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8/17/2019 Romantic Comedie
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1999
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Theorie und Praxis der romantischen Komödie
Daniela Coufal
Deutsche Philologie
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Inhaltsverzeichnis
1. Vorbemerkung........................................................................................................ 2
2. Theorie der romantischen Komödie........................................................................ 3
3. Praxis der romantischen Komödie bei Tieck „Der gestiefelte Kater“....................... 7
3. 1. Das Spiel im Spiel........................................................................................... 7
3.2. Der Illusionsbruch .......................................................................................... 11
3. 3. Das Verhältnis zwischen Dichter und Publikum............................................ 14
3. 4. Sprache......................................................................................................... 16
4. Resümee .............................................................................................................. 18
5. Bibliographie:........................................................................................................ 19
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1. Vorbemerkung
Tiecks Komödien sind mit Sicherheit vielschichtiger als die anderer Autoren.
Sie beinhalten zusätzliche Elemente, wie etwas das Spiel-im-Spiel, Illusionsbrüche
oder etwa die Thematisierung des Verhältnisses zwischen Autor und Publikum.
Tieck ist nichts heilig, er kritisiert die Spießbürger seiner Zeit, die sich selbst
für aufgeklärt halten, in Wirklichkeit aber ihr Wissen in starre Schemata gekleidet
haben, ebenso wie den Theaterbetrieb als Gesamtes, der sich gänzlich am
Geschmack und den Wünschen des – wohlgemerkt zahlenden – Publikums
orientiert.
Doch eines steht bereits vor dem Schreiben dieser Arbeit fest, so sehr Tieckselbst auch betont, daß er seine Stücke für das Theater schreibt, ebenso schwer sind
sie schließlich aufgrund ihrer Komplexität auf der Bühne zu realisieren.
Mein Ziel ist es nun, in dieser Arbeit einerseits die Theorie der romantischen
Komödie zu diskutieren und herauszufinden, wie Tieck wichtige Begriffe, wie etwas
den der Ironie für sich selbst definierte und andererseits anhand des „Gestiefelten
Katers“ und zusätzlich noch an „Der verkehrten Welt“ aufzuzeigen, wie er die Theorie
zur Praxis werden läßt.Vor allem beim „Gestiefelten Kater“ bietet es sich meiner Meinung nach an,
kurz die Sprache – sofern dies nicht den Rahmen und Umfang dieser Arbeit sprengt
– zu untersuchen, da der komische Effekt hier besonders durch sprachliche Mittel
hervorgerufen wird.
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2. Theorie der romantischen Komödie
Die Basis der Theorie der romantischen Komödie ist mit Sicherheit Friedrich
Schlegels Essay :“Vom ästhetischen Werte der griechischen Komödie.“1, dem er die
Komödien des Aristophanes zugrunde legt. Er spricht von einem Zustand der
Freude, in dem das Erfahren poetischen Daseins möglich ist.
[...] Die Griechen hielten die Freude für heilig, wie die Lebenskraft;nach ihrem Glauben liebten auch die Götter den Scherz. IhreKomödie ist ein Rausch der Fröhlichkeit, und zugleich ein Ergußheiliger Begeisterung. [...] Diese Vermählung des Leichtesten mitdem Höchsten, des Fröhlichen mit dem Göttlichen, enthält einegroße Wahrheit. [...] Sie [die Freude, Anm.] ist der eigentümliche,natürliche und ursprüngliche Zustand der höheren Natur desMenschen;2
Schlegels Haltung wandelt sich in den nächsten Jahren insofern, daß er sich
höheres menschliches Dasein von einem spezifischen Element der romantischen
Poesie - der Ironie - erwartet.
Im Lyceums-Fragment Nr. 42 beschreibt Schlegel wie die Beschaffenheit von
Werken sein sollte, die von Ironie durchdrungen sind.
Es lebt in ihnen eine wirklich transzendentale Buffonerie. Im Inneren,die Stimmung, welche alles übersieht, und sich über alles Bedingteunendlich erhebt, auch über die eigne Kunst, Tugend und Genialität:im Äußern, in der Ausführung die mimische Manier einesgewöhnlichen guten italiänischen Buffo.3
Hier wird erstmals der Buffo erwähnt, eine komische Figur also, deren
Repertoire vom derben bis zum hochgeistigsten Spaß hin reicht, die keine Grenzen
zwischen Phantasie und Wirklichkeit anerkennt. Jedoch wird das Agieren dieser
komischen Figur nicht als Selbstzweck, sondern als Äußerung einer inneren
geistigen Haltung gesehen, um eine Stellung über allem Begrenzten in der Welt zu
erlangen.
1 Profitlich, Ulrich: Komödientheorie. Hamburg 1998. Hier wird Schlegels Aufsatz kommentiert, jedoch leider nurauszugsweise wiedergegeben.2 ebd. S. 96/97.3 zit. nach Greiner, Bernhard: Die Komödie. Tübingen 1992. S. 263.
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Dies geschieht dadurch, daß es der Ironie gelingt, sich selbst zu durchdringen
- wie es Schlegel mit „transzendentaler Buffonerie“ beschreibt - und somit das Dasein
selbst als Poesie aufgefaßt werden kann.
