T R A N S T H O R A K A L E E C H O K A R D I O G R A F I E
Z U S A M M E N F A S S U N G
Ziel der Untersuchung war die Erfas-
sung der koronaren Flussgeschwin-
digkeitsreserve (CFVR) mittels hoch-
auflösender transthorakaler Dopp-
ler-Echokardiografie und der Ver-
gleich der Befunde zur quantitativen
Koronarangiografie (QCA).
Coronary flow velocity reserve in the three main coronaryarteries assessed with transthoracic doppler: a comparativestudy with quantitative coronary angiography
Bestimmung der koronaren Flussge-schwindigkeitsreserve in den drei großenKoronargefäßen mittels transthorakalerDoppler-Echokardiografie: Eine Vergleichsstudie zur quantitativenKoronarangiografie
Zusammenfassungund Kommentar:Michel-Lambertz R,Wiesbaden
Vegsundvåg J et al.J Am Soc Echocardiogr 2011;24:758-67
Insgesamt wurden 108 Patienten
mit dem klinischen Verdacht auf eine
koronare Herzerkrankung unter-
sucht. Die CFVR wurde als Ratio der
Hyperämie-induzierten koronaren
Flussgeschwindigkeitszunahme
nach peripher-venöser Injektion von
0,14 mg/KgKG/Minute Adenosin zum
Ausgangsbefund bestimmt.
Basierend auf multiplen Vorunter -
suchungen wurde für die CFVR ein
poststenotisch bestimmter Cut-off-
Wert von < 2,0 als Zeichen einer
hämodynamisch relevanten Koro-
narstenose definiert. Die CFVR wur-
de mit der quantitativen Koronaran-
giografie im Bereich der drei großen
Koronargefäße verglichen.
Die Bestimmung der CFVR mittels
hochauflösender transthorakaler
Doppler-Echokardiografie gelang im
14
Abbildung 1
Bestimmung der koronaren Flussreserve in der LAD. (A) Nach Aufsuchen des Koronargefäßes erfolgt die Spektraldoppler-Aufzeichnung der koronarenFlussgeschwindigkeit. (B) Nach intravenöser Gabe von 0,14 mg/Kg KG/Minute Adenosin nimmt der Koronarfluss im Rahmen der koronaren Hyperämie deutlich zu. Die koronare Flussgeschwindigkeitsreserve (CFVR)wird aus dem Verhältnis Hyperämie/Ruhefluss bestimmt. Der Wert beträgt im dargestellten Fall350 %.
(Prof. Dr. Dr. H. Lambertz, Wiesbaden)
A B
Moderne Diagnoseverfahren in der Kardiologie 1–2012
Transthorakale Echokardiografie15
K O M M E N T A R
U N D B E F U N D I N T E R -
P R E T A T I O N
Der Tatbestand, dass intermediäre
50-75 %ige Durchmesserstenosen
eine CFVR von mehr als 2,0 aufwie-
sen zeigt, dass im Einzelfall anhand
der alleinigen morphologischen
QCA- Diagnostik ein funktionell
relevanter Stenosegrad nicht immer
exakt erfasst werden kann.
Mehrere Untersuchungen haben
gezeigt, dass intermediäre LAD-
Stenosen, die eine CFVR > 2,0 auf-
weisen, auch ohne durchgeführte
Koronarintervention eine gute
Langzeitprognose haben.
Die Autoren schlussfolgern, dass die
CFVR im mittleren bzw. peripheren
Abschnitt der LAD in nahezu allen
Fällen erfasst werden kann.
Im Ramus marginalis sinister des
Ramus circumflexus gelang die
Bestimmung der CFVR in zwei Drit-
teln der Fälle und im Bereich des
Ramus posterior descendens der
rechten Koronararterie in drei Vier-
teln der Fälle. Beim Vorliegen einer
hämodynamisch relevanten LAD-
Stenose ist das echokardiografische
Verfahren in der Lage, entweder
durch Bestimmung der CFVR mit
einem Wert < 2,0 oder durch Nach-
weis eines retrograden Koronarflus-
ses, die Diagnose einer flussdros-
selnden Stenose nicht invasiv exakt
zu stellen. Bei mittelgradigen
50–75%igen Stenosen wurde in
der Hälfte der Fälle eine nicht patho-
logisch erniedrigte CFVR erfasst,
die auf das Nichtvorhandensein
einer hämodynamischen Relevanz
der Koronargefäßverengung hin-
wies.
