Warum Pluralismus in der Ökonomie (fehlt)?
Leonhard Dobusch
23. Oktober 2014, Berlin
Warum Pluralismus?
Pluralismus in der Ökonomie?
Warum fehlt ökonomischer Pluralismus?
Warum Pluralismus?
The ultimate aim of a science is to establish a single, complete, and comprehensive account of the natural world (or the part of the world investigated by the science) based on a single set of fundamental principles.
“Kellert, Longinon und Waters (2006: x)
Monismus
Immer, wenn Dir eine Theorie als die einzig mögliche erscheint, nimm das als Zeichen, dass Du weder die Theorie, noch das zu lösende Problem verstanden hast.
“Karl R. Popper, Objektive Erkenntnis
Pluralismus
Kritisch-rationale Gründe für Pluralismus
<1> Fallibilismus
Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ Sokrates
<1> Fallibilismus
<1> Fallibilismus
Bild: CC-BY-SA, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Black_Swan_bg.jpg
[A] plurality of paradigms in economics and in social sciences in general is not only an obvious fact but also a necessary and desirable phenomenon in a very complex and continually changing subject.
“Kurt W. Rothschild, To Push and to be Pushed (1999: 5)
<2> Vielschichtigkeit der Welt
<2> Vielschichtigkeit der Welt
P
Ursache
n Folgen
<2> Vielschichtigkeit der Welt
P
Ans/eg ökonomischer Ungleichheit
Steuerpoli/k: Entlastung von hohen Einkommen &
Vermögen
Globalisierung: Freier Kapitalverkehr
Macht: Schwächere GewerkschaDen
Technologischer Wandel: Rentabilität von Bildung
Hierarchisierung der Arbeitswelt: working poor
vs. Managerboni
Makroökonomie: Geringere Nachfrage
Gesundheit: Mehr Armut -‐ Mehr Krankheit
Poli/k: Mehr Macht für Eliten.
Individuelle Zufriedenheit: Stagna/on trotz Wachstum
Finanzmärkte: Mehr Spekula/on, mehr Verschuldung, mehr „faule
Kredite“
Keynes
Evolu/onäre Ökonomie
Neoklassik
<2> Vielschichtigkeit der Welt
The competition between paradigms is not the sort of battle that can be resolved by proofs. “
Thomas S. Kuhn, The Structure of Scientific Revolution (1962: 148)
<3> Rationalität der Theoriewahl
Science advances one funeral at a time.“ Max Planck
<3> Rationalität der Theoriewahl
<3> Rationalität der Theoriewahl
<2> Vielschichtigkeit der Welt
<1> Fallibilismus
Gründe für Theorien- und Methodenpluralismus:
Pluralismus in der Ökonomie?
eine unübersehbare Bevorzugung und Förderung eines Mainstreams neoklassischer Prägung an Universitäten, Forschungs-instituten und staatlichen und internationalen Wirtschaftsorganisationen
“Kurt W. Rothschild (2008: 25)
These: Ökonomie ist monistisch
Those standard classifications convey a sense of the profession as a single set of ideas. In our view, that is wrong; it is much more useful to characterize the economics profession as a diverse evolving set of ideas, loosely held together by its modeling approach to economic problems.
“
David Colander et al. (2004: 486-487)
Gegenthese: Vielfalt in der Ökonomie
Landkarte ökonomischer Paradigmen
Der öff entliche Sektor - Th e Public Sector Vol. 39 (3) 201338
L. Dobusch, J. Kapeller
der enormen Dominanz der Mainstreamökonomie als einzi-ger in der Lage ist, eine institutionelle Alternative für hetero-doxe Wissenschaft zu liefern (Dobusch und Kapeller 2012).
2. Interessierter Pluralismus als Meta-ParadigmaDer maßgeblich von Thomas Kuhn (1962) geprägte Begriě des wissenschaftlichen Paradigmas entspringt einer soziolo-gischen Perspektive auf Wissenschaft als disziplinär struk-turierte, soziale Felder. Daraus folgt ein deskriptives Ver-ständnis des Paradigmenkonzepts, wonach Forschende aus unterschiedlichen Denktraditionen verschiedene Begriě s-, Theorie- und Methodenapparate verwenden, was wiederum zu Verständnisproblemen bei inter-paradigmatischem Dis-kurs führen kann.2
2 Im Gegensaĵ zu einem deskriptiven würde ein präskripti-ves Verständnis die prinzipielle Inkommensurabilität von Pa-radigmen behaupten und einige weitere, unter Umständen problematische Thesen der Kuhnschen Wissenschaftstheorie reproduzieren - etwa jene von Paradigmenvielfalt als „vorwis-senschaftlichem“ Zustand.
