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Peiraikos`Erben. Die Genese der Genremalerei bis 1550 (Trierer Beiträge zu den Historischen...

Date post: 13-May-2023
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Münch/M

üller (Hg.) . P

eiraikos’ Erben

Trierer Beiträge zu den

historischen Kulturwissenschaften 14

Peiraikos’ Erben

Herausgegeben von Birgit Ulrike Münch und Jürgen Müller

Die Genese der Genremalerei bis 1550

REICHERT VERLAG WIESBADEN 2015

TRIERER BEITRäGE

zu DEN HISToRISCHEN KuLTuRWISSENSCHAfTEN

herausgegeben im Auftrag des Historisch-Kulturwissenschaftlichen

forschungszentrums (HKfz) Trier

von Hilary Dannenberg, Gottfried Kerscher, ursula Lehmkuhl, ulrich Port und Martin Przybilski

14

REICHERT VERLAG WIESBADEN 2015

Herausgegeben von Birgit ulrike Münch und Jürgen Müller unter Mitarbeit von Elsa oßwald

Peiraikos’ Erben

Die Genese der Genremalerei bis 1550

© 2015 Dr. Ludwig Reichert Verlag WiesbadenISBN: 978-3-95490-038-1

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des urheberrechtsgesetzes

ist ohne zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen

und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.dnb.de abrufbar.

Der vorliegende Band ist im Historisch-Kulturwissenschaftlichen forschungszentrum (HKfz) Trier

entstanden und wurde auf dessen Veranlassung unter Verwendung der ihm von der forschungsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz

zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt.

Die Publikationsreihe Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften ver-steht sich als forum für historisch orientierte und fächerübergreifende forschungen aus dem Bereich der Kulturwissenschaften. Neben Sammel- und Tagungsbänden um-fasst das Spektrum der Reihe auch monographische Studien und Ausstellungskataloge. Als Herausgeber der Buchreihe fungiert der Vorstand des im Rahmen der forschungs-initiative des Landes Rheinland-Pfalz finanzierten, an der universität Trier angesiedel-ten Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums (HKfz) Trier.

Trier, im September 2014 Martin Przybilski (für den Vorstand des HKfz)

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.dnb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort der Reihenherausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

Dank der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX

I. Überlegungen zur frühen Genrekunst

Jürgen Müller, Dresden/Birgit ulrike Münch, Trier zur Einführung: Bauern, Bäder und Bordelle?, oder: Was soll uns die frühe Genremalerei sagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

Jürgen Müller, Dresden Die Welt als Bordell. Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Birgit ulrike Münch, Trier Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung mit Blick auf die ‚Melkmeid‘ des Lucas van Leyden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

Christopher P. Heuer, Princeton Der Niemand vor Bruegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

II. Die frühe Genremalerei und ihr ‚theologischer Gehalt‘

Mitchell B. Merback, Baltimore Pro remedio animae. Works of Mercy as Therapeutic Genre . . . . . . . . . . . . . . . . 97

M A Katritzky, Milton Keynes/uK Lucas van Leyden’s ‘Toothdrawer’, 1523: Passion play merchant scenes and the religious origins of quack depictions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

III. Höfische versus städtische Räume der Genremalerei

Wolf Seiter, Dresden Der Betrachter als Beute. Das Genre der Jagdmotivik als christliche und politische Standortbestimmung in einem Holzschnitt Jörg Breus d.J. von 1535 . . 151

Maike Schmidt, Trier Jagd im Bild. Kultur und Darstellung herrschaftlicher Jagdausübung im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen frankreich zwischen Prunk und Performanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

VIII Inhalt

ulrike Heinrichs, Paderborn Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch. Aneignungen der Ikonographie von Kunst und Philosophie im burgundisch-deutschen Kunsttransfer . . . . . . . . . 199

Peter Bell, Heidelberg Alltägliches im Ereignis – fremdes im Eigenen. zigeunergenre bei Burgkmair, van Leyden und Bruegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

IV. Das Privathaus als Erlebnisraum: Wandmalerei und material culture der Genrekunst

Harald Wolter-von dem Knesebeck, Bonn Die Bedeutung des Themenkreises ‚Haus‘ in der profanen Wandmalerei des Spätmittelalters für die Genese der Genremalerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

Thomas Schauerte, Nürnberg Bauer, Dirne, fußknecht. zu Dürers frühen Genremotiven und der Kultur der Nürnberger Tafelaufsätze . . 297

Justus Lange, Kassel „Ain ieder moerck mit vleysz hiebey“. Genremotive auf bemalten Tischplatten als pädagogisches Instrument . . . . . . . . . 313

V. Wahre Liebe versus Liebe als Ware: Sexualität und Geschlechterbeziehung zwischen Minne, Bad und Bordell

Stefan Matter, oxford/Tübingen Konversationsstücke des 15. Jahrhunderts. Überlegungen zu einigen Minnegarten-Stichen um Meister E.S. vor dem Hintergrund literarischer Minnediskurse der zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

Bertram Kaschek, Dresden Das kunsttheoretische Bordell. Metamalerei bei Jan van Hemessen . . . . . . . . . . . 359

Jan-David Mentzel, Dresden zwischen obszönität und Ideal. Überlegungen zu zwei Badedarstellungen der Beham-Brüder . . . . . . . . . . . . . . . 391

Barbara Katja Kemmer, Trier Augenlust versus innere Schau. Verlockung und Verderbnis in lasziv-genrehaften Bildfindungen an der Schwelle zur Neuzeit . . . . . . . . . . . . . 415

Kurzbiografien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443

orts- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447

farbtafeln

Dank der Herausgeber

Lange vor der Etablierung der Gattung Genremalerei gab es zumindest ein Bewusstsein für die als minoris picturae bezeichnete Malerei: so lässt sich bei Plinius – mittlerweile längst ein Gemeinplatz der forschung geworden – der Hinweis auf den ‚Stammvater der Genremalerei‘, Peiraikos, finden, den der Autor als Ryparographos, als „Dreck-maler“, bezeichnet.

Die Erarbeitung der Genese der Genremalerei seit ihren angeblich schmutzigen Anfängen als Kooperationsprojekt zwischen dem Teilprojekt E des Dresdner SfB 804 Transzendenz und Gemeinsinn (Prof. Müller, Lehrstuhl für Mittlere und Neue-re Kunstgeschichte) und der Arbeitsgruppe GnoVis – Gnomisches Wissen im Raum der Bilder (Dr. Münch) des Historisch Kulturwissenschaftlichen forschungszentrums (HKfz) Trier nahm ihren Anfang bereits im Juli 2011, als das HKfz der förderung eines gemeinsamen Projekts unter dem Titel ‚Wissensraum Alltag‘ zustimmte, das von den beiden Herausgebern geleitet wurde. Vom 4.–6. oktober 2012 konnte hiernach, ebenfalls gefördert vom HKfz sowie vom SfB 804, eine Tagung unter dem Titel: ‚Boors, Bagnios and Brothels. Mapping the Birth of Genre Painting before 1550 – Bau-ern, Bäder und Bordelle. zur Genese der Genremalerei bis 1550‘ (Abb. 1, Taf. 1) an der universität Trier veranstaltet werden. Diese vereinte einen internationalen Experten-kreis und erarbeitete das bislang rudimentär behandelte Thema primär kunsthistorisch, bezog jedoch historische, ethnologische und philologische fragestellungen mit ein. Die Attraktivität und Innovation des Themas wurde nicht zuletzt durch das durchweg po-sitive feedback sowie durch die Tatsache bestätigt, dass alle für die Tagung angefrag-ten Personen aus der Schweiz, den uSA, Belgien, Großbritannien und Deutschland ihre Teilnahme umgehend zusagten.Wir danken dem Vorstand und der Geschäftsstelle des HKfz für die kontinuierliche förderung unserer forschungsinteressen, für die großzügige finanzierung des Tagungsbandes und die Aufnahme desselben in die Reihe ‚Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften‘, ferner sind wir der uni-versität Trier und ihrem Präsidenten Prof. Dr. Michael Jäckel für die unterstützung im zusammenhang der Tagung zu Dank verpflichtet. unser Dank gilt jedoch selbstredend auch allen Beiträgerinnen und Beiträgern, die dazu beitrugen, dass der Tagungsband relativ zügig in Druck gehen konnte. ferner gebührt besonderer Dank Dr. Bertram Ka-schek und Prof. Dr. Dr. Andreas Tacke für unterstützung und inhaltlichen Austausch. PhD Jessica Buskirk und PD Dr. Christian Jörg danken wir für die Übernahme einer Moderation. Im zuge der Tagungsorganisation konnten wir auf die Hilfe vieler Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter zählen, denen wir ebenso zu großem Dank verpflichtet sind: neben Elsa oßwald M.A., die das Tagungsbüro in Trier organisierte und Jan-David Mentzel M.A. sowie Juliane Gatomski M.A., die in Dresden die organisation übernahmen, ist Janina Modemann M.A., Cindy Bleser M.A. und Dipl. Designerin Johanna Hochrein herzlich zu danken. Den Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle des HKfz, Dr. Kathrin Geldermans-Jörg sowie vormals Theresia Biehl M.A., Leonie Butz

X Dank der Herausgeber

M.A., Sabine friedrich und Hanna Häger M.A. sind wir ebenfalls zu Dank verpflichtet wie den Mitarbeitern des Reichert-Verlags, insbesondere frau Miriam Würfel.

für ihre unentbehrliche unterstützung in den vergangenen Monaten bei der redak-tionellen Vorbereitung der Druckvorlagen sei neben den genannten Kolleginnen der Geschäftsstelle insbesondere Elsa oßwald M.A., Lisa Berg und Jürgen von Ahn M.A. herzlich gedankt.

Wir widmen dieses Buch Jan, Eva, Levin und Elinor.

Trier und Dresden im September 2014

I. Überlegungen zur frühen Genrekunst

Jürgen Müller/Birgit ulrike Münch

zur Einführung: Bauern, Bäder und Bordelle?, oder: Was soll uns die frühe Genremalerei sagen?

Die frage nach den ursprüngen der Genremalerei und danach, warum Künstler, Auf-traggeber und Käufer Gemälde und Graphiken mit scheinbar Alltäglichem produzier-ten, in Auftrag gaben oder erwarben, eröffnet ein bedeutendes forschungsfeld.1 für dessen Erschließung ist es unerlässlich zu erkennen, dass gerade in vermeintlichen All-tagsszenen neue Wege der Moraldidaxe beschritten wurden. Wer heute den Gattungs-begriff der Genremalerei nutzt, muss jedoch eine historische Entwicklung mitdenken, bei der Begriffs- und Darstellungsgeschichte strikt zu trennen sind. Schon oft wurde festgestellt, dass die Genremalerei im ‚Groot Schilderboek‘ Gérard de Lairesses von 1707 zwar eine erste ausführlichere Einordnung erfuhr,2 der Begriff aber erst mit der französischen Kunsttheorie der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstand und da-mit lange, nachdem ihre erste Hochphase vergangen war. Denis Diderots unterschei-dung in „peinture d’histoire“ und „peinture de genre“ – mit seinen Worten der Nach-ahmer der empfindsamen lebendigen Natur (= der Historienmaler) abgegrenzt vom Nachahmer der rohen und unbewegten Natur (= der Genremaler) – etablierte den Ter-minus, dem von nun an eine große Erfolgsgeschichte vergönnt war.3 Seitdem wird die Genremalerei als Darstellung alltäglicher Szenen im unterschied zur Historienmalerei im Sinne der Repräsentation mythologischer, christlicher oder historischer Szenerien gefasst. Die frage jedoch, ob Genrebilder über andere Mittel der Bedeutungskonstitu-tion verfügen als etwa Historien, blieb in vielen fällen ein Desiderat. Das Auseinander-klaffen von Begriffs- und Darstellungsgeschichte führt notwendigerweise zu der frage, in welchem Bewusstsein Künstler des 16. Jahrhunderts ihre Bilder geschaffen haben, wenn sie sich noch gar nicht darüber im Klaren waren, dass sie ‚Genremaler‘ sind oder doch zumindest ‚Genrebilder‘ geschaffen haben.

1 für Hinweise zu den folgenden Überlegungen danken wir Bertram Kaschek, Dresden.2 Vgl. De Lairesse: Schilderboek, Bd. 1, Buch III, Kap. 1, S. 167–174. Nach Lairesse kann die Genre-

malerei aufgrund ihrer Kurzlebigkeit nur das Gegenwärtige, die waare geschiedenis abbilden und we-der Abstraktes noch Sinnbildhaftes visualisieren. Die bloße Wiedergabe des ‚Ist-zustands‘ verschließe demzufolge dem Maler, der aufgrund dieser Tatsache von Lairesse als einfacher Handwerker angesehen wird, einen Idealzustand der Welt wiederzugeben. Aus diesem Grund fordert Lairesse, Darstellungs-modi der antiken Manier auch für die Genrekunst fruchtbar zu machen.

3 La ligne était trace de toute éternité: il fallait appeler ‚peintres de genre‘, les imitateurs de la nature bru-te et morte; ‚peintre d’histoire‘, les imitateurs de la nature sensible et vivante; et la querelle était finie, sowie zuvor bereits Le peintre de genre a sa scène sans cesse présente sous ses yeux; le peintre d’histoire, ou n’a jamais vu, ou n’a vu qu’un instant la sienne, siehe: DiDerot: Essai, S. 505 sowie 507f.

4 Jürgen Müller/Birgit ulrike Münch

Mit der frage, wie Genremalerei avant la lettre aufgefasst und kategorisiert worden ist, beschäftigt sich der vorliegende Tagungsband ebenso wie mit der frage, wie die Genese des Genrebildes in den letzten Jahrzehnten des Spätmittelalters bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts vonstattenging, die schlussendlich zur Genremalerei des 17. und 18. Jahrhunderts führte. Was die Begrifflichkeit betrifft, so führt ein langer Weg in die Antike zurück. Das lateinische Wort genus, das bekanntlich das Geschlecht bezeichnet, wird schon von Plinius gebraucht, um die Eigenart bestimmter Bilder zu charakte-risieren. Damit ist aber lediglich die Art ihrer Darstellung gemeint, Genus ist Genre nicht im Sinne einer Gattung, sondern im Sinne eines in bestimmter Weise geschaffenen Werks.4 Dabei ist zu beachten, dass sich die genannten Kategorien nicht parallel zuein-ander entwickelt haben. Wie festgestellt wurde, entstand der Begriff der Genremalerei im 18. Jahrhundert, während die erste Hochphase dieser Kunstform bereits im ‚langen‘ 15. Jahrhundert einsetzte und im holländischen Gouden Eeuw ihren ersten und auch wirkmächtigsten Höhepunkt erfuhr.

Traditionellerweise wurde die Genremalerei im 20. Jahrhundert über zwei Eigen-schaften definiert.5 Demnach stellt sie einerseits eine Wiedergabe des Alltags dar und zeichnet sich andererseits durch ihren realistischen Darstellungsmodus aus, wobei verständlicherweise die Kunst des 17. Jahrhunderts im zentrum stand. Doch in der Auseinandersetzung mit den überlieferten Kunstwerken wird schnell deutlich, dass die Darstellung alltäglicher Szenen oder Motive keiner Epoche exklusiv vorbehalten ist. Bereits in der Antike wurden Gebrauchsgegenstände mit profanen Motiven ge-schmückt und bestimmte Räume in Wohnhäusern mit aufwändigen Bildprogrammen ausgestaltet, die mit Darstellungen des Alltags aufwarteten. Antike Textquellen berich-ten ausführlich von Bildern, in denen Jagdszenen beschrieben werden – man denke etwa an Philostrats ‚Eikones‘.6 Plinius überliefert im 35. Buch seiner ‚Naturgeschichte‘ zahlreiche kuriose Bilderfindungen, die man als ‚Genrebilder‘ hat deuten wollen.7 Im-mer wieder beschreibt er Details, die als außergewöhnlich gelungen bezeichnet werden und dem Autor zufolge das Staunen der Betrachter hervorriefen. Viele der Bilder wer-den als komisch bezeichnet und für ihren besonderen Realismus gelobt. Dabei hat die ‚Traubenepisode‘ aus dem Wettstreit zwischen zeuxis und Parrhasios gar den Charak-ter eines Topos erhalten, der das Problem illusionistischer Kunst zum Thema macht.8

Die Vielfalt der von Plinius beschriebenen Themen sticht ins Auge. Hunde mit Schaum vor der Schnauze, eine alte frau, die eine fackel trägt, Spaziergänger, Schiffs-reisende und Männer, die frauen in sumpfigem Gelände auf den Schultern tragen, fin-den Erwähnung, um nur wenige Motive zu nennen. Leider sind die in der ‚Natur-geschichte‘ erwähnten Kunstwerke nicht überliefert, aber eine große Anzahl antiker Kunstgegenstände und Malereien zeugt von der extremen Varianz profaner Bildsujets, die sogar pornographische Darstellungen beinhaltet. Gleichwohl verdichten sich die

4 Immerhin heißt es in der ‚Naturalis historia‘ in Bezug auf ein Bild des Malers Antiphilus id genus pic-turae, vgl. PLinius secunDus Maior: Historia, S. 114.

5 Einleitend im Sinne einer ersten Übersicht: GaehtGens: Genremalerei, S. 14–46.6 PhiLostratos: Bilder, S. 158–162.7 Dabei fällt auf, dass der antike Autor mehrfach erwähnt, jene Künstler hätten auf kleinformatigen

Tafeln parvis tabellis gemalt, vgl. PLinius secunDus Mairor: Historia, S. 24; rauPP: Bauernsatiren.8 Vgl. PLinius secunDus Maior: Historia, S. 28.

5Bauern, Bäder und Bordelle?, oder: Was soll uns die frühe Genremalerei sagen?

Motivaufzählungen im 35. Buch der ‚Naturgeschichte‘ nicht zu einer theoretischen Position.

Auch die Erwähnungen von Peiraikos, der als „Schmutzmaler“ bezeichnet wird, oder Antiplikos, der einen Mann mit lächerlichem Aussehen und Namen Gryllos dar-gestellt hat, weshalb man diese Art der Malerei als Grylloi bezeichnet habe, helfen nicht wirklich weiter.9 Jedoch boten solche Etikettierungen sicherlich den Humanisten spä-tere Anknüpfungspunkte für einen Vergleich ihrer eigenen zeit mit jener der ‚idealen‘ Vergangenheit, und in der Regel dienten sie der Nobilitierung der eigenen Gegenwart.

Hinsichtlich der Bezugnahme der Kunstwerke auf eine alltägliche Welt unterschei-det sich das Mittelalter nicht von der Antike. Immer wieder wurde im zusammenhang der Genrekunst auf die Tradition der Stundenbücher mit ihren Darstellungen jahres-zeitlicher profaner Tätigkeiten und ihren oft komischen Szenen im Marginalbereich verwiesen. In der mittelalterlichen Skulptur sind es vor allem Kapitelle oder Miseri-kordien, die weltliche und zum Teil sogar obszöne Motive präsentieren und – zumin-dest in formaler Hinsicht – als Vorläufer der Genremalerei erachtet werden können. Dies betrifft ebenso die vielfältige Ausgestaltung von Wohnhäusern sowie des Kunst-handwerks vom verzierten Emailbecher bis zur ofenkachel.10 Auch Kupferstiche eines Meisters E.S., Israhel van Meckenems oder auch Martin Schongauers seien erwähnt, um nur drei der wichtigsten Protagonisten zu nennen, die in ihren Werken nicht selten die mittelalterliche Minne persiflieren und etwa in zahlreichen Variationen das Prob-lem der Geschlechterverhältnisse und der ‚Weibermacht‘ thematisieren.11

Die Liste der zweifelsohne formal existierenden Vorbilder und Einflüsse auf das faktum Genremalerei ließe sich beliebig erweitern. Doch bereits nach dieser kurzen Aufzählung ist festzuhalten, dass der Begriff des ‚Alltäglichen‘ zu unscharf ist und nicht weniger voraussetzungsreich und historisch als jener der Genrekunst. Das grund-sätzliche Problem ist hierbei doch folgendes: Wenn die gegenständliche Malerei auf die Welt verwiesen ist, wie sollten da Welt und Alltag getrennt werden können? Dies wird deutlich, wenn man den Versuch unternimmt, den Gegenbegriff zum Alltag zu bilden, der zumindest seit dem europäischen Mittelalter für den Adel im Begriff des ‚fests‘ zu finden ist.

Setzt man hingegen gemäß christlich-biblischer Tradition Alltag mit Arbeit gleich, stellt man fest, dass es einen grundsätzlichen unterschied macht, wie in Antike und Christentum Arbeit bewertet wurde: Sowohl die Arbeit als alltägliche Bestimmung des Menschen, als auch seine Leiblichkeit im Sinne materieller Reproduktion verwei-sen unter einer biblischen Perspektive letztlich auch immer auf seine Vertreibung aus dem Paradies. Wenn in bildlichen Szenen und Marginalien der Wechsel der Jahreszeiten und die damit einhergehenden Tätigkeiten beschworen werden, wird dem Menschen die Übergängigkeit allen Seins vor Augen geführt.12 Die Genrekunst besitzt somit die

9 Vgl. PLinius secunDus Maior: Historia, S. 84f. […] idem iocosis nomine Gryllum deridiculi habitus pinxit […]. In der Regel dienen sie Humanisten, aber auch anderen Maler ihrer zeit, sie zu charakteri-sieren.

10 Vgl. Münch: Kunst-Kinder.11 zuletzt hierzu: Kat. ausst.: Jahreszeiten; Vgl. zur Weibermacht etwa MüLLer: Naturwesen, S. 47f. u.

S. 56; Kat. ausst.: Lust; MetKen: Kampf.12 Wie es Erasmus im ‚Handbüchlein eines christlichen Streiters‘ von 1503 ausdrückt: erasMus von rot-

terDaM: Enchiridon, S. 125–139.

6 Jürgen Müller/Birgit ulrike Münch

Potenz, das allgemein Menschliche unter dem Blickwinkel des Christentums zu veran-schaulichen, die Existenz des von Gott sowohl geschaffenen als auch gestraften Men-schengeschlechts zu schildern, dessen fortexistenz von den Grundbedingungen tägli-cher Arbeit und sexueller Reproduktion abhängt. Gleichzeitig führt sie die moralische und intellektuelle Beschränktheit des Menschen vor Augen,13 der eben ein begrenztes und damit imperfektes Abbild seines eigenen Schöpfers darstellt.

Auch dem Begriff des ‚Realismus‘ ist kein analytischer Wert zu eigen, changiert er doch zwischen illusionistischem Darstellungsvermögen und drastischen Themen. und was ist gewonnen, wenn man am Boden einer antiken Trinkschale eine pinkelnde He-täre entdeckt? Antizipiert ein solches Scherzgefäß Genremotive der frühen Neuzeit? formal ja, dennoch ist im Neuen nicht nur das Alte enthalten, sondern es ist davon auszugehen, dass im Neuen auch immer zumindest der Versuch einer Interpretation gegeben ist. ähnlichkeiten allein stellen noch keine Erklärungen dar.

Ein ebenso großes Problem ist die dialektische Gegenüberstellung von Profanem und Religiösem und der Versuch, das Phänomen der Genremalerei über diese Abgren-zung zu fassen zu bekommen. Sie suggeriert nämlich, dass der Prozess zunehmender Säkularisierung die Genremalerei geradezu mechanisch hervorgebracht habe. Es steht heute außer frage, dass es gerade in jenem zeitraum, in dem sich das forschungsthema des vorliegenden Bandes bewegt, überaus problematisch ist, von einem nichtreligiösen Bereich zu sprechen, sind doch Religion und Profanes auf das Engste miteinander ver-woben, oder – um es anders zu formulieren: Es fehlt uns schlicht das ‚Quellenkorpus‘, das es zuließe, diese strikte Trennung zu verifizieren.

Den wichtigsten Ausgangspunkt zur Entstehung der Genrekunst erkennen wir in ihrer didaktischen Ausrichtung. Der Predigt gleich ermöglicht sie den Rezipienten sowohl einfache als auch anspruchsvolle Interpretationen. Dies verweist uns auf das implizite Vorbild, denn Kirchenväter und Reformatoren stimmen darin überein, dass die Bibel die Eigenschaft besitzt, sich den unterschiedlichen Bildungsniveaus der Le-ser anzupassen.14 Ihre Lektüre schließt niemanden aus, wie Augustinus zu berichten weiß. In diesem Sinne ist die Genremalerei eine Kunstform, die sich gleichzeitig an un-terschiedlich gebildete Rezipienten wendet. Ihre Darstellung alltäglicher Szenen setzt keine literarische Bildung voraus.

Im Gegenteil, die Sprache der Bibel und der Genremalerei sind humil. Sie zeichnen sich durch zugänglichkeit aus. Humilitas darf jedoch nicht nur im Sinne des Bemühens um Allgemeinverständlichkeit verstanden werden, denn der Mensch selbst ist humil im Sinne der Schöpfungsgeschichte:15 Er ist aus Erde geformt. Diese Erkenntnis berück-sichtigen die Werke der Genrekunst insofern, als sie die Leiblichkeit des Menschen

13 Vgl. Bachtin: Rabelais, S. 52–105.14 „Die Hl. Schrift versteht es, sich mit ihrer Ausdrucksweise unserem Verständnis anzupassen“ (erasMus

von rotterDaM: Willen, S. 21). Sie zieht uns unsern Möglichkeiten entsprechend zum Göttlichen em-por. Die Bibel ist der einzige Text, den man nie falsch verstehen kann. Schon in der aristotelischen Rhe-torik findet sich eine didaktische Legitimation des „dunklen“ und „rätselhaften“ Ausdrucks, „denn die Menschen“ – so der griechische Philosoph – „bewundern das Entlegene, und das Bewundernswerte ist angenehm.“, siehe: aristoteLes: Rhetorik, 1404, b,3. Vgl. hierzu auch: FuhrMann: obscuritas, S. 62.

15 Was Augustinus in seinen ‚Confessiones‘ über die Bibel sagt, dass sie „nieder ist fürs Eingehen, beim Vorangehen erhaben wird und sich ins Geheimnis schleiert“, gilt ebenfalls für die Genremalerei, vgl. auGustinus: Bekenntnisse, Conf. 3,5,9.

7Bauern, Bäder und Bordelle?, oder: Was soll uns die frühe Genremalerei sagen?

ausstellen.16 Viele Tafeln und Gemälde entfalten diesen umstand auf drastische Weise. Nahrungsaufnahme und Körperausscheidung sind zentrale Motive der Genrekunst. Nahrung, die der Erde entstammt, Ausscheidungen, die zu Humus werden. Dies mag vulgär erscheinen, erinnert den Menschen aber – wie oben beschrieben – an den Sün-denfall und die damit einhergehenden Konsequenzen.

Trotz der dargelegten historischen unschärfe des Wortes wird im folgenden aus heuristischen Gründen von Genrekunst und -malerei gesprochen, obwohl die ‚Ap-paratur‘ Genremalerei in der zeit, in der die Bilder entstanden, noch nicht existierte. Eine wichtige These, die es zu verifizieren gilt, ist jene, dass die Genremalerei – wie im Grunde weitere Gemäldegattungen wie etwa Stillleben oder Landschaft – im Sinne einer eigenständigen Kunstform als folge der Reformation entstand und die künst-lerische Entwicklung der italienischen Hochrenaissance voraussetzt. Es muss darum mehr als eine Definition der Genremalerei geben. Entsprechend ist es das Anliegen des Bandes, auch und gerade die Besonderheit dieser Kunstform vor und nach 1500 in den Blick zu rücken. Wir wissen nicht, welches Etikett Künstler jener zeit für sich reklamiert hätten, die sich durch Genrebilder hervorgetan haben. Vielleicht existierte kein solches Etikett und vielleicht hat die sinnbildliche Dimension ihrer Werke sie diese als Allegorien begreifen lassen. Dann bestünde die Aufgabe für den Interpreten darin, zunächst einmal die Sinnbildhaftigkeit der Genrebilder genauer zu verstehen.

Als Ausgangsüberlegung ließe sich formulieren: Bilder und Details alltäglicher Sze-nen im Sinne der Darstellungsgeschichte existieren zwar in allen Epochen, sie weisen jeweils aber keineswegs denselben semantischen Bezugsrahmen auf. Das Problem der ‚Genrekunst‘ im Sinne einer eigenen Kunstform, in der profane Darstellungen etwa re-ligiöse Probleme zum Ausdruck bringen können, entsteht erst im frühen 16. Jahrhun-dert, wobei der im 18. Jahrhundert geprägte Begriff der Genrekunst den religiös eman-zipatorischen Anspruch dieser Kunstform unlesbar macht, indem er ihn ins allgemein ‚Menschliche‘ wandelt und der heroischen Welt der Historienmalerei gegenüberstellt.

Wie bereits angeklungen stellt die Genremalerei eine Bildgattung dar, für die ver-blüffenderweise über einen langen zeitraum hinweg keine Theorieproduktion festzu-stellen ist. Noch Karel van Mander hat in seinem ‚Schilder-Boeck‘ von 1604 den wichti-gen Genremalern im unterschied zu den Romanisten frans floris oder Bartholomäus Spranger nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt.17 Weder Jan van Amstel, Pieter Aert-sen, Herri met de Bles oder Pieter Bruegel stechen als profilierte Maler besonders her-aus, vielmehr werden sie – im Gegenteil – in diversen Passagen bewusst marginalisiert. So wundert es nicht, dass der flämische Kunsttheoretiker in seinen Erwägungen auch die Gattung des Genrebildes nicht eigens hervorhebt, sondern sie in den Biographien implizit als ‚realistisch‘ und ‚lustig‘ im Sinne des naer het leven charakterisiert. Sind seine Anweisungen für die Historienmalerei sehr präzise, bleiben sie in Bezug auf eine ästhetik des Genrebildes diffus, obwohl ihm zahlreiche, und auch hochbedeutende Werke dieser Gattung zugänglich gewesen sein dürften.

16 Humilitas hängt wörtlich mit Humus (Erdboden) zusammen, wie Erich Auerbach schreibt, meint aber auch das Geringe, Niedrige und Kleingewachsene in sozialer und ästhetischer Hinsicht. Vgl. hierzu Kapitel I. (‚Sermo Humilis‘) in: auerBach: Literatursprache, S. 25–32, hier bes. S. 34.

17 Vgl. van ManDer: Leben.

8 Jürgen Müller/Birgit ulrike Münch

Anders verhält es sich mit Maleranekdoten. folgt man van Mander, so hat Pieter Bruegel gemeinsam mit seinem freund Hans franckert Bauernhochzeiten auf dem Lande besucht, um alle Details in seinen Bauernbildern authentisch schildern zu kön-nen.18 In der Vita von Hans Vredeman de Vries schildert der Biograph gar, Bruegel habe aus Spaß auf einer Architekturphantasie des genannten Künstlers einen Bauer mit be-schissenem Hemd hinzugemalt, der sich mit einer Bäuerin vergnügt. ähnliches gilt für Hieronymus Bosch, dessen „Spukgestalten“ im ‚Schilder-Boeck‘ als überaus komisch erachtet werden, sodass van Mander in Bezug auf eine Kreuztragung glaubt feststellen zu müssen, hier habe er „mehr Ernst“ gezeigt als es sonst „wohl seine Gewohnheit“ war, was uns den unstet lustigen Charakter des Malers assoziieren lassen soll.19

Eine solche karikaturhafte Überzeichnung der Genremaler lässt sich auch für an-dere Künstler beobachten, die über schwankhafte Elemente charakterisiert werden. Dabei kann van Mander durchaus präzise Beobachtungen leisten, stellt sie aber als Kuriosität oder Marotte dar. Wenn er beschreibt, dass Joachim Patinir seinen Bildern „kleine Kacker“ einfügen würde und Herri met de Bles in ihnen gemalte „Käuzchen“ verstecke,20 ist es, als sollte bei diesen Künstlern der Sinn für realistische Details her-vorgehoben werden.

Eine derartige Typisierung der Genremaler zu eigenartigen Käuzen wird verständ-lich, wenn man bedenkt, dass van Manders Kunsttheorie in einer klassizistischen Tradi-tion steht, welche die Darstellung des nackten menschlichen Körpers als eigentlichem Ausdrucksträger der bildenden Kunst favorisiert. Eine Auseinandersetzung mit der ästhetik des Genrebildes oder gar eine Vorstellung ihrer Historizität und Entwicklung sucht man bei ihm von daher vergebens, obwohl sie bei einem flämischen Theoretiker nahe gelegen hätte. Darüber hinaus ist van Mander ein strenger Vertreter italienischer Gattungshierarchie: Genre- und Landschaftsmalerei sind für ihn der Historienmalerei keinesfalls ebenbürtig.

Eine abwertende Haltung gegenüber der Genrekunst beginnt jedoch nicht erst mit dem ‚Schilder-Boeck‘, sondern weist uns in die Mitte des 16. Jahrhunderts zurück. Die wichtigste zeitnahe Reaktion auf die entstehende Genremalerei verdanken wir Walter Rivius. In seinem Werk ‚Vitruvius Teutsch‘ aus dem Jahr 1548 formuliert auch er seine Kritik an der Genremalerei aus klassizistischer Perspektive.21 Dabei fällt auf, welche freiheiten und Interpretationsspielräume sich der deutsche Theoretiker gegenüber dem lateinischen Vorbild nimmt. Betraf Vitruvs Ablehnung die Groteskenmalerei, nimmt Rivius diese zum Anlass, ein vernichtendes urteil über die Genrekunst auszusprechen. Vitruv wendete sich gegen groteske ornamente mit dem Hinweis, diese würden der Natur widersprechen, wenn sie Tiere, Menschen und vegetabile formen zu einer figur verbinden.22 Die Welt stellt für ihn eine ethische Norm dar, die nicht außer Acht gelas-sen werden darf. Diese verletzen laut Rivius auch die Genremaler, deren Darstellungen

18 Van Mander beschreibt, dass sich beide in Bauerntracht und durch Hochzeitsgeschenke als Teil der festgesellschaft ausgaben, um die „Art der Bauern“ zu beobachten, vgl. van ManDer: Leben, S. 154. zur Gleichsetzung van Manders von Künstlerleben und Werk siehe: MüLLer: Concordia, S. 107–110.

19 Vgl. van ManDer: Leben, S. 86–89, hier S. 88.20 Vgl. van ManDer: Leben, S. 97–102.21 rivius: Vitruvius.22 Rivius wiederholt diese Kritik zunächst, wenn er schreibt, […] mag das gemehl so die italianischen

Mahler Grotescas nennen/fur kein gemehl geachtet werden/dann solches der natur oder wahrheit nit

9Bauern, Bäder und Bordelle?, oder: Was soll uns die frühe Genremalerei sagen?

von trunkenen, scheißenden und sich übergebenden Bauern er grundsätzlich ablehnt. Genremalerei stellt entsprechend eine schand des mahlens dar, weil Kunst a priori der Visualisierung des Schönen verpflichtet sei, der allein es zukomme, den Menschen zu erfreuen.

Rivius überträgt Vitruvs Groteskenkritik auf die Genremalerei, mit der Begrün-dung, dass beide dem Decorum widersprechen würden. um diesen Decorumverstoß plausibel zu machen, spricht er über die angemessene Innengestaltung verschiedener orte. So würde es sich nicht ziemen, einen Kirchenraum mit einer Bauernkirmes, ein Narrenschiff in ein Rathaus oder eine Passion in ein Wirtshaus zu malen. Dies ist zwei-felsohne richtig, aber Rivius bedient sich eines rhetorischen Kniffs, denn wer wäre je auf die Idee gekommen, eine Kirche mit einem Bauernfest auszustatten? Er konstruiert ein abstruses Beispiel, um den Decorumverstoß als Wesen der Genrekunst postulieren zu können.

Es wurde vermutet, dass die harsche Reaktion im ‚Vitruvius Teutsch‘ mit dem Er-folg der Genrekunst im Nürnberger Kontext zusammenhängen könnte. Wichtiger er-scheint aber der Kontext des Klassizismus und seiner normativen Kunstauffassung. Dass der Autor jedenfalls aus einer genauen Kenntnis des Bauerngenres urteilt, belegt seine kurze Beschreibung solcher Werke, die an Arbeiten von Sebald Beham denken lässt, wenn vom follen dollen baweren die Rede ist, der hinder den zaun scheisset und speiet/[…].23 Auf diesen Passus folgt ein vernichtendes urteil über eine derartige Kunst und ihrer Rezipienten: Wem dies gefalle, der würde zu unrecht ein Mensch genannt werden.24

Man kann darüber spekulieren, ob Rivius die Genremalerei im Ganzen oder le-diglich Bilder mit skatologischen Motiven missbilligt. Rivius’ Reaktion jedenfalls ver-deutlicht, welch schockartige Wirkung von dieser neuen Kunstform ausgegangen sein muss. Ihn beschleicht der Verdacht, dass solche Themen in extremis für die Genremaler und ihr Publikum zum Selbstzweck werden, weshalb ihnen die Würde des Mensch-seins schlichtweg abgesprochen wird.

Schon diese knappe Skizze macht deutlich, dass die frage an die Genremalerei der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts lauten muss, wie sich extreme Decorumverstöße überhaupt legitimieren lassen. Auf diese frage versucht der maßgebliche Aufsatz zur Theorie der Genremalerei – zwar exemplifiziert primär für das 17. Jahrhundert, je-doch dennoch in den zentralen Punkten übertragbar – von Hans-Joachim Raupp zu reagieren,25 der darauf hinweist, dass die antike Komödientheorie Künstlern und The-oretikern ermöglicht habe, die Konzeption der Genrebilder mit den poetologischen Anforderungen der Komödie gleichzusetzen. Laut Raupp lässt sich das Genre als Ver-bindung von Realismus und Komödie über den Rückgriff auf die antike Poetik erklä-ren. Während die Tragödie zeigt, wie Menschen idealer Weise zu sein haben, erscheinen sie in der Komödie wie sie eigentlich sind. Es sei die Aufgabe der Genremalerei, aus der Darstellung von Lastern Komik zu generieren.

gemeß/ob gleich solchs von künstlichen meistern des malens vast schön und gut gemacht ist, vgl. rivius: Vitruvius, S. 232.

23 rivius: Vitruvius, S. 232.24 Vgl. rivius: Vitruvius, S. 232.25 Vgl. rauPP: Ansätze, S. 401–418.

10 Jürgen Müller/Birgit ulrike Münch

Raupps Parallelisierung von Komödie und Genremalerei wirkt zunächst überzeu-gend, birgt aber mehrere Probleme. Erstens kann sie nicht wirklich erklären, warum es zu keiner schriftlichen Ausformulierung von Theorie kam, verhindert die Bezug-nahme auf etablierte theoretische Muster doch keineswegs Neuformulierungen. So hat die Existenz antiker Dramentheorien keinesfalls die Entstehung theoretischer Anstren-gungen zur Historienmalerei beeinträchtigt. zweitens fügen sich in Raupps Überle-gungen die nordeuropäischen Genrekünstler implizit italienischer Gattungshierarchie und ordnen sich damit dem Primat der Historienmalerei unter, dem sie sich keineswegs hätten beugen müssen. Ausdrücklich schreibt Leon Battista Alberti an zwei Stellen in ‚De pictura‘, dass es die höchste Aufgabe des Malers sei, eine Historia zu malen. Dass Genremalerei auch eine Kritik der Historie und ihrer ästhetischen Ideale darstellen könnte, lässt Raupp aus strukturellen Gründen aus. Die Trennung von Tragödie und Komödie als seinem theoretischen Ausgangspunkt führt zu deren Autonomie. In seinen ‚Bauernsatiren‘ kommt Raupp ebenfalls, wenn auch kurz, auf den „genus satiricum“ zu sprechen und resümiert, dass „Wirklichkeitsbeobachtung, komische Charakterisierung und satirische Wertung des feiernden Bauern […] in jedem fall künstlerische Mittel zur Realisierung eines vorgegebenen und überpersönlichen zwecks [seien, Anm.d.Verf.] der in der Gattung selbst seit jeher angelegt“ sei.26

Raupps ‚Komödientheorie‘ soll im vorliegenden Band die Hypothese zur Seite ge-stellt werden, dass die Genrekunst auch einen kritischen Gegenentwurf zur italieni-schen Historienmalerei der Renaissance und der mit ihr einhergehenden Konzeption einer Hierarchie der Gattungen darstellen kann – einen christlichen Gegenentwurf wohlgemerkt, der nicht ohne die Theologie der Reformatoren und ihre Reflexionen christlichen Stils zu denken ist. Raupp nennt zwar den „sermo humilis“ als möglichen Modus der Genremalerei, ohne ihn jedoch zu entwickeln.27 Damit wird eine histori-sche Entwicklung vorausgesetzt, bei der die Genrekunst der Reformationszeit anderen Impulsen folgt als jene zuvor. So lässt sich eindeutig beobachten, dass das Interesse der Künstler an Themen der Genrekunst ab der Mitte des 15. Jahrhunderts am oberrhein im Rahmen von Kupferstichen verhalten einsetzt, um ab den 20er Jahren des 16. Jahr-hunderts immens anzusteigen. In dieser zeit erfolgt die Aufwertung der Genrekunst ins Medium des Tafelbildes. Woher stammt diese Wertschätzung und Neubewertung? Raupps Vorschlag ist angemessen für die Kunst bis 1500, für die zeit danach aber nur bedingt zutreffend. Genremalerei, wie sie im folgenden entworfen werden soll, be-darf in zahlreichen Werken des Klassizismus der Hochrenaissance und der Behauptung kultureller Hegemonie, wie sie mit der Kunst am Hofe Julius II. formuliert wurde.28 freilich ist damit für eine Historisierung der Genrekunst plädiert, die in der zeit der Reformation zu einer ambitionierten antiklassischen Kunstform ausgebaut wird.

Diesen kritischen fragen in Bezug auf die Gleichsetzung von Komödie und Gen-rebild lassen sich strukturelle hinzufügen. So unterlässt es Raupp zu zeigen, wie mit

26 Vgl. rauPP: Bauernsatiren, S. 316.27 Vgl. rauPP: Ansätze, S. 416. Auch in den ‚Bauernsatiren‘ wird die fundierung antiklassischer Motive

innerhalb der Genremalerei durch die ironische Auseinandersetzung mit der antiken Kunst nicht gese-hen, vgl. hierzu bereits: MüLLer: Laokoon, S. 411f. ferner: MüLLer: Bauer; MüLLer: Bauerndarstellun-gen.

28 Vgl. MüLLer: Laokoon.

11Bauern, Bäder und Bordelle?, oder: Was soll uns die frühe Genremalerei sagen?

der Entstehung der Genrekunst eine Kritik konventioneller Imitatiolehre einhergeht. In seinem Dialog ‚Ciceronianus‘ aus dem Jahre 1528 fordert Erasmus von Rotterdam von Künstlern und Dichtern eine christliche Poetik. Wie kann man die antike Kultur als Modell ausgeben, so fragt der Rotterdamer, wenn die erste und ursächliche Über-windung der Antike vom Christentum geleistet wurde. Es erscheint dem Theologen widersinnig, einen antik-paganen formenkanon auf christliche Inhalte zu applizieren, wie es in der italienischen Kunst jener zeit geschieht.29 In der deutsch-flämischen Gen-rekunst jener zeit ist auch nach dem Ausdruck jenes Konflikts zu suchen. Im Rahmen der Reformation und durch die Reformation veranlasst, werden Neubestimmungen von Kunst vorgenommen, in denen antike und christliche Überlieferung als Gegen-satz interpretiert werden. Es sei unmöglich und heidnisch, lässt Erasmus einen der Ge-sprächsteilnehmer ausrufen, Christus nach dem Vorbild eines antiken Apolls oder die heilige Thekla nach dem Vorbild der Lais von Korinth zu gestalten. Aus erasmischer Perspektive lässt diese Einschätzung die Kunst der italienischen Hochrenaissance, aber auch den Romanismus von Jan Gossaert bis Maerten van Heemskerk in kritischem Licht erscheinen.

Der vorliegende Band hat es sich zum ziel gesetzt, das forschungsfeld ‚Genre-malerei‘ auf breiterer Basis als bisher erfolgt anzugehen, in einen kulturwissenschaft-lichen Kontext zu stellen und – im Gegensatz zu früheren Ansätzen – die chronologi-sche Kategorisierung dahingehend aufzugeben, dass Genrebilder vor der ‚Erfindung des Genrebildes‘ im zentrum stehen. Genremalerei als ‚neue‘ Gattung soll hier auch als eine Reaktion, und im Verhältnis zu den religiösen Bewegungen, Veränderungen und Krisen des 15. und 16. Jahrhunderts gedeutet werden, die nicht zuletzt auch den Kunstmarkt nachhaltig beeinflussten.

Die hier versammelten interdisziplinären Beiträge eruieren, im zusammenhang welcher Ikonographien genrehafte Elemente im Spätmittelalter und zu Beginn der frühen Neuzeit greifbar werden. Thematisiert wird ferner, wie sich diese Elemente mit dem Buchdruck und mit den religiösen umwälzungsprozessen seit dem Ende des 15. Jahrhunderts und hiernach mit dem Einsetzen der Reformation sowohl formal als auch inhaltlich verändern. Die Beiträge geben jedoch auch einen Hinweis auf die – um DaCosta Kauffmanns Konzept einer ‚Geography of Art‘ zu bemühen – zentren der frühen Genremalerei, neben Nürnberg etwa vor allem auch Antwerpen.30

Bislang wurden nur einzelne Gemeinplätze der Genremalerei befragt, während bestimmte Bereiche per se ausgeklammert wurden, die möglicherweise die entschei-denden Missing links zur Rekonstruktion der besonderen Genese dieser Gattung und des Wissensraums ‚Genremalerei‘ beinhalten. Der Band hat es sich zum ziel gesetzt, zumindest einige weitere dieser Verbindungsstränge sichtbar werden zu lassen.

29 Vgl. MüLLer: Paradox, S. 76–81; PanoFsKy: Erasmus, S. 200–227; KoLDeweij: Erasmus, S. 137–180.30 Dacosta KauFMann: Geography.

12 Jürgen Müller/Birgit ulrike Münch

Quellen und Literatur

Quellen

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Literatur

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14 Jürgen Müller/Birgit ulrike Münch

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Jürgen Müller

Die Welt als Bordell. Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

I. Auf der Bank mit dem Sünder

Der nächste Schlag wird die Gegnerin hart treffen. Die junge frau hat ihre Widersa-cherin zu Boden gekämpft und drückt sie mit ihrem linken Knie nach unten. In diesem Moment wird sie zuschlagen. Dem Künstler ist es gelungen, die Brutalität der obsie-genden Kämpferin auszudrücken. In Jan van Amstels Berliner Bordellbild sticht diese gewalttätige Szene besonders ins Auge (Abb. 1, Taf. 2). Dafür bedient sich der Maler eines erzählerischen Kniffs, befindet sich die Blickachse des Betrachters doch in diesem Teil des Bildes.1 Noch bevor wir genau wissen, was hier eigentlich dargestellt ist und warum gestritten wird, hat der Maler unsere Schaulust aktiviert, und so geht es uns nicht anders als den Personen im Bild, die von dem Ereignis sichtlich angezogen wer-den. Mag unser Einstieg ins Bild auch auf der linken Seite beginnen, so führt er doch an der vielfigurigen Szene mit zechender Tischgesellschaft vorbei und findet in der Prügelszene seine erste Bestimmung.

Im linken Bildteil geht es nicht weniger lasterhaft zu. Eine Prostituierte und ein vornehm gekleideter Mann steigen eine Treppe aus dem Schlafbereich hinab. Direkt dahinter sitzt ein Mann neben einer jungen frau auf einer Bettkante. Er ist seiner Bein-kleider ledig und tauscht einen Ring oder ein anderes Schmuckstück gegen Geld, um die Dienste des Mädchens zu erkaufen, die mit der größten Selbstverständlichkeit nackt dargestellt wird. Der Händler reicht dem Kunden eine Börse und beäugt gleichzeitig das Geschmeide, dessen ideellen Wert wir als ebenso bedeutsam wie seinen materiellen vermuten dürfen. oberhalb der Szene wendet sich eine Prostituierte durch ein fenster zum Händler herab. In ihrer Rechten hält sie ebenfalls ein Schmuckstück, das sie für ihre Liebesdienste erhalten hat und nun eintauschen möchte.

In unmittelbarer Nähe zu den beschriebenen Szenen erkennt man einen gedeckten Tisch mit vier Tellern sowie Brot und weiteren Lebensmitteln. Hinter der Tischgesell-schaft in der Mitte sieht man zwei fenster mit Butzenscheiben und glaubt, die Köpfe eines Mannes und einer frau erkennen zu können, die hier ihr Liebesnest gefunden haben. unmittelbar davor befinden sich die zecher. An der linken vorderen Ecke des

1 Die wichtigste Monographie zu Jan van Amstel in deutscher Sprache verdanken wir Dietrich Schubert. zur frage der Identität van Amstels vgl. schuBert: Gemälde, S. 44–57. Allgemein zur Ikonographie der Bordellbilder van Amstels vgl. renGer: Gesellschaft, S. 96–106. Eine Einsicht in die unpublizierte freiburger Dissertationsschrift von Matthias ubl wurde leider nicht gewährt. Eine Auseinanderset-zung mit den dort vertretenen forschungspositionen kann aus diesem Grund im vorliegenden Beitrag nicht erfolgen.

16 Jürgen Müller

Tischs sitzt ein Paar, das sichtlich dem Alkohol zugesprochen hat. Er berührt schamlos ihr entblößtes Knie, während sie an einem Streitgespräch teilzunehmen scheint. Dass es hoch hergeht, belegt auch der umstand, dass sie ihm die Mütze abgenommen und sich selbst aufgesetzt hat, womit auf die Redewendung Zij kriegt er de muts op ange-spielt sein könnte, die die Verliebtheit der beiden betrifft, wie Konrad Renger vermu-tet.2 Auch das Paar daneben umfasst sich derart innig, dass man nicht sicher ist, wem der unterarm gehört, der den jungen Mann umarmt. Die frau links davon berührt den abgewandten jungen Mann an der Schulter. Sie muss hastig aufgesprungen sein, liegt neben ihr doch auf dem Boden ein umgestürzter Hocker. Sie ist eifersüchtig, weil sich der ‚Kavalier‘ einer anderen zugewendet hat. Hier bahnt sich ein Streit an, wie wir ihn rechts schon beobachten können.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches sitzt ein weiterer Mann zwischen zwei frauen, der eine flöte in den Händen hält. Während ihm die eine ihre rechte Hand über die Schulter gelegt hat, zeigt die andere mit dem finger auf ihn und schaut wütend auf die Nebenbuhlerin, um ihre Besitzansprüche geltend zu machen. Was die räumliche Si-tuation der Tischgesellschaft betrifft, fällt die Bank mit der hohen Rückenlehne auf, die wie eine Art Trennwand funktioniert. So erkennen wir den freien Durchgang, der es den Paaren am Tisch erlaubt, sich von der Gruppe der zechgesellschaft zu absentieren, um in den Schlafbereich zu gelangen. Auch den Eingang in den Raum mit Butzenschei-ben müssen wir in diesem Teil des Raums vermuten. Streit und ungehemmte Sexualität als folge des Alkoholkonsums werden deutlich.

Bei meiner Beschreibung der Bordellszene ging es mir darum, eine Vorstellung von der Intensität der Bilderzählung bei van Amstel zu vermitteln und den von mir an-genommenen subversiven Charakter herauszuarbeiten. Denn trotz des bescheidenen Kabinettformats von 29 x 45 zentimetern übt das Bild einen erstaunlichen Sog aus. Das Größenverhältnis von Bildfiguren und format hat zur folge, dass wir die Tafel aus großer Nähe betrachten müssen und sie entsprechend nah vor unser Gesicht zu führen haben. Ja mehr noch, der Detailreichtum der Szene ist so extrem, dass wir förmlich mit der Nase darauf gestoßen werden. In dieser Hinsicht besitzt die Tafel den Charakter eines Kunststücks.3 Es hebt die Distanz zum Rezipienten auf und zieht uns in seine

2 renGer: Gesellschaft, S. 96–106.3 Wenn van Amstel eine derart winzige Tafel derart überbevölkert, entsteht die frage nach der ästheti-

schen Strategie. Wie gesagt, geht es zum einen um die Aufwertung des bisher in der Druckgrafik ver-handelten Bordell-Themas, zum anderen um das Problem des angemessenen Bildformats. Van Amstels Miniaturisierung erscheint wie eine Selbstbehauptung gegenüber der noblen Aufgabe eines großfor-matigen Historienbildes oder gar eines freskos. Möglicherweise darf man hier auch einen kunsttheo-retischen Aspekt hinzudenken. Plinius d.ä. erwähnt im Rahmen des 35. Buch seiner ‚Naturgeschichte‘ auch den höchst erfindungsreichen Maler Timanthes, der auf besonders kleinen Bildern riesenhafte Dinge darzustellen vermochte und dadurch die Rezipienten verblüffte, indem er das Große minia-turisierte und einen schlafenden zyklopen auf einem ‚kleinen Täfelchen‘ (parvola tabella) darstellte. Ausdrücklich heißt es, dass man in seinen Werken glaubt, immer mehr zu erkennen als abgebildet sei. PLinius secunDus Major: Naturkunde, S. 44–73. Auch Leon Battista Alberti geht in ‚De pictura‘ auf den genannten Passus bei Plinius ein und rühmt Timanthes dafür, im Kleinen das Große überzeugend präsentieren zu können. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass es sich in van Amstels Tafel um einen kalkulierten ästhetischen Effekt handelt. Er miniaturisiert die dargestellten Personen und erzwingt dadurch eine relative Nähe zur Tafel, so dass das Bild unser Blickfeld bestimmt. Einen Schritt weiter geht van Amstel im sogenannten ‚Gleichnis vom großen Gastmahl‘, wo das format im Verhältnis zur Größe der Bildfiguren so extrem ist, dass es unser Blickfeld ganz ausfüllt. ob van Amstel bei seinen

17Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

Welt. Dass van Amstels Berliner Tafel geschätzt wurde, ihr wohl sogar ein immenser Erfolg beschieden war, belegt die Tatsache, dass, folgt man Renger, vier eigenhändige Varianten desselben Typs existieren und eine ganze Reihe von Kopien, was uns im fol-genden jedoch nicht beschäftigen soll.4

unter den bestehenden Varianten sei lediglich das Bild im frankfurter Städel Mu-seum zum Vergleich hinzugezogen (Abb. 2, Taf. 3). Die Tafel ist etwas größer als das Berliner Bild und misst 33 x 46 zentimeter. Allerdings wirkt die frankfurter Tafel kompakter, weil der Raumausschnitt kleiner ausfällt und die Prügelszene fehlt. Es ist, als hätte der Bildinhalt noch einmal auf das Wesentliche konzentriert ausgedrückt wer-den sollen. Außerdem geht es in der Städelvariante besonders höflich zu, wenn man die anmutige Geste entdeckt, mit welcher der Kavalier die von der jungen frau gereichte Waffel annimmt, deren zangeneisen oberhalb des feuers zu erkennen sind. Überhaupt hat die Darstellung des Essens einen größeren Stellenwert, wenn man die feuerstelle und das Stillleben mit Waffelteig, Butter, Grillhähnchen und feuerholz vorne rechts bemerkt.

Neben der anmutigen Küchenmagd wärmt sich ein junger Mann am feuer die Hän-de. Er trinkt und schaut nachdenklich in die flammen. Ganz so, als würde er erkennen, dass das Menschenleben Schall und Rauch darstellt. Kurios ist überdies das Motiv der jungen frau im zentrum, die im Trubel des Geschehens mit ihrer Linken dem sitzen-den Mann rechts ein Glas Wein reicht und mit ihrer Rechten die Hand des Kavaliers links neben sich ergriffen hat. Vielleicht darf man dieses Detail im Sinne der verkehrten Welt lesen, in der sich Maßstäbe verschoben haben, wenn nicht gar aufgehoben erschei-nen. In diesem inszenierten Reigen wird die unendliche Promiskuität von Mann und frau, von Kunde und Prostituierter zum Ausdruck gebracht: Letztendlich wird sich jeder mit jedem vereinen.

Auch im frankfurter Bild sehen wir im linken Hintergrund einen Kunden nahe dem Bett einer Prostituierten. Röntgenaufnahmen haben ergeben, dass es sich bei dem freier ursprünglich um einen Mönch mit Tonsur handelte, dessen Wanderstab an der Bettkante lehnt.5 Dass eine solche Entdeckung einem Betrachter der Reformations-zeit nicht sonderlich überrascht hätte, belegt Erasmus von Rotterdams’ Dialog ‚Der Jüngling und das freudenmädchen‘ aus den ‚Vertrauten Gesprächen‘ von 1518.6 In die-sem Text berichtet die Prostituierte Lukrezia, dass die Bettelmönche zu ihren besten Kunden gehören, woraufhin sie der Jüngling Sophronius ironischerweise als „fromme Hure“ bezeichnet.7 Sie verdiene an den Mönchen mehr als an anderen Kunden, berich-tet sie weiter, woraufhin der junge Mann antwortet: „Das kann ich mir denken: Was sie [die Mönche, Anm.d.Verf.] aus anständigen frauen herausquetschen, verprassen sie mit feilen Dirnen.“8

Reflektionen des Bildformats Timanthes im Sinn hatte, sei dahingestellt. In jedem fall macht seine äs-thetik kleiner figuren und vermeintlich kleiner Bildformate die Relativität der Größenwahrnehmung zum Thema. Das Kleine erscheint als das Große.

4 renGer: Gesellschaft, S. 96–116.5 schuBert: Gemälde, S. 184f.6 erasMus von rotterDaM: Jüngling.7 erasMus von rotterDaM: Jüngling, S. 207.8 erasMus von rotterDaM: Jüngling.

18 Jürgen Müller

Die schockierenden Ereignisse, deren zeugen wir soeben geworden sind, hat der aus Amsterdam stammende Maler van Amstel im Jahr 1537 geschaffen. Die Tafel führt dem Betrachter vor Augen, dass dieser Künstler in seiner zeit eine innovative Bildsprache entwickelte, wird sein künstlerisches Werk doch seit jeher als zentral für die Entwick-lung der Genremalerei erachtet. Ein besonderes Augenmerk der vorliegenden Inter-pretationen liegt daher auch auf dem kunsttheoretischen Anspruch seiner Tafeln. Diese sind nicht lediglich als Lasterallegorien zu verstehen, sie reagieren auch auf die Malerei ihrer zeit. Denn zunächst einmal greift der Künstler Themen der Genre graphik auf und überführt sie ins Medium des Tafelbildes. Indem er das Bordellthema zur Malerei nobilitiert, stellt er die ‚neue‘ Gattung des Genrebildes der Historienmalerei zur Seite.9

II. Genremalerei als Sermo humilis

Es ist immer wieder geschrieben worden, dass ein wichtiger Ausgangspunkt der Gen-remalerei in den Stundenbüchern des Mittelalters liegt. Stimmt man dieser Hypothese zu, hat dies weitreichende Konsequenzen. Wenn in bildlichen Szenen und Marginalien der Wechsel der Jahreszeiten und die damit einhergehenden Tätigkeiten beschworen werden, wird dem Menschen die Übergängigkeit allen Seins vor Augen geführt.10 In diesem Sinne zeigt die Genrekunst die conditio humana aus christlicher Perspektive. Ihr kommt die Aufgabe zu, die Bedingungen der menschlichen Welt nach dem Sünden-fall darzustellen. Sie erzählt von der Notwendigkeit materieller Reproduktion im Sinne von Arbeit und Sexualität. zugleich berichtet sie von der moralischen und intellektu-ellen Endlichkeit des Menschen. Nicht die Perfektibilität eines homo secundus deus, sondern seine Imperfektibilität stellt sie eindringlich vor Augen.

zu Beginn des letzten Jahrhunderts hat man geglaubt, Genremalerei würde den All-tag der Menschen darstellen. Man hat vom Sittenbild gesprochen, das das alltägliche Leben vorurteilsfrei schildert.11 Aus heutiger Perspektive erscheint dies unzureichend, wenn nicht gar naiv, folgt die Genremalerei doch seit dem 15. Jahrhundert einer Rhe-torik der Niedrigkeit und hat in vielfältiger Weise Wurzeln in der christlichen Ikono-graphie. Sie berücksichtigt Überlegungen der Theologen zum sermo humilis, womit der einfache Stil von Bibel und Predigt gemeint ist.12 Kirchenväter und Reformatoren stimmen darin überein, dass die Bibel die Eigenschaft besitzt, sich den unterschiedli-chen Bildungsniveaus der Leser anzupassen.13 Ihre Lektüre schließt niemanden aus, wie Augustinus immer wieder zu berichten weiß. In diesem Sinne ist die Genremalerei eine didaktische Kunstform. Ihre Darstellung alltäglicher Szenen setzt keine literari-sche Bildung voraus.

9 zu den Anfängen dieses Konflikts im Sinne der Gattungshierarchie vgl. MüLLer: Art.10 Vgl. erasMus von rotterDaM: Handbuch.11 Vgl. von BaLDass: Anfänge, S. 23. Außerdem: von BaLDass: Sittenbild, S. 42.12 Vgl. auerBach: Sermo, S. 25–53.13 „Die Heilige Schrift hat ihre eigene Sprache, die sich unserem Verständnis anpasst.“ Vgl. hierzu eras-

Mus von rotterDaM: Gespräch, S. 21; Sie zieht uns unsern Möglichkeiten entsprechend zum Göttli-chen empor. Die Bibel ist der einzige Text, den man nie falsch verstehen kann.

19Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

Humilitas darf jedoch nicht nur im Sinne einfacher zugänglichkeit verstanden wer-den, der Mensch selbst ist humil im Sinne der Schöpfungsgeschichte.14 Er ist aus Erde geformt. Diese Erkenntnis berücksichtigen die Werke der Genrekunst insofern, als sie die Leiblichkeit des Menschen ausstellen.15 Viele Tafeln und Gemälde entfalten die-sen umstand auf drastische Weise. Nahrungsaufnahme und Körperausscheidung sind wichtige Motive der Genrekunst. Nahrung, die der Erde entstammt; Ausscheidungen, die zu Humus werden. Diese Themen mögen vulgär erscheinen, aber sie erinnern den Menschen an den Sündenfall und die damit verbundenen Konsequenzen.

Wenn zu Beginn meiner Ausführungen eine dezidiert christliche Lesart der Genre-malerei vorgeschlagen wird, so geht damit ein Interpretationsrahmen einher, der vom Spätmittelalter bis ins 17. Jahrhundert Geltung behielt. Bereits Hans Sedlmayr hat in einem wenig beachteten Aufsatz auf den inneren zusammenhang des vermeintlichen Realismus der Genrekunst und des sermo humilis hingewiesen.16 freilich sei damit nicht behauptet, dass wir es mit einem unhistorischen Phänomen zu tun haben. Im Gegenteil, gerade die Konzeption der humilitas ist interpretationsbedürftig und hat im Laufe der Jahrhunderte höchst unterschiedliche Deutungen erfahren.

um eine solche historische Situierung bemühen sich die folgenden Interpretationen der Bordell-Tafeln Jan van Amstels. Wenn also im folgenden eine Interpretationsan-strengung über Konrad Rengers Studie zu Wirtshaus- und Bordelldarstellungen hinaus versucht wird, so um die tradierte Vorstellung von Genremalerei als Lasterdarstellung zu korrigieren.17 Denn wer hat je daran gezweifelt, dass es falsch ist, sich mit Prostitu-ierten ab- und dem Suff hinzugeben? Über das Problem ikonographischer ursprünge und Reihen hinaus muss die frage vielmehr lauten: Worin bestand der ästhetische Reiz solcher Tafeln? Gibt es neben der Exemplarik notwendiger Lasterschelte weitere und andere Erkenntnismöglichkeiten, die dem Bild eingeschrieben sind?

Entsprechend soll eingangs versucht werden, die Genremalerei zu ‚theologisieren‘, um sie als eine um humilitas bemühte Kunstform zu definieren und vorzustellen. Dabei muss die Historizität des Phänomens betont werden. Denn wollen wir dem Phäno-men der humilitas wirklich näherkommen, sind wir auf historisch konkrete Positionen verwiesen, auf Homiletik und Bibelexegese. Die Anknüpfungspunkte dafür sind im Antwerpen jener zeit vielfältig. Aber in Bezug auf van Amstel wird solch eine humile Poetik am eindringlichsten von Erasmus von Rotterdam in seinem ‚Adagium Sileni Alcibiadis‘ formuliert, das ich als zentral für die Entstehung der Genremalerei erachte.18 Das ‚Adagium‘ aus dem Jahre 1515 stellt insofern einen zentralen Text der Sprichwör-tersammlung dar, als der Reformator hier eine christliche renovatio der Kultur fordert.

Der Ausdruck von den ‚Silenen des Alkibiades‘ bezieht sich auf Platons ‚Sympo-sium‘. Am Ende des berühmten Dialogs bezeichnet Alkibiades Sokrates als Silen und

14 Was Augustinus über seine eigene Arroganz und sein unverständnis für die humilitas der Bibel sagt, lässt sich auf die Genremalerei und ihr Verhältnis zur Historie übertragen. Besonders im fünften Buch der ‚Confessiones‘ äußert er sich zu seiner Verführbarkeit durch den hohen Stil. Vgl. auGustinus: Bekenntnisse, S. 192–239.

15 Humilitas hängt wörtlich mit Humus, Erdboden, zusammen, wie Erich Auerbach schreibt, meint aber auch das Geringe und Niedrige in sozialer und ästhetischer Hinsicht. Vgl. auerBach: Sermo, S. 34.

16 Vgl. seDLMayr: Ars.17 renGer: Gesellschaft, S. 143.18 Vgl. erasMus von rotterDaM: opera, S. 770–782.

20 Jürgen Müller

lobt dessen fähigkeit zur Verstellung.19 Nicht nur lenke dessen unattraktives äußeres von seinen inneren Werten ab, sondern auch seine ironische Rede vom eigentlichen Gehalt. Sie bedeute das genaue Gegenteil von dem, was er vermeintlich ausspricht. Sokrates sei zwar äußerlich hässlich, innerlich aber voller Schätze, scherzt der betrun-kene Jüngling, wie er in seiner Lobrede insgesamt die Verstellungskünste des Philoso-phen betont.20 Der Leser ist erstaunt, wenn Erasmus im Laufe des Textes Sokrates und Christus vergleicht, da beide ihre eigentliche Bedeutung hinter ihrem unscheinbaren äußeren verbergen würden.21 Diese Irritation erfährt noch eine Steigerung, wenn der Theologe an zentraler Stelle des Essays die rhetorische frage stellt, ob nicht Chris-tus der größte aller Silene sei.22 Erasmus stilisiert das Paradox der Gleichzeitigkeit von wahrem Mensch und wahrem Gott, von humilis und sublimis, von Außen und Innen zum christlichen Weltgesetz. Denn nicht nur Christus und Sokrates, auch die Bibel und die Natur besäßen eine silenische Identität.

Bereits 1520 ist das ‚Adagium‘ ins Deutsche übersetzt worden und spielt für die Entstehung der Bauernsatiren der Behambrüder wie der Genremalerei der Reforma-tionszeit insgesamt eine bedeutende Rolle.23 In seinem Text kritisiert der Reformator gleichermaßen kirchliche und weltliche Institutionen. Erasmus liefert viele Beispiele dafür, dass das Wertvolle unscheinbar daherkomme, während die vermeintlich wichti-gen Autoritäten in Wirklichkeit wertlos – nämlich ‚falsche Silene‘, Sileni inversi, seien. für den Rotterdamer steht die Welt unter dem Gesetz der Verkehrung. Alles Kostbare sei hinter einem einfachen, wenn nicht sogar vulgär-hässlichen äußeren versteckt, wie uns das Beispiel des Sokrates lehren kann. Genrebilder folgen dieser ästhetik des Häss-lichen, um den Betrachter über den wahren zustand der Welt aufzuklären.

19 Vgl. PLaton: Gastmahl, S. 88–104, hier S. 92.20 Vgl. zum folgenden MüLLer: Paradox, S. 94–104. Dass Ironie für Erasmus folge einer spezifisch

christlichen Weltsicht darstellt, belegen auch seine Vorwörter zum Neuen Testament. Ausdrücklich wird hier die biblische Sprache als ironisch bezeichnet. So heißt es: „Im übrigen könntest du vielleicht zweifeln, ob sich in den Schriften der Apostel und Evangelisten Ironie fände, obwohl kein zweifel bestehen kann, dass sich diese sogar im Alten Testament findet.“ Sodann folgen Belege aus der Bibel, die die These ironischer Sprache belegen. Mag der niederländische Theologe mit dem Alten Testament beginnen, so zielen seine Ausführungen auf Christus und vor allem Paulus, dessen Korintherbriefe er erwähnt. Schon zuvor wird die Sprache Christi als ironisch bezeichnet, wenn Erasmus über die Para-beln Jesu redet, die er mit der sokratischen Sprechweise vergleicht.

21 Wenn Erasmus im zusammenhang des Silen-Adagium von der Tarnung durch das Hässliche und Nie-dere spricht, könnte er sich meines Erachtens auf einen Passus aus ficinos ‚De Amore‘ beziehen. Doch zunächst sei die relevante Stelle des ‚Adagium‘ in frühneuhochdeutscher Übersetzung zitiert: Dann dis ist die natur der warhafftig lich erbarn unnd redlich ding/was sie fürnems haben⁄das verbergen unnd verstecken sie auffs innerst. Was sie das verechtigst haben/das zeygen sie des ersten ansehens an/unnd verhelen unnd bergen den schatz gleich als unter eyn geringen rinden oder schelffen⁄unnd weisen es den gemeynen augen nicht. […]. Ist nicht Christus ein wundersamer Silenus gewest/so sich’s anders tzimet dermassen von im zu reden Welchem ich warlich nicht syh warumb nicht alle menschen ihres vermügés nachfolgen sollen⁄die sich des Christlichen namens froewe uñ berümé. Weñ die eusserst ge//(5) stalt des Silenus ansyhst/wz ist doch nach gemeyner achtug verworfeners od’verachters? So kann es nicht wun-dern, dass neben den vielen Einzelausgaben des Textes in lateinischer Sprache ab den 1520er Jahren zahlreiche volkssprachliche Ausgaben existierten.

22 Ein Vergleich, der sich auch in den Bibelvorwörtern findet. für Erasmus ist Ironie eine Qualität der biblischen Sprache.

23 Vgl. MüLLer: Bauer.

21Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

III. Der Monogrammist AP und van Amstels Vorbilder

Van Amstels Bordellbilder werden seit langem mit Darstellungen des Verlorenen Sohns verglichen. Allerdings muss man sich dann auf jenen Typus innerhalb der Tradition be-ziehen, bei dem nicht mehr zu entscheiden ist, bei welcher der abgebildeten Personen es sich um den Verlorenen Sohn handelt.

zieht man Sebald Behams großformatigen Holzschnitt (Abb. 3) des genannten Themas hinzu, bemerkt man dieses offene Gestaltungsprinzip.24 Während die Grup-pe im Vordergrund keine Identifikation des Verlorenen Sohns erlaubt, finden sich in miniaturisierter form im Sinne einer simultanen Erzählung Szenen im Hinter- und Mittelgrund, die auf die biblische Erzählung verweisen. Beham trennt absichtsvoll die biblische Erzählung von der festgesellschaft des Vordergrunds. Stünden uns die Hintergrundszenen nicht zur Verfügung, könnten wir das biblische Thema nicht ohne weiteres ausmachen. Man beachte zudem, dass der Nürnberger Künstler in seiner Dar-stellung auf die fünf Sinne anspielt, wenn er in der Mitte der festgesellschaft ein Paar zeigt, bei dem der Mann der frau eine Rose übergibt, die auf den Geruchssinn verweist, während links von den beiden ein Paar musiziert, was das Gehör assoziieren lässt.

24 Vgl. MüLLer/Küster: Prediger.

Abb. 3: Sebald Beham, Der verlorene Sohn, um 1535, Holzschnitt, 65,7 x 95,2 cm. Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstichkabinett.

22 Jürgen Müller

Trinkgefäße und früchte erinnern an den Geschmack, wobei die zärtlichen Gesten der Paare auf das Gefühl verweisen. Lediglich der Sehsinn fehlt, den wir als Betrachter ergänzen, indem wir das Bild anschauen und auf diese Weise die Reihe vervollständi-gen, um so ein Teil von ihm zu werden. Denn genau um diese Erkenntnis geht es dem Maler: Jeder an seine Sinnlichkeit gekettete Mensch ist ein Verlorener Sohn. Dass die Abbildung der fünf Sinne und ihre Bedeutung als Repräsentation der Welt im Rahmen der Genremalerei eine lange und kontinuierliche Tradition besitzt, hat Hans Kaufmann vor langer zeit entdeckt und herausgestellt.25 In dieser Hinsicht stellen Genrebilder Mundusallegorien dar.

In Bezug auf van Amstels Bordellbilder verdanken wir Ingvar Bergström eine wichtige Entdeckung, benennt er doch einen Holzschnitt des Monogrammisten AP (Abb. 4) als Vorbild des Malers, den er auf die zeit um 1540 datiert.26 Im Holzschnitt finden sich viele der bei van Amstel präsentierten Episoden. Der Monogrammist schil-

25 KauFFMann: fünfsinne, S. 133–157.26 Vgl. zu diesem fund BerGströM: Double-Portrait, S. 151f. Er ist auf vier Stöcken gedruckt und weist

ein beachtliches format von 58 x 70,7 cm auf, was ihn hinsichtlich seiner Größe mit den Bordellbildern van Amstels vergleichbar macht.

Abb. 4: Monogrammist AP, Bordellszene, um 1540, Holzschnitt, 58 x 70,7 cm. o.o.

23Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

dert das wüste Treiben in einem Bordell und hat schon all jene Szenen erfunden, die uns bei van Amstel als realitätsnah überzeugen. Dies beginnt mit dem Streit der beiden Pro-stituierten, die von einem Mann mit Wasser übergossen werden und setzt sich bei dem umgestürzten Stuhl links von den frauen fort. Auch die Motive der zechenden Gesell-schaft und der allerorten vorhandenen Schuldenstriche, der sich absentierenden Paare, die sich im Schlaftrakt miteinander vergnügen, sind hier vorgebildet, ebenso wie das Detail des am feuer stehenden Mannes, der sich an den flammen die Hände wärmt. Schließlich erkennt man auch den Krämer, der mit den Personen im Bild verhandelt, wie bereits Renger festgestellt hat.27

Im Vergleich zu van Amstel fällt auf, dass der Monogrammist den genannten Szenen ein größeres Eigengewicht zukommen lässt, indem er das Bild in der fläche organisiert. Es war dem deutschen Künstler wichtig, das Phänomen des Lasters in Einzelszenen zu entfalten. Dabei achte man auf das Wappen, das oberhalb des Kamins angebracht ist. Hier zeigt sich ein Satyr, der eindeutig an Darstellungen des Priapus mit Erektion erinnert, wobei sich eine Eule und ein geflügelter weiblicher Genius darüber aufhal-ten. Meines Erachtens wird auf diese Weise der heidnisch-unchristliche Charakter des Bordells herausgestellt. Dass das Gebäude – wie schon bei Behams Holzschnitt vom Verlorenen Sohn – einen symbolischen ort darstellt, der die Welt und ihre historische Erstreckung betrifft, macht der Künstler durch ein stilistisches Pasticcio der Architek-turformen deutlich. Dem Künstler ist es darum zu tun, das immense Alter des Gebäu-des vor Augen zu führen.

Auch in formaler Hinsicht lässt sich eine interessante Beobachtung machen, hat der Künstler dem Innenraum des Bordells doch ein Quadrat und einen Kreis eingeschrie-ben, sodass sich alles um die musizierende Tischgesellschaft im zentrum zu drehen scheint. und hat man zudem den sich abwendenden Christus in den Wolken erkannt, versteht man, dass der Monogrammist vom finalen zustand der Welt spricht. Bis zum Jüngsten Gericht und der Rückkehr Christi wird sich an der hier dargestellten Laster-haftigkeit nichts ändern. Die sündige Welt dreht sich im Kreis. Das Bordell als Meta-pher bezeichnet den moralischen zustand der Menschheit.

Im Vergleich zum Monogrammisten AP können wir feststellen, dass sich der nie-derländische Künstler zwar vieler Szenen des beschriebenen Holzschnitts bedient, sein Tafelbild in dramaturgischer Hinsicht aber entscheidend verändert. Anders als in der statischen Bilderzählung des Monogrammisten glauben wir in der Tafel van Amstels immer wieder den Moment ‚kurz bevor‘ oder ‚kurz danach‘ zu entdecken. Wir sind mit dem Geschehen im Sinne seines aktuellen Verlaufs konfrontiert. Van Amstel insze-niert den Augenblick und verknappt die zeit. Er zeigt uns den Streit, wie auch seine Ent stehung. In seiner Tafel werden nicht nur lasterhafte Szenen addiert, sondern eine große Anzahl miteinander kommunizierender Personen dargestellt.

Diese Tendenz zur Aktualisierung wird durch die Lichtregie unterstützt. Man achte darauf, wie sich in beiden Bildhälften die Lichtverhältnisse ändern. Während rechts das Licht durch die Tür hereinströmt und ein starker Hell-Dunkel-Kontrast entsteht, findet sich bei der Tischgesellschaft links eine homogene Lichtsituation. Kurioserweise kommt das Licht zum einen von rechts hinten und zum anderen von links vorn. Da-

27 renGer: Gesellschaft S. 99.

24 Jürgen Müller

rüber hinaus besticht das Bild durch eine kluge farbregie. unser Auge will die roten, gelben und blauen Kleidungsstücke als farbflecken zusammenziehen und verbinden. Dadurch entsteht trotz klarer Raumzonen für das Auge eine große unruhe. Wir wer-den von Szene zu Szene weitergeleitet, ohne unsere Anschauung sinnvoll beenden zu können. Der Augenblick steht nicht still, sondern ist stets im Begriff gerade erst statt-zufinden.

Die Didaktik von Jan van Amstels Bildern besteht darin, dass sie dem Rezipienten eine überlegene Position verweigern. Das Auge kann mit den Ereignissen nicht Schritt halten. Darüber hinaus weiß man weder wer, noch wie die Geschichten im Einzelnen fortfahren werden. Van Amstel schildert keinen linearen Prozess oder einen zustand, sondern ein Ereignis. Während frühe Darstellungen die Geschichte des Verlorenen Sohnes im Sinne eines negativen Helden individualisieren, werden sie durch Künstler wie Beham und van Amstel universalisiert. Verlorene Söhne sind Weltmenschen, die sich im körperlichen Genuss verlieren.

um die erzählerische fülle von van Amstels Bordellbild zu begreifen, bedarf es weiterer Vergleiche. Bereits in der Kunst um 1500 ist Prostitution ein eigenständiges Thema, das nicht erst der Rahmenikonographie des Verlorenen Sohns bedarf, um ver-standen zu werden. Schon das bei van Amstel abgebildete Buhlen der Prostituierten um Kunden und die daraus resultierende Eifersucht gehören zur Ikonographie der

Abb. 5: Mair von Landshut, Bordellszene, 1499, Kupferstich.

25Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

käufl ichen Liebe, wie zwei Kupferstiche Mair von Landshuts zeigen. In einem Werk aus dem Jahre 1499 (Abb. 5) veranschaulicht der Künstler den Moment der Kontakt-aufnahme zwischen Kunde und Prostituierter. Dabei imaginiert er den Eingang eines Hauses, auf dessen Stufen sich mehrere Personen eingefunden haben. Der Kupferste-cher spielt mit dem Motiv der Schwelle als ort möglicher Verführung. Es ist der offe-ne Raum, die Behauptung seiner zugänglichkeit, der das Bordell im unterschied zum häuslichen Bereich auszeichnet. Ganz links sitzt ein Narr, der Dudelsack spielt und entspannt die Beine übereinander geschlagen hat. Rechts davon befindet sich eine Pro-stituierte die auf einer Steinbank Platz genommen hat und auffällig gekleidet ist. Sie schaut schamhaft zu Boden und hat gerade dadurch das Interesse des Mannes geweckt, dessen Wünsche durch sein Schwert deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Rechts davon erkennen wir eine weitere Prostituierte, die ebenfalls versucht, die Aufmerk-samkeit des Mannes zu erregen, indem sie ihr Bein entblößt. zugleich scheint sie ihn anzusprechen. Im Hintergrund rechts erkennen wir einen weiteren Kunden, der von einer Prostituierten nach oben gewiesen wird.

Mair inszeniert unterschiedliche Modi der Verführung, die dem Buhlen um den freier geschuldet sind. zudem enthalten seine Bilder zahlreiche sexuelle Anspielungen. Man berücksichtige den Schwertgriff, die achtlos abgestellte Kanne und besonders den Dolch des Narren, der eine phallische form aufweist, wie auch der Dudelsack auf das männliche Geschlecht verweist. Interessant ist darüber hinaus das Motiv des freiers, der die Treppe herabspaziert und sich vermutlich erst kurz zuvor angezogen hat, wes-halb er nun seine Kleider zurechtzupfen muss. Links im fenster sehen wir die Prostitu-ierte, die er aufgesucht hat und die durch einen Melancholiegestus charakterisiert wird.

Eine weitere Bordellszene des Künstlers (Abb. 6) ist zu nennen, in der wiederum mehrere Prostituierte, um einen Kunden werben, der durch seine feder als rechter ‚Hallodri‘ charakterisiert wird. Direkt über ihm befindet sich ein angeketteter Affe, der als Symbol des auf seine fleischeslust reduzierten Menschen gelten kann, wie wir ihn aus Sebastian Brants ‚Narrenschiff‘ kennen.28 Bereits bei Brant entdecken wir Liebes-narren, die durch Venus gekettet werden. Mair von Landshut weiß dies in anschauli-cher Weise umzusetzen. Gefesselt und gekettet sind in seinem Kupferstich die Männer unterhalb des Balkons, die gezwungenermaßen die funktion von Atlanten einnehmen. Auch ein Narr darf hier nicht fehlen, den wir am linken Rand der Balkonszene entde-cken. Diesmal sind es kein Schwertknauf und kein Dolchgriff, sondern der emporge-streckte finger und der Stock in seiner rechten Hand, die das männliche Geschlecht repräsentieren. Man achte zudem auf das Doppelkinn des Narren, das die form von Hodensäcken angenommen hat. Schon diese wenigen Beispiele machen den topischen Charakter solcher Darstellungen deutlich, wird die sexuelle obsession der freier doch der Lächerlichkeit preisgegeben.

Dass Verführen und zahlen als zwei Seiten einer Medaille begriffen werden, findet sich bereits in einer federzeichnung von urs Graf (Abb. 7) aus den Jahren um 1515 dargestellt, die einen Reisläufer in einem Bordell wiedergibt. Bei diesem Exempel ist die frau bereits entkleidet und hält fortuna gleich einen Pokal in die Höhe, während der Kriegsknecht mit seiner Linken auf das vor ihm liegende Geld deutet. Die früchte

28 Brant: Narrenschiff, S. 149–153.

26 Jürgen Müller

Abb. 6: Mair von Landshut, Balkonszene, um 1499, Kupferstich, 37,9 x 27 cm. London, British Museum.

27Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

auf dem Teller betonen den Aspekt der Verführung, wie auch die Prostituierte den Mann am ärmel seines Gewandes zu sich hinzieht. Der Schwertknauf, dessen phalli-sche form einmal mehr inszeniert wird, tut ein Übriges, den bevorstehenden Sexualakt anzudeuten. Bei der dargestellten Prostituierten haben wir es wiederum mit frau Welt zu tun. Die Stickerei auf dem Baldachin des Betts GOT GEB U[N]S GLU[E]K weist auf die Gefahr einer Ansteckung durch Syphilis hin.29

Auf den ersten Blick unterscheidet sich van Amstels Tafel von dieser Darstellung deutlich. Immerhin findet sich das Motiv der entkleideten Prostituierten und eines zah-lenden freiers als Detail im Berliner Bild. und auch das Thema der Syphilis spielt bei van Amstel eine wichtige Rolle. So achte man auf die Gesichtsfarbe des Kunden am Tisch vorn links, dessen dunkles Antlitz insofern nicht ohne Absicht neben das weiße Gesicht der Prostituierten neben ihm gestellt wird, als sich die Syphilis im letz-ten Stadium durch eine dunkle Gesichtsfarbe auszeichnet. Dass dieses Symptom vom Betrachter entdeckt werden sollte, belegt der umstand, dass dieser Kunde auch im frankfurter Bild existiert, wenn man auf das Paar direkt unterhalb der Treppe verweist. Wie sehr diese ansteckende Krankheit die Menschen beunruhigte, ließe sich durch viele Quellen belegen. Doch sei lediglich auf einen Passus aus den ‚Colloquia familiaria‘ des Erasmus verwiesen, wo es sarkastischer Weise heißt, die Syphilis sei „jene stolze Seu-che, die weder dem Aussatz, noch der Elephantiasis, noch der flechte und dem Grind […] etwas nachgeben würde, wenn es zu einem Wettkampf käme.“30

Ein weiteres Detail in van Amstels Berliner Bordellbild findet durch die Bildtra-dition seine Bestätigung, hat der Maler den Vogelbauer doch besonders prominent in den Eingang des Etablissements platziert. Seine Darstellung zeigt ein technisches Kabinettstück insofern, als das Motiv im Gegenlicht präsentiert wird, wie dem Au-ßenraum insgesamt etwas Mysteriöses eignet. Statt dass die farben hier kräftiger und sonnenbeschienen erscheinen, sind sie merkwürdig kraftlos und unwirklich. Immerhin glaubt man eine Mauer und den blauen Himmel identifizieren zu können. für das pro-minent inszenierte Motiv des Vogelbauers mit einer Elster, die schlechten Ruf und üble Nachrede symbolisiert, sei auf Hieronymus Boschs Darstellung des Verlorenen Sohns verwiesen.31 Im Rahmen seiner Studie zu Bosch hat Dirk Bax auf jenes niederländische Sprichwort aufmerksam gemacht, das besagt, die Elster würde zwar süße Dinge sagen, aber auch alles Geld stehlen, womit das Wesen der Prostituierten zum Ausdruck ge-bracht sei.32

Ich habe schon auf die Schuldenstriche im Holzschnitt des Monogrammisten AP hingewiesen, die sich auch bei van Amstel finden. Extremer noch als in der frankfurter

29 Die Gefahr einer solchen Ansteckung war zu dieser zeit recht hoch. Dies beweist auch ein Brief von Albrecht Dürer aus dem Jahre 1506, in dem dieser Willibald Pirckheimer darum bittet, dem Prior auszurichten, dass jener für ihn bete, damit er vor der Syphilis bewahrt werde. Vgl. Albrecht Dürer an Willibald Pirckheimer, Venedig, 18. August 1506, in uLLMann: Dürer, S. 79; So erscheint es nicht ver-wunderlich, dass sich urs Graf mit dem Reisläufer identifiziert und das Schildchen mit Monogramm an der Truhe anlehnt, auf der der Mann Platz genommen hat.

30 erasMus von rotterDaM: Ehe, S. 242. In diesem Dialog beschreibt Erasmus zum Entsetzen jedes Lesers, wie ein junges Mädchen nicht nur mit einem viel älteren Mann, sondern gar mit einem alten Syphilitiker verheiratet wird.

31 Hieronymus Bosch, Der verlorene Sohn, um 1500, Öl auf Holz, Ø 71,5 cm, Rotterdam, Museum Boij-mans van Beuningen. Vgl. hierzu bspw. Marijnissen: Bosch, S. 411.

32 Bax: Bosch, S. 95f.

28 Jürgen Müller

Abb. 7: urs Graf, Kriegsknecht im Gemach einer Dirne, um 1515, federzeichnung, 30,9 x 21,4 cm. Dresden, Sammlung Lahmann.

29Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

sind in der Berliner fassung die Wände des Etablissements über und über mit Sgraf-fito-zeichnungen und Schriftzügen bedeckt. Es kommen Inschriften in roter, weißer und schwarzer farbe vor. Gerade wenn man das Bild aus großer Nähe betrachtet, ist man über die hier dargestellte fülle erstaunt. Dabei kann man deutlich ausgeschriebene Wörter und zeichen erkennen, die an Handelszeichen des Spätmittelalters oder auch an Steinmetzzeichen erinnern. Möglicherweise wird sogar auf Gaunerzinken angespielt, eine Geheimsprache der Nichtsesshaften der frühen Neuzeit. Worum es hier eigent-lich geht, macht der Phallus (Abb. 8) deutlich, der in einem in die Wand geritzten Satz bei allen Wörtern stets den ersten Buchstaben ‚d‘ darstellt. Ich lese: dat dinck doet die dochter dalen. frei übersetzt: „für dieses Ding werden die Töchter erniedrigt“, oder emphatischer: „Dieses Ding lässt die Töchter zugrunde gehen.“ Ebenso sprechend ist der laufende Phallus (Abb. 9) links davon, der als Vogel getarnt ist und mit flügeln ausgestattet wurde. Dabei handelt es sich um eine Anspielung auf das Wort Vogelen beziehungsweise ‚Vögeln‘.33 Außerdem findet sich oberhalb der Trennwand aus Holz in roter Schrift der Hinweis: Sonderinne Hochnisse, was mit „fest der Sünderinnen“ übersetzt werden kann. Aus einem gewissen Abstand glaubt man zum Teil Wörter wie Suster oder dochter wieder zu erkennen. Jedenfalls kann man direkt über dem Türsturz die Inschrift sine sote dochter entdecken. und rechts über dem Eingang liest man in roter Schrift sin Ars […] in dijn […], womit ein fluch gemeint sein dürfte. zudem sind an den Wänden ringsum die Schuldenstriche der Gäste notiert worden. Ist der Blick für diese zeichen einmal sensibilisiert, erkennt man überall den Hinweis auf die zu zahlen-

33 Vgl. De jonGh: Erotica.

Abb. 9: Jan van Amstel, Bordellszene, 2. Viertel 16. Jahrhundert, Mischtechnik auf Eichenholz, 29 x 45 cm, Detail. Berlin, Gemäldegalerie.

Abb. 8: Jan van Amstel, Bordellszene, 2. Viertel 16. Jahrhundert, Mischtechnik auf Eichenholz, 29 x 45 cm, Detail. Berlin, Gemäldegalerie.

30 Jürgen Müller

de zeche. Sogar auf dem mittleren Holzbalken und an den Wänden links sind Striche eingekerbt worden. Deutlich sieht man Scharten, die den Konsum der Gäste, aber auch das sprichwörtliche Kerbholz im Sinne erworbener Schuld assoziieren lassen.34

Erwähnenswert ist außerdem der querformatige Holzschnitt an der Rückwand, der an Landsknechtdarstellungen des frühen 16. Jahrhunderts denken lässt. Keith Moxey hat treffend an ein Werk Erhard Schoens erinnert. 35 In jedem fall bemerkt man rechts einen Landsknecht und eine Marketenderin. Auffällig hängt der querformatige Riesen-holzschnitt links herab, weil er vermutlich nicht hinreichend fixiert wurde. Nach allen bisherigen Beschreibungen wird deutlich, dass dieser Holzschnitt ein weiteres Symbol der Weltlichkeit darstellt. Wie auch einige zeichen und Inschriften an den Wänden auf all jene Personen verweisen, die einmal an diesem ort waren, ihn aber verlassen haben.36 Man denke zudem noch einmal an spätmittelalterliche Handelszeichen und Steinmetzzeichen, die an Besitzer und urheber erinnern, wodurch zugleich der mate-rielle Charakter der Welt, aber auch ihre Transitorik betont werden.37

Dass wir es nicht mit einer säkularen Welt, sondern mit einem eschatologischen mundus, im Sinne der frist zwischen der ersten Ankunft Christi und seiner Rück-kehr, zu tun haben, versteht sich nicht von selbst, sondern bedarf weiterer Erläuterung. zur Veranschaulichung dieses Konzepts und als Beleg für dessen Präsenz zur zeit van Amstels ist am besten ein Kupferstich von Pieter van der Borcht (Abb. 10) geeignet. Er zeigt die Sphaira mit allerlei Menschen und Würdenträgern, die die Welt durch-schreiten. Links unten sieht man Adam und Eva während des Sündenfalls. Auf der gegenüberliegenden Seite erkennen wir die Vertreibung aus dem Paradies. Am oberen Rand des Stichs entdecken wir Christus als Weltenrichter, darunter die erlöste und ver-dammte Menschheit.

Auch die beiden Bordell-Bilder in Berlin und frankfurt formulieren explizit die Botschaft christlicher Weltzeit durch das Detail einer dargestellten Sphaira, die wir in diesem Durcheinander erst nach einer Weile zu entdecken vermögen. unter den vielen Kritzeleien und zeichen finden sich in beiden Tafeln Mundussymbole.38 Die Metapho-

34 ‚Etwas auf dem Kerbholz haben‘ im Sinne von große Schulden haben, siehe hierzu: röhrich: Lexikon, S. 832f.

35 Erhard Schoen, ursula und der Schuster, um 1535, Holzschnitt, 32,5 x 22,9 cm, Berlin, Kupferstichka-binett. Vgl. Moxey: Peasants, S. 91; Vgl. hierzu auch GeisBerG: Woodcut, S. 1159.

36 Die folgenden Hinweise verdanke ich Martin Przybilski. Dies gilt auch für das frankfurter Bild: Heme van sinnung = Heim(at) des Begehrens [auf der Tür zuoberst, über dem Paar mit dem dunkelhäutigen Mann] sintporte van […] = Sündenpforte von (?) [darunter] hin pengert […] mins […] = hin verkauft […] meines [oberhalb des Mannes, der der frau auf der zentralen Stiege nachsteigt; vermutlich Hinweis auf Käuflichkeit bzw. Verschwendung] henning = männl. Vorname, danach evtl. zahlenangaben [Mitte rechts in schwarzer Schrift über und neben den roten zinken]. Häufig sind Personalpronomen (min, mins) erkennbar, also wird auf Eigenaussagen angespielt. Insgesamt sind die Inschriften schlechter les-bar als im ersten Beispiel, oftmals handelt es sich wohl um bloße visuelle Illusion von Schriftlichkeit durch Wechsel von ober- und unterlängen.

37 Wie präsent Nürnberger Vorbilder in Antwerpen waren, belegt Moxey zudem durch einen weiteren Holzschnitt von frans Huys, auf dem oberhalb des Kamins tanzende Bauernpaare gezeigt werden, wie sie von Sebald und Barthel Beham entworfen wurden, vgl. Moxey: Peasants, S. 51. Noch Pieter Bruegel d.ä. wird ungefähr zwanzig Jahre später auf dieses Spiel Besitz anzeigender zeichen in seiner zeichnung des ‚Elck‘ zurückgreifen. Vgl. hierzu MüLLer: Paradox, S. 56–72.

38 schraMM: Sphaira, Kapitel VI. Sphaira, Globus und Reichsapfel in der Neuzeit, S. 147–175; Vgl. Brue-gels ‚Elck‘.

31Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

Abb. 10: Pieter van der Borcht, Die Reise durch die Welt, o.J., Kupferstich, 27,3 x 19,7 cm. fürstlich zu Waldburg-Wolfeggsche Kunstsammlungen.

32 Jürgen Müller

rik der Welt, ob sie nun im Sinne der Tondo- oder Kreisform wie in Boschs ‚Hausie-rer‘, der Sphaira unterhalb der ‚Elck-figur‘ in Bruegels berühmten Kupferstich oder der fünf-Sinne-Ikonographie von Sebald Beham in dessen Darstellung des Verlorenen Sohn auftaucht, verweist den Christen auf den ursprung der Sünde und zugleich auf das Ende des mundus beim Jüngsten Gericht. Schauen wir auf den für Jan van Am-stel so wichtigen Holzschnitt des Monogrammisten AP, so erkennen wir, dass an der Längsseite des Tischs im zentrum niemand anders als frau Welt Platz genommen hat, um Hof zu halten und ihre Herrschaft wird andauern, bis Christus zurückkehrt.

IV. Inversionen als silenische Bildpoetik

Wenn das Auge des Betrachters durch die Bilder van Amstels wandert, beeindruckt in beiden hier vorgestellten Bordellszenen der zu entdeckende Reichtum der Stand- und Sitzmotive. Alle figuren werden höchst individuell charakterisiert. Schon früh hat Paul Philippot in einem Aufsatz aus dem Jahre 1980 auf die Verwendung von Raffael- und Michelangelomotiven in den Bildern van Amstels hingewiesen.39 Dabei lag es für ihn nahe, den Künstler in die Traditionslinie romanistischer Künstler à la Gossaert, van orley oder Coecke van Aelst einzuordnen.40 Stimmt man dieser Einschätzung vom Romanisten van Amstel zu, muss es allerdings verwundern, dass von ihm nicht eine einzige Darstellung eines mythologischen Themas überliefert wurde. Es fällt auf, dass sich der Künstler dieser Aufgabe komplett enthalten hat.

Im unterschied zu Philippot möchte ich van Amstels umgang mit italienischen Bildern deshalb als ironisch bezeichnen. Schon auf den ersten Blick wird deutlich, dass er italienische Motive keinesfalls für die bedeutenden figuren innerhalb seiner Kom-positionen nutzt, sondern sie vor allem in miniaturisierter form am Rande oder in Genrebildern verwendet. um diese spezifische Differenz zu den Romanisten vor Au-gen zu führen, sei eine berühmte Tafel Jan Gossaerts in Erinnerung gerufen, die Venus und den Amorknaben zeigt.41 Der Künstler setzt seine Komposition aus verschiedenen Stichen Marcantons nach Raffael zusammen, wie Ariane Mensger unlängst dargelegt hat.42 Dabei bildet Raffaels ‚Galatea‘ den zugrunde liegenden Typus, dessen Eleganz und Vornehmheit den flamen offensichtlich beeindruckt hat.

Vor dem Hintergrund der großen Wirkung von Raffaels berühmter Nymphe auf die Kunst flämischer Romanisten müssen wir die Berliner Tafel erneut in Augenschein nehmen. Van Amstel erlaubt sich einen Spaß, hat er doch Raffaels Motiv der unnah-baren Schönen unbemerkterweise seiner Bordellszene eingefügt.43 Es ist nämlich keine andere als die zuschlagende frau, für die er auf das italienische Vorbild zurückgegriffen hat. Dies fällt jedoch erst auf, wenn man das angezogene Knie genauer in Betracht zieht, mit dem sie ihre Gegnerin niederdrückt. Dass dieses Spiel mit dem Raffaelmotiv nicht einfach zu entdecken ist, hängt mit der vollkommen unerwarteten Handlung und

39 Vgl. PhiLiPPot: Integration, S. 199–207.40 PhiLiPPot: Integration, S. 204.41 Jan Gossaert, Venus und Amor, 1521, Öl auf Holz, 36 x 23,5 cm. Brüssel, Musée d’Art Ancien. Vgl.

MüLLer: Apelles, S. 104.42 MensGer: Gossaert, S. 174. 43 Philippot sieht hier auch einen Einfluss Raffaels, kommt hier zu einem anderen Ergebnis und verweist

auf eine figur aus dem ‚Tod des Ananias‘. PhiLiPPot: Integration.

33Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

der untypischen Aufsicht auf das berühmte Vorbild zusammen. Das Motiv wird dis-simuliert. Anders als Gossaert bei seiner Darstellung der Venus stellt van Amstel seine Kenntnisse italienischer Kunst nicht aus, sondern weiß sie absichtsvoll zu verbergen, womit er denselben Regeln gehorcht, wie die Künstler der Hochrenaissance, waren es doch Michelangelo und Raffael, die die Technik der dissimulatio artis zum ersten Mal zu nutzen wussten.44

Doch bei van Amstel stellt die Verwendung des Galateamotivs gleich in mehrfacher Hinsicht ein ironisches Vorgehen dar. Dabei ist das ziel dieses ironischen Verfahrens weniger der italienische Künstler der Hochrenaissance, als vielmehr die romanistische Künstlerschaft in Antwerpen, über deren Raffaelbegeisterung und Verwendung der Imitatiolehre er sich lustig macht. Allerdings ist die im Bild geäußerte Kritik durchaus subtil. Denn wenn wir zugeben müssen, durch die Prügelszene angezogen zu werden, so ist es keineswegs die überlegene Eleganz von Raffaels ‚Galatea‘, die wir wertschät-zen, sondern eine rabiate Person, die unser Interesse weckt. und was erkennen wir ei-gentlich bei einem ironischen zitat? Was nehmen wir zuerst wahr? Eine sich prügelnde Prostituierte oder eine schöne form à la Raffael? Dies ist nicht unwichtig zu fragen, denn wird dem Betrachter nicht vor Augen geführt, dass die formale Rezeption der inhaltlichen nachgeordnet ist? Van Amstel parodiert nicht nur in verborgener form ein Raffaelmotiv, sondern macht auch jene Betrachter lächerlich, die sich etwas auf ihre Kenntnisse italienischer Kunst einbilden und sich nun getäuscht sehen müssen.

Dabei ist der Niederländer weder der erste noch der einzige Künstler, der das ge-nannte Raffaelmotiv in ironischer Weise genutzt hat. Erneut sei urs Graf als Vorbild benannt, der den Künstler inspiriert haben könnte.45 Schon dieser lässt aus der ‚Galatea‘ erstmals in einer frühen Radierung aus dem Jahre 1513 eine vulgäre Prostituierte wer-den, die ihre Reize dadurch zu inszenieren weiß, dass sie ihr Bein entblößt, um es zu waschen, obwohl der vor ihr befindliche zuber gar kein Wasser enthält. Schon vor van Amstel haben Künstler wie Dirck Vellert seit den 1520er Jahren ähnliche Experimente durchgeführt und berühmte Motive auf niedere Sujets übertragen.46

um der These ironischer zitate bei van Amstel eine größere Plausibilität zu verlei-hen, muss erneut das frankfurter Bild zum Vergleich herangezogen werden. Auch hier

44 Die italienischen Künstler entwickelten diese Kunstlehre, um die Autonomie des Bildes gegenüber sei-ner notwendig mimetischen funktion zu behaupten. Die Schönheit des Bildes ist nicht mit der Schön-heit im Sinne seiner außerbildlichen Referenz zu verwechseln. Michelangelo und Raffael behandeln Motive wie künstlerische Ideen, die unterschiedlichen Erscheinungsformen zugrunde liegen können, ohne sich in ihrer aktuellen Anwendung zu erschöpfen. Schönheit eignet keinem objekt als solchem, sondern scheint als Idee durch es hindurch. Dies hat Irle unangemessen dargestellt. Vgl. hierzu irLe: Ruhm, S. 40f.

45 urs Graf, Dirne, ein Bein entblößend, 1513, Radierung, 13,9 x 7,1 cm, Basel, Öffentliche Kunstsamm-lung, Kupferstichkabinett. Vgl. hierzu bspw. Kat. Mus.: Graf, S. 289.

46 Er schneidet figuren in der Mitte auseinander, um dann eine Hälfte um 180 Grad zu spiegeln und beide Teile wieder zusammen zu setzen. Außerdem wählt er ungewöhnliche Ansichten, die es dem Betrach-ter erschweren, das verwendete Motiv wieder zu erkennen. Wenn er en-face-Motive der Malerei dreht, um sie von hinten darzustellen, liegt es sogar nahe, dass er auf eine Gliederpuppe zurückgegriffen hat, um den Perspektivwechsel technisch durchzuführen. Dass dieses ironische Spiel mit der italienischen Kunst und der von ihr beanspruchten Überlegenheit zusammenhängen könnte, habe ich in vielen Bei-trägen präsentiert und glaube, dass es die Bauerndarstellungen Albrecht Dürers waren, in denen ein solches Spiel entwickelt wurde. zur Aufnahme dieses Verfahrens in den Niederlanden vgl. v.a. MüLLer: Laokoon.

34 Jürgen Müller

erlaubt sich der Künstler einen ähnlichen Scherz, weiß er doch die figur des ‚Apoll von Belvedere‘ seiner Komposition geschickt zu integrieren. Er nutzt es für den Mann in Rückenansicht, der von der Dirne am Herd eine Waffel entgegennimmt. So sehen wir das berühmte Motiv in ungewohnter Weise von hinten. Darüber hinaus ist der ober-körper im Verhältnis zum unterkörper gespiegelt. Dem Betrachter wäre jedenfalls aufgefallen, dass in diesem Bordell besonders feine und elegante Menschen verkehren. Auf der gegenüberliegenden Seite ist zudem in dem ganz vorne sitzenden Mann eine Anverwandlung von Michelangelos ‚Haman‘ aus der Sixtinischen Kapelle zu erken-nen, der unter den romanistischen Künstlern jener zeit nicht weniger geschätzt wurde. Allerdings ist es van Amstel nicht wirklich gelungen, das komplizierte Michelangelo-motiv angemessen in die Handlung zu integrieren, die männliche Person fällt merk-würdig vornüber.

zieht man dieses ironische Spiel mit berühmten Vorbildern zur Interpretation wei-terer Motive hinzu, so ergibt sich eine interessante Perspektive auf die frau neben dem Waffeleisen, die dem schönen ‚Apoll‘ die Waffel reicht. Denn könnte van Amstel da-mit nicht das Verfahren der imitatio artis kritisieren, das immer nur dieselbe form generiert?47 Diese These wird insofern weiter gestützt, als beide figuren im Rahmen des Gesamtthemas allzu elegant erscheinen. So evoziert auch das Haltungsmotiv der frau mit angezogenem linken Knie ein raffaeleskes figurenideal.

V. Die Liebe der Wallfahrer

Die Hypothese ironischer Kunst mag derart unerwartet erscheinen, dass sie durch die Interpretation eines dritten Bildes gestützt werden soll, das ebenfalls die körperliche Liebe zum Thema hat. In seiner Van-Amstel-Monographie hat Dietrich Schubert das so genannte ‚Paar im Kornfeld‘ (Abb. 11, Taf. 4) in die zeit um 1535 datiert und die frü-he forschung in Bezug auf das Bild zusammengefasst.48 Das Gemälde zeigt ein Liebes-paar, das sich während einer Wallfahrt vom Tross absentiert hat. Den Kopfbedeckun-gen beider Personen sind dreieckige Wallfahrerfähnchen aufgesteckt, die nun achtlos ins Gras geworfen wurden. Erwartungsvoll hat die junge frau ihre Arme ausgebreitet, um ihren Liebhaber zu empfangen. Der Mann ist im Begriff, sich auszuziehen. Er nes-telt an seiner Hose, aus der schon das plissierte Hemd heraushängt. Begehrlich blickt er auf die junge frau zu seinen füßen. Ihre schwarze Schürze ist ihr zwischen die Beine gerutscht, darauf liegen Rosenkranz und Kruzifix. Sie hat ihr schwarzes Mieder geöffnet und unter sich ihren Mantel wie eine Decke ausgebreitet, was auf die folgende sexuelle Handlung verweist. Der Künstler mutet uns die Position eines Betrachters zu, der das Paar in flagranti ertappt.

Natürlich hat dieses Bild seinen historischen Kontext in der reformatorischen Kritik katholischer Glaubenspraxis. zieht man zum Vergleich Lucas Cranachs Holz-schnitt ‚unterschied zwischen der wahren Religion Christi und der falschen abgöt-

47 Den Hinweis auf die imitatio-kritische Lesart verdanke ich Peter Bell (Heidelberg). Eine ähnliche Überlegung in Bezug auf Pieter Aertsens ‚Pfannkuchenesser‘ hat Todd Richardson (Memphis) im Rah-men einer Vortragsdiskussion am SfB 804 in Dresden geäußert.

48 Die Holztafel misst gerade einmal 20,5 x 28 cm und stellt somit ein ausgesprochenes Kabinettformat dar. Vgl. hierzu schuBert: Gemälde, S. 201f.

35Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

tischen Lehre des Antichrists‘ hinzu, erkennt man auf der Seite des Antichristen im Hintergrund eine Wallfahrtsprozession, die von einem Priester angeführt wird. Van Amstel konkretisiert demgegenüber seine Kritik in Hinsicht auf die hier stattfindende sexuelle Ausschweifung, schließlich bietet erst die Wallfahrt Anlass und Gelegenheit für das erotische Abenteuer von Mann und frau. Gleich mehrfach hat Heinrich Al-degrever (Abb. 12) Szenen dargestellt, bei denen es ihm darum zu tun war, den Klerus bloßzustellen. zumeist beobachtet ein Landsknecht das Paar oder tritt gar hinzu, um beide mit dem Katzbalger zu bedrohen. Der Sinn von Aldegrevers Entwurf ist deut-lich. Er zielt auf die Scheinheiligkeit der Kleriker, die sich zwar der Keuschheit durch ein Gelübde verpflichtet haben, aber ebenso schwach sind wie andere Menschen auch. Diese Kritik wird bei van Amstel auf die Wallfahrer übertragen.

Der Künstler hat für seine Komposition einen klaren Aufbau gewählt. An den verborgenen ort im Vordergrund unterhalb des Baumes schließt sich im Mittelgrund ein Kornfeld an. Den linken Rand des feldes markieren in regelmäßigen Abständen Bäume. Im Hintergrund erkennt man ein Städtchen, dessen Häuser sich entlang einer Straße erstrecken. Hier bewegt sich – gerade noch wahrnehmbar – der zug der Pilger. Rechts von der vertikalen Bildachse sieht man einen Kirchturm, der alles überragt. Da-vor kann man ein Wirtshaus erblicken, dessen Schild am Eingang angebracht ist. In der Sekundärliteratur wollte man hier eine Prozession identifizieren.49 Jedenfalls fällt ins Auge, dass sich die rechte Hand der frau auf derselben Achse befindet wie der Kirchturm.

In der forschung wurde in Bezug auf das kuriose Bild auf Quellen verwiesen, die vor den sexuellen Verführungen einer Wallfahrt warnen. Jochen Becker verdanken wir eine profunde Studie, die viele Aspekte des Bildes benennt. Er führt aus, dass sich wall-fahrtskritische Schriften seit den Tagen Augustins finden und bis ins 17. Jahrhundert reichen.50 Markus Müller hat auf die Tradition der Minne-Ikonographie aufmerksam gemacht und sie für die kleine Tafel in Anspruch genommen, um das Paar als Lasterbei-spiel zu deuten.51 zwar lassen sich viele Beispiele für Darstellungen von Liebespaaren in freier Natur belegen, aber kein einziges verweist auf den Kontext einer Wallfahrt.

Treffender erscheint mir der Vergleich zu einem Bild von Pieter Aertsen, auf das schon Becker hingewiesen hat.52 Aertsen zeigt die Rückkehrer einer Wallfahrt, die sich nun voneinander verabschieden. Dabei fällt auf, dass es sich bei einer nicht geringen Anzahl der Teilnehmer dieser Wallfahrt um Liebespaare handelt, die sich nun innig in die Augen schauen und die Trennung offensichtlich bedauern. Besonders auffällig ist das Paar auf dem Schimmel, der beherzt vorwärts stürmt, so dass man um den vor ihm liegenden Bettler besorgt ist, den niemand zur Kenntnis zu nehmen scheint. Dass es hier lustig zugeht, zeigen zudem die Tanzenden im zentrum des Bildes. Am linken Bildrand sieht man eine ältere frau empört davonstampfen, was den kleinen Jungen an ihrer Hand nicht davon abhält, bewundernd zu dem Paar auf dem Schimmel zu

49 Vgl. BecKer: Puff, S. 23.50 BecKer: Puff.51 Vgl. hierzu MüLLer: Bilder.52 Pieter Aertsen, Rückkehrer von einer Wallfahrt, o.J., Öl auf Holz, 110 x 170 cm, Brüssel, Koninklijke

Museum voor Schone Kunsten. Vgl. hierzu bspw. BecKer: Puff, S. 24.

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Abb. 12: Heinrich Aldegrever, Mönch und Nonne, 1530, Kupferstich, 9,2 x 7 cm. London, British Museum.

37Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

blicken. Dass Aertsens wie van Amstels Bild eine antikatholische Stoßrichtung haben, ist mehr als offensichtlich.

für den Aufbau der Komposition ist auf eine zeichnung (Abb. 13) van Amstels zu verweisen, die in diesem zusammenhang bisher übersehen wurde. Dargestellt ist eine junge Magd, die im Begriff ist, eine Kuh zu melken. Ihr nähert sich ein junger Edelmann, der Barett und Degen trägt und dessen Kleidung deutlich den höheren Stand markiert. Im Hintergrund bemerken wir zwei weitere Mägde, von denen die eine aus dem Haus schaut, während die andere buttert. Bei den Tätigkeiten handelt es sich um typische jahreszeitliche Verrichtungen, die auf den Monat April und das Sternkreiszeichen des Stieres verweisen, das wir im Medaillon oberhalb der beschrie-benen Szene finden. Dass der junge Mann mit erotischen Hintergedanken beschäftigt ist, macht nicht nur der steil aufragende Knauf des Degengriffs verständlich, sondern auch der Stier, der interessiert auf die Kuh blickt. Die zeichnung illustriert das mit dem frühling assoziierte sexuelle Begehren bei Mensch und Tier. Das Paar der Wallfahrer nimmt seitenverkehrt die Anordnung der Personen der zeichnung wieder auf. Nur

Abb. 13: Jan van Amstel, Der Monat April, 2. Viertel 16. Jahrhundert, braune Tinte blau laviert, 39,4 x 48,2 cm. London, British Museum.

38 Jürgen Müller

dass die weit geöffneten Arme als Aufforderung zur umarmung nun von der jungen frau wiederholt werden. Dieses spezielle Haltungsmotiv der Arme erinnert zudem an Noli me tangere-Darstellungen, in denen Maria Magdalena vor dem auferstandenen Christus auf die Knie fällt und ihre freude durch eben diesen Gestus zum Ausdruck bringt. Durch die geschickte doppelte Codierung ein und desselben Gestus wird die-ser nun von van Amstel aus einem christologischen in einen höchst profanen Kontext transferiert. Die zeichnung des Künstlers wiederum ist von einem Kupferstich Lucas van Leydens aus dem Jahre 1510 inspiriert, der ebenfalls eine erotische Szene um eine Kuh herum platziert.53

Im Hinblick auf den reformatorischen Hintergrund der kuriosen Bilderfindung Jan van Amstels muss wiederum auf einen Text aus den ‚Colloquia familiaria‘ des Erasmus von Rotterdam verwiesen werden. Dies ist wichtig, weil mit der Kritik der Wallfahrt nicht notwendig auf die lutherische Identität des Malers geschlossen werden darf. Eras-mus’ Bestseller aus dem Jahre 1518 hatte schon zu seinen Lebzeiten nahezu einhundert Auflagen erfahren und kann als sein populärstes Werk erachtet werden. unter dem Titel ‚Das Wallfahren‘ findet sich hier ein Dialog, der zentrale Momente reformato-rischer Kritik an der katholischen frömmigkeit enthält. zu diesem ziel lässt Erasmus zwei Männer diskutieren, von denen einer der Reformation zugeneigt und der andere als altgläubig erachtet werden muss, ist er doch gerade von einer Wallfahrt zurückge-kehrt. Schon die Beschreibung des katholischen Wallfahrers durch den kritisch gesinn-ten Menedemus spricht Bände:

Aber weshalb bist Du so herausgeputzt? Du bist ja mit Muscheln übersät und mit zinnernen und bleiernen Heiligenbildchen ringsum behängt, mit Strohketten ge-schmückt, und am Arm hast du Schlangeneier, will sagen einen Rosenkranz.54

Erasmus hat seine Sympathien klar verteilt und lässt den Altgläubigen ein ums andere Mal abergläubische Überzeugungen aussprechen, die zum Lachen reizen. Jedem Leser der Reformationszeit war der theologische Kontext einer Wallfahrt bewusst, bot sie doch eine besondere Möglichkeit zur Erlösung von den Sünden. Man unternahm eine beschwerliche Reise, um ein wundertätiges Bildwerk zu besuchen. Schließlich konnte man noch allerlei ‚nützliche‘ Dinge für die Daheimgebliebenen mitbringen. Mit dem Thema der Wallfahrt jedenfalls steht für den Christen der Reformationszeit die frage nach der Werkgerechtigkeit zur Diskussion. Im genannten Dialog macht sich Erasmus über die Vorstellungen vom Heiltum solcher orte lustig, wenn er beschreibt, wie Re-liquien immer wieder geteilt würden, ohne dass sie ihre Wunderkraft verlören: „[…] aus dem Ablassfass“, so heißt es lapidar, „kannst du ständig schöpfen, ohne dass jemals weniger darin ist.“55

Die Wallfahrt erhält ihren Sinn ja aus der Realpräsenz des Heiligen an dem spezifi-schen ort. für den katholischen Gläubigen setzen Wallfahrten den unerschütterlichen Glauben an die Realpräsenz des Göttlichen in Reliquien oder Kultbildern voraus. Jan van Amstel macht mit seinem Bild auf subtile Weise die frage nach dem Wesen theolo-

53 Lucas van Leyden, Milchmagd, 1510, Kupferstich, 11,1 x 15,1 cm, Amsterdam, Rijksmuseum. Vgl. Kat. ausst.: van Leyden, S. 247, Nr. 46.

54 erasMus von rotterDaM: Ehe, S. 89.55 erasMus von rotterDaM: Ehe, S. 107.

39Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

gischer zeichen zum Thema. Dabei ironisiert er das Konzept übertragener Bedeutung. Dies geschieht dadurch, dass er den übertragenen Sinn religiöser Sinnbilder auf seine Wörtlichkeit reduziert. Das Liebesspiel beider Personen wird genüsslich inszeniert. Die sexuelle Begegnung von Mann und frau, von Braut und Bräutigam oder Chris-tus und Maria gehört zu den zentralen Metaphern der Vereinigung des Menschen mit Gott. Daraus zieht van Amstel eine gewisse Komik. Die Inbrunst, mit der hier die Vereinigung mit dem Göttlichen herbeigesehnt wird, entpuppt sich ironischerweise als sexuelles Begehren.56 Die Begegnung von Braut und Bräutigam jedenfalls, von sponsus und sponsa, ist im Bild zentral, allerdings dürfen wir hier die Vereinigungsmetaphorik nicht sinnbildlich hinzudenken, sondern müssen sie ganz wörtlich verstehen.

Ein solcher subversiver Hintersinn findet im Weizenfeld und der Vorstellung von Eucharistie und Transsubstantiation eine fortsetzung. Auch die Mohn- und Kornblu-men, die effektvoll gegen die hellen Kornähren inszeniert werden, haben im Kontext christlicher Ikonographie gewöhnlich einen Hintersinn. Der Mohn enthält im Innern der Blüte ein Kreuzeszeichen, das – wie natürlich auch die rote farbe – auf die Passion verweist. Außerdem ist er in Verbindung mit dem Weizen des feldes ein Symbol der Eucharistie. Der Weizen deutet auf Christi fleisch, während der Mohn sein Blut verge-genwärtigt. Wie auch die Kornblume für die fleischwerdung Christi und die Krönung der Heiligen Jungfrau im Himmel steht, bei der die Engel Kornblumenkränze tragen. Während all diese zeichen in der christlichen Ikonographie des 15. Jahrhunderts den soeben benannten allegorischen Sinn aufweisen, werden die zeichen bei van Amstel be-wusst auf ihre reine Wörtlichkeit oder faktizität reduziert. Mehr noch, der Vergegen-wärtigungsoptimismus katholischer Bildfrömmigkeit wird ironisch gebrochen. Erst wenn man den Witz erkennt, bei dem sich alles Bedeutungsvolle in Nichts auflöst, hat die Tafel einen ‚tieferen‘ Sinn, der paradoxerweise in reiner oberflächlichkeit besteht.

Van Amstel hat zusätzliche Hinweise gegeben, die eine solche Deutung plausibel erscheinen lassen. Dies beginnt mit dem inversen zitat, das aus einem eleganten Krie-ger der ‚Cascinaschlacht‘ Michelangelos einen geilen Pilger werden lässt, wie mehrfach festgestellt wurde.57 Seit langem ist das italienische Vorbild erkannt, aber kurioserweise im Sinne eines normativen Exempels gedeutet worden. Dies verkennt den Charakter der dissimulatio und den Sinn des Bildes. Van Amstel hat die figur um einhundertund-achtzig Grad gedreht, weshalb sie nicht einfach zu entdecken ist. Aus dem positiven Vorbild der Kunst Michelangelos wird ein Lasterbeispiel.

Dabei ist wenig wahrscheinlich, dass der Künstler die Komposition Michelangelos im original kannte. Vielmehr wird er mit einem Kupferstich von Agostino Venezi-ano (Abb. 14) vertraut gewesen sein, der das anmutige Motiv des sich anziehenden Kämpfers schon früh isolierte und zu einer autonomen Komposition hat werden las-sen. Doch während im italienischen Vorbild die figur im Sinne eines Sinnbildes der Grazie gemeint ist, wird auf der Tafel des Antwerpener Malers alles ins Gegenteil ver-kehrt. Der junge Mann zieht sich aus und nicht an. Noch plausibler erscheint mir, dass

56 Dass die Liebe dieser Wallfahrerin sogar gefährlich ist, versinnbildlicht der junge Baum am rechten Bildrand, der von einer Efeupflanze umrankt wird, die ihn letztlich sogar töten kann, wie uns ein Emblem von Guillaume de la Perrière aus dem Jahre 1553 belehrt. Vgl. hierzu henKeL/schöne: Em-blemata, Sp. 276.

57 Vgl. bspw. MüLLer: Bilder.

40 Jürgen Müller

sich van Amstel sogar auf eine Mars- und Venus-Darstellung Marcantonio Raimondis (Abb. 15) bezogen hat, denn schon hier wird das Motiv Michelangelos absichtsvoll dissimuliert, indem es um einhundertachtzig Grad gedreht abgebildet und in einen ero-tischen Kontext übertragen wird. Selbst die räumliche Darstellung des Blattes könnte

Abb. 14: Agostino Veneziano, Junger Krieger aus der Cascinaschlacht, 1517, Kupferstich, 16,1 x 12,1 cm. London, British Museum.

41Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

van Amstel als Vorbild gedient haben. Dabei hat er ohne zweifel erkannt, dass es sich um das Motiv aus der ‚Cascinaschlacht‘ handelt.

ohne zweifel hat dieses Spiel ein wichtiges Telos darin, dass Michelangelo im Nor-den als bedeutender Künstler des päpstlichen Hofes wahrgenommen wurde. Seine

Abb. 15: Marcantonio Raimondi, Mars, Venus und Eros, Kupferstich, 29,7 x 21,1 cm. London, British Museum.

42 Jürgen Müller

Werke schmücken den Vatikan und gelten als unüberbietbar. Diese ästhetische Norm wird hier auf ironisch-subversive Weise in frage gestellt.58

Jan van Amstel hat ein Bild religiöser Scheinheiligkeit gemalt. Bemerkenswert ist die umsetzung des Themas in einem Tafelbild, da hier die reformatorische Kritik ka-tholischer Konfession das eigentliche Thema darstellt, ohne dass es sich deshalb um Propaganda handeln würde. Gleichwohl ist das kleine Gemälde hochgradig subver-siv, da religiöse Autorität hier unter der Hand der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Hat man den Sinn des Dogmas erst einmal belächelt, ist sein spiritueller Sinn ruiniert. Schließlich besteht der Witz darin, dass die junge frau am Mann vorbeiblickt, ganz so, als hätte sie eine wirkliche Gotteserscheinung und würde nun freudig ihre Arme aus-breiten. Sie sehnt eine Begegnung mit dem Göttlichen herbei und meint, das Numinose vor ihrem inneren Auge zu sehen. Doch letztlich wird etwas ganz anderes stattfinden.

Mit dem Michelangelo-Bezug wird bei van Amstel zweifelsohne eine Kunstpraxis kritisiert, die ihr Heil in der Nachahmung bewährter Muster zu erkennen glaubt. Mi-chelangelos Cascinakrieger steht einem lüsternen Pilger Pate. Lassen wir den Gang der Argumentation Revue passieren, weist das Bild einen hohen Grad an Komplexität auf. Der Betrachter sieht keinesfalls auf Anhieb eine amüsante figürliche Darstellung.59 Im Gegenteil, die Ironie zielt auf Exklusivität.60 Wie man im Rahmen meiner Ausführun-gen bemerken konnte, geht mit der Entscheidung für die Bildironie eine verborgene zi-tierweise einher. Dies ist allerdings nur möglich, weil die zitierten Werke den Rang von Klassikern haben.61 In erkenntnistheoretischer Hinsicht stellen ironische Verfahren die Möglichkeit zur Entlarvung falscher Autoritäten dar. Ironische Intelligenz besteht da-rin, die Schwäche des Gegners zu erkennen. Man stellt sich naiv, um dem Gegner ein falsches Überlegenheitsgefühl zu vermitteln. So gesehen stellt Ironie eine List dar. Sie zielt auf die umkehr von Machtverhältnissen. Eine ironisch konzipierte Komposition ist nicht mehr nur Gestaltung der fläche, sondern auch der zeit. Nicht mehr nur das Verstehen, sondern auch das intendierte Missverstehen im Sinne des Verbergens stellt eine gleichberechtigte Absicht des Bildes dar. Die List des Künstlers besteht darin, dass er sich in den Rezipienten versetzt und dessen Erkenntnisprozess vorbereitet. Er kennt Schwächen und Gewohnheiten des Betrachters und nutzt sie in absichtsvoller Weise. Dafür muss er den Rezeptionsvorgang voraussehen und gestalten.

Wolf-Dieter Stempel definiert Ironie als eine besondere form des Komischen, die auf einer bestimmten Konstellation von Ironiker, Adressat und Publikum basiert.62 Der Ironiker ahmt die Verhaltens- oder Handlungsweisen des Adressaten nach und identifiziert sich somit scheinbar mit ihm. Durch Karikierung und Überziehung der

58 zu subversiven Bildstrategien vgl. MüLLer: Laokoon.59 Deshalb sei eine Bemerkung Quintilians in Erinnerung gerufen, der Ironie als eine Möglichkeit erach-

tet, das Lachen des Publikums zu provozieren: „Ist sie [die Ironie, Anm.d.Verf.]“, so heißt es in der ‚Institutio‘, „nicht selbst in ihrer ernstesten form geradezu eine Gattung des Scherzes?“ QuintiLianus: Ausbildung, Bd. 1, S. 741 (VI, 3, 68). Lachen ist für den Rhetoriklehrer Teil der Urbanitas. Es zeichnet den Hauptstädter (Römer) vor der bäurischen Bevölkerung aus, die laut Quintilian weder zu Anmut noch zu geistreichem Scherz befähigt sein soll. Dieser rhetorischen Definition sei eine habituelle hin-zugefügt, die uns an Sokrates als Typus erinnert.

60 zur Einführung vgl. MüLLer: Ironie.61 zur Verbreitung und Infragestellung des italienischen Kanons in den Niederlanden vgl. BusKirK/

KascheK: Kanon.62 steMPeL: Ironie.

43Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

Eigenschaften des Adressaten weist der Ironiker diesen jedoch zugleich zurück und dis tanziert sich von ihm. Dieser so entstandene Gegensatz stellt den Adressaten vor dem Publikum bloß und gibt ihn der Lächerlichkeit preis – das umschlagen von Imita-tion in Bloßstellung erzeugt also einen Witz. Das Lachen über den Adressaten solidari-siert das Publikum ex negativo mit dem Ironiker, der seinen Geltungsanspruch deutlich macht. Der anfangs Überlegene wird somit zum unterlegenen, der die Bloßstellung aufgrund der indirekt erfolgten ironischen Handlung nicht einmal widerrufen, sondern höchstens seinen unmut und zorn darüber zum Ausdruck bringen kann.

Komik und Ironie gehören insofern zusammen, als beide mit Perspektivwechseln zu tun haben. Ironie bei van Amstel entsteht durch die bewusste Missachtung des deco-rum, wenn hoch und niedrig absichtsvoll verkehrt werden. um eine Botschaft ironisch zu verschlüsseln, werden zwei einander widersprechende Sachverhalte miteinander verknüpft. Diesen Widerspruch gilt es zu entdecken. Denn ironisch ist eine Aussage nur dann, wenn die innere Diskrepanz der ironischen formulierung hinreichend ka-schiert wurde. Damit sich eine Prostituierte als ein Raffaelmotiv oder ein Pilgerpaar als Spiel mit michelangelesken formen entpuppen können, muss ein Künstler diesen Sachverhalt angemessen dissimulieren.

VI. Zusammenfassung

Van Amstels Spiel mit italienischen Vorbildern insgesamt sollte im Sinne einer sileni-schen ästhetik gelesen werden. Der Maler macht sich über die Romanisten à la Gos-saert lustig, die glauben, dass schon die Verwendung eines Raffaelmotivs sie zu einem ‚großen Künstler‘ mache. Dabei schlägt er die Romanisten auf ihrem ureigensten feld, wenn er seine fähigkeit zur dissimulatio vorführt und die aberwitzigsten Verballhor-nungen klassischer Motive betreibt. Die inverse Verwendung des Galatea-Motivs oder Cascinaschlacht-Motivs zeugen von der optischen Erfindungsgabe des Künstlers.

zentral für die klassische Kunstpraxis der imitatio artis ist der Begriff des ‚deco-rum‘. Angemessenheit stellt den zentralen funktionsbegriff klassischer Kunsttheorie dar, weil über ihn der Einsatz der künstlerischen Mittel organisiert wird. zugleich liegt dem ‚decorum‘ der Gedanke der Proportionalität zugrunde. Entsprechend verdienen hohe Themen mehr Ausschmückung als niedere. Der Einsatz künstlerischer Mittel erfolgt gegenstandsorientiert. Wenn van Amstel Motive der klassischen Hochkunst nutzt, um freier und Prostituierte zu repräsentieren, stellt er die unterscheidung von hoch und niedrig in frage. Schon die Kirchenväter haben in Bezug auf die Gestalt Christi und das Mysterium der Inkarnation den Begriff des ‚decorum‘ abgelehnt, da in Christus hoch und niedrig, humilis und sublimis zusammenfallen. Diesem Gedanken folgt Erasmus, wenn er versucht, der Bibel Maßstäbe einer christlichen Poetik zu ent-nehmen. Ausdrücklich distanziert er sich im ‚Ciceronianus‘ aus dem Jahre 1528 vom ‚decorum‘ als rhetorischer Voraussetzung angemessener Darstellung, würden doch gerade dadurch pagane Würdevorstellungen unzulässigerweise auf christliche Inhalte übertragen. Erasmus fordert Wahrheit statt Angemessenheit.63

63 Vgl. erasMus von rotterDaM: Dialogus.

44 Jürgen Müller

Bei der hier vorgelegten Interpretation sticht die Diskrepanz zwischen simpel-alltäglicher Darstellung und anspruchsvollen Scherzen ins Auge. Der Betrachter sol-cher Genrebilder hatte die Möglichkeit, das Bild auf unterschiedliche Weise zu thema-tisieren. Es versteht sich von selbst, dass die Komik solcher Bilder nicht zu trennen ist von der Versprachlichung durch den Betrachter.64 In Erasmus’ ‚Colloquia‘ findet sich ein Dialog zwischen einem Jüngling und einem freudenmädchen. Darin wird die jun-ge frau davon überzeugt, das Bordell zu verlassen, um ein neues Leben zu beginnen. Dies hält Erasmus aber nicht davon ab, den Überzeugungsarbeit leistenden Jüngling als regelmäßigen Bordellgänger zu entlarven. Im Laufe des Dialogs nennt die Prostitu-ierte diesen wohlmeinenden freier mea mentula, was mit „mein Schwanz“ übersetzt werden könnte.65

Im Hinblick auf van Amstel ist hier etwa an das Sgrafitto-Motiv des Phallus als laufender Vogel zu erinnern. Bei dem Mann mit der flöte zwischen den beiden frauen denkt man unwillkürlich an das in nahezu allen Sprachen existierende Sprichwort, je-manden nach seiner Pfeife oder flöte tanzen lassen. Möglicherweise sind sogar weitere Sprichwörter verborgen. Darüber hinaus erlaubt das Bild dem Betrachter aber auch, ernsthaftere fragen zu stellen. Etwa wie sich Gnade und Sünde zueinander verhalten. Kurz, die Bilder definieren sich über einen offenen Interpretationsrahmen.

Damit fordert van Amstel vom Betrachter allerdings auch eine größere Aufmerk-samkeit ein. Dinge werden derart miniaturisiert, dass man sie erst auf den zweiten, wenn nicht gar erst auf den dritten Blick entdeckt. Sein Bild hält Überraschungen be-reit. Bei ihm wechseln die Lichtverhältnisse auf engstem Raum. Er inszeniert die Dis-kontinuität des dargestellten Raums und spielt mit ihr. Das Sehen selbst – im Sinne des Übersehens und des Nicht-Sehens – macht der Künstler zum Thema. Er verstrickt uns in einen Sehvorgang, bei dem das Dargestellte im fluss erscheint. Es ist diese insze-nierte Kontingenz, die ich als die eigentliche ästhetische Leistung seines Bildes erachte.

für die Berliner fassung entsteht damit die frage, ob nicht der eigentliche Haupt-darsteller des Bildes der Betrachter und das eigentliche Thema das Betrachten selbst sind, gibt es doch eine ganze Reihe von figuren, die uns erlauben, unseren Status als Rezipienten zu reflektieren. Dies beginnt mit dem Mann, der sich in unmittelbarer Nähe zum raufenden Paar an die Trennwand gelehnt hat, um das Schauspiel beobach-ten zu können. Entspannt ruht sein rechter Arm auf dem Rücken. Ganz so als hätte er sich darauf eingestellt, noch eine Weile zuzuschauen. Vermutlich war es der Krach der raufenden frauen, der ihn und seine Partnerin auf die Prügelei aufmerksam gemacht hat, denn auch sie blickt sich um, und schaut an der Trennwand vorbei auf das wilde Treiben. Auch jenseits der Trennwand unmittelbar neben den Streitenden ist man von dem Kampf beeindruckt. Die frau des hier dargestellten Paares scheint derart fasziniert zu sein, dass sie den Mann davon abhält, einzugreifen, wie ihr Griff an seinen Arm ver-deutlicht. offensichtlich hat die frau Spaß daran, die Rauferei zu verfolgen oder ihre Solidarität gilt der obsiegenden frau.

Mag auch diese form der Streitszene vom Monogrammisten AP erfunden worden sein, weiß van Amstel sie durch die Gaffenden entscheidend zu erweitern. Er macht die Schaulust selbst zum Thema, erzählt von der Attraktion, die mit einem solchen Ereig-

64 Vgl. MüLLer: Bildstrukturen.65 erasMus von rotterDaM: Jüngling, S. 198.

45Überlegungen zur Genremalerei Jan van Amstels

nis einhergeht. unsere Anwesenheit ist scheinbar unbemerkt geblieben. Man kann sich allerdings fragen, ob der Künstler den Betrachter nicht auch durch den Konvexspiegel zum Thema macht, auf dessen Blickachse wir uns befinden. Natürlich können wir uns nicht spiegeln, aber ist es nicht so, als würde der Spiegel indirekt auf unsere Anwesen-heit verweisen und als müssten wir uns fragen, wer wir in diesem Weltgeschehen sein wollen? Das Sehen als Lust verbindet uns jedenfalls mit den Personen im Bild, wo es doch darauf ankäme, die Welt zu erkennen.

Van Amstels Bilder sind Werke eines Moralisten, keines Moralapostels. Im Sinne erasmischer Theologie stellt seine Genremalerei ein Medium der Aufklärung dar. Auf-klärung in dem Sinne, dass dem Menschen seine Grenzen vor Augen geführt werden. Der Genremalerei kommt dabei die funktion zu, eine moderne Bildsprache zu liefern, die in der eigenen Gegenwart ihren Ausgangspunkt nimmt und ihre eigentliche Be-stimmung hat. Van Amstels Genrebilder sind auch insofern modern, als sich in ihnen eine Kritik konventioneller Imitatiolehre findet, bei der die Kunst der Gegenwart auf die Vergangenheit verpflichtet werden soll. Auch die Hierarchie der Gattungen wird in den Genrebildern abgelehnt, wenn der menschliche Körper im Sinne des Aktes als herausragendem Träger künstlerischer Vorstellungen durch die Inszenierung seiner humilitas in frage gestellt und zugleich das Pathos der Historienmalerei im Sinne der Affektlehre abgelehnt wird.

Wenn wir noch einmal an das ‚Pilgerpaar‘ denken, so ist mit der Genremalerei eine umfassende bildliche Reflektion gegeben, die uns von der Emanzipation einer gebil-deten Elite erzählt, die die theologische institutionelle Legitimation hinterfragt und Bilder als Medium subtil-spöttischer Konfessionskritik auffasst. Das Aufkommen der Genremalerei in Deutschland und den Niederlanden sollte daher nicht als Säkularisie-rungsschub begriffen werden, sondern als Ausdruck eines komplexen Emanzipations-prozesses innerhalb der religiösen Kultur der frühen Neuzeit. So spiegelt sich in der neuen Bildgattung ein fundamentaler Wandel der Wissenseliten. Kirchliche Intelligenz wird durch bürgerliche abgelöst, wie auch der Kleriker als privilegiertes Exemplum der Gotteserfahrung zugunsten des Laien verabschiedet wird. Kein Text macht dies deut-licher als die ‚Colloquia‘ des Erasmus.

zugleich geht mit dieser Entwicklung und der dargestellten Kritik an der antiken Gattungslehre und der Normativität italienischer Kunst eine protonationale Ausrich-tung nordeuropäischer Kultur einher. Genremalerei generiert ihre Identität aus der dis-simulierten Verbindung zu ihren Gegnern und hat damit einen subversiven Status. Die Reformation ist der Katalysator dieser Prozesse, die weit vor 1500 einsetzen und im Siegeszug volkssprachlicher Kultur ihren sichtbarsten Ausdruck gefunden haben. für die Kunst bedeutet dies eine radikale Neubestimmung, zielt die Genremalerei doch nicht auf eine Kontemplation des Heiligen, sondern die Veränderung religiöser Praxis. Von einer Ausdifferenzierung eines ‚reinen‘ Kunstdiskurses im Sinne eines Sittenbil-des kann hier keine Rede sein. Aus der reflektierten Verwendung avancierter künst-lerischer Mittel ergeben sich vielmehr die Möglichkeit einer neuartigen Behandlung theolo gischer fragen und einer kritischen Reflexion der eigenen Gegenwart.

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Bildnachweise

Abb. 1, 8, 9: Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin, SPK, foto: Jörg P. Anders.Abb. 2: frankfurt am Main, Städel Museum, foto: ursula Edelmann, Agentur: Artothek.Abb. 3: Kat. ausst.: Maler, S. 223, Nr. 53. Abb. 4: renGer: Gesellschaft, Abb. 62. Abb. 5: hoLLstein: Engravings, S. 110, Nr. 18.Abb. 6: London, British Museum (© Trustees of the British Museum).Abb. 7: Major/GraDMann: Graf, Nr. 38. Abb. 10: hoLLstein: Etchings, S. 149, Nr. 141.Abb. 11: Herzog Anton ulrich-Museum Braunschweig, Kunstmuseum des Landes Niedersach-

sen, foto: Museumsfotograf.Abb. 12, 13, 14, 15: London, British Museum (© Trustees of the British Museum).

Quellen und Literatur

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Birgit ulrike Münch

Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung mit Blick auf die ‚Melkmeid‘ des Lucas van Leyden

I. Warburgs „Realistische Breugheltypen“ und ihr „Hofnarrenprivilegium“

Im Dezember 1905 erschien eine von Maurice Demaison verfasste Sonderausgabe der zeitschrift ‚Les Arts‘, die der Neueröffnung des Pariser Musée des Arts Décoratifs gewidmet war.1 Eine der querformatigen Abbildungen zeigte einen Raum mit spätgo-tischem Mobiliar, der neben einem baldachinbekrönten Bett, einem Hocker und einer kargen Sitzbank an der Wand eine großformatige Tapisserie präsentierte (Abb. 1).2 Be-schriftet war die Abbildung schlicht mit „Tapisserie – Les Bucherons, france XVe sièc-le“ sowie dem Hinweis „Lit – Bois sculpté“ – das aus Holz geschnitzte Bett stammte ursprünglich aus dem Chateau de Villeneuve in der Auvergne. Als Datierung wurde das 15. Jahrhundert angegeben.3 Der Teppich zeigt acht etwas grobschlächtige bûche-rons, also Holzhacker, bei der Arbeit (Abb. 2, Taf. 4). Das fällen und zersägen von Baumstämmen sowie das Abhacken kleinerer äste wird ebenso präsentiert wie ein Ar-beiter, der gerade einen großen Schluck aus einer Trinkflasche nimmt. Die Szenerie spielt in einem dichten Wald, der Erdboden ist gemäß des millefleur-Stils mit zahlrei-chen Eichen- und anderen Blättern sowie diversen Blumen gesäumt, während vor allem am Bildvordergrund und im dunkleren Hintergrund verschiedene Tiere – Jagdhunde, Löwe und Gepard sowie ein Hirsch – sichtbar werden. Prominent ist am oberen Bild-rand ein Wappen auf dem Teppich platziert, auf welches einer der Waldarbeiter an-scheinend mit erhobenem rechten Arm verweist. Dass sich Aby Warburg unmittelbar nach Erscheinen des Sonderheftes intensiv mit dem großformatigen Teppich befasste, beweist der Gegenstand seines knappen, 1907 in der ‚zeitschrift für bildende Küns-te‘ des Seemann-Verlages erschienenen Aufsatzes ‚Arbeitende Bauern auf Burgundi-schen Teppichen.‘4 Dank eines umfangreichen Kapitels innerhalb der Dissertation von Michael Diers konnte nach Auswertung der sechs Briefkopierbücher Warburgs aus dem Nachlassarchiv des Warburg Institute London durch Briefe, Notizzettel und Ta-gebucheintragungen ein „Einblick in die Gedanken- und Schreibwerkstatt“5 vorgelegt werden. Diers konnte anhand der Detailstudie dieses Quellencorpus den Arbeitspro-

1 DeMaison: Arts.2 DeMaison: Arts, S. 3.3 Erst bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass es sich neben dem wandfüllenden Teppich als

Rückwand des Himmelbettes zusätzlich um einen weiteren, kleineren Teppich handelt. Da Warburg zunächst nur die schlechte schwarz-weiss-Abbildung der Innenraumdarstellung aus ‚Les Arts‘ vorlag, ging er hierauf in den ersten Überlegungen zunächst nicht ein.

4 warBurG: Bauern, im folgenden zitiert nach warBurG: Schriften II, S. 165–171.5 Diers: Warburg, S. 110.

52 Birgit ulrike Münch

zess des Kunsthistorikers Warburg für seinen Tapisserieaufsatz aufschlussreich nach-zeichnen.6

Eine in diesem fundus erhaltene Karteikarte beweist, dass sich Warburg sofort an der Lokalisierung des Teppichs nach frankreich störte, da er diese Angabe mit einem doppelten fragezeichen versah und eher Burgund als Entstehungsort favorisierte. Auf dem gleichen wichtigen zetteldokument zeichnete er darüber hinaus das auf der Abbil-dung nur unscharf zu erkennende Wappen ab, das sich später als jenes des Kanzlers Ro-lin entpuppen sollte, und beschrieb – dies ist nun für die hier interessierende fragestel-lung bedeutsam – die lebensgroßen Holzfäller als „ganz außerordentlich realistische Darst[ellung von] Breugheltypen“7. Direkt auf dieser wohl ersten Skizzierung zu der Holzhacker-Tapisserie ist Warburg somit nicht nur an der Provenienz und dem Ent-stehungsort des Kunstwerks interessiert, sondern bezeichnet sie als wichtiges Werk der Gattung Genremalerei. Warburg war es ein Anliegen, seine Entdeckung schnellstmög-lich zu publizieren, noch bevor etwa französische oder deutsche Kollegen auf ähnliche fährten gestoßen wären. Bereits am 14. Januar 1906 schrieb er an den E.A. Seemann-Verlag, um in der von diesem herausgegebenen ‚zeitschrift für bildende Kunst‘ seinen

6 Diers: Warburg, S. 109–186, hier S. 113; Diers: Warburg-Lektüre.7 Diers: Warburg, S. 113, Abb. 113 mit dem Verweis auf den entsprechenden Notizkasten: N 014/007893.

Abb. 1: Raum mit spätgotischem Mobiliar aus dem Musée des Arts décoratifs, fotografie aus einer Sonderausgabe der zeitschrift „Les Arts“ (Dezember 1905).

53Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung

Artikel unterzubringen. Auch hier stellt er die hohe Relevanz des Teppichs für die Genremalerei heraus:

Es wäre der Mühe wert, diesen Teppich einmal in Ihrer Technik in farben zu repro-duziren, da er eine der frühesten uns bisher gänzlich unbekannten Genredarstellungen der Teppichwirkerei darstellt. […] ich kann den Teppich datiren [sic!], die fabrik fest-stellen, wahrscheinlich auch den Besteller nennen und das ganze als Inkunabel fland-rischer Bildweberei um 1465!! [sic!] festlegen.8

Insgesamt erwähnt der Aufsatz drei Teppiche des Pariser Kunstgewerbemuseums, die alle das gleiche Thema haben: neben dem monumentalen Teppich ein 172 x 245 cm um-fassendes fragment, das auf um 1460 zu datieren ist und das Warburg, wie beschrieben, in der ersten Abbildung der zeitschrift – hinter dem Bett angebracht – noch nicht als eigenständigen Teppich erkannt hatte, sowie einen weiteren bûcheron aus dem 16. Jahr-hundert. Warburgs Tagebuch vermerkt schließlich im Januar 1906: „Den Teppich d. bucherons als Werk des Grenier für Rolin in Tournai wahrscheinlich identifiziert. für die Geschichte der Genremalerei aufklärend.“9 Im Aufsatz Warburgs geht es sicher auch um rezeptionsästhetische fragen und die Platzierung eines ‚niederen‘ Motivs in die ‚hohe‘ höfische Kunst. Aber es geht Warburg – dies wurde bislang von der for-schung nur gestreift – offensichtlich auch um die Genremalerei avant la lettre und daher um ein wichtiges fragment zur Rekonstruktion der Genese der Genremalerei. Dies wird bereits anhand der schon zitierten Textpassagen deutlich, in denen immer wieder darauf aufmerksam gemacht wird, dass das Werk eine Schlüsselrolle im Bereich der Genremalerei einnehme. Diers druckte in seinem Corpus überdies einen Karteizettel ab, auf dem später verworfene Titelideen des kleinen Aufsatzes von Warburg vermerkt worden waren. Neben dem Titel ‚Bauernbilder‘ war auch der Titel ‚Genrekunst auf burgundischen Teppichen‘ in seine Überlegungen eingebunden.10

Trotz der intensiven Vorbereitung des knappen Aufsatzes zu den Bauern und den belegten schriftlichen Bemühungen Warburgs, die scientific community für sein Projekt zu begeistern, stießen die ‚holzhackenden Bauern‘ bei seinen zeitgenossen auf wenig und vor allem verhalten positive Resonanz. Der von der Reaktion seiner ‚zunft‘ ent-täuschte Warburg notierte akribisch die Kommentare auf seine Sonderdrucke, die von „merkwürdig, ein echter in der Wolle gefärbter W[ar]b[ur]g“11, so etwa Wilhelm Vöge, bis zu Paul Clemens Antwort „anmutig, aber zum Schluss beträchtlicher Sprung“12 reichten. Gustav Glück, der erste kunsthistorische Leiter der Berliner Gemäldegale-rie und Autor diverser Arbeiten zur niederländischen und flämischen Kunst13, merkte zumindest an, dass „Breughel und Bosch also“ – dies habe Warburg bewiesen – „keine reine Volkskunst“ seien.14

Prägend, zumindest wohl bekannt für das Studium der Genremalerei während War-burgs Ausbildung, dürfte etwa die Arbeit des ersten ordinarius für das fach Kunst-

8 warBurG: Briefkopierbücher, B I, 165f., zitiert nach Diers: Warburg, S. 118f. 9 Diers: Warburg, S. 113, Abb. 113.10 Diers: Warburg, S. 161; dieser zitiert den Notizzettel mit der Angabe N 014/007879.11 Diers: Warburg, S. 140 und Abb. 31.12 Diers: Warburg, S. 141 und Abb. 31.13 Etwa: GLücK: Bruegel.14 Diers: Warburg, S. 140 und Abb. 31.

54 Birgit ulrike Münch

geschichte an der universität München, Berthold Riehl, gewesen sein.15 In dessen 1884 erschienener Studie zur Geschichte des Sittengemäldes benutzt er zur umschreibung des forschungsfeldes die Begriffe des „Gewöhnlichen“ und der „Naturtreue“ als zent-rale Charakteristika des Genre- oder Alltagsbildes.16 Warburg hatte das Sommersemes-ter 1888 an der universität München verbracht und Riehls Vorlesungen besucht, wenn auch unregelmäßig und mit wenig Enthusiasmus, wie Gombrich aufgrund eines zitates Warburgs zur Münchner Jubiläums-Ausstellung von 1888 interpretiert.17 Die ange-sprochene Kunstschau, die etwa Werke von uhde und Liebermann präsentierte, wurde von Warburg primär aufgrund ihrer zahlreichen Genrebilder und ihres „kühnen Realis-mus“ gelobt.18 Wenn friedländer in ‚Kunst und Kennerschaft‘ in seinem Abschnitt über die Genremalerei resümiert: „Die Poesie des Landlebens ist in der neueren zeit bedeu-tend ausgebeutet worden, teilweise ist es gewiss aus einer Art opposition geschehen“19, so ist zu fragen, auch in Hinblick auf Warburgs Begeisterung für die zeitgenössische realistische Malerei, wie die Entwicklung des Bauerngenres seit dem Vormärz bis in Warburgs zeit definiert werden kann. Das Bauerngenre erlebte gerade in dieser zeit in Dichtung und Malerei einen großen Erfolg, auch und gerade als bürgerliche Inter-pretation und im Gegensatz zum bürgerlichen Leben stehend, als ort des Natürlichen und Echten.20 Diese Natürlichkeit zeigte aber selbstredend vielmehr eine Illusion, eine Sehnsucht, also statt Alltagsarbeit fast nur sonntägliches Idyll; Sozialkritik wurde zu-nächst ausgeklammert und fand sich erst in Ansätzen nach 1848.21 Wenn Warburg von Bruegel-Typen spricht, so ist dies eine umschreibung, die sich interessanterweise auch in den Interpretationen der Genremalerei des 19. Jahrhunderts finden lässt. Wie Teske ausführt, finden sich zwei stark kontrastierende figuren in vielen Werken des Bauern-genres der zeit: eine elegante Magd und ein tölpelhafter Bauer als Gegenpart, was er als „Konfrontation zweier traditioneller Einflusszonen“, des Rokoko und der niederlän-dischen Malerei, bezeichnet, die beide „Kunstfiguren [seien], deren Provenienz die ma-lerische Tradition und nicht die Wirklichkeit ist.“22 Die junge Bäuerin oder Magd ist in diesem ungleichen Paar dem Rokoko verhaftet, während der trinkende, tanzende Bauer an die Bruegelwerkstatt und die niederländische Malerei allgemein gemahnt.23 formu-liert wurden diese Rückgriffe der Genremalerei des 19. Jahrhunderts auf die niederlän-dische Malerei etwa von Carl Schnaase, Sekretär des Düsseldorfer Kunstvereins und Kuratoriumsmitglied der Düsseldorfer Akademie, so in seinen Niederlän dischen Brie-

15 riehL: Geschichte. 16 riehL: Geschichte, S. IV.17 Gombrich bezieht sich primär auf die minder aussagekräftige Briefpassage Warburgs an seine Mutter,

in der er dieser von der Münchener Jubiläums-Kunst-Ausstellung berichtet: „Durch die Gemäldeaus-stellung hier lernt man mehr als durch ein halbes Dutzend Professoren“. Der Brief ist auf den 8. Juni 1888 datiert, vgl. GoMBrich: Warburg, S. 59.

18 GoMBrich: Warburg, S. 59 mit Verweis auf Pietsch: Malerei, vgl. auch: GrössLein: Kunstausstellun-gen, und MyLarch: Akademiekritik.

19 FrieDLänDer: Kunst, S. 94–99 (Abschnitt zum Genrebild), hier S. 94.20 wieGMann: Kunst-Akademie, S. 328 beschreibt den neuen Boom des bäuerlichen Themas, das die

gesamte Künstlerschaft erfasst habe; ferner tesKe: Studien, S. 94f.21 Vgl. ricKe-iMMeL: Verklärung, S. 11.22 tesKe: Studien, S. 97.23 tesKe: Studien, S. 97, mit Verweis auf verschiedene Gemälde.

55Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung

fen.24 Trotz der forderung nach einem Rückgriff auf die Niederländer, denen Schaase Tiefe und Harmonie attestierte, spricht er an anderer Stelle von der Derbheit und Cha-rakterlosigkeit des frühneuzeitlichen Genrebildes der Niederländer.25

Warburg, der oft zitierte „erste Bildwissenschaftler“26, hatte sich bei seinen Holz-hackern wie in vielen anderen Arbeiten mit einem Randthema der Kunstgeschichte an-geblicher niederer Sujets (Genre) und sekundärer Gattungen (Kunsthandwerk) befasst, was die geringe Würdigung sicherlich mit begründete. Doch wie lässt sich Warburgs Haltung gegenüber dem von ihm als Schlüsselwerk definierten Exempel der frühen Genrekunst weiter einordnen? Sein Aufsatz endet mit den Worten:

Die monumentale Genrekunst dieser burgundischen Teppiche war gleichsam das Quellgebiet jenes nordischen Verismus, der seinen lebensspiegelnden Humor als eine unverächtliche Gegenkraft dem dionysischen Pathos im Kampfe um den Stil des be-wegten Lebens entgegensetzen konnte, bis die klassizierende Hochrenaissance Italiens im antiken Satyr ihr eigenes und ihrer humanistischen Gesellschaft angemesseneres Temperamentsventil wiederentdeckte. Vor dem elementaren echten orgiasmus des heidnischen Satyrn, dem noch dazu der nackte Körper das ungehemmte Doppelspiel von Miene und Körper verlieh, zog sich der grimassierende nordische Spaßvogel zu-rück, bis auch der Satyr im abschleifenden Tauschverkehr der formen Wert und Prä-gungsfrische eingebüßt und nun Breughel seinen Bauern im Reiche der Sammlerkunst neu gewann, was sie eigentlich von altersher besessen: das Hofnarrenprivilegium spät-mittelalterlicher Kultur.27

Warburg stellt dem Genremotiv des Bauern, in der nordalpinen Kunst – gerade im frü-hen 16. Jahrhundert – auch mit der Narrenfigur verwandt, somit den südalpinen Satyr gegenüber, der jedoch auch nur wenige Jahrzehnte im Laufe des 16. Jahrhunderts das zepter in Händen hielt und hiernach an Attraktivität stark eingebüßt habe.28 Die Bau-ern Bruegels hätten dann – so Warburg – hiernach das Erbe jener spätmittelalterlichen Kultur angetreten, die in den Teppichzyklen mit den holzhackenden Bauern bereits in der Mitte des 15. Jahrhunderts sichtbar war. für Warburg waren die holzhacken-den Bauern keine Rätselbilder, deren Sinn es zu entschlüsseln galt, sondern ein Thema des Alltags, das durch seine Abkehr vom Großteil des spätmittelalterlichen Kunstguts eine besondere Aufgabenstellung bieten konnte. Die Beschäftigung Warburgs mit der Genremalerei und dem entsprechenden Kunsthandwerk mit (vermeintlich) alltäglichen Szenen ist nicht nur auf den Bauernaufsatz beschränkt und ist, etwa bezüglich seines Mnemosyne-Atlasses, noch nicht erschöpfend aufgearbeitet worden.29 Im Mnemosyne-Atlas, dem letzten großen Projekt vor seinem Tod im Jahr 1929, wurden auf über sech-zig großen Tafeln zweitausend Bilder der gesamten Kulturgeschichte präsentiert – nach thematischen Reihungen und variablen Konstellationen geordnet. Das Werk ist nur fotografisch erhalten geblieben. Die Holzhackerbauern des Musée des Arts Décoratifs

24 schnaase: Briefe; vgl. hierzu: KarGe: Kunstblatt, S. 44–56.25 schnaase: Richtung, Nr. 83–85, S. 325–336; sitt: Genremotive, S. 26f.26 henseL: Kunstgeschichte I, S. 7–18; henseL: Kunstgeschichte II; weiGeL: Bildwissenschaft, S. 112–

127.27 warBurG: Schriften II, S. 171.28 Vgl. Münch: Weltverkehrung, S. 64–78.29 DiDi-huBerMan: House; Kat. ausst.: Bildersammlung; warBurG: Mnemosyne-Einleitung; Kany:

Mnemosyne; weiGeL: Kunst; warBurG: Schriften III; Kat. ausst.: Mnemosyne-Bilderatlas.

56 Birgit ulrike Münch

finden sich als Abbildung auf Tafel 34 wieder, welche verschiedene Bilder von falken-, Eber- oder Wildschweinjagden aus Stundenbüchern oder als Teppichfragment, etwa aus der Devonshore-Serie des Victoria and Albert Museums, aber auch Kartons für Tapisserien zum Trojanischen Krieg30 enthielt.31 Durch die zusammenschau der Tafel gelang Warburg die Nobilitierung des bûcherons-Teppichs und gleichzeitig der Beweis, dass der Kunstmarkt sich nicht im geringsten an den grobschlächtigen Bauern störte, wenn auf anderen Teppichen Tierjagden oder eine adlige Jagdgesellschaft visualisiert wurden. So schreibt er in seinem Holzhacker-Aufsatz auch:

Die wiederholten Bestellungen des guten Herzogs Philipp dagegen lassen vermuten, daß er und seine Hofgesellschaft, deren unbändiges Temperament lastender Prunk und höfisches zeremoniell nur äußerlich zivilisierte, an dem grotesken Treiben ihrer Holzbauern ihr bon plaisir fanden.32

Doch auch in anderen Tafeln des Mnemosyne-Atlasses kommen Genremotive vor. Tafel 32 etwa zeigt unterschiedliche, teilweise subversive Variationen des Themas ‚Tanz‘ und beinhaltet 26 Kunstwerke, von denen einige Druckgraphiken – etwa Hans

30 Nach Entwürfen von Pasquier Grenier: Kartons für die Teppichserie zum Trojanischen Krieg, Tournai, um 1475–90, Paris, Musée du Louvre.

31 Kat. ausst.: Mnemosyne-Bilderatlas, Tafel 34.32 warBurG: Schriften II, S. 170.

Abb. 3: Daniel Hopfer, Moriskentanz (Wurstverkäuferin und fastnachtstänzer), 1525–30, Radierung, 214 x 337 mm.

57Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung

Leinbergers ‚frau Welt‘ oder verschiedene Darstellungen des Hosenkampfs, vom Bandrollenmeister von 1464 oder aus der Graphischen Sammlung München – Gen-rethemen zeigen.33 Daniel Hopfers ‚Moriskentanz‘ mit prominenter Wurstverkäuferin in der Bildmitte (Abb. 3) gehört ebenso zu dieser Tafel wie ein Emailbecher aus der Cloisters Collection, welcher die Affen präsentiert, die den Krämer berauben, also ei-nen beliebten niederländischen Schwank.34 Warburg schrieb hierzu, der Becher sei ein hervorragendes Beispiel dafür, wie „diese Vorläufer und Ahnen Breughelschen Hu-mors ihren Weg selbst bis in die Medicaeische Schatzkammer zu finden wussten.“35 Eine ältere Variation der Komposition der von Hopfer gezeigten ‚Verspottung der fastenzeit‘ findet sich interessanterweise im Mnemosyne-Atlas noch an anderer Stel-le, nämlich auf Tafel 38. Diese behandelt verschiedene Aspekte wie höfisches Leben, Liebessymbolik und Antikenrezeption, primär im Œuvre und in Vorbereitung des kulturellen Archivs Sandro Botticellis.36 Der vom Monogrammisten SE ausgeführte florentiner Stich (Abb. 4) wird um 1475–90 datiert und befindet sich in den uffizien. Die Parallele zu Hopfer wird nicht erwähnt; Warburg beschreibt diesen Kunstbesitz der Medici als „fälschlich als Squarcione bezeichneter Stich, ein unikum der uffizien,

33 Kat. ausst.: Mnemosyne-Bilderatlas, Tafel 32: Meister der Bandrollen, Hosenkampf, Kupferstich, 1464, Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz; Anonym, Der Hosenkampf, Kupferstich, München, Graphische Sammlung; Hans Leinberger, Tanz um die frau Welt, Holzschnitt, 1. Drittel 16. Jahrhundert, Wien, Albertina. umfassend hierzu die Analyse Warnkes: warnKe: Leidschatz.

34 Daniel Hopfer, Moriskentanz, Kupferstich, 1. Drittel 16. Jahrhundert; sog. ‚Affenpokal‘, Affen berau-ben einen Kaufmann, 2. Viertel 15. Jahrhundert, New York, Cloisters Collection.

35 warBurG: Schriften I, S. 181; warnKe: Leidschatz, S. 157–163.36 Kat. ausst.: Mnemosyne-Bilderatlas, S. XVIII.

Abb. 4: Monogrammist SE, Wurstverkäuferin und Tänzer in der fastenzeit (‚Quaresima‘), um 1475–90, Kupferstich. florenz, Galleria degli uffizi.

58 Birgit ulrike Münch

mit ganz unitalienischen Gestalten“ und führt ihn als ein weiteres zentrales Werk der flandrisch-florentinischen Beziehungen an. Burckardt habe, so Warburg, bereits darauf hingewiesen, dass in einem Raum des Palazzo Riccardi bacchantische figuren um eine Quaeresima herum gruppiert beschrieben würden, was sicher die Ikonographie der fastenzeit-Verspottung zeige.37 Warburgs Aufsatz ‚Austausch künstlerischer Kultur zwischen Norden und Süden‘, aus welchem das letzte zitat stammt, erschien 1905, somit im selben Jahr, in welchem sein Interesse für die Holzhacker-Bauern geweckt wurde. Mit dem so oft zitierten Begriff des „Grenzwächtertums“38 bedachte Warburg diejenigen fachvertreter seiner zeitgenössischen Kunstgeschichtsschreibung, welche es verhinderten, in die „niedrigeren Region[en] der angewandten nordischen Kunst“39 vorzudringen. Ließen sich die Kunsthistoriker jedoch hierauf ein, so verursachte eine Einreihung „unserer burgundischen Genrekunst in die allgemeine stilgeschichtliche Entwicklung keine historischen Schwierigkeiten mehr“, denn

Szenen aus dem Leben des gemeinen Mannes lassen sich schon seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts aus den wenigen uns erhaltenen Teppichinventaren häufig genug nachweisen, um sie als typischen Bestandteil im Bilderzyklus höfischer Teppichkunst zu erkennen.40

Die von Warburg wiederholt postulierte Aufhebung der Trennung zwischen hoher und niederer Kunst wird, gerade am Beispiel des Bauern, noch bis in die neuere for-schung hinein vergleichsweise wenig rezipiert. Auch Raupps ansonsten sehr umfas-sendes, 1986 erschienenes und noch immer wegweisendes Buch ‚Bauernsatiren. Ent-stehung und Entwicklung des bäuerlichen Genres‘41, thematisiert den entsprechenden Aufsatz Warburgs nicht. Raupp spricht sich bereits in der Einleitung explizit gegen die „gegenwärtig favorisierte forschungsrichtung, die von der Schule Aby Warburgs begründete Ikonologie“ aus und zitiert hier folglich Panofskys ‚Iconography and Ico-nology‘ sowie Karl Mannheim.42 Vielmehr, so Raupp, sei der „Dokumentcharakter der Bauerndarstellungen nie ausschließlich auf den Weltanschauungsgehalt beschränkt“43 geblieben. Raupp plädiert somit für eine stärkere Ausdifferenzierung der einzelnen Typen innerhalb des Sujets ‚Bauer‘. Dabei verweist er auf die forschungen der Li-teraturwissenschaft und ihrer konsequenten Einteilung unterschiedlicher literarischer Bauerntypen in Gattungs- und Traditionszusammenhänge wie Predigt, Schwank oder fastnachtspiel.44 Dieses Dilemma, nämlich jenes der Markierung des forschungsfeldes, scheint ein Grundkonstituens der Beschäftigung gerade mit der frühen Genremalerei zu sein, in deren Visualisierungen es, wie bekannt, zahlreiche facetten gerade der Bau-erndarstellungen gibt. Wie kann also eine Gattung, die es per definitionem frühestens in Ansätzen im 17. Jahrhundert, unter bestimmten Kriterien sogar erst im 18. Jahr-

37 Kat. ausst.: Mnemosyne-Bilderatlas, Beschreibung Tafel 38, Abb. 24 und zitiert nach warBurG: Schriften I, S. 211.

38 warBurG: Schriften II, S. 170.39 warBurG: Schriften II, S. 170.40 warBurG: Schriften II, S. 170.41 rauPP: Bauernsatiren.42 MannheiM: Beiträge; PanoFsKy: Problem; PanoFsKy: Iconography.43 rauPP: Bauernsatiren, S. 6.44 rauPP: Bauernsatiren, hier primär S. 7 sowie S. 117–125.

59Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung

hundert gibt, bereits für das 16. Jahrhundert eingeordnet werden? Auf der einen Seite steht Raupps berechtigtes Plädoyer für eine genaue Differenzierung der abgebildeten Bauerntypen, auf der anderen Seite steht Warburgs nicht gänzlich von der Hand zu weisender Ansatz, Bilder analoger Sujets zunächst unvoreingenommen miteinander in Relation zu bringen. Denn, so ist zu fragen, funktionieren literarische Bauernschilde-rungen tatsächlich analog zu bildkünstlerischen Bauerndarstellungen oder wird damit die ästhetische wie intentionale Vielschichtigkeit des Bildes negiert – kurz, der Mehr-wert in der Aussage des Bildes von vornherein eingeschränkt? Nach der frage der grundsätzlichen ersten Kategorisierung der Bilder ist der drei Jahre vor den Bauern-satiren in der ‚zeitschrift für Kunstgeschichte‘ erschienene Aufsatz ‚Ansätze zu einer Theorie der Genremalerei in den Niederlanden im 17. Jahrhundert‘ Raupps insofern wegweisend, als dass er hier für eine Aufgabe der beiden gegensätzlichen Pole der emb-lematischen Deutung einerseits, so etwa Eddy de Jonghs Interpretation der Cats’schen ‚zinne-en minnebeelden‘, und andererseits der überproportionalen Betonung der rein ästhetischen Qualitäten des Genrebildes, etwa Lyckle De Vries Arbeiten zu Jan Steen oder Pieter Suttons forschungen zu Pieter de Hooch, eintritt:45

Nun scheint es gegenwärtig in der Tat nötig, einmal deutlich zu sagen, dass die Gen-remalerei des 17. Jahrhunderts mehr beinhaltet als die bloße malerische umsetzung emblematischer Weisheiten. Den Kritikern der emblematischen Deutung kann aller-dings der Vorwurf nicht erspart werden, dass sie sich zu wenig bemüht haben, den zeitgenössischen Weisen des Verständnisses von Genremalerei gerecht zu werden.46

II. Sinnebenen der Genremalerei avant la lettre

für das hier aufzuwerfende Problem der Genremalerei avant la lettre stellt sich so-mit die zweite frage, welche der von Raupp für das 17. Jahrhundert konstatierten, in ein und demselben Genrebild vorhandenen Sinnschichten sich bereits im 16. oder 15. Jahrhundert, also in den frühesten Beispielen dieser Gattung, finden lassen – ob also tatsächlich eine so oft vorgenommene strikte Trennung zwischen der frühen Genrema-lerei und jener des ‚Goldenen zeitalters‘ berechtigt ist und weiterhin vorgenommen werden kann?47

Hier soll diese frage anhand eines zentralen Beispiels gestellt werden, wenngleich dies kein weiteres frühes Beispiel der Tapisserie, sondern der Druckgraphik ist: das Milchmädchen Lucas van Leydens von 1510.48 Der 117 x 158 mm messende Kupferstich wird in zahlreichen forschungsarbeiten als das erste Genrebild der niederländischen Kunst überhaupt bezeichnet (Abb. 5).49 In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts

45 rauPP: Ansätze, S. 401–405.46 rauPP: Ansätze, S. 401f.47 Vgl. zur Retrospektive des Erkennens und Definierens neuer Gemäldegattungen das einleitende Kapi-

tel von siLver: Peasant, S. 1–15, besonders S. 8f.48 Lucas van Leyden, Milchmagd, Kupferstich, 117 x 158 mm (ohne Rand), 1510, Beischrift: unten Mitte

Monogramm und Datierung „L 1510“; Bartsch: Peintre, Nr. 158, S. 422f.; hoLLstein: Etchings I, Nr. 158, S. 146; rauPP: Bauernsatiren, S. 202–204.

49 Kat. ausst.: Prints, S. 88, Kat. Nr. 26; wuyts: Melkmeid; vos: Van Leyden, S. 103: „[…] en de voor-stelling is een van de allervroegste gedateerde vorstellingen zut het leven van alledag.“ Raupp verweist

60 Birgit ulrike Münch

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61Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung

geschieht dies mit der Begründung, dass es aus dem Grund ein rein genrehaftes Thema sei, da es „nicht lehrhaft, nicht humoristisch, sondern mit schwerfälliger Nüchternheit behandelt ist“, so Max. J. friedländer in seiner Arbeit zu Lucas van Leydens graphi-schem Werk.50 Diese auch bei Warburg angesprochene Definition des Genrebildes als Lebensspiegelung zieht sich durch die gesamte Kunstliteratur der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts zum Thema, wobei sich teilweise widersprüchliche Definitionen kon-statieren lassen. So sieht etwa Ludwig Baldass im Gegensatz zu friedländer in seinem ‚Sittenbild und Stilleben im Rahmen des niederländischen Romanismus bei Quentin Massys und Lucas van Leyden‘ aus dem Jahr 1923 keine „reinen“ Genrebilder, sondern satirisch-didaktische Genrebilder, die in der Nachfolge Hieronymus Boschs stünden.51 Den Begriff des Sittenbildes hatte zunächst friedrich Theodor Vischer in seiner äs-thetik 1854 folgendermaßen umschrieben: „Ein wichtiger Inhalt des Sittenbildes ist das Allgemeine, das gewöhnliche Walten und Treiben. Das Allgemeine […] ist gleich-bedeutend mit dem Täglichen, Continuirlichen, Gewöhnlichen.“52 Auch bei Lothar Brieger ist ein Widerspruch zu konstatieren, da er einerseits eben auch Bruegels Mora-lien als Genrebilder bezeichnet, andererseits nur das allgemein Menschliche zu erfassen sucht.53 Trotz der teilweise widersprüchlichen Definitionen des Begriffs ‚Genrebild‘ stellte van Leydens Milchmagd, wie bereits erwähnt, für viele den Beginn der Genre-malerei überhaupt dar, was das Blatt von anderen Druckgraphiken ähnlicher Thematik abhob. Dies mag mitunter auch mit der positiven Beurteilung des Blattes verbunden sein, die Karel van Mander in seinem berühmten ‚Schilder-Boeck‘ festgeschrieben hatte und die damit zum Kanon generierte. In der Ausgabe von 1604 findet sich ab fol. 211r folgender Abschnitt:

Seer aerdich en suyver ghesneden [prent van, Anm.d.Verf.] eenen Boer en Boerinne met dry Koeyen: de Boerin opghestaen wesende van melcken/bewijst de strammi-cheyt oft vermoeytheit van het sitten.54

Des Weiteren betont van Mander, das Milchmädchen sei een uytnemende stucxken/dat seehr ghesocht wort.55 Es handele sich also um ein ausgezeichnetes Stück, das bei den Käufern sehr gesucht oder gefragt sei.56 Joachim von Sandrart lehnt sich eng an van Manders Schilderung an, kürzt sie zwar, betont aber andererseits auch die gelungen in Szene gesetzte Müdigkeit der Bäuerin, die „vom Melcken aufstehet und die Müdig-keit über dem gebukten Sitzen entdecket“.57 Insgesamt erwähnt van Mander aus dem

neben Lucas van Leyden noch auf einen weiteren sehr frühen niederländischen Kupferstich mit Bau-ernthematik des Monogrammisten fVB. Dieser entstand nach 1475 und zeigt einen Bauernstreit beim Kegelspiel, siehe rauPP: Bauernsatiren, S. 46, S. 203, Abb. 37.

50 FrieDLänDer: Van Leyden, S. 14–17.51 von BaLDass: Sittenbild, S. 15f.52 vischer: ästhetik, Bd. IV: Kunstlehre, Bildnerkunst, Malerei, S. 374–379, hier S. 377.53 BrieGer: Genrebild, hier primär S. 11–28.54 van ManDer: Schilder-Boeck, fol. 211r–214r.55 van ManDer: Schilder-Boeck, fol. 214r.56 „[…] das sehr hübsche und feine Blatt mit dem Bauern, einer Bäuerin und den drei Kühen. Die Bäu-

erin, die sich vom Melken erhoben hat, zeigt deutlich die Steifheit oder Müdigkeit, die ihr das Sitzen verursacht hat. Es ist ein ausgezeichnetes Stück, das sehr gesucht ist“, siehe die deutsche Ausgabe des Schilder-Boecks: van ManDer: Leben, S. 72.

57 von sanDrart: Academie, S. 239.

62 Birgit ulrike Münch

Abb. 6: Lucas van Leyden, Nackte frau einem Hund die flöhe absuchend, um 1500, Kupferstich, 102 x 73 mm.

frühwerk van Leydens noch folgende weitere Druckgraphiken: Als Vierzehnjähriger, also 1508, habe er das Blatt, das Mohammed und den von ihm im Rausch ermordeten Mönch zeigt, gestochen.58 für das Jahr 1509 seien neun runde Passionsdarstellungen für Glasmaler, eine Versuchung des heiligen Antonius sowie eine Bekehrung Pauli belegt.59 Letztere habe das Thema Blindheit hervorragend zur Darstellung gebracht, ein umstand, den bereits Vasari erwähnt habe. In zeitlicher Nähe zur Milchmagd sei-en ferner 1510 der Ecce homo60 sowie die kleine nackte frau, die dasitzt und einem Hündchen die flöhe absucht61, entstanden (Abb. 6). Die Blätter der Milchmagd und der den Hund flohenden Nackten62 sind somit die einzigen Genremotive, die für van Mander im frühwerk erwähnenswert sind. Van Mander möchte explizit betonen, wie gelungen er beide Blätter findet, wie der folgende Abschnitt in seiner Vita zu Lucas van

58 van ManDer: Leben, S. 70.59 van ManDer: Leben, S. 71.60 van ManDer: Leben, S. 72.61 van ManDer: Leben, S. 73.62 Lucas van Leyden, Nackte frau einem Hund die flöhe absuchend, Kupferstich, 102 x 73 mm, Bei-

schrift unten rechts: L 1510; Bartsch: Peintre, Nr. 154, S. 420.

63Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung

Leyden beweist: „Diese Stiche habe ich hintereinander angeführt, um zu beweisen und die wunderbare Tatsache dem Gedächtnis einzuprägen, was für vollkommene früchte dieser junge Schößling getragen hat.“63 In diesem urteil wird somit keine unterschei-dung zwischen religiöser Historie und Genre vorgenommen. Bei einer Analyse des gesamten noch existierenden druckgraphischen Werks Lucas van Leydens findet sich die folgende Verteilung auf die einzelnen Motivgruppen:

85 Biblische Historien 39 Heilige 19 Genrebilder 11 ornamentstiche 6 Mythologische Szenen 5 Moralisierende Allegorien 2 Porträts

Nach den biblischen Historien, von denen es 85 Blätter gibt, und den illustrierten Ha-giographien und Heiligenbildern, die mit 39 Stück vorliegen, bildet die Gruppe der Genrebilder mit 19 Werken also die drittgrößte Gruppe, während mythologische Sze-nen und Allegorien zusammen nur elf Graphiken umfassen. Die Beschreibung bei Lucas van Leyden ist mit Sicherheit, wie angedeutet, dafür verantwortlich, dass die Milchmagd zum Begriff des Genrebildes per se generierte, den spätere berühmte Kunst-bibliographien festschrieben, etwa Roger de Piles ‚Abregé de la Vie des peintres‘ oder das für die Genremalerei vielleicht aussagekräftigste Werk, Gerard de Lairesses ‚Het Groot Schilderboeck‘, das 1707 in Amsterdam erschienen ist.64 De Piles erwähnt Lucas van Leyden, jedoch fast ausschließlich seine persönliche Beziehung zu Dürer und nicht sein Œuvre65, während Gerard de Lairesse das Werk überhaupt nicht benennt. Wie unter anderem Barbara Gaehtgens ausführt, erkannte de Lairesse als einer der ersten die Legitimität der Genremalerei für die republikanische holländische Gesellschaft.66 Andererseits sprach er sich explizit für eine Nobilitierung bestimmter niederer Szenen und eine Auswahl moraldidaktischer Themen aus. Die häufig anzutreffenden zeitge-nössischen ‚hässlichen‘ Szenen werden von ihm demnach folgendermaßen kritisiert:

Denn man sieht kaum mehr einen schönen Saal, oder ein herrliches Gemach, wie prachtvoll sie auch sein mögen, die nicht mit Bettlern, Bordellen, Trinkgelagen, Ta-bakrauchern, Spielleuten, beschmutzten Kindern auf dem Kackstuhl, und was noch mehr dergleichen hässlicheres und schlimmeres sein mag, ausgestattet sind.67

zwar räumt er ein, dass die Malkunst „eine Nachahmung des Lebens sei, die einen Menschen entweder anlocken, oder ihm einen Ekel machen könne“, und demnach

63 van ManDer: Leben, S. 73.64 De Lairesse: Schilderboek.65 De PiLes: Abregé, S. 345–347, hier S. 346: […] on pourroit dire de lui ce qu’on a dit d’Albert Dure en

pareille occasion, que ses ouvrages auroient été admires de tous les siécles [sic!].66 GaehtGens: Genremalerei, S. 206.67 […] want men beschouwt naauwelyks een schooner Zaal of een heerlyk Vertrek, hoe kostelyk die ook

mogen weezen, of zy zyn nu met Bedelaars, Bordeelen, Kroegen, Tabakrookers, Speelmans, besmeurde Kinders in de kakstoel, en war noch vuilder en erger’s vorrzien. De Lairesse: Schilderboek, Buch III, Kap. I, S.171.

64 Birgit ulrike Münch

zwangsläufig manche Dinge mit Abscheu betrachtet werden müssten. Teilweise seien die Bilder aber viel hässlicher, als es die Natur hervorbrächte. Genannt werden in die-sem zusammenhang etwa die unförmigen Gesichter – hier als Tronje bezeichnet – der Bambocchianti, oder von ostade, Brouwer und Molenaer, somit ausnahmslos Werke von Malern des 17. Jahrhunderts.68

III. Bewusst gesetzte Leerstellen bei der ‚Melkmeid‘?

Neben der oben skizzierten und sicherlich einflussreichen Würdigung der Milchmagd Lucas van Leydens durch van Mander hat das Blatt – im Gegensatz zu vielen ande-ren Genreszenen des Künstlers – den Betrachter im Laufe der Jahrhunderte durch be-stimmte Details zu faszinieren verstanden. Magd und Knecht bzw. Bauer und Bäuerin sind an den linken bzw. rechten Bildrand gedrängt, während eine der drei Kühe einen Großteil des Bildes einnimmt und sich in voller Länge zeigt. Dieser umstand macht das Blatt beinahe zu einem Vorläufer der erst rund einhundert Jahre später anzuset-zenden autonomen Tierbildnisse eines Paulus Potter, Aelbert Cuyp oder Nicolaes Berchem.69 Die Szene ist hinten von einem einfach aus Astgabeln und längeren äs-ten gebauten Gatter umfangen, während sich hinter der Magd mehrere blättertragende Bäume erheben sowie ein dramatisch wirkender Baumtorso, wobei eine weitere Kuh, die sich zwischen Magd und Baum befindet, nach rechts aus dem Bild herausragt. Ein einzelner, kahler Baum hinterfängt den Knecht. Die dritte Kuh oder ein Stier blickt den Betrachter direkt an, wohingegen Magd und Knecht anscheinend in keine bewusste Kommunikation miteinander getreten sind: Während die Magd den schweren Milch-eimer in der Rechten und einen leichten Strohhut in ihrer Linken trägt, und zwar mit breiten fleischigen füßen Halt auf dem Boden findet, jedoch den Kopf schräg hält und nach links unten blickt, sind die Augen des Knechts auf sie oder auf die vor ihm stehen-de Kuh gerichtet. Mit der linken Hand stützt er sich auf einen Baumstumpf auf. Hinter dem Knecht wird ein Haus oder Stall mit angedeuteter offener Tür sichtbar.

Einen wichtigen und immer wieder bis in die aktuelle forschung ohne Ergänzung übernommenen Beitrag zur ‚Melkmeid‘ legte Leo Wuyts 1975 vor.70 Er verweist auf verschiedene Stellen versteckter Bildsymbolik aus dem erotischen Bereich, wie etwa den phallischen Stab des Knechts oder den als uterär zu bezeichnenden Milch-Eimer der Magd.71 Auch die Kleidung der Magd mit ihrem tief ausgeschnittenen, geschnür-ten Mieder sah er als erotisch konnotiert an und verwies auf einen Reimpaarvers des 17. Jahrhunderts, in dem sich eine erotische Geschichte zwischen Bauer und melkender Bäuerin spann. Das Gedicht endet mit dem Hinweis, die Bäuerin (boerin) habe lange die Kuh mit süßen Worten gelockt:

68 Ja men ziet haar het zelve noch veel leelyker nabootsen, dan de natuur dat voortbrengt: want hoe wan-schikkelyker tronien Bamboots, ostade, Brouwer, Molenaer en meer andere vertoond hebben […]: De Lairesse: Schilderboek, Buch III, Kap. I, S. 174.

69 Diese Parallelen ziehen bereits wuyts: Melkmeid, S. 15, und später auch Raupp mit dem Verweis auf Adriaen van de Velde, siehe rauPP: Bauernsatiren, S. 203.

70 wuyts: Melkmeid.71 wuyts: Melkmeid, S. 449: „In de prent van de Melkmeid ligt de overdrachtelijke betekenis echter niet

in het morele, doch wel in het erotisch-amorele vlak.“

65Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung

Die beduydenisse is een Boerin die comende int Velte en Koe met soete worrden lockt, het langh’zeenachtigh dingh zijn de speenen die sy soo langh strijct op ende neer tot dat daer de melck uutcomt, die sy in de Emmer, die sy tusschen haer been heeft staen, doet.72

Die wörtliche Übersetzung des Wortes ‚melken‘ ist lokken, was für reizen oder ne-cken steht und die ohnehin schon offensichtliche Doppeldeutigkeit des Textes noch unterstreicht sowie die Beobachtungen Wuyts stützt. Bei genauerer Betrachtung des Kupferstichs lassen sich jedoch noch weitaus mehr Beobachtungen festhalten, die ei-nen deutlichen Schritt weitergehen als das bloße Konstatieren einer allgemein erotisch aufgeladenen Szene. Nicht nur der Stab des Knechts, sondern auch zahlreiche weitere Details, die um den Bauern herum gruppiert sind, wie Hörner und Baumstumpf, sind als phallische Symbole zu deuten, während sich auf der Seite der Magd primär runde formen finden. Eine Durchsicht gängiger Motive auf Kalenderblättern beweist, dass die Kuh in zahlreichen fällen analog zum Tierkreiszeichen Stier auf Darstellungen des Monatsbildes April oder Mai erscheint.73 Es finden sich diverse Beispiele, etwa bei Sebald Behams Holzschnitt zum Monat April (Abb. 7): Während im linken oberen Bildrand, durch eine bauschige Wolkenformation abgetrennt von der Szene, ein Stier erscheint, ist im rechten Bildvordergrund eine Bäuerin mit dem Melken einer Kuh be-schäftigt.74 Nach Sebald Beham hat auch Virgil Solis mit leicht verändertem Bildaufbau,

72 anonyM: Poemata, fol. 5v–6r, vgl. wuyts: Melkmeid, S. 446.73 Hierauf wies bereits rauPP: Bauernsatiren, S. 204 hin. Raupp erwähnt neben van Amstel etwa auch die

Illustrationen im ‚Breviarium Gremani‘ sowie Landschaftsgemälde von Rubens mit männlichen und weiblichen Melkern, die die frühjahrsmonate kennzeichnen sollen. für Hinweise und die Überlassung mehrerer Bildbeispiele aus dem Bereich der Kalenderbilder zu den Monaten April und Mai danke ich Jürgen Müller und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des SfB-Teilprojekts ‚Das subversive Bild‘.

74 Sebald Beham, April, 1529/30, Holzschnitt, 25 x 57 mm, London, British Museum.

Abb. 7: Sebald Beham, April, 1529/30, Holzschnitt, 25 x 57 mm.

66 Birgit ulrike Münch

in größerem format und mit erklärender Inschrift, die Aprilszene gestochen.75 Dies ist gleichzeitig auch der Monat, in dem sich besonders häufig – so ebenfalls auf zahl-reichen Kalenderarstellungen – Beziehungen zwischen den Geschlechtern entwickeln und das Werben sowie das gemeinsame flanieren im zentrum stehen.76 Eine Verbin-dung beider ‚April-Momente‘ findet sich nach Lucas van Leyden etwa auch in Jan van Amstels zeichnung des Monats April wieder (Abb. 8). Hier ist im Bildvordergrund eine sitzende Magd wiedergegeben, die eine Kuh melkt und dabei den neben ihr ste-henden Edelmann anblickt, der um sie wirbt. Das ungleiche Paar ist in einer hügeligen Landschaft mit zahlreichen Tieren, einer Schafherde und einem großräumigen Bau-

75 Virgil Solis (nach Sebald Beham), April, 1530–62, Kupferstich, 41 x 61 mm, London, British Museum. Der Text lautet: PASCVA LAETA BOVES ACCEDITE, MULCTRA IVVENOAE.

76 Erwähnt sei an dieser Stelle lediglich das Kalendarium Charls d’Anglouême, 15. Jhd., Paris Biblio-thèque Nationale, Miniatur des Monats April mit auf einer Gartenbank handhaltendem Liebespaar oder Simon Benings flämischer Kalender, ebenfalls hier das Detail des Monats April, um 1530, Mün-chen, Bayerische Staatsbibliothek mit flanierendem Liebespaar und um ein Mädchen werbender Edel-mann vor einer Stadtansicht, während gegenübergestellt eine ländliche Szene mit Stier und Schafherde erscheint.

Abb. 8: Jan van Amstel, Der Monat April, 1515–44, zeichnung, 394 x 482 mm. London, British Museum.

67Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung

ernhaus wiedergegeben, wo zwei weitere weibliche Personen arbeiten, während über dem edel gekleideten Jüngling in einem Tondo der Stier abgebildet ist, was das Blatt wiederum eindeutig als Kalenderblatt ausweist. Der zeitgenössische Betrachter wird bei Lucas van Leydens Werk daher möglicherweise auch unmittelbar diese Sinnebene erfasst haben.

Des Weiteren wäre zu fragen, warum die ‚Melkmeid‘ van Leydens neben einem Kopftuch einen Strohhut in der Hand hält. Ist dies tatsächlich nur als ein Detail der Alltagskleidung der Magd zu verstehen? Etwa beim Monogrammisten HSD kommen ebenso der Strohhut, der noch mit Blumen und ähren verziert ist, und die weit ge-öffnete Bluse in der Charakterisierung einer liederlichen Bäuerin vor (Abb. 9).77 Beim Monogrammisten trägt die frau einen Korb mit Eiern in ihren Händen. Die eindeu-tig zweideutige Bildunterschrift des Stichs heißt übersetzt: „Man findet täglich solche Gäste, die den Hühnchen nach ihren Eiern greifen.“78

Darüber hinaus ist bislang der gewölbte Körper der Kuh wie auch der der Magd an keiner Stelle interpretiert worden. Könnte es nicht sein, dass beide – Magd und Kuh – in anderen umständen sind, oder dass die Trächtigkeit der Kuh hier bereits auf die folgen des erotischen Spiels, das sich anzubahnen droht, verweist? Nach veterinärme-dizinischer Diagnose sprechen die geringe, im Gegensatz zum Rest des Kuhkörpers fast abgemagerte, Bemuskelung der Hinterhand des Tieres, der Bauchumfang sowie die form des Euters für eine Trächtigkeit im vierten oder fünften Monat.79 Auffällig

77 Monogrammist HSD, zwei zusammengehörige Kupferstiche, Bauer mit Henne und Bäuerin mit Strohhut und Hühnerkorb.

78 Die Bildunterschrift der eierkorbtragenden Bäuerin lautet im original: Noch Vint men Daeghelycx sukken gasten Die De binnekerrs Nae haer Eyeren Tasten.

79 Ich danke Dr. med. vet. Eckhard Peters, Celle, für diese fachlichen Auskünfte.

Abb. 9: Monogrammist HSD, Bäuerin mit Strohhut,

Kupferstich.

68 Birgit ulrike Münch

ist, dass das Blatt zwei große runde Stellen aufweist, denen die Schraffur gänzlich fehlt, eben den Leib der Kuh und den Leib der Magd, und die damit möglicherweise eine bewusst eingesetzte Leerstelle bedeuten (Abb. 10): Diese Leerstelle kulminiert gera-dezu im voluminösen Leib der Kuh in der Mittelachse, über dem sich exakt der Kopf der weiteren Kuh befindet, die den Betrachter anblickt. Eine Schwangerschaft wird umso plausibler, wenn man sich die ganz künstlerisch inszenierte gegenläufige Ver-schlingung der Kuhschwänze erklärt, deren Enden auf die Magd einerseits und auf den prallen Kuhleib andererseits deuten und sich damit direkt aufeinander beziehen. Dass Lucas van Leyden dieses Maß an Subversion zuzutrauen wäre, bestätigen zahlreiche weiteren Werke, etwas das ‚Musizierende Paar‘80, (Abb. 11) auf das in de Mirimondes Arbeiten zur Liebesallegorie der Instrumente bezüglich der erotischen Bedeutung von Laute und Geige hingewiesen worden war.81 Ein älteres Paar hat in einem umzäunten Garten Platz genommen: Vorne links sitzt vor einem Baumstamm mit unbelaubten ästen der Mann und spielt die Laute, nach rechts unten blickend und leicht lächelnd. Die alte frau ist im Mittelgrund des Kupferstichs sitzend wiedergegeben, eine Geige spielend und den Mann unter ihrer mit breiter Krempe versehenen großen Haube an-blickend. Die Geige steht in vielen niederländischen und deutschen Sprichwörtern für die frau und gleichzeitig für das weibliche Genital.82 Auch hält das Paar das jeweilige

80 Lucas van Leyden, Musizierendes Paar, Kupferstich, 117 x 76 mm, 1524, Beischrift oben Mitte Mono-gramm L (spiegelverkehrt) und rechts oben Datierung 1524; vgl. Bartsch: Peintre, Nr. 155, S. 421.

81 De MiroMonDe: Musique I; De MiroMonDe: Musique II, ferner: De MiroMonDe: Musique III, S. 255 und Abb. 5; siehe hierzu auch: wuyts: Melkmeid, S. 451.

82 So findet sich etwa die Redewendung: ‚Er weiss mit der Geige umzugehen, wenn er sie unter dem Arm hat‘ (eiseLein: Sprichwörter, S. 216), während die Wollust der frau ebenso häufig mit folgender Sentenz bezeichnet wird: ‚Ein kleine Geig ist mit Einem fiedelbogen offt nicht zufrieden‘ (LehMann: florilegium, S. 401, Nr. 52; eiseLein: Sprichwörter, S. 216; siMrocK: Sprichwörter, S. 3187), siehe hier-zu mit weiteren Verweisen und Literaturangaben: röhrich: Gebärde, S. 55 sowie: wiLLBerG: Musik, S. 201ff.

Abb. 10a/b: Lucas van Leyden, Milchmädchen, 1510, Kupferstich, 117 x 158 mm, Detail: unterleib der Kuh/unterleib der Magd.

69Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung

Instrument in Richtung des Geschlechtsteils des anderen: Die Laute zeigt direkt auf den Schoß der frau, während ihre aufrecht gehaltene Violine die form der weibli-chen Scham imitiert. Der Alte hat einen seiner hölzernen Überschuhe ausgezogen und reckt seine ebenfalls phallusförmigen großen zehen einander entgegen. Wie auch im ‚Milchmädchen‘ stehen spitze formen (Holztrippen, zehen) den runden weiblichen formen (Schuh der Alten, Geldsack, Geigenschnecke) gegenüber. Ergänzt wird das Blatt noch um ein weiteres sexuell konnotiertes Detail, steckt doch im am Gewand der Alten herabhängenden Geldsack ein Messer. Das beliebig herausgegriffene Beispiel des ‚Musizierenden Paares‘ macht deutlich, dass Lucas van Leyden bestimmte Werke sehr durchdacht komponierte.

Mit dem aus den Kulturwissenschaften übernommenen Begriff der Leerstelle, die ich im ‚Milchmädchen‘ als Stilelement erkenne, wird nach der Definition Natascha Adamowskys und Peter Matusseks die Abstinenz zur Abundanz:

Abb. 11: Lucas van Leyden,

Musizierendes Paar, 1524, Kupferstich, 117 x 76 mm.

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Dasjenige, was ausgelassen wurde, wird in der kulturwissenschaftlichen Darstellung nicht nur als ein bislang Vergessenes und Verschwiegenes anerkannt, sondern zugleich als ein Potential des Entwerfens erfahren.83

Bereits in der vormodernen Literatur ist die bewusst gesetzte Leerstelle ein häufig wie-derkehrender Topos, zu denken ist hier etwa an eines der bekanntesten Beispiele: Wal-thers von der Vogelweide ‚Lindenlied‘ (La. 39,11).84 Liebe und Begehren werden dar-in benannt, aber die daraus resultierenden folgen werden ausgelassen. An ihrer Stelle wird das im Lied immer wiederkehrende Tandaradei eingefügt, das für die Vereinigung der Liebenden steht und damit als Leerstelle – besonders hervorgehoben – letztlich viel stärker augenfällig wird. Die wenigen Ausführungen zur ‚Melkmeid‘ machen deutlich, dass bereits sehr frühe ‚reine‘ Genrebilder verschiedenste Sinnschichten enthalten kön-nen, von denen hier nur einige wenige skizziert wurden. Der zeitgenössische Betrach-ter des kleinen Blattes, das – wie oben zitiert – van Mander zufolge wohl bereits bei den zeitgenossen auf dem Kunstmarkt begehrt war, eröffnet verschiedene zugangsmög-lichkeiten. Er kann sich einerseits bei der neuen Gattung des Genrebildes an bekannte religiöse Bilder erinnert fühlen, im fall des ‚Milchmädchens‘ wäre dies etwa die – rein formal – oft in ähnlicher Weise illustrierte alttestamentliche Historie von Jakob und der Schafhirtin Rahel, die sich in Gen. 29,1–30 am Brunnen treffen.85 Diese Konnotation ist, wie gesagt, rein formaler Art, betritt doch auch hier ein Liebespaar in der Land-schaft mit Tieren die Bühne. Ebenso konnte der Betrachter jedoch auch Affinitäten zu den bekannten Monatsarbeiten und -bildern der Handschriften und Drucke ent-decken, er konnte die erotischen links erkennen bzw. zur höchsten Stufe der Enträt-selung bis hin zur großen Leerstelle in der Bildmitte der ‚Melkmeid‘ – dem trächtigen Leib der Kuh – vordringen.

IV. Theologische Implikation genrehafter Darstellungsmodi

Abschließend soll die Problematik einer kategorischen Trennung von religiöser und profaner Kunst, wie sie gerade im Hinblick auf die frühe Genremalerei häufig prak-tiziert wird, thematisiert werden.86 Jürgen Müller hat bereits an mehreren Stellen seit 1999 diese Spur verfolgt und die theologischen Implikationen realistischer Darstel-lungsweisen plausibel gemacht, etwa jüngst zu Sebald Behams Spinnrockenstube.87 Wiederholt hat er das 1520 erschienene ‚Adagium Sileni Alcibiadis‘88 des Erasmus von Rotterdam als ein Schlüsselwerk zur Deutung der Genremalerei angeführt.89 Erasmus nimmt die Denkfigur der Verkehrung in den fokus, da er hier ein Gesetz von univer-

83 aDaMowsKy/MatusseK: Auslassungen, S. 13.84 waLther von Der voGeLweiDe: Leich, S. 77f., etwa: Vor dem walde in einem tal, tandaradei, schône

sanc diu nahtegal. […] Kuster mich? Wol tûsentstunt, tandaradei, seht, wie rôt mir ist der munt, hier S. 77.

85 Beispielsweise: Hugo van der Goes, Jacob begegnet Rahel, Handzeichnung, 1460–82, oxford, Christ Church Gallery.

86 Siehe hierzu auch die Einleitung von Müller/Münch in diesem Band.87 MüLLer: Bauer.88 Vgl. erasMus von rotterDaM: opera, Bd. II, S. 770–782.89 MüLLer: Laokoon; MüLLer: Paradox.

71Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung

seller Geltung erkennt, das sich durch seine offenheit für alle Rezipienten auszeichne. Aus dem forschungsbereich der visualisierten Gnomik90 möchte ich an diese frage mit einem anders gelagerten Beispiel anknüpfen, das sich ebenfalls wie das forschungsfeld Sebald Beham zeitlich in die Jahre der ‚großen Wende‘ von 1450 bis zur Reformation einreiht91 und das Traditionslinien von religiös determinierter Kunst zu frühen gen-rehaften Darstellungsmodi aufzeigen kann. Als eine wichtige figur dieser Wendezeit möchte ich den franziskaner Thomas Murner benennen, der zahlreiche Werke aus dem Bereich der sogenannten Narrenliteratur herausgegeben hat und dessen Werk anderer-seits bezüglich der frage des Übergangs vom religiösen Bild zum Genrebild eine ent-scheidende funktion darstellt.92 Seine Werke der Narrenliteratur, wie etwa die ‚Schel-menzunft‘, die ‚Geuchmatt‘ oder der ‚Große Lutherische Narr‘, sind mit alltäglichen Szenen reich bebildert und somit für das kulturelle Archiv der frühen Genremalerei eine wichtige Quelle.93 Doch selbst seine 1514 erschienene ‚Badenfahrt‘94, die keine Satire, sondern eine geistliche Dichtung ist, musste für den Betrachter Assoziationen zu den zeitgenössischen profanen Bäderdarstellungen der Genremalerei hervorrufen, was bemerkenswerterweise bislang von der forschung nicht angesprochen worden ist (Abb. 12). Die Holzschnitte zeigen jeweils Christus als Bader und einen Mönch als Badenden in den einzelnen Stationen eines öffentlichen Bades; der Ablauf der Badeze-remonie wird mit der Sündenreinigung des Menschen parallelisiert. So wird der Mönch etwa auf dem Holzschnitt auf fol. fi r von dem nimbierten Gottessohn geschröpft, während er auf einem Badeschemel sitzt und im Bildhintergrund drei Holztröge zum Trocknen übereinandergestapelt sind (Abb. 13).95 Es erscheint unlogisch, dass Murner, der nach unserem Kenntnisstand sehr genau die Illustrationen zu seinen Publikationen überwachte, der Bezug zur profanen Thematik nicht bewusst gewesen sein soll, zumal sich in seinem Œuvre sogar schriftlich Hinweise darauf finden. So schreibt er in seiner ‚Schelmenzunft‘ zum Bild der Redewendung ‚auß einem hohlen Haffen reden‘ folgen-den Satz über Mönche und Nonnen: Wenn sy schon beten oder lesen, so ist ihr herz im bad gewesen.96 Murners Werk ist somit auch ein wichtiger Beweis dafür, dass die strikte Trennung zwischen geistlicher und profaner Kunst gerade in den frühformen der Gen-remalerei mit ihren in diesem Band an verschiedenen Stellen deutlich werdenden und zu analysierenden Traditionslinien und Brüchen fehlgeht. Einen Kulminationspunkt und, selbstredend, ein extremes Beispiel dieser ‚Verunklarung‘ letzten Endes moderner Trennungslinien stellt das sogenannte Voynich-Manuskript dar.97 Benannt ist die Hand-

90 Das aus Landesmitteln vom Historisch Kulturwissenschaftlichen forschungszentrum Trier finanzier-te Projekt GnoVis (Gnomik Visuell) wird seit 2007 von der Autorin durchgeführt und untersucht Visualisierungen von Redewendungen und Sentenzen primär der frühen Neuzeit. Informationen un-ter: www.gnovis.uni-trier.de; eine Beschreibung des Projekts und seiner Kooperationen findet sich in: Münch: formelhaftigkeit, S. 30–39 sowie in: FiLatKina/Münch/KLeine-enGeL: fische, S. 1–12.

91 PeucKert: Wende.92 zur Vita Murners: worstBrocK: Murner, S. 300–306; DoLLinGer: Vie.93 umfassend zu den einzelnen Werken Murners: Münch: Catus, S. 197f.; ferner: Münch: Kunst-Kinder,

S. 41–59.94 Murner: Badenfart.95 anonyM: ‚Das schrepffen‘, Holzschnitt, aus: Murner: Badenfart, fol. f i r.96 Murner: Schelmenzunft, S. 17.97 Yale university, Beinecke Rare Book and Manuscript Library. Das Manuskript trägt die Signatur MS

408; KenneDy: Voynich-Code; BruMBauGh: Manuscript; ManLy: Bacon.

72 Birgit ulrike Münch

schrift nach ihrem Besitzer Wilfrid Michael Voynich, welcher sie unter nicht näher re-konstruierbaren umständen im Jahr 1912 kaufte. Weder die Schriftart noch die Sprache des Buches konnten bislang ermittelt werden, es handelt sich somit um ein bis heute nicht entziffertes Schriftsystem. Entstanden ist das Werk möglicherweise vor 1438, viel-leicht in oberitalien.98 für unsere fragestellung interessant sind die zahlreichen, vor dem Text ausgeführten Illustrationen des 102 Blatt umfassenden Codex, die sämtlich in Tinte ausgeführt und nachkoloriert sind. Vor allem der sogenannte balneologische Ab-schnitt ist hier einschlägig, da zahlreiche Illustrationen badender frauen enthalten sind, die sich in verschiedenen Wannen oder Gewässern befinden, welche wiederum teilwei-se durch zugänge oder Röhren miteinander verbunden sind (Abb. 14). Je nach ange-

98 Allerdings handelt es sich hier lediglich um das Alter des Pergaments, so dass die Schrift auch etwas jünger sein könnte.

Abb. 12: Anonym, Badender und schreiben-der Mönch, Titelblatt Thomas Murners ‚Ein

andechtig geistliche Badenfart‘ (1514). München, Bayerische Staatsbibliothek.

Abb. 13: Anonym, Die Haut schröpfen, aus Thomas Murners ‚Ein andechtig geistliche Badenfart‘ (1514). München, Bayerische

Staatsbibliothek.

73Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung

legtem Interpretament könnten die Bilder, da der Text ja völlig unzugänglich und somit ungedeutet bleibt, als theologische Illustration – etwa im Sinne der Analyse der Werke Hieronymus Boschs – als Visualisierung der Seelenwanderung gedeutet werden, oder – als profanes Bild – eine ‚herkömmliche‘ Szene badender frauen zeigen. Auf dieser in-terpretativen Leiste zwischen den beiden Extremen ‚Theologie‘ und ‚profanes Wissen‘ sind jedoch darüber hinaus noch unzählige Hybridformen als Interpretament denkbar. für die aufgeworfene frage bedeutet das Beispiel des Voynich-Manuskripts: Sobald uns das zu interpretierende Werk keine clavis intelligentiae mitliefert, oder zumindest die um das Werk herum angesiedelte Tradition fehlt, werden die toten Winkel unserer Interpretationsweise augenfällig. Denn letztlich liefert das Voynich-Manuskript mit seinen balneologischen Illustrationen zahlreiche Szenen, die hervorragend in das Bild-gedächtnis der Gattung Genre passten. Bei einer strikten Trennung wären sie aber nicht habhaft und würden bei der Analyse der Genese der Genremalerei fehlen.

V. Schwingungsweiten

Bei Warburg findet sich bezüglich der Aufhebung der angesprochenen störenden Ka-tegorisierungen ein passendes zitat, wenn er seine forschungseinrichtung und deren ziele beschreibt: Durch

vergleichende Ikonologie [sollen] freie und angewandte, religiöse und weltliche, heid-nische und christliche, druckende und zeichnende, nordische und südliche, antike und moderne, praktische und mimische Kunstprodukte

zusammengesehen werden.99 Bekanntermaßen benutzte Warburg jedoch auch den Be-griff der „Schwingungsweite“100 wiederholt in seinen Schriften, wie primär Warnke101 und nach ihm Korff102 hervorhoben, und dieser Begriff eignet sich ebenso hervorragend dafür, um Warburgs Haltung gegenüber der Genremalerei zu definieren und allgemein um das Ausloten der Möglichkeiten, die auch die frühe Genremalerei bis 1550 bietet, zu umschreiben. unter der Schwingungsweite, dem größten Ausschlag eines Pendels, ver-stand Warburg die beiden Pole von hoher, dem kunsthistorischen Kanon eingeschrie-

99 Vgl. KorFF: Kunst, S. 54, der wiederum Dieter Wuttke zitiert: wuttKe: Kulturwissenschaft, S. 759.100 Genannt sei an dieser Stelle lediglich warBurG: Schriften III, S. 478; ferner benutzte Warburg den Be-

griff beispielsweise, um Lorenzo Medici zu beschreiben: „sein seelischer umfang [überschreitet] durch die Schwingungsweite und vor allem durch die Intensität der Schwingungen das Durchschnittsmaß“, vgl. warBurG: Bildniskunst, S. 21.

101 warnKe: Leidschatz, S. 159f.102 KorFF: Kunst, S. 49.

Abb. 14: Anonym, Badende frauen, aus Voynich Manuskript (15. Jh.), fol. 78r. Yale,

Beinecke Rare Book and Manuscript Library.

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bener, und niederer Kunst, die er zueinander in einer produktiven Spannung sehen wollte, denn das Niedere, zufällige und Kuriose figurierte für ihn die „tiefgreifendste Quelle völkerpsychologischer Einsicht“.103

Diese Schwingungsweite lässt sich – wie gezeigt wurde – an zahlreichen Tafeln des Mnemosyne-Atlasses ablesen, aber nicht nur hier, sondern konkret auch in zwei Werken, die Warburg nicht nur in seiner Bibliothek, sondern sogar in seiner Woh-nung nebeneinander präsentierte: zum einen in einer sogenannten Trine, einem kleinen Tragekästchen, das das beliebte Bildsujet der Weibermachtthematik ‚Der Kampf um die Hose‘ zeigt.104 Das Spanschächtelchen hatte Warburg 1896 in einem norwegischen Spielzeugladen gekauft.105 Den nach Warnkes Definition anderen Pol bildet das Werk des Genremalers Carl Bantzer106, der sich heute in der Marburger universitätssamm-lung befindliche ‚Schwälmer Tanz‘.107 Das Werk des Akademieprofessors Bantzer hatte dieser nach fotografien geschaffen und war auf der Weltausstellung von 1900 ausge-stellt und positiv besprochen worden. In Bezug auf das Thema dieses Bandes sollte man jedoch, wie ich mit meinem zweiten und dritten Beispiel dargelegt habe, neben der Schwingungsweite zwischen vermeintlich hoher und niederer Kunst, erläutert anhand der Pariser Holzfällerteppiche, zwei weitere Schwingungsweiten bedenken: Jene zwi-schen einfachem und vielschichtigem Bildsinn – verdeutlicht anhand der ‚Melkmeid‘ – sowie jene zwischen religiöser und profaner Kunst, wie sie hier knapp anhand des Beispiels der ‚Badenfart‘ Thomas Murners und des Voynich-Manuskripts Erwähnung fand. Erst in diesem Spannungsverhältnis der drei Schwingungsweiten wird die gleich-zeitig traditionsgebundene, traditionsbildende und traditionsüberwindende Dimensi-on der frühen Genremalerei greifbar.

Bildnachweise

Abb. 1: DeMaison: Les Arts, S. 3.Abb. 2: © Paris, Musée des Arts Décoratifs.Abb. 3: Kat. ausst.: Hopfer, S. 194.Abb. 4: Kat. ausst.: Hopfer, S. 412.Abb. 5, 10a/b: © Rijksmuseum, Amsterdam. Abb. 6: © Bildarchiv universität Trier, fach Kunstgeschichte.Abb. 7, 8: London, British Museum (© Trustees of the British Museum).Abb. 9: hoLLstein: Etchings II, S. 61.Abb. 11: strauss: Bartsch, S. 289, Abb. 155.Abb. 12, 13: © München, Bayerische Staatsbibliothek.Abb. 14: © Yale, Beinecke Rare Book and Manuscript Library.

103 warnKe: Leidschatz, S. 157.104 KorFF: Bild, S. 50 mit dem Hinweis auf: warBurG: Schriften I, S. 177–184, hier S. 180 und Abb. 45;

umfassend zur Ikonographie des Hosenkampfs: MetKen: Kampf.105 KorFF: Bild, S. 49; Diers: Erinnerung.106 warnKe: Leidschatz, S. 163.107 Kat. ausst.: Bantzer, Kat. Nr. 11, S. 110–119.

75Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung

Quellen und Literatur

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79Genremalerei im Theoriediskurs und die ‚Schwingungsweiten‘ der Gattung

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Christopher P. Heuer

Der Niemand vor Bruegel*

Die Genrediskussion der Moderne kreist um die frage der Anonymität. 1864 definierte Theodor Vischer aus seinem Wittenberger Lehrerexil das Genre als die Darstellung namenloser Subjekte. Derartige Subjekte stünden im Widerspruch zur Historie als Ver-körperung des Spezifischen:

Der Sitten-Maler zeigt uns irgend ein buhlerisches Weib, der Geschichts-Maler eine Cleopatra, jener einen namenlosen Krieger, Staatsmann, dieser einen Alexander den Gr[ossen] […] einen Perikles, Cromwell, jener einen unbekannten mit dem Ausdruck religiöser Begeisterung, dieser einen Hus, einen Luther […].1

Vischers romantischer Sittenmaler führt dem Betrachter Typen und Charaktere vor, macht sie aber, anders als der Historienmaler, nicht lesbar, nicht zu Individuen. Der Historienmaler bindet sich an die Namen; der Genremaler hingegen, während er sich dem Alltäglichen nähert, macht nach Vischer den Alltag bedeutungsleer.

Der folgende Essay widmet sich dem Platz des Genres in einer Kunstgeschichte der Namen. Den Blick von Pieter Bruegel d.ä. aus rückwärts gerichtet, soll der Text eine Reihe von Gedanken zu Bauerndarstellungen der frühen Neuzeit skizzieren. Beson-ders deutsche und niederländische Künstler in der Mitte des 16. Jahrhunderts hatten sich der Anonymität verschrieben, um alternative Aspekte von historia auszuloten, und zwar einem Verständnis von Historie, das eben nicht dem von Vischer postulierten entsprach, sich nicht einfach in einer Sequenz von Identitäten erschöpfte.

I. Arbeit und Gesichtslosigkeit

Die bekannteste Version von Pieter Bruegels d.ä. ‚Ikarus‘ (Abb. 1, Taf. 5) erscheint als eine Inszenierung visueller Brüche zwischen Nähe und ferne, zwischen Erde und Mythos. Beide Tafeln Bruegels zum Ikarusthema in Brüssel sind mitunter nicht ganz nachvollziehbaren Abschreibungen zum opfer gefallen. So wird die berühmte fassung im Musée des Beaux-Arts gegenwärtig für eine spätere Kopie von unbekannter Hand gehalten.2 Wie viele andere Werke, die mit Bruegels Person (und seinem vielgestaltigen Nachleben) verbunden sind, baut das Werk auf der Spannung zwischen Detail und Ganzem auf. Auf den ersten Blick scheint die Szene Vischers Distinktion zwischen Genre und Historie zu entsprechen.

* Der Aufsatz ist aus einer Vorlesung hervorgegangen und hat die form und den Duktus des Vortrags weitgehend bewahrt. Meinen herzlichsten Dank an Jürgen Müller, Birgit Münch und Abigail Newman. Lorenz Enderlein hat dazu beigetragen, dass die Übersetzung möglich wurde.

1 vischer: ästhetik, IV, S. 663.2 So z.B. aLLart: Chute, S. 104–107; roBert-jones: Bruegel, S. 179–189.

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Es ist frühling.3 Der rot gekleidete Mann hinter dem Pflug, das Gesicht zur Erde gewandt, ist von Rebhühnern und einem Gewirr blühender Büsche umgeben. Ikarus, dessen Beine noch gegen die Gewalt der Wellen ankämpfen, ertrinkt eingehüllt in einen Bausch weißer federn. In der ferne fahren Schiffe in einen Hafen ein. Niemand nimmt vom anderen Notiz und alle sind irgendwohin unterwegs. Der Ikarussturz ist das ein-zige Bruegelgemälde nach einem antiken Stoff. zahllose Autoren haben das Bild als Metapher göttlicher ordnung gelesen, als Ausdruck des Wissens um den eigenen Platz in der Welt, in der Geschichte und im sozialen Kosmos.4 Auffälligstes Generalthema aber ist die Darstellung verschiedener Todesarten. Der nach unten gedrehte, beleuchte-te Kopf an einem unbekannten Körper (Abb. 2, Taf. 5) ganz in der Nähe eines riesigen Dolchs – ein ermordeter ‚Jedermann‘ – ist verbunden mit ovids gerade sterbendem, namentlich identifizierbarem Ikarus. Diese erste Differenz legt einen stillen Code der Gewalt in der menschlichen ordnung über das Bild: Die Geschichte vom ‚Toten Mann, der keine Geschichten mehr erzählt‘; ein antiker Mythos, nicht erzählt aber vermit-telt. Die Moderne hat im Bild die bestrafte Hybris sehen wollen. Die Inszenierung des Spektakels ist hier durch die Indifferenz dem Geschehen gegenüber ersetzt.5

Der Ikarus steht in einer Reihe von Bildern ‚gesichtsloser‘ Landleute des späten Bruegel, wie etwa der Sommer-zeichnung in Hamburg, die Pieter van der Heyden 1570 gestochen hat.6 Es sind unverkennbar Kommentare zur Landarbeit, zur Gebun-denheit des Menschen an Erde und zeit. Edward Snow hat von Bruegels „anonymous collective purpose“ gesprochen.7 Gustav Glück hat auf die Neigung des Malers hinge-wiesen, menschliche figuren mit der Landschaft zu verschmelzen.8 und tatsächlich hat Bruegel sich in beiden Werken, in den zeichnungen und im Ikarus, auf ein altes flämi-sches Thema bezogen, das weit vor seine zeit zurückweist – den Bauern als Kreatur ohne spezifische Kennzeichnungen, als Gattung aus einer anderen zeit: Nemo sic mores vetustos estimat ut rusticus (Niemand bewahrt die alten Sitten wie der Landmann) lau-tet ein altes flämisches Sprichwort in freier Variation von ovid.9

Es gibt in der Tat auch keinen Mangel an Arbeiten zu Bruegels Behandlung von Renaissancetropen wie dem ‚Niemand‘ und seinem dialektischen Vetter, dem ‚Jeder-mann‘, den Bruegel ganz offensichtlich in seiner Londoner feder-Bleistift-zeichnung ‚Elck‘ von 1558 porträtiert hat (Abb. 3). Wie Mitchell Merback und Jürgen Müller überzeugend dargelegt haben, verbirgt sich hinter der antiken figur des ‚Niemand‘ (von nemo, wie sich odysseus Polyphem gegenüber bezeichnete und der gleich zwei-fach – physisch wie sprachlich – geblendete Kyklop seinen unsichtbaren Angreifer da-nach auch selbst nannte) die Allegorie der Selbsterkenntnis oder der Scham des von der Sündenhaftigkeit der Welt umgebenen Stoikers. Schon deshalb war Nemo ein Mann seiner zeit.10

3 oviDius naso: Metamorphosen, VIII, S. 183–235. 4 De vries: fall, snow: Bruegel. 5 Vgl. wiLLiaMs: Pictures, S. 4: „insignificantly, off the coast/there was/a splash quite unnoticed/this

was/Icarus drowning.“ 6 MieLKe: Bruegel, Nr. 67. 7 snow: Bruegel, S. 4. 8 GLücK: Bruegel-Werk, S. 29. 9 oBrán: Beeld, S. 75. Meinen Dank an Stephanie Porras für den Hinweis.10 Merback: Nobody.

83Der Niemand vor Bruegel

1505 und 1517 gab der Ritter – und militante Lutheraner – ulrich von Hutten zwei verschiedene Traktate unter dem Titel ‚Nemo‘ heraus, die während des 16. Jahrhun-derts neu aufgelegt und übersetzt wurden.11 Nemo war hier nicht allein ein satirisches Symbol sondern ein Code für die konzeptionelle Dynamik von Personifikationen selbst. Der Niemand enthält seine Referenzsysteme in sich, verweist ständig auf sich selbst. So bezeichnet er sich stets in der dritten Person und bietet sich in den unter-schiedlichsten und widersprüchlichsten Rollen an: Heiliger und Sünder, Lebender und Toter, „hier und nichts“.12 Nemo oder Niemand gedeiht aus diesem Paradox. Er löscht die Signifikation nie völlig aus, sondern verwischt die Beziehung des Lesers zu stabilen Verweissystemen, indem er fixierte, messbare Rahmendiskurse unterläuft.13

Nach Hutten taucht Niemand wiederholt als protestantische Leitfigur in den deutschsprachigen Gebieten auf; flugblätter wie die von Jörg Schan aus den Jahren 1507 und 1533 zeichnen ihn als Wallfahrer oder Bettler aus.14 unterdessen führten anti-

11 uLrich von hutten: Nemo. 12 uLrich von hutten: Jugend-Dichtungen, S. 152.13 Er verkörpert damit auf eigene Weise selbst zeitgenössische Vorstellungen von einem Paradoxon.

Braun: untersuchungen, S. 12–19, weist darauf hin, dass ein Teil von Nemos „räumlicher“ Ambiguität mit der „fixierung“ auf der Seite aufgehoben wird.

14 FricKe: Niemand, S. 80–86.

Abb. 3: Pieter Bruegel d.ä., Elck, 1558, Bleistift und braune Lavierung auf Papier, 21 x 9,3 cm. London, British Museum.

84 Christopher P. Heuer

kirchliche Texte wie etwa von Johannes ferrarius (1519) Nemo als einen unverblümten Radikalen ein, dessen Name ein humanistisches Wortspiel mit der Projektionsfläche anonymer Autorschaft verband: Nemo dictavit – niemand diktiert (Abb. 4).15 Aus die-sen Tendenzen schließlich erwuchs auch die Assoziation zwischen Niemand und länd-licher Revolte. Sie verfestigte sich während der Bauernerhebungen seit 1524 und wurde schließlich auch von den siegreichen Bürgern übernommen. Eine populäre deutsche Ballade von 1525 sprach anlässlich der Niederlage der rebellischen Bauern vom unter-gang beider, von ‚Niemand‘ wie von ‚Jedermann‘. Namenlosen Charakteren, die kuri-oserweise eher als Kameraden denn als Kontrahenten erschienen.16

1563, als der zürcher Verlag von Christoph froschauer seinen Bauernkalender publizierte (Abb. 5), figurierte der Niemand in einem monumentalen Holzschnitt so selbstverständlich, dass er keiner Beischrift bedurfte.17 Ein Couplet kündigte ihn zum Eintritt an: Der Nieman wird genennet ich/Was unrechts geschicht das zycht man mich. Schlurfend, die Lippen zusammengepresst, watet er durch zerbrochenes Geschirr, eine

15 Auch existierte der ‚Niemand‘ nicht ausschließlich „auf protestantischer Seite“ wie von caLMann: Pic-ture, S. 84, angenommen. Ein katholisches flugblatt von 1528 mit einer Antwort auf Huttens ‚Nemo‘, zeigt Nemo zum Beispiel, fern von allem Revolutionären, als Symbol eines wahrhaft frommen (und nicht existierenden) Christen. Siehe Braun: untersuchungen, S. 30–33.

16 von LiLiencron: Volkslieder, Nr. 381. 17 BauerMeister: Einblattkalender, S. 131f., und allgemeiner zum Gebrauch der Drucke, rosenFeLD:

Bauernkalender, S. 92–96.

Abb. 4: Johannes ferrarius, Encomium Rubii Longipolli apud Lipsim in errores, quos pueriliter commisit adversus Wittenbergenses (Leipzig 1519), Titelblatt. München, Bayerische Staatsbibliothek VD16 E 880.

85Der Niemand vor Bruegel

Spur von untaten hinter sich lassend, für die an seiner statt ein weinendes Kind rechts im Hintergrund gezüchtigt wird. Die figur ist so fest etabliert, dass sie neben einfachen Wetterprognosen (Schnee, Regen, Wind usw.) und astrologischen Symbolen – die eher auf schlichten Einblattdrucken als in humanistischen Buchpublikationen vertreten sind – auftauchen kann. Der Niemand erscheint den Rhythmen von Erde und Sternen un-terworfen. Er steht als gigantische Warnung, als Sündenbock, den man für eine falsche Vorhersage schmähen kann. Aber er mischt sich auch in die irdische, natürliche Welt der Tage, der heimischen Heiligen und wird so zu einer ewigen, naturhaften Erschei-nung im Wechsel der Jahreszeiten, als eine Macht, der Sinn und Identität allein durch die Naturzyklen, den Kalender und die Heiligen gegeben wird, die unabhängig und außerhalb von ihm existieren.

II. Der Niemand als Landmann

Seine Geschichte ist bekannt. Im 16. Jahrhundert wird der Niemand eine sich ständig wandelnde figur, die sich dabei aber immer unverhohlener den bestehenden sozialen Hierarchien widersetzt. Hier nun entsteht die Verbindung zu dem, was wir hier mit den Gegenständen des Genres verbunden haben. Beide, ‚Elck‘ und ‚Nemo‘, tragen jedoch

Abb. 5: Anonym, ‚Der Nieman wird genennet ich…‘, zürich, offizin froschauer, 1563, Schriftdruck und Holzschnitt in schwarz und rot, 42,1 x 26 cm.

Paris, Bibliothèque Nationale, Cabinet des Estampes.

86 Christopher P. Heuer

Namen, die sie, auch wenn sie nur auf eine ironische Personifikation verweisen, mit ei-ner Art von speziellem Narren oder Sündenbock identifizieren. Selbstbezeichnung ist ein Grundbestandteil des Topos vom Niemand. Jörg Schans’ schmallippiger Charakter von ca. 1507 führt sich in dieser form ein: Niemants hais ich.18 Die schreitende figur auf froschauers Blatt tut dies ebenso. Die figuren betreten die Bühne als die dramatis personae, von denen sie abgeleitet sind. In einem späteren Blatt mit tschechischen Ver-sen, das der Nürnberger Maler Georg Pencz publiziert hat und das nach Würtenberger als direkte Quelle für Bruegels ‚Elck‘ gelten könnte, erscheinen weiße felder, die auf das Paradox von Nemos Identität verweisen (Abb. 6).19

Was sollen die sich windenden Banderolen vermitteln?20 ohne pedantisch erschei-nen zu wollen, ist hier doch darauf zu bestehen, dass es etwas anderes bedeutet anonym zu bleiben als eben der Niemand zu sein. Gebräuche und Prozeduren der persönlichen

18 Vgl. caLMann: Picture, S. 65–72. 19 würtenBerGer: Bruegel, S. 80.20 BoLte: flugblätter, S. 126–138.

Abb. 6: George Pencz, Nevim (Nuremberg, 1533), Holzschnitt, 15,5 x 24 cm. Veste Coburg, Kupferstichkabinett.

87Der Niemand vor Bruegel

Namensgebung unterlagen im 16. Jahrhundert einem Wandel, der mit dem Einfluss ei-ner zunehmend komplexeren Buchführung und immer ausgefeilteren Überwachungs-techniken in zusammenhang gebracht worden ist.21 In den meisten Teilen des feudalen Europa existierten unter den Bauern zwei gebräuchliche Systeme der Namensgebung nebeneinander. Männer und frauen trugen einen Ruf- oder Vornamen, der im Wesent-lichen der mündlichen Kommunikation innerhalb einer sozialen Schicht diente, und einen offiziellen Namen, der über die landesherrlichen Magistrate oder die Stadträte in schriftlicher form im zusammenhang mit juristischen Verfahren, Steuererhebungen und Vorgängen der Strafverfolgung fixiert wurde.22

Natürlich hat das 16. Jahrhundert die Namensgebung als identifikatorische Geste nicht erfunden, aber es hat die persönliche Namensgebung im Bereich der familien-namen theoretisch reflektiert und über das urkundenwesen institutionalisiert.23 Der unterschied zu den Generationen vor 1450 bestand vor allem in der Verbreitung und allgemeinen Verbindlichkeit des Namenssystems, das auf diese Weise ein Mittel zur Information, Kontrolle und Lesbarkeit für die rapide expandierenden und zunehmend technisierten Bürokratien zur Verfügung stellte. Der erste Holzschnitt, der einen ge-suchten Verbrecher abbildete, erschien eben in diesen Jahren (Abb. 7). Nach den Bau-

21 GroeBner: Identification, S. 65–94, mit weiteren faszinierenden Beispielen.22 Ein Überblick über spätmittelalterliche Namensgebungsverfahren siehe roLKer: Patenschaft, S. 19–31

und weiter gefasst, Mitterauer: Ahnen, S. 241–367.23 scott: Production, S. 11–14.

Abb. 7: Anonym (Mainz),

Der Kindermörder Hans von Berstatt, 1540, kolorierter Holzschnitt,

31,4 x 24,3 cm. Gotha, Schlossmuseum.

88 Christopher P. Heuer

ernaufständen der 1520er Jahre am Niederrhein wurden offizielle Namensregister er-stellt, vielfach kopiert und von den Autoritäten in vorher ungekanntem Maß genutzt.24 Es gibt eine Reihe früher zeugnisse von zürcher Beamten, die Verbrecherlisten in die Nachbarstädte sandten.25 Aus den Jahren zwischen 1524–26 besitzen wir die Liste des Kemptener Abts, der 173 Namen zu exekutierender Personen zusammenstellte.26 Derartige Listen bezogen ihre Macht aus der scheinbar einfachen Annahme, dass eine Verbindung zwischen Namen und Person bestand, dass zum Namen eine begleitende Person gehörte, die im Verhältnis zu anderen Möglichkeiten zu verifizieren war. Die offiziellen Namen machten verdächtige Menschen ‚lesbar‘ und unterwarfen sie einem allgemeingültigen System von zeichen.

Es ist aufschlussreich, wie sehr sich die komplexen Bauernbilder der zeit vor Brue-gel mit dem System der Namensgebung auseinandersetzten. Hans Sebald Behams zwölf-Monats-zyklus von 1546/47 (B 154–163) etwa führte eine Parade von Bauern-paaren neben Majuskelbezeichnungen wie ‚Matthias februar‘ oder ‚Simon oktober‘ vor (Abb. 8). Sie sind mit der Tradition der Kalenderbilder und Monatsarbeiten ver-bunden und erscheinen als Teil eines Rollenspiels.27 obwohl sie nicht Personifikatio-nen im eigentlichen Sinn sind, stehen die Bauern exemplarisch für je einen Monat. Das

24 scott: Production, S. 4–44.25 GroeBner: Identification, S. 92.26 waas: Bauernkrieg, S. 236–246.27 GrathwohL: Bauernfest, S. 181–186, zitiert die komplette Literatur zur Serie, und verweist (in

Anm. 48) auf Behams Verwendung einer ‚antiken‘ Schrifttype (d.h. keine fraktur), um die Bauernbil-der fest im humanistischen Kontext zu verankern.

Abb. 8: Hans Beham, Die zwölf Monate (Detail), 1546, Radierung, 4,9–5,1 x 7,2–7,3 cm (Platte). London, British Museum.

89Der Niemand vor Bruegel

Ereignis von Behams Serie ist nun aber nicht nur der Tanz, sondern der Vorgang der Namensgebung, bei dem der Text eine vom Bild abweichende Information liefert.

Ein solches Verfahren verweist letztlich auch auf Bilder wie Behams Holzschnitt ‚Kirmes in Mögeldorf‘ (B 86), von sechs Blöcken gedruckt und 1528 und 1534 in zwei Versionen publiziert (Abb. 9). An diesem fest, so erfahren wir aus den im Druck er-schienenen Versen, hatte sich ‚Leindel aus Ganckhofen‘ derartig betrunken, bis er blind war, oder sich ‚Eselmüller aus Potestein‘ mit ‚Gretal Mayer‘ vergnügt. Die Literatur zu diesem Werk ist hier auf den sozialen Kontext konzentriert, der durch Beham ge-spiegelt und travestiert erscheint.28 Während die Namen Möglichkeiten für Wortspiele und Doppelbödigkeiten liefern, stellen sie gleichzeitig eine Deutungsebene bereit, auf der die eher zufälligen Protagonisten in den allgemeinen Lauf der Natur eingebunden erscheinen. Beham klassifiziert eine Bauernfigur, indem er sie an Kategorien wie zeit (einen Monat) oder einen konkreten ort (Gankhofen, Potestein) bindet. Der Vermerk zum Verleger des Drucks auf dem Blatt ‚erklärt‘ die Szene zusätzlich.

In der Graphik ist der Landmann über die Anbindung an konkrete zeichen bildlich legitimiert. Dürer hatte hier eine feste Tradition ins Leben gerufen, als er drei seiner Bauernbilder aus den Jahren um 1510 mit seinem Monogramm versah, eine Gewohn-heit, in der ihm Nachahmer und Kopisten folgten. Es war vor allem das Bauernbild, das nach einem Namen verlangte. ohne derartige Markierungen bleibt die Information frei schwebend, das konkrete, lebendige Individuum ein Niemand.

III. Name versus Benennung

Als erster Namensgeber in der Geschichte erscheint Adam. In Genesis 2,19, im Mo-ment vor der Erschaffung Evas, gab Adam „einem jeglichen Vieh und Vogel unter dem

28 stewart: Bruegel, S. 56, und GiBson: Peasants, S. 292–309.

Abb. 9: Hans Sebald Beham, Kirmes in Mögeldorf, 1528, Holzschnitt, 17 x 202,15 cm. Wien, Albertina.

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Himmel und Tier auf dem felde seinen Namen“. Dieser Passus blieb für Künstler und Exegeten stets Grund zur Irritation. für Luther stand er für nichts weniger als für die Geburt der Sprache. In diesem eigenartigen Moment vor dem Sündenfall hatten die Namen eine materielle Verbindung zum Bezeichneten besessen und beide waren mit Gott vereint. Nach dem Sündenfall hingegen wurden sie zu einer verwirrenden fülle äußerer zeichen.29 für Augustinus hatte dieser Verlust von Klarheit jedoch auch be-deutet, dass sich die Sensibilität des Menschen nach dem Sündenfall vervielfachte und dass er von nun ab mit seiner Arbeit Dinge und zeichen wieder verbinden musste, um das verlorene Wissen einzuholen.30 Vor allem deshalb waren bildliche Darstellungen des Sündenfalls so oft mit der Benennung der Tiere verbunden; die unvollkommenheit der körperlichen Sinne und des menschlichen Geistes blieben nun die einzigen Mittel zur Welt- und Gotteserkenntnis.

Luthers Kommentar zu dieser Passage rekurrierte auf den Verlust; denn kein Be-nennungsakt konnte die tägliche Gotteserkenntnis ersetzen. Im Genesistext, so Luther, hatte Adam alle Tiere wie in direkter göttlicher Inspiration benannt. Im Gegensatz dazu musste alles Wissen nach dem Sündenfall als indirekte Erkenntnis erscheinen. Die Namen, die nun zu vergeben waren, waren nur noch einzelne Bruchstücke in der bewegten Welt unklarer zeichen nach dem Sündenfall.31 Diese Ambivalenz schlug sich letztlich im Schlüsselritual protestantischer Namensgebung nieder: der Taufe, einem der wenigen beibehaltenen Sakramente. In seinem ‚Kleinen Katechismus‘ von 1528 fasst Luther die alttestamentarische Quelle zur Ambiguität der Namensgebung zusam-men, die im Grundsatz dem Beginn des ganzen Bibeltextes als geschriebenem Wort selbst entsprach, und von der das Sakrament der Taufe seine Kraft bezog:

Der alte Adam jnn uns durch tegliche rew und busse/sol erseufft werden und sterben mit allen sunden und boesen luesten/widderumb teglich eraus komen und aufferste-hen/Ein newer mensch, der jnn gerechtigkeit und reinigkeit fuer Gott ewiglich lebe.32

Wir müssten verstehen, so verlangt Luther, dass Wissen beliebig sei und nur existie-re, um überprüft zu werden. Die Neigung zum Alten Testament sollte ein konkretes Ergebnis haben: Nach 1530 erhielten getaufte Kinder in protestantischen Teilen Euro-pas deutlich mehr Namen aus dem Alten Testament und weniger Heiligennamen als zuvor.33 für die mittelalterliche Kirche hatte die Taufe die Erlösung von den Sünden geschenkt und zugleich die unterwerfung unter die klerikale Autorität bedeutet. für die lutherischen Kreise stellte die Taufe zumindest in der Theorie die Aufnahme in die Gemeinschaft dar, eine Geste – und nur eine Geste – in Richtung der verlorenen Welt vor dem Sündenfall, in der Namen kein Ausdruck von Ambivalenz gewesen waren. Im Spätmittelalter hatten Namen dagegen noch keinen Verweis auf eine einzige ‚Identität‘

29 Luther: Werke, Bd. 42, S. 90.30 auGustinus: Religione, 21.41: Temporalium enim specierum multiformitas ab unitate dei hominem

lapsum per carnales sensus diuerberauit et mutabili uarietate multiplicauit eius affectum, S. 212–213.31 jaGer: Voice, S. 301. Siehe auch haMiLton: figures, S. 386–388.32 Luther: Werke, Bd. 30, S. 382f.33 In Genf wollten 1566 einige Beamte Heiligennamen bei Taufen grundsätzlich verbieten, naPhy: Cal-

vin, S. 144–148. Die spätantiken Vorläufer für diesen Wandel detailliert in craMer: Baptism, S. 46–86.

91Der Niemand vor Bruegel

angeboten, sondern waren stets eine Erinnerung daran gewesen, dass alle Namen in einer Welt der Sünde die Trennung zwischen Perfektion und Chaos symbolisierten.

IV. Eine Kunstgeschichte ohne Namen?

Bruegels Bauern besitzen keine Namen. und – in Reaktion darauf – existiert auf kunst-historischer Seite ein tiefes unbehagen gegenüber Bruegels Verweigerung sowie der des Genres generell, ‚gelesen‘ zu werden. Stellvertretend dafür steht etwa Hans Sedl-mayr in seiner Habilitation von 1934:

Die Gesichter bei Bruegel sind entweder ausdruckslos wie die dumpfen, ausdrucksar-men Gesichter der Bauern oder von kaum zu bestimmendem indifferenten Ausdruck wie die der Kinder, die ununterscheidbar und leer erscheinen. Alle Träger des Aus-druckshaften – vor allem der Blick – sind reduziert. Die Gesichter verraten nichts von dem, was hinter ihnen vorgeht, sie sind stumm.34

Sedlmayrs Denken lag die misanthropische Angst des 20. Jahrhunderts vor der kultu-rellen Differenz zu Grunde. Sedlmayr hatte die Idee vom Landmann als Code sozialer Alterität aufgegriffen, die schon Aby Warburg entwickelt und die sich nun zu einem elitären Blick auf die eigene Gegenwart verdunkelt hatte. Selbst in der Wahrnehmung der Stumpfheit von Bruegels Akteuren führt Sedlmayrs widerständiger Text auf einen erstaunlichen Gedanken: Was konnte es bedeuten, wenn das, was als Beschreibung des Alltags gedacht schien, die Entwicklung des Genres eher als ein Akt der Entfremdung und Regression wirkte, denn als Eroberung, Demystifizierung, Aufklärung und Hu-manismus? Brecht schlug etwa zur gleichen zeit nach einem Treffen mit einem anderen Wiener Kunsthistoriker, Gustav Glück, etwas ähnliches wie dieses vor.35 Aby Warburg war davon ausgegangen, dass die spätmittelalterlichen Bauernthemen, oft in luxuriösen Bildmedien, auf die Angst der Mittelklasse vor einem neuen Bild der Arbeit verwiesen. 36

Erscheint in der Analyse des Negativbildes des Landvolks nicht letztlich ein erlö-sender Aspekt? Dieser Punkt stand im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Auseinan-dersetzung um Bruegels Bauernbilder in den frühen 1980er Jahren, als die frage nach den Bildern als Verfechtern oder feinden der Gemeinschaft in unerbittlicher Kontro-verse diskutiert wurde. So tanzt, rennt und kotzt sich Bruegels Landvolk seinen Weg durch einige der abstoßendsten, selbstzerstörerischsten kunsthistorischen Debatten.37 ob als wohlwollende Satire oder negatives Selbstbild, beide Lesarten bleiben hinsicht-lich der Vermittlungsfähigkeit der Bilder, ihrer Kapazität, auf zeitgenössische Texte zu verweisen, kohärent. Auch verstehen beide Seiten der ‚Genredebatte‘ etwa Behams Drucke wegen ihres umfassenden Charakters als ‚realistisch‘, als Repräsentationen, Re-flektionen über scheinbar vorhandene Verhaltensweisen oder Verhältnisse im 16. Jahr-hundert.

34 seDLMayr: Macchia, S. 144.35 Brecht: Verfremdungseffekt, S. 279–281.36 warBurG: Bauern.37 Über den hitzigen Schlagabtausch zwischen Hessel Miedema und Svetlana Alpers im Simiolus wäh-

rend der 1970er Jahre bietet zum Beispiel stewart: Bruegel, S. 7–9 eine neutrale zusammenfassung der Debatte.

