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Grenzen rationaler Ethikbegründung. Das Sein-Sollen-Problem aus moderner Sicht Author

Date post: 16-Nov-2023
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1 Title: Grenzen rationaler Ethikbegründung. Das Sein-Sollen-Problem aus moderner Sicht Author: Gerhard Schurz IPS-PREPRINTS Annual 1994 No. 3 Edited by Gerhard Schurz und Alexander Hieke Vorveröffentlichungsreihe am Institut für Philosophie der Universität Salzburg Prepublication Series at the Department of Philosophy, University of Salzburg
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Title:

Grenzen rationaler Ethikbegründung. Das Sein-Sollen-Problem aus moderner Sicht

Author:

Gerhard Schurz

IPS-PREPRINTS

Annual 1994 No. 3

Edited by Gerhard Schurz und Alexander Hieke

Vorveröffentlichungsreihe am Institut für Philosophie der Universität Salzburg

Prepublication Series at the Department of Philosophy, University of Salzburg

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GRENZEN RATIONALER ETHIKBEGRÜNDUNG

Das Sein-Sollen-Problem aus moderner Sicht

Gerhard Schurz

Zusammenfassung: Das Sein-Sollen-Problem (SSP) wird in drei methodisch separierte Problemeinheiten unter-gliedert: das logische, analytische und synthetische SSP. Die Untersuchung des analytischen SSPs, welche im Zentrumsteht, geschieht anhand einer Diskussion der wichtigsten reduktionistischen ethischen Theorien. Das Gesamtergebnislautet: nichttriviale ethische Konklusionen lassen sich durch deskriptive Prämissen weder logisch noch analytischnoch synthetisch begründen. Nach einer knappen Diskussion autonomistischer ethischer Theorien erfolgt eine allge-meine Einschätzung der Grenzen rationaler Ethikbegründung.

Summary: The Is-Ought problem (IOP) is divided into three methodologically separated subproblems: the logical,analytical and synthetical IOP. The investigation of the analytical IOP is central to this study. It proceeds by a dis-cussion of the most important reductionistic ethical theories. The most general result of the study says thatnontrivial ethical conclusions cannot be justified by descriptive premises, neither in a logical or in an analytical nor ina synthetical way. After a short discussion of autonomistic ethical theories the paper concludes with a generalevaluation of the limits of rational justifiability in ethics.

1. Die praktische und theoretische Relevanz des Sein-Sollen Problems

((1)) Beginnen wir mit einem praktischen Beispiel. Soll man dem ungeborenen Leben dasselbe

uneingeschränkte Grundrecht auf Leben zubilligen wie dem geborenen? Der öffentlichen Mei-

nungsstreit über diese Frage ist ohne Aussicht auf Konsens. Am einen Ende des Spektrums

steht die Auffassung, daß die Befruchtung der Eizelle den Beginn des menschlichen Daseins

und somit auch des Grundrechts auf Leben markiert, denn im Fötus seien alle wesentlichen

menschlichen Qualitäten keimhaft angelegt. Dieser traditionalistisch-christlich orientierten Auf-

fassung zufolge ist Abtreibung in jeder Phase der Schwangerschaft Mord und daher strikt zu

verbieten. Am anderen Ende des Spektrums findet sich die von utilitaristischen Ethikern wie

Peter Singer oder Norbert Hoerster vorgebrachte These, erst die Entwicklung von Personalität

– die Ausbildung zukunftsbezogener Interessen – mache einen Menschen im biologischen Wort-

sinn auch ethisch vollwertig. Daraus folgt, daß nicht nur Föten, sondern sogar Neugeborene in

ihren ersten Lebensmonaten kein uneingeschränktes Lebensrecht besitzen, weshalb gemäß

Singer die Tötung eines z.B. hämophilen Neugeborenen in bestimmten Fällen ethisch erlaubt

ist.1 Der Konflikt zwischen den beiden Seiten dieses Spektrums war vorprogrammiert und

führte zur bekannten "Singer-Affäre". Was hier interessiert, sind nicht seine politischen Aus-

wüchse, sondern seine geistigen Ursachen. Beide Seiten berufen sich auf ein ethisches Rationa-

litätskonzept, in dessen Lichte das jeweils andere als schlicht irrational erscheinen muß. Aus-

3gehend vom Prinzip der 'Heiligkeit des Lebens' erscheint der ersten Gruppe jeglicher Versuch,

den Wert menschlichen Lebens utilitaristisch kalkulieren, als moralisch abwegig. Umgekehrt

sehen die utilitaristischen Ethiker diese Pauschalverurteilung ihrer Argumente als Beweis der

Irrationalität der Gegenseite an.

((2)) Eine winzige gedankliche Reflexion läßt uns die rationale Entscheidbarkeit dieser Debatte

grundsätzlich bezweifeln. Beide Seiten schließen von einer faktischen Eigenschaft des mensch-

lichen Wesens auf eine es betreffende Norm – sein unteilbares Lebensrecht: die eine Seite

schließt von den Keimanlagen, die andere von der Personalität; mittlere Positionen schließen

von der Ausbildung des Zentralnervensystems, oder der Überlebensfähigkeit außerhalb des

Mutterleibes (vgl. MacIntyre 1981, S. 8). Jedesmal handelt es sich um einen Sein-Sollen-Schluß

(SSS) im besten Wortsinn. Doch sind nicht genau solche SSSe, gemäß der berühmten

Humeschen These (1739/40, S. 177f), grundsätzlich ungültig? Wenn ja – und das will ich zeigen

– dann steckt hinter jedem derartigen 'Argument' eine verschwiegene ethische Prämisse, ohne

die das Argument ungültig ist, und worin man das, was man zu begründen vorgibt, bereits vor-

aussetzt. Dann gibt es ebenso viele verschiede Einstellungen zur Abtreibungsfrage, wie es ver-

schiedene ethische Weltanschauungen gibt, und alle Versuche, die Richtigkeit der eigenen

Auffassung rational zu beweisen, wären letztendlich selbst als irrational anzusehen. Alles, was

rationale Ethik dann tun kann – und das ist wichtig genug! – wäre, die verschiedenen Auffas-

sungen rational zu rekonstruieren, ihre Prämissen und Konsequenzen herauszuarbeiten, aber

nicht, eine darunter als 'die wahre' zu beweisen.

((3)) Wo es aber keine Allgemeinverbindlichkeit gibt, münden Allgemeinverbindlichkeitsan-

sprüche allzu leicht in Dogmatismus und Demogagie. Pieper (1994) beschreibt einige der Takti-

ken, womit philosophische Ethiker, in Ermangelung rationaler Argumente, ihre Gegner zu über-

trumpfen suchen – z.B. "die Entmündigung", "die Unterschlagung", "die Spottdrossel". Eine von

Pieper nicht erwähnte Taktik, die mir bei analytischen Ethikern – hier kehre ich vor der eigenen

Türe – oft auffiel, ist die Beeindruckung durch Pseudowissenschaftlichkeit. Darunter verstehe

ich die leichtfertige Unterstellung wissenschaftlicher Verbindlichkeitsansprüche in politisch sen-

siblen Themenbereichen. Man findet diese Leichtfertigkeit in Singers "Praktischer Ethik"

ebenso wie in Meggles Innsbrucker Vortrag, welcher die österreichische Singer-Affäre aus-

löste. Meggle erläutert hier eine Methode, nach der man den Wert eines menschlichen Lebens

4in DM, berechnen könne (1991, II.2.), auf der Grundlage folgender Annahmen: (i) auf Lenzen

(1991) zurückgreifend geht er davon aus, der Wert eines Lebens sei gleich der Summe der

Werte, die dessen Tage besitzen, (ii) er betont, daß er den Wert eines Lebensabschnittes,

ausgedrückt in DM, als aus der subjektiven Eigenperspektive beurteilt versteht, und (iii)

berichtet schließlich, wie man den subjektiven Wert eines Lebenstages (oder ähnlichem)

quantitativ präzise bestimmen kann, sei in der Entscheidungstheorie "geklärt" respektive

"erklärt".2 Wir werden in Kap. 4.5 alle diese Behauptungen als unhaltbar oder zumindest höchst

fragwürdig erweisen.

((4)) In solcher Situation scheint es angemessen, ja vordringlich, die Grenzen rationaler Ethik-

begründung systematisch zu untersuchen. Der 'Königsweg' hierzu führt über das Sein-Sollen-

Problem (SSP): von seiner Untersuchung zu einer Einschätzung der Grenzen rationaler Ethik-

begründung ist es nur ein kleiner Schritt. Darin liegt die theoretische Relevanz des SSP. Eben

darin ist aber auch seine praktische Relevanz verwurzelt. Denn wäre man sich seiner Problema-

tik und der damit verbundenden Grenzen rationaler Ethikbegründung ständig gewahr, so könnte

viel an Verbalaggression und Fanatismus vermieden werden. Toleranz und Offenheit für den an-

deren Standpunkt wären dann keine bloß 'diplomatische', sondern aus der Sache selbst heraus

wachsende Einstellung.

2. Arten des SSP: eine methodische Problemzerlegung

((5)) Der Erfolg unseres Unternehmens hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt, das SSP

adäquat zu definieren und methodisch zu zergliedern. Im bisherigen Streit um das SSP (vgl.

Hudson 1969) wurde dies weitgehend unterlassen. Um zu einer adäquaten Definition zu gelan-

gen, müssen wir drei Dinge berücksichtigen.

Erstens sind in allen ethischen Theorien Normen und Werte durch ein analytisch wahres, d.h.

aufgrund der Bedeutung von "ethisch gut" und "ethisch geboten" geltendes Verknüpfungsprinzip

verbunden. Das Prinzip besagt, grob gesprochen, daß das ethisch Wertvolle geboten ist (genau-

eres in Kap. 4.2). Damit überträgt sich alles, was für die Beziehung zwischen Sein und Sollen

gilt, auch auf die Beziehung zwischen Sein und Werten. Seinssätze nennen wir im folgenden

deskriptive Sätze, Norm- oder Wertsätze ethische Sätze. Unter dem SSP verstehen wir immer

5die allgemeinere Frage der Beziehung zwischen deskriptiven und ethischen Sätzen bzw. den

von ihnen ausgedrückten Sachverhalten.

((6)) Zweitens werden wir in unsere Formulierung des SSP eine durchgehende Verschärfung

einbauen: wir fragen nicht, ob irgendwelche, sondern ob *sinnvolle* ethische Konklusionen aus

deskriptiven Prämissen erschließbar sind. Von größter Wichtigkeit ist dabei, daß wir den Begriff

"sinnlos" in zweifelsfreier, nämlich rein logischer Weise definieren (daher in Sternchen

gesetzt). Der Einwand von MacIntyre (1981, S. 57), daß mit dieser Verschärfung die Humesche

These eigentlich widerlegt sei, weil man kein allgemeines logisches Kriterium für die

"Sinnhaftigkeit" ethischer Konklusionen angeben könne, ist damit beiseite geräumt. Wir werden

drei Arten sinnloser ethischer Konklusionen unterscheiden: irrelevante, triviale und leere. Erst

diese Verschärfung ermöglicht den Durchbruch bei der Lösung des SSP, denn es gibt Unmengen

*sinnloser* ethischer Konklusionen aus deskriptiven Prämissen.

((7)) Drittens müssen wir das SSP, um es für die allgemeinere Frage der Grenzen rationaler

Ethikbegründung fruchtbar zu machen, philosophisch umfassend definieren, und zwar wie folgt:

Das umfassende SSP: Sind *sinnvolle* ethische Konklusion durch deskriptiver Prämis-

sen rational begründbar?

Das wichtigste philosophisch neutrale Rationalitätskriterium ist das der Intersubjektivität (im

Sinne von Charles S. Peirce; s. Schurz 1991b, §2.3). In erheblichen Bereichen des Erfahrungs-

wissens liegt Intersubjektivität vor, sodaß, wenn intersubjektiv gerechtfertigte SSSe möglich

wären, die rationale Begründbarkeit der Ethik sofort zuzugestehen wäre.

((8)) Eine rationalen Begründungsrelation ist eine zweistelligen Relation zwischen einer Prä-

missenmenge und einer Konklusion derart, daß die angenommene Wahrheit der Prämissen in in-

tersubjektiv akzeptabler Weise die Wahrheit der Konklusion (1) entweder sicher oder (2)

'wahrscheinlich' macht. Im Fall (1) ist das Zutreffen der Konklusion durch die Wahrheit der Prä-

missen garantiert, weil sie, unabhängig von den Realtatsachen bereits in der Bedeutung der

Prämissen enthalten ist – wir sprechen daher von analytischem Schließen. Im Fall (2) hängt das

Zutreffen der Konklusion auch bei angenommener Prämissenwahrheit von gewissen Realtat-

sachen ab – wir sprechen hier daher von synthetischem Schließen. Wir lassen dabei offen, ob

"wahrscheinlich" im induktiv-statistischen Sinn, im Sinn des Popperschen Bewährungsbegriffs

oder im Sinn eines subjektiven Glaubensgrades aufgefaßt wird. Das umfassende SSP spaltet

6sich somit in folgende zwei Teilprobleme auf.

Das Standard-SSP: Sind *sinnvolle* ethische Sätze aus deskriptiven Prämissen

analytisch erschließbar?

