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Yunus Emre

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Yunus Emre Annemarie Schimmel Numen, Vol. 8, Fasc. 1. (Jan., 1961), pp. 12-33. Stable URL: http://links.jstor.org/sici?sici=0029-5973%28196101%298%3A1%3C12%3AYE%3E2.0.CO%3B2-M Numen is currently published by BRILL. Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of JSTOR's Terms and Conditions of Use, available at http://www.jstor.org/about/terms.html. JSTOR's Terms and Conditions of Use provides, in part, that unless you have obtained prior permission, you may not download an entire issue of a journal or multiple copies of articles, and you may use content in the JSTOR archive only for your personal, non-commercial use. Please contact the publisher regarding any further use of this work. Publisher contact information may be obtained at http://www.jstor.org/journals/bap.html. Each copy of any part of a JSTOR transmission must contain the same copyright notice that appears on the screen or printed page of such transmission. The JSTOR Archive is a trusted digital repository providing for long-term preservation and access to leading academic journals and scholarly literature from around the world. The Archive is supported by libraries, scholarly societies, publishers, and foundations. It is an initiative of JSTOR, a not-for-profit organization with a mission to help the scholarly community take advantage of advances in technology. For more information regarding JSTOR, please contact [email protected]. http://www.jstor.org Tue Jan 29 04:02:10 2008
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Page 1: Yunus Emre

Yunus Emre

Annemarie Schimmel

Numen, Vol. 8, Fasc. 1. (Jan., 1961), pp. 12-33.

Stable URL:

http://links.jstor.org/sici?sici=0029-5973%28196101%298%3A1%3C12%3AYE%3E2.0.CO%3B2-M

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Please contact the publisher regarding any further use of this work. Publisher contact information may be obtained athttp://www.jstor.org/journals/bap.html.

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The JSTOR Archive is a trusted digital repository providing for long-term preservation and access to leading academicjournals and scholarly literature from around the world. The Archive is supported by libraries, scholarly societies, publishers,and foundations. It is an initiative of JSTOR, a not-for-profit organization with a mission to help the scholarly community takeadvantage of advances in technology. For more information regarding JSTOR, please contact [email protected].

http://www.jstor.orgTue Jan 29 04:02:10 2008

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YUNUS EMRE

VON

A N N E M A R I E SCHIMMEL

Meinetn hochverehrten Lehrer, Professor Dr. Kichard Harttnann zum 8. Juni 1961

E s ist höchst erfreulich, daß E. L. 1 1 ~ ~ ~ s ~in seiner Studie über Yunus Enzre, a vzedie-dal hyl?tnodist, den Blick der Religionshistoriker auf den geschichtlichen Hintergrund der Dichtung des großen ana-tolischen Mystikers gelenkt hat, der nach neuentdeckten Quellen 720j1321 im Alter von 72 Jahren gestorben ist 1).

E s mag erlaubt sein, das Thema Yunus Emse noch einmal auf- zunehmen und die Wirkung dieses mystischen Sängers auf die nach- folgenden Generationen bzw. bis auf unsere Tage kurz zu skizzieren, da seine Gestalt dem in der Türkei Lebenden immer wieder entgegen- tritt.

Niemand, der einmal das Yunus-Emre-Oratorium von Adnan Saygun2) in der Ankaraer Oper gehört hat, wird sich dem Zauber dieser aus moderner Musik und überlieferten Derwischmelodien (von denen G ~ L P ~ N A R L ~seiner Yunus-Edition in 48 Beispiele mitgeteilt hat) gewobenen Musik entziehen können, und unauslöschlich hat sich mir jene Passage eingeprägt, da ein Chor ständig den Refrain eines der bekanntesten Gedichte des Yunus gewissermaßen als basso ostinato wiederholt: „a;ktn vcr, jevkz'n ver - gib deine Liebe, gib leidenschaft-

I ) Als Textgrundlage diente: Abdiilbnki Gölpinirrli, Yunus Emre Divani (3 Teile) Istanbul 1948; ein guter Auszug in den Varlik Tiirk Klnssiklcri Ko. I

von demselben Herausgeber. - S7gl. ferner: Dr. 121. CunOllr, Yunus Emre'nin Gönlü, Ankara I9j9 (hrsg. von der Yunus-Emre-Gesellscl~aft, No. 3). - A l . F . Köprülü, Türk Edebiyatinda ilk mutesavviflar, Istanbul 1924. - Adnnn Erzi, Türkiye kütüphanelerinden notlar ve vesikalar (Belleten, 1950, S. 8j f f .). -E. J . W . Gibb, History of Ottotnan Poetry, Ed. I (behandelt Yunus recht kurz). - Sndeddin ATuzizrt Evgun, Bektasi sairleri ve nefesleri. Istanbul 19442. -l'nsfi Mnizir Kocatiivk. Tekke siirleri antologisi. Ankara 19;;.

2 ) Ahmet Adnan Saygun, Yunus Emre (Soli, Koro ve Orkestra icin) Oratoryo, 3 ?'eile, 01). 26. Ankara 1946.

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liche Sehnsucht zu dir." Der Komponist hat hier das Zentralthema der Poesie Emres zu Recht in den Mittelpunkt gestellt: die unendliche Sehnsucht, die nicht endende, zur ekstatischen Einheit hinführende Liebe - „das hohe Ehrenkleid, das der Herr einigen gibt" (59), oder, wie Yunus mit einem schon MAULÄNÄ RÜRIT bekannten Bild sagt:

Was macht man mit dem dürren Baum? Man schlägt ihn und verbrennt ihn dann -Der niemals Liebe noch gefühlt -Dem dürren Baume gleicht der Mann! (77)

Das wäre innerhalb der islamischen Mystik nichts Neues; bedeutsam ist hier jedoch, wie der Sänger des Mittelalters, dem in seiner tür- kischen Muttersprache ein zu jener Zeit noch ganz unausgebildetes Instrument zur Verfügung stand (daran ändern auch die ersten un-beholfenen Versuche des AHAIAD YESEWT in seinen hikaut nichts, die um 1150 in Zentralasien entstanden und sich dort großer Beliebt- heit erfreuen 3 ) , oder die wenigen „seldschukischen" Verse SCLSAS V A L A D ~in Iionya) - wie dieser Sänger es verstanden hat, seine Gedanken in einer Weise poetisch auszudrücken, daß sie für den heutigen Türken ebenso verständlich sind wie für seine Zeitgenossen, denen er die Lieder auf seinen Wanderungen vorgesungen haben mag - noch heute lernen die Schulkinder jenes unvergleichlich schöne Gedicht:

Im Paradies die Flüsse all Sie fließen mit dem Ruf Allah, Und dort auch jede Nachtigall, Sie singt und singt Allah Allah . . .

und formen daran ihre religiösen Vorstellungen. Viele der Verse oder Halbzeilen des mystischen Dichters leben in dem Vokabelschatz auch einfacher Menschen fort, sind zum Sprichwort geworden, ganz ab- gesehen davon, daß die mystische Dichtung der auf Yunus folgenden Jahrhunderte iinrner wieder neue Inspirationen aus seiner Poesie ge- nommen hat; so wie das oft zitierte und auf Iioran 9 4 3 zurückgehende

3) Tirnur soll vor dem Angriff auf Anatolien bei Ahmat Yesewis Grab gebetet, und einen S'ierzeiler Yesewis rezitiert haben (Raja!z6tcuyn-111 [ i a y d t , türk.) ; RE1 1946 S. 73.

