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Stephan KraftZum Ende der Komödie

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Stephan KraftZum Ende der Komödie

Eine Theoriegeschichtedes Happyends

WALLSTEIN VERLAG

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All tragedies are finished by a deathAll comedies are ended by a marriageThe future states of both are left to faithFor authors fear descriptions might disparageThe worlds to come of both.Lord Byron, 1819/20

Aus der großen deutschen Kunstlehre:Es schwimmt der Held im eignen Blut?Ende schlimm – alles gut !Wenn zwei zum Schluß sich kriegen, sprecht:Ende gut – alles schlecht !Erich Kästner, 1950

Bei amerikanischen DVDs breche ich immer in dem Moment ab, in dem ich sehe, wie sie es hinkriegen, dass die Geschichte doch noch ein gutes Ende nimmt. Diese Beharrlichkeit zum guten Ausgang bewundere ich sehr.Jean-Luc Godard, 2007

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Inhalt

1. Einführung: Eine erste Annäherung an das Ende . . . . . . . 11

2. Vom Mittel zum Ziel: Zur Rolle des Komödienhappyends in der traditionellen Poetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292.1 Das Finale in der antiken Komödienpoetik: Aristoteles,

der »Tractatus Coislinianus«, Cicero, Quintilian, Horaz . 322.2 Das Finale in der spätantiken und mittelalterlichen

Komödienpoetik: Diomedes, Aelius Donatus, Evanthius, Dante Alighieri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

2.3 Exkurs zur Methode: Die Komödie – eine Gattung im Spannungsfeld zwischen Extrempositionen . . . . . . 57

2.4 Das Finale in der Komödienpoetik der Renaissance: Francesco Robortello, Giovanni Giorgio Trissino, Antonio Riccoboni, Julius Caesar Scaliger . . . . . . . . 59

2.5 Das Finale in Komödienpoetiken des 17. und frühen 18. Jahrhunderts: Jakob Masen, Sigmund von Birken, Pierre Corneille, John Dryden, Nicolas Boileau, Johann Christoph Gottsched . . . . . . . . . . . . . . . 67

3. Multiplikationen des Endes: Zur Interaktion von Theorie und Praxis der Komödie bei Denis Diderot und Gotthold Ephraim Lessing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 833.1 Happyend, Untergang oder ein Drittes?

Diderots »Fils naturel« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 843.2 Zurück zu den Quellen: Lessings Rezension der »Brüder«

von Karl Franz Romanus, erster Teil . . . . . . . . . . . 943.3 »Die Intrigue ist längst zu Ende, …«: Lessings Rezension

der »Brüder« von Karl Franz Romanus, zweiter Teil . . . 1013.4 »… aber das fortwährende Spiel der Charaktere läßt es

uns kaum bemerken«: »Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

4. Eine Gattung des Verschwindens: Komödientheorie im Sturm und Drang und in der Klassik . . . . . . . . . . . . . 1274.1 »Das ist eine Komödie ! ächzen die alten Frauen«:

J. M. R. Lenz’ »Anmerkungen übers Theater« . . . . . . . 128

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Inhalt

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4.2 Vom Ende der Komödie als von ihrem Verschwinden als Gattung: J. M. R. Lenz’ »Rezension des Neuen Menoza« . 140

4.3 Vom Verschwinden des komischen Konflikts in der Selbstaufhebung: Zur Komödie in Johann Gottfried Herders »Adrastea« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

4.4 Vom Verschwinden der Komödie im ästhetischen Zustand: Friedrich Schiller . . . . . . . . . . . . . . . . 160

5. Die Rückkehr zum Anfang und die Auflösung des Endes: Aristophanes und die Komödientheorie der Romantik . . . . 1815.1 Das Vorläufige der Komödie: Zum traditionellen

Aristophanesbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1825.2 Über einen Neueinsatz im späten 18. Jahrhundert:

Johann Georg Sulzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1925.3 Eine ästhetische Rettung: Friedrich Schlegels Aufsatz

zur aristophanischen Komödie . . . . . . . . . . . . . . 2015.4 Ein Versuch, größere Linien zu ziehen: August Wilhelm

Schlegels »Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

5.5 Wieder einmal das Ende der Gattung: Friedrich Schlegels weitere Überlegungen zur Komödie . . . . . . . . . . . 228

5.6 Einsprüche: Christian Gottfried Körner und Karl Wilhelm Ferdinand Solger . . . . . . . . . . . . . . 240

6. Das Ende der Komödie, das Ende der Kunst und das Ende der Geschichte: Komödientheorie im deutschen Idealismus . 2496.1 Notwendigkeit und Freiheit, Subjekt und Objekt:

Die Komödie in Friedrich Schellings »Philosophie der Kunst« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

6.2 G. W. F. Hegels frühe Konzeption der Komödie: Der Naturrechtsaufsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

6.3 Die aristophanische Komödie als Ende und Vollendung der Kunstreligion: G. W. F. Hegels »Phänomenologie des Geistes« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

6.4 Hegungen des Endes: G. W. F. Hegels »Vorlesungen über die Ästhetik« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

6.5 Ein vergessenes Zwischenspiel: G. W. F. Hegel und die Komödie seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

6.6 Das Ende der Komödie und das Ende der Geschichte: Karl Marx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

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Inhalt

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7. Die Gattung als Proteus: Diskussionen über das Ende der Komödie im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert . . . 3237.1 Das Angebot der Komödie, ihr Ende zugleich kein Ende

sein zu lassen: Gerhart Hauptmanns »Biberpelz«. . . . . 3267.2 Das Angebot der Komödie, die Dinge am Ende

ganz anders gewesen sein zu lassen: Carl Sternheims »Bürger Schippel« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344

7.3 Das Angebot der Komödie, den Menschen am Ende mit dem Bedingten zu versöhnen: Hugo von Hofmannsthal, »Der Schwierige« und »Die Ironie der Dinge« . . . . . . 358

8. Nach der Tragödie: Ein dreifacher Epilog mit Peter Hacks, Friedrich Dürrenmatt und Roberto Benigni . . . . . . . . . 3798.1 Von der kämpferischen Satire zum posttragischen

Elysium: Peter Hacks und die sozialistische Komödientheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

8.2 Von der Komödie als der Gattung der »schlimmst- möglichen Wendung«: Friedrich Dürrenmatt und die Unmöglichkeit der tragischen Tröstung . . . . . . . 393

8.3 Von einem notwendigen Happyend, das dennoch keines sein darf: Die Komödie als Kippfigur bei Roberto Benigni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403

9. … und nach dem Happyend? – Ein Schlusswort . . . . . . . 427

Siglen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

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1. Einführung

Eine erste Annäherung an das Ende

Die Klagen über das Problem, eine Komödie zu ihrem erwarteten glück-lichen Ende zu führen, sind alt. Im Jahr 1674 etwa notierte der Jesuit und Rhetoriklehrer René Rapin in seinen »Reflexions sur la Poetique d’Aristote«:

Aber die gewöhnlichste Schwäche unserer Komödien ist die Auf-lösung: Hierzu gelangt man fast niemals, weil es so schwierig ist, das-jenige glücklich wieder aufzuknoten, was man zuvor verknotet hat.1

Und noch rund 300 Jahre später klingt es beim amerikanischen Litera-turwissenschaftler Maurice Charney ganz ähnlich:

The tragic ending is climactic and of high significance, but in comedy it is difficult to produce a convincing resolution. […] In fact, the en-ding is likely to be the most artificial element in the entire action […].2

Beide Beobachter gehen von einem weithin bekannten Problem der Ko-mödienpraxis aus. Beide gehen in ihren Überlegungen aber durchaus noch einen Schritt weiter und bieten zumindest versuchsweise Erklärun-gen für dieses Dilemma an. Bei Rapin etwa heißt es:

Es ist einfach eine Intrige zu knüpfen, es ist die Aufgabe der Vorstel-lungskraft: Aber die Entknotung ist allein die Aufgabe der Urteils-kraft: Das ist es, was den Erfolg schwierig macht.3

Schon hier wird ein zentrales Muster deutlich: Während Anlage und Ver-wicklung einer Komödie auf der Vorstellungskraft und somit auf einer ausgreifenden und Überschüsse produzierenden Potenz beruhen, soll das hierdurch Entgrenzte am Schluss des Stücks durch einen urteilenden und damit notwendig begrenzenden Akt wieder eingehegt werden.