Selbst in ganz populären Arten wie z. B. im Schauspiel fordern wirIronie; wir fordern, daß die Begebenheiten, die Menschen, kurz dasganze Spiel des Lebens wirklich als Spiel genommen und dargestelltsei.4
Greiner unterteilt die romantische Ironie, im Wesentlichen Schlegel folgend, in
drei Gruppen.5
Zuerst wird die Ironie als Ausdruck einer Stilhaltung unter dem
produktionsästhetischen Aspekt betrachtet.Hierbei kommt das sogenannte Verwirrungsrecht zum Tragen, wobei jede
gesellschaftliche Illusion durchbrochen werden darf und die Freiheit des
schöpferischen Ichs gegenüber der von ihm geschaffenen Welt postuliert wird.
Des weiteren wird der philosophische Aspekt beleuchtet, der die Ironie als
Ausdruck einer Geisteshaltung sieht.
Das Mittel der Allegorisierung wird hierbei dazu verwendet, daß jedes Einzelne als
Hinweis auf die Existenz eines übergeordneten Ganzen erhöht wird. Es herrscht einpermanenter Widerspruch zwischen Erfahrenem und Erwartetem. Unter
Zuhilfenahme des Zufalls und des Witzes wird ein Chaos geschaffen, das in jeden
existierenden Begriff die Idee der „unendlichen Fülle und Einheit“6 einfließen läßt.
Zuletzt folgt schließlich der didaktische Aspekt, der die Ironie als Ausdruck
eines Verwirklichungswillens darstellt.
Ihm liegt die provozierende und auswählende Mitteilung zugrunde. Hier wird die
beschränkte Mitteilbarkeit des unendlichen Sinns der Welt deutlich. Doch obwohldiese Mitteilung prinzipiell an jeden gerichtet ist, fordert sie produktives Mithandeln,
sie ist somit zugleich gemeinschaftsbildend wie auch auswählend.
An dieser Stelle sollte nun der Aspekt des ironischen Bewußtseins eingeführt
werden. Es werden Handlungen reflektiert und von einer höheren Bewußtseinsebene
als unzulänglich betrachtet. Dieser Vorgang zielt allerdings mehr auf Integration statt
auf Ausgrenzung ab.
4 zit. nach ebd. S. 263.5 vgl. Greiner, Bernhard: Die Komödie. Tübingen 1992. S. 264 ff..6 vgl. ebd. S. 265.
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So soll etwa das Ich mit dem Nicht-Ich, welches alles, das nicht Ich ist,
demzufolge die gesamte übrige Welt oder Teile dieser repräsentiert, verbunden
werden.
Das schaffende Ich befindet sich auf einem Balanceakt zwischen dem
Festhalten an eben diesen romantischen Entwürfen lebendiger Ganzheit und dem
Bewahren des Ichs vor dem Abgleiten ins Grenzenlose.7
Im Gegensatz zu Friedrich Schlegel sah sein Bruder August Wilhelm die Ironie
als Medium destruktiver Empfindungen und ordnete sie unter die Darstellungsmittel
des Komischen. Sie soll hauptsächlich als Korrektiv erscheinen, da sie die Funktion
des Kontrastes übernimmt und somit ein Gleichgewicht erwirkt.
A.W. Schlegel ordnet die Ironie ausschließlich der Komödie zu, da die
Tragödie für ihn eine erhabene Gattung darstellt, in der die Ironie gänzlich fehl am
Platz wäre, da sie mit dem höchsten Ernst, den die Tragödie fordert, unvereinbar
wäre.8
Wo das eigentlich Tragische eintritt, hört freylich alle Ironie auf.9
Seine Definition der romantischen Ironie trug Schlegel die Kritik Solgers ein,
der wie auch Schlegels Bruder Friedrich die Ironie sehr wohl als Bestandteil derdramatischen Dichtung sah. A. W. Schlegel geht zwar von den Schriften seines
Bruders aus, verfolgt aber schließlich eine einseitigere auf die Komödie konzentrierte
Linie, auch wenn er immer wieder auf prägende Begriffe seines Bruders zurückgreift.
Tieck hat sein Verständnis von der romantischen Ironie nie klar definiert, folgt aber im
wesentlichen Solger und Friedrich Schlegel.
Er unterscheidet zwischen einer hohen und einer niedrigen Ironie. Erstere
glaubte er bei Plato und natürlich bei Shakespeare, letztere bei Swift, aber auch beiHeine zu finden.
Die niedere Ironie sieht er als Verkehrung der Gegebenheiten, so wird das
Gute schlecht und umgekehrt, auch eine Selbstparodie sieht Tieck bereits als
niedere Ironie an.10
Im Gegensatz dazu äußert sich Tieck über die hohe Ironie keineswegs mit
solch ausgeprägter Deutlichkeit.
7 vgl. ebd. S. 266.8 vgl. hierzu auch: Strohschneider-Kohrs, Ingrid: Die romantische Ironie in Theorie und Praxis. S. 115ff..9 zit. nach. Strohschneider-Kohrs, Ingrid: Die romantische Ironie in Theorie und Praxis. S. 117.10 vgl. ebd. S. 129ff..
