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Barmen V und das Verhältnis der Kirche zum Staat Wie beschreibt die fünfte These der Barmer...

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1 Bonn, 10.06.2015 Prof. Dr. Andreas Pangritz / Dr. Matthias Grebe Proseminar: Zur Barmer theologischen Erklärung vom Mai 1934 (Sommersemester 2014) Barmen V und das Verhältnis der Kirche zum Staat Wie beschreibt die fünfte These der Barmer Theologischen Erklärung das Verhältnis der Kirche zum Staat? Kann die Formulierung heute noch als zeitgemäß gelten? Vorgelegt von Ayfer Dagdemir Rheingoldstr.5 53179 Bonn [email protected] KF: Evangelische Theologie und Hermeneutik NF: Katholische Theologie FS: 4
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Bonn, 10.06.2015

Prof. Dr. Andreas Pangritz / Dr. Matthias Grebe

Proseminar: Zur Barmer theologischen Erklärung vom Mai 1934

(Sommersemester 2014)

Barmen V und das Verhältnis der Kirche zum Staat

Wie beschreibt die fünfte These der Barmer Theologischen Erklärung

das Verhältnis der Kirche zum Staat? Kann die Formulierung heute

noch als zeitgemäß gelten?

Vorgelegt von

Ayfer Dagdemir

Rheingoldstr.5

53179 Bonn

[email protected]

KF: Evangelische Theologie und

Hermeneutik

NF: Katholische Theologie

FS: 4

2

Inhaltsverzeichnis

Einleitung……………………………………………………………………………...………3

1. Das Verhältnis der Kirche zum Staat in Barmen V …………..…………….…...........4

1.1 Das Corpus der Barmer Theologischen Erklärung.................................4

1.1.1 Der Eingangstext………………….……………………………………….5

1.1.2 Die Zusammenfassung der sechs Thesen……………………..………5

1.2 Text und Sinn von Barmen V…………………...……………...…………..6

1.2.1 Der vollständige Text von Barmen V……………………………………6

1.2.2 Schriftzitat [S]: Fürchtet Gott, ehrt den König ………………………….7

1.2.3 Die Affirmation [A]…………………………………………………………8

1.2.4 Die Verwerfung [V]………..…...…..….………………………………...10

1.3 Fazit ….……………………………………………………………………..11

2. Deutung und Bedeutung von Barmen V für die Gegenwart - Kann die

Formulierung heute noch als zeitgemäß gelten?.......................................................12

Literaturnachweis……………………….………………………………………….……….15

3

Einleitung

Die Staatsnähe des Protestantismus im preußischen Kaiserreich war ursprünglich

machtpolitischer Schutz gegen die katholische Konterrevolution. Historisch war diese

Nähe zum Staat aus dem politisch-theologischen Prozess der „Selbstfindung“

gewachsen, die die Säkularisierung - im Sinne der Abschaffung jeglicher Hierarchie1

- als Grundstein protestantischer Identität bis in die Gegenwart des

Nationalsozialismus getragen hatte.

„Die aus der Reformation stammenden deutschen Kirchen schauten 1933/34 auf

eine jahrhundertealte Tradition der vertrauensvollen Zusammenarbeit von Obrigkeit

bzw. Staat und Kirche zurück.“2

Doch diese Staatsnähe schien der evangelischen Kirche zur Zeit des

Nationalsozialismus innerprotestantisch zum Fallstrick zu werden, den Barmen V

zusammen mit Barmen II zu überwinden versucht.3

Die Vor- und Entstehungsgeschichte und schließlich ihre zentrale Bedeutung für die

protestantische Existenz im neuen nationalsozialistischen Staat zeigen, dass die

Barmer Thesen - im Angesicht eines totalitären Staates und in der

Auseinandersetzung innerkirchlicher Querelen - als eine der wichtigsten kirchlichen

Erklärungen des 20. Jahrhunderts gelten.4 Die unter dem Druck von Reichskanzlei,

Parteistellen wie Ministerien entstandene Verfassung der DEK (Deutschen

Evangelischen Kirche) als rechtliche Grundlage wies weder dem Staat, noch der

Kirche einen eindeutigen Handlungsbereich zu. „Eine gemeinsame evangelische

Lehre über das Staatsverständnis nach Schrift und Bekenntnis gab es nicht“5.