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aglativsa d1cv la i1~ yine giildiirzir (JYennn der Her r weinen läßt, 1ä13t er auch wieder lachen) sein wohl innigstes Echo in dem in fast jedem türkischen Hause bekannten Gedicht des großen Kompilators ISAIAIL H A K I ~ ~ gefunden hat: ERZERCAILC

Laß uns sehen, was Gott tut -\Vas er macht, das macht er gut (J Iar i f c tna / i t c )

oder wie NIYAZI MISRI manche Zeilen Emres wiederholt, ganz zu schweigen von den unbedeutenderen Dichtern vor allem des Bektaschi- Ordens, die mehr oder minder im Stile yunus E ~ n r e s zu schreiben plfegten. E s ist interessant, daß sich eine genaue Parallele zu den1 Auftreten Yunus Emres und seiner sprachschöpferischen Gabe einige Jahrhunderte später bei den mystischen Dichtern in Sind beobachten läßt, die, wie einst Emre das Türkische, nun ihre ;Iluttersprache plötzlich zu tiefen Gedichten formen und denen dabei Formulierungen gelingen, die, ins Türkische übersetzt, von jedem fü r Aussprüche yunus Emres und seiner r\jachfolger gehalten werden würden - auch hier sucht, nach einigen kleineren Versuchen in der '\'olkssprache und einer Anzahl mehr gereiil~ter als gedichteter religiöser \Verl<e auf einmal im 18.Jahrhundert das mystische Erlebnis neue Ausdrucks- formen. 1lerk11-ürdiger\veise gehen die Parallelen zwischen den1 ana- tolischen Mystiker und den genannten Sindi-Dichtern noch xi-eiter; und hier liegt ein fü r die Heiligenlegenden im l s l a ~ n sehr typisches \I7andcrmotiv vor: die Legende berichtet, Yunus Etnre sei iiilziizi, d.h. des Lesens und Schreibens unliundig gewesen, er habe lediglich den Buchstaben a gelernt, der in der islamischen hlystik das Symbol der göttlichen Einheit ist und, in seiner Form als gerader Strich, auch das Sinnbild der Loslösung von alletn \Yeltlichen eine Legende, -

die sich aus Versen wie „\\'er ein alif studiert, ist frei von der \Iielt" (200) oder „Der Sinn der 7 heiligen Schriften ist in einem alif klar" genährt hat und sich in Aussprüchen wie dein Wort I ~ ~ ~ A I L H A K K ~ BCRSAL~S„ E r liest von1 Euch des Herzens" (J I~ tha inuzad i jc ~ ~ v h i ) ~i:iclerspiegelt. Die gleiche Geschichte ltennen wir Ton den1 ersten großen mystischen Dichter im unteren Industal, SHÄH CA^^^^ LASIF

3) 11. T. Sorli.y, Shäh CAbdul Lafif of Bliit, Oxford 1940, S. 171. - 17gl. besonders Sü r Yaman Kalyän \-, 22 f f . über die Bedeutung des alif.- Aucli hhdal Musa, ein Bektasclii-Dichter des 13. Jhrs., Meister von Kaygusuz Ahdal liat ein Anspielung auf das Lernen des alif (Bektasi gairleri S.41).

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1.5 Yunus Ei~ire

(st. 1752), der in seinen Versen oft auf diesen Buchstaben als Träger aller Geheimnisse hinweist 4), sowie von seinem jüngeren Landsmann EEDIL (st. 1S72), der ebenfalls nicht über das a hinausgelangt sein so11 5 ) . I n allen drei Fällen steht es fest, daß die hübsche Legende nicht zutrifft, da die Gedichte aller drei Alystiker eine tiefe Kenntnis nicht nur des Koran und der in den Sufi-Kreisen üblichen apokryphen Hadithe verraten, sondern auch große Belesenheit in der mystischen Literatur, Einflüsse Ibn C4rabis erkennen lassen.

Den genannten Dichtern ist jedoch gemeinsam die sprachschöpfe- rische Kra f t und die Fähigkeit, die Alltagssprache in genialer Weise ins Poetische zu verklaren und mit geringsten Rlitteln höchste künst- lerische '\Iiirkung zu erzielen. Hier steht Yuiius Emre in einer Reihe mit den groflen religiösen Dichtern in Ost und lJ7est, die, über-strömend von der mystischen Erfahrung, diese ihren Landsleuten nicht in der liturgischen Sprache, sondern in ihrer eigenen Zunge zugänglich machen wollten: was Meister in seinen deut- ECKHART schen Predigten geleistet hat, was die mystische Dichtung der Begine MECHTHILDvon Rlagdeburg und ihrer Zeitgenossinnen f ü r die deut- sche Sprache bedeutet, die Lieder JACOPONE DA TODISfür das franzis- kanische Italien, das bedeutet Yunus f ü r das Türkische - nicht zu vergessen ist dabei, daß auch die indischen Voll<ssprachen durch Illysti- l<er wie K A R ~ R und TTLSIDAS; durch SULTAS BAHP und EULLHE SHAH (st. 17jS) im Panjabi, durch P ~ R - I RÖSHAN (st. 1jS5) und AEJTYD DAR\-EZA im Pashto auf literarische Höhe gehoben worden sind - ,,Gott spricht in jeder Sprache, ob Arabisch, Persisch, Hindi oder Afganisch; er spricht in der Sprache, die das Herz des Menschen verstehen kann" F ) , ist die Anschauung dieser mystischen Sänger. Und was das Arabische selbst den frühen Alystikern zu verdanken hat, ist am leichtesten aus den Studien Irl3~ss1cn-ONS zu ersehen. Die My- stiker, die in den Volkssprachen predigten, sangen, und die einfachen Lehren des Islam in poetisch anziehender Form verkündeten, ihre Gleichnisse vom Wege, vom rinnenden Flufl, vom verdorrten Dorn- strauch nahmen, haben ja zur Ausbreitung des Islam viel mehr bei- getragen als die offizielle Geistlichkeit; man verfolge nur die IYande- rung der Heiligenlegenden und der von den Illystikern bevorzugten

j) Divan-i Bt?dil (Sindhi), ed. CAbd al-Husain Sliäh Müsawi, Einleitung S. 3. 6) 17gl. Baz~sani,Storia delle letterature del Pakistan, bes. 332 f f .

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16 Annemarie Schimmel

Hadithe bis nach Kashmir und nach Indonesien! Und wie oft religiöse Dichtung in der Volkssprache auch als politisches Mittel eingesetzt wurde, ist im islamischen Mittelalter besonders an der türkischen Poesie der schiitischen Herrscher JIHÄXSHÄH vom Schwarzen Hammel (st. 1467) und I s a r ~ ~ I ~ sdes Safawiden, des Gründers des safawi- dischen Herrscherhauses, zu ersehen 7); in neuster Zeit dürfte man an die faszinierende l17irkung von IQBALS Urdü-Poesie im indo-muslimischen Raum denken.

Yunus Emre hat sich in seiner Poesie teilweise an die klassische Form der quantitierenden, aus dem Persischen übernommenen Metren gehalten, die er jedoch oft auflockert: auch bei MAULANÄ RÜMI, den Yunus wahrscheinlich noch persönlich gekannt hat, wird gern ein solches Versmaß gewählt, das eine Aufteilung jedes Halbverses in zwei weitere, oft untereinander reimende Einheiten erlaubt; so nähert sich der Vers dem im türkischen Volkslied üblichen Schema aaab cccb etc. In dieser Form, und im volkstümlichen silbenzählenden Sletrum, gelingen Yunus nun Verse, deren Zauber man nie vergißt. Vielleicht muß man die Weiten Anatoliens kennen, um sie recht schätzen zu können: der Dichter führt den Hörer durch die endlosen Steppen, spricht auf seinem IVege mit dem Schöpfrad, in dem er - wie schon R¿r;\ri, und wie viele nach ihm - die Klage des von der Heimat getrennten Holzes vernimmt; die Eergketten werden ihm zum persönlichen Gegner, der ihn von seinem mystischen Führer trennen will:

Ich ward zu Staub auf deinem li7eg -Du zeigest dich verstockt und hart: Bist du der felsenbrüst'ge Berg, Der drohend reckt sich wider mich?

0 lvolke, hangend traubenhaft Am Haupt der Berge voller Schnee -Das Haar dir lösend, \\;einest du Nun tropfend tropfend wohl um mich?

7) V. Afinorskijt, Jiliänsliäh and liis poetry, BSOAS 1954; ders., Tlie Poetry of Sliali Ismäcil I, BSOAS 1939-42; T. Gandje2, I1 Canzoniere di Sali Ismäcil Hafä'i, Napoli 1939. - Vgl. meine Skizzen: Bahur Padisliali tlie Poet, witli an account of tlie poetical talent in liis faniily, Islamic Culture 1960; - Sonie iiotes on the cultural activity of the first Iizbek rulers (Journ. Pakistan Hist. Soc. July 1960).

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Yunus E+izre I7

Das Herz des Dichters wir zum Wildbach, er selbst zum Staub auf dem Wege :

Bald weh ich, wie der Wind es tut, Bald staub ich, wie ein Weg voll Glut, Bald fließ ich wie des l17ildbachs Flut -

Sieh, was die Lieb aus mir gemacht!