Das synthetische SSP, vorläufige Version: Sind *sinnvolle* ethische Sätze aus deskriptiven

Prämissen synthetisch erschließbar?

Vom Standard-SSP sprechen wir, weil das SSP traditionellerweise als analytisches bzw. logi-

sches Schlußproblem aufgefaßt wurde. Die entgültige Version des synthetischen SSP wird

später präzisiert. Unter der Humeschen These (im jeweiligen Sinn) verstehen wir eine vernei-

nende Antwort auf das jeweilige SSP.

((9)) Sätze, welche deskriptive mit einem ethischen Sachverhalten verknüpfen, nennen wir im

folgenden Brückenpinzipien, abgekürzt BPs. In allen naturalistische Ethiken werden gewisse

Brückenprinzipien proklamiert – manchmal haben sie die Form von Äquivalenzen, wie das hedo-

nistische Prinzip "X ist gut ↔ X ist lustvoll", manchmal die Form einseitiger Implikationen, wie

das naturrechtlichen Prinzip "X liegt im Interesse aller Menschen → X ist gut". Zwischen

SSSen und BPs besteht nun folgender logischer Zusammenhang: Ein BP der Form D→E (D ein

deskriptiver, E ein ethischer Satz) ist genau dann analytisch wahr, wenn der SSS "D / E" analy-

tisch gültig ist.3 Wir können daher das Standard-SSP mithilfe des BP-Begriffes auch wie folgt

reformulieren: gibt es analytisch wahre BPs?

((10)) Normen und Werte haben (fast) immer Handlungen oder Sachverhalte zu ihrem Gegen-

stand, die selbst wiederum aus Individuen und Eigenschaften zusammengesetzt ist. Gramma-

tisch handelt es sich also nicht um gewöhnliche Prädikate, sondern um intensionale Satzopera-

toren: es ist geboten bzw. gut, daß X (große Variablen X, Y…sollen Handlungen oder Sachver-

halte bezeichnen). Auch die deskriptiven Begriffe, mit welchen ethische Begriffe durch BPs ver-

knüpft werden, sind im Regelfall intensionale Satzoperatoren – vornehmlich alethische Operato-

ren (es ist notwendig, daß X) und subjektive Einstellungsoperatoren (z.B. Person P wünscht,

daß X). Eine adäquate logische Rekonstruktion des SSP muß daher im Rahmen der multimoda-

len Prädikatenlogik erfolgen.4

((11)) Im mathematischen Sinn von "Logik" gibt es jedoch unendlich viele modallogische Syste-

me, und nicht alle, aber viele darunter sind philosophisch bedeutend.5 Da aus der Gültigkeit der

Hume-These in einer Logik nichts auf ihre Gültigkeit in einer stärkeren oder in einer schwä-

7cheren Logik geschlossen werden kann (s. Schurz 1991, S. 44) stellt sich die Frage, in welchen

logischen Systemen die Untersuchung des Standard-SSP durchgeführt werden soll. Die Antwort

muß lauten: in jenen Systemen, deren Axiome (und Regeln) als analytisch wahr anzusehen

sind. Das Standard-SSP ist somit eine Verschränkung eines formal-logischen und eines seman-

tisch-philosophischen Problems. Man kann diese beiden Problemseiten wie folgt separieren.

Kein Verfechter der 'logischen' Hume-These würde bezweifeln, daß man SSSe herleiten kann,

wenn man in der Logik BPs axiomatisch voraussetzt. Nur würde er derartige Logiken niemals

als philosophisch adäquat ansehen, sondern darin eine petitio principii erblicken (worin das zu

Beweisende bereits vorausgesetzt wird). Wir nennen im folgenden eine multimodale Logiken

ohne BPs axiomatisierbar, wenn sie durch Axiomenschemata axiomatisierbar ist, unter denen

kein BP vorkommt. Damit können wir das logische SSP so wiedergeben:

Das logische SSP: Gibt es ohne BPs axiomatisierbare (multimodale) Logiken, worin aus

deskriptiven Prämissen *sinnvolle* ethische Konklusionen herleitbar sind?

((12)) Erinnern wir uns, daß jedem logisch gültigen SSS ein logisch wahres BP entspricht.

Wenn ein BP in (irgend)einer ohne BPs axiomatisierbaren Logik beweisbar ist, so nennen wir

es ein ableitbares BP, andernfalls ein fundamentales BP. Damit können wir das logische SSP

auch so wiedergeben: Gibt es ableitbare BPs? Dem semantisch–philosophischen SSP ent-

spricht nun die Frage: gibt es fundamentale BPs, die, obwohl nicht ableitbar, aus unabhängigen

philosophischen Gründen analytisch wahr sind, und somit als logische Axiome in Frage

kommen? Wir sprechen hier vom analytischen SSP. Dabei bauen wir zwei Problem-

verschärfungen ein:

Das analytische SSP: Gibt es fundamentale BPs, die "*fast* analytisch wahr und

*sinnvoll* sind?

Ein BP ist *sinnvoll*, wenn es *sinnvolle* SSSe im erläuterten Sinn ermöglicht. Die Hinzufü-

gung *fast* (d.h. "fast-analytisch") stellt eine für Anwendungsfragen äußerst bedeutende Pro-

blemverfeinerung dar, welche in Kap. 4.3 erläutert wird.6

Würde man die Untersuchung des logischen SSP auf einige ausgesuchte (ohne BPs axioma-

tisierte) Systeme beschränken, so würde ihr der Mangel anhaften, von philosophischen Vorent-

scheidungen bezüglich der 'adäquatesten' alethischen (bzw. deontischen, evaluativen…) Logik

abhängig zu sein.7 Glücklicherweise gelang es mir, die Untersuchung des logischen SSP auf alle

8(normalen bzw. klassischen) multimodalen Logiken zu beziehen. Die zwei Teilprobleme des

Standard-SSP sind damit methodisch klar separiert und lokalisiert. Das logische SSP ist ein

formales, von philosophischen Analytizitätsfragen freies Problem. Im analytischen SSP

konzentriert sich nun die ganze philosophische Seite des Standard-SSP, in Form der Frage nach

der Existenz analytisch wahrer BPs.

((13)) Wie beurteilen wir die Frage der analytischen Wahrheit? Gemäß dem von Carnap (1955,

§3), Mates (1951, S. 531-3) u.a. vorgeschlagen 'Analytizitätstest' ist ein Satz analytisch wahr,

wenn kein Mitglied der zugrundeliegenden Sprechergemeinschaft sich eine Situation vorstellen

kann, in der der Satz falsch ist, ohne daß sich dabei die Bedeutung seiner Terme geändert hat.

Manche Philosophen (vgl. Quine 1951) bezweifeln, ob eine klare Grenzziehung zwischen analy-

tischen und synthetischen Wahrheiten auf diese Weise überhaupt möglich ist. Ich glaube, daß

diese Grenzziehung zumeist vage ist; Analytizität ist daher mehr eine Frage des Grades als

eine ja-nein-Frage. In vielen Fällen aber ist die Grenzziehung aber auch unproblematisch. Doch

selbst für den radikalen Quineaner verliert unsere Untersuchung nichts an Relevanz – denn

neben dem analytischen haben wir auch das synthetische SSP eingeführt. Alle unsere Argumen-

te zugunsten der Standard-Hume-These bleiben für ihn bestehen, lediglich wird er sie nicht von

jenen zugunsten der synthetischen Hume-These unterscheiden, sondern als Argumente zugun-

sten der umfassenden Hume-These 'in einen Topf werfen'.

((14)) Wir haben das synthetische SSP auch deshalb eingeführt, um einem oftmals zu

hörendem Argument gegen die Standard-Hume-These Rechnung zu tragen8, das folgendes

besagt: auch wissenschaftliche Theorien können aus den empirischen Fakten nicht analytisch

abgeleitet werden, wohl aber können sie daraus 'synthetisch' (z.B. induktiv) erschlossen

werden – und warum sollte, was für die Beziehung zwischen empirischen Fakten und

wissenschaftlichen Theorien gilt, nicht auch für die Beziehung zwischen empirischen Fakten und

Norm- oder Wertsätzen gelten? Um unsere Untersuchung des synthetischen SSPs

vorzubereiten, zeigen wir zunächst, daß es sich – wie schon das logische und das analytische

SSP – mithilfe des BP-Begriffs reformulieren läßt. Sicherlich sind synthetische SSSe von ganz

andere Natur als induktive Generalisierungen. Während bei ersteren Prämissen und Konklusion

diesselben Begriffe enthalten, und der Schluß in der Übertragung des bisher Beobachteten auf

alle (zukünftigen) Fälle besteht, sind bei SSSen Prämissen und Konklusion begrifflich

9verschiedener Natur, und es wird von einem auf ein ganz anderes Merkmal geschlossen.

Synthetische SSSe gleichen vielmehr Common-Sense-Schlüssen wie "dies ist metallisch, also

leitet es den Strom". Die 'Gültigkeit' solcher Schlüsse verdankt sich der Wahrheit verborgener

Wenn-Dann-Sätze, in diesem Fall des Naturgesetzes, daß alle Metalle Strom leiten, und fügt

man dieses Gesetz den Prämissen hinzu, so wird aus dem 'synthetischen' ein logisch gültiger

Schluß. Genau dasselbe trifft auch auf synthetische SSSe zu. Toulmin (1950, S. 146)

verdeutlicht dies anhand des folgenden Beispiels (1): du sollst das Buch Jones zurückbringen,

denn du hast es versprochen. Wie Toulmin hervorhebt, verdankt sich die 'Gültigkeit' dieses

synthetischen SSSes der angenommenen Wahrheit des folgenden synthetischen BPs (2): was

immer jemand verspricht, soll er halten. Fügen wir (2) als weitere Prämisse zu (1) hinzu, so

erhalten wir einen logisch gültigen Schluß. So läßt sich die Frage der Existenz synthetischer

SSSe vollständig auf die Frage der Existenz synthetisch wahrer BPs zurückführen. Damit ein

BP aber als synthetisch wahr bezeichnet werden kann, muß es in intersubjektiv akzeptabler

Weise synthetisch rechtfertigbar, d.h. aufgrund Beobachtung der realen Wirklichkeit

rechtfertigbar sein. Damit können wir das synthetische SSP auf folgende entgültige Version

bringen:

Das synthetische SSP: Gibt es synthetisch rechtfertigbare *sinnvolle* BPs?

Unsere methodische Problemzerlegung ist hier zu Ende. Eine Bestätigung der umfassenden Hu-

me-These ergibt sich nur dann, wenn die Antwort auf alle drei SSPs negativ ausfällt.

3. Das logische SSP9

((15)) Das Haupthindernis seiner Lösung bestand in der Frage einer adäquaten logischen Prä-

zisierung der Humeschen These. Die Definition eines deskriptiven Satzes bereitet keine größe-

ren Schwierigkeiten. Was ist aber ein ethischer Satz? Jeder Satz, so der Vorschlag von Prior

(1960), welcher ethischen Gehalt besitzt. Sicherlich sind rein ethische Sätze, sofern nicht schon

logisch wahr, ethisch gehaltvoll. Das Problem entsteht bei gemischten Sätzen, welche sowohl

deskriptive wie ethische Komponenten besitzen. Man kann keineswegs alle gemischten Sätze

als ethisch gehaltlos ansehen, da es sich auch bei der bedeutenster Klasse ethischer Sätze, der

bedingten Gebote, um gemischte Sätze handelt – solche, welche ein Gebot unter gewissen

10deskriptiven Bedingungen aufstellen und daher die Form eines BPs besitzen. Nun hat Prior in

seiner berühmten Paradoxie gezeigt (1960), daß jeder Versuch, die gemischten Sätze dichoto-

misch in ethisch 'gehaltvolle' und 'gehaltlose' aufzuteilen, scheitern muß: jede solche

Zweiteilung würde aus trivialen aussagenlogischen Gründen SSSe ergeben. Prior (1960, S. 206)

und etliche andere Autoren (z.B. MacIntyre 1981, S. 57) schlossen aus dieser verblüffenden

Paradoxie, daß die Hume-These logisch nicht beweisbar wäre.

((16)) In meinen Untersuchungen gehe ich von der Beobachtung aus, daß in allen Schlußbei-

spielen, worin aus deskriptiven Prämissen gemischte Konklusionen hergeleitet werden, diese

Konklusionen in folgendem Sinn ethisch irrelevant sind: die Prädikate der Konklusion lassen

sich an allen ihren Vorkommnissen, die im Bereich eines ethischen Operators liegen, durch be-

liebige andere (einfache oder komplexe) gleichstellige Prädikate ersetzen, salva validitate, d.h.

ohne an der Gültigkeit des Schlusses etwas zu ändern. Ethisch irrelevante Konklusionen sind

ganz wertlos: wird etwa aus einer deskriptiven Prämissenmenge bewiesen, es sei unter der

deskriptiven Bedingung D geboten, den Nächsten zu lieben, und ist diese Konklusion ethisch

irrelevant, so müßte aus derselben Prämissenmenge auch beweisbar sein, es sei unter der Be-

dingung D geboten, Beliebiges zu tun, z.B. den Nächsten zu töten. Kein Ethiker würde derartige

Schlüsse als sinnvoll ansehen. Ich habe daher die Humesche These für gemischte Konklusionen

folgendermaßen verallgemeinert. Die allgemeine Hume-These besagt, daß jede (beliebige, mög-

licherweise gemischte) Konklusion, die sich aus deskriptiven Prämissen beweisen läßt, im an-

gegebenen Sinne ethisch irrelevant ist.