mittleren sowie peripheren Abschnitt
der LAD in 97 % der Fälle, im Bereich
des Ramus marginalis sinister
in 63% der Fälle und im Bereich des
Ramus posterior descendens der
rechten Koronararterie in 75% der
Fälle. Bei 42 von 49 Patienten mit
hämodynamisch signifikanter Koro-
narsklerose (QCA-Durchmesserste-
nose 76–100%) betrugen die Werte
für die CFVR < als 2,0 oder zeigten
Doppler-echokardiografisch einen
retrograden Koronarfluss. Die Sensi-
tivität der CFVR bei diesem höheren
Stenosegrad betrug 86%, die Spezi -
fität betrug 70% und die positive
bzw. negative prädiktive Voraussage
betrugen 70 bzw. 85%. Bei Patienten
mit mittlerem Stenosegrad (Patien-
tengruppe II mit QCA-Durchmes-
serstenose von 50–75%) streuten die
CFVR-Werte deutlich oberhalb bzw.
unterhalb des Cut-off-Wertes von
2,0.
Abbildung 2
(A) Antegrader Koronarfluss in der LAD (rötlich kodiert). (B) Retrograder Koronarfluss in der LAD bei proximalem Gefäßverschluss(blau kodiert).
(Prof. Dr. Dr. H. Lambertz, Wiesbaden)
A B
A B
Moderne Diagnoseverfahren in der Kardiologie 1–2012
Transthorakale Echokardiografie16
Abbildung 3
Beispiele antegrader Koronarflüsse (A1-C1) in der mittleren LAD (mLAD) (A1-3), Ramus marginalis sinister (CxMb) (B1-3), und Ramus posterior descendens (PDA) (C1-3) basal (A2-C2) sowie nach Hyperämie (A3-C3).
Abbildung 4
Beispiel eines retro-graden Koronarflussesim Ramus marginalissinister. Die Spektraldoppler-Analyse (rechtes Bild)zeigt eindeutig dieFluss umkehr währendder Diastole.
C
Hieraus wird deutlich, wie wichtig
es ist, die funktionelle Stenoseinfor-
mation (hämodynamisch relevant
flussdrosselnd oder nicht) anhand
der CFVR zu erfassen.
Bei der Befundinterpretation muss
auch berücksichtigt werden, dass
Mikrozirkulationsstörungen bedingt
durch auch kardiovaskuläre Risiko-
faktoren wie Hypertonus, Hyper -
lipidämie oder Diabetes mellitus zu
einer Mitbeeinflussung der CFVR
führen (auch wenn der koronarmor-
phologische Befund unauffällig
erscheint). Mittels CFVR werden
sowohl die hämodynamische Rele-
vanz einer epikardialen Koronararte-
rienstenose erfasst als auch NO-
unabhängige endotheliale Funkti-
onsstörungen (die isoliert oder kom-
plementär zur epikardialen Stenose
vorliegen können). Beim Vorliegen
einer relevanten Koronararterienste-
nose mit normaler CFVR muss u.a.
auch an das Vorliegen von ausrei-
chend perfundierten Kollateralgefä-
ßen gedacht werden, die die Funk-
tionalität der Koronarperfusion
poststenotisch noch gewährleisten.
Dies ist ein Grund, warum unsere
Arbeitsgruppe nicht den »alleinigen«
Einsatz der CFVR in Unkenntnis des
angiografischen Koronarbefundes
propagiert, sondern die Ergebnisse
einer CFVR-Bestimmung immer
synergistisch mit dem morphologi-
schen Befund einer vorausgegange-
nen koronaren Darstellung als sinn-
voll ansieht. Auch ein Nichtauffin-
den eines Koronargefäßes (Ramus
marginalis sinister oder Ramus pos-
terior descendens) kann beim Vor
liegen eines koronaren Rechts- bzw.
Linksversorgungstyps erklärt wer-
den (ohne dass eine stenotische
koronare Herzkrankheit gegebenen-
falls mit Verschluss des Gefäßes
vorliegt).
L I M I T A T I O N E N
D E S V E R F A H R E N S
Das echokardiografische Verfahren
zur Bestimmung der CFVR
beschränkt sich auf die LAD, Ramus
marginalis sinister sowie Ramus
posterior descendens als auch
die LIMA und RIMA nach Bypass -
operation. Größere Äste wie der
Ramus diagonalis, der Ramus poste-
ro-lateralis sinister oder der Ramus
circumflexus im mittleren bzw. peri-
pheren Bereich sind dem Verfahren
aus anlottechnischen Gründen
nicht zugänglich. Zudem setzt die
Methode eine hochauflösende
Gerätetechnologie voraus; entschei-
Moderne Diagnoseverfahren in der Kardiologie 1–2012
Transthorakale Echokardiografie17
Abbildung 5
Verhältnis zwischender CFVR und unter-schiedlichen Stenose-graden der drei großenKoronararterien. DS = Durchmesser -stenose (QCA).