Nur wer selbst die staubigen Straßen des Landes gezogen ist, die ein plötzlicher Regen in reißende Ströme verwandelt, versteht, wie treffend diese Bilder sind. Freilich verwendet Yunus daneben auch die über- kommenen Gleichnisse von Rose und Nachtigall, Polostock und Ball usw., noch nicht den Kranich, der in der späteren volkstümlichen religiösen und profanen Lyrik der Liebesvogel ist (telli t i~rna wird er wegen seiner zarten herabhängenden Federn genannt, die den Silberfäden am Brautkleid gleichen), noch nicht das Bild des Mutter- schafes, dessen Lämmchen man geraubt hat und das für die späteren anatolischen Dichter ein besonders beliebtes Bild der Trennung ist: in der herben Poesie PIR SULTAX ABDALS (hingerichtet um 1565) werden die bei Yunus vorhandenen Plnsätze der Landschaftspoesie am schönsten ausgeführt:

Dem, der ein anvertrautes Kleid getragen, Glich ich, seit ich in diese Welt geboren. Nun kam sein Herr und nahm mir's aus den Händen -Ward wie ein Schaf, am dürren Ort verloren. . . 8)

Gleich einem lVildbach überfällt auch der Tod den Menschen, wie Yunus ausführt; wir können in seinen Gedichten sehen, wie seine Mystik sich langsam aus der Meditation über Tod und Vergänglich- keit entwickelt. Genau wie die älteste islamische Mystik aus einer ständigen Vergegenwärtigung der Vergänglichkeit dieser Welt und der Schrecken des drohenden Gerichtes entstanden ist und zunächst Asketen hervorgebracht hat, die sich den rituellen Pflichten mit größter Hingabe widmeten, und wie sich erst dann eine reine Liebesmystik, schließlich die komplizierten Systeme der Theoretiker des Sufismus, der alles umgreifende Irllonismus IBN C A ~ ~ ~ I ~ und seiner Nachfolger entwickelten - genau so war Yunus Emse zunächst ein Sänger der

8 ) Pir Sul tan Abdal , ed. Abulbaki Gölpinarli (Varlik Türk Klasikleri, 1933).

KUSIEN,V11 2

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Vergänglichkeit. Die Betrachtung der Gräber, des Staubes, in dem Könige und Propheten verschwunden sind, die Plngst vor dem Tag, da der Riensch „ein Hemd ohne Kragen und Arme1 anziehen, ein Pferd ohne Kopf besteigen" muß, wo der „Neger" - d.h. der Todes- enge1 - ihm naht, die Strafengel im Grabe auf ihn warten, die Zurückgebliebenen die Sure Yäsi~1über ihn lesen - alles das ist ein Grundton der Lyrik Yunus Emres und darf nicht übersehen werden, wenn man sich ein rechtes Bild von seiner Religiositat machen will -die Gefahr bei der Betrachtung der mystischen Phanotnene liegt ja haufig darin, dass die JVurzeln, aus denen die betreffenden Aussagen entstanden sind, nicht genügend beachtet werden. Bei Yunus ist in keinem Augenblick der orthodox islamische Vnterbau zu verkennen, obgleich auch moderne türkische Interpreten dazu neigen, diesen zu übersehen. Der Koran ist fu r ihn die IVurzel aller JVeisheit ,,\Ver den Koran nicht kennt, ist sozusagen nicht auf die Welt gekommen" (jo8); die pünktliche Erfüllung der fünf Gebete ist ihm Voraussetzung aller höheren Erkenntnis, „die Saat des GlaubensJ' (473);zahlreiche Verse sind den Pflichtgebeten, der Reinigung usw. gewidmet, und wie noch Jahrhunderte spater ein türkischer Dichter ein flammendes Gedicht gegen den b i - i ~ a n ~ a z(der das Pflichtgebet nicht einhält) 9 ) schreibt, so erklärt auch Yunus mehr als einmal, ein solcher werde zweifellos in die Hölle gehen (160. 502. 506). Freilich spannt sich der Bogen Ton dieser strengen Obse.r\anz bis hin zu jenem seligen Zustand, wo kein Gebet mehr besteht, da es keine Zweiheit mehr gibt, wo „Fasten, Pflichtgebet, große Waschung, Pilgerfahrt f ü r die Liebenden Schleier sind" (78u.a.). F ü r Yunus Emre ist jedoch nicht nur das Pflicht- gebet maßgebend; eine fast eben so große Rolle spielt bei ihm der dhikr, die Wiederholung von Gottes Namen oder von religiosen For- meln. Hekanntlich legt der Koran großten \Vert darauf, zu betonen, daß alles Geschaffene dauernd, jedes nach seiner Weise, Gott preist, und dieser Zusammenklang der ganzen Schöpfung in einer großen Gebctsharmonie ist \ o n den filystiliern oft miterlebt worden - z a h -reiche Legenden berichten da\ on, J\ ie Heilige des Sachts zuin Gebet in die I fus te , den If'ald oder ans Illecs gingen und den 1-obpreis aller J17esen hörten. Yunus macht h i t r keine Ausnahme; er fühlt sich in Einklang nlit dem Lobpreis der Natur:

Q) Ciraci Miskin, Tekke siirleri ant. S. I j7.

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Mit Bergen und mit Steinen auch Will ich dich rufen, Herr , o H e r r ! h4it Vögeln früh im hlorgenhauch IVill ich dich rufen, Herr , o H e r r !

Mit Fischen in des I iassers Grund, Gazellen in der IITüste Rund, Rlit „Yahu!" aus der Toren Mund Will ich dich rufen, Herr, o H e r r !

E r fordert die Liebenden auf, mit ihm zusammen ..Allah3' zu yufen (550), denn „Ich liebe Gottes Namen glühend, ich kann seiner Süße nicht satt werden". Das immer wiederholte Einheitsbelienntnis ist „der See der Gottesliebenden, der Honig derer, die Bienen sind, die Rose

yonntenderer, die Nachtigallen sind" (534). Manche seiner Gedichte 1-" geradezu als dhikr-Formeln verwendet werden und sind vielleicht auch zu einem solchen Zweck geschrieben: so jene, die als Kehrreim das Glaubensbeltenntnis, die Formel al-hauidzh lillnh oder „Gott, zu dir flehe ich" haben. L'nd es ist f ü r ihn selbstverständlich. daß auch die Engel ihren Rosenkranz beten, oder, die numinose Silbe HG aus-sprechend, unter dem göttlichen Throne kreisen (538), daß endlich, im Paradiese, nichts mehr sein wird als der Ruf ,.Allah3', ja, daß dieser Ruf nicht mehr aus Stimmen und Tönen besteht, qontiern auch aus Duft, Lächeln, Wachsen - d.h. daß Gottes Name dort alles in allem ist: eine ebenso schöne wie tiefsinnige Anwendung des dhikr- llotives.

Das Paradies wird verhältnismäßig wenig erwahnt. viel häufiger die schreckensvollen Seiten des Jenseits, und so oft Yunus \om Paradiese spricht, bleibt er der seit RCBI~A(st. 801) bestehenden und bis in unsere Zeit ( IQBÄL) hinabreichenden mystiqchen Anschauung treu, daß „das Paradies ein Netz ist, um die Seelen der Gläubigen zu fangen" ( 5 2 ) , daß „ein Haus und ein paar Huris" nichts seien gegen den Anblick des göttlichen Freundes, und daß derjenige, der Gott nicht liebe, ohnehin an jedem Or t die Hölle habe 1260, 194).

Nicht übersehen werden darf ferner, daß Yunus Einre, und die überwiegende Mehrheit der spateren Sufis, glühende T-erehrer des Propheten RIuham~nad waren. Die Lehre vom Lichte Alui?ainmads hat. wie RIASSIGNON nachgewiesen hat, bereits in1 9. Jahrhundert in

