Grammatik. Opladen: Westdeutscher Verlag. 54-88.

Siemund, Peter (2000): Intensifiers: A Comparison of English and German. London: Routledge.


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