Europäische Betriebsräte im Strukturwandel der Automobilzulieferindustrie Axel Hauser-Ditz, (Gemeinsame Arbeitsstelle RUB/IGM) Valentina Mählmeyer (WZB) Ludger Pries (RUB, LS Soziologie/ Organisation, Migration, Mitbestimmung)
Berlin, 21. Februar 2013 Gefördert durch:
2 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
1. Forschungsprojekt
2. Fragestellung und theoretisches Modell
3. Situation der Automobilzuliefer-Industrie
4. Unternehmens- und EBR-Strukturen
5. Kurzfallstudien: Bosch und Delphi
6. EBR-Output: Bewertung und Erklärungsversuche
7. Zusammenfassung/Schlussfolgerungen
Inhalt
3 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
1. Forschungsprojekt
2010 – 2012, LS Soziologie/Organisation, Migration, Mitbestimmung (Ludger Pries)
Förderung: Hans-Böckler-Stiftung, IG Metall
Auf Basis des Projektes zu EBRs bei OEMs:
- Typologie der Internationalisierung (4 Typen: Verteilung/Koordination)
- “organisational fit” zwischen Unternehmens- und EBR-Strukturen
Fallstudien in 6 Unternehmen: Bosch, Continental, Delphi, Hella, GKN, TRW
Auswahlkriterien:
- 1st tier-suppliers (top 100), Automotive-Dominanz, EBR vorhanden
- Varianz nach Stammland und OEM-Abhängigkeit
Methodologie: Experteninterviews mit den EBR-Mitgliedern, Managern, Vertretern der nationalen und europäischen Gewerkschaften, Dokumentenanalyse
“Europäische Betriebsräte als Akteure im Strukturwandel der europäischen Automobilzulieferindustrie”
4 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
1. Wie gestalten die Automobilzulieferer ihre Internationalisierungs-strategie und welche Konsequenzen ergeben sich für die westeuropäischen Standorte?
2. Inwiefern können EBRs in diesen Prozess regulierend eingreifen und sind sie in der Lage, eine aktive Rolle zu spielen?
3. Von welchen Faktoren hängt der Erfolg von EBRs ab?
2. Fragestellungen
5 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
EBR Typ
EBR Output
Unternehmens-
struktur / Typ Länder-
effekte
Akteurs-
strategien
Pfadabhängig-
keit/ Lerneffekte
2. Theoretisches Modell
6 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
Vier Idealtypen grenzüberschreitend tätiger Organisationen
schwach stark
zentralisiert
(1)
Fokale Organisation
(2)
‘Globale’ Organisation
dezentral
(3)
Multinationale Organisation
(4)
Transnationale Organisation
Koordination
Ve
rte
ilun
g
7 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
Typ 2: ‚Globale‘ Organisation (zentralisiert, stark koordiniert)
Relevante Internationalisierungstypen untersuchter Zulieferunternehmen
8 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
Typ 4: Transnationale Organisation (dezentral, stark koordiniert)
Relevante Internationalisierungstypen untersuchter Zulieferunternehmen
9 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
3. Situation der Automobilzulieferer
Wachstumsmöglichkeiten durch Outsourcing der OEMs seit den 1990ern (M&A, joint ventures; neue Hierarchie: Zuliefererpyramide)
Preisdruck durch Marktmacht der OEMs, “Slave Contracts” (3-5% Preisnachlass /Jahr) selbst für Marktführer (z.B. Hella and GKN)
Strategien der Zulieferunternehmen:
– Schlüsselposition in der Zulieferhierarchie erringen (1st tier+-Systemzulieferer)
– Produkt- und Kundendiversifizierung (non-automotive) und Aftermarket
