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Griechen und Barbaren. Das nördliche Schwarzmeergebiet vom 7. Jahrhundert v. Chr. bis zur Mitte des...

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37 Griechen und Barbaren Attische Pelike im Kertscher Stil aus Pantikapaion. 4. Jahrhundert v. Chr. S. Kat. I.14 Die ersten griechischen Siedlungen wurden im Schwarzmeerraum erst relativ spät, vermut- lich im dritten Viertel des 7. Jahrhunderts v. Chr., gegen Ende der großen Kolonisation, gegründet (Abb. 1). Zu dieser Zeit waren die vom ägäischen Raum weiter entfernt gelegenen süditalieni- schen Gebiete bereits besiedelt. Das späte Ein- setzen der Kolonisation am Schwarzen Meer hat seinen Ursprung anscheinend in den geographi- schen Vorstellungen der Griechen. Im Weltbild der Archaik spielte der Ozean eine bedeutende Rolle und wurde als Meer oder Fluss verstanden, der die bewohnte Erde umfließt. Der unendliche Ozean verkörperte eine Zone des Chaos, an des- sen Rand sich das Land der Toten befand. Die Griechen vermuteten, dass das Schwarze Meer Teil dieses Ozeans war, der für sie unmittelbar hinter dem Bosporus begann (Ivantchik 2005). Nur Wenige trauten sich, in die unmittelbare Nähe des Totenreiches zu segeln oder dort gar niederzulassen. Als die Griechen jedoch fest- stellten, dass das Schwarze Meer tatsächlich ein geschlossenes Meer ist, wurden seine Ufer schnell besiedelt. FREMDE KULTUREN TREFFEN AUFEINANDER Das nördliche Schwarzmeergebiet unter- schied sich erheblich von den bisherigen Sied- lungsgebieten der Griechen. Dies galt sowohl für den Naturraum als auch für die Kultur der dort lebenden Bevölkerung. Die nördliche Schwarz- meerküste bildet den westlichen Endpunkt der eurasischen Steppenzone, die sich vom Unterlauf der Donau bis in die Mongolei und nach Nord- china erstreckt (Abb. 2). Die baumlosen Ebenen der ausgedehnten, von breiten Strömen durch- schnittenen Steppen waren kaum mit den bergi- gen Regionen Griechenlands und weiteren Land- schaften des Mittelmeerraumes vergleichbar. Im 7. Jahrhundert v. Chr. lebten hier überwiegend Nomadenvölker, deren Kulturen viele Gemein- samkeiten aufwiesen. Aufgrund der Mobilität der Nomaden verbreiteten sich kulturelle Verän- derungen ausgesprochen schnell über die weiten Räume, was nicht nur die zu beobachtende kultu- relle Homogenität der eurasischen Steppenvölker erklärt, sondern aus den Steppen auch eine kul- turelle Brücke zwischen den Kulturen des Mittel- meeres und denen des Fernen Ostens machte. Die Griechen waren ebenso wie die Mehr- heit der Völker, mit denen sie bisher zusammen- getroffen waren – auch in den übrigen Küstenge- bieten des Schwarzen Meeres – sesshafte Bauern. Im nördlichen Schwarzmeergebiet jedoch soll- ten die Griechen mit einer völlig anderen Lebens- weise zusammentreffen: die nomadische Vieh- wirtschaft und Pferdezucht. Die Interaktion zwischen Nomaden und sesshaften Bauern – manchmal feindselig, manchmal friedlich – war von diesem Zeitpunkt an bestimmend für ganz Eurasien: Die Rolle, die die Bewegungen von Griechen und Barbaren Das nördliche Schwarzmeergebiet vom 7. Jahrhundert v. Chr. bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. Askold Ivantchik
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37Griechen und Barbaren

Attische Pelike im Kertscher stil aus Pantikapaion. 4. Jahrhundert v. Chr. s. Kat. i.14

Die ersten griechischen Siedlungen wurden im Schwarzmeerraum erst relativ spät, vermut-lich im dritten Viertel des 7. Jahrhunderts v. Chr., gegen Ende der großen Kolonisation, gegründet (Abb. 1). Zu dieser Zeit waren die vom ägäischen Raum weiter entfernt gelegenen süditalieni-schen Gebiete bereits besiedelt. Das späte Ein-setzen der Kolonisation am Schwarzen Meer hat seinen Ursprung anscheinend in den geographi-schen Vorstellungen der Griechen. Im Weltbild der Archaik spielte der Ozean eine bedeutende Rolle und wurde als Meer oder Fluss verstanden, der die bewohnte Erde umfließt. Der unendliche Ozean verkörperte eine Zone des Chaos, an des-sen Rand sich das Land der Toten befand. Die Griechen vermuteten, dass das Schwarze Meer Teil dieses Ozeans war, der für sie unmittelbar hinter dem Bosporus begann (Ivantchik 2005). Nur Wenige trauten sich, in die unmittelbare Nähe des Totenreiches zu segeln oder dort gar niederzulassen. Als die Griechen jedoch fest-stellten, dass das Schwarze Meer tatsächlich ein geschlossenes Meer ist, wurden seine Ufer schnell besiedelt.