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der islamischen Rlystik F u ß gefaßt; in HALLÄGSkitäb at-tawäsin (tusin as-siräg, S . 11) heißt es u.a.: „Seine (Muhammads) Existenz ging der Nicht-Existenz voraus, und sein Name ging der (göttlichen) Feder voraus, denn er war da vor den Völkern . . . dessen Name Ahmad is t . . . " TORANDRAEhat schon vor 40 Jahren die Entwicklung des Prophetenkultus in unübertrefflicher IITeise gezeigt 10). Für das Volk war Muhammad - und dabei konnte man sich auf einzelne ICoranstellen stützen - der Fürsprecher am Tage des Gerichtes, und als solcher ist er in der volkstün~lichen Literatur immer wieder ge- priesen worden. Die Nacht seiner Himmelfahrt (27. Ragab) wurde zum Fest, und die Feier seines Geburtstages, die sich seit dem 11. Jahrhundert einzubürgern begonnen hatte, war beispiels\veise in1 is- lamischen Spanien und im mittelalterlichen Ägypten ganz üblich und ist bis heute in den islamischen Ländern die Regel, ja der ganze Monat RabiCul-anal wird in diese Feierstimmung einbezogen 11). Die Sitte, Loblieder auf die Geburt Muhammads zu dichten, scheint zur Zeit Yunus Emres ganz gebräuchlich gewesen zu sein, wenn das Gedicht mit dem Kehrreim „Die das ?~zeziludrezitieren, mögen kom- men" (575) echt ist, das denen, die solches tun, hin~n~lische Freuden verheißt. IVelcher Beliebtheit sich das rund hundert Jahre nach Yunus verfaßte Mevlud des SÜLEYAIANCELEBIaus Bursa (st. 1422) noch heute in jedem turkischen Hause erfreut, ist bekannt; man kann sogar ein Gelübde zur Rezitierung eines Mevlud ablegen. Die Lob- lieder auf lluhammad sind oftmals von einer solchen religiösen Gliit, daß rnan nur die Namen zu vertauschen brauchte, um eine Jesus- Hymne vor sich zu sehen: der Prophet ist der milde Fürsprecher -,,hiuhammad, vergiß uns nicht !" (549), er ist der vor Zeit und Raum Vorhandene, Ziel und Zweck der Schöpfung, sein Licht hüllt den göttlichen Thron ein (448), er ist -wie es in einen1 Sindhi-Hytnnus heißt - „Licht von Licht", und Tier und Pflanze sind einig darin, den

10) Tor Avtdrae, Die Person Muhammads in Glaube und Lehre seiner Gemeinde, Stockl-iolm 1917.

11) \'gl. den Artikel ~izawlid in der Enz. des Islan~. Eine gute Zusammen-stellung volkstümlicher wzazelz~ds,Prophetenloblieder, und \Yundererzählungen über den Propheten gibt jetzt der Sindhi Adabi Board, Karachi, in seinen Folklor Series heraus: Madßhilncain 1WunßGnt2n, ed. N.B. Baloch, und ~Vfz~CGiza,ed. N. B. Balocli. Eber das bekannteste türkische Mevlud vgl. Irnzgard Engellze, Das Lobgedicht Sülegrnan Celebis auf den Propheten, Halle 1926; EI IV Sulaiman Chelebi. Eriglische Cbersetzung von dem langjährigen verdienten Leiter des Atnerican Board in Istanbul, Lginan MacCallz~tn (London, 1935).

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Segens~vunsch über ihn auszusprechen „Die Biene tritt in den Bienen- korb ein und spricht tausend und ein ;alavnt !" (338). Mit Innigkeit wird noch jetzt das Wort wiederholt: ,,'Dein Nam' ist schön du selbst bist schön, Muhammad" (562). Und da man die Schönheit des Propheten nicht bildlich darstellen durfte, mußte die Wortkunst an ihre Stelle treten - nicht nur in den zahlreichen Lobgedichten all- gemeiner Art, sondern auch in der sog. hilya, einem kalligraphisch geschriebenen Blatt, das die Betschreibung des Propheten nach den ältesten Quellen enthält, die dann wiederum versifiziert worden ist 1 2 ) .

Wie MAULÄNÄ RÜiuis ?zact-i serif , das Prophetenloblied, in der Ver- tonung ITRISzum unerläßlichen Bestandteil des Rituals bei den Rle\vlewi-Derwischen gehört, so ist auch Yunus in der Rühmung des Propheten für seine Landsleute ein Vorbild gewesen, und seine Verse haben die Liebe zum Propheten sicher dem Volke noch tiefer einprägen helfen. Erstaunlich ist jedoch, daß sich bei ihm nicht das sonst so be- liebte Bild von Jluhammad als Regen findet: r a h m e t , Barmherzig-keit, wird - auf koranischen Aussagen fussend - noch heute in Anatolien für den Regen gesagt, und der Übergang von hier zu dem Propheten, der „als Barmherzigkeit für die Welten" (Koran 211107) gesandt war, ist vielen anderen mystischen Dichtern in1 Islam ganz mühelos gekommen: 13) das schönste Beispiel bietet der S f i r Sarang des obengenannten Sindhi-Dichters SI-IAH CA^^^^ LASIE, in dem der Preis des die Erde befruchtenden, alle Kümmernisse fortschwemmen- den Regens am Ende einmündet in das vertrauensvolle Gebet, das lluhammad als Fürsprecher preist.

Neben den islan~ischen Grundlehren finden sich in Yunus Emres Werk auch zahlreiche Anspielungen auf den mystischen Pfad, auf

12) Typisch ist das in der gereimten türkischen (tilga des I q ä n i (1oo:/1598, Druck Istanbul 12641848) angeführte angebliche Prophetenwort : ,,\Ver nach meinem Tode meine hilyn sieht, so ist es, als sähe er mich, und wer sie mit Sehnsucht nach mir sieht, den läßt Gott nicht ins Höllenfeuer, und er ist sicher vor der Grabesstrafe und wird nicht nackt auferweckt werden auf Tage der Auferstehung, und wird als Unschuldiger gerechnet werden". - Vgl. dazu auch die Behauptung des Sindhi-Dichters Imäm Ba-& (hfucgiza S . 176) „\S-elche diese 1%-undergeschichte hören, die werden an1 Tag der Auferstehung Rettung von der Hölle finden, besonders für die, welche es in der Sacht zum Freitag rezitieren, gibt es ungezählte Eelolinungen."

13) Uber den Vergleich des freigehigen Fürsten mit dem Regen vgl. Daitdpofa, The influe~lce of Arahic Poetry on the development of Persian Poetry (Eombay 1934).

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seinen Jleister TAPDCKEILIRE,der ein Schüler des HAGGI BEKTAS gewesen sein soll und dem er angeblich 40 Jahre gedient hat, so wie der jüngere Rektaschi-Dichter KAYGCSCZABDAL dem ABDAL J l r s ~ 40 Jahre gedient haben soll: die typische 4oer-Zahl als Zahl der P rü fung und Entsagung, deren bekanntestes praktisches Beispiel die vierzigtätigen Periotlen des Fastens und der Askese bei den Der-wischen (cille) sind. Die Wichtigkeit, dem Scheich zu dienen, wird immer n-ieder hervorgehoben, die Anerkennung der Gottesmänner (ereizlcr) wird geradezu als Glaubensgrundlage bezeichnet: , ,Wenn du die vom Himmel gekoiimlenen vier Eücher täglich tausendmal läsest. IVenn du die Gottesmänner leugnetest, wäre die ,,SchauH fern von dir" (46). Sie sind es, deren O r t höher ist als der göttliche Thron ('j41), deren Blick den Staub zu Gold macht (309). IVir können in den Gedichten Yunus Emres die verschiedensten Stadien des mysti- schen IVeges verfolgen, von der Einsamkeit und Fremdheit in dieser Welt, der Venvirrung und Unsicherheit, der Hingabe an den Scheich (,,Yunus war ein Falke, setzte sich auf Tapduks Arm" 179), dem festen Glauben an die wunderbare Wirkung des geistigen Führers bis zu dem Ausspruch „Wenn keine göttliche Anziehung stattfindet - was soll dann mein Scheich mit mir machen?" (516), d.h. dem Rewußtsein der letzthin gnadenhaften Erfahrung der Einheit, die der Scheich oder die Gruppen der „Drei, Sieben, Vierzig", die ver- schiedenen in seinen Gedichten er\vähnten Ordensgründer (Afaulänä Rümi, Ahmad Rifäci etc.) nur 1-orbereiten können. -

Auch heute noch tr iff t man unter den Derwischen und der h'Iystik Ergebenen solche, die in höchst grober und geradezu beleidigender 1F7eise in ihren Gebeten zu Gott oder den fü r mächtig gehaltenen Heiligen sprechen - eine Erscheinung, die von H. RITTER in seinem umfassenden JI7erk über c A s s ~ ~ gründlich untersucht worden ist 1"). Der Glaube an die sündenvergebende Macht Gottes hat schon iin frühen Sufismus zu kühnen Äußerungen mancher Mystiker geführt, die mit Gott um die Vergebung der Sünden rechteten. Andererseits glaubt eine Gruppe von Rlystiliern, einen Rang erreicht zu haben, da die Bande der Ehrfurcht fallen, d.h. irn Rang der Unbedürftiglieit, der „Koketteriew ( I T ~ Z )zu stehen und deshalb freien Gebrauch von ihren IVünschen machen zu können - die Blasphemien, in denen

14) Das Meer der Seele, Leiden, 19;s.