1 René Rapin, Reflexions sur la Poetique d’Aristote, S. 209: »Mais le foible le plus ordinaire de nos Comedies est le denoüement: on n’y reüssit presque jamais, par la difficulté qu’il y a à denoüer heureusement ce qu’on a noüé.« – Übers. v. SK.

2 Maurice Charney, Comedy High and Low, S. 92.3 René Rapin, Reflexions sur la Poetique d’Aristote, S. 209 f.: »Il est aisé de lier une

intrigue, c’est l’ouvrage de l’imagination: mais le denoüement est l’ouvrage tout pur du jugement: c’est ce qui en rend le succés difficile.« – Übers. v. SK.

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EInführung : EInE ErstE annähErung an das EndE

Bei Charney wird dieser Grundkonflikt gar zu einer Differenz zwi-schen einem Eigentlichen und einem Uneigentlichen der Gattung er-klärt:

But the conclusion of the comic action violates the feeling we have that comedy is dimensionless, nontemporal, infinitely extensible, and not amenable to finite solutions or resolutions. We accept the ending as a literary convention without in any way longing for it or even desi-ring it, because we don’t want the comic action to terminate.4

Komödie bedeutet nach Charney also im Wesentlichen Transgression. Dies ist vor allem dann folgerichtig, wenn man sie zum einen auf die unwillkürliche , körperliche Reaktion des Lachens und zum anderen auf ihren ausgestellten Spielcharakter zurückführt. Die spezifische Final-struktur der Komödie hingegen als das dritte regelmäßig genannte Grundmerkmal der Gattung5 bildet hier einen Kontrapunkt. Die traditio-nelle Verpflichtung des Lustspiels auf das Happyend als auf eine in ihrem Kern formale Bestimmung setzt der Komödie, die von ihren übrigen Elementen her eher zur Auflösung tendiert, einen festen Zielpunkt.

Nun ist das Happyend der Komödie – bei aller fortdauernden Beliebt-heit beim Publikum – in Kritik und Wissenschaft im Laufe des 20. Jahr-hunderts zu so etwas wie einem Paria unter den Gattungsmerkmalen avanciert. Es gilt als simplifizierend, unrealistisch und ist vor allem stets des Kitsches verdächtig. Es steht zudem für Rückwärtsgewandtheit, Ver-änderungsunwilligkeit und nicht selten gar für ein ungutes Einverstan-densein mit den gesellschaftlichen Verhältnissen.

Gleichwohl – und das macht seine eigentliche Besonderheit aus – ist seine endgültige Abschaffung auch nach einer Unzahl von Attacken im-mer noch nicht gelungen. Als ähnlich stabil erweist sich das Happyend allenfalls noch im Märchen. Der Roman hingegen, für den dieses for-male Element bis ins 18. Jahrhundert hinein ebenfalls weitestgehend ver-pflichtend war, konnte sich vollständig davon befreien. Während nun ein Roman ohne eine glückliche Auflösung außerhalb der Sphäre des Tri-vialen keinerlei Besonderheit mehr darstellt, ist es im Fall der Komödie immer noch so, dass ein nicht vorhandenes Happyend zwar natürlich kein Ding der Unmöglichkeit ist, sein Fehlen aber immer noch eine starke Signalwirkung hat.

4 Maurice Charney, Comedy High and Low, S. 92.5 Vgl. zu dieser topischen Trias der Gattungsmerkmale Wolfgang Trautwein, Ko-

mödientheorien und Komödie, S. 93 f.

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Die Finalregel ist also die letzte poetologische Norm, die nach der Verabschiedung der Ständeklausel und der Doktrin von den drei Einhei-ten für das komische Theater noch ihre generelle Gültigkeit bewahrt hat – und zwar unabhängig davon, ob sie im Einzelfall befolgt, in Frage gestellt oder bewusst verletzt wird. Die Verbindung von Komödie und Happyend geht damit über das rein Formale und Präskriptive offen-sichtlich weit hinaus.

Hierfür gibt es mehrere Erklärungsmöglichkeiten. Im Vergleich zum Roman etwa lässt sich auf den stärker auf eine Schlusswendung hin aus-gerichteten Spannungsbogen hinweisen, der den dramatischen Genres ganz generell eigen ist. Auch die Besonderheit der gewöhnlich kollek-tiven Rezeptionssituationen mag hierzu beitragen. Eng mit diesem zwei-ten Begründungsversuch hängt auch der wohl treffendste Vorschlag zu-sammen, der von Wolfgang Trautwein als der »Komödienzirkel« benannt worden ist. Demnach verweist die Komik im Stückverlauf immer schon auf ein anstehendes Happyend, das seinerseits nachträglich die problem-lose Belachbarkeit des im Stück Präsentierten bestätigt.6 Komik und Spiel sind somit auf das Happyend, das ihnen einerseits ein Ende zu set-zen droht, andererseits immer auch angewiesen. Gerade im komischen Theater ist eine solche Form der doppelten Sicherung deshalb besonders wichtig, weil das laute und kollektive Lachen, das auf Seiten des Publi-kums ausgelöst werden soll, dringend einer Sanktionierung bedarf. Da-mit alle Zuschauer sich gleichzeitig im Heiterkeitsausbruch exponieren können, muss von Beginn an Konsens herrschen, dass das Lachen auch wirklich erlaubt ist und nicht etwa durch ein trauriges Ende nachträglich einen schalen Beigeschmack erhalten wird.