FReMde KultuRen tReFFen AuFeinAndeR

Das nördliche Schwarzmeergebiet unter-schied sich erheblich von den bisherigen Sied-lungsgebieten der Griechen. Dies galt sowohl für den Naturraum als auch für die Kultur der dort

lebenden Bevölkerung. Die nördliche Schwarz-meerküste bildet den westlichen Endpunkt der eurasischen Steppenzone, die sich vom Unterlauf der Donau bis in die Mongolei und nach Nord-china erstreckt (Abb. 2). Die baumlosen Ebenen der ausgedehnten, von breiten Strömen durch-schnittenen Steppen waren kaum mit den bergi-gen Regionen Griechenlands und weiteren Land-schaften des Mittelmeerraumes vergleichbar. Im 7. Jahrhundert v. Chr. lebten hier überwiegend Nomadenvölker, deren Kulturen viele Gemein-samkeiten aufwiesen. Aufgrund der Mobilität der Nomaden verbreiteten sich kulturelle Verän-derungen ausgesprochen schnell über die weiten Räume, was nicht nur die zu beobachtende kultu-relle Homogenität der eurasischen Steppenvölker erklärt, sondern aus den Steppen auch eine kul-turelle Brücke zwischen den Kulturen des Mittel-meeres und denen des Fernen Ostens machte.

Die Griechen waren ebenso wie die Mehr-heit der Völker, mit denen sie bisher zusammen-getroffen waren – auch in den übrigen Küstenge-bieten des Schwarzen Meeres – sesshafte Bauern. Im nördlichen Schwarzmeergebiet jedoch soll-ten die Griechen mit einer völlig anderen Lebens-weise zusammentreffen: die nomadische Vieh-wirtschaft und Pferdezucht. Die Interaktion zwischen Nomaden und sesshaften Bauern – manchmal feindselig, manchmal friedlich – war von diesem Zeitpunkt an bestimmend für ganz Eurasien: Die Rolle, die die Bewegungen von

Griechen und BarbarenDas nördliche Schwarzmeergebiet vom 7. Jahrhundert v. Chr. bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr.

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turksprachigen Nomaden und Mongolen im Mit-telalter spielte, sei hier nur beispielhaft genannt. Im nördlichen Schwarzmeergebiet wechselten immer wieder Perioden friedlicher Koexistenz,

wenn zum Beispiel die Griechen und ihre Nach- barn wirtschaftlich zusammenarbeiteten und sich kulturell annäherten, mit solchen allgemei-ner Destabilisierung, die meistens mit dem

MegaraKorinth

Sparta

Thera RhodosKnidos

Kyrene

Apollonia

Taucheira

Euhesperides

Barke

Lipara Zankle

ThapsosSyrakusaiGela

Selinus

Akragas

Himera

Kroton

Sybaris

Kaulonia

MegapontionTaras

Poseidonia

18

Korkyra

Anaktorion

Ambrakia

Leukas

16

ByzantionKalchedon

Astakos

HerakleiaPontike

Mesembria

Kallatis

Soloi

Kelenderis

Lokris

Paros

Andros

EretriaChalkis Chios

SamosMiletos

11Kolophon

Erythrai

109

SinopeKytorosSesamosTios

AmisosKotyora

Kerasos Trapezus

Phasis

Dioskurias

Pityus

Tanaïs

Theodosia

Olbia

Borysthenes?

Tyras

Istros

Tomoi

Odessos

Apollonia

SelymbriaPerinthos

Kios

Prokonnesos

Kyzikos612

748

MaroneiaThasos

Abdera

14

1312

ToroneMende

15

17

Naxos

Mylai

KataneLeontinoi Megara Hyblaia

Rhegion

Lokroi Empizephyrioi

Kamarina

KasmenaiAkrai

Kyme

Dikaiarcheia

Massalia

Aleria

Kyme

Lesbos

Assos

Tenedos5

3

Ainos

Phaselis

Nagidosal-Mīnā

Tall Sūkās

Amathus

Daphnai

Naukratis

AntipolisNikaiaMonoikos?Arelate

Emporion

Agathe

Spina

Maiotis

Pontos Euxeinos

Mare Mediterraneum

Chersonesos

1920 21

4222

23

2425

2627

2829303132

33

3435

3637 38

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41

1 Kardia2 Limnai3 Alopekonnesos4 Elaius5 Sestos6 Parion7 Lampsakos8 Abydos9 Phokaia10 Klazomenai11 Teos12 Stageiros13 Akanthos14 Sane15 Methone16 Poteidaia17 Epidamnos18 Apollonia19 Semenovka20 Vovo-Otradnoe21 Zenonos-Otradnoe

22 Myrmekion23 Pantikapaion24 Michajlovka25 Iluraton26 Tyritake27 Nymphaion28 Akra29 Kytaia30 Kys-Aul31 Kimmerikon32 Kazeka33 Theodosia34 Achilleion35 Patrasys36 Korokondame37 Hermonassa38 Phanagoreia39 Kepoi40 Tyambe41 Gorgippia42 Samorskoe

1 Karte der griechischen Kolonien im Mittelmeerraum. ionische Metropolis, ionische Apoikia, dorische Metropolis, dorische und achaiische Apoikia, Aiolische

Metropolis, Aiolische ApoikiaAuftauchen neuer Steppenvölker aus dem Osten verbunden waren.

Trotz der ungewöhnlichen Situation, in der sich die Griechen in der nördlichen Schwarzmeer- region befanden, war diese anfangs durchaus günstig für das Aufblühen ihrer Siedlungen.

Ihre unmittelbaren Nachbarn waren die noma-dischen iranisch-sprechenden Skythen. Die Bevölkerungsdichte war in der Steppe im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. sehr gering und die Küs-tenregionen, die die Griechen besiedelten, waren kaum von Interesse für die Nomaden. Nur im

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dies etwa in Thrakien der Fall war. Von Anfang an entwickelten die Griechen zu ihnen fried-liche, auf beiderseitigem Nutzen aufbauende Beziehungen. Tatsächlich erscheinen griechi-sche Importe in den reichen skythischen Bestat-tungen fast gleichzeitig mit Gründung der ersten Kolonien (Abb. 3).