((17)) Damit war die Prior-Paradoxie überwunden und der Weg für eine hinreichend allgemeine

Untersuchung des logischen SSP frei. Bei der Präzisierung des Begriffs des BPs ist es zweck-

mäßig, sich von vornherein auf in folgendem Sinn relevante BPs zu beschränken: ein Axiomen-

schema heißt (relevantes) BP, wenn es einen Schemabuchstaben enthält, der sowohl im Bereich

eines ethisch wirksamen Operators wie außerhalb des Bereiches irgendeines ethisch wirksamen

Operators vorkommt. Unter "BP" verstehen wir afortiori immer "relevantes BP". Ich konnte fol-

gendes Theorem beweisen:10

Die allgemeine Hume-These gilt in einer ohne BPs axiomatisierbaren (normalen oder nur

klassischen) multimodalen Logik genau dann, wenn sie ohne BPs axiomatisierbar ist.

Das logische SSP ist damit gelöst: seine Antwort ist negativ.

11

4. Das analytische SSP

((18)) 4.1 Das Argument der offenen Frage. Moore (1903, S. 15f) hat versucht, ein gene-

relles Argument gegen die Möglichkeit analytisch wahrer BPs vorzubringen – das Argument der

'offenen Frage'. Er meint, wie auch immer unser deskriptives Wissen D(X) über eine Handlung

oder einen Sachverhalt X aussieht, die Frage "aber ist A auch (moralisch) gut?" sei dennoch

immer offen, ihre Antwort sei durch unser Wissen von D(X) niemals analytisch determiniert.

Ist Moore's Argument zwingend? Ich glaube nicht: es appelliert an unsere Intuition, aber gibt

keine Gründe. Hare hat versucht, dem Mooreschen Argument eine Begründung nachzuliefern.

Nach Hare besteht die zentrale Funktion ethischer Sätze darin, Handlungen oder Sachverhalte

(X) aufgrund ihrer deskriptiven Eigenschaften D(X) zu empfehlen. Wäre die Behauptung "X ist

gut" in der Bedeutung von D(X) analytisch enthalten, so könnte sie diesen Empfehlungscharak-

ter nicht besitzen, denn deskriptive Sätze haben keinen Empfehlungscharakter (Hare 1952, S.

85). Auch Hare's Argument ist nicht zwingend. Ein naturalistischer Ethiker könnte einwenden,

die kognitive Bedeutung einer ethischen Empfehlung "X ist gut" liege letztlich darin, daß X

spezielle deskriptive Eigenschaften besitzt – z.B. daß X dem Glück der Menschen förderlich ist;

genau dann, wenn jemand eine Empfehlung ausspricht, drückt er diese deskriptive Überzeugung

aus. Ich sehe grundsätzlich keine Möglichkeit, daß die Frage der Existenz analytisch wahrer

BPs mithilfe genereller 'apriorischer' Argumente zu entscheiden, sondern denke wie Kutschera

(1982, S. 54), daß die einzige Möglichkeit, diese Frage zu entscheiden, darin besteht, alle oder

zumindest alle philosophisch bedeutenden BPs im einzelnen zu untersuchen und auf ihre Analy-

tizität hin zu testen. Hierzu müssen wir uns eine Übersicht über alle philosophisch bedeutsa-

men BPs verschaffen, und die tun wir anhand einer Klassifikation ethischer Theorien.

((19)) 4.2 Eine Klassifikation ethischer Theorien. Unser Klassifikationskriterium für ethi-

sche Theorien ist die Frage, was darin als die Begründungsbasis ethischer Sätze angesehen

wird. Wir unterscheiden wie folgt:

1. Für reduktionistische (oder naturalistische) Theorien sind Werte oder Normen auf des-

kriptive Sachverhalte zurückführbar. Ihre Begründungsbasis besteht aus deskriptiven Sätzen,

12welche durch die empirischen Wissenschaften gerechtfertigt werden. Diese Theoriengruppe zer-

fällt in zwei Hauptgruppen (vgl. Kutschera 1982, S. 54ff). 1.1 Subjektivistische Theorien führen

ethische Sachverhalte auf die faktisch vorhandenen subjektiven Interessen bzw. Präferenzen

von Menschen zurück, während 1.2 objektivistische Theorien diese auf deskriptive Sachver-

halte zurückführen, welche von subjektiven Interessen unabhängig sind. Subjektivistische Theo-

rien zerfallen wiederum in 1.1.1 Aggregationstheorien, welche zur Begründung ethischer Sätze

die unterschiedlichen Interessen verschiedener Personen nach utilitaristischem Vorbild 'aufsum-

mieren' bzw. aggregieren, und in 1.1.2 Koinzidenztheorien, welche nur dort von Interessen auf

ethische Sätze schließen, wo diese Interessen intersubjektiv koinzidieren.

2. Autonomistische Theorien betrachten dagegen Werte oder Normen als Sachverhalte sui

generis, kategorisch verschieden von deskriptiven Sachverhalten. Ihre Begründungsbasis be-

steht daher aus gewissen ethischen Sätzen, die als intersubjektiv evident angesehen werden.

Auch diese Theoriengruppe zerfällt in zwei Untergruppen: 1.1 Aprioristische Theorien meinen,

gewisse ethische Prinzipien seien aus kognitiven Gründen apriori evident. 1.2. Empiristische

Theorien dagegen behaupten, gewisse ethische Basissätze seien evident, weil sie mithilfe

eines 'moralischen Sinnes' beobachtet werden könnten.11

Prima facie wird man BPs in reduktionistischen Theorien erwarten. Überraschenderweise

trifft man auch in autonomistischen Theorien gewisse BPs an. Subjektive Aggregationstheorien

sind wesentlich aussagekräftiger als Koinzidenztheorien (weil letztere auf den Fall konfli-

gierender Interessen nicht anwendbar sind) und gegenwärtig zweifellos am aktuellsten. Des-

halb werden wir ihnen den größten Platz einräumen.

((20)) Autonomistische und speziell aprioristische Theorien sind typischerweise deontologisch,

reduktionistische und speziell subjektive Theorien sind typischerweise teleologisch (s. Franke-

na 1972, S. 32-36). Der Wertbegriff und das Wert-Norm-Verknüpfungsprinzip ist in deontologi-

schen und teleologischen Theorien unterschiedlich. Deontologische Theorien gehen aus vom

qualitativen Begriff des intrinsischen Wertes: Handlung X ist intrinsisch wertvoll, wenn X

gewissen obersten Moralprinzipien gehorcht, unabhängig von den Konsequenzen von X. Jede

intrinsisch wertvolle Handlung ist geboten (ihr Gebot gilt nach Kant 'kategorisch'; 1975, BA 52).

Mithilfe des in deontologischen Theorien geltenden Zweck-Mittel-Prinzips für Normen (ZM):

"Wenn Gesollt(X), und X ist Mittel für Y, dann Gesollt(Y)", lasssen sich aus unbedingten Ge-

13boten bedingte Gebote ableiten (vgl. Kant 1785, BA 44f). Die Aussage "Y ist ein Mittel für X"

ist dabei als eine notwendige Bedingungsrelation aufzufassen (notwendig: wenn X, dann Y).

((21)) In teleologischen Theorien wird der Wert einer Handlung X aufgrund des Wertes der

Konsequenzen von X bestimmt. Jede Handlungskonsequenz hat einen bestimmten positiven

oder negativen intrinsischen Wert. In subjektiv-reduktionistischen Theorien wird der intrinsi-

sche Wert einer Handlungskonsequenz mit ihrer Nützlichkeit (für eine gegebene Person oder

Personengruppe) identifiziert, und Nützlichkeit wird als deskriptiver Begriff verstanden. Die

Gesamtnützlichkeit einer Handlung wird durch 'Summierung' bzw. Aggregierung der Nützlichkei-

ten aller Handlungskonsquenzen bestimmt. Daraus folgt, daß der teleologisch Nützlichkeitsbe-

riff ein quantitativer sein muß.12 Um diesen schließlich mit dem Gebotsbegriff zu verknüpfen,

geht man von einer gegebenen Menge von Handlungsalternativen aus, und definiert in verein-

fachender Sprechweise jene Handlungen als geboten, welche maximale Gesamtnützlichkeit be-

sitzen – bzw. genauer gesagt, welche von allen Alternativen mit maximaler Gesamtnützlichkeit

logisch impliziert werden (vgl. Kutschera 1982, S. 127).

((22)) 4.3 Fast-Analytizität und die Glücksbedingung. Ein BP ist analytisch wahr, wenn es in

der Bedeutung des Begriffes "(ethisch) gut" enthalten ist. Doch selbstverständlich gehen ver-

schiedene ethische Theorien auch mit verschiedenen Bedeutungen von "gut" einher.13 Wenn es

analytisch wahre BPs also überhaupt gibt, so muß es eine Kernbedeutung von "gut" geben, wel-

che allen ethischen Auffassungen, die verschiedene Menschen verschiedener Kulturen vertreten

haben, gemeinsam ist.

Jemand könnte einwenden, die Suche nach einer solchen Kernbedeutung sei, abgesehen von

ihrer relativen Aussichtslosigkeit, von vornherein die falsche Strategie. Man müsse, statt von

allen ''kulturell möglichen' Bedeutungen von der 'richtigen' Bedeutung des Begriffes "gut" aus-

gehen und die Analytizität von BPs anhand dieser 'richtigen' Bedeutung entscheiden. Doch die-

ses Argument führt in einen vollständigen Zirkel – denn um die 'richtige' Bedeutung von "gut"

ermitteln zu können, müßten wir ja bereits wir über das verfügen, wonach wir hier fragen, näm-

lich ein rationalen Begründungsverfahren von ethischen Sätzen und speziell von BPs.

((23)) Eine Konstellation von äußeren Fakten und ethischen Einstellungen nennen wir eine kul-

turelle Situation. Gemäß unserem Analytizitätstest können wir ein BP als in der kulturinvarian-

14ten Kernbedeutung von "gut" enthalten und somit als analytisch wahr bezeichnen, wenn es

keine vorstellbare kulturelle Situation gibt, in welcher das BP für einige der Betroffenen inakzep-

table Konsequenzen besitzt. Der Begriff der vorstellbaren kulturellen Situation und speziell der

vorstellbaren ethischen Einstellung, ist allerdings sehr weitläufig. Der anwendungsorientierte

Ethiker kann einwenden, daß bei einer derart weitläufigen Betrachtung freilich fast nichts mehr

als "analytisch wahr" übrigbleiben wird – er sei jedoch nicht an bloß 'vorstellbaren', sondern nur

an 'plausiblen' ethischen Einstellungen interessiert. Um unsere Argumente zu stärken, wollen

wir diesem Einwand so weit als möglich entgegenkommen. Wir nennen ein BP fast analytisch

wahr, wenn es in keiner plausiblen kulturellen Situation für einige der Betroffenen inakzeptable

Konsequenze besitzt. Äußere Fakten heißen plausibel, wenn sie eine nichtvernachlässigbare

Wahrscheinlichkeit besitzen. Wann aber nennen wir eine ethische Einstellung plausibel? Mein

Vorschlag lautet, wenn sie folgende einschränkende Bedingung erfüllt: in einer ethisch plausi-

blen Einstellung muß zumindest eine Funktion ethischer Werte und Normen darin bestehen,

(bei ihrer Befolgung) das Glück der Menschen in dieser Welt zu vermehren. Ich nenne diese Be-

dingung die Glücksbedingung.

((24)) Die Glücksbedingung läßt bewußt vieles offen, z.B. welche Art von Glück gemeint ist

und voralledem was im Fall konfligierender Interessen unter Glücksvermehrung zu verstehen

ist. Es ist lediglich gefordert, daß der Glücksbegriff deskriptiver Natur ist, und daß es sich um

Vermehrung im Diesseits handelt. Die Glücksbedingung dient dazu, abnormale ethische Auffas-

sungen auszuschließen: das sind solche, die implizieren, es sei ethisch gut, Unglück und Leid im

irdischen Leben möglichst zu vermehren.

Die zentrale Frage unserer folgenden Überlegungen lautet: gibt es fast analytisch wahre

BPs, die *sinnvolle* SSSe ermöglichen? Aufgrund des Theorems von Kap. 3 wissen wir, daß

BPs sicherlich ethisch relevante SSSe ermöglichen. Zwei weitere Arten *sinnloser* SSSe (über

Irrelevanz hinaus) werden wir sogleich kennenlernen.