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Es ist unendlich schwer den Begriff der Ironie in einer bestimmtenFormel auszusprechen. Auch Solger gibt am Schlusse des >Erwin<nach den Untersuchungen über das Schöne nur Andeutungendarüber als das Höchste. Es ist das Göttlich-Menschliche in derPoesie. Wer dieses als tiefste Überzeugung in sich trägt und erlebthat bedarf der noch einer Definition?11
Bereits in der Rahmenhandlung des Phantasus läßt Tieck das Prinzip des
Spiels mit dem Spiele erörtern und verfährt ebenso mit allgemeineren Fragen über
die Bühnenillusion, umschreibt so seine Auffassung von Ironie, ohne den Begriff
auch nur einmal zu erwähnen.
Es scheint fast so, als hätte Tieck die Ironie in seinen Dichtungen nur als
inhaltliches Kriterium verstanden, obwohl seine Formulierungen und
Umschreibungen des Begriffs auch formkünstlerische Vorstellungen beinhalten.12
Bei allgemeinen Betrachtungen zur Komödie zitiert Tieck in seiner Schrift „Die
geschichtliche Entwicklung der deutschen Bühne“13 wie schon Friedrich Schlegel
Aristophanes, allerdings ist für ihn das griechische Schauspiel viel zu eng mit dem
religiösen Kultus und dem Volk - und somit dem öffentlichen Leben - verbunden, als
daß es ausschließlich eine Stätte der Muße und des Zeitvertreibs hätte sein können.
Mit Blick auf das neuere Theater stellt er besonders große Forderungen an
Dichter und Publikum, mehr noch als an das Stück selbst.
In der vorhin erwähnten Schrift schreibt Tieck Maßgebliches über die Stellung des
Dichters, der eine untergeordnete Rolle spielen soll und sich den Umständen und der
Zeit, in der er lebt fügen muß.14
Hauptaufgabe des komischen Dichters hat es zu sein, zwischen der Lüge und
der Wahrheit zu unterscheiden, die Schatten der Wirklichkeit zu entlarven und
sowohl das Törichte als auch das, was einem als widerwärtig erscheint, zubelachen.15
Doch nicht nur der Dichter, sondern auch das Publikum soll miteinbezogen
werden, und im Idealfall soll es unbefangen und mit Freude in den Spiegel schauen,
11
zit. nach Strohschneider-Kohrs, Ingrid: Die romantische Ironie in Theorie und Praxis. S. 131.12 vgl. ebd. S. 137.13 Teick, Ludwig: Kritische Schriften. Bd. 6. S. 39-65.14 Vgl. Tieck, Ludwig: Kritische Schriften. Bd. 6. S. 45.15 Vgl. ebd. S. 45.
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der ihm vorgehalten wird, ansonsten, wenn es die Wahrheit nicht ertragen kann, wird
das Stück durchfallen und der Dichter entmutigt werden.16
Immerdar wird es die Aufgabe des komischen Dichters bleiben, denSchein vom Wesen, die Lüge von der Wahrheit zu unterscheidenund die leeren Schatten der Wirklichkeit als solche hinzustellen, umim Rausch der Lust sie als das Possierliche, Törichte undWiderwärtige zu belachen. Ist das Volk unbefangen und gutmütig,nicht leidenschaftlich hiehin und dahin erregt, so wird es mit Freudein diesen Spiegel schauen, wenn ein großer Geist die bilderhervorführt, und oft haben Dichter ihre Zeit erheben und stärkenkönnen. Kann die Menge die Wahrheit nicht ertragen, so wird derDichter bald überschrien und entmutigt werden.17
Ob und wie Tieck diese theoretischen Konzepte der romantischen Komödiebeziehungsweise der romantischen Ironie umgesetzt hat, soll im folgenden Kapitel
gezeigt werden.
3. Praxis der romantischen Komödie bei Tieck „Der gestiefelteKater“
3. 1. Das Spiel im Spiel
Auffälligste Charakteristikum dieser Komödie ist das „Spiel im Spiel“. Es
empfiehlt sich besonders beim gestiefelten Kater eine Einteilung in drei Ebenen
vorzunehmen. Die ersten beiden finden sich innerhalb des Stücks und die dritte
Ebene, der reale Leser, außerhalb.
Die erste Ebene, das im Stück dargestellte Theaterstück, steht in ständiger
Interaktion mit der zweiten Ebene, dem fiktiven Publikum, während der reale Leser
von diesem Interaktionsverhältnis ausgeschlossen ist und somit, von höherer Ebene
herab, das Stück als Gesamtes betrachten kann.
Die Grenze zwischen den beiden Fiktionsebenen wird von Anfang an nicht
klar definiert, vielmehr noch, beide Ebenen stellen sich laufend in Frage. Es kommt
schließlich zur Spiegelung beider Ebenen durch ein in sich geschlossenes Spiel.