– Und: Engagement in Niedriglohnländern erhöhen (MOE)
Der Verlagerungsdruck variiert nach der Arbeits-, Wissens- und Kapitalintensität des Produkts bzw. Fertigungsprozesses (+Logistik)
– Verlagerung arbeitsintensiver (low skill)Aktivitäten nach MOE – zuletzt stark nach Rumänien (sogar von PL, CZ, HU) und nach Marokko (“best cost” countries)
– Z.B. Kabelbäume (ROM) vs. Elektr. Stecker, Dichtungen bei Delphi (D)
10 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
3. Situation der Automobilzulieferer
Wachstumsmöglichkeiten durch Outsourcing der OEMs seit den 1990ern (M&A, joint ventures; neue Hierarchie: Zuliefererpyramide)
Preisdruck durch Marktmacht der OEMs, “Slave Contracts” (3-5% Preisnachlass /Jahr) selbst für Marktführer (z.B. Hella and GKN)
Strategien der Zulieferunternehmen:
– Schlüsselposition in der Zulieferhierarchie erringen (1st tier+-Systemzulieferer)
– Produkt- und Kundendiversifizierung (non-automotive) und Aftermarket
– Und: Engagement in Niedriglohnländern erhöhen (MOE)
Der Verlagerungsdruck variiert nach der Arbeits-, Wissens- und Kapitalintensität des Produkts bzw. Fertigungsprozesses (+Logistik)
– Verlagerung arbeitsintensiver (low skill)Aktivitäten nach MOE – zuletzt stark nach Rumänien (sogar von PL, CZ, HU) und nach Marokko (“best cost” countries)
– Z.B. Kabelbäume (ROM) vs. Elektr. Stecker, Dichtungen bei Delphi (D)
– R&D remains the core competence of Western European high wage countries, but partly relocation of R&D capacities to PL, CZ, HU
Westeuropäische Länder unterschiedlich betroffen: – Stabile Beschäftigung in Deutschland; Rückgang UK, FR, ES, PT
– F&E verbleibt als Kernkompetenz der Unternehmens-/Divisionszentralen der westeurop. Hochlohnländer; Teilverlagerung auch nach PL, CZ, HU, (RO)
Moldova Noua, Rumänien Wuppertal
11 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
OEM-Abhängigkeit der Automobilzulieferer
Wenige OEMs treten als Abnehmer auf und erwarten/diktieren:
Doppelte Konkurrenzsituation für Konzernstandorte:
Starker konzerninterner Standortwettbewerb, da Gefahr von Auftragsverlust an externen Anbieter
Qualität
Made in Germany Low Cost-Anteil
Fertigung
Räumliche Nähe
(JIT, JIS)
Absprachen im EBR gegen Concession Bargaining (Bsp. GM-Delta-Plattform) schwer!
...
...
...
12 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
4. Unternehmens- und EBR-Strukuren
13 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
Unternehmen: Verteilung und Koordination
Bosch Conti Hella GKN Delphi TRW
Stammland/Sitz
Europazentrale D D D GB USA/L USA/NL
Divisionalisierung Ja Ja Ja, aber
schwach Ja Ja Ja
Non-Automotive-
Aktivitäten
40%
(steigend) gering
sehr gering
(soll wachsen) ca. 40%
Nein
(eingestellt)
Nein
(eingestellt)
Verteilung der
Divisionszentralen
Konzern-
zentrale/
Umfeld
Verteilt im
Stammland
Alle an der
Konzernzentrale
Alle an der
Konzern-
zentrale
Mehrere
Länder
(D, GB)
Mehrere
Länder
(v.a. D)
Anteil beschäftigungs-
stärkstes Land
ca. 60 %
(D)
ca. 50 %
(D)
ca. 60 %
(D)
ca. 30%
(GB)
33%
(RO)
29%
(D)
MOE-Anteil
Europabeschäftigung 10% 35% >20% <20% 59% 41%
Low Cost Country-
Orientierung Eher gering Hoch
Eher gering
(steigend) Eher gering Hoch Hoch
Ressourcenverteilung
in Europa insgesamt Zentral Eher zentral Zentral Mittel Eher dezentral
Eher
dezentral
Grenzüberschreitende