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23 Yunus Evive

sich derartige Männer ergehen können, sind meist sehr unerfreulich. Dagegen ist das aus seelischer Not geborene Hadern ein in allen Religionen bekanntes Phänomen, und wir treffen es auch bei Yunus, der in seinem großen Gedicht

Solltest du, o Herr, mich einmal fragen.. .

die von ihm sonst so oft verwendeten grob-sinnlichen Gerichtsvor-Stellungen kritisiert und leise verspottet:

. . . Eine Brücke schufst du, haaresbreit „Daß du Rettung findest, drüber schreit !" Kein Mensch kann solch Brücke überschreiten, E r muß straucheln und zu Falle gleiten. Wir baun nur zum Guten eine Brücke -Gut ist, daß der Übergang uns glücke! . . .

Mit ganz ähnlichen Worten hat der im I j. Jhr. lebende Bektaschi- Dichter, KAYGUSTJZABDAL1 5 ) , diesen Spott aufgenommen, ihn aber, wie es in seinen Gedichten so leicht der Fall ist, vergröbert:

. . . Schufst eine Brücke wie ein Haar, Daß deine Knechte drüber gehn. Wie wär's: wir ständen, schauten zu -Zeig deinen Mut, geh drüber, Gott!

Und der Bektaschi-Poet AZMIhat am Ende des 16. Jahrhunderts in einem langen, wohlbekannten Gericht unter anderem gefragt:

Was machst du mit diesem Höllenfeuer? Hast du ein Bad, oder bist du einer, der im Aschenhaus sitzt . . .? 16)

Eine verständlicher erscheinende Form des Haderns, die uns bereits aus den Klagen der Psalmen über das Unglück des Gerechten und das Glück des Ungerechten bekannt ist, findet sich bei Yunus Emse und den mystischen Dichtern in den verschiedenen islamischen Län-

15) Ka21gusuz Abdal, (Varlik Türk Klasikleri No. 20), ed. A. Gölpinarli, mit sehr guter Einleitung.

16) Bektasi sairleri S. 201 f f . Das Gedicht ist sehr bekannt.

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dern wieder: es ist die Aufzählung der Propheten und Heiligen, die unendlich durch Gott gelitten haben - „Die Propheten sind am stärk- sten heimgesucht, dann die Heiligen, und dann so weiter" sagt schon ein dem Propheten zugeschriebenes W o r t . Der Mensch soll wie Zakariya sich der Säge hinbieten, wie IsmaCil bereit sein, sich opfern zu lassen (75): aber manchmal erhebt der Dichter doch die Klage: „Muß das so sein für den, der dich liebt?" Wie auch SACHAL SARMAST in Sind gesungen hat:

Willkommen, TL-illkommen bist du - zu Tvelchem Platz willst du mich bringen? Du wirst wieder einen Kopf abzuschlagen haben !

Sarmad einen Fuljtritt gebend, hast du ihn getötet; du hast l l ansür an den Galgen gebracht, hast Scheich CAftärs Haupt abgeschlagen, jetzt fragst du nach dem Weg hierher.

Du hast Zakariya mit einer Säge gespalten, hast Joseph in einen Brunnen geworfen, hast Schams durch die Hand der Mollas töten lassen -du pflegst den Liebenden heimzusuchen! . . . 1 7 ) .

Vor allem ist es das Schicksal HALLAGS, der in der mystischen Dichtung meist mit seinem Vatersnamen, Illancür (der Siegreiche) benannt wird und den seine Gottesliebe oder, wie die Sufis sagen, das Kundmachen des Geheimnisses der göttlichen Einung an den

17) Risälö Saclzal Savmact (Sindhi), ed. 0 . A. Ansari, Karachi, 1958, S. 37;. Die dort erwähnten Persönen sind Standardtypen der Sindhi-Dichtung: Sar~iiad der 1660 hingerichtete Freuud des hfoghulprinzen Därä Shiköh, der durch seine kühnen mystischen \-ierzeiler Anstoß erregt hatte (vgl. B. A. Hashmi, Islamic Ciiltiire Oct. 1933. Y. Husain, L'Inde mystique au Moyen Ages. Paris, 1926, S. 189 f . ) ; zu Mansar, d.h. Husain b. Ma~lsüral-HalläG vgl. die zahlreichen Untersuchungen L. Massignons, an der Spitze L a Passion d'al-Hosajln O. Mnnsiir 01-Halläj, tizartyrc myst iquc dc I'Islatu, 1922; CAttär, der bekannte 1111-stisclie Dichter uild Ilagiograpli, wird iilerkwürdigerweise auch zutn Märtyrer gestempelt. obgleich keine klassische Cberlieferung darauf hindeutet (vgl. Ritter, Meer der Seele) ; Zakariya, der \'ater Johannes des Täuiers, ist nacli islai~~iscliem Volks-glauben mit einem Bautn, in den er sich geilüclitet hatte, abgesägt worderi; Joseph in1 Brunnen vgl. Gen. 37, Koran X I I ; .Ta~?i.~-iTnhiizi, der tnl-stisclie Geliebte Maulan2 Rütnis und Inspirator seines Divans, ist vermutlicli von den Schülern und Angehörigen Rurnis ermordet morden; nach einer indischen Ciber- lieferung sei er aus Anatolien nacli Multan gekomi~~en.und wo Iieute nocii sein Grab gezeigt wird (ein anderes Grab befindet sich in Kons-a), wo er der Vervolgung der Orthodoxen ausgesetzt gewesen sei, vgl. Y', Httsnitl. L.:. 31 ; Qis.co S a n ~ s i Tabris-68 des CAbd ar-Rahim Garhöri (st. 1778) in Kaläiu-i Garl?öri. ed. U . M. Daüdpota, Karachi, 1955. - Sachal erwähnt in1 Laufe seines Gedichtes noch weitere Mystiker und Propheten, die verfolgt oder getötet morden siild.

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25 Yunus Enzre

Galgen brachte (in Wirklichkeit waren politische Gründe wichtiger) : er wird als der große Liebende und Leidende einerseits angesehen, von dem das großartige Wort stammt „Das Glück kommt von Ihm, aber das Leiden ist E r selbst" und andererseits als typischer Vertreter des Alonismus aufgefaßt: das ist das große, aber fruchtbare Mißverständ- nis späterer Generationen, die in seinem Ausruf anä'l H a q q „Ich bin die absolute Wahrheit" den Ausdruck der essentiellen Einheit von Mensch und Gott sehen wollten. Wie noch heute der Hallai, der Bautn- wollschläger in der Türkei, der mit seinem Bogen und einer Holzkeule die verfilzte Matratzenfüllung reinigt, den historischen HALLAE als seinen Schutzpatron anerkennt, so hat dieser „Märtyrer der Liebe" auch in der mystischen Poesie der Türkei ebenso wie des indischen Islam eine gar nicht zu überschätzende Rolle gespielt, und Anspielungen auf ihn, die oft seinen Namen gar nicht nennen (wie PIR SCLTAS ABDALS „Des Freundes Rose konnte mich verwunden") sind in profaner wie religiöser Literatur nicht zu zählen. Der Überlieferungsstrom dürfte hauptsächlich von FAR~DADD~N dem Verfasser der Heiligen- C A ~ ~ i Z ~ , biographien und zahlreicher, vielgelesener mystischer Lehrgedichte, nach Osten und Westen gegangen sein, denn auch andere von c A s s i z ~ behandelte Gestalten der Legende finden sich gleich häufig im Indus wie in Anatolien wieder: so der berühmte Scheich SAS~AN, der aus Liebe zu einem Christenmädchen Schweinehirt wurde und einerseits als Beispiel für die „Listn Gottes, andererseits als Vorbild der voll- kommenen Ergebung in Gottes Willen immer wieder in der Dichtung - sei es bei Yunus Emre, sei es bei den Sindhi-Dichtern SACIIAL oder BEDIL, wie bei vielen anderen, bis in die Icashmiri-Volksliteratur -gepriesen wird 1 8 ) ; auch das ebenso bei den Türkvölkern wie in Sind sich großer Beliebtheit erfreuende Gu?rziu?rza-Nävze C A s s A ~ sge-hört in dieses gemeinsame Erbe; ' A ~ ~ A R selbst wird bei den mystischen Dichter oft zitiert 1 9 ) .