16 Vgl. ebd. S. 45.17 vgl. ebd. S. 45.
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Es bildet den paradigmatischen Angelpunkt, an dem Kunst und Weltgleichzeitig voneinander geschieden und miteinander versöhntwerden können, ermöglicht es doch eine modellhafte Inszenierungihrer ideal dialektischen Beziehung, die die Grenzen zwischenRealität und Fiktion selbst im metaleptischen Sprung immer neu
festlegt.18
Innerhalb des Spieles - im zweiten Akt - kommt es nun zu einer Umkehrung
der Spiegelung von Fiktion und Realität, da Hinze plötzlich die Realität für sich
beansprucht.
Hinze: [...] wer wird denn aus dem Stehgreif glücklich sein wollen!Mein guter Mann, das kommt nur in Büchern vor, in der wirklichen
Welt geht das nicht so geschwinde.[...] Schlosser : Es ist zu arg. Statt daß er froh sein sollte, daß er nur,wenn auch in imaginärer Welt, wenigstens existieren darf, will er demandern von phantastischen Hoffnungen abbringen, und behandelt ihnals Schwärmer, der doch wenigstens als Bauer nicht den Gesetzenunserer gewöhnlichen Welt widerspricht!19
Dies führt unweigerlich zu einem Konflikt mit dem Publikum, welches
seinerseits Anspruch auf die Realität erhebt und dessen aufgeklärte und rationale
Grundprinzipien in Frage gestellt scheinen.
Die Einheit in diesem Stück ist letztendlich nur noch für den realen Leser -
weniger für einen Theaterbesucher wahrnehmbar - da Tieck gerade die traditionelle
Achsenbildung zwischen Realität und Fiktion zum Gegenstand des Witzes macht,
indem er nicht ausschließlich die Ebenen ineinander, sondern diese auch in die
außerliterarische Realität hineinspiegelt.20
Durch das Ausnützen der Verwandtschaft von Fiktion und Realität - durch
deren Spiegelung - entsteht der komische Effekt, der insbesondere die fiktivenZuseher für den Leser lächerlich erscheinen läßt und auf ein sich selbst
demaskierendes Theater hinzielt.
Deutlich wird dies als Hinze, Hanswurst zu einem Sieg über Leander verhilft,
ohne zu wissen, worüber der Disput der beiden handelt. Hier wird zum erstenmal,
und zwar bemerkenswerterweise vom Publikum ausgesprochen, daß es sich um ein
Stück im Stück handelt.
18 Landfester Urike: ...und die Zeit selbst ist thöricht geworden. S. 129/30.19 Phantasus, S. 515.20 vgl. Landfester, Ulrike: ...und die Zeit selbst ist thöricht geworden. S. 132.
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Hinze allein: Ich bin ganz melancholisch. – Ich habe jetzt selbst demNarren zu einem Siege verholfen, ein Stück herabzusetzen, inwelchem ich die Hauptrolle spiele![...]Fischer : Sagt mir nur, wie das ist, - das Stück selbst, - das kömmtwieder als Stück im Stücke vor?21
Im Stück selbst kann sich schließlich die zweite Ebene, der vorher getroffenen
Einteilung folgend, das fiktive Publikum, durchsetzen. Dies gelingt allerdings nur, weil
es im Laufe des Stücks zu einer unauflöslichen Verklammerung von Rahmen- und
Binnenhandlung gekommen ist, die nun die Schuld am Zusammenbruch der
Binnenfiktion trägt.
Dichter : Nur noch ein Paar Worte mit Ihrer gütigen Erlaubnis! MeinStück ist durchgefallen –Fischer : Wem sagen Sie denn das?Müller : Wir habens bemerkt.22
Auf der Ebene des Diskurses hingegen, bei der Betrachtung des
Theaterstückes als Gesamtes, setzt sich das poetische Prinzip durch, da sich der
poetische Bereich und die scheinbare Wirklichkeit der Zuschauer vermischt haben.Dieses Scheitern auf der inneren Handlungsebene bedingt somit ein Gelingen auf
der nächsthöheren Diskursebene.23
Wie im „Gestiefelten Kater“ findet auch in der „Verkehrten Welt“ ein Spiel auf
mehreren Ebenen – ein Skaramuz- und ein Apollostück, wobei das Skaramuzstück
mit dem Publikumsspiel zusammenfällt – statt.
Allerdings ist die Vermischung der Ebenen stärker, da Publikumsgäste eine
Bühnenrolle beanspruchen und umgekehrt.Vielschichtiger ist auch das Spiel im Spiel, da es durch zwei zusätzliche
Ebenen erweitert wird, indem auf der eigentlichen Bühne, eine weitere Bühne mit
dazugehörigem Publikum dargestellt wird.
Im Gegensatz zum „Gestiefelten Kater“ gibt es in der „Verkehrten Welt“ kein
Rätselraten um die jeweiligen Rollen, alles wird durch die Schauspieler klar
definiert.24
21 Phantasus, S. 548f..22 Phantasus, S. 562.23 vgl. Greiner, Bernhard: Die Komödie. Tübingen 1992. S. 273.24 vgl. Thalmann, S. 51.