Die Machteroberung der Nationalsozialisten im Januar 1933 , die den bisherigen

Verfassungs- und Rechtsstaat der Weimarer Republik politisch bedrohlich schnell

beseitigte und nach der man die Gleichschaltung mit den DC (Deutschen Christen) in

eine „zentral gelenkte ‚Evangelische Reichskirche lutherischer Prägung‘“6

befürchtete, erforderte eine innerkirchliche Bekenntnisfront gegen den totalen

1 Vgl. Gottfried Maron, Der Bauernkrieg, in: TRE, Band 5, 1980, 319-338. 2 Wilhelm Hüffmeier, Für Recht und Frieden sorgen, Gütersloh 1986, 27. 3 Vgl. Johannes Wallmann, Kirchengeschichte Deutschlands, Tübingen 2012, 268-272. 4 „Zum ersten Mal seit dem 16. Jahrhundert kamen Glieder der lutherischen, reformierten und unierten Kirchen […] zusammen […]“, Matthias Krieg, Reformierte Bekenntnisse, Zürich 2009, 116. 5 Hüffmeier, Für Recht und Frieden sorgen, 25. 6Martin Heimbucher/ Rudolf Weth (Hg.), Die Barmer Theologische Erklärung, Neukirchen-Vluyn 2009, 33.

4

Anspruch der Reichskirchenregierung mit Ludwig Müller an der Spitze und der Partei

der DC auf die Deutung des Evangeliums in einem nationalsozialistischen Sinne.

Dieser Kirchenkampf, der zum einen gegen die Errichtung einer staatskonformen

Nationalkirche seitens der DC zu führen und andererseits für ein gemeinsames

Bekenntnis evangelischer Wahrheiten lutherischer, reformierter und unierter

Gemeinschaften zu formulieren war, führte zu den sechs Barmer Thesen, die einen

Grundsatz reformatorischen Bekenntnisses aller Richtungen bilden sollten –

vergleichbar mit den Vier Soli7.

Die zu behandelnde fünfte These als eine „nur theologische Rede“8 im

Spannungsverhältnis von Kirche und Staat mit der Fragestellung des Verhältnisses

zueinander soll hier nun im Folgenden durch eine knappe Textanalyse erarbeitet, auf

ihren systematisch-theologischen Inhalt hin untersucht und nach ihrer Relevanz für

die Gegenwart abgefragt werden.

Dabei stütze ich mich vorwiegend auf das Votum der Evangelischen Kirche der

Union (EKU) von 1986 zur fünften Barmer These, die der Theologische Ausschuss

vom 7.-10. Juni unter dem Titel Für Recht und Frieden sorgen – Auftrag der Kirche

und Aufgabe des Staates nach Barmen V behandelt.

1.1. Das Corpus der Barmer Theologischen Erklärung

Die Barmer Theologische Erklärung (BThE) besteht aus einer Einleitung, sechs

Thesen und einem Schlusswort. Auch wenn das Einbringungsreferat9 von Hans

Asmussen nicht direkt zum Corpori der BThE gehört, ist es für die

Gesamtinterpretation der Thesen als Sitz des Lebens wesentlich. Um Barmen V

besser zu erfassen, sei hier der Eingangstext zum Corpori zitiert und die Thesen

selbst in ihren Kernaussagen paraphrasiert.

1.1.1 Der Eingangstext: 7 Sola scriptura, solus Christus, sola gratia, sola fide. 8 Hüffmeier, Für Recht und Frieden sorgen, 33. 9 „Denn von der ersten Stunde an galt Asmussens Referat als ‚ein gut lutherischer Kommentar zu einem gut reformierten Text.‘“ J. Mehlhausen, Vestigia Verbi, 1998, 506.

5

„Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen

Evangelischen Kirche

Die Deutsche Evangelische Kirche ist nach den Eingangsworten ihrer Verfassung

vom 11. Juli 1933 ein Bund der aus der Reformation erwachsenen, gleichberechtigt

nebeneinanderstehenden Bekenntniskirchen. Die theologische Voraussetzung der

Vereinigung dieser Kirchen ist in Art.1 und Art.2,1 der von der Reichsregierung am

14.Juli 1933 anerkannten Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche

angegeben:

Art. 1:

Die unantastbare Grundlage der Deutschen Evangelischen Kirche ist das

Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift bezeugt und in den

Bekenntnissen der Reformation neu ans Licht getreten ist. Hierdurch werden die

Vollmachten, deren die Kirche für ihre Sendung bedarf, bestimmt und begrenzt.