92 Christopher P. Heuer

In Bruegels Œuvre hingegen geht es nicht um gelebte orte oder Dinge, sondern um den Abstand zwischen gemalter Welt und sozialen Welten. Alles ruht auf der Balance zwischen Nähe und ferne. Was Bruegel und Beham mit ihren figuren bezwecken, scheint oberflächlich klar zu sein. Was aber zunächst wie reine Information wirkt, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als Hinweis darauf, dass hier das Problem der Vermittlung von Information freigelegt wird. Auf ihrem ewigen Tanz durch die Mo-nate des Jahres, beim Lauf auf ihrem Weg und dem ständigen Neustart lassen Behams Bauern die Windungen der Übermittlung des Themas als das Thema selbst, als den eigentlichen Sinn des Werkes aufscheinen.

für Theodor Vischer war Genre Dunkelheit, Historie hingegen Transzendenz und durch reale, herausragende figuren bestimmt: Cleopatra, Hus, Cromwell. Das Gen-re, wie Vischer insistierte (in einem Dictum, das Burckhardt und Brecht wiederholen sollten), behandelte das unbekannte und blieb in die Dunkelheit des ‚Namenlosen‘ verbannt.38

Doch ist es nicht zuletzt auch das Genre, das uns Kunstgeschichte als Benennungs-verfahren und als Kultivieren von Ambiguität überdenken lässt?39 In der Graphik des 16. Jahrhunderts war es der anonyme Bauer, der, in einem Raum der Attribute oder markierender zeichen, paradoxerweise als ein Spiegelbild fungierte und eben keines-wegs als ein Niemand erscheint – es zeigt sich somit zweierlei: sowohl eine ethno-graphische Spezies als auch ein Register einer einzelnen Künstlerpersönlichkeit wie etwa Glockendon und Dürer. Diese Präsenzen verliehen dem gedruckten Bauernbild seine Autorität. Bruegels Bauern hingegen sind dieser Markierungen beraubt und in das große format der Historie inseriert; nie allein, nie von nahem, sondern stets aus der ferne gesehen. Sprichwörtlich im Sinn des Wortes. Aber Bruegel, so wie er eine huma-nistische Begriffswelt in frage stellte, weigerte sich auch, einen Text zu ‚illustrieren‘, sondern spielte – gesichtslos – mit einem Komplex gemeinsamer und ausgesprochen ‚historischer‘ Erfahrungen. Vielleicht deshalb haben besonders Bruegels Bauern einer Verfestigung lexikalischer Codes, Konventionen und letztlich Namen widerstanden. Seine Bilder halten Traditionen fest, aber sie haben – in der Monumentalisierung der Anonymität – nicht Teil an der symbolischen Ökonomie, die Vischer an der Histori-enmalerei so bewunderte. Namen vervielfältigen sich und sterben – im wahrsten Sinne des Wortes – in den verschiedenen Versionen des Ikarus. Auf militante Art ‚erzählt‘ Bruegel nicht. Das Erzählen heroischer Tode nach ovid oder Vergil setzte sich nach Bruegel, als gleichsam anonymer Vorgang, weit über die Grenzen von Brabant hinaus fort. Niemand vor Bruegel aber hatte Anonymität derart welthaltig gemacht.

Bildnachweise

Abb. 1, 2: foto: Musee des-Beaux Arts. Abb. 3: foto: British Museum.Abb. 4, 5, 6, 7, 8, 9: foto: Christopher Heuer.

38 vischer: ästhetik, S. 661. zur Rolle der Genremalerei in Vischer’s Idee des „Realismus“ siehe DeMetz: Defenses, S. 104–106.

39 Vgl. crow: Chardin, S. 91: „What is it about scenes of contemporary human types in ordinary, every-day settings that defies their having a positive and exclusive descriptive term of their own?“

93Der Niemand vor Bruegel

Quellen und Literatur

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II. Die frühe Genremalerei und ihr ‚theologischer Gehalt‘

Mitchell B. Merback

Pro remedio animae. Works of Mercy as Therapeutic Genre

I. Introduction

Among the motifs associated with Early Modern genre imagery a privileged place must be given to the meeting of rich and poor, the purposeful coming-together of those who have, and those who have not. unlike those of us who traverse the post-industrial city today, clutching pocketbooks and averting eyes to avoid that fraught encounter with the needy, early modern citizens could rely on a script, practical and moral, that was ready at hand: a Christian ethos of mercy and charitable giving, grounded in God’s love, his misericordia. from the fourteenth century onward this ethos was sustained not only by the admonitions of preachers and the growing array of institutions Europeans developed for poor relief in their cities, but also by a corpus of imagery that thematized the moral stakes of the encounter. from experience with this imagery Christian burgh-ers knew it was the sins of pride and avarice, first and foremost, that blocked the flow of goods and services on which the needy depended, keeping the poor at arm’s length. Such a failure occurred at the rich man’s peril, as the parable of Lazarus and Dives (Luke 16:19–31), a biblical theme that was also the subject of moralizing plays steeped in genre-like social realisms, spelled out clearly. Duly admonished about the sin of de-nying the poor, which amounted to denying the suffering Christ himself – “for I was hungry, and you gave me not to eat: I was thirsty, and you gave me not to drink” (Matt 25:35) – burghers planned for a more fruitful interaction, one that could unite rich and poor in a sense of common purpose.1 for this to happen a transaction had to take place – a transaction that would occupy a specific place, as anthropologists following Marcel Mauss would insist, within the compass of a society’s total economic services. This fundamental insight opens a vista onto the complex network of interdependencies and reciprocities that structures every gift economy. It also allows us to comprehend better the many and varied gestures of giving and receiving found in the visual arts, to see them, even, as condensations of a “total social phenomenon” in which “all kinds of institutions are given expression at one and the same time.”2

As poignantly as any image one might cite in this context, Rembrandt’s charming little drypoint of 1648 (fig. 1) reveals at a glance the ideological bottom-line of the

1 The relevant passages are Matthew 25:34–45. All biblical citations in English are from the Douay-Rheims Bible, chaLLoner: Bible. Research assistance during the penultimate stage of this article’s preparation was provided by Jerry Marino.

2 Mauss: Gift, p. 3, first published as Essai sur le don in “Sociologie et Anthropologie” (Presses univer-sitaires de france, 1950).

98 Mitchell B. Merback

fig. 1: Rembrandt van Rijn, Beggars Receiving Alms at the Door of a House, signed and dated 1648, etching and drypoint, 165 x 130 mm. London, The British Museum.

99Works of Mercy as Therapeutic Genre

assymetrical encounter of rich and poor in early modern Europe: a uniting of two groups, as Simon Schama and others have noted, in mutual “acceptance of the social hierarchy”.3 Not only did the facts of material life ensure that opposites would attract on the stage of urban life; so too did the force of a social order in which the categories of economic and political life were constituted in direct relation to their opposite, cre-ating bonds of mutual obligation on which the rich depended no less than the poor. These, like most social bonds, are invisible, but painters and printmakers from the later fifteenth century onward would make them the subject of an emerging genre of Chris-tian ethical art, a genre that translated the fraught encounter of rich and poor into an edifying spectacle that, in and of itself, offered novel opportunities and benefits for the beholders of pictures as well.

To bring these benefits into focus, this essay will reconsider a Bildmotiv invented by the Middle Ages as a crystallization of the vita activa, wherein God’s mercy, his miseri-cordia, was horizontalized into a canon of compassionate care for the laity. I am refer-ring to the “Works of Mercy” (Werke der Barmherzigkeit), in particular those classed as “corporeal” works as opposed to the “spiritual” works, which only rarely became a subject for pictures. Given the massive historical sweep of the theme, which reaches from the twelfth to the eighteenth century, we may count ourselves fortunate to have Ralf van Bühren’s magisterial study of 1998. Van Bühren has mapped the iconography from its earliest deployment in ecclesiastical imagery toward what he sees as a pivotal moment of transformation “around 1500” – in “Early Modern” art – which saw the introduction of novel forms of scenic elaboration, a more complex narrative Bildstruk-tur, and motifs designed to attract and reflect the beholder’s activity before the picture (Betrachterbezug). from the middle of the sixteenth century onward, according to this schema, the history of the image cleaves largely along confessional lines. Meanwhile, outside the realm of ecclesiastical art, enterprising flemish and Dutch artists of the seventeenth century, such as Sebastian Vrancx, or the Antwerp painters of the francken clan, marketed their trademark renditions of the theme to art-lovers, Liebhaber, for private display and enjoyment as gallery pictures (Kabinettbilder).4

However clichéd this developmental schema may seem, it does have the virtue of squaring well with the surviving evidence in paintings and prints, in particular what we can see of the rising popularity, around 1500, of the Works of Mercy as a theme re-sponsive to the new “tasks” (Aufgaben) given all kinds of genre images in the contexts of private lay piety, the public culture of corporate charity, even the self-presentation of aristocrats.5 Van Bühren’s basic argument is that these pictorial innovations mark an entirely new phase of the theme’s history, one prompted by the humanist recep-tion of ancient rhetorical theory and its ramifying effects in contemporary art theory (Kunsttheorie). What in the Middle Ages had been a mere representation of the Chris-tian’s moral duty, as dogmatically defined by theology, broke free from that abstract grounding, according to van Bühren, and entered the “beholder’s concrete world of experience” by virtue of its newfound powers of persuasion, that is, its novel adoption

3 schaMa: Embarassment, p. 571; for this and related imagery by Rembrandt, see esp. BaLDwin: Earth.4 van Bühren: Werke, pp. 20–21; still useful is the fundamental entry by schMitt: Barmherzigkeit.5 van Bühren: Werke, p. 22.

100 Mitchell B. Merback

of rhetorical modes.6 Similar assumptions inform Larry Silver and Henry Luttikhui-zen’s clearsighted examination of mercy iconography in the pivotal opening decades of the sixteenth-century, when parables such as the “unmerciful servant” (based on Matt 18:23–25) and the “unjust steward” (Luke 16:1–13) were added to the repertoire of Netherlandish painters intent on problematizing the dilemmas of a worldly piety.7 Whereas van Bühren had emphasized the break with ecclesiastical art and a subse-quent cleavage along confessional lines, however, Silver and Luttikhuizen trace across the new pictorial formulas a real continuity of “traditional religious values, shared by both Catholics and Protestants,” in spite of the rapid institutional changes poor-relief underwent in the municipalities of the Holy Roman Empire and in the Low Countries subsequent to the reform ordinances of 1522 and Charles V’s edict of 1531.8 Culminat-ing these recent scholarly efforts to connect the visual culture of poverty and Christian giving to emerging regimes of municipal welfare was the large exhibition staged at the universität Trier in 2011, Armut: Perspektiven in Kunst und Gesellschaft.

Each of the shorthand terms in our functional lexikon – Kultbild, Andachtsbild, Votivbild, Kunstbild, etc. – harbors a broad set of presuppositions about the social pur-posing of art. By and large, scholarship has asked us to see the Works of Mercy as an evolving species of Lehrbild, a “visual instrument for compelling conviction” (visuelles Überzeugungsinstrument) in van Bühren’s words.9 What unites so many of these past efforts, then, is an ongoing commitment to an essentially didactic theory of visual com-munication as the ground for evaluating both the social realisms associated with genre and the dynamic potential of early modern Bildrhetorik. Every era has its moralists, naturally, but it should be said straightaway that painters and poets did not necessarily think of their products as a better type of hammer for driving the nails of conviction, to be thrown away when the job was done. And neither, to say the least, did sophisticated art-lovers in their cabinets. My own inclination is to look for the defining purposes of Early Modern genre not in the arguments pictures were engineered or authorized to make, or in their capacity to reflect social practices and mentalities, but in the specific opportunities they afforded for purposeful action or thought, particularly the opportu-nities for certain kinds of therapeutic behaviors and experiences.10 Therapy is a forbid-dingly vast, complex, and amorphous arena of human behavior and experience, and a few words about how I will develop the concept are in order. In the first part of this essay I will be concerned with the therapeutic expectations grounded in the Church’s sacramental and penitential regimes, which were aimed at the “health of the soul” – pro remedio animae, a phrase taken from the classic formula used in medieval testaments and donations.11 These expectations nourished the iconography of the Works of Mercy well before it approached the conditions of genre strictly speaking. A transitional stage

6 van Bühren: Werke, pp. 13, 21–22. 7 siLver/LuttiKhuizen: Quality, with discussion of these two specific themes on pp. 234–236. 8 siLver/LuttiKhuizen: Quality. The 1531 edict, issued in Ghent, urged the consolidation of revenues

for poor-relief into common funds (bourse commune) adminstered by local governers. See, more re-cently, saFLey: Introduction, and other essays in the same volume.

9 van Bühren: Werke, p. 17.10 I address the shifting therapeutic purposes behind another complex Bildtype spanning medieval and

Early Modern art in MerBacK: Man.11 An exemplary empirical study is Davies: Masses.

101Works of Mercy as Therapeutic Genre

in the therapeutic values ascribed to mercy imagery is outlined in the second part of this essay; and later, in the third part, I will zero in on a different kind of therapy, one faciliated by the Bildrhetorik of merciful giving itself: an ethical therapy of the passions. Distant heir to ancient philosophy’s injunction to “take care for yourself” (epimelesthai sautou) – a mandate carried forward by Christian culture in the meditative programs of medieval monasticism and eventually channeled into new forms of Passion piety in the later Middle Ages – this mode of “spiritual therapy” was revived in the neo-Stoic Christian ethics forged by Renaissance humanism, and later applied, as we will see, in the speculative search for divine wisdom (sapientia) in the marvels of nature.12

My argument will consist of three interrelated claims. The first is simply that late medieval artists successfully recast the iconography of the Works of Mercy as a para-digmatic image of the “everyday” meeting of rich and poor, that is, as genre. Second, that the theme acquired its fullest meaning, especially in private settings and learned circles, as a therapeutic genre, that is, as a type of image whose productive use provided spiritual-ethical exercise for the health of the soul, a form of upward training for the virtue-loving Christian personality. Attending to therapeutic functions and opportuni-ties, broadly speaking, will therefore reveal another kind of continuity in the history of the image as we move from medieval origins to Early Modern transformations; and likewise as we traverse Catholic and Protestant uses of the theme. To make things as clear as possible I will distinguish two models of Christian spiritual therapy connected to merciful giving: the first I shall call the sacramental, and the second the ethical. This is not to imply rigid models, however, or fixed constellations of meaning. Rather – and this is the third argument I wish to make – we must be prepared to see changes and discontinuities in the nature and mechanics of therapeutic practice as our theme is transposed into new functional contexts, the supra-confessional domain of autono-mous art perhaps most of all. Certain psychological displacements were necessitated by the bureaucratization of poor relief in the cities. Encroaching upon every Christian’s penitential obligation, otherworldly by design, to participate in God’s mercy was the commune’s “natural” obligation to administer to the needy. As if to compensate, ethi-cal genres of the kind we will explore actually expanded the arena, and provided new avenues, for the spiritual striving and self-empowerment linked to merciful giving.

II. Works of Mercy as Penitential Labor and Sacramental Offering

When the Works of Mercy first appeared on the stage of urban life, it was in the context of public Judgment imagery, with its clerical admonitions against sin and its allegories of preparation for Christ’s return. At the so-called Galluspforte, the north transept portal of Basel Münster, the canonical six good works – derived from Christ’s pro-phetic speech in Matthew 34 – are arrayed at the feet of two saintly intercessors on the outermost jamb-columns, which are broken open to form a pair of stacked tabernacles with separate niches (fig. 2).13 At the center of the composition, in the tympanum, we

12 on “Christian philosophy” see haDot: Philosophy, pp. 126–144; on the Greek and Helenistic founda-tions of spiritual therapy, see esp. nussBauM: Therapy.

13 Jacqueline Jung notes that it is sturdy female figures who attend to the needy; this interpretation of the Works of Mercy as an “exclusively female affair” contrasts with the contemporary program used

102 Mitchell B. Merback

fig. 2: Basel Cathedral, north transept portal, Galluspforte, ca. 1180–1200.

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find an enthroned Christ in Majesty, and on the lintel below the parable of the Wise and foolish Virgins, allegorical counterpart to the Works of Mercy. five of them, oil lamps full, are being welcomed by the celestial bridegroom, while five others, their lamps empty, are shown barred from entering paradise. Penitential readiness, spiritual worthiness, the love of God – these are all thematized here, both in micro-motifs of passage and entry, like the doorway at Christ’s feet, and in the strategic integration of the program with the sanctuary’s very own threshold, the portal. Jacqueline Jung, in her authoritative study of choir screens of france and Germany, emphasizes the close association of Mercy iconography with thresholds and doorways as both actual and metaphorical boundaries across which lay people carried the spiritual benefits of participation in the church’s sacramental system.14 The transference of God’s mercy beyond the compass of the Mass, and into the social world people inhabited, was cer-tainly the message of the great stone Lettner built for Strasbourg Cathedral sometime around 1250, and pictured in an engraving by Johann Jakob Arhardt shortly before its demolition in 1681.15 Here too Christ in Majesty, surrounded on the central gable by small praying figures, anchors the composition. According to Jung, choir-screen pro-grams such as Strasbourg’s effectively “integrated lay values into their visions of sacred history and future time,” and did so by offering beholders “home-spun examples of piety in action” – all in line with Augustine’s explanation in the City of God, that pious works offered a special kind of spiritual therapy, for they “are performed for no other reason than so that we may be freed from misery and, thereby, be happy.”16 Later, as we will see, thresholds and doorways become indispensible genre elements – real spaces of transaction where bürgerliche charity is dispensed.

Love of neighbor and voluntary service to the needy had always been Christian virtues, but until the mid-thirteenth century, the penitential imperative for the care of souls, living and dead, rested squarely with the clergy. from this time onward, how-ever, these obligations were increasingly, one could say progressively, transferred to the laity,17 with contemporary activist saints such as francis of Assisi and Elizabeth of Thuringia, both reknowned as care-givers, held up alongside ancient figures of charity such as Martin of Tours as models of Christian virtue. As a counterpoint to the imagery devoted to saintly exemplars, however, the Strasbourg cycle emphasized “social activ-ism among laypeople.”18 Some indication of this is given in the reliefs themselves, where social types are differentiated by their clothing (mendicants are hooded, knights wear breastplates, and so on), as the surviving drawings by Arhardt show (fig. 3). These are still a long way from qualifying as genre, of course, but equally so are they distant from the allegorical figures of Caritas we find at the beginning of the iconographic tradition.

Strasbourg’s lost Lettner cycle has been singled out by iconographers for another reason we should attend to: in it we find the earliest addition of a seventh pious work to

at the Parma Baptistry, for example, where the cast is all male; see junG: Screen, p. 144, with further references. I thank the author for her guidance on the medieval exemplars I treat here.

14 junG: Screen; on the theme of the Wise and foolish Virgins, see junG: Jungfrauen.15 van Bühren: Werke, no. M15 (pp. 241–243); and for a fuller treatment, junG: Screen, pp. 139–144.16 junG: Screen, 139 (junG) and 142 (BourKe: City, Bk. X. ch. 6).17 on this process, which moved purgatorial prayer away from its “fraternalized” origins, see rosen-

wein: War; hartinGer: Gott, p. 139; also MerBacK: Pilgrimage, pp. 180–181 and 230–231.18 junG: Screen, p. 142.

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fig. 3: Johann Jakob Arhardt, Gable Reliefs, Strasbourg Choirscreen, before 1682, drawings. Strasbourg, Musée de l’Œuvre Notre-Dame.

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the biblical collection of six. Gable number one, the one closest to the north aisle, once carried the inscription Mortuus sepelitur and depicted the Burial of the Dead (fig. 4).19 Not only would this compact scene of the body’s tender handling and lowering into the sepulcher have reminded lay audiences of the sanctified dead interred right beneath their feet, in the space of the church, as Jung has rightly asserted;20 it indexed an arena of pious works that was rapidly expanding beyond the practice of providing burial for those who could not afford it. I refer here to the care of the purgatorial dead, a devel-opment that held enormous significance for the whole economy of gift and reciprocity thematized by the Works of Mercy. At the former collegiate church of St. florentius in

19 schMitt: Barmherzigkeit, here at 1461–62, citing Heinrich Schreiber’s documentation of the lost in-scriptions (schreiBer: Münster, p. 65); also see junG: Screen, pp. 140–41.

20 junG: Screen, p. 143.

fig. 4: Burial of the Dead, detail from Johann Jakob Arhardt, Gable Reliefs, Strasbourg Choir-screen, before 1682, drawings. Strasbourg, Musée de l’oeuvre Notre-Dame.

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Niederhaslach, Alsace (about 40 kilometers west of Strasbourg), a north nave window of ca. 1360 juxtaposes the canonical six Works of Mercy with what appears to be a depiction of a “Gregorian Mass”, a special mass for the benefit of the dead (sometimes called an Armeseelenmesse) (fig. 5, Plate 6). Below the scene of elevatio at the window’s center – and a Latin inscription evidently added later – little naked soul figures, hopeful of assistance, look upward in supplication from the fiery torrents of purgatory.21

Complementary categories of Christian works thus unfold within their proper compass: a lay activism directed toward the impoverished among the living, the arme Leute, and a priestly intercession, the ritual sacrifice of the Mass, directed toward the needful dead, the arme Seelen.22 It is not only the semantic parallelism that deserves our attention. What the Niederhaslach window reveals is something like a conjoin-ing of two domains of charity, as well as the therapies they betoken, into a single gift economy. The sacramental model of Christian spiritual therapy begins, of course, with the expiatory power of the Mass, wherein the fruits of Christ’s sacrifice on the Cross are offered and received by the faithful. What feeds the whole sacramental system of the Church is what theologians called “merit”, the accumulated rewards earned by the good works of Christ and his saints, martyrs especially, which the Roman clergy transferred to sinners for the satisfaction of spiritual debts (i.e., indulgences). Participa-tion in God’s loving mercy (misericordia) is the ethical imperative, but martyrologi-cal merits (merita), stored in heaven’s treasurehouse, formed the gold standard, so to speak, behind the diverse currencies of this sacramental economy. Masses, indulgences, prayers for the dead, and “good works” for the living – those involving actions (conso-lation, care, shelter) and those involving things (bread, water, clothing)23 – all become sacramental tokens, as it were, of the sanguinis Christi and the corpus Christi. All are, in this sense, eucharistic surrogates, sanctified by God’s immanence in the consecrated species dispensed during the Mass; and all betoken a perpetual therapy aimed at the liberation of souls from the bondage of sin. Numerous fifteenth-century images attest to this sacramental parallelism of arme Leute and arme Seelen.

Just as the range of charitable actions directed at the living had expanded during the Middle Ages, so too did the possibilities for penitential assistance to the grateful dead. In a miscellany of circa 1480, now in Nuremberg, corporeal and spiritual Works of Mercy performed on earth are all shown reverberating into the hereafter. Not only prayers and masses, the traditional means of effecting post-mortem liberation, but pi-ous acts as divergent as pilgrimage and catechism, devotion to the Passion and the feed-ing of poor schoolchildren – all these bring refreshment and succor to the dead.24

As the rites of charitable giving on earth betokened and, in some sense, effected the scene of salvific rescue in the hereafter, likewise could the aid sent to the purgatorial dead model and mirror what’s dispensed on earth. A captivating scene now in Aachen, part of a dispersed altarpiece made for the family chapel of Lord Werner II of Palant

21 Nave, second north window. for a complete description of the cycle and inscriptions, BrucK: Glas-malerei, pp. 72–87 (this window on pp. 79–80); also van Bühren: Werke, no. M9.

22 on numerous parallels in cult and collective perceptions, see esp. Koren: Spende.23 junG: Screen, p. 143, makes this distinction between “pious actions” and “material things”.24 Nürnberg Stadtbib. Handschrift Cent. V, App. 34a; profiled in von wiLcKens: Mensch, pp. 73–80;

and discussed in MerBacK: Pilgrimage, fig. 97; and iDeM: Man, pp. 83–87. The fundamental study of Armeseelen imagery remains haLM: Studien.

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and Breitenbend (d. 1456), in the parish church of Linnich (about 60 kilometers west of Cologne), appears to be the earliest surviving panel painting to envision purgatory’s subterranean spaces (fig. 6, Plate 7).25 More important than any precedent it may rep-resent, however, is the panel’s playful reimagining of the fluidity between corporeal and spiritual works of mercy – to wit, the sacramental identity of all pious gifts. While donors kneel in penitential humility, addressing God for the sake of their own souls – their Spruchbänder carry the words of Psalm 78 (verse 9)26 – and modeling the suffrages they hope someday will be performed on their behalf, angels bearing the attributes of the corporeal Works of Mercy (bread, water, clothing, an unidentified bowl)27 swoop down upon a blackened purgatorial cavern teeming with spectral figures. These are improbably material gifts for such immaterial beings – theologians called the bodies in purgatory “corporeal similutudes” – but their visualization illuminates the circuitous route by which the suffrages of the living, prayers lifted up toward heaven, were trans-posed into otherwordly assistance down below, benevolences that would later be re-ciprocated by the dead, when they in turn became heavenly intercessors for the living.

Hans Schäufelein’s Almosentafel in Nördlingen, signed and dated 1522, captures the fusion of sacramental therapy with a genre-like representation of pious giving, although iconographers have been reluctant to bring the work into alignment with the Works of Mercy tradition, a difficulty owing in part to its confessional ambiguity (fig. 7, Plate. 8). The nearly square panel, originally bowed for installation on a column (Säulenbild), was commissioned to coincide with the city council’s adoption of a new begging ordinance (Bettelordnung) on 24 November 1522, the first of its kind based on Lutheran principles; until 1848 the panel hung in the St. Georgskirche opposite another Säulenbild by Schäufelein, his 1516 epitaph for Emmeram Wager.28 Prosperous burgh-ers enter the church with food for the assembled poor and coins for the alms box, all in accordance with the words of Daniel 4:24: Gebent ewr heilig almusen den armen So wierdt sich Got vber ewr Sund erbarmen (“Redeem thou thy sins with alms, and thy iniquities with Works of Mercy to the poor, perhaps [God] will forgive thy offences”), inscribed below Christ’s feet.29 A visionary presence revealed in a wreathlike aureole, Schäufelein’s Man of Sorrows displays his wounds as proof of intercessionary merit, as if standing before the heavenly throne. He casts an anxious sidelong glance toward the left, presumably the direction from which one approached the installation in the nave,

25 cat. exh.: Himmel, cat. 92.26 Adiuva nos d[ominu]s salutaris n[oste]r.//Et p[ro]pt[er] gl[or]iam no[min]is tui d[omin]e lib[er]a nos

(“Help us, o God, our Saviour: and for the glory of Thy name, o Lord, deliver us: and forgive us our sins for thy name’s sake”).

27 The bowl may be a reference to the “begging bowls” that were soon found among the attributes re-quired of “honest” beggars (honestus) to distinguish them from dishonest vagrants (inhonestus) in the eyes of municipal officials and the public at large; on which, see tóth-uBBens: Beelden. on the hard-ening distinctions drawn between deserving and undeserving beggars, involuntary and voluntary poor, see wanDeL: Images; and nichoLs: Vagabond, pp. 37–60.

28 cat. exh.: Luther, no. 583; BauMann: Darstellung, pp. 11–27; MetzGer: Schäufelin, cat. 66; MerBacK: Pilgrimage, 282–283; and MerBacK: Man, pp. 94–96. for the Wager Epitaph, see MetzGer: Schäufelin, cat. 52.

29 A second inscription, this one on the blue lower field of the frame, Brich dein brot den hungerigen: und die armen und die elenden für in dein haus (Isaiah 58:7), is a nineteenth century addition.

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which almost certainly paired a real alms box with the pictured one.30 Thus was the panel’s audience reminded of their obligation to extend that great chain of sacramental-ized giving vouchsafed in the sanguinis Christi. Like the burger’s Almosenspenden de-posited into the wooden box in the picture, real coins, offered in emulation of Christ’s sacrificial giving, his Blutspenden, would soon be heard clattering into the real almsbox outside it.

Thus did the therapeutic potency of Spenden move in two directions: toward the poor and needy, comprehended in the later Middle Ages as a living image of the suf-fering Christ (a notion expressed in the formula “pauperes Christi heredes nostros instituimus”, frequently used in testaments and donations), and toward the spiritual “health” of the souls of their donors.31 Despite its new evangelical context, which re-quired the arme Seelen to remain shut out of the circuit of reciprocal sacramental giving (evangelical reforms typically redirected endowments for commemorative masses into poor relief),32 Christ’s Real Presence in the Eucharist is shown to sanctify the forms of merciful giving being enacted and prescribed, as it had for centuries prior. otherwise “lifeless” tokens of exchange – cold metal coins – are enlivened by Christ’s presence in the Eucharist, whose metaphorical double they become in the hands of the needy.

III. From Immanence to Ethics

up to this point I have been arguing that participation in the rites of charity, and the ex-pectations of a therapeutic result attending charitable activism, were doubly motivated for the devout worldly beholder. on the one hand, they were motivated by the need to expiate sin through good works in preparation for Judgment at death – one assisted the poor and buried them, prayed for the dead, and made donations to the church for the “health of [one’s] soul” (pro remedio animae). At the same time, participation in a sacramentalized gift economy meant expectations of a multi-directional reciprocity; it translated into the forging of bonds of mutual assistance (and thus represented a form of consolation), not only between rich and poor, but between living and dead, earthbound and heavenly beings. officially, these forms of therapy were vouchsafed in the exchange of sanctified goods and services. Because investments made within this sacramental economy aimed essentially at a future return (“thou shalt be rewarded [in heaven] a thousandfold”), it should not surprise that, whatever didactic claim they make in the present, visual representations of the Works of Mercy before 1500 refer therapeutic desire elsewhere, beyond themselves. As visual exempla of Christian virtue they may edify, in other words, and they may stimulate pious charity in turn, but the reciprocal therapeutic action they betoken is not enfolded in the embodied experience of the picture itself. Efficacy is still anchored within the sacramental system, just as the church’s actual salvific reserves were in heaven. All of this begins to change, however, in the opening decades of the sixteenth century, notably prior to Luther’s critique of

30 This places the work in the category of the “begging piece” (bedelstuk), to which the Master of Alk-maar’s “Seven Works of Mercy”, discussed below, seems also to belong.

31 for the poor as an “image” of Christ see van Bühren: Werke, pp. 45–47; and for the converse concep-tion of humanity as a “beggar before God”, see wanDeL: Poverty, pp. 15–29.

32 wanDeL: Poverty, p. 25.

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works-righteousness. Testifying to the shift is an often-studied work of circa 1500, now in Amsterdam, by a still-unknown northern Netherlandish painter – a work that, not coincidentally, has been viewed by art historians since Max friedländer as a touchstone in the development of Dutch genre painting.33

Preserved in its original frame, which is inscribed and dated 1504 in both Dutch and Latin, the seven-panel cycle acquired in 1918 by the Rijksmuseum from the church of St. Lawrence in Alkmaar (province of Noord Holland) is widely regarded as the oldest rendition of our theme to survive from the northern Netherlands (fig. 8, Plate 9). Its maker is suspected by some to be the provincial painter Cornelis Buys the Elder (active in Alkmaar 1490–1524), but must remain for the time being the “Master of Alkmaar”.34 of its original provenance, or the terms of its commission, little is certain. By 1582 – at the latest – it was in St. Lawrence, where it may have been paired with a real almsbox to function as a bedelstuk, or “begging piece” (so it was described in a church inventory of 1582);35 before this the work may have hung, like others that are better documented, in a hospital, specifically the Holy Ghost Hospital, which was shuttered in 1575. Scholars have seen in several figures of the penultimate panel, depicting the visitation of the sick, governers of that charitable institition.36

Space here permits neither a complete analysis nor further inferences about its changing contexts and functions, but only an indication of the work’s most telling fea-tures. Whether taking in the whole or reading from left to right, the viewer is faced with a hodge-podge of architectural settings, apertures, frames and vistas, unified only by a relative consistency of scale. Continuous space across more than one panel is the business of the first two scenes only, where, respectively, the hungry are fed (Deelt mildelick den armen/god zal u weder ontfarmen); and the thirsty given water to drink (Van spijs ende drank in dit leven/duisentfout zal u weder werden gegeven).37 These transactions occur at residential thresholds of contrasting means; meanwhile, auxiliary scenes taking place in the deeper space of the open plaza further unite the two panels into a single vista. Anchoring the design of the cycle’s opposite end, meanwhile, are the panels representing the visiting of the sick and the consoling of prisoners respectively; in both cases here we have architectural frames that signify the mediating role of civic institutions, in the one case a hospital, possibly the Holy Ghost Hospital in Alkmaar, and in the other a Schauplatz opening onto a prison, adjacent to or below the townhall. Despite their different densities of action and space, these outermost pairings succeed in forming a kind of visual parenthesis for the whole, allowing the brightly lit inter-

33 friedländer believed that the movement toward genre liberated this unknown master from a “handwerklich routinierte, lieblose Ausführung” characterizing his earlier works, to a reach a more penetrating form of observation and description: “Die Tafeln fallen auf durch ehrlichen Mut und un-befangene Geradheit. Die Aufgabe wies den Maler auf die sichtbare Realität hin, führte ihn in die Tiefe der Ständestufung und machte den Weg zum Genrebilde frei“ (FrieDLänDer: Malerei, pp. 33–34).

34 Rijksmuseum, Inv. A 2815. See cat. Mus.: Paintings, pp. 627–681; KneveL: Meesterwerk, pp. 229–246; van Bühren: Werke, no. 67 (pp. 322–323); van os: Art, pp. 82–83 (cat. 19); snyDer: Art, pp. 411–412; and siLver/LuttiKhuizen: Quality, pp. 218–231.

35 van os: Art, p. 83; see also siLver/LuttiKhuizen: Quality, p. 223.36 KneveL: Meesterwerk, pp. 239–240; van os: Art, 82–83; siLver/LuttiKhuizen: Quality, pp. 224–226.

In particular Jacob Dirckz., who held the governer’s office in 1504, has been identified in the picture. on the hospital context, see esp. tóth-uBBens: Beelden.

37 for the full set of inscriptions, see cat. Mus.: Paintings, pp. 627–628.

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val of the central panel, with its expanse of urban space and its celestial apparition, to register all the more strongly. Keeping with the eschatological promises of Matthew 25, Christ appears as the Salvator Mundi, robed in red and displaying his side-wound; seated on a rainbow, he is flanked by bust-length figures of Mary and John the Baptist, showing by their gestures that they are pleading humanity’s case for mercy. Descended from the Byzantine Deësis, the floating troika abbreviates the panoramic vision of the Last Judgment. This is the same formula deployed by an unidentified Antwerp painter, working a little earlier (c. 1490–1500) but with similar iconographic resources, who set the eschatological drama atop a scheme that coordinates Works of Mercy with the Seven Deadly Sins (not illustrated).38

Even a superficial comparison of Christ’s appearance in these two works shows us something striking. In keeping with his tabular scheme, the anonymous Antwerp Master multiplies Christ’s presence across the entire program: in addition to the Judge of the Parousia, he deploys a team of nimbed Christs on an earthly mission to bless each and every charitable transaction, addressing the caregivers as they, in turn, par-ticipate in God’s mercy. Likewise does the Alkmaar Master, with his horizontalized arrangement, make the heavenly tribunal central; and likewise does he place Christ at every scene of pious gift. But only where the visitation of prisoners is concerned, in the cycle’s final panel, is Christ’s action one of blessing: a blessing that is curiously marginalized, almost invisible at the rightmost edge. Elsewhere Jesus is interspersed among the needy, a visible presence both brotherly and reassuring.39 At the very start of the cycle, where Christ turns to address viewer, arresting our gaze, his role is that of an interlocutor (fig. 9). Though mild in mien, the watchful and subtly inquisitive look recalls Jesus’s challenge in Matthew 25:45 – “Amen I say to you, as long as you did it not to one of these least, neither did you do it to me.”40 More significant is the fact that this gaze is hurled over the shoulder of the scene’s main benefactor, who holds his gaze in abeyance from those to whom he distributes bread with his left hand, an expression of Christian humility Johann-Christian Klamt has interpreted as an illustra-tion of Matthew 6:3–4: “But when thou dost alms, let not thy left hand know what thy right hand doth. That thy alms may be in secret, and thy father who seeth in secret will repay thee.”41 A gauntlet, it seems, has been thrown down: Will we measure up to these exemplars of Christian charity, or will we fail in this critical arena of discipleship and conscience, denying God at the same time we deny the needy? Yet the visual rhetoric is not one of outright condemnation. No hell-mouth yawns nearby the scene of moral decision; vices are not trotted out, single-file, to inspire in us a horror of the sinful self. The picture admonishes but it doesn’t castigate; gone are the elements of threat and divine retribution.

38 oil on panel, 115 x 125 cm; now in Antwerp, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten. See Cat. Mus.: Catalogus, no. 680 (pp. 3–8) with extensive bibliography; also van Bühren: Werke, no. 2.

39 van os: Art, p. 82, who characterizes the Alkmaar Master’s Christ as “mild and brotherly” and sees in him a reflection of the ideals of the Devotio moderna.

40 Alternately it could refer to Matt 25:40 (“Amen I say to you, as long as you did it to one of these my least brethren, you did it to me”), as siLver/LuttiKhuizen: Quality, p. 219, assert, since Christ’s chal-lenge to the beholder is to contemplate the divide between charity given and charity still-undone.

41 KLaMt: Illustrationen.

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fig. 9: Master of Alkmaar, Seven Works of Mercy, Leftmost panel: Distribution of Bread to the Hungry. Alkmaar, Church of Saint Lawrence.

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Gone too are the Armeseelen. No longer do they appear at the scene of Chris-tian penitential activism; no longer does pious giving reverberate into the hereafter, releasing souls from bondage and expanding the great chorus of intercessors who will pray for us in heaven. This is a notable omission, since elsewhere in Europe we find contemporaries of the Alkmaar Master still envisioning this circuitry of poor relief and post-mortem rescue. Two panels from a dismembered altarpiece (c. 1506) by the Swiss painter Hans fries, preserved today in freiburg (Switzerland), depicts the or-derly distribution of Speck und Brot, as well as cloth garments, just inside the city gate (fig. 10).42 Corporeal works here operate as something like the trigger of a purgatorial

42 freiburg, Museum für Kunst und Geschichte (GKS Inv. 899.1 and 899.2); for complete information, see viLLinGer/schMiD: fries, cat. 7c (raouL BLancharD/v. viLLinGer/Kathrin utz treMP).

fig. 10: Hans fries, feeding the Hungry and the Release of Souls from Purgatory, c. 1506, oil on fir panels, each approx. 162 x 76 cm. fribourg, Musée d’art et d’histoire.

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release-mechanism: meat and loaves are passed sideways, and liberated souls are ferried upward. Considered in light of the fries panels, the absence of the Armeseelen in the Alkmaar cycle might be seen as owing to Dutch genre painting’s fixation on the earthly and the moral everyday; or perhaps the demonstrative spirit of burgerlijk charity be-hind its commission was already, in its own way, anticipating purgatory’s repudiation by sixteenth-century reformers. Whatever the reason, it is clear that the traditional par-allelism of arme Leute and Armeseelen is no longer operative in the cycle’s Bildstruktur, nor would it have likely figured in its reception.

What the Alkmaar cycle delivers, in a word, is a new, more rigorous horizontaliza-tion of Christian ethics: not the “vertical” relations of sacramental exchange, vouch-safed in the mystical confluence of martyrological blood and heavenly suffrage, but an earthbound therapy of the soul, grounded in a virtue-loving reason, the exercise of free-will, and moral judgment in the here and now. of course it is easy enough – per-haps too easy – to identify this ethicization of the image with the sixteenth-century’s movement away from allegories of supernatural agency, away from the diagrammatic didacticisms of medieval art, and toward genre. And likewise is it easy to see the pic-ture’s new frieze-like arrangement as standing metaphorically for the newly emerging civic organization of pious charity. But the Alkmaar cycle internalizes the horizontal into its Bildstruktur in still another way. By offering a set of transactive tableaux that demand to be “read”, but offering no clear beginning and no clear end; by putting us on notice that our choices count in heaven, though we make them without compulsion or threat; by setting forth a discontinuous space that invites us to explore the relations and transactions performed by our delegates inside the picture, but structuring it in such a way that our visual – and moral – exploration can proceed only with difficulty, the picture calls forth a visual and cognitive practice equal to the task of producing benefits in the here and now, among them the diligent examination of conscience. Compare the Alkmaar Master’s invitation to look, explore, follow, and choose with a late medieval picture expressly designed as an instrument of visual-cognitive practice, in this case the meditative practices of Passion devotion: Hans Memling’s Turin Passion of circa 1470 (not illustrated).43 Despite its many twists and turns, zoom-ins and pan-shots, we soon discover that the meditative circuit has been carefully laid out in advance; the eye seeks, and finds, clear guidance for its activity within the space of Memling’s virtual Kreuzgang. Thus is Bildstruktur perfectly matched to the picture’s fundamental iden-tity as an instrument of meditative practice fixed on Passion pilgrimage, its simulated forms of “witness”, and their penitential-therapeutic aims. Did the Alkmaar Master also conceive his picture to be a therapeutic instrument? If so, what kind of therapy does it facilitate?

IV. Speculation as Spiritual Exercise

To this question I shall offer here a largely hypothetical answer. I have already sug-gested that the Alkmaar cycle is structured in such a way as to effect a displacement of the (older) penitential imperatives and expectations of charitable giving by an activity

43 oil on panel, 55 x 90.2 cm (Turin, Galleria Sabauda); see most recently KirKLanD-ives: footsteps.

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that resembles ethical self-examination – if not quite a formal meditative exercise – on the part of the viewer. on the surface this looks like a function of those genre elements that ordinarily distance the picture from spiritual seeing and sacramental functions. Now let me propose that this shift, this tentative disengagement of ethics from im-manence, as it were, anticipates a different mode of “spiritual seeing” than the one so richly documented by medievalists.44

To furnish this supposition with a context, consider the growing body of research that has seen links between certain thematic novelties developing in European art around 1500 and the revaluation of an educated, “worldly piety” specific to the reli-gious culture of mercantilist society in northern Europe. Reindert falkenburg, in his analysis of the woodcut cycle for the 1532 German edition of Petrarch’s De remediis utriusque fortunae (Von der Arzney beyder Glueck), recognizing the close link between Petrarch’s address to the tribulations of the innner man and the medieval tradition of speculum literature, has called this new domain of imagery, and the visual habits at-tending it, speculative.45 What distinguishes “speculative” images from didactic genres (Lehrbilder), with their fixed, often conservative moral messages, according to falk-enburg, is that “their true subject matter is not the point of view represented in the image, but the insight and self-knowledge that the viewer forges in his speculation on the image.”46 Among scholars of the northern Renaissance this interpretative direction was anticipated as early as the late 1970s, for example, in Peter Parshall’s anatomy of the “inverted narrative” structure pioneered by Lucas van Leyden;47 it was developed in falkenburg’s own study of “pilgrimage of life” topoi in Joachim Patinir’s landscapes;48 it has been carried forward in fascinating ways in Leopoldine Prosperetti’s exploration of Jan Bruegel’s allegorical images of sea voyage and rural traffic, which she persuasive-ly links to a speculative otium (as distinct from courtly leisure) that promised spiritual regeneration;49 and it can be found in recent work by Walter Melion and others on the “meditative image” especially in Counter-Reformation pastoral works, whose publish-ing hub was Antwerp.50

Was the desire for novel paths to reflexive spiritual insight – the desire that drives the speculative mode in the age of reform – behind the growing appeal of the Works of Mercy as a new type of devout genre image? If indeed a new kind of ethical-spiritual therapy may be counted among the practical goals stimulating the birth of new genres, complementing or even superseding the old homiletic imperatives toward “moral im-provement”, as the accumulating scholarly literature on the subject now suggests, what opportunities and possibilities did speculation furnish for it?

44 A massive literature has built up around these terms; I refer to the paradigms developed in KessLer: Seeing, and the essays in haMBurGer/Bouché: Eye.

45 FaLKenBurG: Imagery, p. 188.46 FaLKenBurG: Imagery, pp. 174–175. Not coincidentally, this definition fits perfectly the Renaissance

understanding of paradoxes; for an extended case study, see MerBacK: Nobody.47 ParshaLL: Style. 48 FaLKenBurG: Patinir.49 ProsPeretti: Landscape, esp. on the neo-Stoic “doctrina serena”.50 MeLion: Pictura; also MeLion: Art. In the meantime, the medieval origins of a “speculative” mode of

seeing, grounded in Pauline theology, have been fleshed out masterfully by haMBurGer: Speculations; and more recently by KessLer: Speculum.

115Works of Mercy as Therapeutic Genre

In the scholarship on the transformation of charity iconography all roads pass through Pieter Bruegel the Elder, and the present essay must do likewise, but with a somewhat different destination in mind. As is well known, with his tandem series devoted to the Seven Deadly Sins, or Vices (1556–58), and the Seven Virtues (1559–60), Bruegel pioneered a new pictorial concept: the encyclopedic allegory. Personifications are centrally placed in a landscape or townscape bustling with solitary figures and nar-rative vignettes – all of them symbolic attributes of the moral abstraction the author wants to develop. Here I illustrate the engraved version of Caritas by Philips Galle, after the drawing by Bruegel still preserved in Rotterdam (fig. 11).51 Suspended above the groundline, we observe charity’s sometimes orderly, sometimes messy unfolding across an urban panorama: a tumult in the townsquare, a veritable festival of giving. Everywhere, it seems, the wealthy are inclining toward the poor, relinquishing their hold on the goods fortune has bestowed – those material things that bring only a fleet-

51 Essential information on both series is found in cat. exh.: Bruegel, pp. 144–160 (vices) and 177–193 (virtues); see also KLein: Worlds, no. 50. on the Rotterdam drawing (Museum Boymans Van Beunin-gen, Inv. N18), see cat. exh.: Age, no. 29 (pp. 101–102; entry by hanD). And on the Caritas engraving alone, van Bühren: Werke, no. 10; siLver/LuttiKhuizen: Quality, p. 242.

fig. 11: Philips Galle, after design by Pieter Brugel the Elder, Caritas, c. 1559, engraving 22.2 x 28.9 cm. London, The British Museum.

116 Mitchell B. Merback

ing happiness – and exchanging them for the “goods of the soul”, in the phrase favored by humanist moral philosophers, goods which console and nurture by turning their owners toward virtue. our compassion and our pity are the ethical engines of this lively commerce, as the caption urges us to remember:

Expect what happens to others to happen to you; you will then and not till then be aroused to offer help only if you make your own the feelings of the man who appeals for help in the midst of adversity.52

Anticipating the swings of fortune, the engraving therefore tells us, the wise man will cultivate empathy – not only as spur to charitible action, but as the internalization of a transcendent natural order built from multiple relations of interdependency. In helping him recognize his own place within such a divine ordo the image now has a role to play. In moving speculatively from motif to motif, from vignette to vignette, from transaction to transaction, we enact something equivalent to the great Petrarchan argument between the passions and Reason – in short, we participate in a “produc-tive vision” geared toward self-knowledge and virtue. Working through the print and its visual complexity, encountering each transaction as an encoded reciprocity, the be-holder trods the “hard path” toward becoming a better Christian, discovering spiritual truths that lie beyond the battle lines of scriptural argument or religious authority. At the same time, in doing all this that same beholder may also relish the free exercise of his sensuous, intellectual, and moral faculties. The ethical Christian personality forges itself in the quasi-rhetorical performance that looking, and reflecting on the immanent connectedness of the created world – in a word, speculatio – has become.

Ethical speculation of the kind falkenburg and others have described became an “empowering option in Christian life”53 in the wake of the Reformation’s confessional struggles, which produced a great silent majority of disillusioned and weary spirits; it may have therefore informed the rising demand for pictorial genres that were no longer “devout” in conventional terms, but which offered supra-confessional resources as instruments for spiritual exercise, consolation against fortune or the fear of death, or cures for melancholy. Much of this came to fruition in the thematic diversity of Antwerp’s art industry, and it will be my contention in the final pages of this essay that some of its characteristic products, such as Pieter Aertsen’s signed panel of 1575, now in Warsaw (fig. 12),54 insist on a structural openness comparable to Bruegel’s ency-clopedic allegories to precisely this purpose. Such images, with their multiplication of vignettes, small figures (Kleinfiguren), and emblematic transactions – artfully arranged within an idealized urban space, framed by intersecting portals and thresholds – best fulfilled their charge when they drew their beholders into a speculative mode of look-ing. And this, I submit, offered their owners a better kind of therapy.

To grasp the particular speculative-therapeutic potential of Aertsen’s painting, we may cast a sideways glance at another important innovation of the Brabantine art in-

52 Translation from cat. exh.: Bruegel, p. 181.53 ProsPeretti: Viola Animae, p. 108.54 cat. exh.: Kunst, pp. 148–149 (cat. 298); and FoLGa-januszewsKa: Museum, cat. no. VI.66 (pp. 284–

285). The painting is dated by an inscription, 29 Me 1575, on a cartouche decorating the tympanum in the upper left corner.

117Works of Mercy as Therapeutic Genre

dustry, one that offered the emergent manner of “spiritual seeing” among devout art-lovers a fertile field for its deployment: the allegorical image of nature’s marvels. As Prosperetti has shown, the rhetoric of fashionable cabinet pictures such as Jan Bruegel the Elder’s Four Elements series corresponded to a “method for Bildung or spiritual formation through speculation on the ‘living heritage’ of the natural world.”55 Labeled devout naturalism by a number of authors, this mode was understood as a key alter-native to strictly moralizing genres and the bookish erudition of pious humanism. Its intellectual touchstone was Raymond Sabundus’s natural theology (first published in Deventer, Holland, in 1498 under the title Theologia Naturalis sive liber creatorarum), a book that transformed the medieval heritage of Christian naturalism from a discipline focused on moral lessons gleaned from the “Book of Nature” into an ethical system for extracting wisdom (saptientia) from the study of creatures, especially those lesser beings that man subordinates to himself.

In support of this connection, let us recall the supposed contrast, often noted, be-tween Bruegel’s pictorial conception of his Vices and Virtues series respectively. To

55 ProsPeretti: Viola Animae, p. 108.

fig. 12: Pieter Aertsen, The Works of Mercy, signed and dated 1575, oil on panel, 112 x 143.5 cm. Warsaw, Muzeum Narodowe w Warszawie.

118 Mitchell B. Merback

dramatize the disorder in the created world brought on by sin, Bruegel drew heav-ily from the repertoire of Boschian phantasmagoria. Speculating on this topsy-turvey world of impossible nature, we extract wisdom from its inversive opposites, from its myriad negations in the unfettered misrule of the passions. Meanwhile, in the Virtues, it is humans exclusively, “ordinary people in realistic settings”, who draw out the il-lustrandum with which each of the allegories is concerned.56 But one has to admit that there is something very “creaturely” in the mangy cripples, blind beggers, wayfar-ers, and scabrous lepers that make up Bruegel’s Dickensian cast of the needy.57 Has this inventive parade of human frailty been devised simply to “challenge a viewer’s compassion”?58 or could it instead be that Bruegel’s encyclopedic engraving proposes that we speculatively probe for whatever relational order there is to find underlying this unruly profusion of afflicted beings? Beside amounting to a collection of illustrat-ed exempla for Christian love, the spectrum of interacting figures here may recall the hierarchical order known to medieval and early modern natural writers as the “chain of beings”, a scala naturae where all God’s creatures meet in a great weave of exchanges; where greater beings, in Prosperetti’s words, “incline benevolently towards those on the lower rungs of the ladder and look up with reverence to those who rank higher.”59

56 cat. exh.: Age, 101 (hanD). 57 Indeed, something equally Boschian, as intermediaries such as Hieronymus Cocke’s engraved cata-

logue of beggars (29.8 x 22.1 cm), based on a drawing by Bosch now in Vienna (Graphische Sammlung Albertina) and published by Cocke’s “Quatre Vents” shop sometime around 1550, show. for the en-graving, riGGs: Cock, cat. 19.

58 siLver/LuttiKhuizen: Quality, p. 239.59 ProsPeretti: Viola Animae, p. 112.

fig. 13: Roelant Savery, Paradise, 1626, oil on oak, 80 x 138 cm. Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie.

119Works of Mercy as Therapeutic Genre

Viewed with the speculative aim of drawing wisdom from the natural bonds formed between creatures (fig. 13), the quotidien realities of pious charity, its difficulties, dilemmas, and disappointments, are subsumed in a bracing vision of God’s merficul love.60 That love is the binding force behind the “natural order” of mutual assistance, obligation, and supplication found along the “chain of beings”, and it is the love Chris-tians imitate when they perform the Works of Mercy.61

Is it possible that when the Works of Mercy became a popular subject for art-lovers, a time when the scene of charity moved so decisively in the direction of genre, that pictures by the likes of Joost Cornelisz. Droochsloot, Sebastian Vrancx, David Teniers, frans I. francken, or frans II. francken (fig. 14)62 drew nourishment from an ethical

60 MüLLenMeister: Savery, cat. 233, with discussion of the interrelated orpheus, Paradise, and Deluge pictures at 129–151. for the paradise-landscape as a theme in flemish art, KLeinMann: Paradies.

61 William f. Bynum’s comment on Enlightenment natural philosophy’s revaluation of the Aristotelean concept is apposite, I think, for the two centuries preceding 1800: “It is perhaps a truism […] that the hierarchical scala naturae would have an inherent sympathetic appeal to men who were used to think-ing about their own social relationships in hierarchical terms.” See BynuM: Chain, p. 6.

62 härtinG: Studien, cat. A197; härtinG: francken, cat. 268; van Bühren: Werke, p. 30. Van Bühren lists twenty-one surviving paintings dealing directly with our theme, produced within the orbit of the francken workshop – that is, either by frans I. francken (1542–1616), frans I. together with his son

fig. 14: frans I. francken and frans II. francken, Seven Works of Mercy, signed and dated 1608, oil on panel, 115 x 160 cm. Antwerp, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten.

120 Mitchell B. Merback

vision of a “chain of beings”, and invited a speculative mode of looking that was also a kind of spiritual exercise? To the extent that the picture is therapeutic, it is a form of therapy already imbricated in its Bildstruktur and its rhetoric, and the demands it im-poses on the viewer. Speculation on the give and take of human relationships, evocative of those invisible bonds of mutual assistance that drew the hierarchies of the natural world into an embracing vision of God’s ordo, could itself become a form of ethical-spiritual practice, a “technology of the Self”, to use foucault’s famous term. This would make it an agreeable counterpart to the worldly piety of the merchant, or the patrician who occupies the seat of judgment in Jan Steen’s depiction of the Burgher of Delft and His Daughter (a well-known adaptation of Rembrandt’s drypoint),63 or the aristocrat in his pleasure garden, or the art-lover in his cabinet, even the devout man of letters in his studiolo. In early modern society lessons in how to be a better Christian were never hard to find, and opportunities to practice neighborly love appeared around ever corner. Yet it is telling that the scene of pious charity had perforce to undergo a radi-cal revision, supplanting the sacramentalized exchange system in which pious giving served the individual in his or her penitential progress with an irenic vision of mutual dependencies that reflected divine wisdom – and that this happened precisely at the time when poor relief was becoming increasingly centralized, bureaucratized, and in-strumentalized (though this hardly means it was “secularized”).64 Beyond any civic duty the early modern state might mandate; beyond the array of Christian institutions for poor relief in the early modern commune; beyond the confessional disputes over the value of works in justifying sinners, elites learned that a worldly charity, joined to an ever-renewing spiritual therapy, could console and heal, banish melancholy, and open vistas onto God’s wisdom. Exchanging the goods of fortune for the goods of the soul was a matter for well-trained Reason and a Will worthy of its God-given freedom, virtue pursued for its own sake. for the soul to reap such benefits, and to reach this vision of interlaced hierarchies, natural and social, it had to practice looking deeper – there to seek the invisible bonds embedded in every gift.

Photo Credits

fig. 1: © The Trustees of the British Museum.fig. 2: Photo: Jacqueline E. Jung.fig. 3: Photo: foto Marburg/Art Resource, NY.fig. 4: Strasbourg, Musée de l’oeuvre Notre-Dame; Photo: Art Resource.fig. 5: Photo: Jacqueline E. Jung.fig. 6: Aachen, Suermondt-Ludwig-Museum; Photo: Anne Gold, Aachen.fig. 7: Nördlingen, Stadtmuseum.fig. 8: Amsterdam, Rijksmuseum.fig. 9: Amsterdam, Rijksmuseum.fig. 10: Musée d’art et d’histoire fribourg.

frans II. francken (1581–1642), by frans II. alone, by painters within the latter’s circle, or by the lat-ter’s son, Hieronymus II. francken (1611–61); see cat. nos. 29–49.

63 MuLLer: Burgher.64 A reminder usefully drawn by wanDeL: Poverty, p. 22.

121Works of Mercy as Therapeutic Genre

fig. 11: © The Trustees of the British Museum.fig. 12: Muzeum Narodowe w Warszawie.fig. 13: Photo: bpk, Berlin/Gemäldegalerie, Staatliche Museen/Jörg P. Anders/Art Resource,

NY.fig. 14: © Lukas – Art in flanders VzW; Photo: Hugo Maertens.

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M A Katritzky

Lucas van Leyden’s ‘Toothdrawer’ 1523: Passion play merchant scenes and the religious origins of quack depictions1

I. Introduction

Elsewhere, I consider what pictures can tell us about performance.2 Here, my focus is on what performance can tell us about pictures. This chapter interrogates medieval performance culture for information on trends and themes relevant to the rise of early modern genre depictions of quacks: itinerant healers and merchants who combined medical practice with trading, and often used theatrical promotional strategies. Al-though mostly without formal qualifications, many quacks professed to treat all human ailments, those of the teeth as well as the body. Well into the early modern period, den-tal work was not the monopoly of ‘those Toothdrawers, that sit one their benche in the stretes’.3 Sedentary surgeons and barbers also treated teeth, and the term ‘toothdrawer’ could also refer to quacks or unskilled healers who did not specialize exclusively in dental work, as in 1588, when a bungling practitioner grandly describing himself as a ‘bloudletter’ is crushingly dismissed by a fellow surgeon, William Clowes, as nothing more than a ‘foolish toothdrawer’.4 Already found in medieval religious iconography, the subject of the quack healer attracted the attention of some of the greatest early modern artists, and established itself as a major theme in both Italian and northern genre painting.

My researches identify and examine pre-modern images of healthcare traders and practitioners, whether sedentary physicians and dispensing apothecaries or the itiner-ant spice merchants, and performing quacks or quacksalvers, known in Latin as the ‘mercator’, ‘circumforaneous’, ‘empiricus’ or ‘unguentarius’. Some of these images de-pict apothecaries, barber-surgeons or quacks selling their medical products and ser-vices, with or without the help of performative sales techniques. others depict actors representing healers. foundational work on the visual record by medical historians and art historians has identified many significant early images of quacks, and confirmed important links with related religious iconographic traditions, such as that of St Apol-

1 My thanks to Birgit ulrike Münch and Jürgen Müller for inviting me to present this work in Trier in october 2012, and to the Trier conference participants for helpful discussion. Also, for research fund-ing, to The open university (Arts faculty fRC Awards) and to the Herzog August Library, Wolfen-büttel (Visiting fellowship 2012) and especially ulrike Gleixner, Jill Bepler and Volker Bauer. unless otherwise noted, translations are mine.

2 See KatritzKy: Women, pp. 59–115; KatritzKy: Stage; KatritzKy: Toothdrawers.3 DeLLa casa/Peterson: Galateo, p. 113.4 cLowes: Practise, sig. Pr.

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lonia with her attribute, tongs gripping a drawn tooth.5 In the context of this volume’s investigations into the early development of genre painting, I here revisit some of these findings, and use them as a starting point from which to look more closely into the origins of the quack picture as everyday life, in other words as a genre subject. This chapter considers why, even during the foundational period of genre painting before 1570, great artists in flanders, Germany and Italy, of the stature of Hieronymus Bosch, Pieter Bruegel the Elder, Lucas van Leyden or Giulio Romano, chose to depict quacks. It asks whether compositional developments in such images were primarily influenced by iconographic traditions and conventions, or also drew on and reflected popular trends in liturgical performance culture.

II. The Marys at the Sepulchre

The Easter morning visit of the Marys to the sepulchre is recorded by all four New Tes-tament Gospels. According to John, on the evening of the Good friday crucifixion, Jo-seph of Arimathea helped Nicodemus, who provided a hundred pounds of myrrh and aloes for this purpose, to wind the body of Christ in linen and spices, ‘as the maner of the Jewes is to burie’. They then laid him in the new sepulchre which Mary Magdalene visited on Sunday morning. According to Matthew, who does not mention embalming spices, Mary Magdalene was accompanied to the sepulchre by ‘the other Mary’ (the ‘mother of James and Joses’). Luke identifies the Holy Women who prepared ‘spices and ointments’ before the Sabbath and took them to the tomb early on Sunday morn-ing (after observing the Sabbath day of rest), as the women who had accompanied Christ from Galilee: ‘Mary Magdalene, and Joanna, and Mary the mother of James, and other women that were with them’. According to Mark, the only Apostle to record the actual purchase of the spices, it occurred only after the Sabbath: ‘when the Sabbath was past, Mary Magdalene, and Mary the mother of James, and [Mary] Salome, had bought sweet spices, that they might come and anoynt him’.6 By the time the Holy Women arrived at the sepulchre early on Sunday morning, their spices could no longer be used for their intended purpose. The tomb contained empty winding sheets, but no body.7

The earliest known image possibly representing the Marys at the Sepulchre is a fres-co of c.240 AD in the Dura Europos Baptistery. It depicts three women approaching a tomb-like building, whose simplicity of structure predates the Rotunda of the Ana-stasis or Resurrection. Built to enclose the Holy Sepulchre following its discovery in Jerusalem in 326 AD, the Rotunda was an important element in Constantine’s elaborate Holy Sepulchre basilica complex, which quickly became one of Jerusalem’s most icon-ic pilgrim sites. Another tentatively identified early example of this composition is a

5 See ProsKauer: Iconographia; BesoMBes: zahnheilkunde; LässiG/MüLLer: zahnheilkunde; jurina: Quacksalber, pp. 125–135; neuMeister: Gaukler (on St Apollonia, see pp. 7–31).

6 Bible: The Gospel According to St Matthew (27:56; 28:1), St Mark (16:1–2), St Luke (23:55–56; 24:1; 24:10), St John (19:38–42; 20:1). ‘Mary’ Salome was the wife of zebedee and mother of his sons, the disciples James the Great and John. Maria Jacobi, mother of Joses and the disciple James the Less, was possibly the wife of Cleophas.

7 on Christ’s body at the sepulchre as a powerful example of an absent or invisible stage prop (‘dark matter’) in medieval liturgical drama, see soFer: Readings, pp. 329–331.

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badly mutilated late fourth-century mosaic scene in the church of S Giovanni, Naples.8 from around 400 AD, unmistakable illustrations of this biblical episode were created in a wide range of media, including ivory and wood carvings, mosaics, metalwork, manuscript drawings, and after the tenth century, also stone carvings, enamel-work and altarpiece paintings. Pre-ninth-century depictions feature two, or exceptionally three, Holy Women approaching Christ’s tomb, guarded by soldiers, where an angel informs them that it is empty. Hellenistically inspired works tended to feature classical funerary constructions, while the elaborate sepulchres characteristic of the more natuaralistic, narrative Syrian versions of these early depictions is thought to be based directly on the turgurium of Constantine’s Rotunda.9 occasionally, as in panel three of an early fifth-century Roman ivory casket now at the British Museum, the relief carvings with which this structure is sometimes decorated refer to Christ’s miraculous raising from the dead of Mary Magdalene’s brother, Lazarus. from the sixth century, it became customary for each of the Marys to be depicted holding a spice censer. occasional depictions of the Holy Women carrying a censer,10 or even both an unguent container and a censer,11 continued to occur after the start of the ninth century, from when each typically carries just a pot.

The basic iconographic formula of the Holy Women carrying their spice or unguent pots, encapsulating the central Christian ritual from which the whole of Europe’s rich tradition of medieval religious stage drama developed, survives in countless medieval depictions.12 Illuminated manuscripts feature three, rarely two, exceptionally even four or five Holy women.13 Many, such as those of the Bamberg Apocalypse of c.1000–20, produced in Reichenau, or the Psalter of Ingeborg of Denmark of c.1210 in Chan-tilly, continue to depict soldiers or guards.14 While the composition continues to oc-cur in small carvings, such as an ivory relief of c.1140 in the Metropolitan Museum, New York, or several thirteenth- and fourteenth-century ivory reliefs in the British Museum,15 during the medieval period it also becomes a subject for painted altarpiec-es, such as Duccio’s ‘Maèsta’ of 1308–11 in Siena Cathedral, or Jan van Eyck’s ‘Three Marys at the Tomb’ of c.1430. Van Eyck’s left-hand Holy Woman holds a possibly Syrian blue and white ceramic apothecary jar of the type that became so popular in this context when their European production started in Spain and Italy from around 1440.16 Because of their central importance in medieval Visitatio Sepulchri performances, the Marys customarily feature prominently on the Lenten altarcloth (fastentuch), tradi-tionally used to cover the high altar during the Lent fasting period in some German-speaking regions. Most of these altarcloths, such as the Baldramsdorfer fastentuch

8 cooK: Panels, p. 337. 9 MâLe: Art, pp. 55–59, 88–90. 10 Eg Mauritius portable altar, c. 12th century, enamelled metalwork. Siegburg, St Servatius.11 Eg an early 10th-century ivory relief produced in St Gall, now in London (Victoria and Albert Museum

380–1871).12 cooK: Panels, pp. 332–363; auGustyn: frauen.13 cooK: Panels, pp. 337, 350, Plate 42; for 4 women, see also St Gall Sakramentar, c. 1022–36, Berlin

SMPK, MS.Theol. Lat. fol. 2, fol. 132v.14 Bamberg, Staatsbibliothek, Cod. bibl. 140 (A.II.42), fol. 69v; Chantilly MS 9–1695, fol. 28.15 Such as ivory reliefs on an early 13th-century English diptychs, and on french diptyches of the mid and

late 14th centuries (London, British Museum: BM 1894,0309.20; BM 1885,0805.1; BM 1856,0509.3).16 Rotterdam, Museum Boymans-van Beuningen, inv.no. 2449; GaBa-van DonGen: Jar.

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of 1555, are painted. A late example, the Telgte fastentuch of 1623, which is stitched rather than painted, features an unusually simplified depiction of three unguent-bear-ing Marys. Such iconographic simplicity is first heralded in Trier’s late tenth-century ‘Codex Egberti’, which closely follows the introduction of the oldest liturgical drama, the Visitatio Sepulchri, first documented by St Dunstan, in 967 AD (fig. 1).17 In a mov-ing female counterpart to the three gift-bearing kings who heralded Christ’s birth in a simple Bethlehem stable, the Trier illumination depicts only the three unguent-bearing Holy Women themselves, approaching a single angel, seated not in front of an elaborate sepulchre, but on an undecorated sarcophagus or tombstone. Not without consider-able reservations, most specialists agree that, over and above the influence of artistic convention, certain compositional variations and innovations in Visitatio Sepulchri de-pictions between the tenth and seventeenth centuries are less an indication of any en-gagement with the historical realities of life in biblical Israel, than a reflection of what artists observed on the religious stages of their own local churches.18

III. Passion play merchant scenes

At a time when the high cost of importing Eastern spices predominantly restricted their use to medicinal purposes, healthcare professionals, whether spice merchants, apothecaries or quacks, established themselves as the earliest and most significant non-Biblical secular characters on the medieval European religious stage. This significant dramatic influence on visual depictions of the Holy Women led to the development of a completely new iconographic tradition, supplementing, sometimes even replacing, the traditional scene of the Marys at the Sepulchre with an extra-liturgical addition to the New Testament story, in which the women purchase their unguents or spices from spice merchants or quacks. Medieval stage practitioners were concerned to provide a dramatic context for the spice, oil, unguent, and cosmetics containers (such as boxes,

17 MâLe: Art, p. 130. 18 MâLe: Art, pp. 126–153; cooK: Panels, pp. 325–326, 347, 355–360.

fig. 1: Anonymous, The Three Marys at the Sepulchre, Codex Egberti c.980s AD. Trier, Stadtbibliothek, MS 24 fol. 86v.

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pyxes, thuribles, censers or pots) which became a traditional stage property for Passion play actors and actresses19 representing the Holy Women at the sepulchre on Easter Sunday, and were also required for Mary Magdalene’s cosmetics, her oils for washing the feet of Christ, the foolish virgins’ lamp oil, or Nicodemus’s spices. Despite only the most tenuous biblical indications, dramatists introduced into their Passion plays a new episode, involving secular characters. In its earliest and simplest form, this involved the brief stage appearance of a single spice merchant. Itinerant quacks often marketed their medical trading and healing with a strong element of street entertainment,20 and the inflated claims and quack-like patter of those playing spice merchants made their mark even on the earliest surviving drama texts. onstage speaking healers were already established on the religious stage by around 1100 AD, when Le Sponsus, based on the parable of the Wise and foolish Virgins, was performed in Latin and Romance at the Monastery of St Martial in Limoges.21 This play’s spice merchant (‘mercatores’, ‘merchaans’) unsuccessfully markets his oils to the five foolish virgins, in a vernacular speaking role with hugely comic resonances for audiences used to hearing qualified, physicians mock itinerant healers for their lack of Latin. Also around 1100 AD, in the Latin Ludus Paschali of the Catalan Abbey of Ripoll (at Vich, near Barcelona), the Marys share the stage with a young spice merchant (‘mercator iuvenis’) who hyper-bolically assures them that his ointment prevents all further decay or worm damage to corpses annointed with it.22

No doubt influenced by their exotic theatricality and potential for comic stage busi-ness, early cameo appearances established the quack-like spice merchant or ‘unguen-tarius’ as such a popular character on the religious stage that in some central European regions it expanded into a major speaking role for one, sometime even two, quack cou-ples and their servants, and developed into the highly popular Passion play merchant scene. By the fourteenth century, Passion plays such as the Innsbrucker osterspiel of 1391 included a whole scene dominated by a mixed-gender quack troupe of this type, selling medicines and medical services, performing comic antics, and cracking ribald jokes of a medical nature.23 only rarely has the dialogue of such scenes been preserved in the surviving playtexts. However, my researches have identified several examples of documentary evidence suggesting that this merchant scene was widely played in certain German-speaking regions, even when it went unrecorded in the official playtext. for example, even though there are no quacks in the playtext thought to have been used for the performance of the Sterzing (now Vipiteno, Italy) Passion play directed by Vigil Raber in 1514, Raber’s cast list includes several male and female quacks.24 Some other religious playtexts without merchant scenes include, appropriately placed between ful-ly scripted scenes, a sentence such as one of 1486 (‘here you may introduce the doctor

19 sMoLDon: Music, p. 478, documents several performances in which nuns represented the Marys.20 See KatritzKy: Healing, pp. 143–159.21 cousseMaKer: Drames, pp. 1–10; younG: Drama II, pp. 361–369.22 LiPPharDt: osterfeiern, Nr. 823.23 for a table summarizing quack appearances in 70 religious plays (1100–1600), see KatritzKy: Text,

pp. 117–126.24 neuMann: Schauspiel, pp. 190–204; KatritzKy: Women, pp. 23–31.

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and his servant’), or another noting that ‘Here Rubinus [a popular name for the quack’s male assistant] enters, announcing the play’.25

The Gospel of Mark alludes to the Marys’ purchase of spices, without, however, providing any indication of where, or from whom. Precedents for the visual tradition of religious spice purchasing come not from the bible, but from medieval theatrical culture. The main visual examples of the spice-purchasing scene survive in Roman-esque carvings, such as those at Saint-Trophîme at Arles (fig. 4), commonly cited as an iconographic cycle exhibiting the strong influence of religious plays such as the Ludus Paschalis of Tours or the Carmina Burana of Benediktbeuern.26 This provides one of the four compositionally related examples of the purchase scene documented by Emile Mâle and Sigfrid Hofmann, all occuring in the context of multiple depic-tions of the Holy Women on twelfth-century stone carvings produced or influenced by Provençale sculptors. one is on the mid-twelfth-century tympanum frieze of the west façade of the Church of St-Gilles-du-Gard, in Gard. on the right, it depicts three Holy Women at the Sepulchre, on the left, the three women with two itinerant spice merchants or quacks, at a table with weighing scales and pots of unguents and spices.27 The right-hand side of a frieze at Notre-Dame-des-Pommiers depicts a similar scene (fig. 3b).28 At Saint-Trophîme in Arles, this basic composition is adapted to fit the nar-rower space of the northeast cloister pillar, by placing the three standing Holy Women, each holding an unguent or spice jar, frieze-like above two merchants seated at their trading table with their weighing scales (fig. 4).29 The Arles cycle’s scene at the sepul-chre includes not one angel, as had been the rule before the twelfth century, but two, yet another iconographic development widely attributed to the influence of liturgical drama.30 Controversially, Mâle also attributes to Provençale sculptors his fourth exam-ple, a carved capital (or possibly holy water stoup) now in the Museo Civico, Modena (fig. 3a). More plausibly, other specialists attribute it to a slightly earlier Lombard

25 LiPPharDt/roLoFF: Spiele, vol. 2, p. 155: ‘Hic potes introducere medicum cum servo suo, si placet’; suPPan/janota: Texte, p. 54: ‘Tunc veniet Rubinus proclamando ludum’.

26 Donovan: Review, p. 372. 27 De Lasteyrie: Études, p. 113, Plate XII; MâLe: Art, p. 138, Plate 122; hoFMann: Salbenkauf. 28 De Lasteyrie: Études, pp. 121–123, fig. 31; MâLe: Art, p. 138, Plate 123; cooK: Panels, p. 360, Plate 52;

hoFMann: Salbenkauf. 29 De Lasteyrie: Études, p. 55, Plate XI; MâLe: Art, pp. 133–134; hoFMann: Salbenkauf; sevestre:

Marchand, p. 43, Plate 1. 30 Bible: The Gospel According to St Matthew, 28:2–6 (1 angel); St Mark, 16:5–7 (1 angel); St Luke, 24:4–7

(2 angels); St John, 20:12 (2 angels). See also MâLe: Art, pp. 129–130; cooK: Panels, pp. 359–360.

fig. 2: Anonymous, The Two Marys buying spices, uta Codex c.1020 (detail). München, Bayerische Staatsbibliothek, MS cod. lat. mon.13 601 fol. 41v.

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fig. 3a: Anonymous, The Three Marys buying spices from two spice merchants, twelfth-century stone carving (detail). Modena, Museo Civico, capital.

fig. 3b: Anonymous, The Three Marys buying spices from two spice merchants, twelfth-century stone carving (detail). Beaucaire, Notre-Dame-des-Pommiers, south façade, frieze.

fig. 3c: Anonymous, The Three Marys buying spices from two spice merchants,

twelfth-century stone carving (detail). Paris, Musée de Cluny, inv.no. 19002, Catalan capital.

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sculptor, perhaps Benedetto Antelami. on one side, two Holy Women comfort the third, who faints with grief over the tomb; on the other side, all three purchase spices from a bearded older spice merchant holding a pair of scales, and his young, beard-less assistant, both standing at their trading table.31 Compositionally and stylistically related twelfth-century Catalan examples documented by neither Mâle nor Hofmann include the eighth narrative capital in the cloister of the Monastery of San Cugat del Vallés near Barcelona (c.1190–1220), whose carvings depict the Holy women buying spices, and again at the tomb, and a stone capital in the Musée de Cluny featuring the Holy Women queuing to buy from two merchants seated at a trading table with scales and jars, one said to be wearing a distinctive Jewish cap (fig. 3c).32

Although visual depictions of religious spice purchasing scenes are rare outside twelfth-century Lombard, Provençal or Catalan stone carvings, Hofmann documents both one earlier and one later example: an illumination in the early eleventh-century ‘uta Codex’ and a thirteenth-century German sculpture. The ‘uta Codex’ was com-missioned c.1025–45 by uta, Abbess of the Convent of Niedermünster in Bavaria.33 one of its illuminated folios includes two depictions of the Marys. In its top left-hand

31 MâLe: Art, pp. 138–140, Plates 124–125; cooK: Panels, pp. 360–363, Plate 53; hoFMann: Salbenkauf. 32 Donovan: Review, p. 372; sevestre: Marchand, p. 43, Plate 2. 33 cohen: Codex.

fig. 4: Anonymous, The Three Marys buying spices from two spice merchants, twelfth-century, marble carving (detail). Arles, Saint-Trophîme, cloister pillar.

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roundel, the two women purchase unguents from one young male spice merchant, pointing to variously-packaged wares on his trading table (fig. 2); its top right-hand roundel shows them taking their purchases to the sepulchre. Two stone carvings on the inner walls of the Holy Tomb (c.1270s) in the St Maurice Chapel (Mauritiuskapelle) of Konstanz Cathedral feature the three Holy Women, of which one depicts them opposite an apothecary using a mortar and pestle.34 In later manuscript illuminations commissioned by leaders of religious communities, I have identified an iconographic development undocumented by these authorities, interpreting the spice-purchasing theme rather differently. Rather than featuring itinerant healers, they situate the pur-chase scene at a covered, stonebuilt apothecary, custom-fitted with shelves of pots, lo-cated within a permanent architectural complex. In one such miniature, illuminated by Jörg Gutknecht of Augsburg for the psalter commissioned in 1515 by the nuns of the Tegernsee Convent in Bavaria, the three Holy Women collect their unguent pots from a habit-wearing female convent pharmacist.35 A manuscript copy of Arnoul Gréban’s ‘Le Mystère de la Passion’ (c.1470) includes two such depictions of purchase scenes. In one, Nicodemus is served by a bearded monk at a portable wooden bench, in the other, a nun behind a solid counter serves the three Holy Women.36 Some versions of Gréban’s playtext feature three seperate purchasing scenes here. Joseph of Arimathea’s visit to a female silk merchant to purchase the winding cloth is immediately followed by Nicodemus’s purchasing scene, and in due course by the Holy Women’s purchas-ing scene.37 The ‘notable and pervasive’ impact of female practitioners, such as the poet and musician Heloise, on the development of the Easter drama is attracting increas-ingly scholarly recognition.38 It is not clear to what extent, if any, such women shaped dramatic spice-purchasing scenes, or even to what extent the iconography directly and faithfully reflects ongoing trends on the religious stage. However, theatrical develop-ments would not have gone unnoticed by artists, especially those who, like the theatre director Vigil Raber and his wife, were themselves also directly responsible for the vis-ual input into religious plays. Most images of religious oil, unguent or spice-purchasing scenes occur in the context of the merchant scene of the Marys at the Sepulchre. In marked contrast, there was no confinement of the cast and comic business of liturgical stage quacks to the Easter merchant scene. Rather, the Passion play merchant scene occurs in varied dramatic contexts, and has a self-contained, improvisational nature reminiscent of comic routines on the early modern professional stage.39 Its popularity was such that it persisted even beyond the sixteenth century, by which time it was also breaking free from the religious stage to enrich the secular Italian, German and french stage with independent farces and full-length plays featuring quack healers. This pro-cess of dramatic secularization is, I would suggest, relevant to an examination of the progressive secularization of the motif of the quack healer in the visual arts.

34 hoFMann: Salbenkauf. 35 München, Bayerische Staatsbibliothek, cod. lat. mon. 19 201, fol. 164r.36 Arnoul Gréban, Le Mystère de la Passion, illuminated c.1470 by Philippe de Mazerolles: Nicodemus

(Paris, Bnf, Bibliothèque de l’Arsenal, MS 6431, fol. 202v; GascoiGne: World, p. 70, Plate 55); Holy Women (KinDerMann: Theatergeschichte, p. 308, Plate).

37 Paris/raynauD: Mystère, pp. 351, 372–373.38 wuLstan: Drama, p. 355. 39 for detailed discussion of this point, see KatritzKy: Text.