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Melpomene: Ich bin Melpomene.Skaramuz: Sie sehn so bekümmert aus.Melpomene: Ach, Herr Apollo! Ich bin aus einem sehr guten Hause.Mein Vater war Hofrat, und der Edle ließ mir eine unvergleichlicheErziehung zukommen. Ach! wie war ich in meiner guten ElternHausse glücklich, und wie bestrebte ich mich, eine gute zärtlicheTochter zu sein!Ich hatte auch einen Geliebten, aber dieser verließ michaus Stolz,weil er sich hatte adeln lassen, meine Eltern starben nachher vorKummer. Ein guter Mensch, unser Hausdoktor, nahm sich zwarmeiner an, aber er war zu arm, als daß er mich hätte heiratenkönnen, und so bin ich denn aus Desperation unter die Musengegangen.25
Auch in der „Verkehrten Welt“ siegt das poetische über das unpoetischePrinzip, da Apollo über Skaramuz letztendlich doch noch triumphiert und außerhalb
des Stücks wird der Maschinist – der Garant für die Erfüllung der Publikumswünsche
- vom Dichter verjagt.
Zudem sind hier alle so sehr in ihre Rollen eingetreten, daß ihnen gar nicht
mehr bewußt ist, daß sie sich ja eigentlich in einem Spiel befinden, bis Apollo dies
schließlich aufklärt.
Apollo: Aber, meine Herren, Sie vergessen in Ihrem Enthusiasmus,daß wir alle nur Schauspieler sind, und daß das Ganze nichtsanderes als ein Spiel ist. – Und damit wäre denn das Stück völlig zuEnde.26
Der Sieg des poetischen Prinzips wird hier allerdings schon in das Stück
hineinprojiziert. Das, was beim „Gestiefelten Kater“ erst in der Diskursebene
außerhalb des Textes zum Tragen kommt, findet bereits innerhalb der ersten beiden
Ebenen statt und bedeutet somit für den realen Rezipienten eine neue Sichweise, da
das Stück auf der Handlungebene nicht gescheitert ist, kann dessen Gelingen auf
der nächsthöheren Diskursebene übernommen werden.
25 Phantasus, S. 581.26 ebd. S. 659.
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3.2. Der Illusionsbruch
Das im Stück dargestellte Theaterstück wird laufend unterbrochen, sei es
einerseits durch das Publikum oder andererseits durch die Akteure selbst.Das Hauptaugenmerk wird nun auf den Illusionsbrüchen, die durch die
Schauspieler evoziert werden und somit aus dem Inneren des Stücks kommen,
liegen.
Der erste Illusionsbruch erfolgt bereits im ersten Akt, als sich der König, im
Dialog mit Prinz Nathanael wundert, warum der Prinz nur so gut die Landessprache
beherrsche.
König: [...] sagen Sie mir nur, da Sie so weit weg wohnen, wie Sieunsere Sprache so geläufig sprechen können?[...]Nathanael leise zu ihm: Sein Sie doch ja damit ruhig, denn sonstmerkt es ja am Ende das Publikum da unten, daß das eben sehrunnatürlich ist.König: Schadet nicht, es hat ja vorher geklatscht und da kann ichihm schon etwas bieten.Nathanael: Sehn Sie, es geschieht ja bloß dem Drama zu Gefallen,daß ich ihre Sprache rede, denn sonst ist es allerdingsunbegreiflich.27
Der zweite Bruch beginnt mit der Demontage des Königs, der bislang den
Publikumsgeschmack vertreten hat und nach dem Disput zwischen dem
Hofgelehrten Leander und dem Hanswurst, gänzlich aus seiner Rolle fällt.
Einzig dem Besänftiger gelingt es, den König wieder soweit zu beruhigen, daß ihm
seine Rolle wieder gewahr wird.
Mittlerweile ist das Publikum außer sich geraten, so daß es nicht einmal mehrder Dichter besänftigen kann. Dieser delegiert kurzerhand seine Verantwortung an
den Besänftiger, der nun gezwungen ist, aus der ihm zugedachten Rolle
herauszutreten.
Dichter reißt wütend den Besänftiger hervor : Der König istbesänftigt, besänftige nun auch diese tobende Flut, wenn du eskannst.28
27 Phantasus. S. 509 f..28 Phantasus, S. 533.
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Mit Beginn des dritten Aktes rückt die Theateraufführung als solche in den
Mittelpunkt. Es folgt ein Gespräch zwischen dem Dichter und einem Maschinisten,
welches nicht zum aufgeführten Theaterstück gehört, jedoch zufällig vom Publikum
mitverfolgt wird.
Das bemerkenswerte an dieser Szene ist, daß das Publikum den
Illusionsbruch als solchen gar nicht mehr wahrnimmt, sondern die unweigerliche
Bereitschaft zeigt, jedes Geschehen auf der Bühne als zum Stück gehörig zu
betrachten und inhaltliche Inkonsistenzen völlig wegzurationalisieren.29
Wiesner : Gehört denn das zum Stück?Nachbar : Natürlich, das motiviert ja die nachherigen Verwandlungen.
Hanswurst artikuliert als erster den Bruch des Fiktionsvertrages, folglich die
Differenz zwischen den Umständen der Aufführung und der Aufführung selbst30 und
fordert als selbsternannter Vertreter des guten Geschmacks das Publikum auf, sich
für den Rest des Stückes zu verstellen.