Krimgebirge in der Nähe der Küste gab es sess-hafte Bevölkerungen (die Tauri) und in der Peri-pherie des asiatischen Teils des Bosporanischen Reiches (zum Beispiel die Sinden und Maioten). Daher standen aber auch die Griechen in keinem Konkurrenzverhältnis zu Anwohnern um das Land des nördlichen Schwarzmeergebietes, wie

2 Baumlos und weit: ein Blick in die typische steppe des nördlichen schwarzmeerraumes.

Griechen. Trotz der Tatsache, dass diese Zone von der Küste – und damit auch von den griechischen Kolonien – mehrere hundert Kilometer entfernt war, waren die Handelsbeziehungen wahrschein-lich intensiver als zu den Steppennomaden, den unmittelbaren Nachbarn der Griechen. Die Haupt-routen des Handels waren die großen Flüsse, die ins Schwarze Meer münden. Zahlreiche grie-chische Kolonien wurden an Flussmündungen gegründet, was ihnen einen direkten Zugang zum Hinterland gab (zum Beispiel zu Histria und Orgame an der Mündung der Donau, Olbia an der Mündung von Bug und Dnjepr, die Taganrog-Sied-lung an der Mündung des Don, später Tyras und Nikonion an der Mündung des Dnjestr).

Während des 6. Jahrhunderts v. Chr. expan-dierten die Griechen in der nördlichen Schwarz-meerregion. Dies hatte sowohl interne als auch externe Gründe: Die Region war offensichtlich attraktiver für die Kolonisten geworden, außer-dem verursachte die persische Eroberung Klein-asiens geradezu eine Kolonistenflut aus den ägä-ischen Städten. Die Mehrheit dieser Kolonisten waren, wie schon zuvor, Ionier; Milet spielte dabei die aktivste Rolle. An der Nordwestküste des Schwarzen Meeres wurde Olbia gegründet, die das zweite und bald auch wichtigste Zentrum der einheitlichen Olbia-Berezan Polis wurde. Es ent-stand ein dichtes Netz von ländlichen Siedlungen in der näheren Umgebung von Olbia und Berezan (Kryzhickij u. a. 1990). Das Gebiet um Olbia ent-lang der Bugmündung, gut entwickelt und dicht besiedelt, wurde zur Grundlage der wirtschaftli-chen Prosperität der Polis. Zur gleichen Zeit wur-den die Poleis Tyras und Nikonion an der Dnjestr-Mündung gegründet (Okhotnikov 1990).

Die neuen Handelszentren an der Küste waren für die lokale Bevölkerung wirtschaftlich und kul-turell anziehend (Abb. 4). Die schnelle Entwick-lung der griechischen Poleis wurde dadurch mög-lich, dass viele Bewohner der Waldsteppe in ihren Einflussbereich umzogen und dort weiterhin landwirtschaftlich tätig waren. Als Resultat lebte im ländlichen Gebiet von Olbia, Tyras und Niko-nion die griechische und barbarische Bevölke-rung nebeneinander. Dabei behielten die Siedler aus dem Hinterland während des ganzen 6. Jahr-hunderts v. Chr. die kulturellen Beziehungen zu

Allerdings haben die ersten griechischen Kolonisten offenbar noch stärkere Handelsbe-ziehungen zu einer anderen Gruppe entwickelt und zwar zu den Anwohnern der Waldsteppe, die im Norden und Nordwesten an die Steppenzone grenzt. Die Waldsteppe wurde von sesshaften Bau-ern besiedelt, ihre Kultur ähnelte also jener der

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ländliche Siedlungen. Anscheinend spielte die lokale Bevölkerung in der Entwicklung der länd-lichen Peripherie der bosporanischen Städte eine geringere Rolle als im nordwestlichen Schwarz-meergebiet. Manche Städte am Kimmerischen Bosporus, wie die Griechen die Meerenge von Kertsch nannten, waren unabhängige Poleis, wie Theodosia, Pantikapaion, Nymphaion, Pha-nagoreia und Hermonassa. Der Status der ande-ren Siedlungen ist unklar. Darunter waren wahr-scheinlich auch urbane Zentren, die zu anderen Poleis gehörten.

Einer Periode von Stabilität und Wohlstand während des 6. Jahrhunderts v. Chr. folgte eine Krisenzeit, die durch die Destabilisierung in der Steppe verursacht wurde. Seit dem späten 6. Jahrhundert v. Chr. und während des 5. Jahr-hunderts v. Chr. erhöhte sich die Anzahl der Grabstätten in der Steppe deutlich und unter den skythischen Funden erscheint eine Reihe von neuen Elementen, was durch das Eindrin-gen einer neuen Nomadengruppe aus dem Osten erklärt werden kann (Alekseev 2003, 168–193). Offenbar unterschied sich die neue Gruppe in ihrer Kultur und vielleicht auch in ihrer Sprache nicht allzu sehr von den Skythen, die bereits im Schwarzmeerraum lebten. Es finden sich jeden-falls bei den antiken Autoren keine Hinweise auf den Zuzug neuer Völker und möglicherweise

ihren Stammesangehörigen aus der Waldsteppe aufrecht, wie dies die einheitlichen Hinterlassen-schaften der beiden Gruppen belegen. Der politi-sche Status dieser Zuwanderer in Hinsicht auf ihr Verhältnis zu den griechischen Städten ist unklar, es ist jedoch, angesichts der freiwilligen Migra-tion an die Küste, kaum irgendeine Form persön-licher Abhängigkeit anzunehmen.

ein neues ReiCH entsteHt

Während des 6. Jahrhunderts v. Chr. ent-standen griechische Siedlungen auch in ande-ren Teilen des nördlichen Schwarzmeergebietes. Im Bereich der westlichen Krim wurde die ioni-sche Kolonie Kerkinitis und die erste Siedlung auf dem Gebiet von Chersonesos gegründet, die offen-bar auch ionisch war. Dorische Einflüsse setzten sich in der Stadt vermutlich erst am Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. durch, als die Stadt durch Kolonisten aus Herakleia Pontike, die von der süd-lichen Küste des Schwarzen Meeres stammten, neu gegründet wurde. Gleichzeitig entstanden Städte und Siedlungen am Kimmerischen Bospo-rus, sowohl auf der östlichen Krim als auch auf der Taman-Halbinsel: Neben den großen Städten Theodosia, Pantikapaion, Phanagoreia und Her-monassa gab es kleinere Städte wie Nymphaion, Myrmekion, Tyritake und Kepoi sowie zahlreiche

3 oinochoe aus dem skythischen Fürstengrab temir-gora auf der Krim. eines der ältesten Beispiele für griechischen import in skythischen Gräbern.