Sowohl Rapin als auch Charney haben das Problem des Happyends zuerst als ein Problem der Komödienpraxis aufgeworfen, um direkt im Anschluss eine systematische Erklärung für dieses Dilemma nachzurei-chen. Hier zeigt sich, dass die Frage nach dem Komödienende in eben dem Maße, in dem sie eine praktische eines jeden einzelnen Stücks ist,

6 Vgl. Wolfgang Trautwein, Komödientheorien und Komödie, S. 105: »Auch mit der Finalstruktur stehen die einzelnen komischen Situationen in einem gattungs-spezifischen Zusammenhang, den ich als Komödienzirkel bezeichne. […] Indem sie den Zuschauer über die vorgezeigten Konflikte lachen läßt, weist die Komik auch und gerade dort, wo die Handlung ein schlimmes Ende zu nehmen droht […], auf einen glücklichen Ausgang voraus, der die vorherigen Negativzustände wieder ins Lot bringen wird. Somit signalisiert die Komik im impliziten Verweis auf die Gattungskonvention, daß die Konflikte letztendlich doch harmloser Art bleiben werden, was im Lachen vorab zum Ausdruck kommt und im glücklichen Ende eingelöst wird.«

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immer auch eine konzeptionelle Frage darstellt, die die Gattung als Ganze betrifft. Und die Stellungnahme René Rapins aus dem 17. Jahr-hundert zeigt zudem, dass sich nicht erst die Forschung des 20. Jahrhun-derts diese Frage gestellt hat. Teils explizit und teils implizit zieht sie sich durch weite Teile der Geschichte der Gattungsreflexion. Ähnlich häufig thematisiert wird ansonsten nur noch die Frage nach der Komik.7 Diese beiden Hinsichten sind dann auch die einzigen, anhand derer es über-haupt nur möglich ist, innerhalb der ansonsten nicht selten disparat wir-kenden historischen Gattungspoetik der Komödie einen übergreifenden Zusammenhang erkennbar zu machen.8

Gegenüber einer Zentralsetzung des Komischen, das in der Forschung bislang zumeist favorisiert worden ist, lassen sich für eine Fokussierung des Happyends zumindest zwei eminente Vorteile benennen. So ist es zum einen bislang nicht gelungen, das lebensweltliche und strikt Ereig-nishafte des Lachens der Rezipienten sinnvoll mit der textuellen Struktur des Dramas in Beziehung zu setzen, während dies im Fall einer regelhaf-ten Schlussauflösung der Handlung offensichtlich kein vergleichbares Problem darstellt. Zum anderen wirkt das Spezifische des Komödien-lachens nicht besonders prominent. Die Gefahr besteht, dass längst bekannte Ergebnisse der historischen Komik- und Lachforschung hier einfach nur dupliziert würden. Das Verhältnis der Komödie zum Happy-end scheint hingegen, wie sich bereits angedeutet hat und wie noch wei-ter entfaltet wird, ein deutlich spezifischeres zu sein. Zumindest aber wurde es – was hier noch wichtiger ist – auch in der Gattungspoetik im-mer wieder als ein solches hervorgehoben.

Beschränkt man sich allerdings darauf, das hier anvisierte Einzel-merkmal einfach nur für sich zu verfolgen, wird kaum ein höherer Grad an Differenziertheit zu erreichen sein. Vor allem wird man dem Vorur-teil, dass die explizite Komödienpoetik merklich hinter der ungleich größeren Komplexität der Stückepraxis zurückbleibe, so nicht erfolg-

7 Aber auch dies geschieht keinesfalls durchgehend. Vgl. dazu Ulrich Profitlich, Komödien-Konzepte ohne das Element Komik.

8 Vgl. dazu zuletzt Uwe Japp, Art. Komödie, in: Handbuch der literarischen Gat-tungen, S. 416. Grundsätzliche Zweifel hieran meldet Georg-Michael Schulz an. Vgl. ders., Einführung in die deutsche Komödie, S. 26 f.: »Und dass inzwischen kein Forscher mehr sich an eine tatsächlich übergreifende Darstellung der Ge-schichte der Komödientheorie herantraut, ist im Grunde leicht erklärbar. Denn im Fall der Theorie der Komödie gibt es einfach kein geschichtliches Kontinuum. […] Insofern bildet die Komödientheorie viel eher einen integralen Teil der Ko-mödiengeschichte, als dass sie eine eigene Geschichte hätte.« Dass die vorliegende Arbeit dieser These widersprechen wird, versteht sich.

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reich entgegentreten können. Der Umgang mit dem Happyend soll hier deswegen ein freierer sein. Die Frage nach ihm soll ein Gravitationszen-trum und einen Ausgangspunkt für gedankliche Ausflüge bilden. Dass mit dem Ende in einer engen Beziehung stehende Kategorien, wie etwa die Komödienkatharsis, die poetische Gerechtigkeit oder allgemein die Verlaufsstrukturen der Stücke, eine wichtige Rolle spielen, dürfte sich dabei von selbst verstehen. Darüber hinaus wird es sich aber auch im-mer wieder als sinnvoll erweisen, zusätzlich Bereiche der Komödiendis-kussion zu thematisieren, deren Beziehungen zum Finale erst einmal weniger offensichtlich sind, wie dies etwa beim Lachen oder beim Spiel im Spiel der Fall ist.

Es wird sich zeigen, dass durch das Nachzeichnen der Überlegungen zum Happyend nicht nur ein zentraler Strang der Komödienpoetik selbst freigelegt wird, sondern dass hierdurch ein Terrain mit eigener Komplexität erschlossen werden kann. Das Happyend der Komödie ver-fügt vor allem durch seine latent paradoxe Anlage – also dadurch, dass es zugleich notwendig und störend sein kann – über ein herausragendes Po-tential, das Nachdenken über die Kategorie des Endes in der Fiktion an sich zu befördern. Was hier sichtbar gemacht werden soll, ist die sukzes-sive Entfaltung dieses Potentials sowohl in allgemeinen Komödientheo-rien seit Aristoteles als auch in Diskussionen um konkrete Komödien.

Schon wegen dieses hinzutretenden, übergreifenden Interesses ist auch nicht festgelegt, in welcher Form die Frage nach dem Ende in den zu untersuchenden Positionsnahmen präsent sein soll. Zwar wird der Normalfall zunächst einmal natürlich der sein, dass hier mit dem Hap-pyend der für den Sympathieträger positive Ausgang der Komödien-handlung selbst gemeint ist. Im Rahmen einer poetologischen und dann vor allem einer ästhetischen Diskussion, die sich zeitweise sehr weit von der konkreten Bühnenkomödie entfernt, wird im weiteren Verlauf der Studie aber auch ein Ende im theologischen Sinne thematisiert werden, ein Ende der Kunst und nicht zuletzt – wie es bei Finaldiskussionen aller Art unausweichlich scheint – ein Ende der Geschichte. Und schließlich wird es natürlich auch um die Frage gehen, was mit der Komödie nach dem Ende der Tragödie geschehen und ob die Komödie als Gattung nicht konsequenterweise ebenfalls zu Ende gehen sollte.

Auch wenn sich das Lustspiel als ein historisch vergleichsweise stabiles Genre erwiesen hat, kann das Ziel hier gleichwohl nicht in der Bestim-mung eines ›Wesens der Komödie‹ an sich bestehen, das sich etwa über die Zentralstellung der spezifischen Finalwendung endgültig fixieren ließe. Ein solcher Versuch wäre selbstredend von vornherein vergeblich. Aber diese Gefahr droht ja auch gar nicht, denn schließlich soll hier keine

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Geschichte der Gattung selbst,9 sondern lediglich eine der Reflexion über eines ihrer Merkmale rekonstruiert werden. Dass es bei alldem überhaupt so etwas wie ›die Komödie‹ gibt, wird innerhalb des nachgezeichneten Diskussionszusammenhangs zumindest bis weit ins 20. Jahrhundert hin-ein schlicht vorausgesetzt. Die Diskussionsteilnehmer selbst zweifeln also gemeinhin nicht an der Existenz ihres Diskussionsgegenstands.