Art.2:

Die deutsche evangelische Kirche gliedert sich in Kirchen( Landeskirchen) “10

1.1.2 Die Zusammenfassung der sechs Thesen

Die fünfte These ist zusammen mit der zweiten im Grunde die theologische

Ausführung der Schrift und für die Hermeneutik der BThE wesentlich. Die ersten

beiden Thesen (I, II) sind christologischer und die Thesen III-VI ekklessiologischer

Natur. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen:11

I. Jesus Christus gilt als Das Eine Wort Gottes – (Joh14, 6 und Joh10,19):

Keinen anderen Mächten, Gestalten und Wahrheiten außer Gottes

Offenbarung soll man dienen.

II. Jesus Christus als der alleinige Herr des Lebens mit Zuspruch und

Anspruch auf den Menschen - Kor 1,30: Keinem anderen Herren sei

gehorchend!

III. Die Kirche als Gemeinde von Brüdern, ihre Wahrheit und ihr umfassender

Zeugnisauftrag – Eph 4,15.16: Gestalt und Botschaft der Kirche kann

keiner politischen Überzeugung angepasst werden.

10 Heimbucher, BThE, 2009, 33. 11 Heimbucher, BThE, 35.

6

IV. Die Ämter der Kirche bedeuten nicht Herrschaft über andere, sondern

Dienst an anderen – Mt 20,25.26: Folglich ist kein Herrschaft

beanspruchender Führer notwendig.

V. Die Aufgabe des Staates und das Verhältnis der Kirche zum Staat: Recht

und Frieden als göttliche Anordnung an den Staat – 1.Petr 2,17 – Staat ist

keine totale Ordnung für menschliches Leben und Kirche ist kein Organ

des Staates!

VI. Der Auftrag der Kirche: die Ausrichtung der Botschaft von der freien Gnade

– Mt 28,20 und 2.Tim 2,9: Kein Missbrauch des Einen Wortes durch

menschliche Selbstherrlichkeit.

Schlusswort: Die Bekenntnissynode im Bund der Bekenntniskirchen erklärt die BThE

als unumgängliche theologische Grundlage der DEK - als „conditio sine qua non“.12

Den Abschluss der Bekenntnisschrift bildet eine Reminiszenz an 1. Petr 1,25 (= Jes

40,8), die das Wort Gottes als absolute Macht setzt: Gottes Wort bleibt in Ewigkeit

(Verbum Dei manet in aeternum)13.

1.2 Text und Sinn von Barmen V

Wie alle sechs Thesen insgesamt ist auch die fünfte formal in drei Einheiten

untergliedert:

- Die Schrift [S] (Vgl. 1.2.2)

- Ihre Ausführung [A] / affirmatio (Vgl. 1.2.3)

- Ihre Verwerfung [V] /damnatio (Vgl. 1.2.4)

1.2.1 Der vollständige Text von Barmen V

[S] „Fürchtet Gott, ehrt den König.“ (1. Petr 2,17)

[A1] „Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat,

in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß

menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und

Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. [A2] Die Kirche erkennt in

12 Heimbucher, BThE, 51. 13 Heimbucher, BThE, 43.

7

Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. [A3] Sie

erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die

Verantwortung der Regierenden und Regierten. [A4]Sie vertraut und gehorcht der

Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.

[V1] Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen

besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens

werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen. [V2] Wir verwerfen die

falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag

hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit

selbst zu einem Organ des Staates werden.