Neben diesen erkenntnistheoretischen Implikationen gehen mit Paradigmen auch spezifi sche institutionelle Routinen einher, die sich emergent im Zusammenwirken der Anhän-ger eines Paradigmas herausbilden. Zu einem Paradigma gehören demnach (a) gemeinschaftlich respektierte Institu-tionen (Konferenzen, Verbände, akademische Zeitschriften etc.), (b) akzeptierte Anforderungen hinsichtlich eingeseĵ ter Methoden und (c) ein geteiltes Verständnis von akademi-schen Standards hinsichtlich Qualität, Originalität und em-pirischer Robustheit.Dieses deskriptive Paradigmenverständnis ist sowohl mit inkrementell-evolutionärem als auch radikalem Wandel – den Kuhn’schen „scientifi c revolutions“ – kompatibel. Wel-che Form des Wandels in der Ökonomie wahrscheinlicher ist, kann deshalb auch aus Perspektive eines interessierten Plura-lismus oě en bleiben. In diesem Kontext lassen sich nun auch die drei obig skiz-zierten Varianten des Pluralismus hinsichtlich ihrer Rolle in paradigmatischen Auseinanderseĵ ungen verorten. So geriert sich der eigennüĵ ige Pluralismus als im Kern mono-paradigmatische (und damit nicht originär „pluralistische“) Strategie, deren epistemologischer Kern sich nach dem Mot-to “es kann nur eines geben” eng an die originale Kuhnsche
Quelle: Eigene Darstellung.
Abb. 1. Paradigmen im herrschenden Ökonomischen Diskurs
aus: Dobusch/Kapeller (2013)
<1>Vermeintliche Vielfalt:
Axiomatische Variation
Modern applied microeconomics consists of a grab bag of models with a model for every purpose.“
David Colander (2000: 139)
Beispiel: Market for Lemons
Standardannahme:vollständige Information
Akerlof (1970):asymmetrische Information
Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kovacs_special_1968.JPG?uselang=de
Beispiel: Market for Lemons
Standardannahme:vollständige Information
Akerlof (1970):asymmetrische Information
>> Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Annahmen
Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kovacs_special_1968.JPG?uselang=de
Variante 1:Vollständige Information als Hilfshypothese>> alternative Modelle
Variante 2:Vollständige Information als Gesetzeshypothese>> konkurrierende Modelle
It is as if physicists sometimes supposed that force is proportional to acceleration and in other models took force to be proportional to acceleration squared.
“Hausman (1992: 52)
<2>Abkehr vom Homo Oeconomicus:
Neoklassik als Benchmark
Deutsche Ökonomen, besessen von ihrer Denkschule? Das stimmt einfach nicht. […] Ökonomen wie der spätere deutsche Nobelpreisträger Reinhard Selten erforschten in Experimenten, wie die Menschen als Sparer, Konsumenten oder Arbeitnehmer wirklich ticken. Antwort: Jedenfalls nicht so eigennützig und effizient wie gedacht.
“
Uwe Jean Heuser , Die Zeit, 17/2012
Deutsche Ökonomen, besessen von ihrer Denkschule? Das stimmt einfach nicht. […] Ökonomen wie der spätere deutsche Nobelpreisträger Reinhard Selten erforschten in Experimenten, wie die Menschen als Sparer, Konsumenten oder Arbeitnehmer wirklich ticken. Antwort: Jedenfalls nicht so eigennützig und effizient wie gedacht.
“
Uwe Jean Heuser , Die Zeit, 17/2012
Die Psychologische Ökonomik verwendet dieselben Methoden wie die Standard-Ökonomik, nämlich mathematische Formalisierung von Annahmen, logische Analyse der Konsequenzen dieser Annahmen, empirischer Test. Dabei werden jeweils nur wenige Variablen oder “stylised facts” systematisch analysiert.
“
Margit Osterloh (2008)
Es werden dabei immer nur eine oder zwei Annahmen der Standard-Ökonomik in Richtung eines größeren psychologischen Realismus modifiziert, wobei das standardökonomische Modell als Referenz gilt.
“Margit Osterloh (2008)
<3>Scheinbare Offenheit: Assimilation von Kritik
Neoklassisch-keynesianische Synthese“ Neukeynesianismus“ Neo-Schumpeterianische Wachstumstheorie“
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The IS-LM diagram, which is widely, but not universally, accepted as a convenient synopsis of Keynesian theory, is a thing for which I cannot deny that I have some responsibility. […] as time has gone on, I have myself become dissatisfied with it.