((25)) 4.4 Alethisch-deontische BPs. Die zwei bedeutendsten alethisch-deontischen BPs sind

das erwähnte Zweck-Mittel-Prinzip (ZM): Wenn X gesollt ist, und X notwendigerweise Y im-

pliziert, dann ist auch Y gesollt, und das Sollen-Können-Prinzip (SK): Wenn X gesollt ist, dann

ist X möglich. In reduktionistisch-teleologischen Theorien sind beide Prinzipien gültig, da jede

15maximal nützliche Handlungsalternative auch (alethisch) möglich sein muß. Die beiden Prinzi-

pien gelten aber auch in den meisten aprioristisch-deontologischen Theorien.14 Es gibt also

guten Grund, die beiden BPs (ZM) und (SK) als fast analytisch wahr zu bezeichnen. Doch alle

SSSe, die sie ermöglichen, sind in folgendem Sinne *sinnlos*. Wir nennen einen SSS trivial,

wenn seine deskriptiven Prämissen logisch implizieren, daß dasjenige, was in der normativen

Konklusion als geboten oder als erlaubt bezeichnet wird, ohnedies faktsich wahr sein muß. Ein

solcher SSS wird für einen Ethiker ziemlich wertlos sein, da er nicht daran interessiert ist, sol-

che Normen oder Rechte zu begründen, die unter Voraussetzung der Wahrheit seine Prämissen

ohnedies immer erfüllt sein müssen. Ein Beispiel wäre gegeben, wenn ein Ethiker beweist, daß

ein Menschen, solange er lebt, atmen soll. Allgemeiner kann man die Konklusion eines

Schlusses als trivial definieren, wenn der Schluß auch gültig bleibt, nachdem man in ihr alle

Sollensoperatoren weggestrichen hat. In (1994) habe ich das folgende bewiesen: in jeder ale-

thisch-deontischen Standardlogik, welche unter ihren Axiomenschemata kein BP außer (MZ)

oder (SK) enthält, besitzt jeder darin beweisbare SSS eine triviale Konklusion (Kap. 6.2, Th. 6;

Kap. 8.1, Prop. 21). Beide alethisch-deontisch BPs sind somit trivial, und die sie betreffende

Antwort auf das analytische SSP ist negativ.

((26)) Eine dritte Art *sinnloser* SSSe bzw. BPs spielen im nächsten Kapitel über subjektivi-

stische ethische Theorien eine Rolle. Wir nennen ein implikatives BP der Form D(X)→E(X),

welches aus einer deskriptiven Eigenschaft des Sachverhaltes X eine ethische Eigenschaft von

X erschließt, leer, wenn das deskriptive Wenn-Glied dieses BPs keine einzige empirisch wahre

Instanziierung besitzt. Das BP "X bringt allen Menschen Lustgewinn → X ist gut" wäre z.B.

leer, wenn es faktisch nichts gibt, was allen Menschen Lustgewinn bringt. Ein leeres BP ist

ohne ethischen Nutzen. In (1994) habe ich folgendes bewiesen: in jeder Standardlogik mit

Wertoperatoren und subjektiven Einstellungsoperatoren, die unter ihren Axiomenschemata le-

diglich leere BPs enthält, besitzt jeder darin beweisbare SSS mindestens eine (empirisch) fal-

sche Prämisse (Kap. 7.2, Prop. 20).

4.5 Subjektive Aggregationstheorien

((27)) Bei dieser gegenwärtig wohl bedeutendsten Theoriengruppe, welcher auch alle Spielar-

ten des Utilitarismus zuzurechnen sind, geht man aus von einem gegebenem sozialen Kollektiv,

16formal eine Menge von Personen P (vgl. Kutschera 1982, S. 196). Für jede Person P in P wird

eine Menge AP von möglichen Handlungsalternativen der Person P angenommen. Da jede indi-

viduelle Handlung, zumindest im Prinzip, die Interessen aller anderen Individuen affiziert, ste-

hen im Zentrum der Betrachtung nicht die individuellen, sondern die kollektiven Handlungsalter-

nativen. Unter einer kollektiven Handlungsalternative K versteht man eine Liste (bzw. Funk-

tion), welche für jede Person P angibt, welche der Handlungsalternativen in AP sie realisiert.

Als gegeben angenommen wird weiterhin eine individuelle Nützlichkeitsverteilung u, welche für

jede Person und jede kollektive Handlungsalternative K den individuellen Nützlichkeitswert

u(P,K) liefert, welche den Nutzen oder Schaden der kollektiven Handlung K für die Person P

angibt (in Form einer positiven oder negativen Zahl). Diese individuellen Nützlichkeitswerte

sind die quantitative Form des für subjektivistische Theorien grundlegenden Interessens- oder

Präferenzbegriffs. Welche der kollektiven Alternativen ist nun die beste für das gesamte Kollek-

tiv? Die Frage möchten Aggregationstheorien beantworten. Da sich die individuellen Interessen

im Regelfall widersprechen werden – was für den einen nützlich ist, ist für den anderen

schädlich – setzt die Beantwortung dieser Frage ein Aggregationsverfahren voraus, um aus den

individuellen Nützlichkeitswerten eine kollektive Gesamtnützlichkeit zu bilden.15 Formal ist die

kollektive Nützlichkeit also eine Funktion U, welche für jede gegebene individuelle Nützlich-

keitsverteilung u und kollektive Handlung K einen kollektiven Nützlichkeitswert U(K,u) liefert.

((28)) Jene kollektiven Handlungen sind geboten, welche maximale kollektive Nützlichkeit lie-

fern (bzw. von allen kollektiven Alternativen mit maximaler kollektiver Nützlichkeit logisch

impliziert werden; s. Kap. 4.2). Dies ist das BP intersubjektiver Aggregationstheorien. Ver-

sehen mit einem bestimmten Aggregationsverfahren ist es weder trivial noch leer, sondern sehr

gehaltvoll, liefert es doch für jede Situation eine Entscheidung darüber, was ethisch geboten ist.

Wir fragen nun, ob ein derartiges BP fast-analytisch wahr sein kann. Aus der Perspektive auto-

nomistischer Ethik wird man diesem BP natürlich sofort vorwerfen, es sei grundsätzlich ver-

fehlt, ethische Werte auf empirische Interessen zurückzuführen (Kant 1785, BA 34, 76-81).

Unter der Annahme unserer Glücksbedingung ist es jedoch, wenn auch nicht zwingend, so doch

plausibel, daß das ethisch Gute etwas mit der Befriedigung menschlicher Interessen zu tun hat.

Daher wollen wir diesen grundsätzlichen Einwand überspringen und zu den bedeutenderen

Einwänden übergehen. Es handelt sich dabei um eine Kaskade von Einwänden: selbst wenn ein

17Einwand zurückgewiesen wird, bleibt der nächste bestehen.

((29)) 4.5.1 Inadäquate formale Rationalitätsbedingungen. Die deskriptive Grundlage sub-

jektivistischer Theorien ist zunächst ein personenbezogener Präferenzbegriff (Person P zieht

Alternative X gegenüber Y vor). Um auf dieser Grundlage ein logisch rationale Ethik zu

schaffen, muß dieser Präferenzbegriff gewisse formale Rationalitätsbedingungen erfüllen, z.B.

die Transitivität von Präferenzen (wenn X < Y und Y < Z, dann X < Z). Da diese Bedingungen

von den faktischen Präferenzen der Menschen häufig nicht erfüllt werden, handelt sich also um

kein empirisches, sondern um ein theoretisch idealisiertes Präferenzkonzept, das so zu lesen

ist: "würde Person P die Rationalitätsbedingungen erfüllen, so wären ihre Präferenzen so und

so".16 Eine Anforderung an solche Rationalitätsbedingungen ist ihre deskriptive Zulässigkeit:

es muß möglich sein, die theoretische Präferenz aus den faktischen Präferenzen eines Men-

schen zumindest indirekt zu erschließen. Die hier wesentliche Frage ist jedoch die ethische

Adäquatheit: sind die Rationalitätsbedingungen mit unseren ethischen Intuitionen kohärent?

((30)) Die Transitivität (zusammen mit der Irreflexivität für < oder Reflexivität für ≤) ergibt,

was man eine partielle Quasiordnung nennt: darin sind einige, aber nicht alle Elemente miteinan-

der vergleichbar. Um daraus eine quantitative (individuelle) Nutzenfunktion zu gewinnen, müs-

sen an die individuelle Präferenzrelation zwei weitere Rationalitätsbedingungen gestellt wer-

den.17 Die eine Bedingung ist die der Konnexivität: alles muß mit allem vergleichbar sein. Noch

rigider ist die Bedingung der Archimedizität: alles muß durch alles (wenn in genügender Anzahl

genommen) aufwägbar sein. Diese beiden Bedingungen sind adäquat in der Physik oder Ökono-

mie, doch kaum im Gebiet der ethischen Bewertungen von Lebenszuständen menschlicher

Personen. Einer moralischen Grundintuition zufolge ist jedes Menschenleben in seinem Wert

einzigartig und daher ein Vergleich des Lebenswertes zweier Personen weder möglich noch

ethisch aktzeptabel. Selbst bei den bekannten 'Rettungsbeispielen' vom sinkenden Schiffes und

dem zu kleinen Rettungsboot würde man derartige Vergleiche im Regelfall zurückweisen, und

die in diesem Fall erzwungene Entscheidung wird entweder dem freiwilligen Verzicht (so in

heroischen Filmdarstellungen) oder dem Kampf überlassen. Das Konnexivitätsaxiom ist auch

nicht zu retten, indem man sagt, alle Menschenleben seien gleich viel wert, denn dies hätte zur

Folge, daß der Wert von n+1 Menschenleben immer größer wäre als der von n Menschenleben,

18was schnell in ähnlich gegenintuitive Konsequenzen führt. Noch schlimmer ist es mit dem Archi-

medizitätsaxiom bestellt: diesem Axiom zufolge kann jeder Wert, auch der eines Menschenle-

bens, in jede beliebigen Einheit (z.B. in DM) umgerechnet bzw. sein Tod damit erkauft werden.

((31)) Die moralischen Werte der Menschen sind in weiten Bereichen nicht konnex und archi-

medisch geordnet, was Voraussetzung ihrer quantitativen Kalkulierbarkeit wäre. Meggles Be-

hauptung, die Entscheidungstheorie zeige, wie man den subjektiven Wert eines Lebenstages in

DM umrechnen könne (vgl. Kap. 1), entbehrt jeder Grundlage. In unserem intuitiven Werte-

kosmos gibt es gewisse oberste Werte (wie der Lebenswert verschiedener Personen), welche

untereinander unvergleichbar sind und gegenüber Werten niedrigerer Kategorien (z.B. mate-

rielle Werte) Priorität genießen (vgl. auch Williams 1972, S. 100-2). Dies ist formal gesehen die

Struktur einer partiellen Ordnung. Diese Struktur ist auch die Grundlage der Auffassung,

menschliches Leben sei heilig bzw. hätte 'unendlichen' Wert. Singer/Kuhse (1990, S. 121) und

Meggle (1991, S. 214) haben dagegen wiederholt das folgende Argument vorgebracht: hätte

menschliches Leben unendlichen Wert, so hätten auch alle zeitliche Teil desselben unendlichen

Wert – dann wäre es aber für den Wert eines Lebens belanglos, wie lange es währt (der Wert

ist jedesmal unendlich), was ethisch absurd sei. Dieses Argument ist naiv, denn es unterstellt

genau jene quantitative Wertstruktur, welche die Vertreter der Heiligkeitsauffassung gerade

ablehnen. Der These vom 'unendlichen' Wert besagt lediglich, daß der Wert eines Menschen-

lebens durch nichts anderes aufgewogen werden kann, was nicht im Widerspruch damit steht,

daß der Wert von ein- und desselbem Menschenlebens mit seiner Dauer zunehmen kann.18

((32)) In allen praktisch angewandten quantitativen Wertheorien muß es ferner eine Funktion

geben, welche den Wert eines Ganzen als Funktion des Wertes seiner Teile bestimmt.19 Ex-

tensive Standardskalen sind additiv: sei AoB ein Ganzes mit A und B als Teilen, so wird

u(AoB) = u(A)+u(B) angenommen. Wie man weiß, trifft diese (aus der Physik stammende)

Annahme nicht einmal auf ökonomische Werte zu. Das Problem im Fall ethischer und ästheti-

scher Werte liegt darin, daß der Wert des Ganzen weniger durch seine Teile als durch deren

Interaktion bestimmt wird, und zwar auf sensibelste und kontextspezifische Weise. Für ästhe-

tische Werte ist die aus der Gestaltpsychologie hinlänglich bekannt, und für ethische Werte gilt

dasselbe.20 Es dürfte aussichtlos sein, nach einer generellen mathematischen Funktion zu

suchen, welche den Wert des Ganzen aus dem seiner Teile bestimmt. Milan Kundera (in der

19"unendlichen Leichtigkeit des Seins") vergleicht das Leben mit einer musikalischen Komposi-

tion. Kann man den ästhetischen Wert eines Musikstücks in die Summe des Wertes seiner Se-

kundenabschnitte zerlegen? Der Vorschlag von Lenzen und Meggle (s. Kap. 1), den Wert des

Lebens mit der Summe des Wertes aller Lebenstage zu identifizieren, und zwar in DM, ist doch

recht 'bizzar'.