Koordination Stark Stark Stark Stark Stark Stark
14 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
EBR: Ressourcenverteilung und Koordination
Bosch Conti Hella GKN Delphi TRW
EBR-Sitz D D D GB
(früher D)
-
(Sprecher F) D
Gremiengröße 36 59 27 29 25 24
Stammlandanteil der
Sitze
Unter-
proportional Proportional Proportional Proportional
Unter-
proportional Proportional
Sondergremien für
Divisionen Teilweise Teilweise Nein Nein Nein Nein
Abbildung Divisionen im
Select Committee
Ja, unsyste-
matisch Gering Nein
Ja, unsyste-
matisch
Ja, unsyste-
matisch
Ja, unsyste-
matisch
Abbildung MOE-Länder
im SC Ja
Ja, unter-
proportional Nein Nein
Ja, unter-
proportional
Ja, unter-
proportional
Machtverteilung
zentralisiert
bei EBRV,
SC-Mitglieder
wichtig
zentralisiert
bei EBRV,
SC-Mitglieder
nachrangig
Dominanz
Zentrale, SC
faktisch nicht
existent
Vor 2008
deutsche
Dominanz/
jetzt dezentral
Dezentral, kein
EBR-Vorsitz,
rotierender SC-
Sprecher
Tendenziell dt.
dominiert aber
MOE-Vize
Ämterzentralisierung
beim EBRV Stark Mittel Mittel
Vor 2008 stark/
jetzt schwach Schwach Mittel
Ressourcenverteilung Eher zentral Eher
zentral
Eher
Zentral
Eher
dezentral Dezentral
Eher
dezentral
Koordination Eher stark Eher
schwach Schwach Eher schwach Eher schwach Eher schwach
15 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
Organisational Fit: Internationalisierungs-Typ Unternehmen und EBR
Focal
Organisation
Transnational
Organisation
Multinational
Organisation
De- centralised
Centralised
Srong Weak
Global
Organisation
Coordination
Dis
trib
uti
on
16 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
5. Bosch Delphi: Verlagerungen, Standortschließungen und
die Rolle des EBRs
17 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
Bosch: Lerneffekte und Unternehmensstruktur als Chance nutzen
Hintergründe:
Verluste der Robert Bosch GmbH durch die Wirtschaftskrise (2008-2010)
Schließung von 19 (kleineren) Werken in Europa innerhalb von 2 Jahren
Drohende Schließung in Vénissieux (FR, Dez.2009-2011, 620 Mitarbeiter, Diesel Syst./Automotive)
Zuvor Vermittlungsversuche EBR bei Schließung Werk Cardiff (GB, Sep.2009-Jan.2010, 900 Mitarbeiter, Generatoren/Automotive) gescheitert
EBR-Reaktion:
Zweifel an Motiven des Unternehmens schwache Geschäftsfelder abwickeln?
Zwei Aktions- bzw. Protesttage in Zusammenarbeit mit EMB, aber keine lokalen Streiks
Gemeinsames “Reindustrialization Committee”: Suche in 3 Schritten (Diesel/Automotive/Bosch-Konzern) mit Einjahresfrist, danach gemeinsame Investorensuche
Ergebnis/Erklärungsversuche:
Überleitung des Werkes zum Geschäftsbereich “Solar Energy” (2012 erneut in der Krise)
Benchmark für konzerninternen Strukturwandel
Structural “Fit” als Handlungsvoraussetzung EBR deckt die Unternehmensstruktur ab
Lerneffekte auf der EBR-Seite Pfadbruch paternalisitischer Arbeitsbeziehungen verhindern
Nutzung starker institutioneller Basis der Arbeitnehmervertretung im Stammland
Aber Stammlanddominanz im EBR verhindert (symbolischer Mandatsverzicht)
18 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
Delphi: Geringe Handlungsfähigkeit durch dezentrale EBR-Strukturen
Schließung des Delphi-Werks in Česká Lípa, Tschechische Republik (2010):
Produktion von Kabelbäumen seit 2003 überwiegend für deutsche OEMs (Audi, BMW)