Für Yunus Emre ist, genau wie für die späteren Dichter, IJALLAG

18) Vgl. Ritter, 1.c. 3871. - Eine Kaslimiri-Rezension der Legende Paris. Bibl. Kationale, Catalogue des MSS indiens 878 (Indien 240).

19) Ritter, 1.c. und Art. CAftär in der Islam Ansiklopedisi fasz. 11; F. Köprülü, Türk Edebiyati Tarilii (1926) S. 362 ff. über die Verbreitung der Legende iin türkischen Bereich; vgl. L. Massignon, La Cit6 des hforts, 1958, C. 41 ; eine Sindhi-Bearbeitung des gumguma-näme, Brita Mus. Or. 6533 f. -03-110.

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derjenige, der die Einheit alles Seienden am eigenen Leibe erfahren hat, und so kann er sich ihm oft vergleichen.

Vom Wein der Einheit laßt uns einen Schluck trinken, Ich bin die JVahrheit! rufend, will ich dann zum Galgen

gehen, H e r r ! (553)

In seiner Poesie - und zwar in der im klassischen Metrum ge-schriebenen noch stärker als in der .i~olkstümlichen - tritt eine Zeit- lang das Element des kosmischen Be~vußtseins stark in den Vorder- grund. Derselbe Dichter, der eben noch von seinem Elend und von seiner Sündenangst gesungen hat, versichert in zahlreichen Wen-dungen „Ich bin . . . der Erste und der Letzte . . . ich bin der, der Xoah die Sintflut gab. . .der Sehende und Betrachtende, der Xeh- mende und Gebende . . ." (196 ff., 435). Er identifiziert sich nach- einander mit allen Propheten (213, 215) - hier dürfte vielleicht eine Anspielung auf die in der mystischen Erfahrung zu durchlaufenden Stadien der Prophetie liegen, die noch heute für gewisse Richtungen des Sufismus characteristisch sind und bei der Identifikation des Mystikers mit dem uranfänglichen ,,Muhammad-Licht" enden: - „Die beiden können sich nicht verstehen, denn dieser ist auf der Stufe Mosis, während jener auf der Stufe Hidrs ist", hörte ich einen tür- kischen Mystiker über zwei Fromme sagen. Diese, sich durch Jahre hinziehende Entwicklung über die - bei IBN=ARABIvorgebildeten -Stufen der verschiedenen Propheten, liegt vielleicht auch in solchen Aussprüchen des Yunus vor, wenn wir nicht an eine allgemeine, alles umfassende Einheitserfahrung denken wollen, die ihm für einen Augenblick das Bewußtsein schenkte, vor der Schöpfung dagewesen zu sein, der den Koran Diktierende und der Koran selbst zu sein. Das Be~vußtsein, daß einerseits „die beiden Welten ganz voll von Gott" sind (282), andererseits der gesuchte Freund im menschlichen Herzen verborgen liegt, konnten natürlich zur Gleichsetzung des Herzens und des Alls führen. Daß auf dieser Stufe die Unterschiede zwischen Glaube und Unglauben fallen, ist aus den Äußerungen der meisten Mystiker bekannt. Und für den muslimischen Mystiker, der in Mu- hammad den „Geliebten Gottes'' und die letzte und höchste Entfaltung des in den anderen Propheten zwar vorhandenen, aber noch nicht voll erstrahlenden göttlichen Lichtes sieht, ist es leicht, zu sagen daß „sein Herz ein Kloster für christliche Mönche,. . . die Tafeln der Tora,

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das Buch des Korans" sei, wie es IBX'ARAB? in seinem vielzitierten Vers tut 2 0 ) . Die auf jener höchsten Stufe zu erreichenden verschiede- nen Erscheinungsformen werden von Yunus Emre ebenso u'rie von seinen Zeitgenossen und Nachfolgern, und in ermüdender Häufigkeit bei den Sindhi-Dichtern, durch die verselange fortsetzte Gegenüber- stellung „Bald bin ich dies . . . bald tue ich das . . ." etc. angedeutet; wie Gott auch stets als der alles Gegensätzliche Tuende besungen wird.

Ein Gedicht Emres hat seit langem die Aufmerksamkeit der Leser auf sich gezogen; es ist das sog. tekerletize (Anhäufung verschiedener unmöglicher Erzählungen, die sich reimen; auch Eingang zu Märchen)

Ich stieg auf den Pflaumenbaum, um dort Weintrauben zu ernten -Der Herr des Gartens sprach zu mir: Warum ißt du meine Nuß?

und dessen Zeile „Der Fisch ist auf die Pappel gestiegen, um dort Pechsülze zu essen" noch heute sprich~vörtlich venvendet wird --,,wenn der Fisch auf die Pappel steigt", d.h. ,,niemalsH heißt es im Umgangstürkisch: vielleicht mag eine solche schon vorhandene Redens- art sogar Yunus zu seinen Versen angeregt haben. Das Bild begegnet jedoch auch bei K A B ~ Rin Indien, der im Gedicht vom alles umfassen- den Feuer schreibt: „Der Ozean ist in Flammen, die Flüsse zu Kohle geworden - Kabir ist erwacht und hat gesehen, daß der Fisch auf den Baum gesprungen ist" 2 1 ) . Die Deutung des Gedichtes ist un-sicher -NIYAZI MISRI, der in vielen Gedanken von Yunus abhängig

20) E s darf jedoch nicht übersehen werden, daß eine Gruppe von islamisclien Mystikern nicht in diesem Xlleinlieitsbemußtsein das letzte Ziel sieht, sondern in dem Ubersclireiten alles Denk- und Erfalirbaren, in der LTereinigung mit dem Cadam, dem ,,positiven Nichtsein" (vgl. H. L. Sujztt, Islatu tasavvufunda Hicegan Hanedani, Istanbul 1gj8 - eine Einleitung in den ,,nördlichenv Typ der is-lamischen Mystik, von dem er sagt: „Die Eigenheit, die sie von den Mystikern in den übrigen Gebieten trennt, ist, daß sie in ihrem Temperament, ihrem iliandel, ihren \\'orten und Llrerken die ,,Absolutsetzung" und .,Abwesenheit". die Entwerdung und Vernichtung, das Entselbsten und ähnliche höhere mystische Begriffe entdeckt haben, und von den zweitrangigen Ansichten der südlichen Schule, wie bIonismus, Vereinigung, Liebe, Schönheit, Schau, Einheitsbekenntnis usw. entfernt geblieben s ind . . ."; ders., Fakir Sözleri, Istanbul 19j8: ,,Suche einen Gott, der nicht in der Gottheit Raum hat" (S. 18).

21) Clz. Vaz~deville, Kabir Granthavali (Doha) Pond&clierry 1957, Gedicht No. 12.

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ist 2 2 ) , hat in1 17, Jhd. einen umfangreichen mystischen Kommentar zu diesen Versen geschrieben:

Mit diesem Vers ist beabsichtigt darzulegen, daß jeder Bauni der Taten eine besondere Ar t von Früchten hat. Wie nun im Äußerlichen jede Fruclit einen ilir eigenen Bauni hat, so hat jede Handlung ein ihr eigenes Instrument, durcli das man sie erreichen kann; so sind z.B. zum Erreichen der außeren \liissen- schaften die Sprache, Grammatik, Syntax, Logik. Literatur, Scliolastik, Rhetorik, Recht, Cberlieferung, Koranauslegung, Philosophie und Astronomie die Instru- mente. Zur Erlangung der inneren \\'issenschaft hingegen sind Instrumente die dauernde aufrichtige Hingabe und fortwährendes Gottesgedenken und der ,.innere Leiter", wenig Speise, wenig Rede, wenig Schlaf, Entfernung von den Menschen. Cnd zum Erlangen der \\!irklichkeit ist das Instrument das \-erlassen der \\!elt, das Verlassen des Jenseits (d.h. der T7erzicht auf Interesse an dieser und jener \\.elt) und das T-erlassen der Existenz.