Scheint es bei Trautwein so, als ob das Happyend im Rahmen des Komö-dienzirkels vor allem der Ermöglichung des Lachens diene, so wird sich zeigen, dass auf dem Feld der historischen Komödienpoetik und der da-raus hervorgehenden Gattungsspekulation die Frage nach dem Ende im-mer wieder höchst eigenständig und von dieser Funktion weitgehend unabhängig beantwortet wird. Das Ergebnis ist eine bislang wenig be-achtete Philosophie der Komödie, die in ihrer Elaboriertheit der Philoso-phie der Tragödie kaum nachsteht.

Eine besondere Rolle bei der Etablierung einer solchen ins Philoso-phische übergehenden Gattungsreflexion werden dabei die Tragödie und ihre Theorie spielen. Immer wieder wird die Komödientheorie aus ihrem Verhältnis zu dieser konkurrierenden und von Beginn an wesentlich aus-führlicher diskutierten Gegengattung heraus entwickelt. Dies geschieht in einem stets neu ausgehandelten Mit- und Gegeneinander von Paralle-lisierungen und Entgegensetzungen. Dass auch die unterschiedlichen Fi-nalregeln der Gattungen dabei eine zentrale Rolle spielen, liegt nahe. Da-bei wird die Komödie einmal als der dunkle Untergrund der Tragödie verstanden, einmal als ihr Kommentar, einmal als ein sich emanzipieren-des Gegenmodell, und einmal auch als das eigentliche letzte Ziel einer übergreifenden historischen Entwicklung, die durch die Tragödie erst nur in Gang gebracht worden ist. Spätestens seit Friedrich Schellings »Philosophie der Kunst« ist dabei auch gar nicht mehr so klar, auf wel-cher der beiden Seiten dieses Gattungsgegensatzes das Ende nun ein wirklich gutes sein soll.

Historisch beginnt der Durchgang nach einem kleinen ›platonischen‹ Vorspiel natürlich bei Aristoteles selbst, bevor die Diskussionen der

9 Die Probleme, die beim Versuch einer wirklichen Gattungsgeschichte der Komö-die zu erwarten sind, reflektiert Ulrich Profitlich, Geschichte der Komödie. Zu Problemen einer Gattungsgeschichte. Profitlich will die Komödie – unabhängig von einer nachträglich gewonnenen überzeitlichen Definition auf der einen und zeitgenössischen konkreten Benennungen von Texten als ›Komödie‹ oder ›Lust-spiel‹ auf der anderen Seite – v. a. als einen sachlichen Traditionszusammenhang verstanden wissen.

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Antike und des Mittelalters sowie die Debatten der Renaissance, des Ba-rock und der Aufklärung zusammengefasst werden. Anschließend folgen intensivere Betrachtungen einzelner Entwürfe unter anderem von Denis Diderot, Gotthold Ephraim Lessing, J. M. R. Lenz, Friedrich Schiller, Jo-hann Gottfried Herder, den Brüdern Friedrich und August Wilhelm Schlegel, Friedrich Schelling, G. W. F. Hegel und Karl Marx. In dieser Reihe von Konzeptionen aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, die durch Blicke auf mit den Modellen verbundene konkrete Komödien, wie Lessings »Minna von Barnhelm«, Lenz’ »Hofmeister« oder Tiecks »Verkehrte Welt«, ergänzt wird, entfaltet sich – wie in dieser Dichte kaum zuvor und danach – das Erkenntnispotential der Komödienkon-stellation immer weiter.

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, für die keine in diesem Sinne geschlossenen Entwürfe mehr präsentiert werden können, rücken dann die Diskussionen um die Stücke selbst ins Zentrum. Beispielhaft werden diejenigen über den »Biberpelz« Gerhart Hauptmanns, über den »Bürger Schippel« Carl Sternheims und über Hugo von Hofmannsthals »Schwierigen« vorgeführt. Im Zentrum steht hierbei jeweils die Frage, was die Komödie als ein in diesem Kontext zunächst eher konservativ wirkendes Genre zu den Debatten der literarischen Moderne beizutragen hat. Sie wird sich – dies sei hier vorausgeschickt – dabei als ein Proteus erweisen, der auf seine Art im Spiel der ästhetischen Konzepte immer mittun und häufig sogar dessen Ergebnisse bereits vorwegnehmen kann. Und immer wieder erweist sich gerade die Frage nach dem Ende auch hierbei als ein Schlüsselelement.

Und so ist auch mit dem Epilog zur Komödientheorie und -diskus-sion nach dem Zweiten Weltkrieg keinesfalls ein endgültiger Schluss-strich unter diese Gattung gezogen. Diskussionen von und über Peter Hacks und Friedrich Dürrenmatt sowie vor allem ein abschließender Blick auf Roberto Benignis Filmkomödie »La vita è bella« – »Das Leben ist schön« und die Debatte, die sich daran entzündet hat, werden zeigen, dass mit der Komödie nicht etwa trotz, sondern gerade wegen ihres ana-chronistischen und so leicht widerlegbaren Endes immer noch und auch weiterhin zu rechnen sein wird.

Die Potenzen der Gattungskonstellation deuten sich in den expliziten Debatten über die Stücke allerdings nicht selten nur an. Deshalb werden die Komödien von Hauptmann, Sternheim und Hofmannsthal sowie der Film von Benigni auch nicht lediglich als Gegenstände einer Kontro-verse betrachtet, sondern vielmehr als aktive Teilnehmer an der Diskus-sion selbst ernst genommen. Wie sie sich zu dem über sie Gesagten ver-halten, ob sie mit den Modellen konform gehen, ihnen widersprechen

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oder sie gar noch übersteigen, ist für den hier betrachteten Zusammen-hang von entscheidender Bedeutung.

Neben den zuletzt skizzierten Erweiterungen und Entgrenzungen des Feldes in die Richtungen einer generellen Diskussion über die Moderni-tät der Komödie und die Kategorie des Endes im Allgemeinen auf der ei-nen und einer Reihe von konkreten Textlektüren auf der anderen Seite sind allerdings auch Einschränkungen und Ausschlüsse unumgänglich. Während das Happyend in einigen Definitionsversuchen eine zentrale Rolle spielt, muss man sich ihm in anderen Fällen über Umwege nähern, weil von ihm nur implizit gehandelt wird. Gelegentlich erweist sich die Frage nach ihm aber auch tatsächlich als unergiebig oder die Antwort ge-genüber älteren Ausführungen als redundant. Derartige komödientheo-retische Stellungnahmen rücken in dieser Studie dementsprechend eher in den Hintergrund.

So spielt das Ende etwa dort, wo es um die verschiedenen Arten von Komik in der Komödie, um den Hanswurst, um die Überwindung der Ständeklausel oder um die Frage nach Vers oder Prosa geht, oft nur eine geringe oder überhaupt keine Rolle. Um es kurz zu sagen: Es geht hier nicht um eine möglichst lückenlose Darstellung der Komödientheorie unter besonderer Berücksichtigung des Endes, sondern vielmehr um ein pointiertes Nachzeichnen einer ausgewählten Reihe von anregenden Ideen, Entwürfen und Konzepten, die aus einer höchst produktiven Pro-blemkonstellation heraus entstanden sind und diese weiterführen und reflektieren.