Seit 2008 schrittweise Reduktion der Beschäftigtenzahl von über 3.000 auf 1.400
2010 verliert das Werk einen Großauftrag (an ein neues Delphi-Werk in Rumänien)
Tschechische Beschäftige nun in einer ähnlichen Situation wie westeuropäische Beschäftigte
EBR (Sekretariat) informiert aber keine effektive Konsultation
(Re)aktion EBR/ANV:
EBR-Sekretariat akzeptierte Management-Framing: „keine direkte Produktionsverlagerung“
EBR organisierte Solidaritätsschreiben von Gew./ANV aus mehreren Ländern
Lokale Proteste im Werk, Beschäftigte akzeptierten Schließung aber nicht das angebotene Abfindungspaket (gesetzl. Minimum),
Unterstützung lokale Verhandlungen durch EBR-Sekretariat/EMB durch grenzüberschreitenden Wissenstransfer: Abfindungsbenchmark (aber unvollständige Info)
Ergebnis/Erklärungsversuche:
Schließung 2011, Abfindungspaket verbessert, Formel jedoch deutlich schlechter als z.B. in GB
dezentr. Unternehmensstruktur führt zu fehlendem Koordinationszentrum im EBR (kein Vorsitz)
Pfad aggressiver Verlagerungsstrategie führt zu geringer Stabilität/Vertrauen im EBR
19 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
6. EBR-Output
Bosch Conti Hella GKN Delphi TRW
Qualität Management-
Information auf
Jahressitzungen
Sehr gut Gut Gut Gut Gut Gut
Effektive Konsultation
Select Committee Ja Nein Nein Teilweise Teilweise Teilweise
Effektive
Kommunikation
zwischen den
Sitzungen
Ja Teilweise Nein Nein Nein Teilweise
Einfluss auf
Standortfragen Ja Nein Nein Nein Nein Nein
Abschluss von
Vereinbarungen Nein (Ja) Nein Nein Nein Nein
Organisation von
grenzüberschreitenden
Aktionen/Protesten
Ja Ja Nein Nein (Ja) (indirekt)
Output insgesamt Eher hoch Gering Sehr gering Gering Gering Gering
20 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
7. Zusammenfassung/Schlussfolgerungen
1. Output der untersuchten EBRs mit Ausnahme von Bosch gering Einfluss auf Standortwettbewerb, Schließungs- und Verlagerungsfälle schwach
Unzureichende Informations- und Konsultationspraxis der Managementseite
Probleme beim Aufbau von Solidarität und Austausch von Informationen im EBR
Bosch Benchmark für konzerninternen Strukturwandel
2. EBR-Struktur meist nur unzureichend an Unternehmen angepasst grenzüberschreitend stark koordinierten Unternehmen stehen meist schwach
koordinierte EBRs gegenüber
Divisionalisierung der Unternehmen wird meist nicht in EBR-Strukturen abgebildet
3. Starke Koordination scheitert an: Gegensätzlichen Interessen unter angespannten Wettbewerbsbedingungen
Unterschiedlichen Kulturen (der Arbeitsbeziehungen)
Sprachbarrieren und Mangel an persönlichem Vertrauen
Interner Zersplitterung auf Arbeitnehmerseite (Divisionen, viele (kleinere) Standorte) – Vorteil eher für EBRs in Unternehmen des „globalen“ Typs (Ressourcenbündelung)
Fehlender strategischer Weitsicht der Akteure für die Bedeutung der europ. Ebene
21 Europäische Betriebsräte in der Automobilzulieferindustrie | Berlin | 21. Februar 2013
Kontakt:
Prof. Dr. Ludger Pries Ruhr-Universität Bochum Lehrstuhl Soziologie/ Organisation, Migration, Mitbestimmung [email protected] Axel Hauser-Ditz Ruhr-Universität Bochum Gemeinsame Arbeitsstelle RUB/IGM [email protected] Valentina Mählmeyer Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) Projektgruppe Globalisierung, Arbeit und Produktion [email protected]