((33)) Eine letzte Rationalitätsannahme ist die der intersubjektiven Vergleichbarkeit indivi-

dueller Nutzwerte. Jede extensive Skala ist relativ zu einer willkürlich wählbaren skalaspezi-

fischen Einheit (cm, m, km…). Durch Beobachtung einer Person P kann man (wenn überhaupt)

nur ihr intrasubjektives Nutzwertsystem ermitteln; die zugrundegelegte Einheit ist ebenfalls

subjektiv – eine P-Einheit (z.B. der Wert von einer DM für Person P). Intersubjektive Aggre-

gationstheorien müssen jedoch voraussetzen, daß es eine objektive Werteinheit gibt, in welche

alle intrasubjektiven Nutzwerte umgerechnet werden können, denn andernfalls wären intrasub-

jektive Nutzwerte überhaupt nicht vergleichbar, geschweige denn 'addierbar', ebensowenig wie

Kilogramm und Meter. Doch es gibt keine empirische Methode, um diese Annahme zu recht-

fertigen. Wer sagt, daß 1 DM-für-P gleich viel, mehr oder weniger seien als 1 DM-für-Q? Viel-

leicht bedeutet Person P Geld grundsätzlich weniger als Person Q. Dafür ist vielleicht ist Per-

son Q das ganze Leben insgesamt weniger wert als Person P, was Q's intrasubjektive Relatio-

nen unverändert ließe und am Vergleich von P's und Q's Präferenzsystem nie ersichtlich wäre.

Die einzige Rechtfertigung der intersubjektiven Vergleichbarkeit bestünde in der Annahme, die

subjektiven Mentalitäten aller Personen wären gleich oder zumindest so ähnlich, daß man sie

durch eine objektive Einheit 'dividieren' kann – aber diese Annahme ist ziemlich fragwürdig.21

((34)) Wenn Lenzen und Meggle betonen, ihre ethischen Kalkulationen stützten sich auf die

subjektiven, aus der Eigenperspektive beurteilten Werte, diese aber dann in (personenunrelati-

vierte) DM-Einheiten ausdrücken, so verbirgt sich dahinter also ein subtiler Widerspruch. Mit

"subjektivem Wert" meinen diese Autoren lediglich, daß die Wertgröße subjektiv beurteilt wird.

Für Person P mag beispielsweise einer ihrer eigenen Lebenstags 500 DM wert sein, ein Le-

benstag von Person Q dagegen nur 10 Pfennige, umgekehrt mag ein Q-Lebenstag für Q 600

DM, für P dagegen nur 2 DM wert sein. Die Autoren übersehen aber, daß bei konsequent

genommener Eigenperspektive auch die Werteinheit subjektiv ist, und halten diese subjektiven

DM-Werte für objektiv vergleichbar – in unserem Beispiel wäre der subjektive Wert eines Q-

20

Lebenstages also größer als der eines P-Lebenstages.22 Genau das läßt sich daraus jedoch

nicht schließen.

4.5.2 Die Wahl intersubjektiver Aggregationsmethoden

((35)) 4.5.2.1 Der Egozentrismus- und Liberalismuseinwand. Selbst wenn wir kontrafaktisch

annehmen, daß alle bisherigen Einwände bewältigbar wären, treten uns noch vernichtendere

Einwände beim nächsten Schritt entgegen: bei der Frage der Wahl einer Aggregationsmethode,

um die personenrelative Nützlichkeitsverteilung u(-,P) in eine kollektive Nützlichkeitsfunktion

U(-,u) zusammenzufassen. Um als rational zu gelten, muß die letztere von allen Mitgliedern

des Kollektivs aus rationalen Gründen akzeptierbar sein. Aber alle rationalen Präferenzen eines

Individuums P sind ja bereits in seiner individuellen Nützlichkeitsfunktion u(-,P) zusammen-

gefaßt – diese egozentrische Basis ist die Grundlage aller subjektivistischer Theorien. Jedes In-

dividuum wird also jene kollektive Nützlichkeitsfunktion präferieren, die mit seiner persönlichen

Nützlichkeitsfunktion übereinstimmt. Wannimmer individuelle Interessen konfligieren, könnte

es dann eine von allen Individuen akzeptierte kollektive Nützlichkeitsfunktion gar nicht geben.

((38)) Aus diesem Grund schlugen gegenwärtige Ethiker wie Rawls (1979, S. 34ff) und Har-

sanyi (1976, S. 14) vor, bei der Wahl der kollektiven Nützlichkeitsfunktion müsse sich jede Per-

son in eine fiktive Situation begeben, in der die Person vorgibt, nichts über sich selbst zu wis-

sen – sodaß sie im Grunde mit jeder anderen Person des Kollektivs austauschbar wäre. In die-

ser hypothetischen "Ursprungssituation", welche für jedes Individuum dieselbe ist, würden dann

alle Individuen dieselbe kollektive Nützlichkeitsfunktion wählen. Hinter dieser Idee steckt ein

normatives Gerechtigkeitsprinzip, demzufolge die Interessen aller Personen gleichermaßen

'zählen' sollen. Dieses Prinzip wird unabhängig von den intrasubjektiven Präferenzen zusätzlich

postuliert. Alle auf diesem Ansatz aufbauenden subjektiven Theorien sind also nicht mehr

streng reduktionistisch, sondern in diesem Punkt autonomistisch.23

((37)) Noch wichtiger, das Gerechtigkeitsprinzip ist, wie sich in Kap. 6.2 zeigen wird, ohne zu-

sätzliche ethische Relevanzbedingungen eine leere Phrase. Rawls interpretiert es als Prinzip

distributiver Gerechtigkeit, demzufolge faktische Ungleichheiten ungerecht und durch 'Umvertei-

lung' zu eliminieren sind. Aber es gibt eine ganz andere, ebenso plausible liberalistische Ge-

rechtigkeitskonzeption, die z.B. von Nozick (1974) ausgearbeitet wurde, und welche sich allein

21auf individuelle Interessen und Rechte stützt: solange die Mitglieder eines Kollektivs ihre Gü-

ter oder Ansprüche in einer (vertrags)gerechten Weise erworben haben, ist jede soziale Distri-

bution gerecht. Diese konfligierenden Gerechtigkeitsauffassungen findet man auch im politi-

schen Alltag wieder; MacIntyre illustriert sie am Beispiel einkommensprogressiver Steuerpoli-

tik (1981, S. 244 - 48). Person A ist wohlhabend und empfindet diese als ungerecht, da nieman-

dem sein rechtschaffen verdientes Einkommen (über das staatlich Unabdingbare hinaus) weg-

genommen werden dürfe. Person B ist arm und und optiert für die Steuerpolitik, denn es sei un-

gerecht, daß einige arm und andere reich sind.

((38)) 4.5.2.2 Konfligierende Aggregationsmethoden. Selbst wenn man die Rawlssche Me-

thode der 'fiktiven Ursprungssituation' akzeptiert, bleibt ein ebenso gewichtiger Einwand be-

stehen: diese Methode allein determiert noch keine kollektive Nützlichkeitsfunktion, sondern

läßt mehrere, tief konfligierende Aggregationsmethoden zu. Es handelt sich diesmal um den

(entscheidungstheoretisch wohlbekannten) Konflikt zwischen der Verringerung negativen Risi-

kos und der Erhöhung positiver Chancen. Wer nicht weiß, welche soziale Position eines Kollek-

tivs er einnehmen wird, kann sich entweder dafür entscheiden, das negative Risiko, zu den Ar-

men zu gehören, durch 'sozialistische' Optionen möglichst zu verringern (der 'Sicherheits-

mensch'), oder die positive Chance, zu den Reichen zu gehören, durch 'kapitalistische' Optionen

möglichst zu vergrößern (der 'Risikofreudige'), oder er kann Weg des statistischen

Mittelwertes gehen. Dementsprechend gibt es drei verschiedene Aggregationsmethoden.

Entsprechend dem von Rawls favorisierten Maximin-Prinzip – das einer Ethik der Sicherheit

und sozialen Gleichheit entspricht – hat jene kollektive Handlung maximale kollektive

Nützlichkeit, welche den individuellen Nutzen der Armen (formal gesehen, das Minimum der

individuellen Nutzwerte) maximiert. Der Durchschnittsutilitarismus, für den Harsanyi (1976, S.

39) optiert, identifiziert die kollektive Nützlichkeit einer kollektiven Handlung mit dem

statistischen Durchschnitt ihrer individuellen Nützlichkeiten; der Summenutilitarismus

hingegen, vertreten von den utilitaristischen Klassikern (Mill 1867, Kap. II, S. 163), identifiziert

die kollektive Nützlichkeit mit der Summe der individuellen Nützlichkeiten. Die beiden Formen

des Utilitarismus unterscheiden sich lediglich in der Beurteilung der optimalen Bevölkerungs-

größe. Das Maximax-Prinzip schließlich gibt jener kollektiven Handlung maximale Nützlichkeit,

22welche den Nutzen der Reichen (formal gesehen, das Maximum der individuellen Nutzwerte)

maximialisiert; es favorisiert individuelle Aufstiegschancen und fördert soziale Elitenblidung.

((439)) Gegen alle vier Aggregationsmethoden gibt es wohlbekannte Einwände. Das Maximin-

Prinzip scheitert in Situationen unwahrscheinlichen aber hohen Risikos. Beispielsweise dürfte

ein nach dem Maximin-Prinzip handelndes Kollektiv niemals den PKW-Verkehr zulassen, denn

die schlechtest Gestellten sind hierbei tot (vgl. auch Harsanyis Beispiel der Flugreise; 1976, S.

39). Der schwerwiegenste Einwand gegenüber beiden Formen des Utilitarismus ist

bekanntlich, daß ihm zufolge eine Erhöhung des Wohlstands der Mehrheit auf Kosten extremer

Unfairness gegenüber einer Minderheit als ethisch gerechtfertigt anzusehen ist – auch der

Regelutilitarismus (vgl. Frankena 1972, S. 58) schafft hier keinen Ausweg.24 Die ethischen

Einwände gegen das Maximax-Prinzip sind ebenfalls offensichtlich (Stichwort: Rechtfertigung

der Sklaverei).

((40)) Alle vier Aggregationsmethoden führen also nicht bloß in plausiblen, sondern in recht

häufig auftretenden Situationen zu inakzeptablen Konsequenzen – sie können somit weder als

fast analytisch noch als synthetisch wahr bezeichnet werden. Die Entscheidung für eine dieser

Aggregationsmethoden wird vom jeweiligen politischen Kräfteverhältniss, und auf der persön-

lichen Ebene letztlich vom Charakter abhängen. Wenn man denn liberalistischen Standpunkt

einnimmt, so sollte man Handlungsentscheidungen überhaupt in möglichst wenig Fällen vom

Kollektivinteresse bestimmen lassen. Freilich gibt es Fragen, worüber kollektive Entschei-

dungen unumgänglich sind. Das naheliegenste und allen Demokratien zugrundeliegende Verfah-

ren, in solchen Fällen Kollektiventscheidungen herbeizuführen, ist das Mehrheitsprinzip. Die-

ses wird allerdings immer dann fragwürdig, wenn eine Mehrheitsentscheidung eine knappe

Mehrheit mäßig begünstigt und den Rast dafür stark schädigt. Darüberhinaus kann dieses Ver-

fahren zu irrationalen, nämlich intransitiven kollektiven Präferenzen führen (Kutschera 1982, S.

135). Es handelt sich also mehr um ein pragmatisches Verfahren als um ein rationales Prinzip.

(41)) 4.5.2.3 Minimale Aggregationsprinzipien. Bisher besprachen wir vollständige Aggrega-

tionsprinzipien, welche uns für alle individuellen Nutzenverteilungen die jeweils 'richtige' kollek-

tive Nutzenfunktion liefern. Die Einwände gegen sie waren insgesamt erdrückend. Daher hat

man sich bemüht, zumindest gewisse minimale Aggregationsprinzipien zu finden, welche frei

23von Einwänden und daher intersubjektiv akzeptierbar sind. Diese minimale Prinzipien schrän-

ken die möglichen kollektiven Nutzenfunktionen auf gewisse 'erlaubte' ein; sie determinieren,

wenn überhaupt, nur für gewisse individuelle Nutzenverteilungen eine eindeutig bestimmte

kollektive Nutzenfunktion. Sie lassen sich rein komparativ formulieren, in Form individueller

und kollektiver Präferenzrelationen, die nicht einmal konnex oder archimedisch sein müssen.

Daher sind minimale Aggregationsprinzipien unserer ersten Einwandsgruppe, den inadäquaten

formalen Rationalitätsprinzipien, nicht (unbedingt) ausgesetzt. Zwei der berühmtesten minima-

len Prinzipien stammen von Pareto (1897) und besagen folgendes. Seien X und Y zwei

alternative kollektive Optionen:

Das schwache Pareto-Prinzip (swP): Wenn für alle Individuen X besser ist als Y, dann

hat X kollektive Präferenz gegenüber Y.

Das starke Pareto-Prinzip (stP): Wenn für alle Individuen X nicht schlechter und für

einige Individuen X besser ist als Y, dann hat X kollektive Präferenz gegenüber Y.

((42)) (swP) und (stP) lassen sich nur auf solche individuelle Interessensverteilungen anwen-

den, in denen keine individuellen Interessenskonflikte vorhanden sind. Dies ist zwar ein fast nie

auftretender Spezialfall – für diesen aber scheinen (schwP) und (stP) ziemlich evident zu sein.