4 Fragmente einer attisch schwarz-figurigen Trinkschale (Kylix) aus tarent mit der darstellung eines Handels-schiffes. 530–520 v. Chr. Heidelberg, Antikenmuseum der universität.

haben die Griechen diese Veränderung nicht zur Kenntnis genommen. Nach den archäologischen Quellen zu urteilen, stellt die materielle Kul-tur der Skythen im 5. Jahrhundert v. Chr. eine Synthese aus Elementen der bereits bestehen-den Kultur und Neuerungen der Neuankömm-linge dar. Eine Folge der wachsenden Bevölke-rung in der Steppe und des Erscheinens neuer nomadischer Gruppen war eine erhöhte Aktivi-tät und Aggressivität der Skythen. Die Notwen-digkeit, dem Außendruck während der Inva-sion des persischen Großkönigs Dareios I. in den nordpontischen Raum zu widerstehen, führte zugleich zu einer Konsolidierung der skythi-schen Herrschaft. Man datiert die persische Inva-sion zwischen 520–507 v. Chr., wobei vieles für das Datum 513 v. Chr. spricht (Briant 2002, 141–146, 904). Offenbar gelang es den Skythen, die Kontrolle über die lokale Bevölkerung der Wald-steppe zu erlangen und zugleich versuchten sie auch, die griechischen Kolonien an der Küste zu unterwerfen. In den ersten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts v. Chr. wurden in mehreren grie-chischen Städten Befestigungsanlagen errichtet, während gleichzeitig die ländlichen Siedlungen untergingen bzw. verlassen wurden. In den Nek-ropolen der griechischen Städte tauchten Gräber mit Toten auf, die durch Pfeile skythischen Typs getötet worden waren (Vinogradov 1989, 81–90; Marchenko 1999).

Näher betrachtet hatte die Expansion der Skythen unterschiedliche Auswirkungen in den verschiedenen Regionen des nordpontischen Gebietes. Wahrscheinlich gelang es ihnen, die politische Kontrolle über die griechischen Kolo-nien Nikonion, Tyras, Olbia und Kerkinitis im nordwestlichen Schwarzmeergebiet sowie auf der westlichen Krim zu erlangen. Bei Herodot (Historien IV, 78–80) ist zu lesen, dass der sky-thische König Skyles eine Residenz in Olbia hatte und jedes Jahr in der Stadt erschien, wobei sein Heer vor den Stadtmauern lagerte. Im benachbar-ten Nikonion wurden Münzen mit dem Namen des Skyles geprägt (Karyshkovskii/Zaginailo 1990, 3–15) und in der zweiten Hälfte des 5. Jahr-hunderts v. Chr. zahlte Kerkinitis (das heutige Jewpatorija) vermutlich Tribute an die Skythen (Vinogradov 1994, 66 Nr. 3).

Die skythische Expansion im Raum des Kim-merischen Bosporus war hingegen weniger erfolg-reich. Vielleicht konnten die Skythen anfangs Nymphaion bezwingen, die anderen Städte jedoch vereinten sich angesichts der skythischen Gefahr zu einem Bündnis unter der Führung von Pantika-paion. In vielen bosporanischen Städten wurden Stadtmauern gebaut oder verstärkt, wie in Pan-tikapaion, Myrmekion, Tyritake und Porthmion (Tolstikov 1984). Den Griechen am Kimmerischen Bosporus gelang es auf diese Weise, ihre Unabhän-gigkeit zu bewahren und aufgrund des Bündnisses entwickelte sich eine Monarchie: das Bosporani-sche Reich mit der Hauptstadt Pantikapaion. Bald schloss das Bosporanische Reich nicht nur die griechischen Städte ein, sondern auch die umlie-genden barbarischen Gebiete. Der griechisch-bar-barische Aufbau des Bosporanischen Reiches spie-gelte sich in der Titulatur seiner Könige wider, die bis in die Epoche von Mithridates VI. Eupator (ca. 107–63 v. Chr.) den Griechen als Archonten und den Barbaren als Könige galten.

Am unteren Don, wo die griechische Präsenz schwächer war, waren die Folgen der skythischen Expansion schon früher spürbar. Im dritten Vier-tel des 6. Jahrhunderts v. Chr. ging die Siedlung Taganrog, die einzige griechische Kolonie in die-sem Gebiet, unter. Allerdings war für die Sky-then eine Fortsetzung des Handels mit den Grie-chen von großer Bedeutung und so entstand am Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr. im Don-Delta die Siedlung Elizavetovskaja, die die Hauptver-mittlerin im griechischen Handel mit dem barbari-schen Hinterland wurde. Die Bevölkerung von Eli-zavetovskaja war zum Großteil skythischer und zu einem geringeren Teil griechischer Herkunft (Mar-chenko/Zhitnikov/Kopylov 2000). Der Handel ging also in die Hände der Skythen über.