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IV. The religious origins of quack depictions

During the early seventeenth century, itinerant toothdrawers and marketplace quacks were popularized as a subject by artists of the calibre of Rembrandt van Rijn,40 Adriaen Brouwer,41 Andries Both,42 Pieter van Laer,43 Jan Miense Molenaer44 or the Caravaggisti Theodoor Rombouts and Gerrit van Honthorst. Rombouts is associated with a compo-sition featuring a Tooth-extractor known in some dozen versions dating to around the mid-1620s, of which those closest to his own hand are in Ghent, Madrid and Prague; Honthorst signed and dated paintings of Tooth-extractors of 1622 (Dresden) and 1627 (Louvre), of which painted copies are known in Liechtenstein, Vienna and elsewhere.45 Despite vigorous rejection on grounds of connoisseurship by most experts, Mina Gre-gori strongly supports acceptance of the animated but awkwardly composed Palazzo Pitti ‘Toothpuller’, as Michelangelo Caravaggio’s (1571–1610) painting of this subject viewed in florence by the physician francesco Scannelli, within two decades of its be-ing recorded in a Pitti Palace inventory of 1637:46

Some years ago, in the rooms of his Serene Highness the Grand Duke of Tuscany, I also saw a picture of his characteristically naturalistic half-figures, depicting a charla-tan pulling a peasant’s tooth, and if this picture were in good condition – instead of being largely obscured and damaged – it would be one of the most admirable works painted by him [Caravaggio].47

Despite Christiansen’s detailed case for its implementation of Caravaggio’s late work-ing techniques, Gregori’s attribution of the ‘Toothpuller’ as a late autograph Caravag-gio is ignored or treated with extreme caution by most specialists.48 If this ‘Tooth-puller’ painting, currently hanging in the Pitti Palace, is by Caravaggio, it represents yet another of his groundbreaking contributions to the development of genre painting. Regardless of whether (as seems entirely plausible) the inventory of 1637 and Scan-nelli’s account of 1657 refer to this painting, these two documents strongly suggest that Caravaggio was the pioneer of the full-scale painted composition so favoured by his followers and other seventeenth-century genre painters, of a group of onlookers watching a quack treating a patient.

40 Benesch: Drawings, cat. Nos 416–417: ‘Quack addressing a crowd at a fair’.41 ProsKauer: Iconographia, pp. 35–37, 44, plates 37–39, 46.42 neuMeister: Gaukler, pp. 107–109.43 KatritzKy: Medicine, p. 136, plate 13.44 neuMeister: Gaukler, pp. 48–51, 110; weLLer: Molenaer, pp. 75–76.45 ProsKauer: Iconographia, pp. 26–28, plates 28–30; nicoLson: Caravaggism I, pp. 127, 166 and III,

plates 1013–1014, 1261, 1296; Franits: Painting, pp. 76–78; Gash: Toothpuller, pp. 136–137.46 GreGori/Bayer: Pittori, pp. 250–251. The 1637 Palazzo Pitti inventory includes: ‘A painting on canvas

by Caravaggio of a toothpuller and other figures around a table’ (ASf Guardaroba 525, fol. 572, quoted in translation by sPiKe: Caravaggio, cat. 83).

47 scanneLLi: Microcosmo, p. 199: ‘Viddi pure anni sono nelle stanze del Serenissimo Gran Duca di Tos-cana vn Quadro di meze figure della solita naturalezza, che fà vedere, quando vn Ceretano caua ad vn Contadino vn dente, e se questo Quadro fosse di buona conseruatione, come si ritroua in buona parte oscuro, e rouinato, saria vna delle più degne operationi, che hauesse dipinto’.

48 for: GreGori/Bayer: Pittori, pp. 250–251; christiansen: Caravaggio, pp. 435–436, 438; Gash: Tooth-puller, pp. 135–139, 153n.12. Against: sPiKe: Caravaggio, cat. 83; Franits: Painting, pp. 77, 272n.75).

135Lucas van Leyden’s ‘Toothdrawer’ 1523

Like most genre subjects, artists did not merely treat quack topics as scenes of eve-ryday life. They acknowledged a long tradition of pictorial conventions, with strong roots in Christian iconography and complex religious and moral connotations. one way in which secular drama developed from the religious stage was by building on the success of brief extra-liturgical scenes. Quasi-autonomously lodged within long reli-gious plays, these ostensibly secular episodes were steeped in religious meaning. Many centuries separated quacks’ first tentative foot in the door of the European stage, as un-accompanied, non-speaking spice merchants, from their triumphant domination as the noisy itinerant mixed-gender troupes of the lengthy merchant scenes of some fifteenth- and sixteenth-century Passion plays. When itinerant quacks were transplanted onto the secular stage, in the farces and plays of the commedia dell’arte and of dramatists such as Hans Sachs or Molière, this long tradition left its mark; they did not shake off all their religious connotations. Similarly, the quack healer as a fully formed, self-contained sec-ular subject for the visual arts in seventeenth-century genre art drew on a long icono-graphic tradition. It first flourished as modest self-contained vignettes within larger religious or allegorical pictorial cycles or compositions. A fifteenth-century drawing of Luna represents a bold stage in the continuing consolidation of this iconographic process (fig. 5), initiated by the eleventh- and twelfth-century spice-purchasing scenes of the Holy Women (fig. 2–4). In the lower half of the drawing, the anonymous Haus-buch Master, an artist celebrated for exceptionally innovative exploration of secular subjects, features an itinerant quacksalver selling his wares at his portable outdoor ta-ble, supported by his trumpeter and his monkey. By around 1540, an outdoor market-place toothdrawer and his patient appear as a small detail in the market scene within Heinrich II Vogtherr’s monumental painting, in Augsburg, of the three months oc-tober, November and December.49 unlike these German examples, the scene of the itinerant toothdrawer in Hieronymus Bosch’s ‘The Haywain’ proved extremely influ-ential (fig. 7, Plate 10). In this small detail in the lower centre of his painting, Bosch brought together many of the iconographic elements of later quack pictures, including their three main protagonists, the quack, his patient and his assistant. Bosch’s theatri-cally costumed quack, assisted by a bag-pipe player, attends to a patient at his table. This displays his medical wares, his certificate and medical realia, notably the chains of extracted teeth advertising his specialist services to potential patients. Pieter Bruegel the Elder’s signed and dated drawing of 1557, ‘Superbia’, published as a print in Pieter van der Heyden’s 1558 series of the seven sins, pays homage to Bosch by including a barber-surgeon engaged in dental activity inside a cramped surgery, in front of which a nude patient is having her hair washed by two demonic assistants (fig. 11). In strong contrast to the virtuous, qualified physician inspecting the urine flask on the right-hand side of ‘Prudence’, a drawing of 1559 in Bruegel’s companion cycle of the seven virtues, the squatting defecator on this barber’s roof further emphasises the unhygenic, sinful nature of his medical practice, already loudly signaled by his display, on his roof and outer walls, of sheet music, a lute, and a licence authenticated with two seals.50

49 KatritzKy: Toothdrawers, p. 148, colour plate 5; KatritzKy: Medicine, p. 123, plate 1.50 seLLinK: Bruegel, pp. 92, 98, 105, 135, 142, 149, plates 48 (‘Superbia’, drawing), 55 (‘Superbia’, print),

84 (‘Prudentia’, drawing), 91 (‘Prudentia’, print).

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fig. 5: Meister des Hausbuchs, Luna, c.1475–85, drawing. Schloss Wolfegg, Sammlung der fürsten zu Waldburg-Wolfegg, German Housebook, fol. 17r.

137Lucas van Leyden’s ‘Toothdrawer’ 1523

Colourful quack scenes became popular enough to be introduced into a wide range of pictures. Particularly important in this context is a compositionally related group of paintings variously attributed to followers or imitators of Bosch or Bruegel, whose subject is ‘Christ Driving the Traders from the Temple’.51 Although there is no biblical precedent for their inclusion amongst the various livestock dealers, money-lenders and other traders who were expelled, quacks were generic early modern market-place trad-ers. The left-hand side of each of these paintings features an itinerant quack couple shel-tering directly outside the Temple, their medical goods displayed for sale at a portable table, while the male attends to a patient and his wife attends to their child. The three in public collections are in the National Gallery of Denmark, Copenhagen,52 Kadriorg Art Museum, Tallin, Estonia,53 and Glasgow Museums and Art Galleries, Scotland, this last thought to date to c.1570, and bearing the forged signature ‘Iheronimus Bosche’.54 A fourth version, in markedly different style, was sold on the London art market in 2009 from a french private collection, attributed to ‘circle of Bosch, manner of Jan Mandijn (c.1500–60)’, and is still owned privately (fig. 10, Plate 11).55 Dendrochrono-logical investigations suggest that the wood subsequently used for the panel of Plate 10 was felled after 1530, that for the Tallin painting after 1559, and that for the Copen-hagen painting (according to whose art market catalogue details of 1930, it then bore traces of a signature and the date MDLXIIII), after 1562.56 In 2002, I investigated these paintings in the context of an inquiry into the much-disputed ink sketch in which Vigil Raber summarized his stage design for the performance of the Sterzing Passion play he directed in 1514 (fig. 6). I suggested that Raber’s drawing represented his design for a simultaneous stage whose central focal point was the Jerusalem synagogue from which Christ drove out the traders, and that rather than depicting historical recreations of actual buildings, the artists of the Temple paintings were basing their central Temple structure on simultaneous religious stages of the type sketched by Raber.57 The Temple painting quacks, I suggest, are at one remove from everyday life, neither biblical nor early modern quacks, but Passion play actors, performing the roles of quacks on the sixteenth-century religious stage. These northern pictures continue the iconographic tradition of the medical salesman at his portable outdoor trading table, pioneered in Romanesque spice purchasing scenes (fig. 2–4). one of the earliest Italian paintings of medical salesmen is Giulio Romano’s fresco ‘The Snake Charmer’, part of a large ceiling cycle of c.1528 in the Palazzo del Tè (fig. 9, Plate 10). Drawing on Roman carv-ings representing one or more snake-wielding gods of medicine, it is the fore-runner

51 Bible: The Gospel According to St Matthew (21:12–13); St Mark (11:15–17); St Luke (19:45–46), St John (2:13–16).

52 FrieDLänDer: Neues, p. 55 (as copy after P. Bruegel, Berlin, Galerie Matthiesen); ProsKauer: Iconographia, p. XXII, plate III; LässiG/MüLLer: zahnheilkunde, pp. 50–51, colour plate 53 (detail); neuMeister: Gaukler, pp. 34–35; KatritzKy: Stage, plate 2; herMens: Trail, p. 4, colour plate 1.

53 KatritzKy: Stage, plate 3; herMens: Trail, p. 5, colour plate 2.54 KatritzKy: Toothdrawers, p. 147, colour plate 4; KatritzKy: Stage, plate 4; KatritzKy: Women, pp. 45–

58, plates 9–10; herMens: Trail, p. 6, colour plate 4. My thanks to Hugh Stevenson (Curator for British Art), for steadying the ladder when I examined this painting in 2005.

55 FrieDLänDer: Neues, p. 58 (as P. Bruegel, Paris art market); BesoMBes: zahnheilkunde, p. 2065, plate 2228; KatritzKy: Stage, plate 5a; herMens: Trail, p. 6, colour plate 3.

56 herMens: Trail, pp. 47–53.57 KatritzKy: Stage.

138 M A Katritzky

fig. 6: Vigil Raber, Stage design for the 1514 Sterzing Easter Passion play, ink sketch, 1514. Vipiteno (Sterzing),

Archiv der Gemeinde Sterzing, Vigil Raber Sammlung, Handschrift des Spiels am Passionstag, HS. V, fol. 1r (detail).

of countless depictions of performing quacks on raised trestle stages produced south of the Alps, by northern as well as Italian artists. This composition was popularized by its inclusion in the typical pictorial series of Veneto costumes and customs collected during the half century or so around 1600 by German students, noblemen and journey-men seeking to decorate their friendship albums with souvenir pictures of their stay in Padua or Venice.58

58 KatritzKy: Healing, plates 34–36, 38; KatritzKy: Women, pp. 61–72.

139Lucas van Leyden’s ‘Toothdrawer’ 1523

As well as being one of the first to introduce quack scenes as a detail into his pic-tures, Hieronymus Bosch may have pioneered stand-alone quack compositions. His well-known painting ‘The Conjurer’ depicts an itinerant entertainer using sleight of hand to juggle dice beneath cups.59 While it is not clear whether this figure is engaged in medical trading or practice, the subject of a closely related composition, ‘The Prestidig-itator’, in the Philadelphia Museum of Art, quite clearly is.60 Attributed to a follower or imitator of Bosch, it extends the composition to the right of a similar conjurer with ad-ditions perhaps derivative of an unknown Bosch composition, featuring a quack seated at his trading table beneath a banner advertising his medical specialities. Whether or not the quack group in ‘The Prestidigitator’ reflects the compositional invention of Bosch himself, who died around the year 1516, an extremely significant print by Lucas van Leyden further develops the motif of the pocket-picking quack accomplice that is such a striking feature of both these paintings, and conclusively demonstrates the existence of the stand-alone quack picture by 1523 (fig. 8).

59 Saint-Germain-en-Laye, Musée Municipal, oil on panel, 53 x 65 cm. 60 KatritzKy: Medicine, p. 134, plate 12.

fig. 8: Lucas van Leyden,

The toothdrawer, 1523, copper engraving.

London, British Museum.

140 M A Katritzky

V. Lucas van Leyden’s ‘Toothdrawer’

‘The Toothdrawer’ (fig. 8), signed in monogram and dated 1523 in the plate, is perhaps the most popular and influential of all the prints of Lucas van Leyden.61 Its subject is an exotically costumed healer, who signals his medical speciality to the illiterate by the drawn teeth of his patients, liberally sewn into his rakish bonnet, in a manner recalled a century later in Sorel’s landmark literary description of an Italian toothdrawer ha-ranguing Parisians on the Pont Neuf: ‘who had on him a furred Coat, a Taffety Cloak, a Sword hanging on his right side, and a Hatband made of Teeth, which were filled all to one evennesse’.62 He, his patient, and his assistant are the three protagonists familiar from the toothdrawer scene in Bosch’s ‘Haywain’ (fig. 7, Plate 10). However, while Bosch’s toothdrawer is assisted by a male instrumentalist, van Leyden’s assistant is a female thief, depicted picking their patient’s pocket. This compositional refinement is also present in the Temple paintings (fig. 10, Plate 11), where a member of the crowd, perhaps the quacks’ accomplice, tries to steal a purse or goose. It became extremely widespread amongst artists influenced by Leyden’s print, who ranged from hack imita-tors to celebrated seventeenth-century painters. Within decades, variants of his tooth-drawer trio featured as small pictorial details within larger compositions such as Sebald Beham’s monumental woodcut ‘Das große Kirchweihfest’ of 1539, or as a template for book illustrations such as the toothdrawer in Dryander’s ‘Artzenei-Spiegel’ of 1547 or Jost Amman’s prints for Hans Sachs’ ‘Book of the Trades’ of 1568.63 Here, rather than standing, as in van Leyden’s print, the patient is generally seated on a block, bench or barrel; Dryander’s patient is female, and neither his nor Amman’s woodcut depict the toothdrawer’s accomplice. Wide Italian circulation for van Leyden’s ‘Toothdraw-er’ composition was ensured by the engraved reversed copy of Nicolò Nelli (active 1552–79). unable to achieve its subtle modulation, Nelli summarizes the sorry pro-ceedings between the cheating charlatan, his crafty wife and the miserable peasant in bold strokes and, for good measure, in the text of the small banner at top left.64

Van Leyden’s precociously outstanding printmaking skills swiftly gained him Eu-rope-wide recognition, and the significance of his ‘Toothdrawer’ print was recognized from the start. In the context of a detailed consideration of his rivalry with Albrecht Dürer, Giorgio Vasari amply praises it in the 1568 second edition of his ‘Lives of the Artists’, as: ‘a very beautiful little print of a peasant, who feels such pain while his tooth is being extracted, that he is unaware that a woman is meanwhile picking his purse’.65 Nicholas Hilliard’s Treatise concerning the art of limning of c.1600 also favourably

61 cat. Mus.: Druckgraphik, pp. 141, 150 (cat. 129a).62 soreL: History, p. 27. 63 jurina: Quacksalber, pp. 130–131, plates 155–156, 158–160. 64 ‘Mentre di bocca il falso Cerretano/Il dente caua, la sua Donna astuta/Vota la tasca al misero Villano’.

Ashmolean Museum, oxford (WA1863.5495, provenance: francis Douce L.689 verso, Bodleian Li-brary), 11.5 x 7.5 cm, signed in monogram in the plate.

65 vasari: Vita, pp. 298–299: ‘Et Alberto tornato in fiandra, trouò vn’altro Emulo, che gia haueua com-inciato à fare di molti intagli sottilissimi à sua concorrenza: e questi fu Luca d’olanda […] fece il me-desimo molte stampe piccole, […] et è molto bello vn Villano, che facendosi cauare vn dente, sente si gran dolore, che non s’accorge, che in ta[n]to vna donna gli vota la borsa’.

141Lucas van Leyden’s ‘Toothdrawer’ 1523

compares van Leyden to Dürer, as does Karel van Mander.66 Van Mander’s detailed 1604 life of van Leyden painstakingly documents the authenticity of the dates of birth and death he had researched for van Leyden (1494–1533) from the artist’s surviving relatives, and stresses that, even as a young child, he took great care to perfect his ability to draw and paint from life.67 Van Mander’s commendation of ‘The Toothdrawer’ takes Vasari’s admiring passage as its template:

a small print which Vasari praises in his writings, in which you see a peasant who seems to be suffering so much pain from a tooth which is being extracted by a quack-

66 ‘Hendrick Goltzius aproched Albertus very neer, most admirably imitating him and Lucas of Leyden’ (Hilliard, quoted in MeLion: Canon, pp. 49).

67 van ManDer: Schilder-Boeck, sigs. 211r–215r (sig. 211v: ‘Nemmermeer en liet hy af van alle dinghen nae t’leven te conterfeyten/tronien/handen/voeten/huysen/Landtschappen/en alderley stoffen van laken/in welck hy sonderlingh behaghen hadde’).

fig. 11: Pieter Bruegel the Elder,

Superbia – Pride, signed and dated 1557, drawing, 23 x 30 cm (detail: The toothdrawer).

Paris, Collection frits Lugt, Institut Néerlandais, inv.no. 465.

142 M A Katritzky

salver, that he is completely unaware of the fact that meanwhile a woman is picking his pocket.68

Writing in 1662, John Evelyn, again in the context of a detailed comparison to Dürer, rounds off his appreciative summary of van Leyden’s output with an allusion to ‘The Toothdrawer’ that directly acknowledges quack performativity:

what procur’d him immortal glory was his great Crucifix; Ecce Homo, and Conver-sion of St. Paul; in which he exceeded himself both for the work and ordinance; the distances being better conducted then Alberts, and indeed so well observ’d, as gave light even to some of the best Painters that succeeded him; so much are they oblig’d to this Art, and to this rare Workman: He graved also several Madona’s, our blessed Saviour and Apostles; together with divers Saints, Armes and Mantlings, a Mountebanc and many more.69

Prints attributed to van Leyden were extremely marketable, and ambitious artists and their patrons took careful note of such praise. Its commercial potential encouraged a desire and a market for genre pictures for their own sake. It is rarely easy to date or attribute copies after van Leyden’s ‘Toothdrawer’. Proskauer documents five: Nicolò Nelli’s print and two others, signed by G Wilmin and in monogram by J Visscher, a painting in the Devonshire Collection at Chatsworth, and a coloured drawing in Sig-mundt Heldt’s manuscript costume book of c.1560–80. Like Nelli’s print, this draw-ing’s moralizing text explicitly identifies the quack pair as cheats. They are on the left, tending a male patient, while on the right a female patient (like the one in the Beham woodcut noted above clearly in pain and clutching her swollen cheeks), waits her turn, seated at a trading table featuring similar containers and instruments to those in van Leyden’s print.70 In contrast to this, Heldt’s drawing depicts a complete quack poster. Liberally festooned with drawn teeth, it is inscribed: ‘Breaking teeth, poking out eyes, cutting off ears, what a Devil’. A separate caption at the top of the folio, identifying this picture as: ‘An itinerant toothbreaker at the country fair with his theriac wares’,71 offers insights into the nature of quack wares; theriac was the bestseller early modern panacea and poison antidote. Another copy after van Leyden, a panel painting formerly in the Spencer Collection at Althorp, was sold in 2009 on the London art market as ‘Ital-ian School, 17th century’.72 This and the Chatsworth copy testify to this composition’s popularity as a Grand Tour souvenir for the English nobility. further painted copies are in Budapest (Museum of fine Arts) and Bremen.

This last is widely accepted as a major autograph painting of c.1616–17 by Germa-ny’s greatest seventeenth-century genre painter, Johann Liss (c.1597–1631), then based

68 van ManDer: Schilder-Boeck, sig. 214r: ‘een cleen stucxken Print/dat Vasarius in zijn schriften prijst/daer men siet eenen Boer/welcken schijnt soo groote pijn te lijden van eenen tandt/die hem eenen Lap-salf uyttreckt/dat hy niet ghewaer wordt oft bevoelt/dat terwijlen een Vrouw hem de Tassche berooft’.

69 eveLyn: Sculptura, pp. 40–41.70 ProsKauer: Iconographia, pp. 10, 178, plate 11; LässiG/MüLLer: zahnheilkunde, p. 58, colour plate 62;

KatritzKy: Toothdrawers, p. 150, colour plate 7. 71 ‘zen ausprechen/augen aus ste/chen oren ab/schneiden we/lcher Deuffel’; ‘Ein zanprecher vnd Landt-

fahrer auff/der Baurnkirben mit seinem Tiriacks/kram’.72 Christie’s London, 8 July 2009, Sale 7744 lot 254, 85.5 x 62 cm.

143Lucas van Leyden’s ‘Toothdrawer’ 1523

in Venice (fig. 12). Born in north Germany, trained in the Netherlands, and spending most of his later career, cut short by illness and premature death, in Rome and Venice, his oeuvre and nationality only fully came to light in the twentieth century. Although no other painting by Liss features quacks as the main subject, his proven interest in de-picting festival scenes and street performers is reflected in the only extensive cityscape bearing his signature, the Schneider Collection’s artistically distinguished ‘A bullfight on the Piazza San Marco’.73 Previous unnoted close variants include one I was able to examine closely in the reserve collections of the Correr Museum, and another sold on the Amsterdam art market in 1990, attributed to Louis de Caulery.74 All three share similar formulaic architectural staffage, and glowingly contrasting grisaille background crowds, with numerous brightly costumed middle and foreground figures, delicately painted by a consummate colourist of high artistic skill. Willem Martin’s review of the 1928 Rome exhibition featuring the Schneider painting (for which he himself also wrote the catalogue entry), notes that it deviates in important respects from Liss’s ac-cepted oeuvre.75 Steinbart’s two substantial Liss monographs draw on close person-

73 on a painting I identify as the Schneider painting, see KatritzKy: Art, pp. 134–135, plate 126c. Its 1997 London art market sale catalogue entry attributes it to Louis de Caulery, lists it as ‘property of a Lady’ and its inscription as ‘Johann Lijs *6**’, without noting the Schneider painting or its inscription (‘Johann Lijs 16**’).

74 KatritzKy: Art, plates 126, 126b. 75 Martin: Lijs, pp. 57–58, plate 68; Martin: Tentoonstelling, pp. 108–109.

fig. 12: Johann Liss, The toothdrawer,

c.1616/17, oil on canvas, 129 x 97 cm. Bremen, Kunsthalle.

144 M A Katritzky

al knowledge of the Schneider painting; first to decisively reject it in 1940, then, in 1946, to unreservedly accept it as a genuine Johann Liss of around 1621.76 Perhaps not uninfluenced by Steinbart’s shabby war record, other specialists seem disinclined to trust his judgement. otto Benesch tentatively accepts the painting, while considering it ‘entirely in the tradition of Pozzoserrato, Paolo fiammingo, Gillis and frederick van Valckenborch’.77 The curators and catalogue of the Liss exhibition of 1975 ignored it completely.78 one reviewer of this exhibition pointedly notes of the Schneider paint-ing: ‘one would have expected some reference to rejected works that have repeatedly appeared in the Liss literature (eg […] a privately owned Bullfight in the Piazza di San Marco, falsely (?) signed Johann Lys or Lijs, dated 16–, and thrice accepted by Steinbart)’.79 Klessmann’s Liss monograph of 1999 relegates it to a brief unillustrated appendix of ‘inauthentic and wrongly attributed works (selection)’, where this signed work is attributed to an ‘unknown flemish artist, c.1610’ and dismissed in two lines of text.80

A popular print of 1610 by the Italian engraver Giacomo franco depicts Venetian, national and international audiences clustered around three mountebank stages on the Piazzetta. This and the Piazza San Marco were favoured backdrops for the Northern painters who contributed so substantially to developing the Venetian carnival as a city-scape genre. Long before the canvases of Joseph Heintz often cited as their pioneer, art-ists based in Venice catered to travellers keen to purchase visual souvenirs of their visit to the city and its carnival. By the 1560s, carnival views were routinely included in the souvenir costume series stocked by workshops specializing in small format drawings and prints suitable for binding into friendship albums. Lucas van Leyden contributed to the early modern development of genre paintings aimed at the Venetian tourist mar-ket by inspiring Johann Liss’s interest in mountebank depictions, and his monumental painted copy of van Leyden’s ‘Toothdrawer’ print.

VI. Conclusion

Representations of the Holy Women at the Sepulchre are known in art from at least the fifth century, and on the religious stage from the tenth century onwards. Perhaps encouraged by its female patrons,81 who were often the highly-educated elite leaders of wealthy religious communities, this tradition’s visual and theatrical representations moved ever closer to providing an emotional female counterpart, at the end of Christ’s life, to the male-dominated visit of the three Kings, or ‘wise men from the east’, whose gifts of gold, frankincense and myrrh heralded its beginning.82 Drawing on the tradi-tion’s theatrical as well as visual developments, this examination of the origins of quack

76 steinBart: Liss II, fig. 1, pp. 3–4, 176–177; steinBart: Liss I, pp. 22–23, 59, plate 7. 77 Benesch: Temptation, p. 379. 78 cat. exh.: Liss. 79 sPear: Liss, p. 583, n. 5. 80 KLessMann: Liss, pp. 23, 193. 81 Pace cohen: Codex, who considers the ‘uta Codex’ resistant to gendered interpretation.82 only one apostle records their visit (Bible: The Gospel According to St Matthew, 2:1–12). Their num-

ber in visual depictions was stabilized to 3 (from 2–6) as early as the 4th century (cooK: Panels, p. 310).

145Lucas van Leyden’s ‘Toothdrawer’ 1523

images identifies their point of departure as the religious spice-purchasing scene, whose progression it traces on the religious stage from the tenth century, and in illuminated manuscripts from the eleventh century onwards. following their great twelfth-century iconographic flowering in Lombard, Provençal and Catalan narrative religious stone carvings, the theme of spice merchants, apothecaries and quacks reappeared in a secular context in medical manuscript illuminations. from the mid-fifteenth century onwards, they also feature in printed book illustrations and other prints offering an accessible repertoire of iconographic templates for artists. Here too, in the context of its connec-tions with the religious stage, the quack theme carries strong religious and moralistic connotations. Throughout the early modern period, it continued its consolidation into what eventually became a significant category of seventeenth-century secular genre paintings. Here, these advances are traced by way of small quack scenes within larger pictures or compositional cycles, such as Giulio Romano’s ‘Theriac seller’, ‘The Hay-wain’ by Hieronymus Bosch, or painted versions of ‘Christ Driving the Traders from the Temple’ by followers of Bosch. In this progression, the decisive impetus to inde-pendent secular genre compositions was provided by Lucas van Leyden’s moralizing ‘Toothdrawer’ of 1523.

Photo Credits

fig. 1: © Trier, Stadtbibliothek.fig. 2: © München, Bayerische Staatsbibliothek.fig. 3a, 3b, 3c, 4, 9, 10: Images in the public domain.fig. 5: © Schloss Wolfegg.fig. 6: © Archiv der Gemeinde Sterzing.fig. 7: © Madrid, Prado.fig. 8: © London, British Museum.fig. 11: © Paris, Institut Néerlandais.fig. 12: © Bremen, Kunsthalle.

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III. Höfische versus städtische Räume der Genremalerei

Wolf Seiter

Der Betrachter als Beute. Das Genre der Jagdmotivik als christliche und politische Standortbestimmung in einem Holzschnitt Jörg Breus d.J. von 1535

I. Einleitung

Einen Generalschlüssel zum Verständnis von Genrebildkunst gibt es nicht. Topoi und Motivgruppen lassen sich ordnen; ihre Deutungskonventionen allerdings konnten zu allen zeiten der Kunstgeschichte ganz individuellen Interessen untergeordnet werden.

Der im folgenden vorgestellte Holzschnitt Jörg Breus d.J. lässt auf den ersten Blick eine Veranstaltung erkennen, die einem exklusiven Thema gewidmet ist: ein Jagdfest (Abb. 1). Jedoch enthält die Komposition neben dieser profanen Motivik auch eine bi-blische, die nicht sofort erkennbar ist. Dabei handelt es sich um die Szenen der Parabel vom Lazarus und dem reichen Mann, die kleinteilig im rechten Hintergrund angesie-delt sind und die den Titel des Holzschnitts bestimmen.

Wo heutige Betrachter durch Kenntnis des Titels von der Beziehung des Bildinhalts zum biblischen Gleichnis erfahren können, bevor sie sich der Anschauung des Werks widmen, verfügen sie, im Gegensatz zum Großteil der Betrachter im 16. Jahrhundert, über einen Interpretationsvorsprung. Allerdings lassen sie sich dann auch an der nor-mativen Bevorzugung der biblischen Motivik als titelgebende ausrichten. Die Motiva-tion für die Interpretation ist dann bereits manipuliert. Sie überspringt den ursprüng-lichen, vom Künstler intendierten Erkenntnisweg durch das Bild, in dessen Verlauf die prominent angelegte festmotivik nicht zelebriert, sondern vor dem Hintergrund religiöser Lehre problematisiert werden soll. Diese Erkenntnis sollte erst zu einem be-stimmten zeitpunkt der Betrachtung einsetzen und keine vordergründige sein.

Wie die Genremotivik im Bild das christliche Deutungsprinzip im Hintergrund verborgen hält, so scheint der biblische Titel auch über ihren historisch orientierten zusammenhang hinwegzutäuschen. Mit der Jahreszahl ‚1535‘ setzt der Augsburger Künstler eine zeitliche Markierung etwas links vom Bildmittelpunkt in eine sofort er-fassbare Position. Damit ist sie mehr als nur eine zu dieser zeit bereits den Signaturen oft obligatorisch beigefügte Datierung des Werks als Ausweis seiner Entstehung. Hier entzieht sich der Künstler diesem Schema für Autorschaft, er kehrt es um. Er verzichtet auf die Signatur und erhebt die Jahreszahl in den Rang eines bedeutsamen Bildelements. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich das Werk inhaltlich am zeitpunkt 1535 orientiert neben dem wahrscheinlichen umstand, dass es in diesem Jahr auch entstand.

152 Wolf Seiter

Die Breu’sche familienwerksstatt war in Augsburg durch obrigkeitliche Aufträ-ge zu einigem Ruhm gekommen.1 Dem vorliegenden Entwurf Breus d.J. ist jedoch in der kunsthistorischen forschung bisher kaum ausführliche Aufmerksamkeit zuteil geworden. In seinen ‚Breu-Studien‘ von 1909/10 unternahm Heinrich Röttinger in der Hauptsache stilkritische Analysen und er erschloss über Vergleichsbeobachtungen bildfigürliche Bezüge zu anderen Künstlern sowie die Grundlage für eine Sicherung des Breuschen Œuvres.2 Auch Überblicksdarstellungen, wie die monografische Stu-die zur Lazarusikonografie von Kai Detlev Sievers, kennen es nicht.3 Hinsichtlich der Biografie bietet die Breuforschung ebenso nur ein fragmentarisches Bild.4 Wenn auch hier eine diesbezügliche Einordnung des vorliegenden Werkes unterbleibt, so soll dem Entwurf selbst alle Aufmerksamkeit zuteilwerden.

1 zu Jörg Breu d.ä. vgl. siLver: Glass; Kat. ausst.: Welt, Bd. 1, Nr. 23. zu Breu d.J. vgl. vöLLnaGeL: Prachtminiaturen; MessLinG: Abklatsch; stierhoF: Allegorie; Kat. ausst.: Welt, Bd. 1, Nr. 157–158, Nr. 161–162.

2 röttinGer: Breu-Studien, S. 45–91; siehe auch Ders.: Holzschnittwerk, S. 1–11.3 In sievers: Parabel, S. 56, wird nur auf die zweite Thematisierung des Lazarusgleichnisses durch Breu

d.J. aus dem Jahr 1545 eingegangen.4 Vgl. dafür röttinGer: Breu-Studien sowie den Artikel zu ‚Breu, Jörg d.J.‘ in thieMe/BecKer: Lexikon,

S. 596f.

Abb. 1: Jörg Breu d.J., Die Parabel von Lazarus und dem reichen Mann, 1535, Holzschnitt, 383 x 550 mm. London, The British Museum.

153Das Genre der Jagdmotivik als christliche und politische Standortbestimmung

Es soll untersucht werden, wie pointiert sich diese Kombination aus christlichen und Genrebildelementen bewerten lässt. Die fest- und Bibelszenen werden sich als zwei unterschiedliche Bildräume erkennen lassen, die formal um die zentralperspek-tive in Konkurrenz getreten sind. Die Pracht der Jagdmotivik leidet unter der ‚Verzer-rung‘ dieses Bildprivilegs, denn Breu bewegt den Blick des Betrachters bildsprachlich ‚ums Eck‘ und damit auch durch die Sinngründe der Komposition. Er motiviert eine aktive Transferleistung, denn das Lazarusgleichnis in der Bibel erzählt nichts von ei-nem Jagdfest. Das Datum als formaler und semantischer Dreh- und Angelpunkt ist der zugang zum Bildgefüge. Ein zeitbild zu definieren, das scheint Motivation oder Auftrag des Künstlers gewesen zu sein.

folgende fragen leiten diesen Interpretationsvorschlag: In welcher Rollenvertei-lung auf die Bildelemente spiegelt sich die Sinnfälligkeit ihrer Kombination? Wie poli-tisch statt ‚nur‘ biblisch-illustrativ ist dieser Holzschnitt?

II. Bildinhalt

1. Die Jagdmotive als Blickfang – das Genre im Vordergrund

Eine prunkvoll herrschaftliche festarchitektur dominiert das zentrum des Bildes. Sie befindet sich innerhalb einer großzügig angelegten Einfriedung, in der mehrere Bild-figuren und Tiere vorgestellt werden und die sich durch eine Mauer nebst weiteren Gehäusen vom landschaftlichen, nicht weiter bestimmten Hintergrund abgrenzt. Im Vordergrund machen sich Männer daran, einen prächtigen Hirsch zu zerlegen.

Diese vorderste Szene hat auf die zeitgenossen großen Eindruck gemacht. Wie eine Sensation muss die Darstellung des stattlichen Hirschkörpers und der umgang mit ihm gewirkt haben, denn sie ist von etlichen Künstlern kopiert worden. Die an Breu angelehnten, aber durchaus eigenständig variierten Lazarusdarstellungen von Jost Am-man oder Martin Weigel etwa wollten auf diese spektakuläre Szene nicht verzichten.5 Sie ist mehr als nur ein beliebiges Detail und wird für die späteren Überlegungen einen wichtigen Ausgangspunkt darstellen.

Dass Breu diese Szene nicht nur durch ihre prominente Position hervorheben woll-te, lässt sich auch an ihrem direkten umfeld im Bild ablesen. Ganz links ist ein Mann mit Stab und Hund herangetreten und auch die zwei Männerpaare, die sich im Schatten des Gebäudes aufgestellt haben, sind mit ihrer Aufmerksamkeit ganz bei der Hirsch-szene. Doch nicht nur die Menschen, sondern auch die Hunde führen die Aufmerk-samkeit in Richtung der Beute. Sie scheinen nach der Treibjagd noch nicht gefüttert worden zu sein, reizt sie doch noch der Geruch des Hirschs. Während der Knecht im zentralen Vordergrund seine liebe Mühe mit dem überkräftig proportionierten Hund hat, dem noch der Speichel aus den Lefzen trieft, haben sich die beiden zierlicheren Artgenossen weiter rechts mit ihrer eingeschränkten Bewegungsfreiheit abgefunden, doch ihre Blicke sind auf das Wild gerichtet. Ganz rechts betreten zwei Knechte mit gefangenen fischen das Bild. Auch wenn der Vordere aus dem Bild hinaus auf den Be-

5 Jost Ammans Holzschnitt in der 1565 in frankfurt am Main gedruckten Luther-‚Biblia‘ in strauss: Bartsch, S. 304, 1.106 (365); Martin Weigels Version, ebenso aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhun-derts, in GeisBerG: Woodcut, S. 1174, 23.

154 Wolf Seiter

trachter schaut, wird klar, dass ihre Wegrichtung und die Horizontale ihres Tragestabes Bestandteile der Bildregie sind.

Über den gesamten Vordergrund sind formale und inhaltliche Elemente verteilt, die auf die Besonderheit der Weideszene aufmerksam machen. und obwohl sie der Mitte entrückt in die linke Bildhälfte verlagert ist, wird sie als Mittelpunkt eines Bedeutungs-kreises erkennbar. Der Blick aus dem Bild des Mannes rechts macht dem Betrachter bewusst, dass er Teil dieses Kreises ist, denn er vervollständigt dessen Radius.

Breu hat sich dazu entschieden, den Vordergrund ausnahmslos mit Genremotiven auszustatten. Diese jedoch als Einstieg für eine weitere Erzählebene zu begreifen, fällt schwer, hat der Augsburger doch eher eine kompositorische Schwelle angelegt. Die wuchtige Horizontale der Balkonbrüstung und die den Bildhintergrund eher abgren-zende, statt den Betrachter einladende Treppe sollen ein zunächst intuitives Willfahren des Betrachterauges aus dem Vordergrund in den Bildhintergrund und damit sein we-senhaft flüchtiges Moment verhindern. Konzentration ist das Prinzip dieses Genre-gebildes.

Mit der repräsentativen Architektur hat Breu eine Kostbarkeit entworfen, die äs-thetisch hochwertigen Ansprüchen gerecht wird. Der erratische Baukörper besteht aus einem übermannsgroßen Sockelgeschoss. Auf diesem lagert ein Balkon, der von einer mit genuin antiken Dekorformen verzierten Brüstung umschlossen ist. Damit wird ein klassisches Schönheitsideal vorgetragen, dem auch die Gestaltung des darüber befind-lichen Baldachins folgt. Dieser überfängt die fläche vom hinteren Ende des Gebäudes bis zur Kante des vorragenden Balkons, jedoch stünden die links aufgestellten Musi-kanten bei einem unvorhergesehenen Schauer im Regen. Es wird deutlich, wie sehr diese Architektur nicht nur einem festlich-sinnlichen Anspruch genügt, sondern auch spezifisch elitäre und mithin obrigkeitliche Kommunikationsformeln veranschaulicht. Allerdings geben die Blechbläser hier keine Tanztakte an. Sie sind vom Bildzentrum abgewandt. Sie setzen ein Signal nach außen hin, das zunächst ganz in der Geste eines festlichen Protokolls aufgehoben wirkt.

Links am Tisch hat ein fürstlich gekleidetes Paar Platz genommen. Mit andächtiger Ruhe nehmen die beiden den prächtigen Pokal wahr, den der Mann im zentrum des Balkons gerade präsentiert. Auch er ist kostbar gekleidet. Sein Barett ist Ausweis seines Standes, womöglich auch einer bestimmten geografischen Herkunft. Wie der Mann und die frau links am Tisch trägt er eine Kette aus schweren Gliedern. Damit wird klar, die Beteiligten gehören nicht nur der reichen oberschicht an, sondern stellen auch Würdenträger dar. zweifellos ist der Mann mit dem Pokal der Protagonist der Tisch-szene, alle Anwesenden schauen auf ihn, er ist der Mittelpunkt.

Der Mann rechts daneben scheint jedoch nicht ganz dieser ritualhaft wirkenden festzeremonie folgen zu können. Sein in eher schlichter Gewandung gehaltener Körper ist der Szene leicht abgewandt. Während er ein schweres Buch unter dem bauschigen ärmel vor sich trägt, hat er nur seinen Kopf über die Schulter dem Tisch zugewandt. Breu inszeniert hier eine Mittlerfigur, die auf eine Störung dieser so festlichen und mit sich selbst beschäftigten Gesellschaft aufmerksam macht. Denn rechts neben ihr ist ein Knecht gerade dabei, mit erhobener Peitsche einen ebenfalls sehr bescheiden geklei-deten Mann die Treppe hinab zu jagen. Der wie ein einsamer Pilger aussehende Mann ergreift die flucht. Ein besonderes Detail schmückt seinen Kopf: ein Heiligenschein.

155Das Genre der Jagdmotivik als christliche und politische Standortbestimmung

Hier nun öffnet sich die zweite Verständnisebene von Breus Komposition. Was zu-nächst wie ein unverdächtiges fürstliches fest aussieht, muss nun im Kontext eines biblischen Gleichnisses neu beurteilt werden.

2. Die Bibelszenen als Sinnflucht – der Ordnungsdialog im Hintergrund

folgt das Betrachterauge den Treppenstufen hinab, wird schließlich erkennbar, um welchen Heiligen es sich hier handelt. Der zurückgewiesene und verlassene Mann, der am Boden liegend von Hunden seine wundhaften Beine geleckt bekommt, stellt den heiligen Lazarus dar, von dem Lukas in der Bibel erzählt. Es lässt sich somit eine Be-sonderheit im Bildgefüge Breus feststellen: Von einer zunächst überwältigenden Simul-taneität sinnlicher Höhepunkte wechselt er hier in den Modus einer kontinuierlichen Szenenfolge. Denn noch weitere Bestandteile des biblischen Gleichnisses sind darge-stellt. Weiter oben in der rechten Bildecke vollzieht sich das Drama über weltliche und göttliche unbarmherzigkeit.

Der Evangelist Lukas schildert das Gleichnis in folgender form (Lukas 16, 19–31): Der arme und mit Geschwüren gezeichnete Lazarus kam eines Tages an die Tür eines reichen Mannes, „der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag herr-lich und in freuden lebte“. Diesen bat Lazarus um Speise. Von einer darauffolgenden Vertreibung durch den Reichen oder einen seiner Knechte berichtet Lukas nicht. Viel-mehr ist zu erfahren, dass statt des Reichen sich Hunde seiner annahmen und ihm die wunden Beine leckten. Bald darauf starb der Arme und wurde von Engeln hinauf in den Schoß Abrahams getragen. Dort sehen wir ihn in Breus Holzschnitt sitzen. Seine Seele ist in die Gestalt eines unschuldigen Kindes verwandelt, das auf dem Schoß des erhaben in den Wolken thronenden Seelenhüters Platz genommen hat. Der arme La-zarus ist somit in die Wartehalle eingegangen, in der er seine verbleibende zeit bis zum Tag des Jüngsten Gerichts verbringen wird.

Den Reichen sehen wir rechts darunter in einer Abbreviatur der Hölle, so wie es die Bibel vorsieht. Mit zwei Bitten hatte sich dieser von dort aus an Abraham gewandt. zum einen begehrte er, Lazarus zu ihm in die Hölle zu senden, auf dass er ihm mit der Spitze seines fingers die zunge kühle. Doch Abraham lehnte ab: „Mein Kind, denk daran, dass du schon zu Lebzeiten deinen Anteil am Guten erhalten hast, Lazarus aber nur Schlechtes“. Trost und Leiden werden auf dieser Grundlage für das Jenseits ver-teilt. Auch bat der Reiche, Lazarus solle wenigstens seinen Verwandten von dieser Leh-re berichten, auf dass ihnen ein solches Schicksal erspart bliebe. Doch Abraham lehnte abermals ab: Wenn sie Moses und die Propheten bisher nicht gehört hätten, „so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht“.

Das ist der Inhalt des Gesprächs, welches der Betrachter den figuren in der oberen Bildecke zuordnen kann. Die entscheidende Argumentation Abrahams für seine ableh-nende Haltung trägt zum Verständnis des gesamten Blattes bei. Er sagt zum Reichen: „Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, sodass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er woll-te“. Keiner könne mehr, so die ernüchternde Botschaft, die Kluft zwischen Himmel und Hölle überwinden. Der Evangelist hatte in seiner Parabel als wesentliche unter-scheidungsmerkmale zwischen dem Dives und Lazarus Reichtum und Armut bezie-

156 Wolf Seiter

hungsweise Wohlergehen und Krankheit angeführt. Beide Verhältnisse sind auch in der frühen Neuzeit als instabile begriffen worden. Was jedoch als eine noch immer unver-rückbare und unüberwindliche Grenze galt, war die ordnungspolitische Hierarchie der Stände. Diese ständischen Grenzen könnten jedoch durch Gnade, Nächstenliebe und christlichen Herrscherethos gemildert werden, die Grenzen im Jenseits jedoch nicht mehr.

Breu scheint auf der Grundlage dieser Überlegungen die Anschaulichkeit der Trep-pe gewählt zu haben. Ins Profil gerückt exponiert sie ihr Wesensprinzip. Breu dient sie als Abstandhalter zwischen reich und arm, wohlständig und krank, zwischen mensch-licher Gesellschaft und Verlassenheit, vor allem aber zwischen Macht und ohnmacht in der Welt. Sie ist gleichzeitig ort der Verhandlung darüber, inwieweit das christli-che Prinzip in der von Gott eingesetzten Ständeordnung von den Menschen kultiviert wird: In diesem fall wird ein Bittender erbarmungslos hinab getrieben. Dass es in der Ewigkeit des Jenseits keinen gangbaren Verhandlungsweg mehr, sondern nur noch un-möglichkeit der Überwindung gibt, gerät somit zur Klage des Reichen in der Bibel. Himmelswolken und Höllenrauch exponieren im Bild diese negative Verbindung zwi-schen oben und unten direkt über dem Treppenelement.

III. Rollenspiele und Deutungsressourcen

1. Erasmus und das ‚Lob der Torheit‘

Breu d.J. ist der erste Künstler, der die Darstellung des Lazarusgleichnisses mit dem Kontext der Jagd kombiniert. Als ein unmissverständlich ständisches Attribut adliger Herrschaft eröffnet es die besondere Qualität für die Rezeption des Gleichnisses. fan-den sich auch im frühen und hohen Mittelalter Miniaturen, die den reichen Prasser als königlich bekrönten Regenten zeichneten, so war im zuge des Spätmittelalters diese Ikonografie zugunsten antisemitischer Exegese von einer jüdischen Charakterisierung des Reichen verdrängt worden.6 Ein wesentliches Merkmal für die Piktorialisierungen der Lukas-Parabel, so lässt sich mit ursula Wolf festhalten, liegt in ihren praktizierten Anpassungen an die jeweilig zeitgenössischen Ansprüche.7 In diese Reihe der semanti-schen Variationen soll Breus Holzschnitt von 1535 eingefügt werden. Die Besonderheit dieses Holzschnitts liegt in der subtilen Reflexion über die funktionen und das Ver-hältnis zwischen biblischer Legende und historisch aktualisierender Genredarstellung. Die Abfolge der biblischen Narration ist im Bild schlüssig und fließend formuliert. Wie also verhält sich diese hintergründige Kontinuität zum Gleichzeitigkeit reklamieren-den Vordergrund? Was zeichnete diesen zeitpunkt aus?

Mit seiner Kompositionsordnung lässt Breu den Betrachter die zweideutigkeit des Vordergrundes erschließen, dem er sich nun erneut zuwenden konnte und sollte. Doch mochte es nicht bei der Bibel als Deutungsressource für dieses Transferspiel bleiben. Die Genrebildfiguren evozieren eigene Rollenverteilungen und formulieren mehr ein politisches Moment als der Bibeltext. Die im folgenden vorgestellten Textbeispiele las-

6 Vgl. woLF: Parabel, S. 169–171.7 woLF: Parabel, S. 193f.

157Das Genre der Jagdmotivik als christliche und politische Standortbestimmung

sen die frage aufkommen: Wer übernimmt in dieser These die allegorischen Rollen von Lazarus und Dives im Vordergrund?

Lukas hatte den Reichen als einen Menschen beschrieben, der „Tag für Tag herrlich und in freuden lebte“. Die Realisierung Breus lässt zunächst an ein nichtalltägliches Jagdfest denken. Wird der fürst im Bild aber wirklich nur als Liebhaber der arte ven-andi vorgestellt oder vielmehr in dekadenter Abhängigkeit zur voluptas venandi? Ein gewisses Missverhältnis der fürsten zur Jagd wurde von zeitgenossen als unerträgli-ches Problem wahrgenommen. Voran gestellt werden soll die Klage des Erasmus von Rotterdam, der in seinem berühmten ‚Lob der Torheit‘ eine interessante Darstellung zum Thema abgibt. So lässt die Stultitia dort wissen: An größter Narrheit haben auch diejenigen Anteil,

denen das Höchste die Jagd ist, und die behaupten, es tue ihnen unglaublich wohl, wenn jenes abscheuliche Tuten der Hörner und das Geheul der Meute losgeht – ich glaube auch, der Kot der Hunde duftet ihren Nasen wie zimt. und welcher Genuß, das Wild auszuweiden! ochsen und Hämmel darf die Plebs ausnehmen, aber Wild zerlegen nur der Edelmann. Mit entblößtem Haupt, gebeugtem Knie, in der Hand das diesem Dienste geweihte Messer – um Gotteswillen kein anderes! – beginnt er, mit bestimmten Gesten bestimmte Teile in bestimmter folge feierlich zu zerlegen. Staunend umringt ihn die Gesellschaft […]. Wem erst noch vergönnt war, das Wildpret verspeisen zu helfen, bildet sich gar ein, er habe an Adel beträchtlich zugenommen.8

Bis auf wenige Details ist eine gewisse Beziehung zwischen Text und Bild beobachtbar: die Bläser auf der Brüstung, die andächtige Beiwohnung der umstehenden und mithin die Inszenierung beziehungsweise die Übersteigerung des Ausweidens zum promi-nent-ästhetischen Akt. Der Textstelle des Erasmus wäre zu entnehmen, dass derjenige, der das Messer führen darf, als Hauptdarsteller der Privilegierteste unter den Anwesen-den ist. Dies ließe sich auch noch an anderen Indizien im Holzschnitt ablesen, wie etwa in der Verteilung von Bärten. Ein gemessen geschorener Bart kommuniziert Macht, so wie bei dem Mann links am Hirsch und den anderen edlen Personen. Im unterschied zu ihnen tragen die Knechte keinen Bart. Hinzugefügt werden könnte die Beobachtung der Kopfbedeckung. Die elegante Barettform, welche der reiche fürst auf dem Balkon trägt, ist einzig bei dem Mann mit dem Messer noch zu sehen. Auf diese Dinge zu ach-ten, war vom Künstler sicher intendiert. Hat der Betrachter sich einmal auf das Lesen solcher Details eingelassen, werden ihm auch die folgenden Beobachtungen interessant erschienen sein.

Es ist auffällig, dass die drei Helfer am Hirsch mit unterschiedlicher Kraftanstren-gung beteiligt sind. Dieser umstand lässt sich als Grundlage einer subversiven, humor-vollen Geste erkennen. Denn einer der Helfer hält den hinteren Lauf des Hirsches mit überaus eleganter Leichtigkeit fest. Ein eye-catcher der Anmut, eine spielerische Geste, die ihren vor allem künstlerisch spielerischen Charakter dadurch unterstreicht, dass die beiden anderen Knechte in die Knie gezwungen werden, um die Beine des Hirsches zu halten, ganz so, als lebe dieser noch und wehre sich gegen sein Schicksal. Damit lenkt der Jüngling das Betrachterauge vom privilegierten Akt des Weidens ab. Seine

8 erasMus von rotterDaM: Lob, S. 89–91.

158 Wolf Seiter

kecke Pose degradiert im Vergleich die Erscheinung des Messerführenden zu der eines Küchenknechts, was durch die Schürze nur noch deutlicher wird, die sich jener über der kostbar edlen Kleidung umgebunden hat. Anhand dieser Überlegungen erweist sich auch der fingerzeig des Mannes mit der Armbrust dahinter als ambivalent. Weist er wirklich auf die Szenerie im Ganzen hin oder sorgt er nicht vielmehr dafür, dass so-wohl seinem Gesprächspartner als auch dem Betrachter dieser Scherz nicht entgeht? So unterschiedlich die drei helfenden Burschen am Hirsch auch posieren, eines eint sie: Sie folgen nicht dem metzenden Messer, sondern sie schauen in die entgegengesetzte Rich-tung. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich auf den großen Hund, der gerade am Hinterteil des Hirschs schnüffelt. Leistet Breu hier mit narrativ-darstellerischen Mitteln einen subversiv scherzhaften Akt in Hinblick auf das politische Privileg des Hirschweidens?

Der nunmehr unter dem Verdacht der Lächerlichkeit stehende politische Mehrwert soll um volkssprachliche äußerungen zur Jagd ergänzt werden. Die an die Ironie des Erasmus möglicherweise angelehnte Scherzhaftigkeit wird dabei allerdings einer viel-mehr ernsten Verhandlung um das zeitgenössische Ständebewusstsein weichen. Nach-dem hier vorgeschlagen wurde, mit dem Messerführenden in der Genrebildschicht die Rolle des reichen Dives aus der Gleichnisschicht zu identifizieren, soll im Anschluss die Überlegung über die Rolle seines demütig-seligen Widerparts geführt werden.

2. so ist dies Sprichwort war – Ein Deutungsschlüssel aus Agricolas und Francks Sammlungen

Die Textstelle des Erasmus als Interpretationsschlüssel neben der Bibel heran zu zie-hen, setzt einen belesenen Betrachter und mithin exklusive Gelehrtheit voraus. Doch noch ein weiteres Erkenntnisvehikel, das einen ungleich größeren, auch ständische un-terschiede aufhebenden Verbreitungsgrad für sich in Anspruch nimmt und damit der Geste des Künstlers, den Holzschnitt zu wählen, am ehesten nachkommt, steht dem Betrachter zur Verfügung: das Sprichwort.

1529 gab Johann Agricola in zwei Teilen eine umfangreiche Sprichwörtersamm-lung heraus. Das folgende daraus entnommene Sprichwort nimmt zweifellos die Per-spektive des beherrschten Volkes ein: Es ist ein Fürst wol so seltzam ym hymel/als ein hirsch ynn eins armen mans kuchen.9 Im Himmel, so heißt es also, seien fürsten so wenig zu finden, wie Hirschbraten in der Armenküche. Die zuordnung von Himmel und Hirsch als unmöglichkeiten für jeweils fürst und armem Volk zielt auf den Miss-brauch der von Gott gegebenen Ständeprivilegien des Adels ab. Agricolas Erklärung des Sprichwortes entfaltet diesen Sinnzusammenhang:

Welde/wasser/fischen vnd iagen/kurtzweile treiben/[…] kan vnser HerrGott wol leiden von fürsten vnd herrn/er kan es yhnen auch wol zu gut halten/wo sie yhrs Ampts/dazu er sie gefoddert hat/warten/Nemlich/eusserlichen friede halten/die fromen schützen/vnd die bösen straffen/vnd sich der armen annemen/yhnen gütig vnd milde sein. Wo sie aber yhr datum auff die pracht setzen/vnd der vnterthanen vergessen/vn sie als hunde halten/so doch die herrn auch selbs ein Herrn haben ym hymel/so ist dis Sprichwort war.10

9 aGricoLa: Sprichwörter, S. 127r, Nr. CCLXIII.10 aGricoLa: Sprichwörter, S. 127r, Nr. CCLXIII.

159Das Genre der Jagdmotivik als christliche und politische Standortbestimmung

Das Sprichwort stellt für die Interpretation des Holzschnitts eine entscheidende Deu-tungsressource dar. Es liefert grundlegende zusammenhänge von ordnungspolitischen und theologischen Aspekten an Hand der Jagdthematik. Es ist möglich, dass Breu oder sein Auftragsgeber dieses ‚deutsche‘ Sprichwort mit dem Lazarusgleichnis aus der Bibel hatte verbinden können. Entscheidender ist, dass nun für jeden anderen Ken-ner dieses Sprichworts klar werden konnte, dass auch dieser Holzschnitt sich kritisch mit den Adelsprivilegien auseinander setzt. Dem Reichen bei Lukas ist der Platz im Himmel aus Nachlässigkeit im Gebot der Nächstenliebe versagt worden, dem fürsten im Sprichwort wegen Nachlässigkeit im christlichen Herrscherethos. Der vom Volk scheinbar erdrückend wahrgenommene Mangel an Gerechtigkeit und Armenfürsor-ge bei gleichzeitiger Prunksucht und verschwenderischer Dekadenz der oberschich-ten hatte dieses Sprichwort entstehen lassen. Auch Sebastian franck wird es in seine Sprichwörtersammlung mit aufnehmen.11

Agricola stellte seinen beiden Sammlungsteilen eine nicht untypische Reflexion über das Verhältnis der frömmigkeit zwischen den lobenswerten altvorderen Gene-rationen der ‚Deutschen‘ und den gegenwärtig verfallenden Wertevorstellungen voran. Die zeitgenössische Neigung zur zierde ist darin topisch dekadentes und zur Idolatrie verführendes Moment, das mit der Prägnanz wahrhaft christlicher Weisheit im schlicht auftretenden Sprichwort konfrontiert und in einem historisch wirkmächtigen zusam-menhang bedeutsam wird.12 Der Autor bedauert, dass die Deutschen ihre Kultur ver-nachlässigen und zu sehr anderen Nationen nach-gaffen. Seine Sprichwörtersammlun-gen sollen einerseits die Rettung eines verachteten Kulturguts darstellen, andererseits aber auch das: Er habe funffthalb hundert spruche vnser deutschen sprach […] lassen außgehen/darynn man erkennen mag wie vnsere Deutschen recht geglaubt haben von Gott nemlich/das kein mittler sey zwischen Gott vnd vns denn Christus Jhesus.13 Ein zutiefst reformatorischer Anspruch vor dem Hintergrund einer historischen Legitima-tion.

Bildinhaltlich scheint Breu an diesem zeitlichkeit reflektierenden Werte- und Er-kenntnisdiskurs teilzunehmen. Dafür lässt er in seinem Entwurf zwei Architekturstile in einen hintergründigen Konflikt treten.14 zur zeit des historischen Lazarus hatte der klassische Stil seinen Quell in der Gegenwart. Doch wider die Verortung des darge-stellten Bildinhalts in die antike, heidnische zeit und damit für eine zeitliche Distanz zu diesem Geschehen, spricht, neben der frühneuzeitlichen Mode, das romanische Rund-bogenmotiv im linken Hintergrund. Als Teil einer hoch aufragenden Ruine thront es

11 FrancK: Sprichwörtersammlung, S. 125, Nr. 375.12 Siehe dazu das Vorwort in aGricoLa: Sprichwörter, besonders in dessen Kapitel ‚Warzu die sprichwör-

ter dienen‘. Auch in geografisch abgesteckten beziehungsweise nationalistisch-kulturell motivierten Perspektiven drücken sich diese Reflexionen aus; vgl. dazu hirschi: Wettkampf. Grundsätzliche Ideen werden auch bei Erasmus aufbereitet.

13 Siehe dazu das Vorwort in aGricoLa: Teyl. 14 zu diesem Thema vgl. auch hoPPe: Stil. Im Kontext der hier geführten Überlegung versammelt jener

Tagungsband unter dem Schlagwort ‚Stil als Bedeutung‘ weitere, aus verschiedenen Kunstgattungen zusammengetragene Beispiele. In seinem subversiven umgang mit klassischen Stilidealen ist auch der Nürnberger Hans Sebald Beham erkannt worden, siehe MüLLer: Italienverehrung. Der Autor konnte anhand der bei Beham festgestellten Überblendung von Badehaus- und Jungbrunnenikonokrafie zei-gen, dass „die italienische und antike Kunst als unmoralischer“ Stil entsprechend verwendet wird, dort S. 317.

160 Wolf Seiter

förmlich über der vor ihm platzierten, heidnisch gestimmten Tempelkuppel. Deren pa-gane Prägungen hatte es einst zugunsten eines christlichen formenverständnisses ge-bändigt. Eine Leistung der altvorderen Generationen und ihren Kirchenbauten, die im Jahr 1535 in schmachvolle, ja sündhafte Vergessenheit geraten sind? Die Bläser auf der Balkonbrüstung der zentralen festarchitektur mögen als Echo der Vernachlässigung des lobenswerten Christentums und vom zukünftigen Schicksal des akut heidnisch verwalteten Reichtums künden. Dahinter scheint die Pervertierung göttlicher formen-prinzipien und Privilegien durch gottlose Motivationen auf, hinter denen der Hochmut das Ausweiten des christlichen Erkenntnishorizontes verhindert. Der Reiche hat für die Not des Lazarus keine Augen und vom christlichen Prinzip der Barmherzigkeit keine Ahnung. Er ist unbereitet für die Scham, die den Lazarus umgibt und für das Empfinden seiner eigenen Knechtschaft unter Gott. zu spät wird er ihrer gewahr wer-den. Der Künstler gibt dem Betrachter die Möglichkeit, diese zeitliche Erkenntnisbe-schränkung zu umgehen.

3. Jagd und Kritik in chronikalischen Quellen

Das Thema der Jagd impliziert die frage nach Herrschaftsverhältnissen. Ihre Brisanz ist gerade in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht zu überschätzen. Nachdem die aufständischen Bewegungen des Bundschuhs 1502 und des Armen Konrad 1514 im südwestdeutschen Raum gegen die zunehmende Entrechtung der Landbevölkerung über die natürlichen Ressourcen revoltiert hatten, griffen die Bauern im zuge des sich anbahnenden und 1525 ausbrechenden Bauernkrieges diesbezügliche Beschwerden wieder auf.15 Auch für die Augsburger Bauern finden sich die für unseren zusammen-hang zur Jagd relevanten Artikel dokumentiert. Aus einer vom februar 1525 stammen-den Beschwerde des Landvolks aus dem Bistum Augsburg heißt es: wildprat, vogl und wasser sol frei sein.16 Auch die ‚Cronica‘ des einer Augsburger Patrizierfamilie entstam-menden Wilhelm Rem greift die Geschehnisse des Bauernkriegs auf und enthält eine weitere Artikelliste, die die Bauern aus dem Augsburger Hochstift Rettenberg an den Schwäbischen Bund gerichtet hatten.17

Der Historiker Hans Wilhelm Eckardt hatte in seiner Studie zur historischen Ent-wicklung des Jagdrechts in Südwestdeutschland die Gerinnung der Bedeutung der Jagd von einer produzierenden hin zu einer mehr repräsentierenden funktion für die Stän-degesellschaft nachgezeichnet. Spätestens im 15. und 16. Jahrhundert war das Jagdrecht zunehmend nicht nur den Bauern entzogen, sondern zwang auch privilegierte Schich-ten in ihre Verfügungsgrenzen:

Selbst der niedere Adel, die Grundherren, mussten sich des zugriffs der Landesherren erwehren, die ihr Jagdrecht auch auf Besitzungen des landsässigen Adels ausdehnen bzw. dessen Jagd von ihrer zustimmung abhängig machen wollten.18

15 zur Rolle der Jagdthematik in den Aufständen siehe ecKarDt: Jagd, S. 31–35. 16 Franz: Bauernkrieg, S. 163, Nr. 28.17 reM: Cronica, S. 220.18 ecKarDt: Jagd, S. 28f.

161Das Genre der Jagdmotivik als christliche und politische Standortbestimmung

Eckardt stellte im Weiteren fest, wie wenig auch der Bauernkrieg zur Besserung der zustände in der Jagdfrage verholfen hatte. Er spricht von einer „Verfestigung der drü-ckenden rechtlichen Verhältnisse“.19 Die Niederschlagung der Aufstände sorgte in der Jagdrechtslage zwar für „keine Verschlechterung für die Bauern“20, jedoch klafften an einem anderen Ende dieses Privilegienkonfliktes noch immer schmerzvolle und emp-findliche Wunden.

für den Augsburger Chronisten Rem stellten die Aktivitäten des Schwäbischen Bundes in folge des Bauernkrieges eine wesentliche ursache für die Not der Land-bevölkerung dar. obwohl sich viele Bauern ihren Herren ergeben hätten, fällten diese besonders ungnädige urteile über sie.21 Der pundt macht vil armer Leutt, so lautet Rems fazit über die folgen des Bauernkrieges.22 Die vielen rigorosen Strafen gegen die Landbevölkerung, auch gegen viele unschuldige, wie der Chronist betont, muten wie schiere Akte der Willkür an: so schlug man iren vil die köpf ab und hankt iren vil. Man bedorft kain recht über sie sprechen; der pundt befalch es ettlichen buben, die tetten es.23 Der Chronik des Augsburger zeitgenossen Clemens Sender ist seinem Eintrag für das Jahr 1532 noch zu entnehmen, dass sich Herrscherpflicht und Versorgungslage in Bay-ern und Schwaben nach wie vor in einem katastrophalen Verhältnis befinden.24

Derartige Missstände waren auch Thema innerhalb der Künstlerfamilie Breu. Vom älteren Breu sind ebenfalls chronikalische zeugnisse in form einer handschriftlichen Kopie aus dem späteren 16. Jahrhundert erhalten geblieben. Sie gewähren einen tiefen Einblick in die Mechanismen politischer Meinungsbildung im Hause Breu.25 Da sie nicht original sind, ist ihre Qualität mit entsprechender Vorsicht zu genießen. Auch ist es dieser Chronik Breus d.ä. lange zeit zum Nachteil gehalten worden, dass sie keine objektive zeitschilderung, sondern eine schier subjektive Sicht auf das zeitge-schehen enthält.26 Dies änderte sich erst mit der jüngeren forschung zu Breu d.ä., die vornehmlich im englischsprachigen Raum beheimatet ist.27 Während Andrew Morrall feststellt, dass eine inhaltliche Konstante die Kritik Breus d.ä. an der Verschwendung und Korruption der oberklasse darstellt28, leitet Pia Cuneo aus den politik- und kon-fessionskritischen äußerungen Breus einen Hinweis auf den Rezeptionsmodus für seine Kunst ab. Da der Künstler trotz kritischer äußerungen am Katholizismus für altgläubige Herrscher Aufträge ausführte, macht sie auf deren subversives Potenzial

19 ecKarDt: Jagd, S. 36.20 ecKarDt: Jagd, S. 36.21 So beispielsweise im fall des schwäbischen Buchloe, welches zum Besitz des Augsburger Bischofs ge-

hörte. Dort zog der bayerische Herzog Ludwig mit seinem Landsknechtsgefolge nicht nur plündernd ein, er ließ das Dorf auch niederbrennen. Rem fügt noch eine weitere dramatische Information hinzu: es wurden hernach etliche kind hinder den zeunen gefunden, die tod waren und zu hunger gestorben, die gras in iren meulin hetten; reM: Cronica, S. 224.

22 reM: Cronica, S. 227.23 reM: Cronica, S. 227.24 senDer: Chronik, S. 332.25 Es ist davon auszugehen, dass die Chronik Breus d.ä. nicht für eine Veröffentlichung im Druck vorge-

sehen war.26 Die oft großen zeitlichen Lücken, die spezifisch motivierte Auswahl unter berichtenswerten Dingen

und der oft emotional-persönliche Ton seiner beigegebenen Reflexionen sorgten für diese nachteilige Einschätzung.

27 Vgl. cuneo: Art, S. 32–81; MorraLL: Breu, S. 139–142.28 MorraLL: Breu, S. 140.

162 Wolf Seiter

aufmerksam.29 Doch auch evangelische Personen werden von Breu d.ä. kritisiert. Der Komplexität des Verhältnisses Breus d.ä. zum Konfessionenstreit kann hier kein Platz gegeben werden. für die vorliegende Studie an einem Werk, das seinem Sohn zuge-schrieben ist, erweist sich die subjektive Sicht des Vaters auf die politischen Gescheh-nisse nur in einer Reihe mit den anderen vorgestellten Quellen als interessant. Der umgang Wilhelms von Bayern mit seinem Volk veranlasste Breu 1527 dazu, über ihn zu notieren: Dieser fürst erteile Befehle in Dingen, darzu er weder fueg noch recht etwas zu pieten oder zu schaffen hett, sunder war als ein wietrich, durchechtet das volck ausser und innerhalb seinem landt.30 1529 nennt er ihn der führerschaft des Bundes angehörig, der – vergleichbar zu den Textzeugnissen Rems – nur darauf aus sei, den armen leuten das ir abzuschlaifen und sie zu verderben.31 Immer wieder erachtet Breu Vergehen der Gewaltigen an der Bevölkerung als verzeichnenswert.

Mit den hier vorgestellten zeitbildern, zu denen der Holzschnitt ein fenster sein könnte, soll jedoch keine Abhängigkeit des Künstlers zu den objektiven und subjekti-ven Niederschriften der Chronikautoren geschlossen werden, auch nicht zu der Stim-me seines Vaters. Vielmehr soll klar werden, dass bestimmte thematische Analogien in den Texten auf prominente zusammenhänge verweisen, die den Betrachtern des Holz-schnitts im Sinne eines realhistorischen Bezugs als Deutungshintergrund zur Verfü-gung standen. Rollenspiele konnten hier vom Betrachter in Abhängigkeit vom Grad seiner persönlichen Betroffenheit vom Privilegienkonflikt in Gang gesetzt werden. Die Anmaßung der Erhebung und der Reklamierung einer eigenen Deutung des christli-chen sowie weltlichen Rechts, die von Seiten der obrigkeit den Bauern vorgeworfen wurde, setzt sich in den anmaßenden unterdrückungsgesten der fürsten fort. Wie oft sich diese jenseits aller Rechtsverbindlichkeit vollzogen, bleibt eine dramatische Dun-kelziffer.

Grund genug also, 1535 dieses Thema zum verborgenen Gegenstand der Kunst zu machen? oder es, genauso wie das Lazarusgleichnis, zu nutzen, um eine politische Meinungsbildung anzustoßen? Womöglich eine, die an ihrem spitzen Ende eine adels-kritische ist und an ihrem flachen Ende eine ‚gut‘ christliche fürstenerziehung dar-stellt?

IV. Repousse ins Bild

Wenn in der Rede der Stultitia des Erasmus von der unterprivilegierten Plebs die Rede ist und im volksmundlichen Sprichwort aus der Agricola-Sammlung von der ‚Armen-küche‘, wenn bei den Augsburger Chronisten immer wieder vom unterdrückten Volk gesprochen wird, so könnte nun eine weitere figur im Bild identifiziert werden. Ganz am linken Bildrand des Vordergrundes hat der Künstler genau diesen Typus darge-stellt: einen Bauern. Als Hauptindiz seiner materiellen Armut erweist sich das Loch auf Kniehöhe seiner Hose. Mit diesem solitären Kennzeichen steht er erbärmlicher da, als

29 „It is Breu’s outright hostility to institutions of power and his deep sympathy for the Reformation that make his work for the Catholic Habsburgs and Wittelsbachs appear conflicted, and which, in some cases, will open his work up to possible subversive readings“, cuneo: Art, S. 39.

30 Breu D.ä.: Chronik, S. 35–36.31 Breu D.ä.: Chronik, S. 46f.

163Das Genre der Jagdmotivik als christliche und politische Standortbestimmung

alle anderen figuren im vordergründigen Bildraum. Nur mit dem Lazarus im rechten Bibelbildteil hat er darin eine ästhetische und inhaltliche Gemeinschaft.

Eine weitere entscheidende Differenz des Bildentwurfs zum Bibelgleichnis liegt in der knechtenden Peitsche der autokratisch thronenden obrigkeit. Sie kommt mit der Jagdmotivik. Der Künstler scheint damit einen pointierten zusammenhang zu arran-gieren. Er ordnet die Genreelemente so, dass sie eine Doppelfunktion erfüllen: Sie zei-gen die freuden der Herrschaften in gleichem Maße, wie sie auf die unterdrückung der untertanen verweisen. In seiner zweiten flucht bietet das Bild den in weltlicher Not Lebenden ein tröstendes Versprechen auf Seligkeit an. Sie dürfen sich in ihrer göttli-chen Rolle der Niedergedrückten wie Lazarus als Schätze begreifen. Sie werden selbst exklusive Gäste in einem himmlischen Reich sein, zu dem den prasserischen fürsten der zugang dann verwehrt werden wird.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen soll noch eine weitere Deutungsres-source herangezogen werden, die eine entsprechende Rollenverteilung der Bildfiguren besser verständlich machen kann und die, wie das Bild, das Lazarusgleichnis der Bibel als Ausgangspunkt einer geistigen Exegese nimmt: die seit etlichen Jahren in Augsburg erscheinende Auslegung durch Martin Luther. für den Reformator bestand die Blind-heit des Reichen darin, den armen und kranken Lazarus nicht als den Schatz erkannt zu haben, den so ain theürer man vor gottes augen darstelle.32 Doch Luthers Exegese zielte auf zweierlei Botschaften hin. Er betont die unfähigkeit des Reichen zur göttli-chen Erkenntnis, aber er erlässt auch einen Appell an alle, die meinen, sich in einer zu Lazarus vergleichbaren Situation zu befinden, eben die gleiche Demut und Geduld wie dieser zu pflegen.33 Der Lohn dafür warte im Jenseits. Vor diesem Hintergrund rücken für den Betrachter wieder Abrahams erklärende Worte in den Interpretationsvorder-grund, die er an den Reichen im feuer überkommen ließ. Den Typus des geknechteten, Armut leidenden Volkes repräsentiert der mittellose, rechtsbeschränkte, ohnmächtige Bauer am linken Bildrand. zum Jagddienst abberufen, seine Pflicht erfüllend, indem er seine Beute abliefert, begegnet er dem existenziellen Kontrast zu seiner Lebenswirk-lichkeit: dem Luxus und der Überfülle. Doch keine Gesten des unrechtsempfindens oder der Illoyalität gehen von ihm aus. Er zeigt sich als Inbegriff demütiger Verfassung. Er scheint das Ende der Geschichte zu kennen, auf ihren guten Ausgang zu vertrau-en. Damit erweist er, nicht nur vor dem Hintergrund der lutherischen Exegese, seine nächste Verwandtschaft mit Lazarus, die, so ließe es sich nun konkret formulieren, den Bauern mit der Gleichnisfigur in ein sinngemäßes Identitätsverhältnis setzbar wer-den lässt. Die Sinnschichten des Bildes können durch eine verschränkende Reflexion in gegenseitigen Bezug gesetzt werden. Die unüberwindliche Kluft zwischen Himmel und Hölle für den Dives im Gleichnis bemisst sich an der unüberwindlich gestalteten Höhendistanz zwischen Lazarus und Tischgesellschaft. Seine körperliche Erniedri-gung durch den Knecht spiegelt die reaktionären unterdrückungsgesten im Kontext

32 Luther: Sermon, S. 9.33 Vgl. Luther: Sermon, S. 10f: Dann wir müssen alle/wie Lasarus/mit rechtem glauben auff got trauwen/

jm vns ergeben/nach alle seinem willen mit vns zu handlen/vnd bereit sein yederman zudienen/ vnd ob wir nit alle solch gschweren vnnd armut leyden/so muß doch der selb will vnd mainung in vns sein/die in Lasaro warn/solches gern anzunemen wo es got wölt.

164 Wolf Seiter

der Jagdrepräsentation, die auf die Armut leidende Bevölkerung projizierbar sind, die durch die Bauernfigur am linken Bildrand vertreten ist.

Die figur des Bauern ist mit ihrer Position in der linken Bildecke leicht zu über-sehen. Dass es ein von Armut gekennzeichneter Mann ist, erst recht. Auch die figur des demütig sich seinem Schicksal ergebenden Lazarus ist zunächst unauffällig an den rechten Bildrand gelagert. optische Hinweise auf den Bauern sind allenfalls subtil. Sie sind nicht augenfällig aber doch vorhanden. So markieren das Instrument des ersten Bläsers auf der Brüstung und die Säule des über dem Bauern im Hintergrund befindli-chen Tempels seine Position. Mit diesen formalen feststellungen über die Platzvergabe beider figuren ist es an der zeit, die Besonderheiten der perspektivischen Konstruk-tion des gesamten Blattes näher zu untersuchen. Wie es oben in der Einleitung schon angedeutet wurde, handelt es sich um zwei Perspektiven.

zunächst lässt der Künstler den Betrachter frontal auf die festarchitektur blicken. Diese stabile und konventionell konstruierte Anschauung generiert er über die zentral-perspektivische Visierung der beiden Stützelemente für den Balkon. Beide Bauteile zei-gen nur die inneren flächen ihrer Seiten, deren fluchtlinien auf das zentral aufgehan-gene Schild mit der Jahreszahl zulaufen. Gleichzeitig lässt der Künstler den Betrachter jedoch einen Schritt nach rechts treten. Erkenntlich wird dies an der eigentlich unmög-lichen Schau auf die nach rechts hinten abfallende flucht des Gebäudes. Es scheint, Breu war die Wahrnehmung dieser makroformalen Besonderheit so wichtig, dass er das Treppenelement etwas in den Hintergrund verlegte, um die Eindeutigkeit dieses doppelten Blickes nachvollziehen zu können. Er vermeidet so eine unterbrechung der fluchtenden Brüstungsfläche. Die spiegelsymmetrisch diagonal dazu verlaufenden fluchtlinien des Stallgebäudes am rechten Bildrand bilden das formale Gegengewicht für diese zweite fluchtpunktkonstruktion im rechten oberen Bildeck, die, im Gegen-satz zur frontalen fläche des Gemäuers unter dem Balkon, in die Weite des landschaft-lichen Bildraums stößt. Sie verschafft den biblischen Szenen die entsprechende formale Aufmerksamkeit und bereitet so deren betrachterpsychologische Bedeutsamkeit.

Heinrich Röttinger hatte in seinen ‚Breu-Studien‘ zu Beginn des letzten Jahrhun-derts diese Doppelperspektive nicht wahrgenommen. Er sah nur eine und beurteilte sie daher als „mangelhafte“.34 Seitdem hat ihm niemand widersprochen. Heute soll klar werden, dass Breu mit dieser quasi kubistischen Addition von frontal- und Schrägan-sicht des Gebäudes eine bestimmte Absicht verfolgte. Der Betrachter soll sich dieser formalen Besonderheit durchaus bewusst werden, sie impliziert erkenntnistheoretische Substanz. Befände er sich allein vis à vis dem Schild mit der Jahreszahl, so würden ihm die Szenen des biblischen Gleichnisses hinter der raumgreifenden Architektur verbor-gen bleiben. Die frontalität des Baus, die die Aufmerksamkeit dominiert, wird durch die Schrägsicht untergraben. Ein subversiver Mechanismus in der Manipulation von Aufmerksamkeit. Als humorvolle Subversion war er bereits in der Bildfigurengruppe am Hirsch aufgefallen. Die im Hintergrund erst sichtbar gewordenen kleinen bibli-schen Szenen entziehen durch ihre Bedeutung der dominanten Pracht im Hauptbild-feld nicht nur formal, sondern auch symbolisch alle Würde. Indem durch die simul-tanen Perspektiven auch das Blickfeld des Betrachters erweitert wird, werden dessen

34 röttinGer: Breu-Studien, S. 64.