1.2.2 Schriftzitat (sola scriptura) [S]:

„Fürchtet Gott, ehrt den König.“ (1. Petr 2,17)

Dem reformatorischen Schriftprinzip folgend wird hier das Bibelzitat in geradezu

antithetischem Parallelismus als un-mittelbarer Imperativ des Glaubens - anders als

traditionell nach- vorangestellt, um auf der Ebene der Wirkung größtmöglichen

Handlungsgehalt zu schaffen. Das „Eine Wort Gottes“ [T1] ist die unbedingte und

absolute Größe. Auch die Referenz auf die Bibelstelle 1. Petr 2,17 weicht von der

theologischen Tradition ab (so z.B. Röm 13,1-7) und gibt ein neu zu konstituierendes

Verhältnis von Kirche und Staat vor. Historischer Ausgangspunkt und gemeinsame

Voraussetzung der Bekennenden Kirche waren nur in der Rückbindung auf Das Eine

Wort Gottes primär als innerkirchliche Grundsätze über Staat und Kirche

auszusprechen.

Das Schriftzitat vermeidet die bisherige lutherische Lehre von den zwei Reichen, den

Asmussen in seinem Vortrag zur BThE aufgreift: „Beide, Staat und Kirche, sind

gebunden, diese im Bereich des Evangeliums, jener im Bereich des Gesetzes.“14

Hier aber soll weder ein untertäniger Gehorsam, noch eine Beziehungslosigkeit zum

Staat zum Ausdruck gebracht werden, sondern aus dem Bibelwort soll die Rangfolge

der Bindung an Gott vor dem Staat abgeleitet sein. Auch ist der historische Kontext

der zitierten Schrift analog dem der Bekennenden Kirche, deren Mitglieder wie

14 Heimbucher, BThE, 60.

8

Asmussen im Einbringungsreferat konstatiert, als „ Rebellen verdächtigt“15 werden,

oder im Sinne von 1Petr 2,12, wo Christen "als Übeltäter verleumdet" werden. Der

Sitz im Leben ist beide Male so definiert, dass trotz schwieriger und widriger sozialer

und politischer Umstände, sich Menschen zu dem Einen Wort Gottes bekennen.

1.2.3 Die Affirmation (4Sätze)

Affirmation 1 [A1]:

„Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung16 die Aufgabe hat, in

der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß

menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und

Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen.“

Es ist die Schrift und damit Gott, der dem „Staat nach göttlicher Anordnung“ eine

„Aufgabe“ zukommen lässt. Sowohl die Kirche als auch der Staat stehen in

Abhängigkeit zu Gott, die gleichsam das „Unerlöst sein“ der beiden bedingt. Insofern

bleibt dem Staat durch entsprechende Legislative und Executive nur, konstitutiv

einen (Lebens-) Raum zu schaffen, in dem Recht und Frieden möglich werden. Dem

Staat selbst kommt kein eigenmächtiger Anspruch auf Vollkommenheit zu, da er ein

menschliches Gebilde ist. Das (Höchst-) Maß menschlicher Einsicht und

menschlichen Vermögens ist mit dem Einen Wort Gottes schon bewiesen, so dass

dem Menschen im Vergleich zu diesem Höchst (-Maß) seine Kreatürlichkeit bewusst

bleiben soll. Die theologische Ortsbestimmung ist die noch nicht erlöste Welt17, in der

sowohl der Staat als auch die Kirche stehen18. Das sich wiederholende Attribut

„menschlich“ setzt dem Staat Grenzen, denn „seine Rechtssetzung und

Friedenswahrung geschehen im Rahmen und in Grenzen menschlicher Vernunft,

d.h. sie müssen auf Erkennbarkeit und Einsehbarkeit angelegt sein.“19

15 Heimbucher, BThE, 59. 16 Nach Niemöller ursprünglich „Ordnung“ anstatt „Anordnung“, vgl. Niemöller, Erste Bekenntnissynode,106, FN 22. 17 Vgl. Hüffmeier, Für Recht und Frieden sorgen, 53. 18 Ganz anders lesen sich die Reichssätze der Glaubensbewegung Deutsche Volkskirche vom 18.11.1933:“[…] 5. Der Staat ist das Werkzeug Gottes zur Erhaltung des deutschen Volkes nach außen, die Kirche das Werkzeug Gottes zur Erhaltung des deutschen Volkes nach innen.“ (Heimbucher, BThE, 41). 19 Hüffmeier, Für Recht und Frieden sorgen, 55.