Im letzten Viertel des 5. Jahrhunderts v. Chr. änderte sich die politische Lage im nördlichen Schwarzmeergebiet. Die den Skythen zuvor untergeordneten griechischen Städte erlangten erneut ihre Freiheit und begannen ihre Chora wieder aufzubauen. Im späten 5. und während des 4. Jahrhunderts v. Chr. hatte so zum Beispiel Olbia nicht nur die Kontrolle über seine ländli-che Peripherie der archaischen Epoche wieder-gewonnen, sondern erweiterte sie sogar. Zurzeit

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dAs ZusAMMenleBen ZWisCHen sKytHen und PontisCHen GRieCHen

Archäologische Beobachtungen deuten dar-auf hin, dass es im letzten Drittel des 5. Jahrhun-derts v. Chr. unter den Skythen interne Konflikte gab; möglicherweise war es eine weitere Einwan-derungswelle von Nomaden aus dem Osten, die in die skythischen Auseinandersetzungen einbe-zogen wurde und die die Situation destabilisierte. Die Situation beruhigte sich jedoch bald wieder. Das 4. Jahrhundert v. Chr. ist die Blütezeit der skythischen Kultur: Aus dieser Zeit stammen die

sind etwa 150 ländliche Siedlungen dieser Zeit bekannt (Vinogradov 1989, 135–150; Kryzhi-ckij/Buiskikh 1989, 96–151). Gleichzeitig wurde das Umland von Tyras und Nikonion erneut erschlossen. Dies deutet auf das Ausbleiben einer nennenswerten militärischen Bedrohung durch die Skythen hin. Am Ende des 5. Jahr-hunderts v. Chr. verlieren die Skythen zudem die Kontrolle über Nymphaion. Die Stadt wurde dem Bosporanischen Reich angeschlossen, das auch eine Reihe von barbarischen Gebieten auf der asiatischen, heute russischen, Seite des Bos-porus unterwarf.

5 Bronzener Aufsatz mit einer Kampfdar-stellung zwischen einem Greifen und einem Raubtier. H 12 cm. Aus dem Grabhügel von Nadežda, Krim. 5. – 4. Jahrhundert v. Chr.tZM, inv. КП-12927/22, A-21425.

6 Münze des skythi-schen Königs Ataios (ca. 430 v. Chr. – 339 v. Chr.).

wahrscheinlicher (Andrukh 1995, 71–80). Bekannt sind seine

Münzen, die offen-bar in der griechi-

schen Stadt Kallatis in Thrakien geprägt wur-den (Abb. 6. Stolyarik 2001, 21–34). Die Münzprägung und auch die Beziehungen

zwischen Ataios und Philipp zeugen davon,

dass er für eine gewisse Zeit Gebiete südlich der

Donau und damit außerhalb Skythiens, kontrollierte. Auf die

Niederlage und den Tod des Ataios folgte der Verlust dieser Territorien und wahrschein-lich auch von Teilen der Besitzungen nördlich der Donau.

Das nächste bekannte Ereignis in der nord-pontischen Geschichte war eine Kampagne des Zopyrion, eines Strategen Alexanders des Gro-ßen im Jahr 331/330 v. Chr., die gegen die Geten und Skythen gerichtet war (Iustinus XII, 1, 4). Mit 30 000 Mann erreichte er Olbia und belagerte die Stadt, konnte sie aber nicht einnehmen. Seine Armee wurde von den Skythen vernichtet und Zopyrion umgebracht.

Eine weitere Episode der skythisch-griechi-schen Geschichte ist mit König Agaros verbun-den, der vermutlich in einem internen Krieg im Jahr 310/309 v. Chr. zwischen den Söhnen des bos-poranischen Königs Pairisades auf der Seite von Satyros II. kämpfte (Diodor XX, 22–26). Wahr-scheinlich war er König jener Skythen, die die Krimsteppe beherrschten und unmittelbar bis an den Kimmerischen Bosporus siedelten. Dieses Ereignis unterstreicht ein weiteres Mal die engen Verbindungen zwischen der bosporanischen und der skythischen Aristokratie.

deR unteRGAnG deR sKytHisCHen KultuR

Ein neuer Abschnitt in der Geschichte des nördlichen Schwarzmeergebietes beginnt im frühen 3. Jahrhundert v. Chr. Er ist mit dem

meisten der bekannten skythi-schen Funde (Abb. 5 und 7). Von den 2300 skythischen Bestattungen in den Steppengebieten, die zu Beginn der 1980er Jah- re bekannt waren, da- tieren ca. 2000 in das 4. Jahrhundert v. Chr. Chernenko u. a 1986, 345). Die reichsten, „königlichen“ Bestattun-gen gehören ebenfalls dieser Epoche an.

Die Beziehungen der Sky-then zu den griechischen Kolonien waren meist friedlich, sehr wahrschein-lich gab es auch dynastische Verbindungen zwi-schen ihren Königen und den Königen des Bos-poranischen Reiches. In der skythischen Kultur, vor allem aber innerhalb der skythischen Elite, ist die schnelle und intensive Hellenisierung deut-lich erkennbar. In diesen Zeitraum fällt die Ent-stehung der griechisch-skythischen Kunst, die in besonderer Weise durch die berühmten toreuti-schen Objekte verkörpert wird, welche aus den Kurganen der Oberschicht zutage kamen. Sie wur-den wohl von griechischen Handwerkern nach dem Geschmack und den Bedürfnissen der Sky-then hergestellt.