Hanswurst: Meine lieben deutschen Landsleute-Schlosser : Ich denke das Stück spielt in Asien?
Hanswurst: Kann sein, ich weiß nicht, jetzt aber, verstehn Sie mich, jetzt rede ich als bloßer Schauspieler zu den Zuschauern, nicht alsHanswurst, sondern als Mensch, zu einem Publikum, das nicht in derIllusion begriffen ist, sondern sich außerhalb derselben befindet, [...]Hanswurst: Geruhen Sie doch zu vernehmen (und das ist dieUrsach, weshalb ich komme), daß die vorige Szene, die Sie ebensahen, gar nicht zum Stücke gehört.Fischer : Nicht zum Stücke? Wie kömmt sie denn aber hinein?Hanswurst: Der Vorhang war zu früh aufgezogen. Es war einePrivatunterredung, [...]Hanswurst kommt schnell zurück : Lassen Sie uns heut das
miserable Stück zu Ende spielen, tun Sie, als merken Sie gar nicht,wie schlecht es ist, und so wie ich nach Hause komme setze ichmich hin und schreibe eins für Sie nieder, das Ihnen gewiß gefallensoll.31
Der Illusionsbruch geht letztendlich so weit, daß im Stück selbst über das
Stück diskutiert wird. Bei dieser Beurteilung auf der Bühne wird jedoch die
Illusionsbildung auf das Publikum übertragen.
29 vgl. Landfester, Ulrike: ...die Zeit selbst ist thöricht geworden..., S. 125.30 vgl. ebd. S. 126.
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Leander : Das Thema meiner Behauptung ist, daß ein neuerlicherschienenes Stück: der gestiefelte Kater , ein gutes Stück sei.[...]Leander : So ist, wenn ich auch alles übrige fallen lasse, dasPublikum gut darin gezeichnet.
Hanswurst: Das Publikum hat nie einen Charakter.[...]Hanswurst gegen das Parterre: Ist es nicht ein närrischer Mensch?Ich und das verehrungswürdige Publikum stehn nun beide gleichsamauf du und du, und sympatisieren in Ansehung des Geschmacks,und doch will er gegen meine Meinung behaupten, das Publikum imgestiefelten Kater sei gut gezeichnet.Fischer : Das Publikum? Es kommt ja gar kein Publikum in demStücke vor.Hanswurst: Noch besser! Also kömmt gar kein Publikum darin vor?Müller : Je bewahre! Wir müßten ja doch auch darum wissen.32
Die „verkehrte Welt“ setzt gleich mit dem ersten Fiktionsbruch ein, da das
Publikum in die Rollenverteilung miteinbezogen wird und mit voller Wucht die
Unzufriedenheit Skaramuz’ mitbekommt, der einmal den Apollo spielen will.
Fortgesetzt wird dies mit dem Rollentausch von Pierrot, der diesmal Zuseher sein
möchte und Grünhelm, der als Komödiant auf der Bühne stehen will.
Poet: Wertgeschätzter Herr Skaramuz! Dieselben [die Schauspieler, Anm.] sind beim hiesigen Theater zu einem gewissen bestimmtenRollenfach engagiert, Sie sind mit einem Worte, um mich kurzauszudrücken, der Skaramuz.[...]aber mein Teuerster, deswegen sind Sie noch nimmermehr eintragischer Schauspieler, Sie sind deswegen noch nicht im Stande,einen edlen Charakter darzustellen.33
Die Aufnahme Pierrots ins Publikum ist weitgehend unproblematisch, da ihm
dieser Rollenwechsel durchaus zugestanden wird, und ihn das Publikum zusätzlichnoch aktiv unterstützt.
Die Zuschauer: Herr Pierrot ist zum Zuschauer aufgenommen!Zuschauer Pierrot sei willkommen!Sei gegrüßt, du großer Mann!34
31 Phantasus, S. 539 ff..32 ebd. S. 546 f..33 ebd. S. 572 f..34 ebd. S. 575.
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Der Figur des Maschinisten, den Tieck bereits im „Gestiefelten Kater“ als
Akteur eingeführt hat, kommt in „Der verkehrten Welt“ eine um Wesentliches
bedeutendere Rolle zu.
Er ist der „Vollstrecker des Publikums“, er kann aktiv in das Stück eingreifen,
wenn es das Publikum wünscht. Er ist auch der Kontrapart des Dichters, der die
Illusion geschaffen hat, die der Maschinist mit aller Gewalt durchbricht und die
Theateraufführung an sich in den Mittelpunkt rückt.
3. 3. Das Verhältnis zwischen Dichter und Publikum
Laut Tieck selbst sollte die ideale Verbindung zwischen Publikum und Dichterdie spielende Phantasie sein, eine rauschhafte Erfahrung des Augenblicks, in der der
Dichter dem Publikum seine Vision vermitteln kann.
Daß das Verhältnis zwischen dem Dichter und dem Publikum im „Gestiefelten
Kater“ ein gänzlich anderes ist, wird schon zu Beginn des Stückes deutlich.