Eine weitere Selbstbeschränkung besteht darin, dass im Großen und Ganzen nur der Hauptstrang der antiken, der nachantiken mitteleuropä-ischen und seit dem späten 18. Jahrhundert vor allem der deutschsprachi-gen Komödiendiskussion verfolgt wird. Weder das indische Theater, das in hohem Maße komödienaffin ist, noch das japanische Kyogen-Theater werden hier vorkommen. Auch die spanische Komödie und das engli-sche Theater werden nur gelegentlich gestreift. Eine größere Rolle spie-len sie allenfalls dort, wo sie seit dem späten 18. Jahrhundert auch in Mitteleuropa intensiver wahrgenommen werden.

Und noch eine letzte Abgrenzung möchte ich aus praktischen Erwä-gungen ziehen. Nicht selten soll die Komödie all das umfassen, was un-ter dem ungleich strikter definierten Tragödienbegriff keinen Platz mehr findet. Dies führt dazu, dass Gattungsmischungen und Gattungsneuent-wicklungen tendenziell eher wieder der Komödie zugeschlagen werden.10

10 Vgl. dazu geradezu paradigmatisch Johann Elias Schlegel, Gedanken zur Auf-nahme des dänischen Theaters, in: Werke, Band 3, S. 259-298, hier S. 276, der

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Die Komödie gebiert somit immer wieder neue Subgattungen: Tragiko-mödie, Drama, Schauspiel, das epische oder auch das absurde Theater. Diese ›Randbereiche‹ werden hier zwar nicht prinzipiell ignoriert, aber doch auch nicht als eigenständige Themen verfolgt.

Die Kategorie des Endes ist seit einiger Zeit verstärkt ins Blickfeld der li-teraturwissenschaftlichen Diskussion geraten. Einen Anfang setzte Frank Kermode mit seiner Studie »The Sense of an Ending«11 bereits in den spä-ten sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Diesem Band zum Thema des Schlusses in der Erzählliteratur12 folgten einer von Barbara Herrnstein Smith zum Ende in der Lyrik13 und ein weiterer von June Schlueter zum Ende im Drama.14 Allerdings ist weder in der letztgenannten Studie noch in Terence Caves Untersuchung zu dramatischen »Recognitions« in nennenswertem Umfang von der Komödie die Rede.15 Cave etwa wid-met ihr gerade einmal acht Seiten,16 was angesichts der Bedeutung von Wiedererkennungsszenen im Lustspiel spätestens seit Plautus und Te-renz sicherlich als höchst erstaunlich vermerkt werden kann. Auch in der übrigen wissenschaftlichen Diskussion um die Kategorie des Endes mit einer ganzen Reihe von Monographien und Sammelbänden wurde die Gattung der Komödie bislang weitgehend ignoriert.17

alle theatralen Darbietungen außer denen, die »Handlungen hoher Personen, welche die Leidenschaften erregen«, präsentieren, kurzerhand zu Komödien er-klärt.

11 Vgl. Frank Kermode, The Sense of an Ending (2000, zuerst 1967). Die Hinzufü-gung der Publikationsjahre in den Fußnoten beschränkt sich in der vorliegenden Studie auf den hier beginnenden Forschungsüberblick und einige wenige weitere Fälle, in denen diese Information als besonders signifikant erscheint.

12 Eine jüngere Aufstellung der mittlerweile sehr umfangreichen Literatur zum Thema des erzählerischen Endes findet sich bei Remigius Bunia, Faltungen, S. 270-276.

13 Vgl. Barbara Herrnstein Smith, Poetic Closure. A Study How Poems End (1968).14 Vgl. June Schlueter, Dramatic Closure. Reading the End (1995).15 Vgl. Terence Cave, Recognitions. A Study in Poetics (1988).16 Ebd., S. 47-54.17 Vgl. u. a. Alice A. Kuzniar, Delayed Endings. Nonclosure in Novalis and Hölder-

lin (1987), den Sammelband von Jürgen Söring (Hg.), Die Kunst zu enden (1990), den Aufsatz von Walter Pape, Happy-Ends? Vom glücklichen Ende in der Erwachsenen- und Kinderliteratur (1990), den Band von Karlheinz Stierle und Rainer Warning (Hg.), Das Ende. Figuren einer Denkform (1996), sowie Eva Geulen, Das Ende der Kunst. Lesarten eines Gerüchts nach Hegel (2002), und Hektor Haarkötter, Nicht endende Enden. Dimensionen eines literarischen Phänomens (2006).

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In einer Parallele hierzu fristet die Komödie auch bei der Aufarbei-tung historischer Gattungspoetiken seit vielen Jahrzehnten eindeutig eine Randexistenz. Noch vergleichsweise gut dokumentiert sind Antike, Mittelalter und Renaissance durch die instruktive, wenn auch ein wenig unübersichtliche Studie von Karl-Heinz Bareiß aus dem Jahr 1982.18 Die Komödienpoetik speziell des 16. Jahrhunderts ist zudem bereits zuvor in einer größeren Monographie von Marvin T. Herrick untersucht wor-den.19 Die wichtigsten Arbeiten speziell zur deutschsprachigen Poetik und Ästhetik stammen hingegen bereits aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Einen Anfang machte Karl Holl, der 1911 die Komödien-poetik bis Gottsched skizzierte.20 Ihm folgten 1927 Mary Beare mit einer Studie zur Gattungstheorie zwischen Gottsched und Jean Paul21 sowie 1935 Walter Bardeli mit einer Arbeit zum 19. Jahrhundert.22 Konzeptio-nell sind all diese eher schmalen Überblicksdarstellungen von nur gerin-gem Interesse. Sie eignen sich vor allem als Materialfundus. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch eine kleinere Studie von Werner Rieck zur Komödientheorie des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts23 und zudem eine überschaubare Zahl von Einzeluntersuchungen. Interessante Arbeiten zum Thema der Komödie in der DDR sowie zu Komödienkon-zepten, die auf die Zentralstellung der Kategorie der Komik verzichten, stammen dabei vor allem von Ulrich Profitlich.24

Karl Holl, der zur Erforschung der Geschichte der Komödienpoetik im deutschsprachigen Bereich selbst einen Anfang gesetzt hat, hat nur einen Teil seiner Erkenntnisse in seine große »Geschichte des deutschen Lustspiels« aus dem Jahr 1923 übernommen.25 Die Komödienpoetik wird hier tendenziell ebenso marginalisiert wie in Helmut Prangs Band zur

18 Vgl. Karl-Heinz Bareiß, Comoedia. Die Entwicklung der Komödiendiskussion von Aristoteles bis Ben Jonson (1982).

19 Vgl. Marvin T. Herrick, Comic Theory in the Sixteenth Century (1950).20 Vgl. Karl Holl, Zur Geschichte der Lustspieltheorie. I. Entwicklungsgeschichte

in Einzelvertretern dargestellt bis Gottsched (1911).21 Vgl. Mary Beare, Die Theorie der Komödie von Gottsched bis Jean Paul (1927).22 Vgl. Walter Bardeli, Theorie des Lustspiels im 19. Jahrhundert (1935).23 Vgl. Werner Rieck, Die Theorie des deutschen Lustspiels in der Periode von 1688

bis 1736 (1965).24 Vgl. Ulrich Profitlich, Über Begriff und Terminus ›Komödie‹ in der Literaturkri-

tik der DDR (1978). Zum Phänomen der Verdrängung der Komik aus der histo-rischen Komödientheorie äußerten sich zuletzt ders., Komödien-Konzepte ohne das Element »Komik« (2002), sowie Daniela Weiss-Schletterer, Das Laster des Lachens. Ein Beitrag zur Genese der Ernsthaftigkeit im deutschen Bürgertum des 18. Jahrhunderts (2005).