Die bekanntesten Ereignisse in der politi-schen Geschichte Skythiens während des 4. Jahr-hunderts v. Chr. sind mit dem Namen des Königs Ataios (Atheas) verbunden (Iustinus IX, 2; Stra-bon VII, 3, 18; Polyainos VII, 44; Lucian Macrobii 10). Seine Aktivitäten fanden im südwestlichen Skythien und in Thrakien statt und fallen in die Zeit zwischen den 60er Jahren des 4. Jahrhunderts und dem Jahr 339 v. Chr., als er in der Schlacht gegen Philipp von Makedonien im Alter von 90 Jahren starb. Laut den oben genannten Quellen-texten bekämpfte Ataios zunächst erfolgreich die Triballoi und Istrianoi, verbündete sich mit den Makedonen und wurde im Krieg, der dem Bruch des Bündnisses mit den Makedonen folgte, getö-tet. Es ist unklar, ob Ataios Herrscher über ganz Skythien war oder nur des westlichen Teils des skythischen Einflussbereiches; letzteres scheint

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wurde, verkleinerte sich unter dem Druck der Sar-maten, insbesondere der Siraken.

Eine teilweise Stabilisierung, die von einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation begleitet wurde, erfolgte im nördlichen Schwarz-meergebiet erst am Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. Wahrscheinlich ließen sich die Sarmaten zu dieser Zeit in den nordpontischen Steppen nie-der. Ihre Herrscher hatten nun Interesse daran, ihre Nachbarn nicht mehr einfach nur auszu-rauben, sondern einen kontinuierlichen Gewinn aus der wirtschaftlichen Entwicklung der ganzen Region und aus dem Austausch mit den Griechen zu ziehen. Es ist bemerkenswert, dass der sarma-tische Herrscher Gatalos dem Friedensvertrag des Jahres 179 v. Chr. zwischen dem pontischen König Pharnakes I., dem pergamenischen König Eume-los II. und anderen Königen und Poleis Klein- asiens und des Pontischen Gebiets beitrat (Poly-bios 25,2). Die Sarmaten nahmen damit an der „großen“ Politik der hellenistischen Welt teil.

Das Bosporanische Reich konnte seine Chora wieder herstellen, jedoch waren die neu gegrün-deten Siedlungen jetzt befestigt, was auf eine andauernde militärischen Bedrohung hinwei-sen könnte. Es handelte sich tatsächlich aber nur um eine kurzfristige Stabilisierung, denn in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. zeich-net sich im nordwestlichen Schwarzmeergebiet bereits eine erneute Krise ab. So verringerte sich unter anderem das Territorium von Olbia, ebenso wie die Bevölkerungszahl der Stadt. Hingegen sind im Bosporanischen Reich keine derart deutli-chen Zeichen einer Wirtschaftskrise zu erkennen, was vermutlich auf die guten Beziehungen bzw. eine Allianz mit den Krimskythen zurückzufüh-ren sein dürfte.

die sPätsKytHen

Die Skythen sind seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. nur noch auf der Krim, im unteren Dnjepr-gebiet und in der Dobrudscha (das Gebiet zwi-schen Südostrumänien und Nordostbulgarien am Schwarzen Meer) zu finden. Auf der Krim behiel-ten sie noch teilweise die nomadische Lebens-weise bei, gingen dann aber aktiv zum sesshaften Leben über und vermischten sich mit der lokalen

Untergang der skythischen Kultur und des skythi-schen Königreiches verbunden. Die Ursachen sind unklar. Offenbar gab es eine Reihe von Faktoren, wie unter anderem einen Klimawandel und eine Wirtschaftskrise, die durch Überweidung verur-sacht wurde. Eine wichtige Rolle spielte vermut-lich auch die Expansion der Sarmaten, ein wei-teres steppennomadisches Volk aus dem Osten (Alekseev 2003, 251; verschiedene Standpunkte siehe: Maksimenko 1997).

Das 3. Jahrhundert v. Chr. ist die „dunkle Zeit“ in der Geschichte des nördlichen Schwarzmeer-gebietes. Sowohl skythische als auch sarmati-sche Denkmäler sind in den nordpontischen Step-pen in dieser Zeit unbekannt; eine befriedigende Erklärung fehlt dafür bisher. Jedoch ist es unstrit-tig, dass die sarmatische Expansion im 3. Jahrhun-dert v. Chr. stattfand. Schon um 280 v. Chr. kamen Sarmaten auf die Krim und erreichten Cherso-nesos, was durch epigraphische Quellen bezeugt ist (Vinogradov 1997a). Die auf der Krim verblie-benen Skythen versuchten die griechischen Sied-lungen der westlichen Krim, die zu Chersonesos gehörten, unter ihre Kontrolle zu bringen. Bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. verlor Cherso-nesos fast all ihre Besitzungen in der nordwestli-chen Krim, einschließlich der Städte Kalos Limen und Kerkinitis (Shcheglov 1978).

Die Destabilisierung der Situation in der Steppe hatte auch negative Folgen für die ande-ren griechischen Staaten des nördlichen Schwarz-meergebietes: Die Zeit der friedlichen Koexistenz mit den Barbaren wurde hier durch fortwährende militärische Konflikte abgelöst. Im nordwestli-chen Teil des Schwarzmeergebietes ist nicht allein die Expansion verschiedener Gruppen der ira-nisch-sprachigen Nomaden, vor allem der Sarma-ten, sondern auch geto-thrakischer und keltischer Völker zu beobachten. Die Folge ist der Untergang von Nikonion; Olbia und Tyras verlieren ihre Chora und sind in eine anhaltende wirtschaftli-che und politische Krise verwickelt. Auf der Krim gehen, wahrscheinlich als Folge der Expansion jener Skythen, die Chersonesos angegriffen hat-ten, die meisten ländlichen Siedlungen des Bos-poranischen Reiches unter. Das Territorium, das vom Bosporanischen Reich auf der asiatischen Seite des Kimmerischen Bosporus kontrolliert

Feldzügen in den Jahren 110–107 v. Chr. Palakos, den letzten König von Krimskythien und Sohn des verstorbenen Skiluros, und besetzte alle sky-thischen Festungen, einschließlich der Haupt-stadt Neapolis Skythike (IOSPE I2, 352). Die ehe-maligen skythischen Besitzungen, einschließlich Olbia, kamen unter die Kontrolle von Mithridates. Gleichzeitig sorgte Diophantos dafür, dass Pairisa-des, der letzte König der bosporanischen Dynas-tie der Spartokiden, sein Königreich dem Mithri-dates übertrug.