Das Publikum will eigentlich gar kein Stück, sondern, daß seine Vorstellung
von guten Geschmack verwirklicht werden soll und das Gezeigte soll einen
angemessenen Platz im Kanon zeitgenössischen Theaters einnehmen. Durch eine
Kinderposse sieht es folglich seine Identität einer Bedrohung ausgesetzt.
Das Publikum ist vollends vom Rationalismus der Aufklärung geprägt und
bildet das ideale Gegengewicht zum aufgeführten Märchen - in dem das Wunderbare
der Romantik im Mittelpunkt steht - und in weiterer Folge zum Dichter selbst.
Der Dichter hingegen versucht des öfteren seine Wirkungsabsicht zu
artikulieren, damit er dem Publikum das Wunderbare ein Stück näher bringt. Er bleibt
aber in seinen Bemühungen erfolglos.
Dichter : Ich wollte Sie durch gegenwärtiges Stück nur vorerst zunoch ausschweifenderen Geburten der Phantasie vorbereiten.[...]Dichter : Denn stufenweise nur kann die Ausbildung geschehn, dieden Geist das Phantastische und Humoristische lieben lehrt.35
Der Dichter ist eine Kreatur des Publikums36. Besonders deutlich wird dies
durch seine fortwährenden Besänftigungsversuche.
35 ebd. S. 541.36 vgl. Landfester, S. 130.
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Dichter : Ums Himmelswillen, machen Sie mir die Schande nicht, der Akt ist ja gleich zu ende. Sehn Sie doch nur, der König ist ja auchwieder zur Ruhe, nehmen Sie sich an dieser großen Seele einBeispiel, die gewiß mehr Ursache hatte, außer sich zu sein, als Sie.37
In seinen Versuchen das Publikum zu beruhigen, und auch durch seinen
Eintritt in die Rahmenhandlung, verirrt er sich mehr als jeder andere in den beiden
Ebenen.
Dichter : [...] Wenn es nur nicht so weit von hier – nach dem Palastdes Königs wäre, - so holt ich den Besänftiger, - er hat mir schon amSchuß des zweiten Aktes – alle Fabeln vom Orpheus glaublich
gemacht. – Doch, bin ich nicht Tor? – Ich bin ja völlig konfuse; - aufdem Theater steh‘ ich, - und der Besänftiger muß irgendwo –zwischen den Kulisssen stecken.38
Der letztendliche Rückzug des Dichters, nachdem er sein Stück
nochmals zu rechtfertigen, versucht hat, veranschaulicht eindringlich die
Niederlage des Stücks.
In der Fiktionalisierung des Dichters liegt der Unterschied zwischen Tiecks
Adaption und der Tradition der Spiel im Spiel-Struktur.39
Das Publikum der „verkehrten Welt“ verhält sich konträr zu dem des
„Gestiefelten Katers“, da es die aktive Rolle – das Mitspracherecht – ohne
Widerspruch annimmt.
Abermals geht Tieck von einer Kritik am Modegeschmack seiner Zeit aus,
auch ist der Dichter hier machtlos, wenn das Publikum in sein Stück eingreift und es
mit Hilfe des Maschinisten an eine ganz bestimmte Erwartungshaltung anpaßt.
Das Verhältnis zwischen Publikum und Dichter wird noch schärfer gezeichnet,da er nichts gegen den Willen eines zahlenden Publikums tun kann.
Poet: Nun gut, ich wasche meine Hände, ob sie mir gleich gebundensind; das Publikum mag alles zu verantworten haben.Publikum: Wir getrauen es uns zu verantworten.Poet: Ich bin im größten Elende, - ach freilich, ist es die Bestimmungunserer Kunst, gänzlich mißverstanden zu werden, und leidergefallen wir dann am meisten. Das Urteil, das an dem Marsyas
37 Phantasus, S. 533.38 ebd. S. 558f..39 vgl. Landfester, S. 130.
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vollzogen wurde, wird zur Vergeltung jetzt nur zu oft an de rPoesieausgeübt. Ich weiß mich vor Schmerzen nicht zu lassen.40
Durch die Eigenverantwortung des Publikums entrinnt der Dichter der
Gefangenschaft innerhalb der Ebenen, da es nun nicht mehr an ihm liegt denPublikumsgeschmack erfüllen zu müssen. Somit kann er sich seiner Rolle als
Verfechter des poetischen Prinzips widmen.
3. 4. Sprache
Die Sprache im Stück verbindet die Phantasie mit dem Gesetz.
Hinze übernimmt, indem er sich dazu bekennt, sprechen zu können, Verantwortung
für Gottlieb und tritt somit in die Hierarchie von Dienstbarkeit und Sklaverei ein.
Hinze: Nun, ich will schon noch besser für Euch sorgen; verlaßtEuch drauf, daß Ihr durch mich noch ganz glücklich werden sollt.41
Durch den Gebrauch der Sprache nimmt Hinze immer menschlichere Züge an,
so daß am Königshof niemand den Kater in ihm erkennt beziehungsweise erkennen
will, doch gelingt es ihm bis zum Schluß nicht, seine wahre Katzennatur abzulegen.