165Das Genre der Jagdmotivik als christliche und politische Standortbestimmung

äußere Grenzen umso bedeutsamer. Denn dort, in diesen Randlagen der Komposition bilden der Bauer links und der Lazarus rechts eine Art Klammer für das sinnhafte Er-fassen des Bildinhalts.

Grundsätzlich sind verkehrende Verteilungen von Bedeutsamkeit auf vorder- bzw. hintergründige Bildelemente nichts Neues. Jedoch werden die Bildstrategien komple-xer und die Stiftung des die Deutung konvertierenden Impulses subtiler. Auch andere zeitgenössische Künstler erwiesen sich gerade in Hinblick auf die bildpoetische Me-thode der Überblendung christlich-biblischer Ikonografie mit genrebildlicher Motivik als kunsthistorisch hoch interessant.35 Exemplarisch könnte Sebald Behams Riesen-holzschnitt ‚Das fest des Herodes‘ heran gezogen werden, der zur gleichen zeit wie Breus Komposition entstand.36 Die christlichen Ikonografien – der enthauptete Täufer Johannes und die Präsentation seines abgeschlagenen Hauptes – sind inmitten eines Gewimmels von auf sinnliche Ablenkung zielenden Genremotiven eines herrschaftli-chen festes verborgen. Es wird dort, wie bei Breu, eine Bewegung im Rezeptionsver-halten angestoßen: eine Gegenbewegung im Sinne der umbewertung des Sichtbaren. Sie markiert eine Reflexion über die Rechtfertigung, an den sinnlichen Höhepunkten, die eigentlich als gottlose installiert sind, mit freudigem Betrachten partizipiert zu ha-ben. Sowohl bei Beham, als auch bei Breu liegt die Brisanz in den Details. Sie können den Betrachter erfreuen aber auch verraten. Darin stiften beide Künstler eine fatale Betrachtermotivation.

V. Die Tiere in ihrer erweiterten theologischen Allegorese

Die Menschen und Tiere formen in Breus Holzschnitt, wie festgestellt, eine Konzen-tration auf die Hirschbeute. Der Künstler rückt jedoch ein weiteres Beutetier in eine bedeutsame Position, die allerdings nur für den Betrachter interessant ist: der neben dem Datumsschild angebrachte Hase. An seinen langgestreckten Hinterläufen kopf-über aufgehängt, macht er auf ein besonderes Detail aufmerksam: seine sehr kurz aus-fallenden Vorderläufe.

1502 hatte Johannes Geiler von Kaysersberg für das Straßburger Katherinenkloster eine allegorische Hasendeutung abgefasst, die daraufhin in seinem weitere allegorisch-theologische Traktate versammelnden Werk ‚Das Buch Granatapfel‘ mehrfach aufgelegt wurde. 1510 erschien dieses mit Holzschnitten von Hans Burgkmair (Abb. 2, Taf. 12) bei Hans otmar unter Verlegung Jörg Diemars in Augsburg; 1511 und 1516 mit Holz-schnitten Hans Baldungs in Straßburg. Gleich zu Beginn seines Textes mit dem Titel ‚Ain gaistliche bedeütung des heßlins‘ verweist Geiler auf die biblischen Sprichwörter: Also spricht Salomon der weyß man Prouerbiorum am xxx. cap. Das häßlin das da ist ain unstark volck/das hat gesetzt sein ruwstat in dem felsen. Christus sei dieser fels und unter dem Hasen sei ain yegklicher frumer andechtiger mensch/der sich kert zu got dem herrn zu verstehen.37 Geiler bespricht im Weiteren jene Besonderheit der Pfotenlänge

35 Ergebnisse einer Bearbeitung dieses Problemfeldes wurden erst kürzlich mit einer Ausstellung und einem Katalog zu den Gebrüder Beham vom SfB 804 der Tu Dresden in Kooperation mit dem Dü-rerhaus in Nürnberg präsentiert, vgl. Kat. ausst.: Maler.

36 Kat. ausst.: Maler, S. 220, Nr. 52.37 GeiLer von KaysersBerG: Buch, S. 245.

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als eine allegorisch bedeutsame. Während Burgkmairs und Baldungs Holzschnitte die-sem Detail kein besonderes Interesse schenken, scheint Breu dessen Rolle für seinen Entwurf gezielt nutzen zu wollen. Bei Geiler heißt es in der Erörterung der Eigen-schaften des häßlins, dass es

schneller und sicherer ist den berg auff zu lauffen dann den berg ab/wann die fordern füßlin seind jm kurtz/vnd die hindern füßlin seind jm lang/darum wenn es den berg auff lauffen soll so kompt es wol hinauff Aber den berg ab zu lauffen den kann es mit den hinderen füßlin nitt hernach kommen/vnd übergauckelt/vnd fellt herab/vnd ko-men denn die hund vnd fohen es.38

Geiler greift damit auf einen spätantiken Text zurück, der im Verlauf des Mittelalters innerhalb der Gelehrtenkreise hohe Popularität genoss und im Spätmittelalter durch verschiedene Editionen zu größerer Verbreitung gelangte. Die Rede ist vom ‚Physio-logus‘, einer Sammlung von antiken Tier- und Pflanzenbeschreibungen, die als alle-gorische Bilder dem Menschen zur Erkenntnis religiöser Bedeutungszusammenhänge dienstbar gemacht wurden. Darin wird auch das Bild vom Hasen im Kontext der Jagd vorgeführt.39 Geiler übernimmt ebenso die dort aufbereitete sinnhafte Übertragung des Hasenbildes auf den Menschen. Er richtet diese Allegorese einerseits zwar stark auf das Verhältnis zwischen Kloster- und Weltleben aus, jedoch formuliert er dabei auch allge-meine, alle Menschen betreffende Erkenntniszugänge zu einem gottgefälligen Lebens-weg. Die frage dieses Kapitels soll somit sein: Wie reiht sich der Interpretationsschlüs-sel der Tierallegorese zwischen den bisher erschlossenen Deutungsressourcen ein?

So auch du, Mensch, so du verfolgt wirst von den feindlichen Mächten samt dem Jäger, dem Teufel, der Tag für Tag darnach trachtet dem Menschen nach dem Leben zu stel-len: suche den felsen und die Höhen […]. Denn wenn der Böse sieht, daß der Mensch nach abwärts läuft und auf das Irdische bedacht ist und auf das, was dieses Leben zu bieten hat, dann kommt er ihm nur um so eifriger nahe mit seinen Schlichen!40

Vergleichbare Sinnworte zum Hasen, die hier aus der Version des Physiologus wie-dergegeben sind, den otto Seel aufbreitet hat und dessen Hasenartikel Wilhelm Köller eine sprachtheoretische Studie gewidmet hat41, setzt Geiler mit einem weiteren bib-lischen Beutebild in Beziehung, dem Hirsch. Dafür bedient er sich beim Propheten Jeremias: Es

spricht Jeremias der prophet/Das wildprädt des löwen/ist der waldesel in der wüste/Der löw ist/der teufel Das wildtprädt/ist der waldesel. Bey dem waldesel würt ver-standen ain gaistlich mensch (als die ainsidel die ettwan in der wüste hond gewonet) Derselb ist zum ersten ain häßlin Aber hindennach würt ain waldesel darauß/wenn die oren geraten wachsen.42

38 GeiLer von KaysersBerG: Buch, S. 249.39 Siehe den Abdruck der Übersetzung von seeL: Physiologus, S. 47f. auch in KöLLer: formen, S. 222.40 zitiert aus KöLLer: formen, S. 222. Vergleichbar dazu GeiLer von KaysersBerG: Buch, S. 249.41 KöLLer: formen, S. 222–249.42 GeiLer von KaysersBerG: Buch, S. 253.

167Das Genre der Jagdmotivik als christliche und politische Standortbestimmung

Eine Lehre dieser Worte wäre, dass je frommer ein Mensch ist und seine innere Er-kenntnis hinauf zu Gott lenkt, umso kostbarere Beute ist er der Welt. Die Herren der Welt sind jedoch übergauckelte Hasen. Ihre Aussichten auf die himmlisch ‚oben‘ ge-legene Erlösung degenerieren mit ihrer weltlichen ‚Abwärtsgewandtheit‘. Als über-gauckelter Hase ist der fürst im Bild lesbar, als Gefangener der Hunde des ‚Bösen‘ im Sinne der Verführung zur Anmaßung. und so ist es auch eine andere, wertvollere Beute, die sie immer noch fixieren, nämlich der Hirsch. Das Bild des ainsidels kehrt in der Pilgergestalt des Lazarus bei Breu wieder. Seine Vertreibung lässt ihn allegorisch im Genremotiv des erlegten und imposant zur Schau gestellten Hirsches aufscheinen. Die göttliche conversio der opferrolle, das Heilsversprechen, ist das hier innewohnen-de Prinzip der geistigen fluchtmöglichkeit. Das aus den fugen geratene Triumphbe-wusstsein des Jägers in der Welt ist seine Niederlage vor dem Schoße Abrahams. Dass er der geistig eigentlich Gefangene ist, heißt also, dass sich der fürst seiner christlichen Knechtschaft unter Gott nicht bewusst ist, dass er zu sehr in den zeitlichen Gütern ver-fangen ist. Seine fluchtwohnung ist nicht der fels Christi, sondern sein eigener Wille, der sich in der genuin repräsentativen Architektur dieses pagan verblendeten festes erkennen lässt.

Der Verlauf dieser Interpretationsrichtung führt zu noch weiteren Erkenntniszu-sammenhängen, die auf subtile Verlagerungen von Bedeutung abzielen. Durch einen Knecht wird der Lazarus vertrieben, auf knechtende Anordnung hin wurde der Hirsch erlegt. Der Knecht mit der Peitsche stützt die gottlose ordnung. Er tut es umso mehr, umso weniger im Bild sichtbar ist, dass er von seinem Herrn den Auftrag dazu bekam. Wäre dies der fall, wäre er ein gehorsamer Knecht. So bleibt er der Anmaßung ver-dächtig. Wieder wird diese Erkenntnis durch die Technik des Vergleichens ermöglicht. Dazu dient die Szene im rechten Hintergrund, in der ein Mann mit erhobener Peitsche ein prächtiges und stolzes Pferd aus dem Stall führt. Es besteht ein unterschied zum Knechten eines widersinnigen Tieres und zum Peitschen eines bedürftigen Menschen. Die erhobene Peitsche in Breus Holzschnitt lässt den Knecht vergessen, selbst Knecht zu sein und verleugnet damit aktiv das Prinzip der Barmherzigkeit. Er schwingt sich auf zum Status seines Herrn und wird wie jener seine flammenden Ketten angelegt bekommen. Die zeit wird ihn unerwartet dahin raffen, die Verkündigungen sind dann auch von ihm unerkannt geblieben.

In diesem Kontext wird die Rolle des Bauern noch einmal relevant. Er tritt als ge-horsamer Diener an. Indem er die ständische Knechtschaft anerkennt, beweist er ei-gentlich einen Gottesdienst. Er begreift dieses Schicksal als gottgegebene Aufgabe, so wie auch der Lazarus sein Leidensschicksal verwaltet. Das Vertrauen, das der Bauer in die ständische ordnung setzt, wird enttäuscht, es ist ein fatales, denn in ihr wohnt nicht der christliche Geist, sie ist nicht der fels der Tugend, sondern Hort der Sünde. Diese unter so manchem fürsten herrschende alltägliche und allgegenwärtig spürbare feindschaft, der der Bauer in seiner untertanenschaft ausgesetzt ist, lässt ihn zum edlen Bedeutungsträger werden, wie es den bei Jeremias und Geiler angesprochenen Einsied-lern in deren lebensfeindlichen umgebungen (Welt, Wüste) zuteil wurde. Anhand die-ser Überlegungen gewinnt das Reh auf dem Kopf des Bauern eine metamorphotische Qualität. Der Künstler setzt es ihm wie eine allegorische Krone auf. Es bezeichnet diese Bildfigur selbst, wie der gefangene Hase den fürsten an der Wand seines Bellevues.

168 Wolf Seiter

Auch für diese Erkenntnisspiele steht die Jahreszahl wie eine Art Richtmaß der In-terpretationsorientierung vor Augen. Wären die in den Diensten der obrigkeit stehen-den Stadt- oder Landsknechte von dem Vorwurf, den Breu d.ä. und die Augsburger Chronisten an die obrigkeiten richteten, freizusprechen, nämlich: dass sie in Dingen Entscheidungen fällen, für die sie eigentlich gar keine Befugnis haben?

Der Bauer hingegen scheint eine besondere Lektion aus der zeiterfahrung vor dem Hintergrund des Evangeliums gelernt zu haben: weltliches unrecht zu bekämpfen be-darf wirkmächtigerer Waffen als weltlichen Aufstand. Dieser Impuls soll schließlich zum Ethos des Erduldens konvertiert werden. Das Blatt Breus versichert ihn sowie den Betrachter in dieser Erkenntnis. Sich auf Gottes Gericht zu verlassen, ist Mittel der Wahl.

Auch die Hunde könnten sich in dem hier vorgeschlagenen tierallegorischen zu-gang auf die Knechte beziehen lassen. Auch sie lassen sich auf Grundlage des Verglei-chens in zwei Typen unterscheiden: die guten Hunde, die Lazarus die Wunden lecken und der prächtige Kerl, der ungeduldig am Hintern des Hirschs schnüffelt. Die Ver-treter beider Hundetypen lockt das fleisch aus diametralen Gründen. Luther weist in seiner Exegese darauf hin: hie seind die hund/die doch das zornigst thier seind/barm-hertziger über den armen Lasarum/dan diser reych man/vnd erkennen des armen not/vnd lecken jm seyne gschwer.43 An dieser Stelle gilt es noch einmal auf den besonderen Bildwitz Breus hinzuweisen. Seinen Ausgang nahm er im humorvoll subversiv arran-gierten Stellungsspiel zwischen dem messerführenden Edelmann, dem keck posieren-den Knecht und dem am Hinterteil schnüffelnden Hund um den Rang der höchsten Attraktivität des Bildzeitpunkts. Diese Subversion strahlt nun aus, denn das Schnüffeln am Hinterteil kann als eine vergleichbare form der Annäherung ans ‚unappetitliche‘ erkannt werden, wie sie die Hunde an den wunden Beinen des Lazarus anstreben. Das subversiv gestiftete Lachen im Vordergrund erhält durch die ernste konventionelle bi-blische formel im Hintergrund seine Bestätigung. Sie legitimiert und bekräftigt den Humor auf Kosten des Ehranspruchs, den der gottlose Jagdfürst für sich reklamiert.

VI. Schluss

Der erste Eindruck des Holzschnittes wurde von einer sinnlich verführerischen und spannenden Genrebildmotivik bestimmt. Im näheren Vollzug der Bildbetrachtung sollte der zusammenhang mit dem Lazarusgleichnis entdeckt werden und eine um-wertung der vorderen Szenen in Hinblick biblischer Morallehre bewirken. Die Kon-struktion des Vordergrunds wies eine eigene Infrastruktur der Aufmerksamkeit auf und baute sich durch spannende Details und attraktive ästhetik wie ein Schleier der Ablenkung vor dem biblischen Hintergrund auf. Vor allem aber unterschied sie sich durch ihre eigentümliche Sensibilität für subversive Scherze von den hinteren Schich-ten und machte damit auf den idiomatischen unterhaltungswert von Genrebildern auf-merksam. Ebenso war aufgefallen, dass hier nicht nur ein reicher Mann den Lazarus abweist, sondern eine Ikonografie der Macht gezeigt wird. Die erhöhte Loggia des Reichen wirkt wie eine kaiserliche Empore. Die Abweisung ist nicht nur Ausgrenzung

43 Luther: Sermon, S. 7.

169Das Genre der Jagdmotivik als christliche und politische Standortbestimmung

und Verachtung des Armen, sondern dieser wird gewaltsam eine Treppe hinab getrie-ben: ein reaktionärer Akt auf einem zeichen der Hierarchie. Doch nicht im Sinne ei-nes weltlichen Aufstandes hatte Lazarus dieses Bildelement betreten, sondern mit dem Anliegen der aus Not entspringenden Bitte, dem nach biblischen Konventionen ein Herabbeugen des Herrschers antworten sollte. Vergleichbar unnachsichtig hatten die fürsten auf die Anliegen der Bauern geantwortet, als sie sich 1525 in einem Aufstand erhoben. In diesem zehn Jahre späteren Blatt werden sie allerdings als christliche bezie-hungsweise gottgefällige erkennbar, wie Lazarus ihrer himmlischen Entlohnung har-rend. Damit wird der ernüchternde Bezug zur historischen Marke auf dem Holzschnitt relevant. Die Bauern scheinen ihre Lektion gelernt zu haben. Die fürsten erweisen sich allerdings noch immer als erkenntnisresistent. für diese Interpretation war auf die Brisanz des Jagdgenres hingewiesen worden. Es konnte nicht nur als repräsentatives Attribut der reichen oberschicht, sondern als Motiv der Anmaßung lesbar sein.

Im vorliegenden Holzschnitt übernimmt die Genremotivik somit auch eine politi-sche funktion. Gleichzeitig verhindert sie das offensichtliche Erkennen dieser Rolle. Erst das Wahrnehmen bestimmter Bilddetails und die zusammenführung mit dem bib-lischen Inhalt führen zu ihrer historischen Relevanz. Das eminent politische Verhältnis von Herr- und Knechtschaft ließ sich auch jenseits des Sichtbaren als Metathema in den hier herangetragenen Deutungsressourcen ausmachen.

Den Betrachter mit visuellen Listen zunächst zu verführen, um ihn so von spezifi-schen Interpretationswegen abzulenken, kann einerseits als offenes ästhetisches Spiel begriffen werden, andererseits aber auch als Methode des Kaschierens konkreter Bot-schaften für bestimmte Betrachtergruppen. Darin lässt sich eine Art Verkehrung der funktion dieser niederen Bildgattung feststellen, wenn sie in ihrer hohen Bedeutsam-keit entschlüsselt wird. Dieses Verkehren ist vergleichbar zur Bildpraxis des Nürn-berger Künstlers Sebald Beham, dessen Bauernbilder sich kritisch zu politischen und religiösen Kontexten verhalten.44 Wie Beham nutzt auch Breu den idiomatischen un-terhaltungswert des Genre. In ihm kann der Künstler seine Erzählgabe offen vorzeigen und gleichzeitig bestimmte Interpretationsangebote einweben. Einen Generalschlüssel zum Erkennen dieser gibt es, wie gesagt, nicht. 1545 wird Jörg Breu d.J. das Laza-rusgleichnis noch einmal darstellen. Auch dort wird die imposante Hirschweideszene wieder enthalten sein, jedoch werden es andere Hinweise im Bild sein, die dessen In-terpretation manövrieren. Mögliche subversive Inhalte sind für jedes Blatt aufs Neue in seiner jeweils eigenen Qualität zu bestimmen, auch wenn analoge Bildinhalte analoge Deutungskonventionen suggerieren. Das subversive Potenzial des vorliegenden Holz-schnitts ist gebunden an den Grad der Betroffenheit der Betrachter von inhaltlichen zusammenhängen, die sich aus den pointiert platzierten Bildbausteinen zusammen-fügen lassen. Mit einer entsprechenden Qualität ihrer Pointen konnten Künstler zum Marktwert ihrer Werke beitragen. für bestimmte, der obrigkeit entstammenden Be-schauer mag die verarmte Bauernfigur ganz obligatorisch zum Dienstpersonal eines fürstenfestes gehören. Doch von dieser Selbstverständlichkeit auszugehen birgt die Gefahr, das Bewusstsein der eigenen Knechtschaft unter Gottes Schicksalsgewalt mit

44 Vgl. zscheLLetzschKy: Maler; rauPP: Bauernsatiren; seiter: Bauernfest.

170 Wolf Seiter

weltlichem Genuss vertauscht zu haben, keine Dankbarkeit und Demut mehr dieser ordnung entgegen zu bringen.

Dass nicht jeder der damaligen Betrachter über die Gesamtheit der hier vorge-stellten Deutungsressourcen verfügte, ist in gleichem Maße wahrscheinlich, wie ihre zusammentragung durch ein Betrachterkollektiv geleistet werden konnte. Die festli-che Motivik fordert das Bilden von Betrachtergesellschaften geradezu heraus. Diese konnten freilich jedes Mal aufs Neue in fraktionen und Einzelpersonen zerfallen, wie die im beziehungsweise durch das Bild vergemeinschafteten und doch wesenhaft ver-schiedenen figuren. unterschiedliche Sehgewohnheiten und Interpretationsfähigkei-ten konnten hier aufeinander treffen und sich aneinander reiben. Sie konnten sich aber auch gegenseitig beflügeln. Darin ist der Holzschnitt ein Konversationsblatt. Selbst eine Konversion von profaner Anschauung hin zu christlich geistiger Reflexion bein-haltend, stellt es den Mechanismus der conversio als Erkenntnistechnik vor, die sich als Rezeptionsprozess auch auf die Gruppendynamik eines Betrachterkollektivs auswir-ken konnte.

Die zeitfenster zum biblisch-historischen Lazarus und zum Jahr 1535 zeigen die gleiche landschaftliche Aussicht beziehungsweise ihre stilistische und ästhetische Identität: ihre pagane Prägung. Dass es zwei fenster sind, darauf weisen zunächst die makroformal in zwei fluchtpunkte gespaltene Kompositionsordnung sowie die früh-neuzeitlichen Kostüme hin. Letztere dienen nur scheinbar narrativen Ansprüchen. zu ihrer funktion als Anzeiger der Gegenwart gesellt sich die Ruine im linken Hinter-grund. Ihr angezeichnetes architektonisches Element, der christliche Triumphbogen, umschließt entsprechend zwei fensteröffnungen, durch die sinngemäß äußeres und Inneres, zeitflüchtiges und Ewiges zugleich geschaut und in ihren zusammenhängen erfasst und begriffen werden könnte. Die Verblendung dieses formalen Sinnzusam-menhangs drückt die erhabene Pose der Plastik an der Kuppel des Rundbaus aus. Sie referiert nur hohle freude, pagane Idolatrie. Die auffällig analoge Pose des Bauern da-runter wird dagegen als Ausdruck christlicher Demut und eines inneren Bekenntnisses zur Herrschaft Gottes erkennbar. Das rettende Betrachtungsprinzip tritt sinngemäß als Ruine wie ein verachteter Gebäudetyp hinter die festtempel, die nur Lustressour-cen umhüllen, zurück. Die Mächtigen des Jahres 1535 sind so verblendet, dass sie den Eindruck geben, als hätten sie nie vom Evangelium gehört, als gäbe es dieses noch gar nicht. Dass es jedoch ein verkündetes ist, davon zeugt die Ruine als Gegenstand einer historischen Hinterlassenschaft, wie ein – im Sinne Agricolas – schlecht verwaltetes Erbe und ein nun zu hebender Schatz.

Seine ersten Blicke auf das Bild wirft der Betrachter – im Sinne der christlichen Tierallegorese – als Hase. Es wird davon abhängen, für welche Schau er sich gewinnen lässt. Die simultanen Bildspannungen um die Hirschbeute hielten den Blick gefangen. Die freude an diesem prächtigen fang konnte der Betrachter zunächst ungetrübt emp-finden. Bliebe es dabei, würde er sich sinngemäß ‚abwärts‘ wenden und die Gefahr des lustvollen Übergaukelns ließe die Jägershunde so auch nah an ihn heran rücken. Doch der Künstler öffnet dem Betrachter ein zweites fenster, einen aufklärenden flucht-punkt, so dass er sich aus seiner Gefahr befreien kann. Dieser Erkenntniszugang konn-te den Betrachter in seinem Status als Betrachterbeute aufsteigen lassen. Er würde nicht mehr als übergauckelter Hase, als leichte Beute für die Hunde enden müssen. Er konn-

171Das Genre der Jagdmotivik als christliche und politische Standortbestimmung

te, wie der Bauer im Bild, einer konvertierten Erkenntnishaltung Ausdruck verleihen und zum gottgefälligen Wildpret gedeihen. äußerlichem Adel wird ein inneres Ed-les entgegengesetzt; 1535 eine scheinbar leidvoll vermisste Erkenntnis. Politische und christliche ordnung sind im Niedergang begriffen. Die Posaunen künden vom Ende.

Ließe sich diese Interpretation innerhalb jedes beliebigen Betrachterkollektivs un-beschwert aussprechen? Schlechte fürsten und grausame Knechte konnten in diesem Entwurf für das Jahr 1535 womöglich einige identifiziert werden. Auch dafür konnte seine Verbreitung durch den Holzschnitt sorgen.

Bildnachweise

Abb. 1: foto: © London, The British Museum.Abb. 2: foto: © München, Bayerische Staatsbibliothek.

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Maike Schmidt

Jagd im Bild. Kultur und Darstellung herrschaftlicher Jagdausübung im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen frankreich zwischen Prunk und Performanz

I. Jagd und Bildhaftigkeit

Seeing my darling is absent, I can no less do than to send her some flesh representing my name, which is a hart’s flesh for Henry, prognosticating that hereafter […] you must enjoy some of mine, which, He pleased, I would were now1

Die Ausstrahlungskraft der höfisch-herrschaftlichen Jagdpraxis auf koexistierende Denk- und Handlungsräume ist im abendländischen Überlieferungskontext des be-ginnenden 16. Jahrhunderts immens. Die Überfülle an Schrift- und Bildzeugnissen, die über das Jagen explizit oder periphär sprechen, ist in den generellen Kontext der Intensivierung dokumentarischer Praktiken zu stellen, welche besonders im höfischen und städtischen Verwaltungssektor zum Ausdruck kommt. Die genreübergreifende omnipräsenz jagdrelevanter Diskurse fügt sich daher in das Bild der zeittypischen Überlieferungslage ein. Dieser umstand mindert jedoch nicht die Signifikanz des ge-samtmedialen Jagddiskurses, dessen mithin traditionsreiche Darstellungskonventionen bereits in weit früheren Epochen der Kulturgeschichte angelegt sind und im abendlän-dischen Mittelalter zweifelsohne einen Höhepunkt erfahren. Bei eingehender Betrach-tung des obigen zitats fällt auf, dass jene Narrativierungsmodi, die im frankreich des 14. Jahrhunderts außerhalb des höfischen Romans vorrangig auf der Wiedergabe ex-akten, naturkundlichen wie technischen Wissens beruhen, Einzug in lebenspraktische Kommunikationsformate halten, innerhalb derer sich eine spezifische metaphorische Semantik abzeichnet.

Es handelt sich um einen betont lüsternen Auszug aus der Korrespondenz zwischen Heinrich VIII. König von England und seiner maitresse en titre und späteren Gemahlin Anne Boleyn von 1528, der die vieldimensionalen Anknüpfungspunkte des Jagdmo-tivs exemplarisch ausstellt. So brisant sich das vorerst unerwidert gebliebene, aber stets unnachgiebige Werben des leidenschaftlichen Jägers um das kurzlebige objekt seiner Begierde politisch entwickeln würde, so zudringlich gestaltet sich die Sprachwahl je-ner Liebesbekundigungen. Heinrich spricht unverholen von der körperlichen Nähe, welche den beiden Liebenden durch räumliche Trennung für jenen Moment verwehrt bleiben soll. Doch hat er eine höchst gegenständliche Lösung parat, die diese temporäre

1 Brewer: Letters, fol. 4410.

176 Maike Schmidt

Problematik des abwesenden Liebhabers zu überwinden verspricht: Heinrich hatte den Boten angewiesen, Anne als Beigabe zu den gefühlvollen zeilen Hirschfleisch zu über-bringen – a hart’s flesh for Henry –, das seine Geliebte vorerst stellvertretend für seinen Leib empfangen solle, welchen, so prophezeit er, sie alsbald wahrhaftig konsumieren werde können.

Die sexuelle Konnotation der Kombination aus lebendigem Wort und totem fleisch ist überaus offenkundig. Besonders ergiebig für den Kontext des vorliegenden Bei-trags ist die Etablierung jagdsemantischer felder in den Liebesdiskurs, welcher sich auf mehreren Ebenen erschließen lässt. Augenscheinlich fungiert, zumindest im spezi-fischen fall der Liaison zwischen Heinrich und Anne, die Wildbeute als Liebesgabe.2 Diese form der Gabe kann als rein geschenkanaloge Gefälligkeit oder implizite Befä-higung männlichen Versorgertums gedeutet werden. Im falle des vorliegenden Text-ausschnitts expliziert der Verfasser jedoch: Das von einem Hirsch stammende Wildbret sei die physisch-materielle Auslagerung seiner Selbst. folgerichtig bedeute der Ver-zehr des fleischstücks durch die so sehr begehrte Anne eine sinnbildliche Analogie zur Konsumierung eben seines Leibs. Die durch Vertextung möglich gemachte, hoch-gradig erotisch aufgeladene Aura des Geschenks legt nicht nur ein Entsprechungsden-ken zwischen ‚Jagen‘ und ‚Lieben‘ nahe, sondern rekurriert ebenso auf die signifikante Symbolik des Hirsches als geradezu mystisches Königstier, das alleinig der leibhaftigen Repräsentation des englischen Machthabers gerecht werden kann.3 Davon ausgehend, dass Heinrich womöglich noch am Morgen der Briefentsendung eigenhändig benann-ten Hirsch erlegt hatte und nun das leblose fleisch als seine Entsprechung ausweist, eröffnet eine beinahe toposartige Denkkategorie: Das vorgestellte Einswerden von Jä-ger und Beute infolge des Tötungsakts, welches per se eine Ebenbürtigkeit beider An-tagonisten zulässt, kann als quasi-ritueller Ausdruck der Wertschätzung des Wildtiers gedeutet werden.4 Derartige formen der Huldigung zeugen von zeit- und kulturüber-

2 Siehe FLetcher: Gardens, S. 198f. Generell waren kostbare Jagdmaterialen aller Art, wie aufwendig verziehrte Jagdhörner, edle Jagdhunde und Wildbret, traditioneller Bestandteil der adeligen Geschenk-kultur im abendländischen Spätmittelalter. Der englische Botschafter Clerk berichtet an Wolsey im Herbst 1526 vom französischen Hof in Amboise, der französische König intendiere eine Schiffsladung voll lebendiger Wildschweine an Heinrich VIII., wohlwissend, dass dieses Wildtier in England rar sei, dessen Jagd aber höchstes Vergnügen bereite: The hunting of them was very pleasant, [and] a king’s game (Brewer: Letters, fol. 2481).

3 Die Liebesanalogie des Jagens ist ein gängiges Motiv in der mittelalterlichen Literatur. Eine besondere Rolle kommt der Hirschjagd im chevaleresken Diskurs zu, wo sie zum immanenten Bestandteil der physischen Disponiertheit und höfischen Kultiviertheit des ritterlichen Helden avanciert. Vgl. grund-legend zur Poetisierung der Hirschjagd im Mittelalter thiéBaux. Die Kopplung von Jagdmotiv und Liebesdiskurs wird speziell in Gottfried von Straßburgs ‚Tristan‘ von 1210 manifest. Handlungsgeo-graphien scheinen geradezu durchdrungen vom in der Wildnis jagenden Protagonisten (siehe thié-Baux: Stag, s. 128f. und vgl. fußnote 57). In einer denkwürdigen Jagdepisode stellt der universalkön-ner Tristan sein weidmännisches Wissensrepertoire unter Beweis (siehe GottFrieD von strassBurG: Tristan, V. 2788f.). Tristans vollkommene Kunstfertigkeit als Jäger, in dessen Rolle er im Textverlauf immer wieder in Erscheinung tritt, koexistiert mit seiner eigentlichen Hauptexpertise – der Liebe als ursprung und Endpunkt seiner höfischen Karriere: „All his intellectual and physical efforts will be transferred from the exercice of convential courtly accomplishments for their own sake to the service of his love“ (thiéBaux: Stag, S. 134). zum allegorischen Topos des „hunt of love“ siehe Lerer: Letters, S. 105f.

4 Heinrich tritt an anderer Stelle der Korrespondenz tatsächlich als eigenhändiger Erleger des Wildes, welches er Anne nebst der Briefbotschaften zukommen lässt, in Erscheinung: I think it the part of a

177Jagd im Bild

greifender omnipräsenz. In diesem Sinne lehren allem voran die großen Jagdtrakta-te des Mittelalters eine ideale weidmännische Verhaltenstypik, die – zumindest in der Theorie – fairness und Achtung vor dem Gejagten vorsieht und letztlich nur durch das minutiöse Einhalten ritueller Maßgaben artikuliert werden kann.5

Richtet man den Blick auf die Vielzahl an Wissensformaten, die zur technisch und ästhetisch korrekten Durchführung der Großwildjagd vonnöten sind, wie es die spät-mittelalterlichen fachtexte beschwören, bietet sich eine weitere zugriffsmöglichkeit auf den vorliegenden Sachverhalt an. Ist es womöglich der Intensität der Wildbeob-achtung zwecks soliderer Kenntnis über dessen Verhaltensweisen geschuldet, dass der Jäger zu einer nahezu vollkommenen Identifikation mit seiner Beute gelangt?6 Inwie-fern sich verhaltenstheoretische Vermutungen auf historische Konstellationen anwen-den lassen, sei dahingestellt. Der Wortlaut des hiesigen Textgegenstands lässt vermu-ten, dass Heinrichs vorrangige Intention geradlinigerer Natur ist. Das Stück Hirschleib soll einen virilen Leib vorstellen, der die textliche Projektion sexueller Potenz zulässt. Die zuschreibung klassisch männlicher Attribute im Kontext des fleischlichen und als Briefsendung verpackten Jagdresultats gelangt zu einer eigentümlichen Gegenständ-lichkeit. Es scheint, als bräuchte es die gestalthafte Sichtbarkeit des Hirsches, um der Intensität von Heinrichs körperlichem Verlangen Ausdruck und der Botschaft an Anne Wirkmacht zu verleihen. Die Passage unterbreitet eindrucksvoll, in welchem Ausmaß die Jagdsemantik jener Epoche sinnbildliche Assoziationsräume aufschließt und inwie-fern kulturelle Verankerung, figürlichkeit in form von Textbildern und nicht zuletzt konkrete Bildvorstellungen verschränkt sind: Das Anne gewidmete Wildbret stellt bildhaft die erfolgsgekrönte Performanz des königlichen Jägers und dessen fleischge-wordene Repräsentation dar.

Minneanalogie und maskuline Machtdispositive sind zwei beispielhafte felder, die sich als analytische Kategorien für die kulturhistorische untersuchung von Jagdkul-tur anbieten. Die Liebesschwüre Heinrichs sollen in diesem Rahmen exemplarisch die mehrdimensionialen Tragweiten der Jagd und der Rede über sie als immanent histori-sche Phänomene veranschaulichen, die in verschiedene Nischen vergangener Hand-lungs- und Diskurswelten vordringen. Die Bildrede über Jagd als Materialisierungs-form der realhistorischen Jagdpraxis stellt dabei eine Quelle von unschätzbarem Wert dar. Sie kann sich normativ oder nicht-intentional darstellen und lässt sich analytisch in drei Produktionskategorien gliedern: Erstens die Vertextung technischer Sachver-halte und literarischer Jagdfiguren (im Jagdbuch oder in Literatur höfischer Proveni-enz), zweitens die Kombination aus Textbild und körperhaften Bedeutungsträger (wie im fall der Korrespondenz) und drittens die ästhetisch darstellende Verarbeitung des Jagdmotivs im Bildwerk. Die Darstellungsmodi der Jagd im Bild verschränken zwei epistemische Räume miteinander: Das fachmännisch-technische Wissen über die Jagd-durchführung an sich und das ästhetische Wissen über ihre textliche bzw. bildliche

true servant to inquire after his mistress’s health and send you this, desiring to hear of your prosperity. I also send by the bearer a buck killed by me late last night, hoping when you eat of it you will think of the hunter (Brewer: Letters, fol. 3320).

5 In der Jagdlehre Phoebus’ geschieht die Auswahl des jagbaren Hirsches niemals unüberlegt. Ebenso gelte es, die Brunftzeiten des Wildtiers als Schonzeiten zu beachten (siehe PhéBus: Livre II, S. 103). Die sorgsame Selektion des jagbaren Tiers tritt auch bei BuDé in Erscheinung.

6 Vgl. FLetcher: Gardens, S. 20.

178 Maike Schmidt

Inszenierung. ähnlich wie der Verfasser von Jagdhandbüchern oder narrativer Lite-ratur, die Jagd zu ihrem Handlungsgegenstand macht, verfügt der Künstler über ein durch eigenhändige Ausübung, durch Beobachtung oder durch Spezialistenbefragung empirisch gewonnenes Vorwissen, das es ihm erlaubt, die Jagd gemäß dem jeweiligen Gebrauchskontext in den Text oder ins Bild zu setzen.

Im Interessenfokus des folgenden Beitrags steht die letztgenannte form der Bild-rede, sprich die körperhafte Jagddarstellung im Bildwerk. Anhand zweier Miniatur-beispiele aus dem Illustrationszyklus der hochwertigsten, heute überlieferten Hand-schrift des französischstämmigen Jagdbuchklassikers ‚Livre de la chasse‘ – fertiggestellt zwischen 1388 und 1389 – soll die im folgenden unternommene, analytische zusam-menführung von Jagd und dem Konzept des Performativen diskutiert werden.7 Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der frage, mit welchen zeittypischen Darstellungs-konventionen die ‚Medialisierung‘ einer immanent dynamischen Handlung im unter-weisungskontext unternommen wird. Welche Bedingungen gilt es zu erfüllen, um einer visuellen Inszenierung die Kraft zu verleihen, zum performativen ‚Bildakt‘ zu werden?

Es ist kein Anspruch dieses kulturwissenschaftlich motivierten Beitrags, anhand konkreter Bildereignisse der spätmittelalterlichen Jagd die Genre-Problematik aufzu-lösen. Vielmehr geht es darum, aus kulturalistischer Perspektive für ein signifikantes Handlungsfeld jener zeit zu sensibilisieren, das aufgrund seiner starken Präsenz in der bildlichen und schriftlichen Überlieferung von gesamtkultureller Brisanz zeugt. Es wird die These vertreten, dass der untersuchungsgegenstand Jagd für das gattungsthe-oretische Anliegen des vorliegenden Tagungsbands insofern produktiv werden kann, als dass er einen Motivkreis eröffnet, der im Bilddiskurs des abendländischen Spätmit-telalters und besonders im frankreich der ‚première modernité‘ einen bedeutsamen Platz einnimmt. Es erklärt sich aufgrund der historischen Konstellation des Jagdrechts von selbst, dass in feudalistischen Strukturen des Mittelalters und dem sich auf dem Weg in den Absolutismus befindlichen frankreich des beginnenden 16. Jahrhunderts nicht von einer Kulturpraxis der ‚Vielen‘ die Rede sein kann, die die ursprüngliche Bedingung genrefähiger Stoffe darstellt. Jedoch ist fakt, dass das Jagen, zumindest seit dessen institutioneller Domestizierung im höfischen Kontext, Hauptveranstaltung der hofadeligen Alltagskultur und ein habituelles Moment dynastischer Sozialisation in-nerhalb der fürsten- und Prinzenerziehung ist.8 Die Tragweiten der Jagd im literari-schen Diskurs, in Diplomatie, Gabentausch und Hofwesen, deuten auf eine normali-sierte Handlungsspezifik der Eliten hin. Die zeitgenössische Jagdsemantik beinhaltet eine Bildsprache, die man kulturübergreifend versteht. Die Gewöhnlichkeit der Jagd macht sie in der künstlerischen Darstellung womöglich doch ungemein genre-fähig.

In einem ersten Schritt soll die Rolle der Performanz für die historische Jagdaus-übung und die daraus resultierenden Ermöglichungsbedingungen ihrer bildlichen In-szenierung thematisiert werden. Daran schließt eine zusammenschau von funktionen und Bedeutungen der Hofjagd im spätmittelalerlichen und frühneuzeitlichen frank-

7 Siehe christe: Analyse, S. 35.8 Vgl. hierzu jüngst DeutschLänDer: Erziehung, S. 61. Die Höfe als „Erziehungsanstalten“, wie ash-

croFt: Minnesang, S. 62 sie für das spätfeudale England benennt, spielen besonders aufgrund ihres Ka-nalisationsangebots für den körperlichen Elan innerhalb von Turnier und Kampf eine übergeordnete Rolle innerhalb der Disziplinierung junger Adeliger.

179Jagd im Bild

reich, um den realhistorischen Kontext der vénerie – der Jagd mit Hunden auf Groß-wild, die das ‚Livre de la chasse‘ fokussiert – zu skizzieren. In einem dritten Schritt wird der Bilddiskurs ebendieser Handschrift beschrieben sowie auf Inhalte und Dar-stellungslogiken hin analysiert: Wie können Bilder und jagdliche Performanz zusam-men funktionieren und welche Rolle spielt die Darstellung einer belebten Praxis für das didaktische zusammenwirken von Text und Illustration?

II. Jagd im Bild und die Erfassung historischer Performanz

Die fülle der medialen Spuren menschlicher Jagdausübung überrascht angesichts der raumzeitlichen Persistenz jagdkultureller Strukturen in Praxis und Institution keines-wegs. Seit den frühesten Epochen der Menschheitsgeschichte und bereits vor der Neo-lithischen Revolution als vermeintlich ersten Referenzpunkt faktischer Kulturalität des Menschseins ist die Jagdsache manifester Gegenstand gesamtkultureller Hervorbrin-gungen und Strukturgarant sozialer Lebenswelten.9 Dass das Jagen zeitnaher mit ‚Kul-tur‘ in Berührung kommt als das Konzept neolithischen Werdens des Kulturmenschen durch Sesshaftwerdung und produzierende Wirtschaftsweisen annimmt, liegt nahe. Denn die für den urmenschen sozial signifikante Jagdhandlung ist wohl das frühes-te Diskurselement, das die Menschheitsgeschichte je gekannt haben mag. Ihre frühen Materialisierungsformen im Bild- und später im Schriftdiskurs bezeugen die Einschlä-gigkeit der Jagdausübung für die Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Symbolräume.10 Eine bis heute in der Ethnologie gültige, kulturalistische forschungsmeinung besagt, dass erst durch die Artikulation der Jagdhandlung menschliche Kulturen als identi-tätsstiftende Kollektive mit einem stabilen Konsens über Werte- und zeichensysteme

entstünden.11 Die Jagd generiere so jenseits ihrer funktion der Nahrungssicherung seit jeher sozialen Status, zugehörigkeitsprofile durch abgegrenzte Jagdgründe und Inter-pendenzen durch für den Jagderfolg unabdingbare zwischenmenschliche Kooperation. Der Statusdiskurs im Kontext menschlichen Jagdverhaltens scheint mit Blick auf vor-zeitliche Gesellschaftsverbände vorrangig männlich markiert. Diese geschlechtsspezi-fische Konnotation rekurriert augenscheinlich auf das klassische Konzept der hunting and gathering society als die wohl älteste form menschlicher Sozial- und Wirtschafts-

9 Siehe FLetcher: Gardens, S. 24f.10 zu den eindrucksvollsten Bildrelikten zählen die Rotwild darstellenden Höhlenmalereien von Lascaux

in Südwestfrankreich, die auf ca. 17.000 v.Chr. zu datieren sind. In der Schriftkultur tritt das Jagdmotiv erstmals im 4. Jahrhundert v.Chr. im ältesten heute überlieferten Jagdtraktat von Xenophon auf. Vgl. grundlegend zu den gattungsgeschichtlichen ursprüngen der jagdlichen fachprosa von der griechi-schen Antike bis zum Mittelalter van Den aBeeLe: Littérature, S. 34–40.

11 Siehe washBurn/Lancaster: Evolution, S. 294. Die analytische Signifikanz der Jagd resultiere zu al-lererst aus der generellen Rolle, die ihr in der evolutionären Durchsetzung menschlicher Spezies und der Ausdifferenzierung von sozialen und wirtschaftlichen funktionssystemen, in deren ursprünglichs-ten form des Teilens der Wildbeute, zukomme: „our intellect, interests, emotions, and our basic social life – all are evolutionary products of the success of the hunting adaptation. […] In an evolutionary sense the whole human pattern ist new, and it is the success of this particularly human way that do-minated human evolution and determined the relation of biology and culture for thousands of years” (washBurn/Lancaster: Evolution, S. 293–296).

180 Maike Schmidt

ordnung.12 Vor allem aufgrund physischer Disponiertheit würde ‚Mann‘ – zumindest bei der Jagd auf Großwild wie dem Höhlenbären, Mastodon oder Mammut – die Jägerrolle zugesprochen. Die attraktivitätssteigernde Wirkung auf Stammesgefährtinnen, die der Jagderfolg für den Wildbeuter erbracht habe, nimmt dabei einen geradezu stereotypen Platz im anthropologischen Diskurs ein: „It [the valuable booty] enables the successful hunter access to more females […]: ‚meat for sex‘“.13 Der hohe Wert der Jagdbeute für den fortbestand der Gruppe zähle dabei als Verdienst des durchsetzungsstarken Jägers und distinguiert ihn als Macher und Protektor. Damit demonstriere er sowohl seine unverzichtbarkeit für das Kollektiv als auch seine manifeste funktion innerhalb der ordnung, die wiederum nur durch das externe urteil anderer bestehen kann.

Der Hinweis auf urzeitliche Gesellschaftszustände soll folgende Grundannah-me unterstreichen: Die Produktion von Status durch das Vorbringen einer kollektiv-relevanten Leistung im Jagdakt geschieht performativ. Diese soziale Komponente ist überzeitlich. Performanz und ihr Resultat sind in jeglicher Hinsicht das fundamentale Dispositiv der isoliert betrachteten Jagdhandlung und deren gesellschaftlicher Imple-mentierung. Die sozialdistinktive urfunktion des Jagens soll in weit späteren Epochen der menschlichen Kulturgeschichte, in denen sie Einzug in das komplexere Sozialsys-tem des Höfischen hält, eine sowohl standesgesellschaftliche als auch funktionale Aus-differenzierung erfahren. Der Erfolg vorzeitlicher Treibjagdmethoden lässt vermuten, dass die Aufgabenverteilung klar und die Wissensanwendung solide war. Die Relevanz der Logistik belegt, dass das Wissensformat Jagd nicht auf die Kompetenz von Mus-kelkraft und Agilität reduziert werden kann. Phoebus lehrt im ‚Livre de la chasse‘, dass zu den Kernfertigkeiten allen voran die Beobachtungsgabe für Wildverhalten, das Le-senkönnen der Pirschzeichen sowie die fundierte Kenntnis des Waldterrains gehören.14 Darauf weist auch Guillaume Budé, Hofgelehrter und Humanist unter franz I. von frankreich, in seinem Kurztraktat ‚De Venatione‘ um 1530 hin.15 Er beschreibt seinen königlichen Souverän als idealen Weidmann. franz kenne seine Jagdwälder ny plus ny moins que ceux qui demourent dedans, aprez les [les bois et forests, Anm.d.Verf.] avoir veues […] deux ou trois fois seulement (S. 47). Dass die generellen fertigkeiten kogniti-ver und koordinativer Natur sind, beweist, dass die Jagd, rein biologisch gesehen, nicht zwingend geschlechterspezifische Arbeitsteilung voraussetzt.16

12 Siehe zur Anthropologie des Jäger-Sammler-Schemas und weiterführender Bibliographie riches: So-cieties, S. 363–367. washBurn/Lancaster: Evolution, S. 296 setzen in ihrer Studie zusammenhang von Jagd und menschlicher Evolution die Beteiligung der frau an Jagdaktivitäten per se voraus.

13 FLetcher: Gardens, S. 20.14 Vgl. PhéBus: Livre II, Kapitel XXVIII: Ci devise comment on doit mener en quête son valet, pour lui

apprendre à reconnaître le grand cerf par le pied.15 Das Textzitat samt Seitenangabe entstammt der ersten Edition der im Auftrag von Karl IX. im Jahr

1572 unter dem Titel ‚Traité de la vénerie‘ realisierten Übersetzung ins französische. Vgl. hierzu BuDé: Traitté, S. 1–47. zum lateinischen urtext vgl. BuDé: Philologia, S. XLVf.

16 washBurn/Lancaster: Evolution, s. 296 unterstreichen, dass vor allem die Ermöglichungsbedingun-gen der hoch koordinationsbedürftigen Großwildjagd – „ability to plan and to cooperate (…) know-ledge of many species and large areas, and technical skill“ – eine geschlechtsbasierte Arbeitsteilung for-cierten. Da das rein funktionelle Jagdwissensrepertoire, das auch noch im mittelalterlichen fachdiskurs grundlegend sein wird, mehr als bloße physische Stärke, nämlich logisches und logistisches Verständnis erfordert, und daher durchaus auch weiblich sein kann, nehmen ebendiese die Involvierung frauen und Jugendlicher in der Jagd auf Kleinwild an.

181Jagd im Bild

Es liegt in der Natur der Sache, dass die kognitiven Kompetenzen lediglich über ihre tatsächliche Artikulation im feld, die sie real unter Beweis stellt, legitimiert und nur so von der Mitwelt als existent und schätzenswert anerkannt werden können. ähn-lich verhält es sich für den oben zitierten fall Heinrichs VIII., der seine Performativität durch eine Beweiserbringung in form von totem Hirschfleisch reproduzieren muss, da die vorgesehene zuschauerin und Adressatin Anne nicht leibhaftig bei der Jagd-partie anwesend war. Es handelt sich um ein Mittel, dem Resultat der Performanz, der Wildbeute, visuellen Ausdruck zu verleihen. Somit sind zwei beispielhafte Eckdaten gegeben, bei denen Performanz im Jagdkontext von sozialem Belang ist: Der vorzeit-liche Jäger, der seine Stellung innerhalb der ordnung eines von der Jagd abhängigen Kollektivs aktualisiert und der königliche Jagdherr, der durch das fleischliche zeugnis seines Jagddaseins in Kommunikation mit einer Dame tritt, deren Anerkennung und körperliche Lust er wohl erwecken will. So ahistorisch diese Gegenüberstellung auch anmuten mag, so offenkundig unterbreitet sie doch die Kontinuität des ritualüber-geifenden Kommunikationsmusters der Jagd: Sie wird zum Kernelement zwischen-menschlicher Interaktion durch Qualitätserweisung und Leistungserbringung. Das Jagen erscheint dadurch zeitlos und zeithaft zugleich, handelt es sich bei den beiden Beispielen doch um zwei grundlegend verschiedene funktionskontexte: Im ersten fall ist die Nahrungsbeschaffung vorrangige Motivation. Im zweiten fall hat die Jagdaus-übung eine institutionelle Spezifizierung erfahren. Im 16. Jahrhundert stellt sie Herr-schaftsemblem, traditionelle Disziplin der „höfisch-ritterlichen Kultur“ und adeliges unterhaltungsformat ludischer Natur dar.17 Es kann eine Epochenspezifik festgestellt werden, die zwar den performativen Aspekt der Handlung konserviert, aber der Jagd ein institutionell adaptiertes Gesicht verleiht. Die Integration der Jagd in der höfischen Veranstaltungs- und Schaukultur zieht eine Auslagerung der Performanz nach sich. Ihr Bedeutungsrahmen verschiebt sich von der Ebene der nutzengeleiteten Kollektivrele-vanz zum Inkarnationsraum höfischer Werte und Normen, Schaulust und militärischer Performanz. Der gesellschaftliche Rahmen visualisiert und beseelt die Jagd, wodurch sie zur Hoffähigkeit und Element im profanen Wissensdiskurs avanciert.18

Die jagdliche Performativität basiert auf handlungsleitendem Wissen. Das natur-kundliche, technische und zeremonielle Jagdwissen ist wertlos, wenn es nicht im An-wendungskontext belebt und gelebt wird. Daher gilt für das Medium Schrift wie auch für die bildliche Darstellung des Jagdakts gesteigertes Interesse der Machart dieses performativen Gehalts. Wie wird das Jagen, eine dynamische und rituelle Aktivität, ins Bild übersetzt? Betrachtet man die unterschiedlichen Modi der Darstellung von Jagdsituationen im abendländischen Mittelalter und die Verschiedenartigkeit ihrer Trä-germedien, so fällt vielerorts auf, mit welcher Beiläufigkeit ihre Elemente integriert sind. Es handelt sich größtenteils um Medien mit einem konkreten Gebrauchsbezug, die dafür gemacht sind, im Alltag benutzt oder gesehen zu werden: In Jagdkompendien und Stundenbüchern, als Bildsujet oder Hintergrundmotiv von Tappisserien oder als Schmuckelement von Bordüren und ornamenten in Buchwerken. Die Jagd ist Raum

17 rösener: Geschichte, S. 128. Die Domestizierung der Jagd als höfisch-chevalereske Disziplin und ihre Kompatibilität mit dem Verhaltenskatalog der curialitas findet im Abendland um 1200 statt.

18 zu Überlegungen der Kompatibilität von Jagd und höfisch-chevalersker Kultur im Abendland siehe rösener: Geschichte, S. 128–133.

182 Maike Schmidt

der Repräsentation alltagsrelevanter Wissensobjekte. Im unterschied zum Medium Schrift ist Jagd seit jeher im Bild. Dass sie zur zeit des ‚Livre de la chasse‘ unabdingba-rer Bestandteil einer milieuspezifischen Sehgewohnheit darstellt, unterstützt die These, dass Jagddiskurs über Sichtbarmachung funktioniert. Wie sich Darstellungsmöglich-keiten gestalten, kann auf der Basis des realhistorischen funktionierens von Jagd bei Hofe eruiert werden.

III. Hofjagd und vénerie – Strukturelle Tragweiten eines französischen Spezifikums

Welche Institutionen und Akteure begreift die herrschaftliche Jagdkultur frankreichs vor und nach 1500? Warum ist dabei gerade das Kulturphänomen Hof auf französi-schem Boden von Bedeutung, stellt die abendländische Historiographie doch zahlrei-che Beispiele für intensive Jagdausübung und ihre Wissenskodifikation durch exzellen-te fachmänner bereit? Gewiss tut sich für die Geschichte der Jagd und ihr sich stetig ausdifferenzierendes Schrifttum ein epochales Momentum im 13. Jahrhundert auf. Im zeichen der zunehmenden Professionalisierung profaner Wissensbereiche steht die Blüte der Natur- und Heilkunde am sizilianischen Hof friedrichs von Hohenstaufen, aus der ein Meilenstein des spezialisierten Jagdschrifttums hervorgeht.19 Das lateinische Traktat zur Beizjagd ‚De arte venandi cum avibus‘, wohl aus friedrichs eigener feder, dokumentiert minutiös naturkundliches Erfahrungswissen über Wesen, Abrichtung und Pflege von Greifvögeln.20 ähnlich monumental tritt die Jagdthematik im Memo-rialschrifttum Maximilians I. im Reich des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahr-hunderts in Erscheinung.

Die abendländische Geschichte scheint indes geradezu durchdrungen von jagd-besessenen Herrscherpersönlichkeiten. Stets zum Leidwesen der ewig vertrösteten Botschafter bei Hofe, die immer wieder beklagen, dass der König – einmal mehr auf einem opulenten Jagdausflug mit seinen Damen – niemals in persona anzutreffen sei, Audienzen verpasse, dadurch die Abwicklung des politischen Tagesgeschäfts bei Hofe aufhielte und somit seine Herrschaftsverpflichtungen vernachlässige.21

Dennoch kultivieren Machthaber zielgerichtet ihren Jagdfuror, immer im zeichen von Herrschaftskult und dynastischem Habitus, aber auch Naturliebe, Ausgelassenheit und deduiz stehend.22 Jacob Burckhardt charakterisiert die Visconti im Mailand des 14. Jahrhunderts folgendermaßen:

19 Siehe grundlegend zur höfischen Wissenskultur und dem naturkundlichen Expertentum Kaiser fried-richs II. PoeschKe: Herrscher, S. 99–130.

20 Siehe grundlegend zur mittelalterlichen falkenjagd und Entwicklungslinien der falknereitraktate van Den aBeeLe: federspiel, S. 89–111.

21 Siehe beispielsweise den Bericht des Gesandten Clerk an Wolsey von 1526 in Brewer: Letters, fol. 2723.

22 Gaston Phoebus prägt diesen Begriff als spezifische Bezeichung für das Jagdvergnügen, welches er betont standesoffen deklariert: Donc soyes tous veneurs et ferez que sages et pour ce je […] conseille a tous maniere de gent de quelque estat qu’ilz soyent qu’ilz ayment les chienz et les chaces et deduiz [Anm.d.Verf.] (PhéBus: Livre I, fol. 7v). Übersetzt ins moderne französisch „Soyez donc tous veneurs, vous agirez sages. C’est pourquoi je […] conseille à toutes manières de gens, de quelque état qu’ils soi-ent, d’aimer les chiens et les chasses et les divertissement que procurent les bêtes […]“ (PhéBus: Livre II, S. 41).

183Jagd im Bild

Der wichtigste Staatszweck ist die Eberjagd des fürsten; wer ihm darein greift, wird matervoll hingerichtet; das zitternde Volk muss ihm 5.000 Jagdhunde füttern, unter der schärfsten Verantwortlichkeit für ihr Wohlbefinden.23

Wohlwissend, dass hier die exorbitante zahl an Jagdhunden womöglich einer historio-graphischen Übetreibung der Chroniken jener zeit geschuldet ist, so spricht diese Pas-sage hinsichtlich kultartiger Jagdpraxis als Machtausübungsinstrument doch für sich.

In Alteuropa sind zwei Grundformen der Jagd auszumachen, die von einer unange-fochtenen Vormachtstellung in Herrschaftskreisen des hohen Mittelalters zeugen: Die kunstvolle und kostenintensive Beizjagd – die Jagd auf Kleinwild mit abgerichteten Greifvögeln, bevorzugt mit falken und Sperbern als prestigeträchtigste Beutefänger – und der bewegten und raumeinnehmenden, aber nicht minder kostenaufwendigen Hetzjagd zu Pferd mit einer Hundemeute auf Großwild. Das bevorzugte Jagdwild der Hatz, so überliefern es unter anderem die Texte von Phoebus und Budé, ist der Hirsch. Die Hirschjagd ist heute im deutschen Sprachraum unter dem französisch geprägten Begriff ‚Parforcejagd‘ als Entsprechung zur französischen chasse à courre bzw. vénerie geläufig.

In ihrem höfischen Wesen verlangen beide Jagdformen spezifische Geländebeschaf-fenheiten, tierische Jagdhelfer, temporäres oder dauerhaft am Hof ansässiges Jagdper-sonal zu deren Abrichtung und Pflege sowie entsprechendes Equipment (Karren, Waf-fen, Netze, Jagdkleidung, Jagdhörner, Jagdmesser) zur logistischen organisation und Durchführung der Jagdpartien.24 finanzielle Aufwendungen können, je großangeleg-ter die Jagdpartie, immens sein. Im Textdiskurs fordern beide Jagdformen spezifische Verhaltenscodes, ästhetische Vervollkommnung der Handgriffe und strikte Einhaltung ritueller Vorgaben. Beizjagd und Hetzjagd unterscheiden sich vor allem in puncto ak-tiver Teilhabe des Menschen. Während sich der geschäftige Part des falkners auf das Vorhinein des eigentlichen Jagdaktes beläuft – der anspruchsvollen Abrichtung des Greifvogels, der die eigentliche Jagd sowie das Erlegen der Beute alleinig bestreitet – ist ein Jagdreiter auf der Hatz direkt in die Koordination der Verfolgung des Hirsches involviert. Es geht darum, Waldterrains zu umstellen, Hunde zu koordinieren und auf die fährte des Hirsches zu bringen, Jagdhorn zu blasen und letztlich den Hirsch zu erlegen und aufzubrechen. Erst in diesem Moment des Stellens tritt der veneur leibhaf-tig, im Sinne einer direkten Konfrontation mit dem Wildtier, ins Spiel. Die falkenjagd ist mithin kontemplativer Natur, die Hetzjagd eine abenteuerliche Verfolgungsjagd im klassischen Sinne.

Im Rahmen komplexer werdender Kollektive im mittelalterlichen okzident (wie das Dorf, die Stadt oder der Hof) organisiert sich Gesellschaft zunehmend in struktur-tragenden Institutionen, die ausgebildetes Personal des finanz- und Rechtssektors und adäquate Administration verlangen. Selbige Entwicklung ist für das höfische Jagdwesen in frankreich zu konstatieren. Am französischen Hofe koexistierten beide Jagdarten in form verwaltungsrelevanter Institutionen: die fauconnerie (falknerei) und die vénerie (Jägerei). Diese zeichnen sich auf der Ebene der Gesamtausgaben und der Personalstär-

23 BurcKharDt: Kultur, S. 26.24 Siehe zur Rolle der Hunde als Jagdhelfer Giese: Jagdhelfer, S. 4–6 und zum Wesen des höfischen Jagd-

personal im 13. Jahrhundert Giese: Jagd, S. 284f.

184 Maike Schmidt

ke durch ein signifikantes Wachstum zwischen 1484 und 1556 aus, das den exzessiver werdenden Jagdkult der französischen Regenten jener zeit sowie den Willen zu einer professionsbasierten Insitutionalisierung bei Hofe zu belegen scheint.25 In den letzten zwei Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts stehen gut fünfzig Amtsträger im Dienst der Hofjägerei, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sind es 330.26 Dies ist vor dem Hintergrund des beständig wachsenden Gesamtapparats des noch unentwegt reisenden Königshofes jener zeit zu lesen.27

Die Jägerei-falknerei-Dichotomie ist kein Spezifikum der französischen Hofhal-tung. ähnliche organisationsstrukturen finden sich am Herzoghof im nahen Lothrin-gen.28 Spezifisch französisch scheint allerdings die extreme Ausformung der königlichen Jagdausübung jener zeit, die (Kosten-)Intensität, deren höfischer Verankerung und die Kultivierung der vénerie als formvollendete Kunsfertigkeit in der volkssprachlichen Überlieferung. Es ist zu vermuten, dass die höfische Jagdkultur nicht etwa zur zeit des legendären ‚Livre de la chasse‘, sondern fast zwei Jahrhunderte später ihren Hö-hepunkt erreicht. Schenkt man Guillaume Budés Jagdtraktat Glauben, so distinguiert sich der von Jacques du foullouix um 1561 so getaufte ‚père des veneurs‘ franz I. von frankreich von seinen ebenso jagdbegeisterten Vorgängern der Valois-Dynastie.29 Er jage exzessiver als je zuvor und richte dabei seine gesamte Reichs- und Hofhaltungs-politik auf das Interesse der Artikulation einer adäquaten Jagdlogistik aus. Im zuge des Versuchs, das forstwesen zu reformieren und Wilderei sowie dadurch entstehende Wildschäden zu reduzieren, belebt er die absolute Exklusivierung des Jagdrechts wie-der. In Anlehnung an Karl VI., der 1396 erstmals Nicht-Adeligen das Jagen per Dekret untersagt, erschafft franz I. den Status der capitainerie – das Jagdterrain, das alleinig für den König und den princes du sang bestimmt ist – und erlässt in den Jahren 1516 und 1533 zwei große Jagdverordnungen.30 Diese untersagen das Jagen in königlichen fors-

25 Siehe die Analyse der für die zeit von franz I. sehr lückenhaften und nur in form von Abschriften um 1570 überlieferten Verwaltungsquellen bei haMon: Recettes, S. 61–65. Die finanziellen Gesamtauf-wendungen von Hofjägerei und falknerei liegen in den ersten Regierungsjahren Karls VIII. bei um die 25.814 livres tournois und in den letzten Regierungsjahren Heinrichs II. bei spektakulären 95.614 livres tournois, wobei sich zwischen den Rechnungsjahren 1555 (66 352 l. 6s 4dt.) und 1556 (95 614 l. 3s) ein schlagartiger Anstieg von knapp 44 Prozent verzeichnen lässt. Die signifikanteste Erhöhung der Aus-gaben ist für die Herrschaft von franz I. auszumachen. zwischen den Mittelwerten der Ausgaben aus den ersten und den letzten fünf Regierungsjahren lässt sich ein Kostenanstieg von knapp 72 Prozent ermitteln, der sich allerdings auf eine Dauer von 32 Jahren Herrschaft (1515–1547) erstreckt. unter Karl VIII. beläuft sich die Steigerung auf etwa 65 Prozent bei einer Regentschaftszeit von nur 15 Jahren (1483–1498).

26 Siehe haMon: Recettes, S. 64 und saLvaDori: Chasse, S. 195.27 Knecht: Court II, S. 2 beschreibt das höfische Milieu als in der weitestgehend zentralisierten franzö-

sischen Krondomäne seit Ende des 15. Jahrhunderts bemerkenswert wachsendes Machtausübungs-zentrum. Nach Angaben eines hofansässigen florentiner Goldschmieds um 1540 umfasst der Hof von franz I. (in friedenszeiten und bei voller Präsenz) die spektakuläre Schar von 8.000 bis 10.000 Personen (Knecht: Court I, S. xix). Bevorzugte Schlösser der Valois-Dynastie sind vorerst Chinon und Loches. franz I. baut Chambord und liebt die dicht bewaldeten Regionen entlang des Loire-Tals, verweilt laut Itinerar aber zumeist in Paris und fontainebleau (siehe Knecht: Court I, S. 30, 42–44).

28 Siehe die Ausgaben für vénerie und fauconnerie aus dem Jahr 1519 (BertranD: Compte, fol. 39r–48r).29 Vgl. Knecht: Court I, S. 81.30 Vgl. saLvaDori: Chasse, S 18. Siehe grundlegend zum Jagdrecht unter franz I. und entsprechendem

Strafenkatalog für forstdelikte, der erstmals die Todesstrafe bei wiederholtem Wildern androht saLva-Dori: Droit, S. 47–50.

185Jagd im Bild

ten a toutes manieres de gens de quelque condition ou estat ils fussent, de chacer dans nos forests sur certaines grandes peines contenues en nos dictes ordonannces.31

Wie sah die Jagdausübung am Hofe der Valois-Könige aus? franz I. liegt vorrangig die vénerie am Herzen, hält aber traditionsgemäß eine falknerei bei Hof. Robert de la Marck III seigneur de fleurange, herausragender Heerführer – der mit einer ganzen Günstlingsgeneration bei der Monumentalniederlage bei Pavia 1525 zu Tode kommt – und Spielkumpane des jungen franz I., berichtet über ein kurioses Ritual bei Hofe. Es handelt sich um eine Art spielerisch inszenierte Ablöse zwischen den beiden Parteien der Hofjägerei und falknerei, die zum Jagdzeitwechsel im Mai und September stattge-funden habe:

Et y a une […] façon de faire merveilleusement belle entre la vénerie et la fauconnerie, car quand ce vient à la Saincte Croy de may, qui est le temps de mectre les oyseaux en mue, les veneurs viennent tous habillés de vert avec leurs trompes et les gaulles vertes et chassent les fauconniers hors de la cour, pour ce qu’il fault qu’il mettent leurs oyse-aux en mue, et le temps des veneurs approche pour courre les cerfs à forces. Et quand on vient à la Saincte Croix de septembre, le grand fauconnier vient à la cour et chasse tous les veneurs hors de la cour, pour ce qu’il est temps de mettre les chiens aux chenils, car les cerfs ne vallent plus rien.32

Das zeremonielle Einläuten der Jagdzeiten kann nur für die zeitgenössische Bedeutsam-keit beider Kompartimente bei Hof sprechen. Die Emotionalität, die bei der so exzes-siven Jagdbegeisterung von franz zweifelsohne eine Rolle gespielt haben muss, findet ihre Wurzeln in der Sozialisation des jungen Prinzen als kriegsanaloge Übung. In Erin-nerung an seine Kindheitsvergnügungen mit dem jungen franz beschreibt fleuranges comment le dict sieur d’Angoulesme et le Jeune Advantureux [Fleuranges, Anm.d.Verf.] laschoient des pentz de retz et touttes manières de harnois pour prendre les cerfs et les bestes sauvages.33 für frankreich ist spätestens für die erste Hälfte des 16. Jahrhun-derts, bestimmt durch die Regentschaft von franz I., eine der Leidenschaft des Königs geschuldete Präferenz für die Hetzjagd zu konstatieren. Der Titel des ‚grand veneur de france‘, etabliert unter Karl VIII., ist eines der prestigeträchtigsten und begehrtesten Hofämter, das franz I. maßgeblich ausbaute und an enge Weggefährten, vornehmlich militärischer Dienstnatur, vergab. Soweit aus Quellen rekonstruierbar, beinhaltet die vénerie klar betitelte, personelle Aufgabenbereiche mit festen Vergütungsstrukturen. Die Hofjäger sind eine Gruppe von Spezialisten ihres Metiers: „une minorité de tech-niciens faisant preuve d’apptitudes particulières“.34

Die Jagd hält Einzug in architektonisch-künstlerische Wissensbereiche der Herr-schaftskultur. Als Motiv großangelegter Raumerschließung manifestiert sie sich stärker denn je auf französischem Boden: in aufwendiger Manier werden, vor allem in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, riesige Waldflächen als Jagdgründe mit angelegten Jagdalleen und mehrstrahligen Wegekreuzungen ausgebaut, die als Vorbilder der soge-nannten Jagdsterne der barocken Jagd im deutschen Raum dienen sollten. Es entstehen

31 anonyM: Loix, S. LXVI.32 GouBaux/LeMoisne: Mémoires, S. 290.33 GouBaux/LeMoisne: Mémoires, S. 288.34 tucoo-chaLa: Art, S. 34.

186 Maike Schmidt

Jagdpavillons mit Aussichtsterassen als Belvedere (allen voran Chambord), eine fran-zösische Errungenschaft, die ihrerseits sogar die sonst tonangebende Renaissance-Ar-chitektur Italiens inspirieren sollte.35 Von jenen Sitzen aus konnte die Jagd komforta-bel von Schaulustigen, Höflingen und Hofdamen mitverfolgt werden. Der Schauraum Jagd verdichtet sich.

Dass frankreich über ein irgendwie geartetes Wissensmonopol über die modell-gebendenden Rafinessen der vénerie in Alteuropa verfügte, steht außer frage, begut-achtet man eine normative Quellengattung, die einen medialen Meilenstein innerhalb der Dokumentation und Vermittlung jagdlicher Wissensinhalte darstellt: Der bis heute vielrezipierte Klassiker – das ‚Livre de la chasse‘ von Gaston Phoebus Herzog von foix und von Béarn – besticht weniger durch innovative Wissensinhalte anstatt durch seine bemerkenswerte Rezeption und epistemische Langlebigkeit.36 Denn neu ist die Handlungsanleitung zur Hirschjagd keineswegs, findet sich doch eine verblüffend übereinstimmende Beschreibung des Höhepunkts des Jagdrituals – dem zerwirken und Aufbrechen sowie der Curée – schon in Gottfrieds ‚Tristan‘.37 Phoebus stellt die komplexen Anforderungen der Hirschjagd im volkssprachlichen Textmedium mit Ver-mittlungscharakter dar. franz soll fast zwei Jahrhunderte später ein Exemplar auf dem Schlachtfeld von Pavia bei sich getragen haben.38

IV. Ci devise comment on doit escorchier le cerf et le deffaire – Miniatur und Text im ‚Livre de la chasse‘

Wie lässt sich das fachkundliche Wissen kontextualisieren, das mit der Dokumentati-on der Hirschjagd seit dem frühen 13. Jahrhundert im sich stetig ausdifferenzierenden fachschrifttum überliefert ist? für die Beschaffenheit des zeitgenössischen Wissens der ‚Interimsphase‘ zwischen Mittelalter und Neuzeit stellt Karina Kellermann 1999 fest:

Das Wissenkonzept dieser zwischenzeit zeichnet sich aus durch eine unbändige Neugierde, eine Sammelwut und Systematisierungsversuche, ein Ausprobieren der Begrifflichkeit und einer wahren Informationsflut, die durch den Buchdruck einem heterogenen Publikum überantwortet wird.39

35 Siehe FroMMeL: Italie, S. 219.36 Ein lateinisches Kompendium zur Drückjagd auf Großwild ist unter dem Titel ‚De arte bersandi‘ be-

reits für das deutsch-römische Reich des frühen 13. Jahrhunderts überliefert. Die ersten volkssprach-lichen Verslehren finden sich indes auf französischem Boden, wie das im Pikardischen verfasste Lehr-gedicht ‚La chace dou cerf‘ aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Ein englisches Jagdbuch, ‚L’art de vénerie‘ vom Hofjäger William Twici, stammt aus selbiger zeit, wobei der urtext gänzlich auf fran-zösisch verfasst ist. Siehe zu den Entwicklungslinien der französischsprachigen Jagdliteratur van Den aBeeLe: Littérature, S. 33, 44–49. rösener: Geschichte, S. 201f., qualifiziert das ‚Livre de la chasse‘ als „das bedeutendste Jagdbuch des Spätmittelalters“ und Werk „eines in der Praxis geschulten, aktiven Jägers“.

37 GottFrieD von strassBurG: Tristan, V. 2788f. Tristan lehrt mit routinierten Handgriffen Marks er-fürchtig staunende Hofjäger die aus seiner Heimat Parmenîe kommende und in Cornwall unbekannte Kunst, das Wild zu entbesten (zerwirken und Aufbrechen) mit allen technischen Rafinessen. Ganz besonders höfisch sind seine Kenntnisse der adäquaten Präsentation der schmackhaftesten Teile des Hirsches für den Gaumen des Jagdherrn auf der furke und die Bereitung der curîe für die Hunde. zur Analyse dieser Szene siehe thiéBaux: Stag, S. 130–132.

38 Vgl. Knecht: Court II, S. 83.39 KeLLerMann: Gelehrsamkeit, S. 138.

187Jagd im Bild

Traditionellerweise erschließt die historische forschung ‚Wissenskultur‘ im Mittelalter analytisch über in der Quellenüberlieferung manifest werdene Institutionen, die nicht nur im Sinne von konkreten Bildungsorten wie die Ende des 11. Jahrhunderts entstehen-den universitäten, sondern spezifischen Akteuren und textlichen Diskurselementen zu verstehen sind. Welchen Platz nimmt die Jagd im Wissensdiskurs der vermeintlich „di-chotomisch gespaltenen Gelehrten-Laien-Gesellschaft“40 des ausgehenden Mittelalters ein? Die klassische Aufgliederung von Wissensbereichen jener Epochen manifestiert sich zweifelsohne im Artes-Diskurs, der gewissermaßen zu einer wissenshistorischen Beschreibungskategorie avanciert ist. Die anwendungsorientierte Komponente – die artes mechanicae – ist dabei weniger ein Lehrstoff oder Bildungsgang wie etwa die freien Künste, sondern ein festgeschriebener Katalog von handwerklich-kunstfertigen Tätigkeiten. Analog zu den artes liberales sind auch die artes mechanicae sieben an der zahl. Wie auch die freien Künste sind sie in ein Trivium und Quadrivium untergliedert, wobei letzteres die felder agricultura, medicina, theatrica und venatione – die Jagd – versteht.41 Diesen Handlungsfeldern ist vor allem eines gemeinsam: sie sind performant und zeitgenössisch als kunstfertige Verrichtungen erachtet, die im Gegensatz zum ge-lehrten Wissen konkrete Situations- bzw. Alltagsrelevanz innehaben. Mindestens zwei von ihnen, theatrica und venatione, haben, im höfischen Kontext, Schaucharakter.

Ausgehend von der Textorganisation des Jagdwissens, die im spezifischen fall der fachprosa relevant wird, stellt sich die frage, ob sie auf der Basis ihrer Implementie-rung in den Artes-Diskurs erschlossen werden kann. In diesem fall müsste vorausge-setzt werden, dass die zwar zeitgenössische, aber sehr wohl gelehrte Einteilung der Artes-felder Teil des Verfasserhorizonts war. War dementsprechend die intellektuelle Kenntnis vom Metadiskurs über Wissen auch Teil der Darstellungskonvention von In-formation im Jagdkompendium? Auf der Grundlage welchen konzeptuellen Vorwis-sens der Schreiber gearbeitet haben mag, scheint schwer rekonstruierbar. Wohl aber liegt es nahe, die fachprosa höfischer Provenienz als profanes Wissensmedium im spezifischen Kontext pragmatischer Vermittlungsintention anstatt im Eingestellt-Sein zeitgenössischer Gelehrsamkeit in den Blick zu nehmen. Das Raster der artes mecha-nicae mag daher eher dem allgemeinen Bedeutungskontext der funktionalität von Jagd in der Gesellschaft des Mittelalters entsprechen: Die Jagdbetätigung steht im zentrum des Komplementärpaares Kunst – Handwerk. Sie ist kunstfertiges Metier, das ästheti-schen Maßgaben unterliegt. Dieses Grundcharakteristikum des Jägerseins kultivieren die spätmittelalterlichen Jagdtraktate.

Besonders anschaulich verbindet das ‚Livre de la chasse‘ von Gaston Phébus fak-tengesättigten Sachtext mit einem künstlerischen Illustrationszyklus. Die Kombinati-on von handlungsanleitender, empirisch erhobener Information und funktionalem wie dekorativem Bilddiskurs bietet sich für die Verhandlung von Performanz erstklassig an. Im zentrum des fachschrifttums zur Jagd auf Großwild stehen die Anleitungen

40 KeLLerMann: Gelehrsamkeit, S. 138. Die klassische Aufgliederung mittelalterlicher Wissenskonzep-tion tritt in der universaldichotomie zwischen gelehrtem Wissen und „mündlich umlaufenden nicht-gelehrten Erfahrungswissen“. zum oppositionspaar ‚Bildungwissen‘ und ‚Handlungswissen‘ siehe grundlegend KintzinGer: Wissen, s. 25–29. Konzeptuelle Überlegungen zur Beschreibung und Deu-tung von Wissensgesellschaft und Wissenskulturen im Mittelalter finden sich grundlegend bei Kint-zinGer: Wissen, S. 15–54 und FrieD: Wissen, S. 12–42.

41 Siehe zur Jagd im mittelalterlichen System der Wissenschaften eis: Stellung, S. 25–28.

188 Maike Schmidt

zur Ausübung der regelkonformen Jagd und die dazu benötigten fertigkeiten. Behan-delt wird die Vorbereitung der Hatz – das Halten des zwingers sowie das Abrichten und Pflegen der Hunde – die chronologische Beschreibung der Ritualstationen von der Rapporte bis zur Curée sowie die logistische Koordination der Jagd (Waffenbe-nutzung, fallenstellen, Positionierung der Ablösehunde, Täuschungsmanöver des Hir-sches etc.). Der ähnlich konzipierte Vorläufer Phoebus’ ist das ‚Livre des deduis du roy modus et de la royne ratio‘, das zwischen 1354 und 1374 vom Normannen Henri de ferrière verfasst wurde.42 Wie das ‚Livre de la chasse‘ enthält der Text einen mora-lisierenden Prolog zur Tugendhaftigkeit der Jagd, die Beschreibung des Ablaufes einer Hirschjagd im Hauptteil, gefolgt von Studien zu fallen, Hilfsmitteln und dem Bogen. Der wesentliche unterschied zu Phoebus ist zweifelsohne die integrierte Abhandlung zur falkenjagd und die Kombination von Prosa- und Versform. Das weitaus wirk-mächtigere ‚Livre de la chasse‘, begonnen 1387 und fertiggestellt um 1389 von Gaston Phoebus, fürst von foix und von Béarn, basiert nachweislich auf seinem normanni-schen Vorläufer, überbietet ihn aber um längen in Detailreichtum und Didaxe.