Das in der Dobrudscha gelegene „Kleinsky-thien“ (Andrukh 1995) hatte kulturell und poli-tisch eine viel geringere Bedeutung als das skythi-sche Königreich auf der Krim. Es ist durch einige wenige Berichte antiker Autoren, Inschriften und durch Münzen, die in den griechischen Städ-ten des westlichen Schwarzmeergebietes geprägt wurden, bekannt. Sechs Namen von skythischen Königen aus der Dobrudscha, aus der Zeit zwi-schen der zweiten Hälfte des 3. und dem Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr. sind überliefert. Auch „Kleinskythien“ ging im Zuge der Expansion des Mithridates VI. Eupator unter.

Nach dem Fall der skythischen Königrei-che wurden alle griechischen Städte des nörd-lichen Schwarzmeergebietes in einem einzigen Staat unter Mithridates VI. Eupator zusammen-gefasst. Doch in großen Teilen der Region blieb die Gesamtsituation kompliziert und die Bezie-hungen zu den benachbarten Barbaren ange-spannt. Besonders schwierig war die Situation im nordwestlichen Schwarzmeergebiet, wo die größte Gefahr nicht von den iranisch-sprechen-den Skythen und Sarmaten ausging, sondern von den geto-thrakischen Stämmen. In der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. schuf Byrebistas eine mäch-tige Allianz aus getischen Stämmen, die eine Reihe von griechischen Städten im westlichen und nordwestlichen Schwarzmeergebiet zerstör-ten, darunter Olbia. Erst Jahrzehnte nach der Zer-störung lebte die Stadt wieder auf.

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Nach dem Tod des Mithridates und dem Zerfall seines Reiches verstärkte Rom seinen Einfluss im nördlichen Schwarzmeergebiet. Die griechischen

Bevölkerung, in erster Linie mit den Taurern, die im Krimgebirge siedelten.

Offenbar begründeten die Krimskythen in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. ein neues Reich. Ihre Hauptstadt wurde Neapolis Skythike (das heutige Simferopol). Trotz der Tatsache, dass eine archäologische Kontinuität zwischen der spätskythischen Kultur und der skythischen Kul-tur des 4. Jahrhunderts v. Chr. nicht erkennbar ist, wurde die Verbindung zu den Skythen der klassi-schen Periode, zumindest in den oberen Schich-ten der Gesellschaft, offenbar bewusst gewählt: Die Könige von Neapolis nannten sich Könige Skythiens (Vinogradov/Zaicev 2003) und auch die antiken Autoren und pontischen Griechen betrachteten sie ebenfalls als Skythen. Das neue skythische Reich war stark hellenisiert und erin-nert mehr an die hellenistischen Monarchien als an das Königreich der nomadischen Skythen des 4. Jahrhunderts v. Chr. Das spätskythische König-reich unterhielt enge Beziehungen zum Bospor-anischen Reich und die herrschenden Dynastien waren durch eine aktive Heiratspolitik mitein-ander verbunden. Der erste bekannte König die-ses skythischen Reiches war Argotes, der zweite Ehemann der bosporanischen Königin Kamasa-rye, die die Witwe des Königs Pairisades II. und die Mutter des Königs Pairisades III. war (CIRB 75; vgl. die Inschrift vom Mausoleum des Argotes in Neapolis Skythike: Vinogradov/Zaicev 2003, 44–53). Argotes starb um 135 v. Chr. und sein Nachfolger war Skiluros, der nicht nur die zent-rale und westliche Krim (außer Chersonesos) kon-trollierte, sondern auch eine Reihe anderer Ter-ritorien des nördlichen Schwarzmeergebietes. Olbia war in die politische Abhängigkeit von Ski-luros geraten, der in dieser Stadt Münzen mit sei-nem Namen prägen ließ. Er hatte freundschaftli-che Beziehungen zum Bosporanischen Reich und eine seiner Töchter war mit einem Mitglied der bosporanischen Königsfamilie, Heraklides, ver-heiratet (SEG 37, 674). Gegenüber Chersonesos betrieb Skiluros weiterhin eine feindliche Politik.

Das skythische Reich wurde von den Trup-pen des pontischen Königs Mithridates VI. Eupa-tor unter dem Befehl des Diophantos zerstört. Mit Hilfe von Chersonesos, dem langjährigen Gegner der Skythen, besiegte Diophantos in drei

48 49Askold ivantchik Griechen und Barbaren

Die sarmatischen Stämme spielten weiterhin eine führende Rolle in der Schwarzmeerregion, wobei eine beständige Hellenisierung und Annä-herung zwischen den Eliten der griechischen Städte und jener der Sarmaten zu beobachten ist. Der sarmatische König Farzoios und sein Nachfol-ger Inensimeos (Inismeios) prägten in der zwei-ten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. goldene und silberne Münzen in Olbia. Die Beziehungen die-ser Herrscher zu Rom sind unklar. Es wird ver-mutet, dass die Könige der Aorsen Bundesgenos-sen Roms waren (Kryzhickij u. a. 1999, 303–307, mit der Literatur). Die epigraphischen Quellen weisen darauf hin, dass es im 2. und 3. Jahrhun-dert n. Chr. unter den Bürgern Olbias viele Per-sonen gab, die iranische (wahrscheinlich sarma-tische) Namen besaßen. Als Erklärung ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten: Vielleicht stammten diese Familien von sarmatischen Aris-tokraten ab oder standen in freundschaftlichen Beziehungen zu ihnen. Aber unabhängig von ihrer Herkunft besaßen diese Bürger Olbias offen-sichtlich auch eine griechische Kultur und Iden-tität. Es gibt keine Anzeichen einer „Sarmatisie-rung“ in der materiellen Kultur Olbias während dieser Epoche, obwohl das Vorkommen bestimm-ter sarmatischer Elemente, insbesondere tamga-förmiger Zeichen, bemerkenswert ist (Krapivina 1993). Das gleiche Phänomen ist charakteristisch für den Kimmerischen Bosporus, insbesondere für Tanais, dem bosporanischen Vorposten an der Mündung des Don.