Durch die souveräne Beherrschung von Grammatik und Rhetorik vermag er, die
Freiheit der phantastischen Poesie zu begründen.
Im Gegensatz zu Hinze symbolisiert der Popanz ein Zerrbild der
Willkürherrschaft, wie sie auch das Publikum über das Stück ausübt. Er verdankt
dem selben poetischen Potential der Sprache seine Macht wie Hinze, da auch er die
Fähigkeit besitzt zwischen Tierreich und menschlichem Dasein zu wechseln.
Lorenz: Man erzählt wunderliche sachen von ihm, er soll sich in alleTiere verwandeln können.42
Am Königshof wird ein Bild der sprachlichen Willkür geschaffen, die Prinzessin
versucht Modeautoren nachzuahmen, scheitert jedoch an der Grammatik. Dies wird
schlichtweg als Eigensinn der Sprache abgetan.
40 Phantasus, S. 576.41 Phantasus, S. 502.
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Prinzessin: [...] man kann keine Zeile schreiben, ohne einenSprachfehler zu machen.Leander : Das ist der Eigensinn der Sprache.43
Hier kommt es zu Widersprüchen, die eine gewisse Komik in sich bergen, so
schreibt sie zum Beispiel Nachtgedanken zu Mittag nach dem Essen.
Leander : [...]Ach! mir ist, als hör ich die mitternächtliche Stundezwölfe schlagen. Wann haben Sie das geschrieben?Prinzessin: Gestern Mittag, nach dem Essen.44
Schließlich repräsentiert die Prinzessin, wie auch später der König, die
Konventionsbindung und die phantasielose Starre des Publikums. Das wird deutlich
als die Prinzessin meint, sie müsse „einmal die romantische Unbestimmtheit
verlassen“, und sich „an der plastischen Natur versuchen“.45
Ein weiteres Beispiel der sprachlichen Willkür bei Hofe ist, als sich der König
wahllos mit Zitaten Luft zu machen versucht.
Die Sprache spiegelt auch immer das Verhältnis Mensch – Tier wider. So ist auch
der König durch seine vulgären Züge und seine Triebhaftigkeit ambivalent zu sehen.
42 ebd. S. 511.43 Phantasus, S. 507.44 ebd. S. 507.45 ebd. S. 508.
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4. Resümee
Tieck stellt das poetische Prinzip in den Mittelpunkt und kritisiert gleichzeitig
den zeitgenössischen Theaterbetrieb als Gesamtes.
Nicht nur die Schauspieler und die Kritiker kommen schlecht weg, sondern
auch das Publikum und der Dichter, der sich zu sehr vom zahlenden Publikum
vereinnahmen läßt, in seinen Beschwichtigungen zu dessen Kreatur wird und in
seiner Rolle als schöpferischer Geist unglaubwürdig wird.
Das Spiel im Spiel ist sicher das bemerkenswerteste Element, das Tieck in
seine Komödien einbringt, um das Publikum zu persiflieren. So kann er es aus dem
aufgeführten Stück heraus angreifen, ohne daß es es selbst wahrnimmt. Diese Taktik
löst zwar teilweise Protest aus, aber in den häufigeren Fällen lediglich
Verwunderung.
Tieck hat mit seiner Form der Komödie sicherlich neue Maßstäbe gesetzt und auch
eine neue Herausforderung an die Bühne gestellt.
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5. Bibliographie:
1. Primärliteratur:
Tieck, Ludwig: Schriften in zwölf Bänden. Bd. 6: Phantasus. Hrsg. Manfred Frank.
Frankfurt am Main. 1985.
Berend, Eduard (Hrsg.): Tiecks Werke: Auswahl in sechs Teilen. Sechster Teil:
Kritische Schriften. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart
2. Sekundärliteratur
Biesterfeld, Wolfgang: „Spaziergang auf dem Dach der dramatischen Kunst“ –
Ludwig Tieck: „Der gestiefelte Kater“. in: Winfried Freund (Hrsg.):Deutsche
Komödien: Vom Barock bis zur Gegenwart. München.21995. S. 54 – 64.
Gebhardt, Armin: Ludwig Tieck: Leben und Gesamtwerk des „Königs der Romantik“.
Marburg 1997.
Greiner, Bernhard: Die Komödie: Eine theatralische Sendung. Grundlagen und
Interpretationen. Tübingen 1992.
Landfester, Ulrike: „...die Zeit selbst ist thöricht geworden...“: Ludwig Tiecks Komödie
Der gestiefelte Kater (1797) in der Tradition des Spiel im Spiel-Dramas. in:Walter
Schmitz (Hrsg.): Ludwig Tieck: Literaturprogramm und Lebensinszenierung im
Kontext seiner Zeit. Tübingen 1997. S. 101 – 133.
Profitlich, Ulrich (Hrsg.): Komödientheorie: Texte und Kommentare. Vom Barock bis
zur Gegenwart. Hamburg 1998.
Strohschneider-Kors, Ingrid: die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung.
Tübingen 1960. (=Hermaea germanistische Forschungen N.F. Bd. 6).
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Thalmann, Marianne: Provokation und Demonstration in der Komödie der Romantik.
Berlin 1974.