Überraschenderweise kommen diese beiden Prinzipien dennoch mit einigen ebenfalls plausiblen

minimalen Prinzipien in Konflikt (Kutschera 1982, S. 131ff). Derartige Beweise wurden von

Arrow (1951) und von Sen (1970, S. 87f) vorgelegt. Doch man kann plausibel argumentieren –

ohne daß die Argumente hier präsentiert werden können – daß in diesen Konfliktfällen den bei-

den Pareto-Prinzipien Priorität zu geben ist.25 Somit sind die beiden Pareto-Prinzipien die einzi-

gen subjektiv-reduktionistischen BPs, die zumindest in die Nähe der Fast-Analytizität gelan-

gen. In der Tat lassen sie sich allein durch unsere Glücksbedingung plausibel machen: geht man

davon aus, daß ein Mensch sein Glück erhöht, indem er sein Interesse realisiert, so sind die

einzigen Fälle, in denen die Glücksbedingung zweifelsfrei erfüllt ist, jene, wo keine Interes-

senskonflikte vorliegen – also die Antecedensbedingungen beider Pareto-Prinzipien.

((43)) Die entscheidende Schwäche der beiden Pareto-Prinzipien ist nicht ihre ethische Frag-

würdigkeit, sondern ihre Leerheit. Bedenken wir, daß aus der strengen Intersubjektivitätspers-

pektive das zugrundeliegende Kollektiv alle Menschen umfassen muß, vergangene, gegenwär-

tige wie zukünftige. (swP) ist also daher (fast) leer. Aber auch (stP) ist fast leer, denn fast je-

24der Sachverhalt, dessen Realisierung im Interesse einiger Personen steht, konfligiert mit den

Interessen von einigen anderen Personen. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn Menschen auf

dichtem Raum leben, sondern wird unabhängig von geographischen Bedingungen auch durch

zwischenmenschliche Feindschaften bewirkt.

4.6 Intersubjektive Koinzidenztheorien

((44)) Bei diesem in der naturalistischen Ethik und im Naturrecht verankerte Theorietypus

handelt es sich um eine qualitative (statt komparative) Version des schwachen Pareto-

Prinzips. Was im Interesse aller Menschen liegt, so die Grundidee dieses letztlich auf

Aristoteles (NE I, 1, 1094a) zurückgehenden Ansatzes, müsse als ethisch gut anerkannt

werden (für eine Rekonstruktion vgl. Weingartner 1983, S. 529). Wählen wir Int(x,X) als

(zweisortigen) Operator für "Sachverhalt X liegt im Interesse von Person x", so hat dieses BP

daher die Form (IK): ∀xInt(x,X) → GX (G für "ethisch gut").

((45)) 4.6.1 Der Konfusionseinwand. Wie man häufig hört, gäbe es eine Reihe von Sachver-

halten, nach denen alle Menschen streben: so strebe jedermann nach der Erhaltung seines

Lebens oder nach Wohlstand, weshalb gemäß (IK) die Erhaltung menschlichen Lebens oder

Wohlstand ethisch gut sei. Genau dies war die Argumentation des klassischen Naturrechts.26

Dennoch liegt hier eine fundamentale logische Konfusion von (IK) mit einem ganz anderem Prin-

zip vor. Wenn jedermann nach der Erhaltung seines Lebens strebt, so heißt dies nicht im min-

desten, jedermann erstrebe dasselbe. Ich strebe nach meinem Leben, du dagegen nach deinem,

das sind zwei verschiedene Dinge, die unter Umständen auch in gegenseitigen Konflikt geraten

können. Was hier die 'gleichen' Interessen aller Menschen genannt wird, sind in Wahrheit nicht

gleiche Interessen, sondern egoistische Interessen desselben reflexiven Typs – weshalb ich bei

diesem Prinzip vom kollektiven Ego-Prinzip (KE) spreche. Man kann den Unterschied zwischen

(IK) und (KE) auf einen präzisen logischen Punkt bringen. Das Prinzip (IK) lautet ∀xInt(x,X)

→ GX, wobei X einen bestimmten Sachverhalt bezeichnet und daher ein Satz ohne freie Indivi-

duenvariablen sein muß. Das Prinzip (KE) hat dagegen die Form (KE): ∀xInt(x,X[x]) →

G∀xX[x] – wobei X[x] eine Formel mit x als freier Individuenvariable ist – und besagt infor-

mell: wenn jeder Mensch erstrebt, daß er im Zustand X[x] ist, dann ist es gut, wenn alle sich im

25Zustand X[x] befinden.

Der Klärung halber sei bemerkt, daß in Naturrechtstheorien das Prinzip (KE) häufig dazu

dient, nicht Werte oder Pflichten sondern Rechte zu begründen. Was im egoistischen Interesse

aller Menschen liegt – zu leben, sich zu ernähren, etc. – das ist auch das Recht aller Menschen.

Ein Recht einer Person P, X zu tun, impliziert einerseits, daß es P erlaubt ist, X zu tun, aber

voralledem, daß es allen anderen verboten ist, P daran zu hindern. Rechte implizieren also

Verbote, und somit Pflichten (denn ein Verbot ist die Pflicht, eine Handlung zu unterlassen).

((46)) (KE) wird fragwürdig, sobald die individuellen Interessen konfligieren. So strebt jeder

nach einem eigenen Häuschen mit Garten, doch es ist unmöglich (und daher aufgrund des

Sollen-Können-Prinzips ethisch nicht erstrebenswert), daß jedermann ein Häuschen mit Garten

besitzt, und selbst wenn es möglich wäre, so würde das kaum jemand erstreben, da es mit einer

Zerstörung jeglichen Rests von Natur verbunden wäre. In Situationen extremer Überbevölke-

rung gilt ähnliches sogar für die Erhaltung des Lebens (vgl. Schurz 1987). Das Prinzip (KE) ist

lediglich in Situationen ohne individuelle Interessenskonflikte zweifelsfrei akzeptabel. In diesen

Situationen wird es jedoch vollständig durch das starke Pareto-Prinzip gedeckt, denn dann liegt,

für jede Person x, die Realisierung des Zustandes X[x] im Interesse von x und widerspricht

dem Interesse keiner anderen Person y≠x, woraus mittels (stP) für alle ∀xGX[x] und mittels

der Barcan-Formel G∀xX[x] folgt.

((47)) 4.6.2 Der Leerheitseinwand. Im Gegensatz zu (KE) ist (IK) – die qualitative Version

von (swP) – ein näherungsweise fast-analytisch wahres BP. Sein Problem liegt, wie schon

angedeutet, in seiner empirischen Leerheit. Welcher Sachverhalt wird schon von allen Men-

schen erstrebt? Selbst bei so fundamentalen Zielen, wie daß unser Ökosystem intakt bleibt

oder genug Luft zum Atmen vorhanden ist, liegt die kollektive Ego-Situation und nicht die (IK)-

Situation vor: jede Menschheitsgeneration erstrebt, daß zu ihrer Zeit genug Luft zum Atmen

vorhanden ist, und kümmert sich leider wenig darum, ob auch für alle späteren Generationen

genug Luft zum Atmen da sein wird – denn die Befolgung dieses Ziels müßte mit extremen

wirtschaftlichen Einbußen der Gegenwart erkauft werden.

((50)) 4.7 Objektive Theorien. Obzwar objektive Theorien eine lange Tradition haben, sind die

26Einwände gegen sie so offensichtlich, daß wir uns kurz halten können. Entsprechend der Natur

des 'objektiven' Sachverhalts, von dem auf ethische Eigenschaften geschlossen wird, lassen

sich die BPs in biologistische, soziologistische, religiöse und rechtspositivistische einteilen.

Das BP der evolutionären Ethik bezeichnet alles als ethisch gut, was der Evolution des Le-

bens dient. Dieser von Spencer (1895) vertretene, auch "Sozialdarwinismus" genannte Ansatz

ist zweideutig. Entweder wird "Evolution des Lebens" als streng biologisch-deskriptiver Begriff

verstanden – dann fragt sich, warum das, was die biologische Evolution produziert, immer

ethisch gut sein sollte. Sollte es ethisch gut sein, wenn in 2000 Jahren nur noch Insekten über-

lebt haben? Oder aber, "Evolution" wird als ethischer Begriff, als Entwicklung zum "Höheren"

im Sinn des ethisch Wertvollerem gedeutet – dann ist das BP zirkulär, denn dann besagt es,

ethisch wertvoll sei, was zu ethisch Wertvollem führt.27

Man erkennt die generelle Argumentationsstrategie gegen objektivistische BPs jeglicher

Art. Wird der objektive Sachverhalt, auf den sie sich berufen, streng deskriptiv gedeutet, so

sind diese BPs dogmatisch, denn sie berufen sich auf eine rational nicht zu rechtfertigende

'Autorität'. Werden diesem Sachverhalt dagegen implizite ethische Attribute unterstellt, so sind

die BPs zirkulär und somit auch keine wirklichen BPs. Das BP sozialer Fortschrittstheorien

(etwa des Marxismus) läßt sich analog behandeln. Auch für das zentrale BP aller religiösen

Ethiken – gut ist alles, was Gott will – gilt dasselbe: wird Gottes Wille mithilfe ethischer

Eigenschaften definiert, so ist das BP zirkulär, wird sein Wille streng deskriptiv festgelegt –

z.B. als alles, was in der Bibel steht oder autorisierte Kirchenvertreter daraus lesen – so ist

das BP dogmatisch. Das BP des Rechtspositivismus identifiziert schließlich das ethisch Gültige

mit dem zum gegeben Zeitpunkt faktisch anerkannten Recht. Auch dieses BP dogmatisch, denn

die Berufung auf die Autorität des faktischen Rechts kann die intersubjektive Rechtfertigung

natürlich nicht ersetzen. Sobald man das Recht aber als ethisch gerechtfertigt voraussetzt, wird

das BP zirkulär.

((49)) 4.8 Zusammenfassung. Die Untersuchung aller bedeutenden ethischen Theorien hat nur

vier BPs ergeben, die fast-analytisch wahr sind oder diesem Status zumindest nahe kommen:

das Zweck-Mittel-Prinzip, das Sollen-Können-Prinzip, das schwache und das starke Pareto-

Prinzip (swP) und (stP). Während sich die ersten beiden als trivial erwiesen, erwiesen sich die

27beiden letzteren als fast leer. Somit fällt die Antwort auf das analytische SSP, und zusammen

mit den logischen Resultaten daher auch die Antwort auf das Standard-SSP negativ aus.

5. Das synthetische SSP

((50)) Bereits das vorangehende Kapitel legt eine negative Antwort auf das synthetische SSP

nahe. Denn die diskutierten Einwände machen die untersuchten BPs auch dann sehr

zweifelhaft, wenn man sie als synthetisch ansieht. Dennoch läßt sich zum synthetischen SSP

wesentlich Tiefergehenderes sagen. Wie könnte ein synthetisches, also erfahrungsbezogenes

Begründungsverfahren für BPs überhaupt aussehen? Da ethische Begriffe gemäß

Standardauffassung keine Beobachtungsbegriffe sind, ist ihre Begründung durch induktive

Verallgemeinerung empirischer Daten nicht möglich. Dasselbe trifft aber auch auf die Theorien

empirischer Wissenschaften zu. Seit den Arbeiten von Carnap (1956) und Hempel (1950) ist es

wissenschaftstheoretisches Allgemeingut, daß auch wissenschaftliche Theorien in überwie-

gender Zahl sogenannte theoretische Begriffe (wie Kraft, Ladung, etc.) enthalten, welche reale

Merkmale bezeichnen, die nicht direkt beobachtbar, sondern nur indirekt erschließbar sind.

Diese theoretischen Begriffe sind durch Zuordnungsgesetze mit Beobachtungsbegriffen (wie Ort,

Zeit, etc.) verbunden. Zuordnungsgesetze sind nicht analytische, sondern synthetische

Bestandteile der Theorie. Das Charakteristikum dabei ist, daß weder die theoretischen Gesetze

noch die Zuordnungsgesetze in isolierter Form empirischen Konsequenzen besitzen. Nur die

Gesamttheorie, die Konjunktion all ihrer Bestandteile, hat empirische Konsequenzen und ist als

Ganzes empirisch bewährbar oder schwächbar. Dies ist der (auf Duhem 1908, Kap. 10, § 2-3

und Quine 1951, §5-6) zurückgehende Holismus der Theorienbewährung. Je mehr eine Theorie

in diesem Sinne empirisch bewährt ist, desto mehr vertrauen wir auch ihren theoretischen

Begriffsbildungen.

Können wir nicht analog auch ethische Begriffe als eine Art theoretischer Begriffe ansehen,

BPs als eine Art von Zuordnungsgesetzen, und ethische Theorien holistisch rechtfertigen? Ethi-

sche Theorien wären in dieser Auffassung also Satzsysteme, welche sowohl rein ethische

Sätze, BPs und rein deskriptive Sätze enthalten, und welche eine Reihe empirischer Prognosen

implizeren, über Befindlichkeit und Verhalten von Personen oder Gruppen unter

28verschiedensten Umständen, und je besser diese Prognosen mit den tatsächlichen

Beobachtungen übereinstimmen würden, umso bewährter wären die fraglichen Theorien und

damit auch die in ihnen enthaltenen BPs anzusehen. Könnte man ethische Theorien und ihre

BPs auf diese Weise 'synthetisch' rechtfertigen – wäre dies ein letzter 'Hoffnungsanker' des

Vertreters von SSSen?