25 Vgl. Karl Holl, Geschichte des deutschen Lustspiels (1923).

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»Geschichte des Lustspiels« aus dem Jahr 1968.26 Eckehard Catholy im-merhin sucht in seiner Gattungsgeschichte der deutschen Komödie vom Mittelalter bis zur Romantik vor allem im zweiten Teil immer wieder die Verbindung von Stückpraxis und zeitgenössischer Poetik. Dabei greift er sogar gelegentlich, wie etwa im Fall von Schiller, recht ausführlich auf Theoriekonzepte zurück, denen in der Praxis keine konkreten Stücke ge-genüberstehen.27 Das, was er für den von ihm behandelten Zeitraum ge-liefert hat, kommt dem wohl am nächsten, was Georg-Michael Schulz in seiner »Einführung in die deutsche Komödie« unter einer Komödienthe-orie als einem »integralen Teil der Komödiengeschichte«28 versteht.

Bernhard Greiners chronologisch angelegte Reihe von Komödienin-terpretationen aus dem Jahr 1992 hat zwar einen ausführlichen systema-tischen Vorlauf, in dem sich sowohl medientheoretische Reflexionen fin-den als auch eine Einführung in verschiedene Lachtheorien.29 Die historische Poetik spielt bei ihm aber ebenso wenig eine größere Rolle wie die Kategorie des Komödienendes. Auch ältere Versuche aus der Germanistik, eine systematische Komödientheorie zu etablieren, wie etwa die von Otto Rommel,30 Heinz Kindermann,31 Fritz Martini32 oder Walter Hinck,33 beziehen sich nicht systematisch auf die historische Ko-mödienpoetik und privilegieren zudem gewöhnlich das Verhältnis von Komik und Komödie gegenüber den Verlaufsformen der Stücke.34 Sehr wohl mit Handlungsstrukturen beschäftigt sich hingegen ein neuerer Vorschlag von Ralf Simon. Allerdings steht hier die Kategorie des Spiels

26 Vgl. Helmut Prang, Geschichte des Lustspiels. Von der Antike bis zur Gegenwart (1968).

27 Vgl. Eckehard Catholy, Das deutsche Lustspiel vom Mittelalter bis zum Ende der Barockzeit (1969), und ders., Das deutsche Lustspiel von der Aufklärung bis zur Romantik (1982). Zu Friedrich Schiller vgl. ebd., S. 134-160.

28 Georg-Michael Schulz, Einführung in die deutsche Komödie (2007), S. 27.29 Vgl. Bernhard Greiner, Die Komödie (1992); vgl. zu Greiners Konzeption auch

den Abschnitt 2.3 der vorliegenden Studie.30 Vgl. Otto Rommel, Komik und Lustspieltheorie (1943).31 Vgl. Heinz Kindermann, Grundformen des komischen Theaters (1975, zuerst

1952).32 Vgl. Fritz Martini, Überlegungen zur Poetik des Lustspiels, in: Lustspiele – und

das Lustspiel, S. 9-36 (1974).33 Vgl. Walter Hinck, Einführung in die Theorie des Komischen und der Komödie

(1977).34 Vgl. zu einer Diskussion dieser und weiterer Positionen Wolfgang Trautwein,

Komödientheorien und Komödie (1983), sowie Ulrich Profitlich, Geschichte der Komödie. Zu Problemen einer Gattungsgeschichte (1997).

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im Spiel im Zentrum, so dass das Ende erneut lediglich in vermittelter Form zum Thema wird.35

Auch wenn es also bislang keine übergreifende Studie zur historischen Komödiendiskussion gibt, liegen zumindest zwei umfangreiche Text-sammlungen zur Lustspieltheorie vor – eine englischsprachige von Paul Lauter aus dem Jahr 1964,36 die die internationale Diskussion seit der Antike abbildet, sowie eine speziell den deutschsprachigen Bereich prä-sentierende von Ulrich Profitlich aus dem Jahr 1998.37

Weiterhin existieren natürlich Studien zu einzelnen Autoren – aus dem deutschsprachigen Bereich vor allem zu Lessing, Lenz, Schiller, Friedrich Schlegel, Hegel und Dürrenmatt –, die der jeweiligen Komö-dientheorie oder zumeist dem jeweiligen Zusammenspiel von Komö-dientheorie und -praxis gewidmet sind. Allerdings tun sich auch hier noch erstaunliche Lücken auf. So blieben im Fall von Lessing die insge-samt neun Lieferungen der »Hamburgischen Dramaturgie«,38 die sich – poetologisch höchst relevant – um eine Bearbeitung von Terenz’ »Brü-dern« durch Karl Franz Romanus bemühen, fast vollständig unbeachtet. Und auch Hegels ausführlichster Text zur Komödie, die Rezension von Ernst Raupachs »Die Bekehrten«, ist bislang ebenso ohne Echo geblie-ben wie Schellings zentraler Komödienabschnitt in seiner »Philosophie der Kunst«. Im Fall der Romantiker wird zumeist nur der frühe Aufsatz Friedrich Schlegels »Vom ästhetischen Werte der griechischen Komödie« wahrgenommen. Die Komödienabschnitte in den späteren literarhistori-schen Vorlesungen von August Wilhelm Schlegel und seinem Bruder Friedrich wurden hingegen in Studien, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, zumeist kaum noch thematisiert.

Während also die historische Komödientheorie bislang nur unzurei-chend aufgearbeitet wurde und dabei vor allem das Happyend weitge-hend unbeachtet geblieben ist, sieht es bei der Einbeziehung dieser Kate-gorie auf der Seite der Komödiengeschichte und der Einzelinterpretation doch etwas anders aus. Auf knappstem Raum wurde das Feld bereits 1977 von Walter Hinck in seiner gut 40 Seiten umfassenden Studie »Vom Ausgang der Komödie« umrissen.39 Eher mit einem Spezialinter-

35 Vgl. Ralf Simon, Theorie der Komödie (2002).36 Vgl. Theories of Comedy, hg. v. Paul Lauter (1964).37 Vgl. Komödientheorie. Texte und Kommentare. Vom Barock bis zur Gegenwart,

hg. v. Ulrich Profitlich (1998).38 Konkrete Nachweise zu in dieser Einführung nur kurz genannten Quellen fol-

gen in den entsprechenden Einzelkapiteln.39 Vgl. Walter Hinck, Vom Ausgang der Komödie (1977).