CFVR
8
7
6
5
4
3
2
1
0Gruppe 1
(DS 0–49%)
Gruppe 2
(DS 50–75%)
Gruppe 1
(DS 76–100%)
p 0,0012
p < 0,0001
p < 0,0001
LADCxPDA
dend für die Güte der Spektral-
Doppler-Signale des koronaren
Flusses sind die gerätespezifischen
Filtersetzungen. Mehr als 90% der
Publikationen, die sich mit dem
Verfahren der Doppler-echokardio-
grafischen Erfassung der koronaren
Flussgeschwindigkeitreserve befas-
sen, sind mit einem Sequoia-Gerät
(Siemens/Acuson) durchgeführt wor-
den. Auch die Lernkurve des Unter-
suchers muss angesprochen werden.
Die diagnostische Ausbeute des Ver-
fahrens lässt sich erst ausschöpfen,
wenn der Untersucher mit der Dar-
stellung der Koronararterie vertraut
ist und hierbei eine entsprechende
Expertise aufweist.
18 Moderne Diagnoseverfahren in der Kardiologie 1–2012
Transthorakale Echokardiografie
K L I N I S C H E R E I N S A T Z
Nach durchgeführter Koronar -
angiografie (und somit in Kenntnis
des koronaren Versorgungstyps)
erscheint die klinische Indikation
für das Verfahren
in der Bestimmung der hämodyna-
mischen Relevanz einer Koronarste-
nose (präferenziell LAD/RCA) sowie
in der Planung der weiteren invasi-
ven Therapie gelegen.
Nach stattgehabter koronarer Inter-
vention erlaubt das Verfahren des
Weiteren eine Prognoseabschätzung
und kann
zum Follow-up nach PCI eingesetzt
werden.
Zudem eignet es sich bei der Objekti-
vierung einer koronaren Mikrozirku-
lationsstörung (Erfassungsmöglich-
keit einer NO-unabhängigen koro-
naren Mikrozirkulationsstörung),
die bisher ja noch häufig als allei -
nige Ausschlussdiagnostik (nach
kathetertechnischem Ausschluss
einer KHK) als vorliegend erachtet
wird.
Nach stattgehabter Bypassoperation
gelingt die funktionelle Erfassung
der Bypassfunktion im LIMA und
RIMA mit dem Verfahren in der
Majorität der Fälle.
Beim Vorliegen eines Linksschenkel-
blocks im EKG und eventuell schwie-
rig zu beurteilendem Stress-Echokar-
diogramm stellt das Verfahren der
echokardiografischen Bestimmung
der CFVR eine klinisch wertvolle
Hilfe dar.
Abbildung 6
Vergleich zwischenechokardiografischerCFVR und invasiverQCA bei mittel -gradigen Stenosen.
A1-A3: QCA = 75 %,CFVR = 1,66. B1-3: QCA = 53 %,CFVR = 2,35.
(Abb. 3 – 6 mod. nachVegsundvåg J et al. J Am Soc Echocardiogr2011;24:758-67)
A
B
•
•
•
•
•
•
19Moderne Diagnoseverfahren in der Kardiologie 1–2012
Transthorakale Echokardiografie
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Abbildung 7
Klinischer Workflowzur Erfassung derhämo dynamischenRelevanz einer Koro-narstenose. Insbesondere beimVorliegen einer inter-mediären Stenose(Durchmesserstenose50–75 %) stellt dieBestimmung derCFVR mittels trans-thorakaler Doppler-Echokardiografie einediagnostische Hilfedar (modifiziert nach12).
(Prof. Dr. Dr. H. Lambertz, Wiesbaden)
Koronarangiografie
Nachweis der hämodynamischen Relevanz von Koronarstenosen
CFR-Messung Stressecho
PCI
konservativ
CFR-Messung Stressecho
➝
➝
➝
Fraglich relevante Stenose
unauffälliger
Befund
unauffälliger
Befund
pathologischer
Befund
zur Verlaufskontrolle
mit hoher Sens./Spez. geeignet
Relevante Stenose
(mit Ischämienachweis
oder typischer Klinik)