Am Kimmerischen Bosporus spielten ver-schiedene sarmatische Stämme weiterhin eine bedeutende Rolle. So standen bei dem Versuch des Bosporanischen Königreiches sich von der römischen Vorherrschaft zu befreien, was zum römisch-bosporanischen Krieg in den Jahren 45–49 n. Chr. führte, auf der Seite Roms Cher-sonesos und die Aorsen, während die Siraken und Dandarien die bosporanischen Bürger unter-stützten. Anscheinend spielten die Sarmaten auch eine bedeutende Rolle bei der Machtüber-nahme der bosporanischen Dynastie, die in römi-scher Zeit am Kimmerischen Bosporus regierte. Die Dynastie selbst hatte teilweise sarmatische Wurzeln: der König Asandros/Asandrochos, der Ehemann der Dynamia, der Enkelin Mithridates,

Städte (außer Tyras) waren nicht Bestandteil der römischen Provinzen, sondern galten als Vasal-len Roms. Rom schickte mehrmals Truppen nach Olbia, Chersonesos und an den Kimmeri-schen Bosporus; sowohl im Rahmen einzelner Militäraktionen, die vor allem der Verteidigung gegen die permanente barbarische Bedrohung dienten, als auch zur Verstärkung der römischen Garnisonen. Unter Roms Schutz stabilisierten sich die griechischen Städte und ihre wirtschaft-liche Situation wieder. Seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. erlebten sie eine erneute Blüte, die bis zum Beginn wiederholter barbarischer Invasionen und der Krise in der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. andauerte.

Die endgültig sesshaft gewordene skythische Bevölkerung verblieb nach der Mithridates-Ära weiterhin sowohl auf der Krim als auch im nord-westlichen Schwarzmeergebiet und verschmolz schrittweise mit anderen ethnischen Gruppen. Einen gewissen politischen Aufschwung erleb-ten sie nochmals im 1. Jahrhundert n. Chr. In den 60er Jahren dieses Jahrhunderts belagerten sie Chersonesos, das Rom um Hilfe bat. Der Statthal-ter der Provinz Moesia T. Plautius Silvanus (61–66 n. Chr.) organisierte einen Feldzug. Die Skythen wurden besiegt, während in Chersonesos und an einigen anderen Orten römische Garnisonen sta-tioniert wurden. Die schriftlichen Quellen dieser Zeit sprechen nunmehr von Tauro-Skythen. In diesem Begriff dürfte sich die Zusammensetzung der Bevölkerung auf der Krim widerspiegeln. In der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. griffen sie Olbia an, das ebenfalls Rom zu Hilfe rief. Die aus der Provinz Moesia Inferior entsendeten Trup-pen halfen nicht nur bei der Befriedung, sondern wurden in Olbia auch als ständige Garnison stati-oniert. Archäologische Quellen weisen darauf hin, dass in der zweiten Hälfte des 1. und in der ers-ten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. die späten Skythen weitgehend in den Sarmaten aufgingen. Griechische Quellen erwähnen die Skythen noch bis zum Ende der byzantinischen Epoche. Doch war der Begriff schon seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. zu einem kollektiven Namen für die nördli-chen Barbaren geworden und bezeichnete häufig Gruppen, die mit den historischen Skythen nichts zu tun hatten.

griechischen Städte sich allein gegen die neuen Eindringlinge, Goten und ihre Verbündeten, zur Wehr setzen mussten. Die Goten besetzten und zerstörten Tyras und Olbia sowie eine Reihe bos-poranischer Städte. Einige von ihnen wurden wieder errichtet, andere jedoch gingen endgül-tig unter. Seit dieser Zeit nahm die griechische Präsenz in der nördlichen Schwarzmeerregion mehr und mehr ab. Trotzdem existierte Cherso-nesos, zunächst als Bestandteil des Byzantini-schen Reiches und dann unter der Kontrolle der Genuesen, bis zum 15. Jahrhundert. Das griechi-sche Fürstentum Theodoro auf der Krim bestand bis zum Jahr 1475 und überlebte somit den Fall Konstantinopels.

hatte einen sarmatischen Namen wie auch sein Sohn Aspurgos. Der im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. beliebte dynastische Name Sauromates weist gleichfalls darauf hin, dass die bosporani-schen Könige ihre sarmatische Herkunft nicht verhehlten.

Die Blütezeit der griechischen Städte des nördlichen Schwarzmeergebietes unter der römi-schen Vorherrschaft endet in der Mitte des 3. Jahr-hunderts n. Chr. Hintergrund sind umfangreiche Bevölkerungsbewegungen, die auch das Römi-sche Reich destabilisierten. Die Situation wurde durch die Tatsache verschärft, dass die Römer sich gezwungen sahen, ihre Garnisonen aus den nordpontischen Städten abzuziehen, so dass die

7 Vier bronzene Zierleisten in Fischform (stör). slavnoe, Grab 2 (Krim). 5. – 4. Jahrhundert v. Chr. tZM, inv. КП-55245, 55246, 55247, 55249.


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