9

Affirmation 2 [A2]:

„Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner

Anordnung an.“20

Die Kirche als Verkünderin des Einen Wortes anerkennt den Staat als solchen an, für

dessen Anordnung die Kirche Gott dankbar ist, folgerichtig bleibt die Kirche vom

Staat unabhängig.

Affirmation 3 [A3]:

„Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die

Verantwortung der Regierenden und Regierten.“

Der Kirche obliegt es, sowohl die Regierenden als auch die Regierten21 an deren

Verantwortung zu erinnern, dadurch dass sie sich selbst Gottes Reich, Seinem

Gebot und seiner Gerechtigkeit verpflichtet weiß.

Affirmation 4 [A4]:

„Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.“

Der Schlusssatz der Affirmation, die an Hebr 1,322 erinnert, hat gleichsam eine

Schlüsselfunktion im Aufbau der fünften These: Zum einen stellt sie den Bogen zur

ersten These23 her und zum anderen leitet er schon die Antithese zu Barmen V ein,

20 Im Einbringungsreferat Asmussens heißt es abweichend: „[…] Die Kirche, frei in der Bindung an ihren Auftrag, begleitet mit Dank und Ehrfurcht gegen Gott den in der Bindung an seinen Auftrag ebenso freien Staat mit ihrer Fürbitte, aber auch mit der Erinnerung an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit.“ (Heimbucher, BThE, 59), zur Literarkritik vgl. auch Hüffmeier, Für Recht und Frieden sorgen, 56. 21 Nach K. Barth sind die „Regierten“ mit der „Bürgergemeinde“, gleichzusetzen, die von der „Christengemeinde“ als Gemeinschaft des Heiligen Geistes (Kirche) zu unterscheiden ist: „Die Bürgergemeinde hat mit der Christengemeinde sowohl den Ursprung als auch das Zentrum gemeinsam. Sie ist Ordnung der göttlichen Gnade, sofern diese – ihrem Verhältnis zum sündigen Menschen als solchen, im Verhältnis zu der noch unerlösten Welt – immer auch Geduld ist.“(Karl Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 1946, 10.) 22 Hebr 1,3: Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens; er trägt das All durch Sein machtvolles Wort, hat die Reinigung von den Sünden bewirkt und sich dann zur Rechten der Mäjestät in der Höhe gesetzt, Nestle-Aland, 2013, 657. 23 Wortlaut der Verwerfung der 1. These: Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte

10

die dem Staat zwar eine Existenz zuspricht, aber seine unbedingte Abhängigkeit vom

Wort Gottes konstitutiv ausformuliert.

1.2.4 Die Verwerfung (damnatio)

Verwerfung 1 [V1]:

„Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen

besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens

werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen.“24

Wie Asmussen in seinem Einbringungsreferat hierzu ausführt, kann totaler Staat nur

meinen, „ein Staat, der sich bemüht, innerhalb der von Gott gesetzten Grenzen das

gesamte Leben des Volkes zu umfassen“25, denn es gibt „kein irdisches Gesetz,

[das] mit Recht göttliches Gesetzt“ 26 brechen könnte, auch wenn versucht wird, „[…]

dass der Staat absoluter Herr ist.‘“27

Verwerfung 2 [V2]:

„Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren

besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde

aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.“

In der zweiten und letzten Verwerfung wird erst deutlich, dass die nähere

Bestimmung staatlicher Aufgaben notwendig ist, damit sich die Kirche zum Staat in

Beziehung setzen kann.

Barmen V schließt im Gegensatz zu den anderen Thesen mit zwei Antithesen, die

dem status confessionis besonderen Nachdruck verleihen. Während der erste

Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen. (Heimbucher, BThE., 37). 24 Auch hier hat Asmussens einen anderen Textlaut der Antithese V, vgl. Heimbucher, BThE, 60. 25 Ebd. 26 Ebd. 27 Eberhardt Busch, Die Barmer Thesen 1934-2004, Göttingen 2004, 7.

11

Verwerfungssatz kohärent zum Verwerfungssatz der ersten und zweiten These28 ist,

stellt der zweite schließlich die Inferenz aller vorangegangenen Thesen her.