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esse nähert sich Peter von Matt dem Thema. Ihm geht es in seinem Auf-satz »Das letzte Lachen. Zur finalen Szene in der Komödie« um die Figur des Segens des Vaters, der am Ende auch dann benötigt werde, wenn es im Laufe des Stücks vor allem um die Überwindung genau dieser Figur gegangen ist.40

Spezifische Mittel zum Erreichen des Happyends thematisieren Karl Richard Fösel und Daniel Fulda. Fösel hat die Bedeutung des Deus ex machina für die Komödie aufgearbeitet,41 und Fulda hat in seinem Auf-satz »Über episches und dramatisches Vergessen« die Komödie als privi-legierte Gattung der Problemlösung eben hierdurch herausgehoben.42

Für die Zeitenwenden um 1800 und um 1900 gibt es des Weiteren Epochendarstellungen, in denen vor allem die Diskussion eines nun als problematisch empfundenen Komödienendes breiten Raum einnimmt. Richtungsweisend für die Debatte über die Komödie um 1800 war Hel-mut Arntzens Buch zur »ernsten Komödie« aus dem Jahr 1968.43 Mit ver-wandten Themen beschäftigten sich 2003 Christian Neuhuber,44 der die Kategorie des Ernstes neu aufgriff, und 2007 Angelika Kemper,45 die nach der Schuld in der Komödie gefragt hat. Der immer noch maßge-bende monographische Beitrag zur Komödie der literarischen Moderne, der ebenfalls einen starken Akzent auf das Finale und die Versuche einer Verabschiedung des Happyends legt, stammt von Peter Haida und ist 1973 erschienen.46

Historisch angebundene Einzelaspekte beleuchten unter anderem Wolf-gang Trautwein mit seiner Studie zu Zirkelstrukturen im Komödien-finale um 1900,47 Claudia Albert mit der Thematisierung von Glücks-spiel und Zufall in der Komödie des 18. Jahrhunderts48 oder Susanne

40 Vgl. Peter von Matt, Das letzte Lachen. Zur finalen Szene in der Komödie (2002).

41 Vgl. Karl Richard Fösel, Der Deus ex machina in der Komödie (1975).42 Vgl. Daniel Fulda, Über episches und dramatisches Vergessen (2004), v. a.

S. 200-206.43 Vgl. Helmut Arntzen, Die ernste Komödie. Das deutsche Lustspiel von Lessing

bis Kleist (1968).44 Vgl. Christian Neuhuber, Das Lustspiel macht Ernst. Das Ernste in der deut-

schen Komödie auf dem Weg in die Moderne: von Gottsched bis Lenz (2003).45 Vgl. Angelika Kemper, »Ach, aufgelebt, du alter Adam!« ›Schuld‹ in der deutsch-

sprachigen Komödie des 18. und frühen 19. Jahrhunderts (2007).46 Vgl. Peter Haida, Komödie um 1900 (1973).47 Wolfgang Trautwein, Offenes Finale: Akkumulation, Kreisbewegung und Aus-

bruch im deutschen Drama zwischen 1890 und 1933 (1984).48 Claudia Albert, Corriger la fortune? Lotterie und Glücksspiel im Urteil des

18. Jahrhunderts (1995).

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Kord mit dem Thema der Hochzeit in Aufklärungskomödien von Frauen.49

Dass das Finale der Komödie vor allem dann interessant wird, wenn es sich als problematisch erweisen lässt, stellt eine fast durchgehend zu beobachtende Tendenz dar, die sich auch in einer großen Zahl von Einzelanalysen fortsetzt. Ein Grund dafür ist, dass sich Abweichungen von einer Gattungsnorm natürlich stets leichter für eine Interpretation fruchtbar machen lassen als ihre glatte Erfüllung. Zudem wird bekannt-lich der Abbau von Regeln innerhalb der Literaturgeschichte vor allem der letzten 250 Jahre in der Forschung als Zeichen einer Modernisierung begriffen und zumeist positiv gewertet.

Beim Happyend kommt noch hinzu, dass es aus der Perspektive einer emanzipatorisch interessierten Literaturwissenschaft – wie bereits weiter oben angedeutet – spätestens seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhun-derts mit einem Einverstandensein mit den gesellschaftlichen Verhältnis-sen assoziiert wird. Entweder war der Konflikt, der hier ›gelöst‹ wurde, gar kein wirklicher, oder aber das Ergebnis selbst stellte nur das trügeri-sche Bild einer Konfliktlösung dar.50 Galt die Idee einer Versöhnung in Form eines rein ästhetischen und von der Realität strikt abgetrennten Scheins eventuell noch als akzeptabel, so bestand bei der Komödie stets das Problem, dass deren ästhetisch-formale Harmonisierung notorisch von einer stofflichen überlagert wurde. Spätestens hier wird die Gefahr einer falschen Versöhnung im Sinne Adornos virulent.51 Folglich domi-nierte zumindest im deutschsprachigen Bereich unter den Intellektuellen ein negatives Verständnis des Happyends der Komödie als eines falschen Gegenbilds zu den ›wahren‹ Verhältnissen. Eine Ausnahme, in der seine Positivität betont wird, bildet dabei das »Prinzip Hoffnung« von Ernst Bloch.52

Die Problematisierung oder gar die Hintergehung des Happyends hingegen wurde im selben Zuge immer wieder mit der Kategorie der Kritikfähigkeit in eins gesetzt. Folgerichtig wurde es regelmäßig prä-miert, dass sich in einer konkreten Komödie das Ende nicht als glatt und

49 Susanne Kord, All’s Well That Ends Well? Marriage, Madness, and Other Happy Endings in Eighteenth-Century Women’s Comedies (1996).

50 Vgl. hierzu pointiert und exemplarisch Horst Steinmetz, »Minna von Barnhelm« oder die Schwierigkeit, ein Lustspiel zu verstehen (1976), S. 138 f.

51 Vgl. hierzu ebenso pointiert Peter Haida, Komödie um 1900 (1973), S. 22 f. Zum Hintergrund vgl. auch Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie (zuerst 1970), S. 16 ff.

52 Vgl. Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Band 1 (1954), darin: Happy-End, durchschaut und trotzdem verteidigt, S. 512-519.

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eindeutig darstellt. Dieses Herangehen leidet – ohne dass die damit verbundene Öffnungsbewegung und ihre Ergebnisse hier grundsätzlich negiert werden sollen – zumindest an zweierlei. Zum einen sind seine Er-gebnisse durch seine vielfache Wiederholung in hohem Maße vorher-sehbar. Diesen Ansatz hier nochmals in großem Maßstab durchzuexer-zieren, würde der Debatte keine neuen Impulse geben können. Noch problematischer ist aber zum anderen, dass eine breitere Fundierung in der jeweils zeitgenössischen und vorangegangenen Komödienpoetik nicht selten ganz fehlt oder allenfalls durch eine Berufung auf aus dem Zusammenhang gerissene Einzelzitate simuliert wird. Dies hat zur Folge, dass immer wieder etwas als historisch neu oder als Sonderfall verbucht wird, was eigentlich sowohl in der Gattungsgeschichte als auch in der Gattungstheorie fest verankert ist.

Dass eine derartige Fixierung keinesfalls eine Zwangsläufigkeit dar-stellt, zeigt ein Blick auf differierende Modelle in der romanistischen und in der anglistischen Forschung. Die romanistische Diskussion rich-tet sich in ihrem Hauptstrang vor allem an der Sitten- oder Charakterko-mödie nach Molière aus, in der – wie etwa auch in der Commedia dell’Arte – Aufbau und Stückhandlung und damit eben auch die In-trigenauflösung per se eine vergleichsweise geringe Rolle spielen.53 In der anglistischen Forschung steht neben dem großen Vorbild William Shakespeare dessen immer noch höchst einflussreicher Interpret North-rop Frye, der das Happyend der Komödie in seiner »Analyse der Lite-raturkritik« als den die Welt stets erneuernden »Mythos des Frühlings« gefeiert hat.54

Ein später Apologet des Frye’schen Ansatzes ist Erich Segal, der in sei-nem Band »Death of Comedy« den Abschied von traditionellen Formen des Happyends zwar für das 20. Jahrhundert als historisch folgerichtig anerkennt, diesen zugleich aber auch als Verlust eines Hafens für den zwar nicht realistischen, aber doch berechtigten Wunsch des Menschen nach Versöhnung betrauert.55 Weiterhin gibt es gerade aus dem englisch-sprachigen Raum immer wieder Versuche, allgemeine und als überzeit-

53 Vgl. dazu v. a. den richtungweisenden Aufsatz von Rainer Warning, Elemente ei-ner Pragmasemiotik der Komödie (1976); vgl. zu Warnings Konzeption auch den Abschnitt 2.3 der vorliegenden Studie.