Gaston Phoebus, feudalherr aus dem südfranzösischen Langued’oc mit beachtens-werter Hofhaltung in orthez ist – um seiner Selbsteinschätzung im Prolog Glauben zu schenken – einer der besten Jäger seiner zeit neben Philipp dem Kühnen von Burgund, dem er sein Werk widmet.43 Der Textverlauf zeigt, dass er den Text von De ferrière gut kannte. Die Parallelen sind eindeutig, besonders was die Stadien der Hatz anbetrifft. Allerdings bewegt sich Phébus fernab davon, De ferrière zu kopieren. Im Gegenteil. Besonders in Bezug auf die Heilkunde von Hunden scheint Phébus darauf bedacht zu sein, als Korrektiv bestehender fehlannahmen zu De ferrière zu fungieren. Die Art der Darstellung lässt auf einen fundierten Schatz an eigens ‚empirisch‘ erhobenem Erfahrungswissen schließen. Die anekdotenhaften Beschreibungen eigener Erlebnisse auf der Jagd stützen diese Annahme. Symptome und Rezepte der Heilmittel, selbst eigenhändige operative Eingriffe veranschaulichen einen höchst komplexen anwen-dungsorientierten Wissensfundus, ja beinahe schon eine manifeste ‚Wissenschaft‘ als Naturkunde des Hirsches: „Der Graf von foix hätte ihm auch den Titel De arte venan-di cum canibus geben können, wenn er es auf lateinisch geschrieben hätte, eine Sprache, die er absolut beherrschte“.44

Die Gliederung des Werkes veranschaulicht dessen Inhaltsreichtum. Bezüglich des Diskurses über die Tugendhaftigkeit der Jagd ähneln sich die beiden Texte: Sie sei die Antipode zum Nichtstun (l’oisiveté […] la cause de tous les sept péchés mortels, S. 38), Mittel der körperlichen Ertüchtigung (Comme les veneurs font leur office à cheval ou à pied, il convient qu’ils suent et qu’avec la sueur s’en aille le mal, S. 41) und naturnahe Erheiterungsmöglichkeit (Quand le soleil sera levé, il [le veneur, Anm.d.Verf.] verra cette douce rosée sur les branches […] et le soleil, par sa vertu, les fera reluire, S. 40).

42 Siehe hierzu rösener: Geschichte, S. 204–209 und tucoo-chaLa: Art, S. 19. Die bekanntesten Hand-schriften des ‚Livre des deduis‘ befinden sich heute in der Bnf unter den Signaturen français 12399 von 1379.

43 Siehe PhéBus: Livre I, fol. 4r: […] Du tiers office [neben dem der amours und dem der armes, Anm.d.Verf.] de quoy je ne doubte que j’ay nul maistre combien ce soit vantance de celluy vouldroy je parler. zitate und Seitenangaben des folgenden Absatzes beziehen sich auf Übersetzung ins moderne französisch durch MarceL thoMas in PhéBus: Livre II.

44 christe: Analyse, S. 36.

189Jagd im Bild

Das ‚Livre de la chasse‘ erfährt eine bemerkenswerte Rezeption. In beinahe unmit-telbarem Anschluss an die fertigstellung des ‚Livre de la chasse‘ ist eine hohe Anzahl von handschriftlichen Kopien und Übersetzungen überliefert. Erste Druckherausga-ben lassen sich in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts datieren. In der folgezeit und selbst unter der Regentschaft des père des véneurs gibt er trotz dessen vielzitierter Jagdleidenschaft keinen Auftrag für ein neues Jagdbuch, das Phoebus übertrumpfen könnte. Das einzige Textrelikt unter franz I. ist das bereits genannte Traktat ‚De vena-tione‘ von Guillaume Budé, das in sein humanistisches Werk ‚De Philologia‘ als eigen-tümliche Digression eingegliedert ist und unter diesen umständen fachkundlich mager ausfällt.45 Es stellt in wesentlich oberflächlicherer form, unterbrochen von weitschwei-figen Ausführungen zur Relevanz eines zeitgemäßen Lateins, das dar, was Phébus über ein Jahrhundert zuvor darstellt. Der nächste Meilenstein soll 1561 erscheinen: Jacques du fouilloux’ ‚La Vénerie‘, verfasst im Auftrag des Königs Karl IX. – einen Text, der sich immer noch grundlegend auf Phoebus beruft.

Die handschriftlichen Kopien von Phoebus’ ‚Livre de la chasse‘ allein bilden be-reits einen absolut heterogenen Korpus. Es liegen sowohl schlichte, offensichtlich rein pragmatische Abschriften für den alltäglichen Gebrauch als auch luxuriöse und präch-tig illuminierte Einbände, angefertigt für die Bibliotheken namhafter fürsten, vor. Ein Atout der letztgenannten Kategorie sind die Bildillustrationen, die einerseits der Ver-mittlungsmission des Genres, andererseits der Kostbarkeitssteigerung des so und so prestigeträchtigen Buchobjekts dienlich sind. Ebenso wie die edleren Versionen funk-tionieren später massenhaft produzierte Druckausgaben mit Illustrationen. Im falle ei-nes Drucks von 1525, der im Musée de la chasse et de la nature, Paris, konserviert wird und die Texte von De ferrière und Phoebus in einem Einband kombiniert, handelt es sich um spartanische Stiche, die nicht nur die Vervielfältigung begünstigen, sondern sich sogar innerhalb des Textverlaufes wiederholen und keine technische Veranschauli-chung intendieren zu scheinen. Dieser ikonographische Diskurs variiert von Ausgabe zu Ausgabe stark. So existieren jüngere Abschriften, die überhaupt keine Bebilderung oder schlichte Skizzen roter Tinte, womöglich hinzugefügt aus der feder von Amateu-ren, aufweisen.46

Anders verhält es sich beim mit Abstand hochwertigsten Manuskript des ‚Livre de la chasse‘. Das in der Bnf archivierte ms 616 ist neben dem ms 619 eine der ältesten Überlieferungen des Jagdtextes aus Phoebus’ feder. Das Pendant zu ms 616 befindet sich in der Pierpont Morgen Library in New York unter der Signatur MS M. 1044. Die Texte sind dem letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts oder dem ersten des 15. Jahrhun-derts zuzuordnen, wobei das ms 619 das älteste, aber auch schlichteste der drei Manu-skripte ist. Der derzeitigen forschungsmeinung nach ähnelt es womöglich am meisten dem verlorengegangenen urtext, den Phoebus Philipp dem Kühnen widmete.47 Viel-leicht handelt es sich dabei um jenen Text, den die Künstler der Bedford-Werkstatt vorliegen hatten, als sie die aufwendig gestalteten und detailgetreuen 86 Buchmalereien

45 Der unter dem Titel ‚De Venatione‘ bekannte Abschnitt findet sich auf den Seiten XLII–LIX in BuDé: Philologia.

46 zu Abschriften ohne Bebilderung vgl. PhéBus: Livre I und im Manuskript français 1290 der Bnf. Die krakeligen federzeichnungen befinden sich im Manuskript français 12398.

47 Vgl. christe: Analyse, S. 49.

190 Maike Schmidt

anfertigten, die die Etappen der Hirschjagd kapitelweise in Bildform setzten. Selbst die Jagd mit Netzen und Hilfsgeräten (fol. 92r–110r), die Phébus als „Arme-Leute-Spiele, kurze Vergnügen für fettleibige, für Alte oder faule, vielleicht auch für Geistliche“48 verpönt, findet seine bildliche Erläuterung. Die sofort ins Auge springende ornamen-tale Naturikonographie macht aus dem Jagdkompendium ein „Bilderbuch“, wenn nicht wahrhaftes Kunstobjekt.49 Das Werk ist durchzogen von einem chronologischen Bildzyklus, der unverkennbar den höfischen Darstellungstraditionen seiner zeit folgt. Beinahe jedes Kapitel erhält in dieser Weise eine bildliche untermalung. Ein Teil der Miniaturreihe inszeniert in einem dramaturgischen Bogen die einzelnen Stadien der Hatz als wahrhafte Ereignisse, die im Kontext der oben erläuterten Performanz inter-essant werden sollen.

Es stellt sich die frage nach der Übersetzung des performativen Gehalts in den Bildern, die als Illustrationen mit dem Text interagieren. Wie wird bewegte Praxis in das unbewegte Bild übertragen und weisen Darstellungstechniken auf ein künstleri-sches Bewusstsein über Performativität und ihre absolute Relevanz hin? Die Bebil-derung muss dabei in Abgleich mit dem Text, den sie begleitet, mit Sehgewohnheiten und wahrscheinlichen Gebrauchskontexten des Werkes gelesen werden. Als Anschau-ungsbeispiel soll jene Szenerie dienen, die zeitgleich den Höhepunkt der Dramatugie des Jagdereignisses, dessen ritueller Kodifizierung und handwerklicher Kunstfertig-keit darstellt: Die Rede ist von drei aufeinanderfolgenden, die erfolgreiche Hirschjagd abschließenden Ritualen. Das, in den deutschen Sprachgebrauch übersetzt, ‚Aus-der-Decke-Schlagen‘ – d.h. das zerwirken und Aufbrechen des ‚Stücks‘ – sowie die Cu-rée – die feierliche Verfütterung spezieller Teile der Eingeweide an die Jagdhunde (zu deutsch auch ‚Genossenmachen‘ der Hunde) und das droit du limier, das Hunderecht für den Leithund, der zur Belohnung den Kopf des Hirschens erhält, beinhaltet. Die Anleitung zur Durchführung dieser hochtechnischen Angelegenheiten findet sich in den Kapiteln XL (Ci devise comment on doit escorchier le cerf et le deffaire) und XLI (Ci devise comment on doit faire le droit a son limier et la curée aux chiens). Die ent-sprechenden zwei Darstellungen finden sich auf fol. 70 (Abb. 1, Taf. 13) und fol. 72 (Abb. 2). Es ist die Kenntnis ebendieser Handgriffe, die Gottfrieds Tristanfigur vor den Hofjägern Marks als erfahrenen Weidmann, ja gar als Künstler, glänzen lassen, der mit wundersamer Leichtfertigkeit den Hirsch so zerlegt, dass die Decke ganz bleibt, lehrt, welche schmackhaften Stücke Wildbret auf der sogenannten furke, einer Art Astgabel, für den Jagdherrn zu reservieren seien und die in Parmenîe geläufige Sitte der curîe einführt.50

In seiner detailreichen Rede zum ‚zerwirken‘ und ‚Aufbrechen‘ – sprich das Häu-ten und das zerlegen – des Hirsches, die logischerweise aufeinanderfolgen, schweigt Phoebus zu der Natur des Todes des Hirsches. ob er vor Ermüdung oder durch das Jagdmesser eines Hofjägers zu Tode kommt und ob bzw. welche Trophäen am Ende einbehalten werden, bleibt ungeklärt. Er setzt in Kapitel 40 erst dort ein, wo der Hirsch bereits gestellt und erlegt ist. Minutiös beschreibt Phoebus, wie man den auf den Rü-cken gedrehten Hirsch, angefangen mit dem Einschnitt am Gelenk des rechten Vor-

48 christe: Analyse, S. 48.49 christe: Analyse, S. 42.50 Vgl. fußnote 37.

191Jagd im Bild

derlaufs, so häute, dass die ‚Decke‘ so ganz wie möglich bliebe und so wenig fleisch wie möglich an ihr hängen bliebe. Darauffolgend beschreibt er Schritt für Schritt die komplexe Prozedur des Aufbrechens, die definitiv nur mit anatomischen Grundkennt-nissen des Hirschinnern für den Laien nachvollziehbar wird. Dabei weist Phoebus sorgsam darauf hin, welche Stücke Wildbret und welche Eingeweide auf die fourche, die benannte Astgabel, für den Gaumen des fürsten zu spießen seien: Les morseaux du fourche que j’ay dit dessus sont des meilleurs viandes qui soient sur le cerf et pour ce se metent ou fourche pour la bouche du seigneur.51

51 PhéBus: Livre I, fol. 73v. Eine Übersetzung ins moderne französisch bietet MarceL thoMas in PhéBus: Livre II, S. 111: „Les morceaux de fourche dont j’ai parlé sont les meilleures viandes qui soient sur le cerf; c’est pourquoi on les met en fourche pour la bouche du seigneur“.

Abb. 2: Anonym, Cy devise comment on doit faire le droit a son limier et la cuyree aux chiens, Livre de la chasse des Gaston Phébus, um 1407. Paris, Bnf (français 616, fol. 72r).

192 Maike Schmidt

Gleicht man die Rede mit der dazugehörigen Illustration von fol. 70 ab, fällt so-gleich auf, dass es sich nicht um einen Bildbericht dessen handelt, was die eigentliche Komplexität des im Text erklärten Vorgehens ausmacht. Die Miniatur zeigt den bedeu-tungsgroß dargestellten Jagdherrn im prunkvollen, hellroten Gewand mit einer Gerte am umgedrehten Hirsch stehend, der den beiden Jagdknechten, die sich am oberen und unteren Ende des Tiers mit Messern an das Häuten machen, zur Hand zu gehen scheint. Sein Gestus – er spreizt den rechten vom linken Hinterlauf des Hirsches zum leichteren Herankommen, wobei er den rechten mit nur zwei fingern zu fassen scheint – wirkt im Gegensatz zu den emsigen, in blaßgrünem Rock gekleideten Jagdhelfern, die die Handwerksarbeit verrichten, zurückhaltend. Am oberen Ende tut es ihm der Jagd-meister, ebenfalls bedeutungsgroß, in blassroter Robe gleich: mit seiner Gerte spreizt er den linken Vorderlauf des Hirsches vom Leib und kommt so dem vor ihm knienden Jagdknecht zur Hilfe. Am rechten Bildrand steht ein Jagdhornbläser. Les arches de la venerie doivent corner prise, wie Phoebus es am Anfang des Kapitels unterweist.52 Von beiden unteren Bildrändern kommen Pferde zum ort des Geschehens hinzu samt ei-nem links reitenden Parforcejäger sowie einem rechts fußläufig auftauchenden Pferde-knecht. zwischen ihnen versammeln sich zwei gegenüberstehende Parteien der Hun-demeute.

Die Bildkomposition unterstreicht die Ereignishaftigkeit dieser Momentaufnahme. Der umgedrehte Leib des zwölfenders bildet das Bildzentrum. Die ersten vom Stück abgetrennten Hautlappen weisen auf den Schälcharakter des zerwirkens hin. Überdies lässt eine schmale Wunde an der rechten Seite des Hirsches eindeutig vermuten, dass dieser wohl unlängst durch einen Herzstich mit dem Jagdmesser erlöst wurde. Durch die hinzukommenden Pferde, dem Reiter sowie dem fürst nebst den hinter ihm in ein Gespräch verwickelten Jagdknechte und dem Jagdmeister scheint der Hirschleib gera-dezu umstellt und eigenartig faszinierend.

zeitlich stellt die Szenerie den Beginn des Häutens an den Läufen des Wilds dar. Es handelt sich also um den Moment vor dem technisch weitaus umfangreicheren Aus-weiden. Aufgrund dieser zeitlichen fixierung gibt die Miniatur weder Informationen darüber her, wie man sich die kompliziertere Prozedur, noch wie man sich das Innere des Hirsches vorzustellen hat. Das Bild erzählt nicht wie der Text von Anatomie und Technik, sondern von der situativen Konstellation. Es fehlt ebenfalls besagte forke, auf die Phoebus im Text besonderen Wert zu legen scheint. Auf der Inhaltsebene versagt das Bild dem Betrachter daher drei Kapitalinformationen. Anderseits gibt es Auskunft über die personale zusammenstellung und Aufgabenverteilung des Verfahrens, die Phoebus mit keinem Wort im Text erwähnt. Diese werden vor allem durch die Bild-komposition an sich und die Anwendung von Lokalfarben begünstigt. Der Jagdherr ist selbst zugegen und scheint mit dem Hofjägermeister, beide in rot, obmann der Situa-tion zu sein. Sie gehen beim Häutungsprozess den Jagdknechten zur Hand, allerdings sehr verhalten, wohl darauf bedacht, sich bei der durchaus blutigen Angelegenheit nicht zu beflecken (siehe Gestus des Jägermeisters, der sein Gewand zurückhält). Auf der Ebene der Methode hält das Bild Informationen des Kapitels zurück, trägt daher

52 PhéBus: Livre I, fol. 71r.

193Jagd im Bild

nicht zum besseren Verständnis der Ausführung bei, ist daher aber umso ertragreicher was die Personenkonstellation und das zu-Tode-Kommen des Hirsches anbelangt.

Auf das zerwirken und Aufbrechen folgt im Text die zubereitung der cuiree für die Hunde, nachdem der Hirschkopf als besondere Belohnung und unter liebevollem zu-reden (en luy faisant grant feste et en luy disant de beaux moz53) dem liemier (Leithund, der die fährte des Hirsches erfolgreich erkannt und aufgenommen hat) verabreicht wurde. Währenddessen wird auf dem cuire (zu deutsch ‚Decke‘, was die abgetrennte Haut des Hirschleibs meint) ein Mahl aus dem übrig bleibenden Eingeweide – mit Ausnahme des Darms – angerichtet, das mit Blut und Brotstücken für die Jagdhunde vermischt wird. Seien die Hunde besonders mager, so müsse man das Ganze mit filet-stücken anreichern, um eine bessere Sättigung herbeizuführen, obwohl, so Phoebus, diese eigentlich der Anteil der Jagdhelfer seien. Sobald der varlez de chiens das tieulau verblase, könnte die vorher mit Stöcken zurückgehaltene Meute sich über ihr Mahl hermachen.54 Der übrig gebliebene Darm wird von einem Hundeknecht mit einem Stock etwas entfernt von der Stelle, an der die Curée im Gange ist, hochgehalten. um das fressen zu unterbrechen, werden die Hunde auf den Darm aufmerksam gemacht, sodann darauf zu getrieben und bekämen ihn ebenfalls vorgeworfen. Danach erst hät-ten sie das Recht, ihre Curée gänzlich aufzufressen. Da Phoebus weitere Erklärungen verschweigt, kann man nur vermuten, dass diese Maßnahme eine Art der Disziplinie-rung und Schürung der fleischeslust während des ausgelassenen fressens der Meute darstellt. Womöglich intensiviert das zeigen des Eingeweides den Blutrausch der Hun-de und somit ihre Motivation, weiterhin zu jagen.

Die entsprechende Miniatur präsentiert ein Abbild dieses Spektakels. Allerdings scheint sie keine Momentaufnahme, wie fol. 70, zu sein, sondern vielmehr eine Syn-chronisation dreier Handlungsstränge: die Curée passiert gleichzeitig zum droit de limier und zum Hochhalten des Darms am rechten Bildrand. Der Knecht mit Kopfbe-deckung, der am unteren Bildrand damit beschäftigt ist, dem Leithund den Hirschkopf zu verabreichen, ist hellrot gekleidet; der Jagdhelfer, der den Darm hoch in die Luft hält, blassrot. Es handelt sich womöglich nicht um dasselbe Personal, das die Häutung und Ausweidung kurz zuvor vornahm. Plausibel wäre ebenso die Annahme, dass sich die einzelnen Szenerien der Illustrationen an verschiedenen Tagen abspielen. Die an der oberen Bildhälfte befindliche Gruppierung zeigt offensichtlich den Jagdherrn und zwei adelige Weggefährten, durch ihre aufwendigen Gewänder in rot und royalblau zu iden-tifizieren. Sie scheinen gebannt dem Spektakel zuzuschauen, das sich in der Bildmitte abspielt: Eine im Kreis stehende Meute von Jagdhunden frisst das Gemisch von Einge-weiden, filetstücken und Brotkrumen, das auf der ‚Decke‘ für sie hergerichtet wurde. Die umstehenden Jagdherren und der links befindliche Hundeknecht deuten einjeder mit Gerte und fingerzeig auf einen der Jagdhunde. Der fürst und seine Jagdkumpanen tauschen sich angeregt über etwas, was augenscheinlich die fressenden Hunde betrifft, aus. Rot ist ein zentrales farbmoment der Szenerie. Es unterscheidet einerseits figu-ren durch Kleidung und ist Hauptfarbbestandteil des fressens in der Bildmitte. Der tumultartige Schaucharakter dieser Szenerie ist manifest und wird durch die Bildkom-

53 PhéBus: Livre I, fol. 74r.54 PhéBus: Livre I, fol. 74v.

194 Maike Schmidt

position verstärkt. Die anwesenden zuschauer bilden einen Kreis um das Spektakel der Curée, das hier ein Dynamisierungsmoment darstellt.

Die Diskussion der umstehenden beweist es: In der Bildmitte geht etwas vor sich. Das Publikum, gebannt von der Aktivität, ist explizit im Schauen begriffen. Dadurch wird klar, dass es sich um den Höhepunkt der dramaturgischen Kurve handelt. Der Gipfel des Abenteuers Jagd ist erreicht. Dabei ist die Darstellung zeitentbunden: Sie stellt die Gleichzeitigkeit dreier Handlungen dar, die im Text des Kapitels 40 anachron verschriftlicht sind. Dies schürt einmal mehr den Ereignisreichtum.

Aus heutiger Sicht gesprochen kann man als Nicht-fachkundiger ohne fundiertere naturkundliche Vorkenntnisse die komplexe Prozedur des Ausweidens nicht ohne wei-teres nachvollziehen. Die Illustration von fol. 70 erhellt den Leser in dieser Hinsicht nicht. Doch haben die Miniaturen augenscheinlich nicht den Anspruch, inhaltlich aus-zureichen, um die komplexe Technik oder gar die Anatomie des Hirsches authentisch darzustellen. Eine Darstellung des Hirschinneren sieht indes die mittelalterliche Dar-stellungskonvention nicht vor. Darüber hinaus könnte fol. 70 als Vorbote des auf fol. 72 stattfindenden Klimax der Hirschjagd interpretiert werden. Durch die ledigliche Arti-kulation des noch ganzen Hirschleibs kann der dramaturgische Höhepunkt der Curée zurückgehalten werden. Es scheint, als sei intendiert, vielmehr einen Erlebnisbericht als ein Schaubild der Handgriffe vorzulegen, der auf situativer Stimmung und nicht auf technischer Korrektheit basiert. Dafür spricht auch die Belanglosigkeit des ortes: Die Szenen ereignen sich irgendwo im Wald. Die fauna ist in beiden Miniaturen belie-big und fungiert als Schmuck, ist aber kein funktionsträger. Es geht um das Jagen als höchst dynamisches Spektakel, nicht etwa um den fürsten als jagende Einzelpersön-lichkeit oder um die Technik an sich.

Trotzdem lassen sich die Illustrationen als visueller zusatz mit klar didaktischer funktion verstehen. Text und Bild kooperieren, da letzteres das Atout besitzt, situative Informationen über die Personenkonstellation zu vermitteln. Besonders die Miniatur des fol. 72 zeugt von einem eigentümlichen Ereignisreichtum, da sie drei Situationen in ein und dasselbe Bildnis setzt. Diese ist es auch, die augenscheinlich den rituell-perfor-mativen Aspekt der Jagdhandlung beherbergt. Mit den zuschauenden Jagdherren setzt der Bilddiskurs letztlich selbst Peformativität, die nur durch den Betrachter zu dem wird, was sie ist, ins Bild. Die Miniaturen sind prinzipiell entberlich für das Textver-ständnis. Die Didaxe kann sehr wohl ohne Abbildungen funktionieren und nachvoll-ziehbar werden. und doch bieten sie dem lesenden Jagdlehrling eine Art Sehhilfe und generieren eine Bilderzählung wie direkt von der Waldlichtung übertragen. Auch wenn ihnen die Primärfunktion der Ausschmückung eines kostbaren Buchwerks zukommt: für die Überlieferung von involvierten Akteuren, Jagdutensilien und nicht zuletzt der Beschaffenheit mittelaltelicher Natur (flora und Hunderassen) ist der Bildzyklus von unschätzbarem Aussagewert.

V. Bilanz

Dass der Jagddiskurs überhaupt im zusammenhang mit textbegleitenden Illustrationen auftritt, spricht für sich. Im ersten Teil des Beitrags wurde am Beispiel der Liebeskorre-spondenz Heinrichs VIII. an Anne Boleyn die Verknüpfung von Jagd, Liebe und Sicht-

195Jagd im Bild

barmachung von Performanz besprochen. Die Illustrationsreihe im ‚Livre de la chasse‘ kann vor diesem Hintergrund als ein weiteres Beweisstück dafür erachtet werden, dass die performative Verbildlichung im Kontext der Rede über Jagd von Belang ist. Der Metadiskurs über Performanz, den die Miniaturen leisten, indem sie performativen In-halt, wie das Abschlussritual der Hirschjagd, in Szene setzen, ist charakteristisch für die dokumentarischen Vergegenwärtigungsformen der Jagdpraxis. Dem handlungslei-tenden Jagdwissen bedarf es an Sichtbarmachung. Das Sinnbild der Performanz, der Hirschleib, scheint dabei einer semantischen Logik zu gehorchen. Als Stück Wildbret stellt er die meisterhafte Leistung seines Erlegers vor. Diese Herrschersymbolik des Hirsches kann dabei nur funktionieren, wenn er noch ‚bei Leibe‘ ist, wie auf fol. 70, oder wenn er bereits deformiert, in seine Einzelteile zerlegt und keine Gestalthaftigkeit mehr birgt, die an das einstige Königstier erinnert. Diese Perspektive verbietet auch die anatomische Darstellung des geöffneten Hirsches: Würde der Hirsch, der eine so hohe Wertigkeit im zeitgenössischen Diskurs erfährt, nicht in einem solchen Moment der Entstellung entblößt und würde damit dem Status des Königstiers unwürdig? Ihm haftet ein irgendwie geartetes, erhabenes Moment an, das mit der Tugendargumentati-on in Phoebus’ Prolog hervorragend funktioniert. Bloße Körperlichkeit, so unterstrei-chen es die Illustrationen, würde dem sublimen Wesen nicht gerecht. Heinrich VIII. scheint diese Logik in seinem Gebrauch des Wildbrets allerdings umzuinterpretieren. Er befähigt das tote Stück Hirsch ihn im Allgemeinen und seine Potenz im Speziellen zu repräsentieren. Die Konnotation fleischlicher Begierde, die das Wildbret erfährt, hat offenkundig nichts mit dem Primat der Jagd als Betätigung zu tun, die unfletige Gedanken vertreiben solle: car quand on est oisif […] et quand on demeure dans son lit et dans sa chambre, c’est une chose qui excite, par imagination, le goût du plaisir de la chair (S. 38).

Im unterweisungskontext des ‚Livre de la chasse‘ fungieren die hier untersuchten Miniaturen als visueller Wissensraum, der zwar keine technische Präzisierung des im Text Gesagten bereitstellt, aber einen dies bildhaft ergänzenden Erfahrungsraum bietet. Die bildliche Inszenierung des Kapitalereignisses der Hatz – die zeremonielle Auf-bereitung des erlegten Wildtiers – entspricht möglicherweise dem gesamtkulturellen Wahrnehmungsmuster des Jagdgeschehens: Man vertrat die Auffassung, dass die Jagd nicht ausschließlich auf der fachmännischen Verrichtung eines technischen Konzepts basiere, sondern zugleich auf dem der Perfomativität des Rituals innewohnenden, in-dividuellen Erlebnis. Dass die Darstellungsmodi mehr Stimmung als Technik fokus-sieren, ist dessen logische Konsequenz. Vor diesem Hintergrund ergibt es ebenfalls Sinn, dass eben das Atmosphärische als Sujet des Bildzyklus‘ gewählt wurde: Das, was unsagbar scheint, kann nur über einen Bildausdruck und das Ansprechen des Sehens als womöglich unmittelbarster aller Sinne für den Rezipienten kognitiv wirksam werden. Nach zeitgenössischen Bildkonventionen entworfen sind die Miniaturen vor allem auf Erfahrbarkeit ausgerichtet. Das zusammenwirken von Text und Bild im ‚Livre de la chasse‘ spiegelt in dieser Weise die unabdingbarkeit der emotionalen felderfahrung wider, ohne die Jagd nicht Jagd sein kann.

zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der immanente zusammenhang zwischen Jagd und Performanz einen manifesten Niederschlag in der mittelalterlichen Wissenskonzeption und ihrer Medialisierung findet. Die Verknüpfung von Jagdkultur

196 Maike Schmidt

und außerrituellen Erfahrungswelten weist per se auf die Vielgestaltigkeit des Phäno-mens hin. Die westliche Gesellschaftsgeschichte des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit kann daher nicht gänzlich ohne die Jagd gedacht werden. Anschließend an die organisation der Informationselemente im ‚Livre de la chasse‘ rücken Erwerbs-vorgänge des Jagdwissens in den Interessenfokus. Wie genau erlernten junge fürsten und höfische ‚Berufsjäger‘ die Jagd? fanden pragmatische Kompendien wie Phoebus’ Buch der Jagd innerhalb des chevaleresken Erziehungsprogrammes Anwendung? Es liegt in der Natur der Sache, dass der Gebrauchskontext der Jagdliteratur nur in Kom-bination mit tatsächlichem Praktizieren im feld gesehen werden kann. Es sind nicht zuletzt die Traktate selbst, die auf ebendiesen Sachverhalt hinweisen: Jagen will gelernt sein. Vollendete Expertise des Weidmanns fußt auf langjährig eingeübten, routinierten Handgriffen und somit auf Erfahrungswerten, welche vor allem in solchen Momenten der Jagdpartie dienen, die die stimmungsvollen Miniaturen des Manuskripts 616 dar-zustellen wissen.

Bildnachweise

Abb. 1: Paris, Bnf, Département des manuscrits, français 616, fol. 70r.Abb. 2: Paris, Bnf, Département des manuscrits, français 616, fol. 72r.

Quellen und Literatur

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ulrike Heinrichs

Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch. Aneignungen der Ikonographie von Kunst und Philosophie im burgundisch-deutschen Kunsttransfer

„Der Lebensnerv der Kunstgeschichte ist die unterscheidung.“1 Max Dvořák

I. Funktion und Entstehungskontext des mittelalterlichen Hausbuchs – ungelöste Fragen

um die Entstehung der Genremalerei darzustellen, ist das mittelalterliche Hausbuch ein interessanter, aber unhandlicher Gegenstand. Die Rede ist von jener Pergament-handschrift, die sich bis zum Verkauf in unbekannten Privatbesitz vor wenigen Jahren in der Sammlung des Grafen zu Waldburg Wolfegg auf Schloss Wolfegg bei Ravens-burg befand.2 Schon die frühesten forschungsbeiträge nehmen es als reichhaltiges Re-servoir von Sittenbildern wahr. Einer der ältesten Versuche, das frühe Genre und seine Vorläufer nach Bildgelegenheiten und Themen zu ordnen, führt das Hausbuch neben den mittelalterlichen Kalenderzyklen mit dem Bauer auf dem Acker im März und den Schweinen bei der Eichelmast unter dem Messer im oktober als Beispiel für eine frühe Stufe der Genremalerei im deutschsprachigen Raum auf.3 Dennoch hat der mittlerweile schon Jahrzehnte zurückreichende Trend zu fragen der Gattungsgrenzen und der The-oriebildung in der älteren Kunst das mittelalterliche Hausbuch bislang nicht berührt. Überblicksdarstellungen zur Genremalerei streifen es allenfalls und zeigen dabei meist nur die erste zeichnung in der folge zu den sieben Planeten und deren Einfluss auf das menschliche Temperament (Abb. 1). Die düsteren Lebensperspektiven der Kinder Saturns werden alsVorausweise auf Kabinettstücke des niederen Genres gehandelt. Die Geschichtsforschung hatte dagegen lange vor allem die modisch gekleideten oder für Turnier oder Krieg gerüsteten, offenbar dem Adel angehörigen figuren im Blick. Im mittelalterlichen Hausbuch bilden sie in der Tat die Mehrheit. Im mittleren Abschnitt des Codex formieren sich die entsprechenden Motive sogar zu einer geschlossen wir-kenden folge von Szenen „aus dem Leben eines Ritters“.4 Bei näherem Hinsehen ist das soziale Spektrum groß, ohne die Vollständigkeit eines spätmittelalterlichen Stände-buchs zu erreichen.

1 DvořáK: Stilleben, S. 1.2 von retBerG: Briefe; von essenwein: Hausbuch; Bossert/storcK: Hausbuch; Kat. ausst.: Leben;

zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, S. 66.3 riehL: Geschichte, S. 13.4 eLias: Prozess, S. 376.

200 ulrike Heinrichs

Abb. 1: Meister des Amsterdamer Kabinetts, Saturn und seine Kinder, ca. 1480–90, feder auf Pergament, Mittelalterliches Hausbuch, fol. 11r. Privatbesitz.

201Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

An einem Mangel an Stoff kann es daher nicht liegen, wenn das mittelalterliche Hausbuch in der Geschichte der Genremalerei nur wenig beachtet wird. Eher ist von einem Überangebot an losen Enden zu sprechen, die offenbar nicht zum Knoten einer schlüssigen Argumentation geschürzt werden können. In der Tat eignet sich das Mate-rial kaum als Ausgangspunkt für Entwicklungslinien, die bis zur Blütezeit der Genre-malerei im späten 16. und im 17. Jahrhundert reichen würden. Dies gilt zumindest dann, wenn gängige Vergleichskriterien eingehalten werden sollen. Insbesondere scheint der für Gattungsbestimmung relevante Aspekt der funktion im falle des mittelalterlichen Hausbuches die Genremalerei zu verfehlen. Im Hinblick auf die mit 41 Seiten ebenfalls recht umfangreichen Textabschnitte stellt sich der Codex als Kompendium von Schrif-ten zu einer Vielzahl von Sachthemen dar. Ein Traktat über Mnemonik macht hierbei den Anfang. Es ist der einzige in Latein verfasste Abschnitt.5 Ihm folgt ein zyklus der sieben Planeten und der Tierkreiszeichen nach der ptolemäisch geprägten Astrologie mit einer Darstellung der Eigenschaften der unter den jeweiligen Himmelskonstellatio-nen geborenen Menschen. Im folgenden werden Rezepte für Speisen und Arzneimittel sowie für Malerfarben und färbemittel behandelt. Weiterhin werden Krankheitsbilder und mögliche Kuren erläutert. Schließlich geht es um die förderung und Verarbei-tung von Erden sowie die Herstellung und Handhabung von Kriegsgerät. Dem prag-matischen Stil des Textes scheinen die Bilder nur im hinteren Teil des Konvoluts zu entsprechen. Auf 27 Seiten sind hier technische Großanlagen und Geräte dargestellt, wobei Waffen oder Kriegsmaschinen den Löwenanteil halten.6 Da hier am ehesten eine konkrete Gebrauchsmöglichkeit ablesbar zu sein scheint, hat ein Teil der forschung sich für eine Bestimmung als Handbuch eines ‚Büchsenmeisters‘ ausgesprochen. Die figurenreichen Szenen scheinen diese These zwar nur in Teilen stützen zu können, doch immerhin enthalten die Bilder zum Turnier, zum Heerzug und zur Wagenburg Hinweise auf die Rolle friedrichs III. in den Burgunderkriegen, insbesondere auf die Entsetzung der Stadt Neuss durch das kaiserliche Heer 1474/75 (Abb. 2). Der Büch-senmeister als mutmaßlicher Erstbesitzer des Buches könnte sich durch diese Bilder als Veteran des Neusser feldzugs geehrt gesehen haben.7 Der Soziologe und Kulturhisto-riker Norbert Elias deutete die Bilder im mittelalterlichen Hausbuch dennoch als einen Akt der Selbstdarstellung eines Ritters – ob er von der Büchsenmeister-These Kenntnis hatte, bleibt ungewiss.8

Die kunstgeschichtliche forschung konzentrierte sich währenddessen weitgehend auf die Einordnung der Bilder in stilgeschichtlicher Sicht und kam dabei zu beachtli-chen Ergebnissen. Das erste der beiden Wappenbilder und der Großteil des Planeten-zyklus können dem sogenannten ‚Hausbuchmeister‘ oder ‚Meister des Amsterdamer Kabinetts‘ zugewiesen werden. Dessen ausgesprochen autochthoner Stil, ausgezeichnet durch einen pointierten Strich und eine frische, wirklichkeitsnah und humorvoll wir-kende Ausdrucksweise, findet sich außerdem in einer umfangreichen Gruppe von ex-quisiten Kaltnadelstichen teils profanen, teils religiösen Inhalts. Deren größter Bestand

5 LenG: Auftakt, S. 113–117.6 zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, Kommentar-Bd., S. 71, 94–100.7 Bossert/storcK: Hausbuch, S. 14–16.8 eLias: Prozess, S. 377–380.

202 ulrike Heinrichs

wird im Rijksprintenkabinett in Amsterdam aufbewahrt.9 für die zweite ‚Hand‘ hat sich der Notname ‚Meister der Genrebilder‘ eingebürgert. Dieser schuf im Wesentli-chen die jeweils doppelseitig angelegten Bilder mit höfischen oder kriegerischen Szenen sowie offenbar auch einen Großteil der Darstellungen technischer Geräte und Anlagen, dazu das zweite der beiden Wappenbilder.10 Ein weiterer Maler steuerte das sogenannte ‚Gauklerbild‘ (Abb. 3, Taf. 14) bei, das dem ersten Wappenbild unmittelbar nachfolgt. Einem vierten, wohl ebenfalls nur punktuell beteiligten zeichner ist eine doppelseitige Landschaftsdarstellung mit einem ‚frivolen Liebesgarten‘ und einer Pumpanlage zuzu-weisen. Diese Einteilung darf im großen Ganzen als plausibel gelten. Lediglich bei den technischen Bildern scheinen zweifel angebracht, ob die zuordnung an einen einzigen zeichner gerechtfertigt ist, da der zwar detailgenaue, aber auch gewollt schematisch gehaltene Charakter der Gerätedarstellungen dem künstlerischen Ausdruck weniger Spielraum ließ als die figürlichen Szenen. Weiter scheinen innerhalb der Planetenbilder züge einer gewissen Stilentwicklung erkennbar, und das letzte Bild in diesem zyk-lus, die Darstellung der Venus, wurde Hess zufolge vom Meister des Amsterdamer Kabinetts begonnen, aber vom Meister der Genrebilder vollendet. Hess schloss auf eine längere, von einer unterbrechung und möglicherweise auch von Planänderun-gen geprägte Entstehungszeit, wobei er die Tätigkeit des Meisters des Amsterdamer Kabinetts um 1470 und den Anteil des Meisters der Genrebilder um 1490 datierte.11 Neuere forschungsbeiträge deuteten dagegen auf eine kontinuierliche Entstehung der Handschrift hin oder gewichteten sogar die Möglichkeit eines einheitlichen, von An-fang an arbeitsteilig angelegten Projekts. So ließen sich maltechnische Besonderheiten des ersten Abschnitts entgegen bisheriger Annahmen auch im zweiten nachweisen.12 Im Einklang mit dieser forschungstendenz haben auch wissenschafts- und technikge-schichtliche Beiträge die Möglichkeit eines einheitlichen Konzepts unterstrichen und darauf hingewiesen, dass die anthropologischen und kosmologischen Abschnitte im vorderen und die technischen Schwerpunkte im hinteren Abschnitt einander ergänzen und einem Grundzug zeitgenössischer ‚Wissensarchive‘ entsprechen, die regelhaft so-wohl universalwissen als auch spezielle Sachkenntnisse vermittelten.13 Das Verhältnis zur Genremalerei zu erörtern, schienen diese fragestellungen kaum einen Anlass zu bieten. Weiterhin wurden die ‚Sittenbilder‘ vorwiegend nur in Bezug auf ihre vermute-

9 Pit: Gravure, S. 486–497; Lehrs: Bilder, 173–182; Lehrs: Kupferstich, S. 110–128; hess: Meister, S. 28–35, 140–143; Vgl. Kat. ausst.: Leben, S. 263–270.

10 zur forschungsgeschichte und zur Begründung dieser Thesen im Einzelnen siehe hess: Meister, S. 24–27, 139f. Der Anteil des Meisters des Amsterdamer Kabinetts wäre nochmals zu reduzieren, wenn man die beiden stilistischen Varianten innerhalb der Kaltnadelstiche, die Hess auch im Planetenzyklus wiederfindet, als Indizien für zwei verschiedene ‚Hände‘ auffassen würde. Vgl. hess: Meister, S. 15–20. Eberhard König unterzog die Bildzyklen erneut einer eingehenden formanalyse. Er bestätigte dabei im Wesentlichen die unterteilung der Bildzyklen in zwei stilistisch abweichende Hauptgruppen, sah aber im fall des Planetenzyklus weitere, über Hess’ Beobachtungen noch hinaus gehende Hinweise auf die Kooperation von Künstlern unterschiedlichen „Temperaments“. Eine erneute Überprüfung hätte sich mit der Schwierigkeit zu befassen, die in der vorliegenden Studie aufgezeigten inhaltlichen ziele bei der Verwendung bzw. umwandlung von Vorlagenmaterial mit den formalen Variationen abzuglei-chen – ein schwieriges unterfangen, das letztlich unvollständig bleiben müsste. KöniG: Hausbuch-meister, S. 170–172.

11 hess: Meister, S. 22–24, 51–57, 135.12 Fuchs/oLtroGGe: farbe, S. 58–60.13 Vgl. Meyer: Enzyklopädie, S. 22f.; Meyer: Enyzklopädik, S. 1f.; schaLK: Enzyklopädismus, Sp. 576.

203Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

te Bedeutung als Abbildung oder fiktive Projektion der Lebenswelt des Auftraggebers befragt. Wo sich am ehesten ein eindeutiges zeichen der Selbstidentifikation des Erst-besitzers hätte vermuten lassen, in den ganzseitigen Wappenbildern (fol. 2r, fol. 34v) nämlich, liefen diese Überlegungen freilich ins Leere. Das heraldische Motiv wurde lange zeit als Ast bezeichnet, ist aber wohl richtiger als ein Korallenzweig zu deuten, ein Gegenstand, den zeitgenossen wegen seiner Verwendung bei der Giftabwehr auch unter der Bezeichnung ‚Natternzunge‘ kannten.14 Wenn es sich überhaupt um ein of-fizielles familienwappen handelte und nicht um eine Bilderfindung mit attributiver, zeichenhafter Bedeutung, so scheidet ein Mitglied des Adels als Träger dieses offenbar nirgends nachzuweisenden Wappens sicherlich aus.15

Insgesamt lassen sich die Ergebnisse aus rund eineinhalb Jahrhunderten forschung zum mittelalterlichen Hausbuch in drei Komplexe einteilen: die Ikonographie als Spie-gel der Sozialgeschichte, punktuell auch als Vorausweis oder früher Beleg der Gen-remalerei gedeutet, die Einordnung des Themenspektrums und des Textbestands als durchaus typische Kompilation spätmittelalterlicher Wissensliteratur sowie schließlich die Charakteristik der beteiligten Künstler als Baustein einer letztlich nur in groben zügen zu rekonstruierenden Entstehungsgeschichte. Im folgenden wird sich zeigen lassen, dass diese Pisten sämtlich in eine Richtung führen, und zwar zunächst zurück und auf einen bislang unerkannt gebliebenen Traditionsstrang zwischen der Bibliothek der Könige von frankreich und derjenigen ihres nach Hegemonie strebenden Vasallen, Karls des Kühnen von Burgund. zugleich ist an die Überlegungen zum systematisch-enzyklopädischen Charakter der Handschrift anzuknüpfen, wobei die Ikonographie genauer untersucht und als eine philosophisch-politisch gewichtete Kommentierung der artes mechanicae ausgewiesen wird.

II. Die Bilder des mittelalterlichen Hausbuchs im Kaleidoskop der kunstgeschichtlichen Gattungsbestimmung

Es ist keine leichte Aufgabe, der Eigenart eines so komplexen und vielschichtigen Mo-numents der Kunst des späten Mittelalters wie es das Hausbuch aus Schloss Waldburg Wolfegg darstellt gerecht zu werden, und dabei die frühneuzeitliche Genremalerei im Blick zu behalten. So schwierig die Einordnung des einen Gegenstands ist, so kompli-ziert ist die Abgrenzung des anderen.16 Dies zu leisten und eine gleichsam janusköpfige Sicht auf das Werk zu gewinnen, sei hier auf dem Weg der Dekonstruktion versucht. Dabei ist zug um zug darzustellen, dass das mittelalterliche Hausbuch die inhaltli-chen und formalästhetischen Kriterien der Genremalerei verfehlt, aber zugleich auch bestätigt. Im Spiegel dieser Widersprüche stellt sich das mittelalterliche Hausbuch als ein höchst instruktiver Schauplatz der westeuropäischen Kunst auf ihrem Weg zur Ver-bürgerlichung und ästhetisierung dar. Ein Transformationsprozess lässt sich fassen, in

14 zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, S. 103f.15 Mitglieder des deutschen Hochadels, deren Wappen sämtlich bekannt sind, scheiden als potenzielle

Besitzer aus. Gegen ein reguläres Wappen scheint zu sprechen, dass nur das erste Wappenbild auch farbig ist, wobei die Koralle nicht in einer natürlichen farbe, sondern in Gold erscheint. Vgl. Bossert/storcK: Hausbuch, S. 15.

16 KeMP: Gattung, S. 137.

204 ulrike Heinrichs

dessen Verlauf Bildbestände, die gezielt als Medien der Herrschaftslegitimation und der Normenbildung in den Bereichen der Verfassung, Administration und Erziehung er-stellt und in den Kreisen der Regierung, des Hofes und der Herrschaftsorgane in um-lauf gebracht wurden, aufgebrochen, vermischt und angereichert, neu arrangiert und umgeformt werden, um die spezifischen Bedürfnisse der Repräsentation, der Selbsti-dentifikation und der Wissensverwaltung auf Seiten von bürgerlichen Personenkreisen an der Peripherie der höfischen Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen.

1. Die Genremalerei stellt alltägliche, triviale oder allgemeine Dinge dar. Vom Historiengemälde als der am höchsten angesehenen Gattung der Malerei grenzt sie sich ab.

Die Historienmalerei als Gattung abgrenzen zu wollen, ist für den hier betrachteten zeitraum nicht weniger problematisch als die Anwendung des Begriffs des Genrebil-des. unter den Prämissen der christlichen Heilsgeschichte und der mittelalterlichen Überlieferung der antiken Mythologie und Historiographie ist das in frage kommende feld viel zu groß, als dass es sich für die Klassifikation in einer Gattungsgeschich-te eignete. Die Angabe in Leon Battista Albertis (1404–72) ‚Della Pictura‘ (1436), an der istoria bewähre sich das Talent des Malers am besten, bezieht sich bekanntlich auf das Bildgeschehen in der figurenmalerei im Allgemeinen. Die in diesem zusammen-hang genannten Qualitäten wie insbesondere die Mannigfaltigkeit und die fähigkeit, Gefühlsbewegungen hervorzurufen, ließen sich ebenso an die Genremalerei anlegen. Im mittelalterlichen Hausbuch fänden sie sich allemal bestätigt.17 Dennoch scheint das Axiom im vorliegenden fall anwendbar, da die Tendenz der Abgrenzung greifbar wird, im Spiegel von Verfahren der Translozierung und Verallgemeinerung von formularen des historiographischen Ereignisbildes nämlich.

Wie schon erwähnt beziehen sich die Bilder im mittelalterlichen Hausbuch punk-tuell auf den feldzug friedrichs III. zur Entsetzung der durch Karl den Kühnen bela-gerten Stadt Neuss im Sommer 1475. Der zug des kaiserlichen Heers, kenntlich an der fahne mit der Buchstabenfolge A E [I] O [V], die friedrich III. (1440–93) als Devise benutzte, wird auf zwei gegenüber liegenden Seiten inszeniert (Abb. 4). für die Dar-stellung des feldlagers mit der Wagenburg wird sogar ein Breitformat über zwei auf-klappbare Doppelseiten aufgewendet (Abb. 2). Über die Codes der Rangordnung und die heraldischen zeichen sind einige der Akteure des Neusser feldzugs sicher identi-fiziert. Neben Kaiser friedrich III., der im Beisein einer Gruppe von Rittern zu einem Boten spricht, ist dies insbesondere Erzbischof von Mainz, Adolf II. von Nassau, als Kanzler und hochrangigster Kirchenmann zeltnachbar des Kaisers. Die auf den ersten Blick rückschrittlich wirkende Raumbildung mit dem in die höhe geklappten Gelän-de und die steife Gruppierung der führungsriege um den Herrscher in der Mitte des Wagenrings sind Darstellungsmittel, die der Lesbarkeit der Situation dienen und sich vergleichbar in illustrierten Chroniken finden.18

17 Patz: Begriff, S. 275–285; GorKa-reiMus: Alberti, S. 82.18 Die Erforschung der mittelalterlichen Chroniken bewegt sich bis dato überwiegend im Rahmen der

filiation von einzelnen Texten und deren Illustrationen. Vgl. z.B.: von eMs: Weltchronik; FischeL: Bilderfolge, S. 37–80; KonraD: Buchmalerei, Kat. Ko 44, Ko 47, Ko 50, Ko 52, Ko 57, Ko 59.

205Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

Die feldzugsbilder wiederum, die sich als zeugnisse der rezenten Geschichte und um ihres auffälligen formats willen als ein fluchtpunkt und eine Scharnierstelle inner-halb des Codex darstellen, wollen den Duktus der auf das Wesentliche und Beispielhaf-te des Ereignisses konzentrierten Chronik offenbar keineswegs durchhalten. Anders wäre nicht erklärlich, warum es einem Narren mit typischer Eselsohrenmütze erlaubt ist, im Heerzug mitzureiten und sich noch dazu an hervorgehobener Stelle in der Mitte des Bildes zu zeigen. Ein weiterer Vertreter des Narrentums tritt in der vorangehenden Turnierszene als Spielmann auf (Abb. 5). Die zum zweikampf angetretenen Ritter sind durch die ornamente auf den Schabracken ihrer Pferde als Gefolgsleute des Kaisers respektive des Herzogs von Burgund ausgezeichnet, falls nicht sogar diese beiden fürs-ten selbst gemeint sind. Indessen hat der zeichner den Eindruck zu vermeiden gewusst, dass das höfische Turnier sich hier als sublimere Alternative zum Kriegszug darstelle. Die auf Übersichtlichkeit, eine klare Hierarchie und deutliche Handlungssequenzen hin angelegte Darstellungsweise, wie sie Chroniken oder Turnierbücher einsetzen, um den exemplarischen Einzelfall eines Turnierereignisses zu erinnern und normative Re-

Wichtige Wegweisungen zu einer Geschichte der Gattung in kunstgeschichtlicher Sicht gibt neuer-dings: worM: Cycles.

Abb. 2: Meister der Genrebilder, Wagenburg, ca. 1480–90, feder auf Pergament, Mittelalterliches Hausbuch, fol. 53v–54r, feder auf Pergament. Privatbesitz.

206 ulrike Heinrichs

Abb. 4: Meister der Genrebilder, Heerzug, ca. 1480–90, feder auf Pergament, Mittelalterliches Hausbuch, fol. 51v–52r. Privatbesitz.

207Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

geln für das Idealturnier zu indizieren, war aber sicher nicht das ziel des zeichners. Die in der Literatur übliche Benennung des Bildes als ‚Vorbereitung zum deutschen Stechen‘ trifft insofern nicht das Richtige: Man wird das tumultartige zusammentref-fen, bei dem zwei junge Knechte mit Knüppeln den Rittern in die Quere kommen und berittene Vertreter der jeunesse dorée einander die Dame abspenstig machen, höchst unterhaltsam finden, eine Parodie des ernsthaften Turnierbuchs, wie es das ‚Livre des Tournois‘ Renés von Anjou, entstanden um 1460, vor Augen stellt. Dessen Bildzyk-lus legt auch in den figurenreichen aktionsgeladenen Szenen, so der Aufstellung und dem zusammenprall der Ritter, Wert auf die Lesbarkeit des Turniers in seinem streng ritualisierten Ablauf und wird dabei dem normativen Programm des Textes gerecht, den auch der Titel zum Ausdruck bringt: ‚Traité de la forme et devis comme on fait un tournoi‘.19 Im mittelalterlichen Hausbuch scheint dagegen eine Affinität zum bürgerli-chen Engagement im Turnierwesen vorzuliegen. An den fall des Augsburger Patriziers Marx Walther sei erinnert, der zwar von den Herzögen Christoph und Wolfgang von Bayern als Tjostier angenommen wurde, sich dabei aber als Parodist stilisierte, etwa

19 Paris, Bibl. Nat., Ms. fr. 2695. Siehe rené D’anjou: Livre, S. 7f., Abb. S. 74f. und 76f.

Abb. 5: Meister der Genrebilder, Turnier, ca. 1480–90, feder auf Pergament, Mittelalterliches Hausbuch, fol. 25v–26r. Privatbesitz.

208 ulrike Heinrichs

indem er drei Würste als Helmzier trug und außer an höfischen Turnieren auch an fastnachtstjosten teilnahm.20

Auch das durch seine panoramaartige Anlage beeindruckende Bild der Wagenburg (Abb. 2) unterläuft die Merkmale von ordnung, technischer Effizienz und zeremo-nieller Disziplin, wie sie für das historische, Mut und Kriegsglück des Herrschers be-leuchtende Thema angemessen wären. Es gibt sich den Anschein der Lebensnähe und eröffnet dabei eine ganze Reihe von despektierlichen Einblicken in einen Heeresalltag. So wird der schwellenartig aufgestülpte Vordergrund dazu genutzt, das unterste Ni-veau der sozialen Rangordnung nach oben zu kehren und dem Betrachter die stinkende Kehrseite des Lagerlebens unter die Augen zu reiben. In einer illustrierten Chronik wären derartige Staffagefiguren verzichtbar. Wie das Auge beschäftigt und durch die furchen und Böschungen im Gelände von Motiv zu Motiv gezogen wird erinnert an die Ausdrucksweise in religiösen Bilderzählungen, etwa in Martin Schongauers (ca. 1445–91) Kupferstichen zur Passion Christi.21 Angesichts dieser stilistischen Parallelen fällt indessen besonders auf, dass die feldzugsszenen das Schreckensniveau der spät-mittelalterlichen Passionszyklen und Märtyrerbilder weit unterschreiten. So stammen die Kadaver lediglich von Tieren, und den Besiegten droht offenbar nichts Ernsteres als in die Gefangenschaft abgeführt zu werden. Vorausweisungen auf Callots ‚Misères de la guère‘ oder Goyas ‚Desastres della guerra‘ sucht man im mittelalterlichen Hausbuch vergeblich. Im Horizont der Ikonographie des Krieges, wie sie in der mittelalterlichen Bibelillustration entwickelt wurde, wirken die Szenen aus dem Lageralltag eher euphe-mistisch, wenn nicht sogar erheiternd. Mit dieser Haltung scheint das Werk in der Tat an die Typik des Soldaten in der Wachstube oder ‚fröhlichen Gesellschaft‘ heranzufüh-ren.22 Als ein zeitlich nahe liegendes und stilverwandtes Beispiel sind die aus der Werk-statt des Monogrammisten W stammenden Stiche mit Lagerszenen und Verweisen auf das Heer Karls des Kühnen zu nennen.23

Über die seit langem bekannten chronikalischen Hinweise hinaus lässt sich an gänz-lich unerwarteter Stelle eine weitere Parallele zur Historiographie aufzeigen, wobei sich der Vergleichsradius um zeugnisse der literarischen Kultur der gegnerischen Par-tei, also des Kreises Karls des Kühnen von Burgund, erweitert. Dabei tritt ein weite-rer Motivkreis in den Blick, der bislang nicht gedeutet werden konnte.24 Die Rede ist vom bereits erwähnten ‚Gauklerbild‘ (Abb. 3, Taf. 14). Es kann sich hier keinesfalls um ein mehr zufällig entstandenes Einsprengsel handeln, da es durch seine Lage und Ausstattung hervorgehoben ist. Gemeinsam mit dem Wappenbild steht es am Anfang der ersten Lage. Die folgenden vier Blätter sind leer, ein fünftes Blatt ist nur auf der Verso-Seite beschrieben und geschmückt, offenbar weil das Projekt an dieser Stelle un-vollendet blieb. Wie das Wappenbild ist das ‚Gauklerbild‘ unter den sonst vorwiegend nur mit der feder gezeichneten zeichnungen durch eine vollständige bunte Ausmalung und ein goldfarbenen Rahmenornament besonders ausgezeichnet. zu denken gibt auch die Tatsache, dass die figurengruppen mit Motiven aus nicht weniger als vier Blättern

20 BarBer/BarKer: Geschichte, S. 88f. und Abb. S. 138f.21 heinrichs: Schongauer, S. 331.22 Vgl. rosen: Soldiers, S. 26–39; waynes: Painting, S. 60–64.23 riehL: Geschichte, S. 62; Kat. ausst.: Karl der Kühne, Kat. Nr. 51 (BarBara weLzeL), S. 223.24 zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, Kommentar-Bd., S. 11.

209Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

des Kupferstechers Meister E.S. bestückt wurden. Der fürst und der Heerführer in der zuschauerposition im Mittelgrund sind dem Martyrium des Hl. Sebastian entlehnt. Die als Athleten oder Artisten agierenden Männer stammen aus drei verschiedenen Stichen aus einem Kartenspiel des Meisters E.S.25 Hinzuerfunden oder aus einer unbe-kannten Quelle entnommen sind die Landschaft mit den steilen, mit Burgen besetzten Bergen sowie einige der Kunststücke, insbesondere die Schlangenbeschwörung und der Schwerttanz. Ikonographisch und strukturell betrachtet wurden also profane und religiöse Bilder selektiert und in ein neues Ganzes integriert. Nicht auszuschließen ist, dass die Motive dem Maler bereits in einer mehr passgerechten form als Musterbuch vorlagen. Dennoch wird man die frage nach der Ikonographie dieses Bildes und nach seiner funktion innerhalb des Codex nicht ruhen lassen dürfen. Die Lage des Bildes, seine aufwändige Gestaltung und letztlich auch das mühsame Klitterverfahren sind be-sondere Merkmale, die auf eine programmatische funktion hinweisen.

Wie sich anhand einer gegen 1475 entstandenen, im J. Paul Getty Museum in Los Angeles aufbewahrten Handschrift der Geschichte Alexanders des Großen von Quin-tus Curtius Rufus (‚De rebus gestis Alexandri magni‘) in der von Vasco de Lucena er-stellten französischen Übersetzung (‚Livre des fais d’Alexandre le grant‘) zeigt, scheint das ‚Gauklerbild‘ ein Motiv in der Eingangsillustration zu Buch 3, die Aufführung agonaler Spiele vor den Toren der eroberten Stadt Susa auf Geheiß Alexanders des Großen (Abb. 6, Taf. 15), zu variieren.26 Die Parallelen mit der Miniatur im mittelal-terlichen Hausbuch beziehen sich auf die Verteilung der Athleten auf dem freien feld und die Platzierung des Herrschers in einer Beobachterposition rechts im Bild. Auch mit Bezug auf die athletischen Disziplinen bestehen teilweise Übereinstimmungen. Stark unterschiedlich ist dagegen die ortsbeschreibung. Die Schar der zuschauer ist in der illustrierten Alexandergeschichte größer. Außerdem wurde die Szene der ago-nalen Spiele in der Miniatur mit einem späteren Ereignis zusammen geschoben, der Begegnung Alexanders mit Sysigambis, der Mutter König Darius’. Die unterschiede sind also recht erheblich. Dennoch scheint der Vergleich wertvoll zu sein und einen entscheidenden Hinweis auf einen ikonographischen zusammenhang zu eröffnen, der es verdient ans Licht geholt zu werden.

zunächst erweist sich die Notwendigkeit der umbenennung und Neubewertung der figuren: Die Akteure der Aufführung sind keine ‚Gaukler‘, sondern Athleten oder Artisten. Wie für die Teilnehmer bei agonalen Spielen nicht anders zu erwarten, sind sie durchweg männlich, jugendlich und offenkundig sehr geschickt in ihren Disziplinen. Durch ihre farbliche Kennzeichnung verweisen sie auf konkurrierende, durch die Spie-le zugleich freundschaftlich verbundene Parteien. Ihr Erscheinen entspringt nicht einer zufallsbegegnung zwischen einer Gruppe von fahrendem Volk und den Bewohnern irgendeiner Burg, sondern geschieht auf Geheiß des Herrschers. Der fürst im langen Rock weicht durch sein bärtiges Gesicht zwar von der antiken Tradition des jugendli-chen Herrschers ab, er entspricht aber einem Typus, der durch eine weitere populäre Alexanderdichtung, das Alexanderbuch Johann Hartliebs (ca. 1400–68), etabliert wur-

25 Bossert/storcK: Hausbuch, S. 38f.; zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, Kommentar-Bd., S. 72.26 J. Paul Getty Museum, Los Angeles, Ms. Ludwig XV 8, fol. 99r, siehe von euw/PLotzeK: Handschrif-

ten, Bd. 4, S. 240–255, Taf. S. 251; Kren/McKenDricK: Renaissance, S. 248–251.

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de und daher insbesondere im deutschsprachigen Raum Verbreitung fand.27 Auf Grund der Lektüre von Curtius Rufus ist zu erwägen, ob eine andere Episode der Perserkriege gemeint ist, die ebenfalls durch die Aufführung von Spielen gekennzeichnet ist. Beim Durchzug durch das Pylai-Gebirge fand Alexander sich selbst als vom Kriegsglück begünstigt, da die Perser – für den begnadeten Strategen unverständlich – die Make-donier unbehelligt ließen, die auf den schmalen Pässen zwischen den hohen Bergzü-gen leicht anzugreifen gewesen wären. Am Ende der Gebirgsdurchquerung und nach erfolgreicher Einnahme der reichen Stadt Tarsos von seinem Kriegsglück überzeugt, zog Alexander sich beim Bad im fluss Kydnos eine lebensgefährliche Erkrankung zu, der er erlegen wäre, wenn nicht sein Arzt Philippos ihn mit einem eigens hergestellten Heiltrank und durch aufopferungsvollen pflegerischen Einsatz geheilt hätte. Die für seine Genesung geleisteten Gelübde erfüllte Alexander, indem er rastete und feierliche Spiele zu Ehren von Asklepios und Minerva aufführen ließ.28 Die Gebirgslandschaft würde die überraschend gut überstandenen Gefahren des zuges nach Kilikien vor dem zusammenstoß der Heere bei Issos evozieren. Möchte man diesem Gedanken folgen, so hat der zeichner die Vorlage des Meisters E.S. sinnvoll umgewidmet bzw. ergänzt. Der Gelehrte zur Rechten des Herrschers wäre der Arzt Philippos, der Mann im Har-nisch einer der Heerführer Alexanders.29 Die Artisten und Athleten würden jeweils die Bereiche Asklepios’ und Minervas vertreten, die Schlangenbeschwörung könnte attributiv auf den Gott der Heilkunst verweisen, nicht ohne zugleich die Bedeutung des Korallenastes auf dem Wappenschild als ‚Natternzunge‘ zu unterstreichen.30

Diese Deutung setzt voraus, dass der Maler sich teils an Bildern, teils am Text der Alexandergeschichte orientierte bzw. dass ihm entsprechende Kenntnisse und Anwei-sungen vermittelt wurden. Sie impliziert außerdem, dass der Referenzstoff dekonstru-iert und in einen anderen Kontext transloziert wurde. Die klassische ikonographische Methode kommt hier an ihre Grenzen. Die Verfasserin vertritt dennoch die Auffas-sung, dass die Parallelen mit der bebilderten Alexandergeschichte Karls des Kühnen und dem auf Curtius Rufus zurückgehenden Text um Alexanders Genesung (Schlan-

27 Hartlieb war zunächst Übersetzer am Hof Herzog Ludwigs des Gebarteten von Bayern-Ingolstadt und diente später Albrecht III. von Bayern-München als Leibarzt, Ratgeber und Diplomat. Am Münchener Hof verfasste er sein Alexanderbuch. Die wahrscheinlich älteste unter den 17 erhaltenen Handschriften entstand 1461, vermutlich in Augsburg. Mit 24 Miniaturen ausgestattet scheint sie den ältesten Drucken, entstanden 1472 und 1473 bei Bämler in Augsburg, als Vorbild gedient zu haben. In den erzählenden Bildern, die in den Text integriert sind, erscheint Alexander hier ebenfalls vorwiegend bartlos. Das mit einem Porträt in Büstenform stellt aber unter dem Titel ‚das ist der groß king allexan-der‘ den Makedonier als Bärtigen vor. Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Hs. 4256, fol. 1v. Die Darmstädter Handschrift, 1461 entstanden, gehört zu den ältesten unter den 17 erhaltenen. Die ältesten Drucke, verlegt bei Bämler in Augsburg 1472 und 1473, stehen ihr nahe und nehmen insbeson-dere auch das Alexanderporträt auf. hartLieB: Alexanderbuch, S. 4f., Abb. 1.

28 curtius ruFus: Alexandergeschichte, S. 36. 29 Vergleichbare figuren sind in der französischen Handschrift im Bild zu Alexanders des Großen Er-

krankung und Kur zu finden. J. Paul Getty Museum, Los Angeles, Ms. Ludwig XV 8, fol. 41r, siehe von euw/PLotzeK: Handschriften, Bd. 4, S. 241 und Abb. 176.

30 Da Asklepios auch zu Christus als ‚wahrer Arzt‘ umgewidmet wurde, wie ein als Reliquienschrein verwendetes Arzneikästchen aus dem 5. Jahrhundert im Domschatz in Chur beweist, konnte die Iko-nographie der Schlange als Attribut des paganen Heilgottes bekannt gewesen sein. Vgl. Kat. ausst.: Spätantike, S. 565–567, Nr. 168 (DaGMar stutzinGer); Kat. ausst.: Credo, Bd. 2, S. 100f., Nr. 99 (anja KaLinowsKi).

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ge – Heilgott Asklepios – Leibarzt Philippos) eine neue Perspektive auf Quellen und Kontext des mittelalterlichen Hausbuches eröffnen, die in mancherlei Hinsicht loh-nend ist. Die Evokation griechischer Götter würde auf eine humanistische Tendenz verweisen und zugleich mit zwei inhaltlichen Schwerpunkten des Textcorpus im mit-telalterlichen Hausbuch, der Medizin sowie der Ausrüstung und Kriegskunst (ars ar-matoria et ars militari), korrespondieren. Die Taten Alexanders des Großen während der Perserkriege zu evozieren und sei es nur in einem Ausschnitt, mochte zugleich nützlich erschienen sein, um den Bildern zum feldzug gegen Karl den Kühnen einen historischen Ankerpunkt entgegen zu setzen. zwar wird Alexander der Große bereits bei Curtius Rufus als zwiespältige Herrscherpersönlichkeit dargestellt, und die mit-telalterlichen Bearbeitungen des Alexander-Stoffs betonen diese Tendenz noch. Sein schneller Aufstieg und sein frühes Ende stehen vor der folie einer spannungsreichen Charakterisierung, die großartige Herrschertugenden gegen lasterhafte Eigenschaften wie Hochmut, unersättlichkeit, Jähzorn und Trunksucht setzt. Da Alexander der Gro-ße zugleich auch Bestandteil der biblischen Überlieferung ist und seine Eroberungen gemäß der Vier Reiche-Lehre als zeitenwende zwischen dem babylonischen und dem griechischen Weltreich galten, bildete er dennoch eine beispielhafte Herrschergestalt.31

Auch diese Überlegung führt vorläufig nicht dazu, dass sich die Verständnislücken schließen lassen und der Eindruck der Heterogenität in Bezug auf das mittelalterliche Hausbuch gemindert wird. Es ist daher noch einmal an den materiellen und formalen Befund ist zu erinnern: Die Darstellung heidnischer agonaler Spiele zur zeit Alexand-ers, wie das vermeintliche ‚Gauklerbild‘ an dieser Stelle zumindest im Sinne einer Ar-beitshypothese genannt werden darf, gehört zweifelsfrei zum originalen Bildbestand und sie wurde planmäßig an den Anfang gesetzt. zugleich stellt es sich als fragment eines größeren, unvollendeten Abschnitts dar – da der Rest der ersten Lage leer geblie-ben ist. Durch zwei weitere ganze Lagen, die bereits etwa im 16. Jahrhundert entfernt wurden, war es ursprünglich vom Planetenzyklus getrennt. Die formale Gestaltung zielte zugleich offenkundig darauf ab, die strukturbildende funktion dieses Bildes in-nerhalb des Codex zu betonen und eine Brücke zum zweiten Wappenbild und zum ‚Bergbaubild‘ herzustellen. Eine Parallele mit dem deutschen König oder Kaiser als feldherrn ziehen zu wollen, kann bei der Bildkonzeption nicht mehr als eine sekun-däre Rolle gespielt haben. um den Anfang eines Alexanderzyklus zu bilden, hätte sich die Ikonographie des mittelalterlichen Alexanderromans respektive dessen spätanti-ken Vorbilds, der ‚Historia de preliis‘, angeboten. Diese stellen an die entsprechende Stelle eine Kampfszene oder die wundersame zeugung Alexanders durch Nectanebus, den magisch begabten König von ägypten. Das Thema der agonalen Spiele scheint für diese Aufgabe hingegen ungeeignet zu sein.32 Es wird noch zu zeigen sein, auf welche Weise diese Miniatur ihre Rolle als Auftakt-Szene innerhalb der systematisch-enzyklo-pädischen Struktur des Codex begründet.

Über gewisse Strecken hinweg wird im mittelalterlichen Hausbuch also der Duktus einer Chronik entwickelt. Der ereignishafte und zugleich exemplarisch-repräsentative Charakter der entsprechenden Bilder wird aber durch Elemente des Komischen abge-

31 schMitt: Alexander, S. 315; wuLFraM: Übergang, S. 60f.32 Vgl. anonyM: Alexanderroman, S. 8–15, 165. Auch das ‚Livre des fais d’Alexandre le grant‘ im J. Paul

Getty Museum setzt die Geburt Alexanders an den Anfang.

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schwächt. Das mittelalterliche Hausbuch macht also Anleihen an historiographische Bildzyklen, lässt die fäden der Erzählung jedoch ins Leere laufen. Hat die unter-suchung an dieser Stelle zunächst vor allem nur neue lose Enden im komplizierten Bildbestand des mittelalterlichen Hausbuchs frei gelegt, so lassen sich die Knoten im folgenden erneut schürzen, indem das Verständnis der Bildsprache vertieft und das Vergleichsspektrum abermals erweitert wird. Die für kanonisch erachteten funktions-merkmale der Genremalerei rücken dabei deutlicher in den Blick.

2. Komik und Realismus oder Komik und Fiktionalität?

Die Bilder im mittelalterlichen Hausbuch wurden in der forschung immer wieder als zugleich humorvoll und realistisch bezeichnet. Mit dieser Sichtweise wird an eine der einflussreichsten Thesen der kunstgeschichtlichen Gattungseinteilung angeknüpft, wonach das Genrebild Parameter der Komödie umsetze und sich dabei – einem Mo-dell der antiken Gattungstheorie folgend – in einen Gegensatz zur Tragödie stellen würde. Der Abgleich mit der Theorie fällt dabei bekanntlich unvollständig aus, weil der wichtigste Referenztext, die ‚Poetik‘ des Aristoteles, zwar die Tragödie ausführ-lich behandelt, eine Erörterung der Komödie aber nur andeutet.33 Im Hinblick auf das sogenannte niedere Genre im ‚Goldenen zeitalter‘ der niederländischen Malerei hat es sich eingebürgert, die in der ‚Poetik‘ fehlenden Elemente einer Theorie der Komödie im umkehrschluss von der Charakteristik der Tragödie abzuleiten. Dafür mag tatsäch-lich vieles sprechen: Alltägliches und Gewöhnliches wird gezeigt, keine beispielhaften Ereignisse, keine tugendhaften und schönen Menschen aus Königsgeschlechtern, son-dern Repräsentanten der niederen Gesellschaftsschichten; hässliche Gestalten und un-gezügeltes und moralisch verwerfliches Verhalten werden vorgeführt. Hans-Joachim Raupp folgend sind entsprechende Hinweise auch der niederländischen Kunstliteratur des 17. Jahrhunderts zu entnehmen.34

Die Macher des mittelalterlichen Hausbuchs hätten die ‚Poetik‘ jedoch allenfalls im Spiegel der Kommentierung durch den arabischen Philosophen Averroës wahrneh-men können, die Hermannus Alemannus 1256 ins Lateinische übertragen hatte. Eine Übersetzung des aristotelischen Textes selbst legte erst Giorgio Valla 1498 vor.35 Wahr-scheinlich ist ein solcher zusammenhang aber nicht. ohnehin gibt es wenig Grund, das mittelalterliche Hausbuch als frühes Beispiel für jene frühneuzeitlichen Genrebilder anzusehen, die dem Axiom des Komödienhaften, verstanden als Gegensatz zum aris-totelischen Tragödienkonzept, zu entsprechen scheinen. Mit den ekstatisch tanzenden

33 rauPP: Ansätze, S. 405–410.34 rauPP: Ansätze, S. 411f. In der forschung zur niederländischen fachmalerei der frühen Neuzeit

scheint die Tendenz besonders ausgeprägt, die Ikonographie und Ikonologie auf der einen und die fo-kussierung der formalästhetischen und bildhermeneutischen Qualität der Malerei auf der anderen Seite als einander ausschließende Ansätze aufzubauen. Beispielhaft sei hier auf die Kontroverse zwischen Alpers und Miedema hingewiesen. Vgl. aLPers: Peasants, S. 163–176; MieDeMa: Realism, 205–219; aLPers: Pictures, S. 46–50; aLPers: Realism, S. 115–120. für den fall einer gelungenen Deutung siehe De jonGh: Pearls, S. 69–97, für den methodologischen Aspekt dieses Gelehrtenstreits: De jonGh: Ap-proach, S. 219f. Wie eng die fäden der werkimmanenten Analyse und der Quellenforschung zusam-mengeführt werden müssen, wenn die spezifische epistemische Qualität des Bildwerks durchdrungen werden soll, zeigt beispielhaft: MüLLer: Paradox.

35 raPP: Aristoteles, S. 27–29 (zur Theorie der Tragödie), 31f. (zu Rezeption der ‚Poetik‘ im Mittelalter).

213Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

Bauern, den fröhlich singenden oder wütend raufenden zechern, den gierigen fressern, weltvergessenen Rauchern oder drastischen Heilkuren des 16. und 17. Jahrhunderts gibt es hier im Grunde keine Parallelen. Über den Rahmen der mittelalterlichen Laster-ikonographie wird kaum hinausgegangen, und der Ton ist überwiegend sogar gemäßigt oder diskret. Der Abdecker im Vordergrund des Saturnbildes ist einzigartig, sieht man vom Schwein als Anleihe an die perfiden judenfeindlichen Hohnbilder des späten Mit-telalters ab, und um den Aspekt des Erd-Elements ins Ekelerregende umzumünzen und das Geruchsgedächtnis in Aufruhr zu versetzen, ist er schlagend effektiv (Abb. 1). Insgesamt sind die Vertreter der unteren Schichten jedoch in der Minderheit, und wo sie auftreten, kann von einer mitleidlosen Herabwürdigung, wie in der Geschichtsfor-schung teilweise unterstellt,36 nicht die Rede sein. Der Weg zur Hinrichtung wird für den Delinquenten im Saturnbild zum Kreuzweg. Die Prägnanz der zeichnung sorgt dafür, dass die beiden zeichen, die Richtstätte auf der Hügelkuppe und das Kreuz in der Hand des Mönchs, parallel gesetzt werden. Der verkrüppelte Bettler im Bild der Sonne gibt den frommen Betern in der Kapelle Gelegenheit, ihre caritas unter Beweis zu stellen (Abb. 7). Die Bauern, und die Müller, die fischer und die Vogelfänger gehen ihrem Tagwerk nach (Abb. 8). Die schmiegsame Einbettung der Agrarszenen in die Hänge und Senken der Landschaft bestätigt das Ideal des Einvernehmens der Nach-fahren Adams mit den Naturgesetzen und der gottgewollten Aufgabenverteilung in-nerhalb der Gesellschaft. Nicht die dem ernährenden Stand nachgesagte Neigung zur zügellosigkeit wird betont, sondern dessen Verdienste um die früchte der Erde.37

Mit dieser Tendenz setzen sich die zeichnungen im Hausbuch von den Stichen des Meisters des Amsterdamer Kabinetts ab, unter denen sich besonders geistreiche frühe Beispiele der Bauernsatire befinden.38 offensichtlich waren für das Projekt der Bildfol-gen in der Handschrift ganz andere Vorgaben zu befolgen. Der Humor im mittelalter-lichen Hausbuch ist nicht von zerstörerischer Schärfe. Von der apokalyptischen Pers-pektive in Sebastian Brants satirischem Versepos ‚Das Narren schyff‘39 ist man hier weit entfernt. Dabei mag die Wahrnehmung der antiken Literatur im Hintergrund durchaus eine Rolle gespielt haben, doch nicht in form von theoretischen Regeln, sondern auf der Basis der Lektüre der römischen Komödie und im Spiegel der mittelalterlichen Tradition von Szenenbildern in den illustrierten Handschriften und frühdrucken der Werke des römischen Dichters Terenz (geb. um 132 v. Chr.). Typischerweise treten hier die Herren und die Diener gemeinsam auf die Bühne, um miteinander oder aneinander vorbei zu agieren. Während die ältesten Beispiele noch einem antiken Prototypus fol-gen, indem die Herren als Vertreter des Senatorenstandes in der Toga und die Sklaven in kurzer Tunika sowie grotesken Masken die römische Komödie geben,40 tritt ab dem 12. Jahrhundert der zeitgenössische Adelige in die Rolle des pater familias ein. Damit der Witz herauskommt, genügt es offenbar schon, dass die beiden ungleichen figuren, der adelige Herr und sein Diener, im Bild auf Augenhöhe aufeinander treffen. Die im

36 eLias: Prozess, S. 377.37 zu den positiven Konnotationen des Bauernbildes im 15. und 16. Jahrhundert siehe rauPP: Bauernsa-

tiren, S. 42f., 50–53.38 rauPP: Bauernsatiren, S. 100–104.39 Vgl. schoch: Dürer, S. 86f., Nr. 266.40 Vgl. weBBer jones/Morey: Miniatures, Bd. 1, S. 27–37.

214 ulrike Heinrichs

Abb. 7: Meister des Amsterdamer Kabinetts und Meister der Genrebilder, Sol und seine Kinder, ca. 1480–90, feder auf Pergament, Mittelalterliches Hausbuch, fol. 13v. Privatbesitz.

215Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

Abb. 8: Meister des Amsterdamer Kabinetts, Luna und ihre Kinder, ca. 1480–90, feder und Temperamalerei auf Pergament, Mittelalterliches Hausbuch, fol. 17r. Privatbesitz.