So wie zu Beginn ihrer Geschichte die Protestanten sich gegen den römisch-

katholischen Klerikalismus gewehrt hatten, wehrt sich nun die Bekennende Kirche

gegen den politischen Messianismus.29

1.3 Fazit

Die fünfte These der Barmer Theologischen Erklärung beschreibt das Verhältnis der

Kirche zum Staat vor allem auf der Grundlage der zweiten These, in der der zentrale

Glaubensinhalt, dass Jesus Christus alleiniger Herr des Lebens mit Zuspruch und

Anspruch auf den Menschen ist, zum Ausgangspunkt des Handelns der

bekennenden Gemeinde wird. Während die Verwerfungsthese das Selbstverständnis

der Kirche, das Verhältnis zu sich selbst durch Abgrenzung vom Negativen definiert

und sich somit vorrangig und ausschließlich zur Direktive des Einen Wortes bekennt,

definiert die fünfte These von diesem theologischen Fundament ausgehend ihr

Verhältnis zum Staat, der unbedingt der An-ordnung Gottes unterliegt und somit

allenfalls in der Funktion einer Recht und Frieden schaffenden Macht auftreten darf.

Denn „wenn die Kirche den Staat skrupellos ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung

und Recht ausüben sieht, kommt sie in die Lage, nicht nur die Opfer unter dem Rad

zu verbinden, sondern ‚dem Rad selbst in die Speichen zu fallen‘“.30

Das Verhältnis der Kirche zum Staat wird gleichsam „von den das Wesen, die Gestalt

und den Auftrag der Kirche betreffenden Thesen III, IV und VI“31 umfasst. Im Hinblick

auf die Tradition der Lutherischen Zwei-Reiche-Lehre ist die fünfte These insofern ein

Novum, dass sie den „lutherischen Dual“ überwindet, indem sie dem Politischen

(Staat) gerade keine Eigenmächtigkeit zuspricht.32 Nach göttlicher An-ordnung ist es

Aufgabe des Staates, für Recht und Frieden zu sorgen, dabei hat die Kirche die

Rolle, den Staat an Gottes Gebot und Gerechtigkeit zu erinnern. Kirche und Staat

sind aufeinander positiv ins Recht gesetzt. Der Staat erfährt in der Definition von

28 Diese wiederum ist im Zusammenhang der Erklärung (März1934) der DC zu verstehen: “1. In Hitler ist die Zeit erfüllt für das deutsche Volk. Denn durch Hitler ist Christus, Gott der Helfer und Erlöser, unter uns mächtig geworden…“, (Heimbucher, BThE, 37). 29 Vgl. Hüffmeier, Für Recht und Frieden sorgen, 32. 30 Eberhardt Bethge, Dietrich Bonhoeffer, München 2005, 325. 31 Hüffmeier, Für Recht und Frieden sorgen, 52. 32 Wolfgang Huber, Was verantworten, Neukirchen-Vluyn 2009, 97.

12

Barmen V keine “indoktrinierende Mystifizierung“33, sondern eine klare

Aufgabenzuteilung. Neu in der reformatorischen Geschichte ist, dass der Staat nicht

mehr unter dem Oberthema Schöpfung, sondern Kirche subsumiert wird, d.h. “von

Barmen V her gesehen, können die Lehren von der Königsherrschaft Christi und die

lutherische Zwei-Reiche-Lehre nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden.“34

Hiernach hatte die Bekenntnissynode die Rechtsnachfolge des verfassungsmäßigen

Kirchenbundes sowohl gegen Reichskirchenregierung als auch gegen die DC

theologisch-politisch behauptet. Zu den hitlertreuen Deutschen Christen und ihrer

„Irrlehre“, wie Asmussen formuliert, könne nun keine Verbindung mehr bestehen.35

2. Deutung und Bedeutung von Barmen V für die Gegenwart - Kann die

Formulierung heute noch als zeitgemäß gelten?

Das in der BThE vom 31. Mai 1934 thematisierte Spannungsverhältnis zwischen

Kirche und Staat entsprang den konfessorischen Auseinandersetzungen der DEK

„um letzte Dinge“36 im Angesicht eines sich faschistisch anmaßenden Staates.

Der Druck heute ist nicht ganz so unmittelbar, aber - insofern der Sitz des Lebens der

evangelischen Kirche in einem gesellschaftlich plural und demokratisch gestalteten

Staat einer „erlösteren Welt“ näher ist, muss die evangelische Kirche globaler

argumentieren.