((51)) Ich denke nein, denn ein fundamentaler Einwand spricht dagegen. Es ist nicht die Funk-

tion ethische Satzsysteme, das faktische Verhalten der Menschen zu erklären oder vorauszu-

sagen, sondern es anzuleiten und ethisch zu verbessern. Was aber unter verbessertem Verhal-

ten zu verstehen ist – das ist der springende Punkt – ist von ethischer Theorie zu ethischer

Theorie verschieden. Freilich folgen auch aus ethischen Theorien empirische Prognosen folgen-

der Art: wenn man sich so und so verhält, dann werden die und die empirischen Konsequenzen

resultieren. Das Zutreffen dieser Prognosen stützt eine Theorie zwar als empirsche Theorie,

aber noch nicht als ethische Theorie. Für letzteres ist entscheidend, ob die (angenommen

richtig prognostizierten) Konsequenzen 'tatsächlich' als ethische Verbesserungen angesehen

werden – doch genau das ist empirisch nicht beantwortbar. Machen wir uns das an folgendem

Beispiel klar, welches den eklatanten Unterschied zwischen der Situation in der Ethik und in der

Physik illustriert. Nehmen wir das 2. Newtonische Gesetz (N1) und konfrontieren wir es mit ei-

ner von Aristoteles postulierten Alternative (N2):

(N1): Die Kraft, welche auf einer Körper x zur Zeit t wirkt, ist proportional der Masse von x

mal der Beschleunigung von x zu t.

(N2): Die Kraft, welche auf einen Körper x zur Zeit t wirkt, ist proportional der Masse von x

mal der Geschwindigkeit von x zu t.

Isoliert betrachtet können wir zwischen (N1) und (N2) durch empirische Untersuchungen noch

gar nicht unterscheiden, denn (abgesehen von der Frage der Massenmessung) ist der Kraftbe-

griff ein theoretischer Begriff, und ohne ein weiteres Zuordnungsgesetz für den Kraftbegriff sind

sowohl (N1) wie (N2) empirisch gehaltlos.28 Newton hatte ein solches Zurodnungsgesetz ge-

funden, in Form des Gravitationsgesetzes

(N1*) Die Gravitationskraft zwischen zwei Körpern x und y zur Zeit t ist proportional dem

Produkt der Massen von x und y dividiert durch das Quadrat ihres Abstands

und wie sich erwies, hatten (N1) und (N1*) zusammen überwältigend viele und in der Tat zu-

29treffende empirische Konsequenzen. Zum Aristotelischen Gesetz (N2) ließ sich dagegen kein

Zuordnungsgesetz (N2*) finden, das die empirischen Bewegungsphänomene auch nur annä-

hernd so erfolgreich hätte erklären können – im Gegenteil ergab jeder derartige Versuch diverse

Konflikte mit den empirischen Daten. Daher gibt es guten Grund, an die physikalische Realität

von Kräften so wie in (N1)+(N1*) expliziert zu glauben, und ebenso guten Grund, die Realität

von Kräften so wie in (N2) expliziert zu bezweifeln. Die empirische Überprüfung ergibt einen

eindeutigen Ausschlag.

((52)) Vergleichen wir dies mit der Ethik. Betrachten wir die zwei folgenden ethischen BPs:

(E1): Was den materiellen Reichtum einer Person am besten vermehrt, ist gut.

(E2): Was die unmittelbaren Wünsche einer Person am besten befriedigt, ist gut.

Analog zum physikalischen Beispiel ist der Begriff "gut" ein theoretischer Begriff, und ohne ein

weiteres Zuordnungsgesetz für "gut" sind beide Gesetze empirisch gehaltlos. Der ontologisch

entscheidende Unterschied ist nun aber, daß sich der Begriff "gut" nicht, so wie im physikali-

schen Fall, auf ein subjektunabhängig existierendes reales Phänomen bezieht, welches durch

die ethische Theorie besser oder schlechter erfaßt werden kann – sodaß wir die Auswahl zwi-

schen (E1) und (E2) 'der Natur überlassen' können. Was "gut" ist bzw. "Verhaltensverbes-

serung" bedeutet, ist selbst eine ethische Auffassungsfrage. Deshalb ist es auch ein leichtes,

ein in die jeweilige ethische Theorie passendes 'Zuordnungsgesetz' für "gut" zu finden – jede

ethische Theorie interpretiert den Begriff "gut" ganz einfach in ihrem Sinn:

(E1*): Ist die Handlungsweise einer Person gut gemäß (E1), so wird ihr Leben – obzwar

vielleicht langweilig – ein Leben in Wohlstand sein.

(E2*): Ist die Handlungsweise einer Person gut gemäß (E2), so wird ihr Leben – obzwar

vielleicht kurz – sehr intensiv sein.

Unsere beiden rivalisierenden ethischen 'Minitheorien' (E1)+(E1*) sowie (E2)+(E2)* implizie-

ren nun tatsächlich folgende empirische Prognosen:

(P1): Jene Handlungsweise, die den materiellen Reichtum der handelnden Person am besten

vermehrt, wird dazu führen, daß die Person ein (allerdings vielleicht langweiliges) Leben in

Wohlstand führt.

(P2): Jene Handlungsweise, die die unmittelbaren Wünsche einer Person am besten befriedigt,

wird dazu führen, daß die Person ein sehr intensives (obzwar vielleicht kurzes) Leben führt.

30Beide Prognosen sind synthetisch und (höchstwahrscheinlich) wahr. Eine Entscheidung zwi-

schen den beiden ethischen Theorien aufgrund ihrer empirischen Bewährung ist daher nicht

möglich – in der Tat wäre ein derartiges Ansinnen auch ganz unsinnig. Die beiden ethische

Theorien gehen einfach von einem anderen ethischen Ideal aus – hier materieller Wohlstand,

dort Intensität und Leidenschaft. Natürlich können beide Theorien prognostizieren, daß wer

diesem Ideal entsprechend lebt, auch die diesem Ideal entsprechenden Konsequenzen ernten

wird. Würde aber jemand aufgrund des Zutreffens solcher Prognosen die ethische Adäquatheit

diese Ideale beurteilen, so würde man ihn wohl belehren, er hätte nicht ganz verstanden, was

Ethik ist. Zusammengefaßt fällt also auch die Antwort auf das synthetische SSP, und damit die

Antwort auf das umfassende SSP, negativ aus.

6. Rechtfertigungsgrenzen der Ethik und Ausblick auf eine positive Theorie

Um zu allgemeinen Aussagen über die Rechtfertigungsgrenzen der Ethik zu gelangen,

bedarf es noch einer knappen Diskussion der beiden Hauptvertreter autonomistischer Theorien.

((53)) 6.1 Empiristische Theorien. Ein prominenter Vertreter dieser Auffassung war Hume

selbst.29 Er sprach von einem moralischen Sinn, welcher angesichts eines (mittels der biologi-

schen Sinne) beobachteten Sachverhalts eine moralischer Empfindung der Billigung oder Ver-

werfung hervorruft. Die entscheidende Frage ist: kann man solche moralische 'Empfindungen'

wirklich, in Analogie zur äußeren Wahrnehmung als moralische 'Beobachtungen' deuten, oder

handelt es sich dabei nicht vielmehr um eine moralische Interpretationen des Beobachteten?

Von moralischen Beobachtungen zu sprechen wäre nur dann gerechtfertigt, wenn dieser morali-

sche 'Sinn' biologisch determiniert wäre, also unabhängig von sozialen und kulturellen Einflüs-

sen bei allen Menschen in gleicher Weise funktionieren würde. Das dem ethischen Empirismus

zugrundeliegende Begründungsprinzip ist daher folgendermaßen zu formulieren:30

(E) Wenn jeder Mensch unter Normalbedingungen der Beobachtung beobachten würde,

daß X gut ist, dann ist X gut.

X ist ein singulärer deskriptiver Sachverhalt, und unter Normalbedingungen sind die für

biologische Sinneswahrnehmung erforderlichen Bedingungen zu verstehen.31 Zunächst fällt auf,

31daß es sich beim Prinzip (E) um ein BP handelt, da sein Wenn-Glied deskriptiver Natur und

sein Dann-Glied ethischer Natur ist. Formal gesehen läßt sich also auch der ethische Empiris-

mus in die Diskussion von BPs einreihen (was zur Kontroverse darüber führte, inwiefern Hume

hier nicht mit seiner Sein-Sollens-These in Konflikt gerät32). Die entscheidende Kritik am BP

(E) betrifft nicht die Frage seiner – fast-analytischen oder synthetischen – Wahrheit, sondern

seiner Leerheit. Gibt es überhaupt irgendeinen Sachverhalt, der in streng intersubjektiver

Weise von allen möglichen Beobachtern übereinstimmend als ethisch gut oder schlecht empfun-

den wird? Hält man sich die moralische Verschiedenheit menschlicher Kulturen vor Augen, so

muß, wie ich meine, die Antwort negativ ausfallen.33 Und genau das ist der Grund, warum es,

im Unterschied zu äußeren Wahrnehmungen, im Bereich moralischer Empfindungen nicht

gerechtfertigt ist, von 'Beobachtung' zu sprechen, und stattdessen immer Interpretationen vor-

liegen.

((54)) 6.2 Aprioristische Theorien. Wenn es irgendein intersubjektiv evidentes allgemeines

ethisches Prinzip gibt (was man aufgrund der tatsächlichen moralischen Auffassungsvielfalt be-

zweifeln kann; vgl. Hare 1952, S. 41), dann ist es das Prinzip der Gerechtigkeit, oder anders

ausgedrückt, der ethischen Universalisierung. Es steckt hinter Kants kategorischem Imperativ

und wird oft in Begriffen gleicher Interessensberücksichtigung (Singer 1984, S. 32) oder gleicher

Rechte (Rawls 1979, S. 336) ausgedrückt. Bereits die Diskussion in Kap. 4.5.2.1 hat gezeigt,

daß es ganz unterschiedliche Auffassungen von Gerechtigkeit gibt. Dafür gibt es einen

systematischen Grund. Man erkennt ihn an Hares Formulierung des Prinzips (1973, S. 108-

113), derzufolge für alle Personen in ähnlichen Umständen dieselben ethischen Rechte und

Pflichten gelten sollen. Läßt man die Klausel "in ähnlichen Umständen" weg, so wird das Prinzip

ganz kontraintuitiv (vgl. Kutschera 1982, Kap. 1.6). Mit der Klausel wird das Prinzip jedoch

ziemlich leer, denn nun hängt alles von der Frage ab, welcher Unterschied in den Umständen als

ethisch relevant angesehen wird und welcher nicht.

((55)) Die Klausel "in ähnlichen Umständen" zeigt an, daß (fast) alle Rechte oder Pflichten von

Menschen konditionaler Natur sind: wenn eine Person P gewisse deskriptive Bedingungen D

erfüllt, dann hat sie das Recht, oder die Pflicht, dies oder das zu tun. Die Forderung, daß diesel-

ben konditionalen Rechte bzw. Pflichten für alle Personen gelten sollen, kann man das Prinzip

32der formalen Gerechtigkeit nennen. Es besagt im Grunde nur, daß ethische Grundsätze geset-

zesartige Allsätze sein sollen, und ist ohne ethischen Gehalt. Daher ist es auch in allen Kulturen

erfüllt. Z.B. gilt das konditionale Recht auf feudalen Grundbesitz ("wenn eine Person adelig ist,

hat sie das Recht auf Grundbesitz") für Nichtadelige wie Adelige, doch nur Adelige können es

ausüben. Analog gilt das konditionale Recht auf bürgerlichen Privatbesitz ("wenn eine Person

ein Gut rechtmäßig Weise erworben hat, dann hat sie darüber Verfügungsrecht") für Reiche wie

Arme, doch nur die Reichen können es ausüben. Der Unterschied liegt darin, daß man vor der

'Aufklärung' angeborene Eigenschaften von Personen als ethisch relevant ansah, während

unsere 'moderne' Kultur nur erworbenen Eigenschaften ethische Relevanz zuspricht, da in ihr

die Auffassung vorherrscht, erworbene Eigenschaften seien 'verdient', während man für ange-

borene nichts könne' – obwohl die meisten erworbenen Eigenschaften auf dem Spiel gesell-

schaftlicher Zufälle beruhen, und andere wiederum eine Folge angeborener Eigenschaften sind.

((56)) Offenbar hängt alles davon ab, welche deskriptiven Bedingungen man als ethisch rele-

vant ansieht, und welche nicht. Auf diese Frage gibt es keine intersubjektiv allgemeinverbind-

liche, apriori evidente Antwort – die Antwort darauf ist kulturabhängig, und abhängig vom politi-

schen Kräfteverhältnis. Ohne die Spezifizierung ethischer Relevanzkriterien bleiben die Kon-

zepte der "Gerechtigkeit" oder "gleichen Rechte" eine leere Phrase, und die Schlußfolgerungen,

die man daraus zieht, sind durch die Willkür subjektiver Intuition bestimmt. Ein Beispiel ist

Singer (1984, Kap. 3ff), der dem Leser den Eindruck vermitteln möchte, wer gegen Rassismus

optiert, müsse auch gegen Speziesismus optieren, da beide aus dem selben Prinzip der "Gleich-

heit" folgen würden. In Wahrheit folgen beide Positionen nicht daraus, sondern aus jeweils an-

deren ethischen Relevanzkriterien: im ersten Fall sieht man menschliche Rassenunterschiede

als ethisch irrelevant an, im zweiten Fall den Unterschied zwischen Mensch und Tier.