“
John Hicks (1980: 139)
Es folgt aus der ganzen Anlage unsres Gedankengangs, daß es kein dynamisches Gleichgewicht gibt. Die Entwicklung ist ihrem innersten Wesen nach eine Störung des bestehenden statischen Gleichgewichts ohne jede Tendenz diesem oder überhaupt irgendeinem andern Gleichgewichtszustande wieder zuzustreben.
“
Joseph A. Schumpeter (1912/2006: 489)
Paul Romer gilt als ein „Neu-Schumpeterianer. […] Auf die Frage, ob Schumpetersche Ideen einen Einfluß auf sein theoretisches Schaffen hatten, bemerkt er: „Nein, ehrlicherweise kann ich sagen, sie hatten keinen“.
“Jochen Röpke und Olaf Stiller (2006: VII)
<3> Assimilation von Kritikern
<2> Neoklassik als Benchmark
<1> Axiomatische Variation
Instrumente ökonomischer Kritikimmunisierung:
Warum fehlt ökonomischer Pluralismus?
Landkarte ökonomischer Paradigmen
Der öff entliche Sektor - Th e Public Sector Vol. 39 (3) 201338
L. Dobusch, J. Kapeller
der enormen Dominanz der Mainstreamökonomie als einzi-ger in der Lage ist, eine institutionelle Alternative für hetero-doxe Wissenschaft zu liefern (Dobusch und Kapeller 2012).
2. Interessierter Pluralismus als Meta-ParadigmaDer maßgeblich von Thomas Kuhn (1962) geprägte Begriě des wissenschaftlichen Paradigmas entspringt einer soziolo-gischen Perspektive auf Wissenschaft als disziplinär struk-turierte, soziale Felder. Daraus folgt ein deskriptives Ver-ständnis des Paradigmenkonzepts, wonach Forschende aus unterschiedlichen Denktraditionen verschiedene Begriě s-, Theorie- und Methodenapparate verwenden, was wiederum zu Verständnisproblemen bei inter-paradigmatischem Dis-kurs führen kann.2
2 Im Gegensaĵ zu einem deskriptiven würde ein präskripti-ves Verständnis die prinzipielle Inkommensurabilität von Pa-radigmen behaupten und einige weitere, unter Umständen problematische Thesen der Kuhnschen Wissenschaftstheorie reproduzieren - etwa jene von Paradigmenvielfalt als „vorwis-senschaftlichem“ Zustand.
Neben diesen erkenntnistheoretischen Implikationen gehen mit Paradigmen auch spezifi sche institutionelle Routinen einher, die sich emergent im Zusammenwirken der Anhän-ger eines Paradigmas herausbilden. Zu einem Paradigma gehören demnach (a) gemeinschaftlich respektierte Institu-tionen (Konferenzen, Verbände, akademische Zeitschriften etc.), (b) akzeptierte Anforderungen hinsichtlich eingeseĵ ter Methoden und (c) ein geteiltes Verständnis von akademi-schen Standards hinsichtlich Qualität, Originalität und em-pirischer Robustheit.Dieses deskriptive Paradigmenverständnis ist sowohl mit inkrementell-evolutionärem als auch radikalem Wandel – den Kuhn’schen „scientifi c revolutions“ – kompatibel. Wel-che Form des Wandels in der Ökonomie wahrscheinlicher ist, kann deshalb auch aus Perspektive eines interessierten Plura-lismus oě en bleiben. In diesem Kontext lassen sich nun auch die drei obig skiz-zierten Varianten des Pluralismus hinsichtlich ihrer Rolle in paradigmatischen Auseinanderseĵ ungen verorten. So geriert sich der eigennüĵ ige Pluralismus als im Kern mono-paradigmatische (und damit nicht originär „pluralistische“) Strategie, deren epistemologischer Kern sich nach dem Mot-to “es kann nur eines geben” eng an die originale Kuhnsche
Quelle: Eigene Darstellung.
Abb. 1. Paradigmen im herrschenden Ökonomischen Diskurs
aus: Dobusch/Kapeller (2013)
Zitationsnetzwerkeffekte
Social Science Citation Index (SSCI)
Handelsblatt-Ranking(Meta-Ranking)
Zeitschriftenrankings
percentage of citations from top 13 heterodox
percentage of citations from top 13 orthodox
in top 13 heterodox
52.42% (intra-network) 47.58% (inter-network)
in top 13 orthodox
2.85% (inter-network) 97.15% (intra-network)
Empirie zu ökonomischen Diskursen
Daten: Thomson’s Social Science Citation Index (SSCI); Heterodox Journals wurden auf Basis von Frederic Lee’s “Heterodox Directory” (2009a) ermittelt.