Trotz kontroverser Interpretationen, zeigt die Rezeptionsgeschichte37 von Barmen,

dass sie insgesamt “überall und zu allen Zeiten die klassischen Bedingungen eines

christlichen Bekenntnisses erfüllt“ (Evangelische Wahrheit)38, so dass für Christen

der Gegenwart die klassisch-theologische Formulierung des Verhältnisses von

Kirche und Staat aus Barmen V in verschiedenen Staats- und Gesellschaftsformen

auch in einem „modernen Sinn“ Anwendung gefunden hat – so z. B. in der Belhar

Confession.39

33 Hüffmeier, Für Recht und Frieden sorgen, 16. 34 Hüffmeier, Für Recht und Frieden sorgen, 57. 35 Vgl. Heimbucher, BThE, 46. 36 Heimbucher, BThE, 52. 37 Joachim Mehlhausen, Die Rezeption der Barmer Theologischen Erklärung in den evangelischen Landeskirchen nach 1945, Berlin 1999, 500-527. 38 Hüffmeier, Für Recht und Frieden sorgen, 7. 39 „Without Barmen there would have been no Belhar”, Matthias Krieg, Reformierte Bekenntnisse, Zürich 2009, 133.

13

Bestimmte Forderungen nach Begriffen wie Sicherheit und Freiheit sind sicherlich

berechtigt, aber der Hermeneutik der Zeitgeschichte geschuldet und insofern

überhaupt nur nachträglich möglich. Es muss selbstverständlich immer auch bewusst

bleiben, “daß der Text die Doppelwertigkeit seiner Ursprungssituation mit sich trägt“40

Umso mehr muss sich Barmen V im Gesamtkontext seiner Gestalt fragen lassen,

inwiefern es – als prinzipiell staatsbejahendes Dokument - die völkisch-staatliche

Neuordnung des Nationalsozialismus bejaht (fehlende These!).

Theologisches Moment in Barmen V ist Das Eine Wort Gottes, dessen Wesen durch

seine Barmherzigkeit und Gnade bestimmt ist. Jedes Recht und jedes Handeln muss

sich durch dieses Eine Wort Gottes rechtfertigen lassen, gemäß den Ausführungen

der These II, dass wenn das Subjekt des Satzes41 Jesus Christus ist, dann ist „der

Ansatz bei Christi Person und Wirken genommen“42. Denn „der Ausgang bei Jesus

Christus als Subjekt bewahrt schließlich vor dem, was man mit ‚Gesetzlichkeit‘

bezeichnet“, weil „ an Stelle einer toten Norm steht die lebendige Person Jesu

Christi“43. Die Salbung44 Jesu schließt alle drei Ämter45 ein: prophetisch ist der

Spruch, priesterlich der Zu-spruch und königlich der An-spruch. „[…] dazu übt er sein

prophetisches Amt aus, daß die Heilsgeschichte gerade nicht abgeschlossen ist,

sondern mit uns und in uns weitergeht“46

Von hier aus ist es möglich, eine Bedeutung von Barmen V für die Gegenwart

abzuleiten. Es gilt die „ethische Quintessenz aus der Erfüllung des Bundes […] in

Zeiten, in denen das Freund-Feind-Denken herrscht“47 zu verwirklichen: Das

„Friedenmachen“48 wirksam, nachhaltig und global zu verwirklichen.

Die staatliche Androhung und Ausübung von Gewalt [A1] – wie Barmen V im

nationalsozialistischen Jahr 1934 formuliert - wird heute von der EKD besser

einschränkend als „rechtserhaltende Gewalt‘“49 formuliert.

40 Friedrich-W. Marquardt, Staatsbejahung oder Staatskritik?, Hamburg 1982, 85. 41 „Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; […]“, M. Heimbucher, BThE, 38. 42 Dieter Schellong, Barmen II und die Grundlegung der Ethik, Zürich 1966, 492. 43 Schellong, Grundlegung der Ethik, 492-493. 44 Hier sei auf die Bedeutung der semitischen Wurzel َمَسحَ /ָמׁשח (masaḥa) erinnert, die neben salben auch auslöschen, reinigen heißt. 45 Schellong, Grundlegung der Ethik, 495. 46 Schellong, Grundlegung der Ethik, 503. 47 Schellong, Grundlegung der Ethik, 520. 48 Schellong, ebd. 49 Huber, Was verantworten?, 99.