Nun weist der hochwürdige Heilige mit ,,Pflaume“, ,,\Veintraube" und ,,Nußfl auf das äußere Gesetz (Sarica), den mystischen Pfad (tariqa) und die Wahr- heit (lzaqiqa) hin. Denn man ißt das Äußere der Pflaume, aber nicht ihr Inneres. -411es, was wie die Pflaume ist, entspriclit dem Äußerlichen der Handlungen. Die \\-eintraube aber wird gegessen, und viele angenehme Dinge entstellen aus i h r : \\'urst, Fladen, eingedickter Saft , Essigfrüchte, Essig und alinliches und noch viele andere gute Dinge. Aber da in ilir noch einige Kerne von Heuchelei, guterii Ruf, Eitelkeit und Reinigung vorhanden sind, nennt riian es „innere Handlungen", aber noch nicht ,,\\!ahrheit". Die Yuß aber ist gaiiz und gar eiii Symbol der TValirheit. Im Inneren der Nuß gibt es absolut nichts, was weg- geworfen würde. Ihr Inneres wird ganz verzehrt, und fü r wie viele Krankheiten und Erkrankungen ist sie ein Heilmittel ! . . . Der Garteiibesitzer ist der voll-konlene geistige Le i t e r . . . Der hfeiisch kann ur mit seiner Hilfe die verschiedenen Früchte unterscheiden und schließlich zur \\!ahrlieit gelangen.. ." ustv.23)

IYir haben die Freude an tekcvlc~11c.s auch bei anderen türltischen Dichtern, besonders bei KAYGL-srzABDAL,dessen berühmtesten Gr-dicht dieser Art beginnt

Kaplu kaplzt bagalar kanatlatzt?zZj uc~?zaga . . . „Die Schild-krö-kröten haben sich beflügelt, um zu fliegen . . .

22) Xiya-i Misri hat, ebenso wie Isrnail Hakki Bursali, einen Koiuiuentar zu der sog. risäle-yi nuslziye Yunus Emres verfal3t (ed. Burlian Toprak, 1931, als 3. Teil seiner Yunus Emre-Ausgabe). Uber eventuelle Beziehungen Yiyazi hlisris zu den Dönme vgl. Graetz, Monatsschrift für Gescli. U. \\!iss. des Judentun-1s 1884, S . 60 ff . , und Gordlcvksy, Islamica 11, G. Sclzolent, Z ION YI, 1941. (Für den Hinweis danke ich R. J. Z . \\'erblo~vsky). T7gl. ferner die noch ungedruckte Bonner Dissertation von Irmgard Glock über Niyazi Misri (19j1).

23) H a ~ ~ z z aTälzir, at-tasavvuf aS-hcbi fi' 1-adab at-turki (Magalla Kulliyatu '1-k13h. ICaii-o Dez. r g ~ o ) .hrinfit den \-ollstindigen türkiszhen Komriientar mit

. . .ar;!.>i.i,ie; i;;ei:~ciziiiig.

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Yunus Elizrr 29

Auch ÜMMI SINAN, der mystische Lehrer des obengenannten NIYAZI, hat tekerlemes verfaßt. KAYGUSUZ ABDAL, der neben Yunus einer der führenden Dichter des Bektaschi-Ordens ist und dem man die Grün- dung des Bektaschi-Klosters in Kairo zuschreibt, dessen Leben aber sonst zu sehr von Legenden überwuchert ist, als daß wir ihn als Persönlichkeit fassen könnten - dieser KAYGL-srz hat in seinen Ge- dichten öftmals zwischen grobem Realismus und einem fast modern anmutenden Surrealismus geschwankt - so in den wenig mystischen Schilderungen seiner Liebesabenteuer, in den ,,FreßgedichtenH oder in dem amüsanten Gedicht von der Gans (die man hier immerhin noch als Symbol der Triebseele ansehen könnte, die sich auch in der vierzig- tätigenen Läuterungsperiode nicht bessern will) -

Das Holz zerhackten unser acht, Neun haben's Feuer angemacht -Die Gans hebt ihren Kopf und lacht: Vierzig Tage kocht' ich sie; sie wurde doch nicht gar!

Ob es sich in diesen tekerlemes wirklich um tiefe mystische Weis- heiten handelt, wie NIYAZI MISRI ausgeführt, ob sie in das Gebiet jener ,,Geheimsprachen der Sufis gehören, auf die GOLDZIHER und BAL-SANI2 4 ) aufmerksam gemacht haben und die zur Verhüllung der mystischen Wahrheit als notwendig angesehen wurden, ob es sich um den Ausdruck jener mystischen Erfahrung handelt, in der alle Sinnesfunktionen vertauschbar erscheinen, ob um eine kindliche Freude an den grotesken Schilderungen (vgl. unser ,,Ich will euch erzählen und will nicht lügen"), oder aber, was zumindest für KAYGU~LTZ ABDAL nicht von der Hand zu weisen ist, um die Produkte des Haschischgenusses ( G ~ L P ~ N A R L ~ hat ja darauf hingewiesen daß ,,kay-gusuz „sans souci" ein Deckwort für „Haschisch" sei): eine end- gültige Anwort auf diese Frage lionn noch nicht gegeben werden; KAYGL-suz ABDAL selbst, der eines seiner Ghazelen mit den TIiorten

Krumrn und Schiefes rede ich, grüne Pflaume jedes Wort

24) I. Gold:,-ilzev, Linguistisches aus der Literatur der muliammedanischen Mystik, ZDMG 261765; Hinweis auf Bloclzcf Cat. htss. Persans Paris I1 246 Dictionnaire de la langue balabailan, 333 f f . ; vgl. A. Bnz~ran!,Persia Religiosa S. 337 f f . - A. Gölpinavli, Yunus Emre Divani S. 679, Hinweis auf die Baralc Baba Kisalesi, die Hag& Bekta9 zugeschrieben wird.

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beginnt, schließt das Schildkrö-krötengedicht mit der Frage:

O b du mit so vielen Lügen JVohl ins Paradies eingehst ?

17on Yunus Emse ist, wie gesagt, nur ein einziges t rker l r?~ l rvor-handen. Aber nicht nur bei dieser Ar t der - scheinbar unsinnigen -Gedichte, sondern auch bei einer großen Anzahl tiefer mystischer Verse stellt sich dem Leser un~villkürlich die Frage, wie sie ent-standen sein mögen. Die meisten 1-on ihnen sind sicherlich nicht -wie es bei der höheren persisch-türkischen Poesie der Fall ist - das Ergebnis einer sorgfältigen verstantlesmäßiger Arbeit, die ihr vor-nehmstes Ziel darin fand, die l<lassischen n\iotive in immer verfeinerten Formen zu wiederholen, die Realität hinter einem höchst sublimen Schleier von Symbolen zu verstecken lind das indi~-iciiielle Erlebnis zu entpersönlichen, den arabesken-ähnlichen schattenlosen Figuren der Afiniaturmalerei vergleichbar. Dei Yunus und seinen Nachfolgern dürften wir zu eineln großen Teil eine inspirierte Dichtung vor uns haben, wie sie bei den Ilystikern häufig ist und uns bekanntlich auch f ü r die Entstehung vieler Ghazelen und mancher Partien des Illethnelr-i von ? ~ ! ~ A C L X N ~RFIII bezeugt ist, in dessen Lyrik man gelegentlich noch nachfühlen kann, wie sich das eintönige I<lapl>ern des llühlracies von Ricram oder der Rhythmus der Goldsclimiedehä1n1ner iln Bazar von Konya fast unbe~vußt in Poesie umsetzte. Zu dem Ergriffen- \\-erden des mystischen Dichters haben wir jedoch auch in der heutigen Türkei einige typische Beispiele: der interessanteste Fall ist der des sog. „Xeuen Yunus E n r e " *j), eines Schlossers aus Xdana (geb. 1899), der lnit Mühe einige IVorte in alter und neuer Schrift lesen, aber kau111 mehr als seinen Namen schreiben kann. Seit 1940 ~viederholen sich bei ihln die Inspirationen iilehr oder ininder häufig; sie \r~urden zunächst X-on e ine~n Mann bemerkt, der die Eisenbahnwerkstatt, wo I S ~ I A I LLIRE dann wurde das llhänomen be-arbeitete, reinigte; kannter, und die Umstehenden bemühten sich sogleich, die mit ein- iachen llelociien vorgetragenen 1,ieder aufzuzeichnen. Ich selbst \var Zeuge, wie zwei solche Gedichte „geborenn wurden (man nennt sie auch do!pt;, „Geburtn): ain I j. Dezember 1955, in einem ungeheizten Auto auf der Streclii. nach Konya, bci einer Außentemperatur von

25) Is~ilailLi~ii-c:Yeni Yunus Einre Ye Dogii~lari.ied. Sevliet Icutlinn) Istnnbul r9j1, 672 C. I3is zum 19.2. 1gj1 waren 119; (>etlicl~te aiiigezeichnet worden!