(a) Lose heterodoxe vs. enge orthodoxe Zitationsnetzwerke
(b) Einseitige Offenheit der Heterodoxe für den Mainstream
Empirie zu ökonomischen Diskursen II
Daten: Thomson’s Social Science Citation Index (SSCI); Heterodox Journals wurden auf Basis von Frederic Lee’s “Heterodox Directory” (2009a) ermittelt.
Top 13 heterodox journalsCitations in
top 13 orthodox
Citations of top 13
orthodoxDiff. Proportion
Economy and Society 46 69 -‐23 1.5Ecological Economics 18 1022 -‐1004 56.78Work, Employment and Society 17 47 -‐30 2.76Review of interna/onal Poli/cal 55 111 -‐56 2.02Journal of Economic Behaviour 340 2605 -‐2265 7.66New Poli/cal Economy 5 50 -‐45 10Cambridge Journal of Economics 98 617 -‐519 6.3Journal of Development Studies 72 672 -‐600 9.33Journal of Evolu/onary Economics 36 517 -‐481 14.36Feminist Economics 7 198 -‐191 28.29Journal of Post-‐Keynesian 10 407 -‐397 40.7Journal of Economic Issues 22 568 -‐546 25.82Economics & Philosophy 27 153 -‐126 5.67Total 753 7036 -‐6283 9.34
Paradigmenwechsel?
Despite the enormity of recent events, the principles of economics are largely unchanged. Students still need to learn about gains from trade, supply and demand, the efficiency properties of market outcomes, and so on. These topics will remain the bread-and-butter of introductory courses.
“
Gregory Mankiw
Мore economic research (and teaching), not less, is the best hope of both emerging from the current crisis and of avoiding future ones.
“Doug McTaggart, Christopher Findley und Michael Parkin
Publikationsprozess und Impactfactor
Mehr Pluralismus?Welcher Pluralismus?
Pluralismus-konzept
Kernbotschaft Art des Diskurses
Zielsetzung
Selbst-süchtig
Andere als illegitim, aber unbezwingbar
Regelm. Kritik an anderen Paradigmen
Vorherrschaft/Überleben (Monismus)
Desinter-essiert
Andere Paradigmen als legitim, aber irrelevant
Seltene Kritik/Ausein-andersetzung
Erhalt des status quo (Paradigmen-pluralismus)
Interessiert Andere Paradigmen als potentiell bereichernd
Konstruktive Auseinander-setzung
Ökumenische Integration u. Diversifizierung (Plurlistisches Paradigma)
Pluralismuskonzepte
Vergleich von theoretischen Aussagen
Pluralistische Forschungs-praktiken und -strategien
èç Identisch
(a) Integrationìë Konvergierend
éé Kompatibel (b) ArbeitsteilungO O Neutral
(c) Diversifikation
ëì Divergent (d) Empirischer Test konfligierender Hypothesen
çè Widersprüchlich
Pluralismus in der (Forschungs-)Praxis
Wissenschaftstheoretisch führt kein Weg an Theorienpluralismus vorbei
Die paradigmatische Konstellation der Ökonomie ist stark monistisch
Überwindung institutioneller Hürden nur mit pluralistischem Paradigma
Fazit
Ausblick
Literatur
Kapeller, Jakob / Dobusch, Leonhard (2009): Why is Economics not an Evolutionary Science? New Answers to Veblen's old Question. Journal of Economic Issues, Vol. 43(4):867-898.
Kapeller, Jakob / Dobusch, Leonhard (2009): Diskutieren und Zitieren: Zur paradigmatischen Konstellation aktueller ökonomischer Theorie. Intervention - Journal of Economics, Vol. 6(2):145-152.
Kapeller, Jakob (2010): Citation Metrics: Serious drawbacks, perverse incentives and strategic options for heterodox economics. American Journal of Economics and Sociology, 69(5):1376-1408.
Kapeller, Jakob / Dobusch, Leonhard (2012): A guide to paradigmatic Self-marginalization - Lessons for Post-Keynesian Economists. Review of Political Economy, 24(3):469-487.
Kapeller, Jakob / Dobusch, Leonhard (2012): Heterodox United vs. Mainstream City? Sketching a framework for interested pluralism in economics. Journal of Economic Issues, 46(4), 1035-1058
Journal: www.momentum-quarterly.org Blog: www.momentum-research.org
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