14

Das Verhältnis der Kirche zum Staat steht nach wie vor zur Debatte. Deutlich wird

dies an der Diskussion zum Kirchenasyl vom Frühjahr dieses Jahres (2015), als

Innenminister Lothar de Maizière der Kirche den Vorwurf machte, einen Missbrauch

des Kirchenasyls zu betreiben.

„Ja, das geht eben nicht, dass eine Institution sagt: ‚Ich entscheide jetzt mal, mich

über das [staatliche] Recht zu setzen‘".50

Doch gerade dies:geltendes staatliches Recht zu kritisieren, wird zur Aufgabe der

Kirche, wenn die Gefahr droht, dass Das Eine Wort Gottes ausgesetzt wird. Der

Staat hat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe für Recht und Frieden zu sorgen

[A1]. Die Kirche ist gebunden im Bereich des Evangeliums. Durch die Praxis des

derzeitigen Kirchenasyls erinnern Christen an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und

damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten [A3]. Der Staat kann

nicht die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die

Bestimmung der Kirche erfüllen [V1]. Würde die Kirche Abschiebungen in die auch

nur vermutete Unsicherheit zulassen, wäre sie durch die bloße Duldung selbst zu

einem Organ des Staates geworden [V2].

50 DLF online, Interview der Woche, Missbrauch des Kirchenasyls, 08.02.15, http://www.deutschlandfunk.de/bundesinnenminister-de-maiziere-missbrauch-des-kirchenasyls.868.de.html?dram:article_id=311001 (zuletzt eingesehen am 25.05.15)

15

Literaturverzeichnis

Busch, Eberhard, Die Barmer Thesen 1934-2004, Göttingen 2004.

Bethge, Eberhardt, Dietrich Bonhoeffer, Eine Biografie, München 2005.

Heimbucher, Martin / Weth, Rudolf (Hg.), Die Barmer Theologische Erklärung,

Einführung und Dokumentation, 7. Aufl., Neukirchen-Vluyn 2009.

Huber, Wolfgang, Was verantworten?, in: Begründete Freiheit. Die Aktualität der

Barmer Theologischen Erklärung (= Evangelische Impulse. Band 1), Neukirchen-

Vluyn 2009, 93-112.

Hüffmeier Wilhelm (Hg.), Für Recht und Frieden sorgen. Auftrag der Kirche und

Aufgabe des Staates nach Barmen V. Theologisches Votum der Evangelischen

Kirche der Union, Gütersloh 1986.

Krieg, Matthias, Reformierte Bekenntnisse: Ein Werkbuch, Zürich 2009.

Maron, Gottfried, Der Bauernkrieg in: TRE, Bd. 5, u.a. hgg. von Horst Robert Balz,

Berlin 1980, 319-338.

Marquardt, Friedrich-W., Staatsbejahung oder Staatskritik? Über den Gebrauch von

Barmen V, in V. Deile (Hg.): Zumutungen des Friedens. Festschrift für Kurt Scharf,

Reinbek bei Hamburg 1982, 83-99.

Mehlhausen, Joachim, Vestigia Verbi: Aufsätze zur Geschichte der evangelischen

Theologie, Arbeiten zur Kirchengeschichte, Bd. 72, Berlin 1998

Mehlhausen, Joachim, Die Rezeption der Barmer Theologischen Erklärung in den

evangelischen Landeskirchen nach 1945, Berlin 1999

Nestle-Aland, Novum testamentum graece, 28.Auflage, Deutsche Bibelgesellschaft

2013,256.

Niemöller, Gerhard, Die erste Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen

Kirche zu Barmen, Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes, Bd.5, Göttingen,

1984.

Schellong, Dieter, Barmen II und die Grundlegung der Ethik, in Parrhesia, Karl Barth

zum 80. Geburtstag am 10. Mai 1966, Zürich 1966, 491-521.

16

Wallmann, Johannes, Kirchengeschichte Deutschlands, Tübingen 2012.


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