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etwa -3' C. begann EJIRE, der neben dem Chauffeur saß, plötzlich zu singen; einer der fünf Mitreisenden schrieb die Verse auf ; inner- halb von 20 Minuten waren zwei lange Gedichte im volkstümlichen silbenzählenden hIetrum, in dem bei I S ~ ~ A I L vorzugsweise ver- EMRE vvendete Reimschema aaxa entstanden, und gleichzeitig \\-ar durch die innere Erregung das Wageninnere so heiß gell-orden, daß die Fenster dick beschlugen und wir die restlichen 90 km bis Iconya nicht mehr froren. EHREerinnerte sich nicht mehr an das, was er gesungen hatte. E s ist verständlich, daß dieser Volkssänger eine treue Gemeinde gefunden hat, wenn e r auch von der Orthodoxie argcvöhnisch be- trachtet wird. Doch ist in Anatolien die f ü r uns oft überraschende Offenheit fü r sogenannte übernatürliche Phänomene ganz natürlich; teils wohl aus der Einsamkeit der Landschaft erklärbar, teils aus der jahrhundertelangen Schulung durch die Der\\-ischorden. Kardiognosie (f irasct) , prophetische Traume (die in der islamischen Theologie ihre Stütze finden), Telepathie waren in den mir bekannten Kreisen durch- aus geläufige Erscheinungen. Aus dem Kreise um ERZREI S ~ ~ A I L ist mir das Phänomen des unbexvußten Singens und Dichtens bei einer einfachen Frau aus Gaziantep begegnet, die dem Shäcbiliya-Orden nahestand und, freilich in primitiverer Weise, gelegentlich Lieder r o n sich gab. Doch auch unter den Gebildeten findet sich gelegentlich eine ähnliche Erscheinung: ein Bekannter, der eine hohe Stellung bei einer Bank innehatte, er\\-achte hie und da morgens gegen vier Uhr, malte Kreise auf das immer bereit liegende Papier und schrieb dann in kürzester Zeit ein mystisches Gedicht, das gelegentlich sogar gram- matisch korrekte JTendungen in den ihm unbekannten Persisch ent- hielt und stilistisch, obgleich in dem typischen Vierzeilen-Maß ge-schrieben, sehr viel komplizierter 11-ar als die einfachen, volkstümlichen Verse I S A I ~ ~ I L EIIRES; die genauen Datumsangaben erlaubten auch hier eine Kontrolle, wie weit von gegenwartigen, wie weit von zukünftigen Ereignissen (auch das kam r o r ! ) die Rede n a r 2 6 ) . I n Ankara war in den vierziger Jahren ein ahnlicher Fall bekannt, dessen Ergebnisse - z.T. sehr schone mystische Verse - in den sogenannten zäridüt-i S ~ ~ l c y i ~ z ä i zdes E s ~ s BEHICKORYUREKvorliegen, die von dein tole-

26) 17gl. Tztrgzit .4kkas, Öz Kaynak, Ankara 1957; und die votli gleichen Herausgeber seit Mai 1951 piihlizierte mystiscii-spiritistische Zeitsciirift 1 6 L'nrlik, die manciies psychologiscii Interessante enthält.

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32 Annemarie Schiinincl

ranten Mystiker OMER FEVZIMARDIN kommentiert worden sind: 2 7 )

freilich war hier, wie auch in ähnlich gelagerten Fällen, eine Ver- bindung zum Spiritismus gegeben: in gewissen spiritistischen Zirkeln innerhalb der Societk von Ankara wurde in leicht veränderter Form vieles bewahrt, was einstmals in den Orden gelehrt worden war, und alte Volksfrömmigkeit lebte dort unter einer pseudo-wissenschaft- lichen Hülle weiter.

Die Gestalt Yunus Emres steht dabei immer mehr oder minder deutlich im Hintergrund. Wie sich sein Stil in der Ordensdichtung durch die Jahrhunderte hin gehalten hat, so ist auch die modernste, nicht mehr religiös gebundene Dichtung der Türkei ohne seinen Ein- fluß - den Einfluß der schlichten und plastischen Volkssprache -zu denken. Um die Erinnerung an Yunus Emre wachzuhalten, ist nicht nur das große Oratorium ADNAN SAYGUSS komponiert worden, es besteht auch eine Yunus Emre-Gesellschaft, die ihren Sitz in Es- kicehir hat und mit deren Hilfe in der an der Eisenbahnstrecl<e Es- kigehir-Ankara liegenden Ortschaft Yunus Emre ein Grabbau für den Dichter errichtet worden ist, obgleich sich um die Lokalität seines Grabes zahlreiche Orte gestritten haben. Hier wird am ersten Mai-Sonntag eine festliche Zusammenkunft abgehalten, ähnlich, nur ein kleinerem Maße, wie am 17. Dezember in Konya am Grabe MAULÄNÄ Rü~ris.Durch Veröffentlichungen sucht man die Gedanken Emres noch weiter bekannt zu machen.

Hier zeigt sich die starke Lebenskraft, die den mystischen Strömun- gen in der Türkei innewohnt, auch nachdem die Regierung 1925 die Klöster geschlassen, die Orden verboten hatte. Dieser Schritt Atatürks ist oft l<ritisiert worden. Aber selbst eine so glühende Mystikerin wie S A ~ I I H AAYVERDI, die in ihrer Schilderung der Derwischl<löster Üs- küdars wohl die poetischste und tiefste Deutung dieser Institutionen gegeben hat, muß gestehen, daß der Schritt unumgänglich nötig war:

Aber diese Institution, die eine Zeitlang in derart gedeihlicher und segens- reicher Riclitung sich entwickelt und derartig großzugig der Erde Muster- menschen geschenkt hatte, veranderte langsam Aussehen und ii7esen und gelangte zuletzt zu einer Zeit des Niederganges, so daß die Erziehungs-faliigkeit, die eine ilreile der Gemeinschaft die auserlesensten, vorbildlichsten

27) Vdridät-i Süleytiiun Sehri, Istanhul 1951, 3 Bd. Der 1949 verstorbene, im Außenministerium beschäftige Enis Behic sprach im Namen eines vor mehreren hundert Jahren in Trabzon ansässigen Mannes Sülegman Celebi.

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Yunus Enlrc 3 3

Elemente geschenkt hatte, unfruchtbar geworden war, und kein Segen mehr in ihr blieb. Die Klöster, die jahrhundertelang als Akademien der Künste und Wissenschaften detn Fanatismus die Stirn geboten hatten, verloren, nachdem jener reichlich strömende Fluß zum Stillstand gekommen war, auch ihre anderen Gedankenelemente und Prinzipien eines nach dem anderen, ja, sie sanken auf ein solches Niveau ab, daß sie sich nur noch auf Kosten der Gesellschaft durchschlugen, und hoten innerlich und äußerlich den An- blick eines Faulenzerheimes. So hielt es schließlich der Wille, der eine Zeit- lang ihr Entstehen und ihre Entwicklung gesichert hatte, für angemessen, sich in Form eines staatlichen Eingriffes zu manifestieren.. . 2 8 ) .

Vielleicht hat dieser Schritt erst die Möglichkeit dazti gegeben, daß die tiefreligiöse Literatur noch mehr als Eigentum des ganzen Voll<es angesehen wurde, daß Yunus Emre fast als Nationaldichter erklärt werden konnte. Losgelöst von von den Äußerlichkeiten des Ordens- leben, gewann die Gestalt Yunus Emres ganz neues Leben, und die Entwicklung hat RICHARDHARTXIANN vorrecht gegeben, der mehr als 30. Jahren nach einem Besuch in Konya schrieb: „Es ist verständ- lich, daß die Zeit den Verzicht auf ein im Grunde unwahres Kom- promiß zur Notwendigkeit machte. Und die letzten inneren Werte, die in der seltsam rauhen Schale des Derwischtums verborgen lagen, sie können von dem Verbot, das doch nur äußeren Ordnungen gilt, nicht getroffen werden'' 2 9 ) .

Yunus Emre ist wohl das beste Beispiel für diese innere Lebens- kraft der islamischen Mystik im türkisvmen Bereich; denn unge-schwächt tönt das Echo seines Rufes:

Die Lieb zu dir nahm mich von mir -Ich brauche dich, nur dich allein!

Ich brenne Tag wie Nächte hier -Ich brauche dich, nur dich allein. . .

Und wollt man mich dem Tode weihn, Die Asche in die Himmel streun, So würde dort mein Staub noch Schrein:

Ich brauche dich, nur dich allein.

28) Istanbul Geceleri, Istanbul 19j2, S. 183. 29) R. Hartmann, Im neuen Anatolien, Leipzig 1927, S. 109.


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