((57)) 6.3 Notwendige ethische Prinzipien, biologische Werte und Kulturwerte. Im möchte

nun heuristisch andeuten, wie aus den bisherigen vornehmlich negativen Resultaten eine positiv

ethische Theorie aufgebaut werden könnte. Hierzu gehe ich zunächst von einer Klassifikation

ethischer Prinzipien bzw. Werte in drei Kategorien aus.

Notwendige ethische Prinzipien sind solche, die analytisch bzw. fast-analytisch wahr sind.

Kontrafaktisch formuliert: ein notwendiges ethisches Prinzip bliebe auch dann wahr, wenn die

33biologische Natur des Menschen, seine Instinkte und Triebe, ganz anders wären. Unsere

Untersuchung ergab, daß nur folgende ethische Prinzipien in diesem Sinne notwendig sind: 1)

Zweifelsfreie Grundgesetze der deontischen und evaluativen Logik, 2) Das Sollen-Können und

das Zweck-Mittel-Prinzip, und 3) das schwache und das starke Pareto-Prinzip. Vermutlich kann

man auch 4) das empiristische BP und 5) das formale Gerechtigkeitsprinzip als notwendig wahr

ansehen. Alle diese Prinzipien erwiesen sich als entweder trivial oder (fast) leer. Eine gehalt-

volle Ethik läßt sich darauf also nicht gründen. Doch als rationale Rahmenbedingungen für (kul-

turabhängige) Ethiken haben diese Prinzipien enorme Bedeutung – durch (1), (2) und (5) wird

Kohärenz und Konsequenz der Ethik ermöglicht, durch (3) und (4) wird ihre inhaltliche Basis

eingegrenzt.

((58)) Biologische Werte (oder Wertprinzipien) würden – wieder kontrafaktisch formuliert –

auch dann wahr bleiben, wenn sich alle historischen und kulturellen Eigenschaften der Men-

schen völlig ändern würden und nur seine biogische Natur gleich bliebe. Wie biologische Werte

zu finden sind, ist aufgrund des schwachen Pareto-Prinzips und des empiristischen BPs vorge-

zeichnet: es müßte sich um Sachverhalte handeln, die aus naturgesetzlich-biologischen Gründen

im Interesse aller Menschen liegen oder von allen Menschen als moralisch gut empfunden

werden. Doch es schien keine derartigen Sachverhalte zu geben. Ist somit die Klasse

biologischer Werte leer? Nicht ganz. In der Tat gibt es einen Wert, der nicht kulturabhängig ist

– nämlich den Wert, nach verbindlichen ethischen Regeln zu streben. Dieses Streben ist

angelegt in der biologischen Tatsache, daß der Mensch kein Einzel-, sondern ein Gruppentier

ist. Mit zunehmender Besiedelungsdichte müssen auch die sozialen Regeln immer umfassender

werden. Welche Regeln etabliert werden, ist von Kultur zu Kultur verschieden, aber daß solche

Regeln etabliert werden, ist ein in allen Kulturen auffindbarer, mithin biologischer Wert – und

m.E. der einzig bedeutende biologische Wert.

((59)) Mit den notwendigen Prinzipien und den biologischen Werten ist die Klasse aller streng

intersubjektiven ethischen Prinzipien erschöpft. Eine gehaltvolle Ethik läßt sich darauf nicht

bauen. Somit gibt es für die Ethik kein rationales Begründungsverfahren, welches eine der

empirischen Wissenschaft auch nur näherungsweise vergleichbare Intersubjektivität garantiert.

Alle gehaltvollen ethischen Werte sind damit Kulturwerte. Kulturwerte erkennt man daran, daß

ihre soziale Akzeptanz durch gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse zustandekommt. Daran, daß

34es zu Kulturwerten immer 'gefährliche' Gegenwerte gibt, die wie kulturelle Rebellen in der Seele

der meisten Menschen schlafen und gelegentlich geweckt werden. Daran, daß Kulturwerte stän-

dig behütet und gepflegt, durch Erziehung und 'Aufklärung' im Geiste der Kulturmitglieder stark

gehalten werden müssen, weil sie speziell in schwierigen Zeiten der Gefahr des Zerfalls ausge-

setzt sind. Daran, daß die Erziehung zu den Kulturwerten nicht immer funktioniert und solche

Individuen dann eingesperrt, d.h. aus der Gesellschaft ausgesperrt werden müssen.

Von der Ethik zu entwickeln wäre, statt illusorischer Universalmaximen, eine Theorie der

Kulturwerte. Eine solche hätte (zumindest) zweierlei zu umfassen. Erstens eine historisch fun-

dierte Hierarchie von Kulturwerten. Der bedeutendste Kulturwert, auf dem zivilisierte Gesell-

schaften beruhen, ist m. E. der Wert der physischen Gewaltvermeidung. Zweitens eine Rekon-

struktion der Methode, mit deren Hilfe in zivilisierten Gesellschaften geistige Angleichungen

moralischer Auffassungen bewerkstelligt werden. Unter rationaler Werbung verstehe ich die Sti-

mulation zur emotiven Übernahme von Wertesystemen unter Wachhaltung der Rationalität des

Beworbenen. Eine Theorie rationaler Werbung hätte Emotivismus und Kognitivismus zu verei-

nen. Eine solche Theorie wäre allerdings erst zu entwickeln.

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1 Vgl. Singer (1984), Kap. 4, S. 183; Hoerster (1991), S. 69ff.2 "Geklärt" heißt es in der Tonbandabschrift von Irene Lauschmann, abgedruckt in der Doku-

mentation zur Innsbrucker Singer-Debatte; "erklärt" heißt es im Abdruck (1991).3 Dies folgt aus dem logischen Deduktionstheorem und der Definiton analytischer Wahrheit

(als jener, die aus Bedeutungsfestlegungen logisch folgt; s. Carnap 1972, S. 279).4 Im erweiterten Sinn von Modallogik, nicht eingeschränkt auf alethische Operatoren.5 Chellas (1980, S. 132) unterscheidet 17 alethische Standardsysteme; Aqvist (1984, S.

666ff) gelangt zu 22 deontischen Standardsystemen.6 Unsere Unterscheidung zwischen dem logischen und dem analytischen SSP entspricht in

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etwa der herkömmlichen Unterscheidung zwischen dem logischen SSP (sind ethische Sätzeaus deskriptiven Sätzen logisch ableitbar?) und dem semantischen SSP (sind ethische Be-griffe in der Bedeutung gewisser deskriptiver Begriffe enthalten?) Direkt läßt sich diese aufFrankena (1939, S. 475) zurückgehende und von Morscher (1974, S. 14f) und Pidgen (1989,S. 128f) übernommene Unterscheidung auf den modallogischen Rahmen nicht anwenden, dasie voraussetzt, daß "gut", "lustvoll" etc. als nichtlogische Prädikate aufgefaßt werden.

7 Dieser Mangel haftet früheren modallogischen Untersuchungen des SSP an – z.B.Kutschera (1977), Kaliba (1982), Stuhlmann-Laeisz (1983) und Galvan (1988). Gewissevon diesen Autoren bewiesene Theoreme gelten nicht mehr, wenn andere monomodale Sy-steme zugrundegelegt werden (Schurz 1991, S. 46).

8 Vgl. MacIntyre (1969, S. 36-9), Toulmin (1950, S. 38-40) und Eidlin (1989, S. 175).9 Im folgenden fasse ich die Hauptergebnisse meiner Untersuchungen des logischen SSP in

(1991a), (1994a, Kap. 2- 10) und (1994b) knapp zusammen10 Schurz (1991a) enthält den Beweisgang für normale alethisch-deontische Modallogiken. In

Schurz (1994a) wird das Theorem dann auf bimodale Logiken mit subjektiven Einstellungs-operatoren (Kap. 7.1, Th. 8), auf klassische alethisch-deontische Logiken (Kap. 8.1, Prop.21) und schließlich auf klassische multimodale Logiken (Kap. 8.2, Prop. 23) erweitert.

11 Der ethische Intuitionismus läßt sich aprioristisch wie empiristisch verstehen.12 Zumindest in vollständigen Aggregationstheorien. Bloß komparative Nützlichkeitstheorien,

sogenannter Präferenztheorien, führen zu minimalen Aggregationstheorien (Kap. 4.5.2.3).13 Nicht anders als in empirischem Theorien: der bekannte Bedeutungsholismus theoretischer

Begriffe (s. Kap. 5).14 Für (MZ) s. Kant ( 1785 BA 44fg), Hare (1952, S. 37). Auch (SK) gilt bei Kant (vgl. Kut-

schera 1982, S. 196). Versteht man (SK) im Approximationssinn, dem zufolge man dasGute zumindest approximieren kann, so gilt (SK) auch in platonistischen Auffassungen.

15 Eine sogenannte social welfare function – s. Arrow (1951, S. 21ff), Sen (1970, S. 41ff),Harsanyi (1976, S. 6ff).

16 Vgl. Kutschera (1982, S. 24f), Birnbacher (1988, S. 16ff, 140).17 Hierfür gibt es (vornehmlich) zwei Methoden: extensive Metrisierung (Krantz et al, Kap.

2) und probabilistische Entscheidungstheorie (Krantz et al, Kap. 8). Die beiden Bedin-gungen werden von beiden Methoden vorausgesetzt.

18 Formal entspricht dies der Struktur einer partiell und monoton geordneten Gruppe, welchein Schurz/Lambert (1994) in anderem Zusammenhang präzisiert wurde.

19 In der entscheidungstheoretischen Nutzenmetrisierung dieses Problem umgangen und derNutzwert vollständiger Alternativen als primitiv vorausgesetzt. Doch in praktischenAnwendungen kann dieser nur durch Betrachtung seiner einzelnen Komponenten bestimmtwerden – weshalb Krantz et al (1971, S. 394f) dies als Nachteil im Vergleich zur exten-siven Metrisierung ansehen.

20 Moore (1903, S. 27) spricht von moralischen Werten als "organischen Ganzen".21 Kutschera (1982), S. 130) und Sen (1970, S. 92ff) bringen ähnliche Einwände vor. Harsanyi

(1976, S. 50) argumentiert, zur Rechtfertigung der intersubjektiven Vergleichbarkeit sei dieAnnahme hinreichend, daß Menschen den gleichen psychologischen Gesetzen unterliegen.Psychologische Gesetze determinieren aber nicht die Mentalität einer Person, sondern wir-ken lediglich als einschränkende Bedingungen derselben. Daher halte ich diese Annahmefür zu schwach.

22 S. Meggle (1991), S. 217, vorletzter Paragraph.23 Harsanyi (1976, S. 45f) wie Rawls (1979) betonen, daß hier ein autonomes ethischen

Prinzip in ihre Theorie eingeht. Schon J. St. Mill sah in der Entscheidung für die utilitaristi-sche Maxime des "größten Glückd der größten Zahl" letztlich eine Frage des Gewissens

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____________________(Fortsetzung Fußnote)

(1867, Kap. 3, S. 184).24 Man kann leicht allgemeine Regeln anführen, welche auf lange Sicht eine Besserstellung

der Mehrheit auf Kosten einer extremen Schädigung einer Minderheit bewirken – z.B. pro-duzieren die Regeln der freien Marktwirtschaft Slums, wie wir sie von den U.S.A. kennen.

25 Zu Arrows Theorem vgl. Kutschera (1982, S. 132). Zu Sens Beweis des Konfliktszwischen (schwP) und dem Liberalitätsprinzip ist zu sagen, daß ein Konflikt nur dannauftritt, wenn konfligierende individuelle Präferenzen vorliegen – in diesem Fall aber ist dasLiberalitätsprinzip nicht mehr intuitiv evident.

26 S. z.B. Hobbes (1651, S. 94-102), vgl. Weingartner (1983, S. 540f).27 Für detaillierte Kritik s. Moore (1902, S. 48ff) und Kutschera (1982, S. 184ff).28 Für jede Massen- und Beschleunigungs- (bzw. Geschwindigkeits-)funktion läßt sich eine

Kraftfunktion definieren, die (N1) bzw. (N2) erfüllt; vgl. Sneed (1971).29 Vgl. Hume (1739/40, S. 178; 1752, S. 289); andere Vertreter sind Kutschera (1982, S. 226ff)

und Weingartner (1985).30 Vgl. Stevenson (1944, S. 274) und Hunter (1969, S. 62).31 Diese Bedingungen sind empirisch überprüfbar – vgl. Schurz (1988, S. 312ff)32 Vgl. die Debatte zwischen Macintyre, Atkinson, Hunter und Flew in Hudson (1969).33 Dies gilt auch dann, wenn die Beobachter Firths Idealbedingungen (Firth 1952) erfüllen.


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