54 Vgl. Northrop Frye, Analyse der Literaturkritik, o. Übers. (1957, dt. 1964), darin: Der Mythos des Frühlings: Komödie, S. 165-188; vgl. zu Fryes Konzeption auch den Abschnitt 2.3 der vorliegenden Studie.

55 Vgl. Erich Segal, Death of Comedy (2001). Ähnlich positive Bilder von Shakes-peare zeichnen Günther Blaicher, Paradoxie und Komödie (1992), sowie Helen Gardner, Happy Endings – Literature, Misery, and Joy (1981); vgl. allgemein zum

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lich gültig gedachte Komödientheorien zu etablieren, in denen das Hap-pyend in diesem Sinne eine Würdigung als etwas durch und durch Positives erfährt.56

Wohlgemerkt: Natürlich gibt es sowohl in der romanistischen als auch in der anglistischen Diskussion Interpretationen, in denen mit dem Happyend ebenfalls sehr kritisch umgegangen wird – und dies gerade auch in Bezug auf Shakespeare und Molière.57 Allerdings ist diese Ten-denz längst nicht so dominant wie in der deutschen Literaturwissen-schaft. Interessant ist hier vor allem, dass die finalkritischen Diskus-sionsansätze auch bei diesen ›vormodernen‹ Komödienautoren durchaus funktionieren und somit ein reflektierter Umgang mit der Kategorie des mehr oder weniger glücklichen Endes nicht zwangsläufig allein das Ergebnis einer Modernisierungsgeschichte seit dem späten 18. Jahrhun-dert darstellt,58 wie es aus deutschsprachiger Perspektive gewöhnlich erscheint .

Im deutschen Sprachraum fehlt ein derartiger kanonisierter Autor in der älteren Literatur, der den Blick automatisch in eine größere histori-sche Tiefe hätte lenken können. Nun muss ein solches Fehlen aber nicht nur als ein Problem, sondern kann auch als eine Chance verstanden wer-den. Bei einem geringeren Grad an Kanonisierung kann sich eine De-batte prinzipiell offener gestalten. Dies war im deutschsprachigen Raum vom 18. bis zum 20. Jahrhundert hinsichtlich der Komödie dann auch tatsächlich der Fall, und schon hierdurch rechtfertigt sich die Fokus-

Ende bei Shakespeare auch Barbara Hodgdon, The End Crowns All. Closure and Contradiction in Shakespeare’s History (1991).

56 Vgl. zur amerikanischen Diskussion neben den bereits genannten Titeln noch James Feibleman, In Praise of Comedy. A Study in its Theory and Practice (1962), sowie Elder Olson, The Theory of Comedy (1968).

57 Exemplarisch sei hierfür auf die weitläufigen Diskussionen um die Schlüsse von Molières »L’Avare«, des »George Dandin« und des »Misanthrope« sowie Shakes-peares »Merchant of Venice« verwiesen; vgl. dazu Hartmut Stenzels Nachwort zu seiner Ausgabe des »Avare« (1984), Jonathan Harts Studie »The Ends of Renais-sance Comedy« aus seinem Band »Reading the Renaissance« (1996) und zuletzt Daniel Fuldas Monographie »Schau-Spiele des Geldes« (2005), in der sowohl Shakespeares als auch Molières Stücken ausführliche Besprechungen gewidmet werden (zum »Merchant of Venice«, S. 81-104, und zum »Avare«, S. 265-288). Zur Rezeption von Molières »George Dandin« im frühen 20. Jahrhundert vgl. auch den Abschnitt 7.2 der vorliegenden Studie.

58 Vgl. dazu auch Zvi Jagendorf, The Happy End of Comedy. Jonson, Molière, and Shakespeare (1984). In Kap. 2: How Comedies End, S. 33-43, bietet Jagendorf übrigens die umfangreichste mir bekannte Auflistung formaler Lösungsvarian-ten von Komödien.

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sierung genau dieses Ausschnitts aus der Debatte um die Komödie. Die-sen zentralen und höchst produktiven Diskussionsstrang nachzuzeich-nen und die Bedeutung herauszuarbeiten, die die Kategorie des Endes sowohl für die Komödie als konkrete Gattung als auch weit darüber hin-aus hat, sind die Aufgaben der vorliegenden Studie.

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2. Vom Mittel zum Ziel

Zur Rolle des Komödienhappyends in der traditionellen Poetik

Ganz am Ende von Platons »Gastmahl« berichtet Aristodemos davon, wie sein Lehrer Sokrates am Ende der durchwachten Nacht, als alle an-deren Gäste schon gegangen oder eingeschlafen sind, den erfolgreichen Tragödiendichter Agathon sowie den Komödienautor Aristophanes noch in eine letzte Diskussion zu verwickeln versucht:

Sokrates habe mit ihnen ein Gespräch geführt. Des übrigen nun, sagte Aristodemos, erinnere er sich nicht mehr von den Reden, denn er wäre nicht von Anfang an dabei gewesen und sei auch inzwischen wieder eingeschlummert, die Hauptsache aber wäre gewesen, daß So-krates sie nötigen wollte einzugestehen, es gehöre sich für einen und denselben, Komödien und Tragödien dichten zu können, und der künstlerische Tragödiendichter sei auch der Komödiendichter. Dies wäre ihnen abgenötigt worden, sie wären aber nicht recht gefolgt und schläfrig geworden. Und zuerst wäre Aristophanes eingeschlafen, und als es schon Tag geworden, auch Agathon.

Sokrates nun, nachdem er diese in den Schlaf gebracht, wäre aufge-standen und weggegangen […].1

Nun ist es bei aller äußeren Schlichtheit dieser Szene durchaus nicht so einfach zu sagen, was hier tatsächlich vorgegangen sein mag – genauer: was Sokrates nun konkret gesagt und auch was er damit wohl gemeint haben könnte. Aristodemos selbst als Berichtender hat überhaupt nur Teile davon gehört, weil er zu Beginn noch nicht da war und auch zwi-schendurch »wieder eingeschlummert« ist. Was er hier überliefert, ist also nur ein ungefähres Resümee eines Ausschnitts aus einer dann auch von Sokrates selbst nicht zu Ende geführten Argumentation.

Die Probleme, die sich daraus ergeben, liegen auf der Hand: Was be-deutet es, dass Sokrates sie genötigt habe, einzuräumen, »es gehöre sich für einen und denselben, Komödien und Tragödien dichten zu können«? In welcher Phase einer sokratischen Argumentation befindet man sich hier überhaupt? Ist er vielleicht noch dabei, ein falsches Vorurteil seiner

1 Platon, Das Gastmahl, in: Werke in acht Bänden, übers. v. Friedrich Schleier-macher, Band 3, S. 209-393, hier S. 393.


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