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Aneignungsprozess des antiken Stoffs entstehenden Bildtypen kommen dem frühneu-zeitlichen Genrebild mitunter erstaunlich nahe. So bringt der Dialog über Hochzeits-vorbereitungen am Beginn der Komödie ‚Andria‘ in einer vermutlich nordfranzösi-schen Handschrift (Rom, Biblioteca Vaticana, Ms. lat. 3305, fol. 11v) ein ‚Küchenstück‘ hervor, mit ein paar fischen am Haken und einem Hasen über dem Herd.41

Eine allzu schematische Parallelsetzung der Hierarchie der Gattungen und der Hi-erarchie der Stände trifft die Tradition der antiken Komödie im Mittelalter also gerade nicht. Stattdessen scheint offensichtlich, dass die Komik im Bild um die richtige Würze zu haben mindestens den direkten Vergleich, wenn nicht gar die offensichtliche Ver-kehrung der Rollen und Überschreitung der Grenzen zwischen den Ständen braucht. Nicht immer geht es dabei so handfest lasterhaft zu wie in der Badehausszene neben der Gartenterrasse oder unter den tief hängenden ästen im obstgarten der Göttin Luna. für den modernen Betrachter unauffälliger, aber in Wahrheit nur tiefer in die Kiste der höfischen Erziehung und die Regale einer fürstlichen Bibliothek gegriffen, ist der Spott über den Ritter mit dem Kannenorden im Bild der Großwildjagd (Abb. 9). Die Rede ist von dem jungen Mann mit halblangen Locken, dessen Kleidung eine auf-gestickte Kanne ziert, zeichen eines von friedrich III. zur förderung des Ideals des frommen und tapferen Ritters gegründeten ordens. Diese figur galt in der forschung als Kandidat für ein Kryptoporträt des Auftraggebers, wobei neuere Beiträge für eine Deutung als fiktive figur plädierten.42 Letztere Annahme trifft wohl das Richtige, denn nimmt man die Bildsprache ernst und beobachtet genau, wie hier zweierlei Bildtypen, nämlich zum einen der in mittelalterlichen Kalenderzyklen notorisch vorkommende frühlingsausflug junger Adeliger und zum anderen das Aufspüren des Wilds bei der Treibjagd im illustrierten Jagdtraktat, etwa dem viel kopierten, weit verbreiteten ‚Li-vre de la chasse‘ des Grafen von foix und Vicomte von Béarn, Gaston III., genannt Phébus (1331–91),43 einander in die Quere kommen, dann wird man schlussfolgern dürfen, dass der junge ordensträger anstatt mit den Weihen der höfischen Jagdkunst mit einem gerüttelten Maß Ironie bedacht wird. Nicht allein dass der Ritter trotz des Beiseins der Hunde für die Jagd nicht ausgerüstet ist,44 seine Begeisterung führt ihn auch an die falsche Stelle im prototypischen Bild der Hetzjagd auf den Hirsch, einem zentralen Themenkreis der höfischen Jagdkunst, denn das Wild aufzuspüren und die adeligen Jäger heranzuholen, wäre die Aufgabe der Gehilfen und des Leithundes der Meute. Die Sache wird dadurch nicht besser, dass eine Schar Hasen im Hintergrund aus dem umzäunten Jagdgelände heraus dem Acker zustrebt, während der ‚echte‘ Gehilfe seine utensilien zu Boden geworfen hat und sich seines Rocks entledigt.45 Der Ritter vom Kannenorden mag züge des jungen Maximilian I. tragen46 oder auch nicht – er

41 heinrichs: Kennzeichen, S. 121f. mit Anm. 51, Abb. 6 und 7.42 zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, S. 93 und KöniG: Hausbuchmeister, S. 182.43 zum durchwegs sehr hohen Informationsgehalt der spätmittelalterlichen Jagdtraktate und Jagdbücher

siehe rösener: Geschichte, S. 201–214. zum ‚Livre de la chasse‘ siehe Kat. ausst.: fébus, S. 18–20.44 Vgl. zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, S. 24.45 Man wird nicht so weit zu gehen brauchen, die tolle Hasenschar mit dem parodistischen Motiv des

‚Hasen als Jäger‘ in Verbindung zu bringen, denn sie giert offensichtlich nach der Ackerfrucht, nicht nach dem Jäger. Vgl. sciLLia: Hunter, S. 39f.

46 Vgl. LuDwiG: Bemerkungen, S. 129f.

217Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

stellt kein Porträt dar, sondern eine fiktive Person.47 Deren Taten nehmen nicht un-mittelbar an der praktischen Welterfahrung Maß, sondern sie entstellen die normati-ve funktion didaktischer illustrierter Literatur aus den Bereichen der Adelserziehung und der Herrscherrepräsentation durch gezielte umstellungen in den Bildbeständen zur Kenntlichkeit eines lediglich in der Vorstellungskraft existenten Ideals. In ihrer dialektischen Pointierung offenbaren die Bilder eine hoch reflektierte Position gegen-über der visuellen Kultur des höfischen Lebens. Sie setzen die Kenntnis des höfischen Norm- und Regelsystems voraus – zumindest verhandeln sie deren Ikonographie; der selbstgewissen Haltung eines „Ja, so ist es. Ja, so soll es sein“ entsprechen sie aber kei-nesfalls.48 Die Auffassung des Soziologen und Kulturhistorikers Norbert Elias, der die zeichnungen im mittelalterlichen Hausbuchs als Spiegel der Eigenwahrnehmung eines Ritters deutete, subjektiv eingefärbt und dabei unkritisch-affirmativ in Bezug auf die Privilegien des eigenen Standes,49 lässt sich durchweg widerlegen. Dem Standpunkt des Auftraggebers wird man am ehesten nahe kommen, wenn man das Tun des Narren

47 zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, S. 93 und KöniG: Hausbuchmeister, S. 182.48 Vgl. Bossert/storcK: Hausbuch, S. 34.49 eLias: Prozess, S. 377f.

Abb. 9: Meister der Genrebilder, Die Jagd (Hochwildjagd/Landausflug), ca. 1480–90, feder und Temperamalerei auf Pergament, Mittelalterliches Hausbuch, fol. 22v–23r. Privatbesitz.

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aufmerksam beobachtet. Dieser rückt nie dem Bauern oder dem Handwerker, sondern nur dem Adeligen und seinem Tross auf den Leib. Dabei taucht er nur ganz vereinzelt auf, als gälte es, im Überraschungsmanöver am Ventil des normativen Sittenbildes zu ziehen, so im bereits erwähnten Wagentross (Abb. 4) oder auch im ummauerten Garten des Gottes Sol, wo er dem musizierenden Paar den Marsch bläst (Abb. 7).

Die frage nach der zielscheibe des Humors brächte das mittelalterliche Hausbuch in die Nähe der Textgattung der Hofkritik, wenn nicht der intensiv fiktive und hybride Charakter der Bilder den Eindruck erwecken würde, dass der sicherlich nicht adelige Erstbenutzer und seine zeichner den Ritter nicht als Publikum ansprechen wollten, sondern ihn lediglich als Schachfigur in einem souverän und wie mit leichter Hand geführten Spiel der Selbstidentifikation nötig hatten. Wohin der horazische Hase aut prodesse volunt aut delectare poetae/aut simul et iucunda et idonea dicere vitae („Ent-weder nützen oder erfreuen wollen die Dichter oder zugleich, was erfreut und was nützlich fürs Leben ist, sagen.“)50 rennt, nämlich auf den Acker eines augenscheinlich schlecht gesicherten Landes, deutet sich im Bild des nutzlos begeisterten Jägers bereits an (Abb. 9). um die Moral der Geschichte besser zu verstehen, ist bei der Einordnung und Deutung an einer weiteren funktion der Genremalerei Maß zu nehmen:

3. Das Genre dient der Entfaltung allegorischer Sinnschichten in der Malerei

Die Auffassung vom Genrebild als Allegorie steht bei Teilen der forschung seit län-gerem in der Kritik.51 Diese Tendenz folgt der zunehmenden Skepsis gegenüber einer Bedeutungsforschung, die Bilder nach ikonographischen Typen ordnet und ihre Belege wesentlich aus dem Vergleich mit Texten bezieht. Dieses Verfahren ist sicherlich zu Recht als zu eng anzusehen, wenn die mediale Differenz missachtet und an der visu-ell erfahrbaren Eigenart des Bildwerks vorbei argumentiert wird. Das mittelalterliche Hausbuch bietet ein ausgezeichnetes Beispiel für die Souveränität, ja sogar Überlegen-heit, mit der sich im Bild und aus den formalästhetischen Charakteristika des Bildes he-raus moralisierende allegorische Aussagen entwickeln lassen. Mit unmissverständlicher Deutlichkeit zeigt sich dies im zyklus der sieben Planeten als dem einzigen Abschnitt der Handschrift, wo eine Einheit aus Text und Bild konstruiert wird. Der Text besetzt hier jeweils die Verso-Seite mit einer leicht lesbaren, großzügig formatierten Schrift. Von einem metrisch gebundenen Stück Literatur – denn darum handelt es sich bei den knappen Erläuterungen der Neigungen der ‚Planetenkinder‘ auf Grund der in Leib und Seele wirkenden Elemente und deren Qualitäten (feucht-kalt, feucht-warm etc.)52 – ist dies nicht anders zu erwarten. Als durchaus eigenwillig darf aber gelten, mit wel-cher Vehemenz die Malerei in die Textgestalt eingreift. Die Gesten der figuren spiegeln und dynamisieren die Links-Rechts-Bewegung des Buchbenutzers derart, dass vom buchstabengenauen Lesen abgelenkt wird. Die Textseite wird zu einem Vorspiel oder Auftakt der Bildseite und dies umso mehr, als die zierinitiale der Verso-Seite die zeilen

50 Ars Poetica, 333–334, siehe horatius FLaccus: Ars, S. 24f.51 Werken der frühneuzeitlichen Genremalerei eine allegorische Sinnebene beizulegen, entspricht einer

langen, erfolgreichen forschungstradition. Aus der fülle möglicher Beispiele seien hier nur einige we-nige Titel herausgegriffen: De toLnay: Atelier; De jonGh: Pearls; Bruyn: Doctrina, S. 33–54.

52 Vgl. KLiBansKy: Saturn, S. 204–207, 303–305.

219Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

Abb. 10: Meister des Amsterdamer Kabinetts, Pfau und Steinwerfer, ca. 1480–90, feder und Temperamalerei auf Pergament, Mittelalterliches Hausbuch, fol. 14r. Privatbesitz.

gleichsam auf die Recto-Seite zuschiebt, und die Marginalfiguren ihren Slapstick in diagonaler Richtung quer über die zeilen hinweg entfalten (Abb. 10), wie um den Blick des Lesers in den freien optischen Raum der illusionistischen Landschaftsdarstellung hinein zu lenken.

In der Tat sind die ortsbeschreibungen weder als Stilmittel zur Steigerung der illu-sionistischen Überzeugungskraft der Bilder noch als attributive Ergänzung der figu-ren ausreichend begründet. Sie sind metaphorisch konnotiert im Sinne der Vorstellung

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vom urbar gemachten und bebauten Land als Siegelabdruck und Resonanzboden der Herrschaft.53 Den Idealtypus der ‚guten Herrschaft‘ ironisieren sie freilich, indem sie die Grenzen zur ‚schlechten‘ durchlässig machen. Im Vergleich mit den beiden Haupt-bestandteilen des mittelalterlichen Prototypus gemäß der Illustration der guten und der schlechten irdischen Herrschaft in Augustinus’ ‚De civitate Dei‘‚54 entpuppen sich die agrarischen, kriegerischen und juridischen Motive als umwidmungen des ein-eindeutig normativen ikonographischen Codes in eine metaphorische Konstruktion von paradoxer Mehrdeutigkeit. Wie der fleißig pflügende oder grabende Bauer, in der Augustinus-Ikonographie Spiegel der guten Herrschaft, unter dem problematischen Vorzeichen der saturnischen Melancholie erscheint, so ist der gut vorbereitete Acker im Bild mit der Jagd den gierigen Hasen und im Wagenburgbild den müßigen Soldaten ausgeliefert (Abb. 9). Anregungen für diese Bildidee im prominentesten Beispiel der Kunstgeschichte, in Ambrogio Lorenzettis fresko zu den ‚Auswirkungen einer Guten Regierung‘ im Palazzo Pubblico in Siena (1337–40), zu suchen erübrigt sich. zu Recht wurde in der forschung auf das Bestehen einer eigenständigen Bildtradition zu diesem Sujet im Raum nördlich der Alpen hingewiesen.55

Einen Schlüssel zu diesen Quellen liefert das Bild zu den Kindern der Sonne (Abb. 7), wo die Wiese im Hintergrund ein Schauplatz athletischer Betätigung ist – auf den ersten Blick ähnlich den agonalen Spielen im vermeintlichen ‚Gauklerbild‘. Bei genauerem Hinsehen zeigt es sich, dass die jugendlichen Kontrahenten nicht vor zuschauern auftreten, sondern dass sie Übende sind, die unter der Aufsicht von zwei Lehrmeistern stehen. Wiederum erhellen ein antiker Text und dessen Überlieferung in französischer Übersetzung und im illustrierten Buch den ideen- und typengeschicht-lichen Hintergrund der Bildfindung. Das Tun der acht figuren erweist sich als um-setzung des Begriffs der Gymnastik gemäß der Erörterung der Erziehung in Aris-toteles’ ‚Politik‘. freilich wird dieser zusammenhang nicht durch die peripatetische Schrift an sich, sondern durch zwei illustrierte Handschriften, die außer der ‚Politik‘ auch die pseudo-aristotelische Schrift über Ökonomie enthalten, belegt. Die Hand-schriften entstanden etwa 1376 als repräsentative Luxusausgaben der durch Nicolas oresme, Theologe, Domherr in Rouen und königlicher Sekretär, im Auftrag Karls V. von frankreich (reg. 1364–80) erstellten Übertragung aus der lateinischen Version ins französische. Die Abschrift leistete der königliche Schreiber Raoulet d’orléans, die Il-lustrationen, bestehend aus insgesamt zehn Sammelbildern, je eines am Beginn der acht ‚Bücher‘ oder Abschnitte des ‚Livre de Politiques‘ und am Anfang der zwei Bücher der ‚Yconomique‘, schufen der Meister des Jean de Sy (Handschrift B nach Richter

53 MüLLer: Landschaft, S. 211, 217, 219–225. In Anbetracht des topischen Charakters des Bildhintergrun-des oder Szenarios scheint man Eberhard Königs Ansatz, die Entwicklung eines weiten, einheitlich wirkenden Landschaftsraums als Maßstab der Bewertung der künstlerischen Herkunft, zeitstellung und ästhetischen Qualität der verschiedenen ‚Hände‘ zu bewerten, relativieren zu müssen. Durch die Vertiefung des Stoffes wird das Problem der Händescheidung, ein „Spiel mit vielen unbekannten“, nur umso komplizierter. Vgl. KöniG: Hausbuchmeister, S. 172–180.

54 richter sherMan: Aristotle, S. 196–198 mit Abb. 52–54. Auf die Einbettung dieser Bildvorstellung in die französisch-höfische Kultur deutet auch das Vorkommen der Typik des Burg- oder Hofszenarios und der chiffrierten ‚Landschaft‘ in profanen Elfenbeinarbeiten des 14. Jahrhunderts hin. Vgl. hoveLL joLLy: Crosscurrents, S. 161–167.

55 richter sherMan: Aristotle, S. 249f.

221Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

Sherman, in französischem Privatbesitz) respektive der Meister der Krönung Karls VI. (Handschrift D: Brüssel, Bibliothèque Royale Albert Ier, Ms. 11201–02). Die beiden Anonymen sind mehrfach im Dienst des Königs nachweisbare Vertreter der Pariser Buchmalerei der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Richter Sherman folgend stellt die Brüsseler Handschrift eine geringfügig jüngere, stärker ausdifferenzierte Redaktion der ursprünglichen Illustration dar.56 Im illustrierten Aristoteles (Abb. 11) verlagern sich die Akzente der Bewertung gegenüber dem Ausgangstext, denn dieser verhält sich gegenüber dem Training der Jugend zur Kriegsführung kritisch, verweist in diesem zusammenhang auf den banausischen, dem freigeborenen unwürdigen Charakter eines jeglichen Handwerks und erwähnt nur ganz im Allgemeinen die Nützlichkeit der Gymnastik für den Erwerb von Tapferkeit.57 Dem gegenüber leistet die illustrierte

56 richter sherMan: Aristotle, Appendix III, S. 317f. (Handschrift in französischem Privatbesitz), Ap-pendix IV, S. 321–323 (Ms. 11201–02 der Bibliothèque royale Albert Ier in Brüssel). zur älteren Litera-tur siehe dort.

57 aristoteLes: Politik, 8. Buch, 1337a–1338a, S. 322f.

Abb. 11: Meister des Krönungsbuchs,

Excercitations corporeles, 1376, Temperamalerei auf Pergament,

10,6 x 9,6 cm, aus Aristoteles’ ‚Les politiques‘ und (Pseudo-)

Aristoteles’ ‚Yconomiques‘, übers. aus dem Lateinischen v. Nicolas

oresme. Brüssel, Bibl. Royale Albert Ier, Ms. 11201–02, fol. 341.

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Übersetzung offenkundig eine Adaption, die sich an der zeitgenössischen ritterlichen Erziehung orientierte und die zugleich der auf permanente Wehrbereitschaft ausge-richteten Situation des französischen Adels während des Hundertjährigen Krieges ent-sprach.

Die Analogien sind deutlich genug, um der ikonographischen Deutung als Argu-ment zu dienen, auch wenn die um rund einhundert Jahre jüngere zeichnung im Haus-buch nicht nur dem zeitstil angepasst ist, sondern sich auch einer freieren, mehr dra-matischen Ausdrucksweise bedient. In der Tat sind die figuren und ihre Bewegungen so souverän und kenntnisreich geschildert, als hätte der zeichner eigene Erfahrungen auf dem Wettkampfplatz eingebracht. Nicht nur versteht er es, die Athleten plausi-bel in den Raum zu stellen, er erfasst jeweils auch ein Spannungsmoment, bei dem die Bewegungsabläufe, die Entscheidungen und die Wendepunkte des Wettkampfs be-greiflich werden. Die Schädlichkeit einer zu harten und strengen Disziplinierung der Jugend spiegelt sich hier nicht in der schematischen ordnung eines diagrammatischen Rasters, sondern wird durch einen kritischen Blick auf die Autoritäten herausgekehrt. So scheint der Lehrmeister, der die Szene von der Seite her mit verschränkten Armen beobachtet, die Anstrengungen der Jünglinge zu konterkarieren. Mit auffälliger Beiläu-figkeit direkt unterhalb des Löwenzeichens gestellt, mag diese figur auf die Neigung der Kinder der Sonne zu ungerechtigkeit, zorn und Tyrannei verweisen. Der Leser der französischen ‚Politiques‘ weiß schließlich genau, dass Übungen an den Waffen dem rohen Ringkampf vorzuziehen sind und mag daher auch wohl finden, dass der stutzer-hafte fechtmeister, der den Steinwerfern die zielmarke weist, die Übenden besser an die zu Boden geworfenen Schwerter zurückschickte. Der Betrachter tut also gut daran, seinen Aristoteles im Gedächtnis zu behalten und sorgfältig zu unterscheiden. Mö-gen die Ringer, die gekonnt zum Wurf ansetzen, auch auf dem Weg zur Meisterschaft sein, so gehören auch sie doch zu den opfern einer allzu strengen, das Banausentum fördernden Erziehung. Dagegen werden die fechter, die als einzige dem Konzept von Aristoteles/oresme der bonne discipline pour les armes entsprechen, in ihrem Tun zu-sätzlich durch die Nachbarschaft der Sonne als freundlichem Lichtgestirn und eines in weiter ferne am Horizont aufragenden Kirchturms bestätigt.

Auch das dritte Thema im Eingangsbild zum 8. Buch in ‚Les Politiques‘, die musi-kalische Erziehung, wird im Bild der Kinder der Sonne aufgerufen und im Spiegel eines zwiespältigen Szenarios reflektiert.58 Der Narr gibt den Ton an, der von jenseits der Gartenmauer her die Übung am Psalterium stört. freilich ist die Dialektik des Exem-plarischen hier schon durch die gemischtgeschlechtliche Besetzung der Übungsstunde aufgebrochen. Mag offene obszönität den jungen Leuten in dem umfriedeten Bereich auch wohl fern liegen – dass drei Blechbläser zugleich auftreten, während die milde Laute schweigt, reizt nicht nur das musikalische Gedächtnis des Betrachters, sondern scheint auch als vielsagende Entlehnung an das Mahl des verführten und betrogenen

58 Die Verse rufen die einzelnen Motive auf, während der problematische Charakter der Eigenschaften der Kinder der Sonne nur angedeutet wird. Die negativen Aspekte der Musik entfallen: so wird das Seitenspiel vnd singen von mund erwähnt und die harte Gymnastik nur im Allgemeinen als Müßiggang wie folgt kritisiert: Vor mitten tag dienent sie got vil./Darnach leben sie, wie man will./Steinstossen, schirmen [= fechten], ringenn,/In gewalt sie gluckes vill gewynnen. zu waLDBurG woLFeGG: Haus-buch, Kommentar-Bd., S. 21.

223Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

Königs als opfer einer Verschwörung wirksam zu sein (Abb. 12). Der zeichner des Planetenbildes legt den finger zugleich treffsicher auf Aristoteles’ unterscheidung der Musik als ideale Beschäftigung in zeiten der Muße im Gegensatz zur banausischen Tä-tigkeit des Instrumentalvirtuosen, der zur Belustigung der Herrschaft aufspielt.59

So vermag der Blick auf die bebilderte Schrift ‚Les politiques‘ darüber aufzuklären, dass die Bildkonstruktionen des Mittelalterlichen Hausbuchs auf impliziten Rahmen-wechseln beruhen, die der instruierte Betrachter als Risse und falltüren in den in ihrer Lebhaftigkeit und Luftigkeit zunächst vorwiegend heiter wirkenden Szenarien wahr-zunehmen vermag. Ist die musikalische Jugend in den französischen Handschriften in ein Kirchengebäude hineingestellt – es ging darum, den hohen Wert der Musik für die festigung der Tugend auf die Verhältnisse im Reich Karls V. zu übertragen, der sich selbst als roi sage und roi très chrétien adressieren ließ – so sind diese beiden Dinge im mittelalterlichen Hausbuch dissoziiert. obwohl durch einen Mauerring verbunden, nehmen die Musikalischen und die frommen nicht Notiz voneinander (Abb. 7).

Die Spurensuche im Bildbestand des mittelalterlichen Hausbuchs fortgesetzt, zeigt sich klar, wie an den Lehren der ‚Politiques‘ und an deren Illustration aus dem späten 14. Jahrhundert Maß genommen wurde, um den Stoff mit einer fülle von Negativ-Exempeln anzureichern und dabei ins unterhaltsame zu wenden. So lassen sich die zahlreichen Darstellungen von Spielern bis hin zu den Soldaten im großen feldlager, die man beim Kartenspiel, beim Glückspiel und beim Raufen sieht, sich auf Aristoteles’ Kritik am Spiel beziehen, die radikal ausfällt und nur bei der Musik eine Ausnahme macht, sofern diese selbstgenügsam zur Erhebung der Seele und nicht als Broterwerb und zur Belustigung eines Publikums eingesetzt wird. Die problematische Variante

59 aristoteLes: Politik, 8. Buch, § 5, 1338b–1340b, S. 326–331.

Abb. 12: Meister des Krönungsbuchs, Conspiration occulte; Démagogue préchant contre le prince; Sédition apperte, 1376, Temperamalerei auf Pergament, 10,6 x 9,6 cm, aus Aristoteles‘

‚Les politiques‘ und (Pseudo-)Aristoteles’ ‚Yconomiques‘, übers. aus dem Lateinischen v. Nicolas oresme. Brüssel, Bibl. Royale Albert Ier, Ms. 11201–02, fol. 181.

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Abb. 13: Meister des Amsterdamer Kabinetts, Venus und ihre Kinder, ca. 1480–90, feder auf Pergament. Mittelalterliches Hausbuch, fol. 15r. Privatbesitz.

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der Musik ist es nun aber gerade, die im mittelalterlichen Hausbuch überwiegt. Als Mittel der Verführung wird sie gründlich diskreditiert, so bei den Kindern der Venus (Abb. 13) und in der Badehausszene.60 Im Licht dieses Vergleichs erweist sich auch die Wahl der Vorlagen im Stichwerk des Meisters E.S. durch den Maler, der das Bild mit den agonalen Spielen schuf, als kongenial im Sinne einer Hinführung zur Kritik an der exercitatio corporalis. zweifelsohne fußt das bislang nur unter der Bezeichnung „Menschenfarbe“ geführte Motiv der „fechter, Gaukler und Soldaten“ in der folge des „Größeren Kartenspiels“61 ebenfalls auf der Ikonographie der ‚Politiques‘ gemäß Nicolas oresme. Während das Blatt auf der Hand des Spielers die wissenschaftlichen Weihen der Kritik am Spiel in Erinnerung ruft, ironisiert es die Moral dieser Den-kungsweise zugleich durch die schiere faktizität seines Daseins und seiner Rolle im wechselhaften Spielglück. Die Darstellung des vom Bauern bestellten Landes in der Tradition der Gottesstaat-Handschriften findet schließlich Raum im Abschnitt über die „gute Demokratie“.62

Hinweise auf die üblicherweise mit der ‚Politica‘ gemeinsam tradierte pseudo-aris-totelische Schrift ‚oeconomica‘ lassen sich ebenfalls ausmachen, wobei im vorliegen-den zusammenhang auch an Konrad von Megenbergs deutschsprachige ‚Yconomica‘ als mögliche Referenz zu denken ist, insofern diese eine differenzierte Adaption des antiken Gedankenguts nach den Maßstäben der höfischen Kultur und der spätmit-telalterlichen fürstenspiegel-Tradition darstellte. Wenn die Niederwildjagd mit dem Vorhof und den Stallungen einer Burg kombiniert wird, bringt dies die Vertreter der servi delectabiles gemäß Megenbergs Einteilung der Hoffamilie, also die Knechte und Mägde des fürstenhofs, ins Bild. Die Hochwildjagd als ritterliches fach verhilft nicht nur dem jungen Adel zum Auftritt, sondern rückt zugleich das Terrain der servi utiles (Hofmeister, förster) in den Blickpunkt. Die Parallelsetzung der Jagd und der Burg bringt wiederum ein Motiv der höfischen Literatur ins Spiel,63 nur um dessen ironische Brechung zu inszenieren. für eine fortsetzung des chaotischen Jagdausflugs, die den parodistischen Ton hält, wird der faden im den Bereich der Kriegsrüstung weiter ge-sponnen, wobei ein weiteres Motiv der höfischen Literatur angedeutet und gewendet wird, nämlich die Eroberung der Burg Jalousie (Eifersucht) gemäß dem allegorischen Epos ‚Roman de la Rose‘, von Guillaume de Lorris und Jean de Meung.64 Der Anlass des Bildkatalogs für die armatura et ars militari und die Logik der Vermischung der Höhen des Stils und der Höhen der sozialen Rangordnung bewirken, dass in der Burg des Meisters der Genrebilder eine Magd im fenster erscheint, wo im Roman entweder die Dame Bel Acueil, die ‚Rose‘ oder die von Pygmalion geschaffene Statue einer jun-

60 zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, S. 79.61 höFLer: Meister E.S., Text-Bd., S. 114, Tafel-Bd., S. 20 und Taf. 241–247.62 Vgl. richter sherMan: Aristotle, Taf. 11 und Abb. 70–71.63 zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, S. 85.64 Im illustrierten ‚Roman de la Rose‘ gibt es mehrfach Anlass zur Darstellung einer befestigten Burg mit

der Liebenden darin. Auch Stilisierung als Turm ohne Tür oder Tor, die den modernen Leser an das Märchen von Rapunzel erinnert, findet sich hier, so in der Darstellung des Liebenden im Garten der Burg. ohne einen direkten zusammenhang mit dem Hausbuch postulieren zu wollen, sei auf das um 1405 in Paris entstandene, besonders reich mit qualitätvollen Miniaturen geschmückte Exemplar der Sammlung Ludwig hingewiesen. Los Angeles, J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig XV 7, fol. 93v, siehe von euw/PLotzeK: Handschriften, Bd. 4, S. 228–239, Abb. 170.

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gen frau das objekt der Liebe darstellt. Im mittelalterlichen Hausbuch sieht man drei junge Männer, von denen einer so wenig ein Ritter ist wie der andere, um die Gunst der Schönen und zugleich um den Preis für die beste Kletter- oder Hebevorrichtung konkurrieren.65

Mit diesen Hinweisen ist freilich weder das Spektrum der Allegorese im mittelalter-lichen Hausbuch ausgelotet noch wird die Verwendung des Motivs der agonalen Spie-le als Eingangsbild hinreichend verständlich. um beide Aspekte lässt sich schließlich der Knoten schürzen, wenn der zyklische Charakter des mittelalterlichen Hausbuchs genauer untersucht und mit der Ikonographie enzyklopädischer Wissenssysteme abge-glichen wird. Die artes mechanicae bilden den eigentlichen Themenschwerpunkt, nicht nur im Hinblick auf die Ausrüstung und Kriegskunst (armatura et ars militari), die im erhaltenen Textbestand einen Schwerpunkt bilden. Der an den Anfang des Kom-pendiums gesetzte Mnemonik-Traktat hätte sich der Theorie nach als Bestandteil der Rhetorik und damit als Schlaglicht auf die artes liberales ausweisen lassen. Diese Lese-weise hintertreibt der Text aber, indem er die Arbeit des Memorierens ausdrücklich als eine form von Mimesis definiert und anschaulich die Bildung von mentalen figuren mit grotesken zügen empfiehlt. So wird das ‚künstliche Gedächtnis‘ zu einer Tätig-keit, die der Ausübung der produktiven Künste affin ist und sich diesen sogar dienend unterordnet.66 Auch die medizinischen Passagen gehören den artes mechanicae an, da sie dem praktischen Teil der ärztlichen Tätigkeit gewidmet sind, wobei die Alchemie, vertreten u.a. durch farbenrezepte, ihr flankierend beigestellt ist.67

Während die Textgestalt des mittelalterlichen Hausbuchs nicht den Kanon der sys-tematischen Lehrbuchliteratur reproduziert, sondern eine singuläre, wohl auch ganz unmittelbar aus dem praktischen Gebrauch schöpfende Schriftensammlung darstellt, verweist das Bildrepertoire sehr weitgehend auf Standards der enzyklopädischen Li-teratur und der Ikonographie der artes mechanicae. Dieser zusammenhang erschließt sich nicht auf Anhieb, weil die einzelnen Tätigkeitsbereiche nicht systematisch sepa-riert oder in übersichtliche formate gefasst, sondern in ihre Bestandteile aufgefächert und auf mehrere Bilder oder Bildgruppen verteilt werden. So wird die Kunst der Jagd nicht nur in den schon erwähnten Doppelseiten mit verschiedenen Sparten der Nieder- und Hochwildjagd repräsentiert, sondern auch bereits durch die fischer und die Vogel-

65 Im ‚Roman de la Rose‘ beteiligt sich schließlich Venus persönlich am Kampf gegen Honte, Paour und Dangier, so dass diese Assoziation sich auch mit der martialischen Erscheinung der Venus im Plane-tenzyklus decken würde. freilich fällt die Wahl der Waffen unterschiedlich aus, im mittelalterlichen Hausbuch ist es eine Lanze, deren Spitze nach hinten weist, im ‚Roman de la Rose‘ sind es Pfeil und Bogen wie sie auch Amor mit sich führen könnte. J. Paul Getty Museum, Los Angeles, Ms. Ludwig XV 7, fol. 129v, siehe von euw/PLotzeK: Handschriften, Bd. 4, S. 233.

66 hess: Meister, S. 136; zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, S. 14–16. Vom veristisch verstandenen Prin-zip des Abbildlichen wie er in der kunsthistorischen Charakteristik des Stils der Malerei des 15. Jahr-hunderts mitschwingt ist der hier fassbare Mimesis-Diskurs abzusetzen. Vgl. FLasch: Ars, S. 265–275. Vielmehr entfaltet sich das Prinzip der Naturnachahmung als Bedingung und Merkmal der artes in einem vielschichtigen Vorstellungskomplex beruhend auf „einer sinnlich gegebenen ähnlichkeit, auf einer unsinnlichen Korrespondenz oder auf einer intentionalen Konstruktion einer Entsprechung“. GeBauer/wuLFF: Mimesis, S. 9.

67 huGo von sanKt victor: Eruditionis I, Sp. 762. Die ausführliche Behandlung der ars medicinae wie Vinzenz von Beauvais sie im ‚Speculum quadruplex‘ durchführte, unterschied zwischen der manuell bestimmten Praxis des Arztes und der Theorie der Medizin. vincentius BeLLovacensis: Speculum, lib. XII–XIII, Sp. 1073–1167.

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fänger unter den Kindern der Luna (Abb. 8) angekündigt. Nach diesem Schema lassen sich das Bild zum Kriegsgott Mars, die Heerzugsbilder und der zyklus der Gerätschaf-ten als Summe der ars armatoria et ars militari verstehen. Weitere Argumente für diese These bietet der erst vor einigen Jahren wiederentdeckte artes-zyklus in einer folge von Wandgemälden, die in der spätmittelalterlichen Klausur des Prämonstratenserstifts in Brandenburg an der Havel zu finden sind.68 Im Spiegel einer detailreichen Ekphrasis der „edlen Gemälde zu den sieben freien und mechanischen Künsten, zu Theologie und Medizin mit sehr schönen Sätzen der Philosophen“, die „in der Bibliothek in Branden-burg in der Mark“ zu finden seien, überliefert in einer etwa gegen 1460 entstandenen Schrift von der Hand Hartmann Schedels, ist dieses Werk der Geschichtsschreibung seit langem bekannt.69 Da bis zur Wiederentdeckung und freilegung der Malereien im Nordflügel des oberen Kreuzgangs im Domstift im Jahr 2005 jedoch nicht als sicher galt, ob das im Text evozierte Monument je real existiert hat oder wo es sich befand, hat sich die forschung bislang nur wenig mit diesem Komplex befasst. Dabei eröffnet sich der Kunstgeschichte an diesem Monument schlagartig ein neues Terrain, indem die Verbindung der artes mechanicae mit der Darstellung von Kulturräumen und bei-spielhaften narrativen Szenen deutlich wird; denselben Darstellungsmitteln also, mit denen das Wandgemälde im Palazzo Pubblico in Siena ebenso wie zahlreiche Beispiele der westeuropäischen Buchmalerei den Bildtypus der politisch und moraltheologisch beleuchteten Herrschaft ausstatten und die sich im mittelalterlichen Hausbuch wieder-finden. Schriftquellen zu den Entstehungsumständen der Wandmalereien sind nicht er-halten. Mit einiger Vorsicht dürfen sie in die Regierungszeit Bischof Stephan Bodekers (1421–59) datiert werden.70 Als hoch gelehrter Jurist und erfolgreicher Administrator vom Dompropst in das Bischofsamt aufgestiegen, der energisch eine Politik der Dis-ziplinierung der geistlichen Institutionen seiner Diözese und den Ausgleich mit dem Markgrafen betrieb,71 kommt Bodeker auch als Konzeptor und Auftraggeber dieses anspruchsvollen Ensembles in Betracht.

So zeigt sich im Spiegel dieses Vergleichs, dass nicht nur die Arbeit des Bauern, sondern auch die Lustbarkeiten im Garten unter dem Titel der agricultura zusammen-gefasst werden konnten. Schedels Ekphrasis stellt letztere im entsprechenden Paragra-phen sogar obenan. „Ein sehr schöner obstgarten, umgeben von einer Mauer mit einer Tür, in ihm stehen die Bäume auf der einen Seite dicht, unter denen sich ein Mann und eine frau eng umschlungen verborgen halten.“

Im zweiten Abschnitt werden Charakteristika des spätmittelalterlichen ziergarten-bildes um das vornehm gekleidete musizierende Paar am Rand des zur Kühlung von

68 GruPP: Wandgemälde; eichhoLz: Kunstdenkmäler, S. 348; Knüvener: Kunst; Knüvener: Skulptur, S. 139; MaLter: Malereien; MaLter/von schnurBein: Malereien; wetter: Picture; PicK: Wandmale-reizyklus. Eine ausführliche Einordnung und Deutung in stilgeschichtlicher, rezeptionsästhetischer und ikonographischer Perspektive stellt die in Arbeit befindliche Dissertation zum Thema ‚Der Wand-malereizyklus der Artes liberales et mechanicae in der Brandenburger Domklausur. Eine spätmittel-alterliche ordnung des Wissens in Text und Bild‘ (Arbeitstitel) von Katharina Pick, M.A., universität Paderborn, in Aussicht.

69 schuLtz: Wandmalereien; von schLosser: Beiträge; von schLosser: Quellenbuch; richter: Bildungs-ideal.

70 MaLter/von schnurBein: Malereien, S. 115–118.71 wiGGer: Bodeker, S. 1f., 19–25, 39–80.

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Getränken gebrauchten Brunnens herum arrangiert, wie sie auch die zeichnungen im mittelalterlichen Hausbuch mehrfach variieren und entfalten. Erst im Anschluss kom-men die felder und die Tätigkeiten des Pflügens, Säens und Erntens zur Sprache.72 Hinsichtlich der Benennung von vier Bereichen (Baum- und obstgarten, ziergarten, Ackerbau, Heuernte) entspricht Schedel dem Studienhandbuch Hugo von Sankt Vic-tors (um 1097–1141) Eruditio didascalica, ein Grundlagentext der Wissenssystematik insofern, als hier erstmalig die artes mechanicae in Analogie zu den artes liberales als Gruppe von sieben Tätigkeitsbereichen aufgeschlüsselt wurden.73 Hinsichtlich der Abfolge und Gewichtung der Bestandteile von agricultura geht Schedel jedoch nicht konform mit dieser Schrift, sondern scheint viel mehr der Komposition des Gemäldes zu entsprechen, die den höfischen Garten mit dem Liebespaar in den Bildvordergrund setzt, die äcker und Wiesen dagegen von einer größeren Distanz aus sieht.

zu weiteren Aufschlüssen verhilft der Blick auf die Brandenburger theatrica. Eine Vielzahl von Motivkreisen wird hier verknüpft, die sich auch im mittelalterlichen Hausbuch finden, ohne dass sie bislang als zusammenhängendes Thema identifiziert werden konnten. Erste Ergebnisse der in zukunft noch fortzusetzenden Dokumenta-tion der Ausmalung des oberen Kreuzgangs im Domstift in Brandenburg durch das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege geben einen visuellen Anhalt für die Rekonstruktion des Gesamtaufbaus und manche ikonographischen Details des Gemäl-des der theatrica (Abb. 14). Wiederum vermag Schedels Text eine Vorstellung von den Motiven im Gemälde zu geben:

Hier springen sie mit Stangen. Einer stellt einen Kegel auf. Dort werden Steine gesto-ßen. Da findet Speerweitwurf statt. Pfeifer und Trompeter stehen auf einer erhöhten Bühne und spielen. Hier ein sehr schöner Tanz: der erste trägt zwei brennende Leuch-ter herbei […] schön genug mit Jungfrauen und frauen geschmückt. Hier finden Tur-nierspiele statt; einige werden nieder geworfen, andere siegen.74

um Missverständnisse zu vermeiden: An einen ursächlichen zusammenhang ist schon wegen der räumlichen Distanz und der stilistischen unterschiede nicht zu denken. Der Vergleich zwischen den Wandmalereien in Brandenburg und dem mittelalterli-

72 Pictura. Agricultura. Item pomerium pulcerrimum, circumvallatum muro, habens portam. In quo po-merio sunt arbores in parte vna dense, sub quibus latiat vir et mulier se simul amplexantes. Item in alia parte gramina virida cum floribus et rosis et ibidem scampnum et graminibus, super quo sedeat vir can-tans in lutina cum crinali de rosis in capite in latere dextro; in alio latere sedet mulier cantans in cithara, bene ornateque vestita, in capite habens crinale pulcerrimum ex pennis pauonis consertum. Coram ipsis est vas aut fons cum aqua, in quo vasculi positi sunt cum potu et ex ea exeunt meatus irrigantes ortum et sunt circumcirca rami de rosis pulcris albis et rubeis. Item extra ortum est campus. […]. München, Bayerische Staatsbibliothek, cod. lat. 650. wirth: Quellenschrift, S. 59.

73 De agricultura. Agricultura quatuor species habet; arvum agrum qui satis dationis deputatur, et consi-tum qui fruticibus et arboribus, ut sunt vineta, pomaria, silvae; pascuum ut prata, tempe, tesqua, saltus; floridum, ut horti sunt, et rosaria. huGo von sanKt victor: Eruditionis, lib. II, c. XXV. Ed. Migne, Sp. 761. zur mittelalterlichen Überlieferung, belegt in 25 Volltext-Handschriften, siehe Goy: Überlie-ferung, S. 14–35.

74 Pictura. Teatrica. Hic saltant cum falanga. Vnus ponit metam. Hic prociunt lapidem. Hic falangam in longum eiciunt. Hic fistulatores et buccinatores, in loco alto stant fistulantes. Hic pulcerrima corea; pri-mus affert in manu duo candelabra accensa […] pulcrum satis cum virginibus et mulieribus exornatum. Hic fiunt hastiludia; certi prosternuntur, alii vincunt. München, Bayerische Staatsbibiothek, cod. lat. 650, fol. 283 r. zitiert nach: wirth: Quellenschrift, S. 60.

229Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

Abb. 14: unbekannter Brandenburgischer Maler, Theatrica, vor 1460, Wandmalerei, Brandenburg a.d. Havel, Domstift, oberer Kreuzgang, Nordwand,

1. Abschnitt von Westen. Birgit Malter: Arbeitsskizze auf Grund der Befundaufnahme an den originalfragmenten der Wandmalerei.

chen Hausbuch ist aber nicht nur deshalb willkommen, weil er die Ikonographie des in der Kunstgeschichte insgesamt noch zu wenig erforschten Themas der artes mecha-nicae75 bereichert, sondern weil sich hier unterschiedliche Motive und Positionen kon-trastiv reflektieren lassen. Das monumentale Wandgemälde, mit ebenso informativen wie dekorativen Inschriften ausgestattet, entsprach dem Standpunkt eines Auftragge-bers mit Herrschaftsverantwortung und dem Anspruch, der weltlichen Herrschaft als übergeordnete moralische Instanz und Autorität in der Verwaltung eines universalen Wissensbestands gegenüberzutreten. Schedel zufolge waren in Brandenburg auch die artes liberales dargestellt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind die an der Südwand in einigen fragmenten erhaltenen figuren von Gelehrten dem Abschnitt zuzuordnen. Eine solche Anordnung wäre systematisch gedacht und entspricht dem Schema der Analogie der freien und der technischen Künste bei Hugo von St. Victor. Hinsichtlich der Gewichtung der attraktiven, hoftauglichen Seiten der artes mechanicae geht die Malerei aber über das Lehrbuch hinaus, das den Aspekt des Genusses lediglich in ei-nem knappen Satz erwähnt.76 Leicht durchschaubar ist die Intention, das vorwiegend adelige Domkapitel und den weltlichen Besucher des Stifts zu adressieren und auf die Rolle des zu Belehrenden festzulegen.

Das mittelalterliche Hausbuch formuliert dagegen aus einer subalternen und zu-gleich kritischen Position heraus. Nicht zufällig ist der unterschied im Bereich der theatrica besonders signifikant. Die unterwanderung des ritterlichen Stechens durch den Narren im mittelalterlichen Hausbuch trifft die symbolische ordnung des Hofes

75 Vgl. von euw: Artes; evans: Women; KraFFt: Artes; van MarLe: Iconographie; oPitz: Weltbild, S. 39f.; seiBert: Künste.

76 Vgl. acherMann: Prinzip, S. 179f.

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an einer besonders empfindlichen Stelle, dienten doch gerade die Wettkampfspiele in einem hohen Maße dazu „höfisches Kommunizieren und Interagieren in einer sichtbar stabilen form“ zur Darstellung zu bringen.77 Während das Brandenburger Bildpro-gramm die problematischen Seiten der theatrica ausklammert,78 scheint der Bildzyklus im mittelalterlichen Hausbuch die Negativbilanz der theatrica herauskehren zu wol-len. Einen Ansatzpunkt für dieses Vorgehen mochte die sehr ausführliche, eine Viel-zahl von Autoritäten kompilierende Darstellung im Speculum morale des Vinzenz von Beauvais (1184/94–um 1264) geboten haben.79 Diese befasst sich vorwiegend mit der Vergangenheit der spectacula in ägypten, Griechenland und Rom, ihren Schauplätzen in den Amphitheatern, Gymnasien und im Circus. Erläutert werden der Begriff der agones bei den Griechen und die kultische funktion der Spiele in der paganen zeit. Dem gotteslästerlichen Tun der Spieler im Wagenburgbild (Abb. 2) und im Bild der Kinder der Luna entspricht bei Vinzenz von Beauvais ein Kapitel über Würfelspie-ler und Trickbetrüger.80 Wenn man der oben angezeigten Deutung des ersten figuren-bildes im mittelalterlichen Hausbuch als agones Alexanders des Großen während der Perserkriege folgen möchte (Abb. 3, Taf. 14; Abb. 6, Taf. 15), wäre dem Konzeptor ein geschicktes Exemplum für die Verbindung zwischen theatrica und ars militari in histo-rischer Perspektive gelungen.

Ein weiteres Sujet aus der Thematik der artes mechanicae, das im Bildprogramm des mittelalterlichen Hausbuchs als Stachel im fleisch der guten Herrschaft dient, stellt die Kunst der Wollherstellung (lanificium) dar. Im oberen Kreuzgang in Brandenburg begegnete sie Schedel zufolge als systematisch angelegtes Sammelbild zur Textilher-stellung. Im mittelalterlichen Hausbuch sind die entsprechenden Belege weniger zahl-reich. Sie treffen aber ins Schwarze der kritisch gewendeten Redaktion der illustrierten ‚Politiques‘. Im Bild der Kinder des Mars (fol. 13r), mit seinen Plünderungs- und Tot-schlagsszenen ganz dem Krieg als Geißel des Landes gewidmet, tritt eine der Töchter Evas an, um den Soldaten mit der Spindel in der faust das fürchten zu lehren. unter dem Vorzeichen dieser energischen Geste wird man auch das flügelspinnrad (fol. 34r), das als Monument der Textilindustrie unter den Bildern im mittelalterlichen Hausbuch zwar für sich steht,81 dafür aber dem Kriegsarsenal und der Montanindustrie voran gestellt ist, als exemplum der artes mechanicae und politisch konnotiertes zeichen ver-stehen dürfen.

Inwieweit es in der Intention des Konzeptors lag, eine form der Herrschaftskritik zu üben, muss dahin gestellt bleiben. Die spezifische Synthese von Stoffen und Mo-tivkreisen der artes und der ethisch-politischen Literatur hat Konsequenzen für die Darstellung der technischen Künste insgesamt, die durchaus auch im fokus gestanden haben können, da die Eröffnung der philosophischen Perspektive den Aspekt der ratio einführt, der erforderlich ist, um die artes mechanicae als einen vollwertigen Bereich der scientiae auszuweisen.82 Dieses Konzept ist so deutlich ausgeprägt, dass man sich

77 MeLviLLe: Spiele, S. 199.78 wirth: Quellenschrift, S. 49.79 PauLMier-Foucart: Plan, S. 260; PauLMier-Foucart/Duchesne: de Beauvais.80 vincentius BeLLovacensis: Speculum, lib. XI, c. XCVII, Sp. 1048.81 zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, S. 41.82 Vgl. acherMann: Prinzip, S. 183f.

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auch für die heute fehlenden Teile des mittelalterlichen Hausbuchs nur Ergänzungen der artes mechanicae, nicht aber z.B. solche der artes liberales denken kann.83 Dass es gerade darum ging, den Kanon zugunsten der Aufwertung der artes mechanicae gegen den Strich zu bürsten, zeigt sich an den Kindern Merkurs (Abb. 15), die einige Attribu-te der artes liberales vorführen, doch nur um das Handwerk aufzuwerten oder um ei-nes Lachers willen. Die Schulmeisterszene ist eine satirische Adaption des traditionel-len Typus der grammatica als Matrone mit Rute und Lehrbuch; der Instrumentebauer versteht das Astrolabium anzuwenden; musica wird durch den organisten vertreten, auch er ein Mann der Praxis. Dem Maler steht die juge Gattin als Muse bei, er ist be-kränzt wie ein Dichter oder wie der männliche Part im Minnegarten; der Bildhauer hat Muße genug, um einer fröhlichen Tafel beizuwohnen.

Insofern ziehen der expertus der artes mechanicae und der homo politicus im mit-telalterlichen Hausbuch an einem Strang und pochen auf eine gesteigerte Kompetenz im Bereich der experientia in ihrer im spätmittelalterlichen Wissensdiskurs etablierten form, nämlich als sinnlich erfahrbares Wissen in Verbindung mit der Kenntnis der Autoritäten.84 So sehr die Beobachtung und das subtile Argument den Eindruck der Betrachtung regieren, wobei nicht zuletzt auch das im 8. Buch der ‚Politik‘ formulierte Plädoyer für das Praktizieren der zeichnung bestätigt wird, so sehr manifestiert sich im Bildrepertoire auch eine exquisite Auslese der Theorie.

III. Ergebnisse: Der Hofkünstler als Komplize des Bibliophilen

An dieser Stelle ist der faden der Beweisführung im Hinblick auf mögliche Quellen des mittelalterlichen Hausbuchs in der Überlieferung der französisch-burgundischen fürs-tenbibliotheken nochmals aufzunehmen. Einiges spricht dafür, dass die Bibliothek des Herzogs von Burgund bei der Vermittlung der Bildbestände der französischen illust-rierten Handschriften eine Rolle gespielt haben könnte. Die beiden ältesten Handschrif-ten der ‚Politiques‘ und der ‚Yconomique‘ lagen nach ihrer Herstellung 1375 bzw. 1376 zunächst in der königlichen Bibliothek im Louvre. Die hier gezeigte (Abb. 11), heute in der Bibliothèque royale in Brüssel aufbewahrte Handschrift wurde nach der Einnahme von Paris durch die Engländer und dem Tod Karls VI. im Jahr 1425 an den Regenten, den Herzog von Bedford, verkauft und gelangte schließlich als Erbe von dessen Ge-mahlin, der Schwester Herzog Johanns des Guten von Burgund, in die Bibliothek im Palast in Dijon.85 Wie die Inventare von 1467 und 1487 belegen, befanden sie sich dort noch zur zeit der Maler des mittelalterlichen Hausbuchs. Die Herstellung und Rezep-tion der Aristoteles-Handschriften schrieb sich ein in eine Initiative der translatio stu-dii zugunsten einer Professionalisierung der Regierung und Administration, die Karl V. auf der Basis persönlicher Studien und mit unterstützung der Theologen und Juristen unter seinen engesten Beratern betrieb. Die einzelnen Texte mit ihren Bildzyklen form-ten gleichsam den ‚Handapparat‘ der Regierung des ‚weisen‘ und ‚sehr christlichen‘ Königs und nährten eine mit Bedacht lancierte Debatte um die Kategorien und Begriffe des Staatswesens, der Ethik und der Philosophie. für eine Aktualisierung der Ikono-

83 zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, S. 74.84 BénatouïL/DraeLants: Introduction, s. 10.85 richter sherMan: Aristotle, Appendix IV MS D, S. 323 (mit ausführlicher Bibliographie).

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Abb. 15: Meister des Amsterdamer Kabinetts, Merkur und seine Kinder, ca. 1480–90, feder auf Pergament, Mittelalterliches Hausbuch, fol. 16r. Privatbesitz.

233Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

graphie der guten Herrschaft, die ebenfalls über frankreich hinaus ausgestrahlt haben mag, sorgte außerdem die Übersetzung von Augustinus’ Gottesstaat durch Raoul de Presles (1371–75), die ebenfalls in eine illustrierte Handschrift gegossen wurde.86 Die Rolle Karls V. in diesem Diskurs findet ihren Ausdruck im Dedikationsbild der franzö-ischen Version der ‚Nicomachischen Ethik‘, die vom selben Team verantwortet wurde, das die Handschriften der ‚Politiques‘ und ‚Yconomique‘ herstellte. Félicité humaine als bekrönte Dame auf dem Thron steht für die früchte der Regierung Karls V. und va-riiert die Gestalt des Königs, der im Begriff ist, das Buch aus der Hand des ehrerbietig knienden Geistlichen entgegegen zu nehmen. Die Propagation theoretischer Lehren und die Beteiligung von Gelehrten bilden Handlungsweisen des Regierungsgeschäfts, die im Medium des illustrierten Kompendiums selbst reflektiert wurden und eine ei-gene Typik der Selbstidentifikation des Buchbesitzers in seinem Verhältnis zum König hervorbrachten. Besonders aussagekräftig im Hinblick auf die Prozesse der Initierung und der Weitergabe eines solchen Bildrepertoires sind die illustrierten Handschriften der Enyzklopädie des aus Sachsen stammenden, in oxford und Paris geschulten fran-ziskaners Bartholomäus Anglicus ‚De rerum proprietatibus‘ (Des propriétés des choses), verfasst um 1230/40 und im Jahr 1372 durch den Augustinerchorherrn Jean Corbechon (1372) übersetzt. Die Miniaturen beziehen sich überwiegend auf Szenen des Lehrens oder Studierens, wobei der Gelehrte sich entweder einer Gruppe von Studenten oder auch einer einzelnen, meist höfisch gekleideten bzw. den adeligen Buchbesitzer reprä-sentierenden Person zuwendet. Daneben sind auch mehrfigurige Szenen zu finden, die die Begutachtung oder Erörterung von Gegenstandsgruppen, etwa Edelsteinen oder farben, durch ein Expertengremium darzustellen scheinen.87

Das Bildformular des Expertendialogs wird im Bergbaubild (fol. 35r) und im Hüt-tenwerksinterieur (fol. 36v) aufgegriffen.88 Dieses Motiv bietet ein weiteres Argument dafür, dass bei der Erstellung des mittelalterlichen Hausbuchs die Bestände illustrierter Wissensliteratur französischen ursprungs in einer fürstenbibiothek rezipiert wurden, und erhellt zugleich die ausgeprägte Selbständigkeit der Bildzyklen in den wissen-schaftlichen und enzyklopädischen Handschriften. Auch wo es vorwiegend um die Klassifikation der sichtbaren Dinge und deren natürliche Gesetzmäßigkeiten geht, wie in der Enzyklopädie des Bartholomaeus Anglicus, entfaltet sich in den Bildzyklen die Welt des sozialen Handelns. Auch der Auftrag Karls des Kühnen zur Herstellung einer illustrierten französischsprachigen Ausgabe von Curtius’ ‚De rebus gestis Alexandri magni‘ steht in der Nachfolge der translatio studii unter der Herrschaft Karls V. Die Handschrift in Los Angeles ist ein signifikantes Beispiel für die Tragweite der unter Karl V. entwickelten Strategien der Vernetzung des Hofes durch einen analogen Buch-bestands und die Reproduktion der durch den fürsten definierten ikonographischen Muster. Ihr Erstbesitzer, ein Mitglied der am burgundischen Hof sehr einflussreichen adeligen familie Croy, wies sich lediglich durch das familienwappen aus. Seine Ko-pie des ‚Livre des fais d’Alexandre le grant‘ würdigte die Initiative Karls des Kühnen,

86 autranD: Charles V, S. 723. 87 Vgl. Meyer: Enzyklopädie, S. 23, 363–376. Meier: Illustration, S. 7–12, 24.88 Vgl. zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, S. 94.

234 ulrike Heinrichs

indem es das zweifellos für das urexemplar redigierte Dedikationsbild übernahm, das den Herzog und seinen Übersetzer im Kreis von weiteren Dienern und Beratern zeigt.89

Von den Produkten der translatio studii-Bewegung im umfeld und in der Nachfol-ge Karls V. unterscheidet sich das mittelalterliche Hausbuch trotz der zahlreichen mo-tivischen und thematischen Parallelen deutlich durch seine mehrdeutige anspielungs-reiche Ausdrucksweise und seine ironische und subversive Haltung den Vorbildern gegenüber. Dies verweist nicht nur auf eine räumliche Distanz und einen untertanen des Kaisers, der an den Bücherkartellen der französischen Höflinge kein Interesse ha-ben konnte, sondern verrät eine grundsätzlich unterschiedlich anders gelagerte Intenti-on und einen Standort an der Peripherie der höfischen Gesellschaft bzw. in einer stär-ker unabhängigen, dem fürsten allenfalls am Rande verbundenen Position. Aus dieser Warte heraus ließ sich ein Prozess der Aneignung initiieren, der normativ bestimmte Stoff der Bildbestände aus den fürstlichen Kunst- und Buchaufträgen ließ sich kritisch reflektieren, verwandeln und adaptieren. Dieser Vorgang bildete einen Impuls für die Ausbildung von ersten Beispielen ‚echter‘ Genremotive, so die These dieses Beitrags.

Ein kongeniales Einfühlungsvermögen dem Auftraggeber und der höfischen Welt gegenüber glaubte Norbert Elias den Künstlern des mittelalterlichen Hausbuchs kon-zedieren zu können.90 In der Tat sind drei der ‚Hände‘ im mittelalterlichen Hausbuch durch weitere Kunstaufträge mit fürstenhöfen in der Pfalz und am Mittelrhein in Ver-bindung zu bringen. Dem Meister der Genreszenen können das Widmungsbild in einer Handschrift des Romanepos ‚Die Kinder von Limburg‘ des Hofsängers und Arztes Johann von Soest (1448–1506), hergestellt für den Pfalzgrafen von Heidelberg, Philipp dem Aufrichtigen (1448–1508), zugeschrieben werden.91 Der Meister des Amsterdamer Kabinetts darf als Schöpfer des Gothaer Liebespaars gelten, des Doppelbildnisses Graf Philipps d.J. von Hanau-Münzenberg (1445–1500) und dessen Geliebter, der Bürgerli-chen Margarethe Weißkircher.92 Der Maler des Eingangsbildes mit der Darstellung ago-naler Spiele ist ebenfalls in einer prominenten Rolle wiederzufinden, nämlich als Maler der Miniaturen im Pontifikale des Erzbischofs von Mainz und Reichskanzlers Adolfs II. von Nassau.93 Auch für die Rolle des Vermittlers des Materials aus dem Buchbesitz Herzogs von Burgund kommt außer dem Auftraggeber und Erstbesitzer, dessen Le-benslauf und etwaige Verbindung nach Burgund auf keine Weise rekonstruiert werden kann, auch der aus mehreren Köpfen gebildete Kreis von Malern in Betracht. An erster Stelle steht hier sicherlich der Anonymus mit dem Notnamen Meister des Amsterda-mer Kabinetts, da er stilistisch und auf Grund seines künstlerischen formats in den flämischen Kunstkreis gehört. Seine figurenbildung und humorvolle Ausdrucksweise

89 Vgl. von euw/PLotzeK: Handschriften, Bd. 4, S. 240, 252 und Taf. 175.90 eLias: Prozess, S. 373.91 hess: Meister, S. 45–47. zur forschungsgeschichte und älteren Literatur siehe dort.92 hess: Meister, S. 44f.93 Diese Handschrift ist durch die Spanne der Amtszeit Adolfs II. von Nassau datiert, die von 1470 bis

zu seinem Tod am 6. September 1475 währte. Mehrere Motive der Miniaturen entsprechen wörtlich solchen in den Bildern von der Hand des Meisters des Amsterdamer Kabinetts im Planetenzyklus; ein Hinweis darauf, dass die beiden Maler teilweise identisches Vorlagenmaterial verwendeten. Weniger klar ist freilich, welches der beiden Werke zeitlich voran ging. Die Annahme, dass die entsprechenden Partien im mittelalterlichen Hausbuch vor dem Pontifikale entstanden sein müssten, erscheint nicht zwingend. Vgl. hess: Meister, S. 22f.

235Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

wie auch das unter den Malern und Graphikern im deutschsprachigen Raum sonst nicht vorkommende, nervöse malerische Strichbild sind bei dem Buchmaler Lieven van Lathem vorgebildet, der u.a. in Gent, Antwerpen und Brügge wirkte und einen festen Stand in der Produktion kostbarer Bücher für Karl den Kühnen und Personen aus dessen engstem familienkreis erlangte. Auch das Bildrepertoire Lieven van Lathems, wie es etwa in den Marginalfiguren im Stundenbuch der Maria von Burgund vor Au-gen steht, scheint der Meister des Amsterdamer Kabinetts gut gekannt und reflektiert zu haben. In van Lathems Werkstatt könnte er demnach seine Ausbildung erfahren,94 durch deren Vermittlung Kenntnis von illustrierten Büchern der herzoglichen Biblio-thek erlangt haben. Dem Stilkreis Lieven van Lathems standen schließlich auch die Maler der oben besprochenen Curtius Rufus-Handschrift in Los Angeles nahe.95 Nicht auszuschließen ist, dass ihm anstelle der ererbten Bücher aus der Bibliothek Karls V. im Louvre eine neue Version der ‚Politiques‘ zum Vorbild wurde. Ausgerechnet im Werk des Meisters der Genrebilder findet sich ein weiterer Bezug zum Bildbestand der ‚Poli-tiques‘, möglicherweise ein Reflex auf ein Buchprojekt, an dem beide Maler mitgewirkt haben könnten. Die in der Literatur nur allgemein als ‚Drei Männer im Gespräch‘ be-nannte federzeichnung im Berliner Kupferstichkabinett96 wird man wohl richtig als stilistisch aktualisierte fassung der konspirativen Gruppe in der Darstellung zur Ver-schwörung gegen den Herrscher ansprechen dürfen (Abb. 12, 16). Berücksichtigt man weiterhin, dass dieser zeichner es war, der Kaiser Maximilian I. bei der friedensmesse (16. Mai 1488) und beim friedensbankett in Brügge darstellte,97 so scheint nicht abwe-gig, auch ihm Kontakte zu den burgundischen Niederlanden oder zumindest zugang zu Bildwerken aus Burgund zu konzedieren.

Die Bildformulierungen im mittelalterlichen Hausbuch sind aber sicherlich nicht das zufällige Produkt einer Blütenlese aus burgundischen Musterbüchern. Es dürfte deutlich geworden sein, dass hinter den geistreichen Bildideen die eiserne Hand einer Redaktion spürbar ist. Sie trifft den Nerv der Rhetorik der Herrscherlegitimation in der illustrierten Wissenliteratur präzise, denn die spezifische Verschränkung von Aris-toteles’ ‚Politik‘ mit dem fächer der artes mechanicae erzeugt eine empfindliche Stö-rung im Gefüge der Ständehierachie und im Begriff von Regierung. Das ganze Ausmaß der opposition zeigt sich im Verhältnis zu den grundlegenden Begriffen der Polis (cité) und des Staatsbürgers (citoien). Aristoteles/oresme zufolge stünden nur die Krieger, Räte und Priester in diesem Rang, nicht aber die Bauern, Handwerker oder Händler. Im Versuch, das antike Konzept der Polis weniger den tatsächlichen Verhältnissen im französischen Königreich als den politischen zielen Karls V. in Bezug auf die Pro-fessionalisierung seiner Verwaltung und des Versuchs der Kontrolle und Einschrän-

94 Man beachte etwa den Gänsejäger, die Reihe der Bettler im Gänsemarsch, darunter ein Bischof und ein Kardinal, oder den Sicheljongleur. Vgl. anonyM: Stundenbuch, fol. 46v, 47v, 48r und 52v. Der Identifikation des Meisters des Amsterdamer Kabinetts mit dem aus utrecht an den Mittelrhein aus-gewanderten Maler und zeichner Erhard Reuwich wird man dennoch nicht zustimmen können, weil die Vergleichslage in Bezug auf Reuwichs Werk nicht eindeutig ist. Vgl. Kat. ausst.: Leben, S. 15–19; FiLeDt KoK: Development, S. 51; FiLeDt KoK: Meister.

95 s. Anm. 26.96 Vgl. hess: Meister, S. 49.97 Vgl. Kat. ausst.: Leben, Kat. Nr. 24–25; hess: Meister, S. 50f. Rätselhaft bleiben freilich der Anlass

dieser zeichnungen und die umstände, unter denen sie entstanden.

236 ulrike Heinrichs

Abb. 16: Meister der Genrebilder, Drei Männer im Gespräch – aus dem zusammenhang der Darstellung der politischen Verschwörung (Conspiration occulte) gemäß Aristoteles’

‚Politiques‘ (frz. Übers. v. Nicolas oresme), um 1480, feder auf Papier. Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett (Kdz 4291).

kung der Kommunen anzupassen, definierte oresme die drei Gruppen der citoiens als Vertreter der organe der königlichen zentralregierung.98 Die Überlegung liegt nahe, dass der Bildzyklus im mittelalterlichen Hausbuch darauf abzielte, die Definition der

98 aristoteLes: Politik, 7. Buch, S. 317f.

237Genremotive im mittelalterlichen Hausbuch

cives gemäß oresme den Eigeninteressen des nicht adeligen Auftraggebers anzupassen und dabei die Entwicklung der politischen Verhältnisse im Reich hin zu einer syste-matischen politischen Beteiligung der Handwerker und Händler einzuholen. Diesen Standpunkt mit der allgemeinen Situation auf den Ebenen der politischen Theorie, ver-fassungsrechtlichen Praxis und fiktionalisierung in Literatur und bildender Kunst ab-zugleichen, würde den Rahmen der vorliegenden Studie und die Kompetenz der Ver-fasserin bei weitem übersteigen. Mit einiger Vorsicht sei lediglich darauf hingewiesen, dass die formulierung des mittelalterlichen Hausbuchs auch einhundert Jahre nach der französischen Initiative der translatio studii keine Selbstverständlichkeit war, neigte die systematisch-didaktische Literatur zum Wissensgebäude doch auch im 15. Jahrhundert zur Aufrechterhaltung der traditionellen Hintanstellung der artes mechanicae und zur Gruppierung der Bauern, Handwerker und Händler unter dem Begriff der non cives.99 Im vorliegenden zusammenhang kann dieser Gedanke nur eine vorläufige Arbeits-hypothese bilden. Diese weiter zu entwickeln, bliebe einem interdisziplinären forum vorbehalten.

Die hier vorgetragenen Überlegungen zur Ikonographie und Hermeneutik der Bil-der im mittelalterlichen Hausbuch haben einige unbekannte Quellen zutage gefördert und einen bislang unerkannten programmatischen zusammenhang zwischen dem Pla-netenzyklus, den höfischen Szenen und den Kriegs- und Gerätebildern aufgedeckt. Man wird die These von der Enstehung in zwei zeitlich weit auseinander liegenden Phasen kritisch betrachten und die Möglichkeit einer einheitlichen oder zumindest kontinu-ierlich verlaufenden Herstellung in Erwägung ziehen müssen. Entsprechend dürften die Datierungshinweise, die Erwähnung der Krebserkrankung Herzog Renés II. von Lothringen im medizinischen Teil (ca. 1480) und die Erinnerungen an den Neusser feldzug (1474/75) als ante quem für das gesamte Konvolut betrachten und dieses um 1480 oder auch etwas später datieren dürfen. Überraschend zeigt es sich, dass hinter den Genremotiven im mittelalterichen Hausbuch eine Vielzahl von Bildkreisen steht, entwickelt in illustrierten Traktaten und Wissenskompendien, sowie möglicherweise auch in monumentalen Raumdekorationen wie sie im Domstift Brandenburg erhalten sind. Die Referenzwerke sind für die Vorgeschichte der Gattung des Genres insofern von Belang als sie fälle und Kategorien des sozialen Lebens und eine moralisch und didaktisch bestimmte Sicht auf zeitgenössische Sitten zur Darstellung bringen. Als ein fokus erweist sich die historiographische und politische Dimensionierung der artes mechanicae im Sinne der kritischen Bespiegelung der Landesherrschaft. Die Identifika-tion der illustrierten Übersetzungen der ‚Nicomachischen Ethik‘, ‚Politik‘ und ‚Öko-nomik‘, durch Karl V. von frankreich als ein Corpus n. der Staatslehre lanciert, als iko-nographische Quelle von Genremotiven eröffnet, zugleich auch eine neue Perspektive auf die spezifische epistemologische Beschaffenheit der Gattung. Die Genremalerei ist in einem gesteigerten Maße unterhaltend, sie ist diskursiv gestimmt und ironisch, sie pocht auf Aktualität und gibt sich daher gerne realistisch. Künstlerische Virtuosität ist in diesem feld nicht zuletzt auch deshalb gefragt, weil die anspielungsreiche und au-genschmeichelnde Darstellungsweise die kritische Aussage der Bilder konstituiert und akzeptierbar macht. Die Meister des mittelalterlichen Hausbuchs haben es verstanden,

99 Kurze: Lob, S. 115.

238 ulrike Heinrichs

zugleich die Erinnerungen an eine fürstenbibliothek in der funktion eines Arsenals der Herrscherrespräsentation und der Disziplinierung des Hofes in einem feuerwerk geistreich-kritischer Bildideen aufgehen zu lassen.

Bildnachweise

Abb. 1–5, 7–10, 13, 15: zu waLDBurG woLFeGG: Hausbuch, facsimile-Bd.Abb. 6: The J. Paul Getty Museum, Los Angeles, Ms. Ludwig XV 8, fol. 99r.Abb. 10, 12: richter sherMan: Aristotle.Abb. 14: Birgit Malter, Restauratorin, pmp Architekten, Brandenburg a.d. Havel. Abb. 16: hess: Meister.

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Peter Bell

Alltägliches im Ereignis – fremdes im Eigenen. zigeunergenre bei Burgkmair, van Leyden und Bruegel

I. Einleitung. Genre und Alterität

Die Genremalerei lebt von ihren Menschenbildern. Ein beliebtes wiederkehrendes Motiv unter diesen sind seit dem 15. Jahrhundert die zigeunerfiguren. zu Anfang je-nes Jahrhunderts war das Eintreffen von fremden ein ausführlich dokumentiertes Er-eignis1 und kurz darauf erhielten diese Gruppen die Sammelbezeichnung ‚zigeuner‘, die für eine Vielzahl an Vorurteilen steht und bis heute auf Sinti, Roma sowie weitere Minderheiten angewendet wird.2 Gegenüber dieser Geschichte von Stigmatisierung und Verfolgung steht die eingehende – nicht weniger diskriminierende – Auseinander-setzung mit zigeunern in den Künsten. Dazu hat die Literaturwissenschaft zahlreiche Publikationen3 vorgelegt, während sich in der Kunstgeschichte erst in den letzten Jah-ren ein über ikonographische und stilistische Belange hinausgehendes Interesse aus-prägte.4

Im folgenden soll zur Bildgeschichte der zigeuner ein weiterer Baustein geliefert und an deren Motiven das Genre mehr als Modus denn als Gattung definiert werden. Denn die zigeunerfiguren sind auch innerhalb der Bilder mobil und tauchen an pro-minenter Stelle sowohl in Historien, wie auch in Genre- und Landschaftsmalerei auf. Vielfach mögen sie in erster Linie exotisches Kolorit für die Heilsgeschichte sein – wie in den Bildern von Lucas van Leyden – oder eine belebende Staffage einer fernen Land-schaft bilden, wie bei Joos de Momper und Jan Brueghel d.J., doch bei Hans Burgkmair d.ä und Pieter Bruegel d.ä. sind sie als ausdifferenzierte Genrefiguren mit klaren in-nerbildlichen funktionen gegeben.

Die zigeunerfiguren bieten sich zur exemplarischen untersuchung von Genre an, da dieses grundlegend durch Alterität und Devianz bestimmt wird. Vor der ge-sellschaftlichen Distinktion, dem moralischen urteil oder einer Allegorisierung steht das Interesse an der Beschreibung von Lebensformen: Alt und Jung, Arm und Reich,

1 Nach wie vor GroneMeyer: zigeuner, für die Niederlande MoorMan van KaPPen: Geschiedenis. 2 ‚zigeuner‘ ist eine fremdbezeichnung, die vom zentralrat der Sinti und Roma als diskriminierend

abgelehnt wird. In einer (kunst-)historischen Perspektive kann darauf jedoch nicht verzichtet werden, wenn damit zum einen bestimmte Bildformulare und zum anderen soziale Gruppen bezeichnet wer-den, deren zusammensetzung wechselt, unklar bleibt und nicht deckungsgleich mit den Gruppen der Sinti und Roma ist. In diesem Sinne wird die Bezeichnung im folgenden verwendet; auf die Anfüh-rungszeichen wird dabei verzichtet.

3 Vgl. u.a. BoGDaL: Europa; Patrut/uerLinGs: ‚zigeuner‘. 4 Vgl. als Vorreiter cuttLer: Exotics. Siehe für einen ersten Überblick PoKorny: zigeunerbild; Kat.

ausst.: Bohèmes; BeLL/sucKow: Lebenslinien (eine Monographie von dens. ist in Vorbereitung).

248 Peter Bell

Ländlich und Städtisch, Vertraut und fremd, Schön und Hässlich erscheinen mal ein-zeln, mal kontrastreich gegenübergestellt. Das Genre repräsentiert daneben die vielfäl-tigen Tätigkeiten, die in der Regel von den Tätigkeiten und Lebensumständen des Auf-traggebers abweichen. Dieses breite Spektrum an Verrichtungen und Menschentypen fußt auf der Tradition enzyklopädischer Bildprogramme wie der Monatsbilder. Der Andere wird damit erfasst und die Bilder erhalten zur räumlichen Tiefe eine soziale, denn sie loten vor allem die Distanzen zwischen Ständen und Randgruppen aus. Trotz narrativer Partien kartiert das Genre vor allem einen sozialen Raum und grenzt sich so vom Historienbild ab, in welchem politische oder religiöse Kontexte und zumeist individuelle Akteure dargestellt sind. Dieser Definitionsrest vom ‚Sittenbild‘ soll im folgenden an der zigeunerfigur sowohl für Historienbilder wie für Genrebilder kri-tisch betrachtet werden.

Die Bildbeispiele sind nur im falle Burgkmairs aus der eigentlichen Bildgattung Genre und ansonsten biblische Historien, in die jedoch Genremotive integriert wur-den. Es geht somit um die Rekapitulation und Dekonstruktion von Gattungsgrenzen und Alteritätszuschreibungen sowie die frage, welche Rolle das Alltägliche im Ereig-nis und das fremde im Eigenen spielt.

II. Lucas van Leyden und das Volk Israel in ägyptischer Sitte

Ein hässlicher Alter mit verschattetem Gesicht schaut zu einer jungen zigeunerin hi-nauf (Abb. 1, Taf. 16), die seinem Blick standhält, während sie leicht vorgebeugt ein schüsselartiges goldgerändertes Trinkgefäß über der Brust hält.5 Vor dem caravagges-ken dunklen Hintergrund und der monumentalen Konzentration der Personen sowie mit dem Hintergrundwissen der vielen Verführungs- und Kuppelszenen mit zigeune-rinnen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, fordert diese Szene das Etikett Genre geradezu heraus.

Das vertrauliche Motiv ist jedoch alles andere als ein autonomes Genrebild, sondern Teil eines Historienbildes. Es handelt sich um eine Binnenszene in Lucas van Leydens ‚Moses nach dem Quellwunder‘ (Abb. 2), die sich jedoch im zentrum des Gemäldes unterhalb der biblischen Protagonisten abspielt. Die Handlung findet nach dem Wun-der statt, Moses’ auf den felsen gerichteter Stab weist noch darauf zurück; der fokus des Geschehens liegt jedoch auf dem sich versorgenden Volk Israels. In vielen Varia-tionen wird das Trinken und Abtransportieren des Wassers gezeigt und die Israeliten präsentieren sich in ihrer demographischen zusammensetzung: Jung und Alt, Arm und Reich, Schön und Hässlich, Stark und Schwach werden in vielen kleinen Gruppen ar-rangiert. Das außergewöhnliche Ereignis der Heilsgeschichte tritt gegenüber einem in seinen Abläufen ganz alltäglichen Betrieb an einer Quelle zurück. Die gängige Diffe-renzierung, nach der das Individuelle, Einmalige im Historienbild mit seinen benenn-baren Personen dargestellt wird und das Typische, Allgemeine im Genrebild mit seinen namenlosen figuren seinen ort hat, ist hier noch eng verbunden.

Im Bostoner Bild lässt sich eine undarstellbarkeit des Wunders vermuten. Das Menschliche wird gezeigt, das Göttliche bleibt Leerstelle. Es lässt sich sogar in etwa be-

5 für das Detail und viele Hinweise sei Erwin Pokorny herzlich gedankt.

249zigeunergenre bei Burgkmair, van Leyden und Bruegel

stimmen, wie weit diese Ellipse vom Bildgeschehen zurückliegt, denn auf beiden Bild-rändern befinden sich mit vollen fässern beladene zurückkehrende. Das Volk Israel wird zum eigentlichen Akteur des Bildes. Diese Verschiebung des zeitpunktes und der Aufmerksamkeit von den statischen Patriarchen zur lebendigen Menge ist nach der Bi-belstelle im Buch Numeri und anhand der zeitgenössischen Exegese plausibel gedeutet worden.6 Statt die Gnade Gottes zu präsentieren hatte Moses das Wunder als eigenen Machtbeweis dargestellt und sich damit das Betreten des Heiligen Landes verscherzt. Diese Strafe lässt Moses, Aaron und die anderen oberen derart befangen wirken. Der Habitus der zigeuner könnte somit sogar als ein Beharren im magischen ägyptischen Paradigma verstanden werden. Deutlich wird aber die unbekümmerte Geschäftigkeit des seine existentiellen Bedürfnisse stillenden Volkes gegenüber dem melancholischen Innehalten seiner Anführer geschildert.

Die Verwendung der zigeunerfiguren im Quellwunder hat mehrere Gründe, der nächstliegende ist der Versuch ein orientalisierendes Setting zu schaffen. Dabei erschei-nen die Patriarchen entfernt an osmanische Sultanen angelehnt, während das einfache

6 Vgl. siLver: Sin.

Abb. 2: Lucas van Leyden, Moses schlägt Wasser aus dem felsen, 1527, Tempera auf Leinwand, 183 x 228,5 cm. Boston, Museum of fine Arts.

250 Peter Bell

Volk, insbesondere einige der frauen, die zigeunertypen aufnehmen. Die zigeunerin war seit Ende des 15. Jahrhunderts ein fester Bestandteil der orientikonographie, weil – und das ist bereits der zweite Grund – die zigeuner lange für ägypter gehalten wur-den. Ihr Herkunftsmythos wurde bereits in frühen Quellen mit heilsgeschichtlichen Elementen durchsetzt: etwa, dass sie sich auf einer Pilgerfahrt befänden, um Buße zu tun, weil sie einstmals der Heiligen familie die Herberge verwehrt hätten.7 Die Tracht des Volks Israel in den Exodus-Darstellungen würde also auf den ort der Knechtschaft zurückverweisen. Schließlich kann ihr Habitus auch durch die mit den zigeunern übereinstimmende Lebensform, nämlich dem umherirrenden Volk, bestimmt werden. Denn tatsächlich wären die in späteren Darstellungen immer wieder gezeigten Radhüte praktischer Sonnenschutz in der Wüste und das Stillen der Kinder im freien unum-gänglich. Der israelitische Alltag würde durch eine Parallelsetzung mit den zeitgenös-sischen zigeunern rekonstruiert.

Im folgenden sind für die zigeunerikonographie im Historienbild somit drei Di-mensionen zu beachten: orientikonographie, Gleichsetzung mit ägypten und Le-bensform. Alle drei werden durch die fremdheit überwölbt. Denn so fern man sich in einem stratifikatorischen oder frühbürgerlichem Gesellschaftssystem gestanden haben mag, der unalltägliche fremde, der nur okkasionell erscheint, wird stets Neugierde, faszination und Irritation erzeugt haben. Genremalerei mag zu einem gewissen Teil daraus entstanden sein, sich den Alltag dieses fremden vorzustellen.

Die Differenzmarker des zigeunerhabitus sind teilweise bereits angeklungen. Grundlegend ist das ungleiche Geschlechterverhältnis in form einer fast ausschließ-lichen Darstellung von frauen und Kindern. Die zigeunerinnen tragen Turbane oder breite Radhüte und deckenartige Gewänder, die meist mit Streifen versehen und einsei-tig geknotet sind. Barfüssigkeit, offenes Haar sowie das Stillen und Lagern im freien, das Handlesen und Stehlen sind weitere Verweise auf die fremdengruppe.

Die Tendenz, das heilsgeschichtliche Thema einer Nebenszene nachzuordnen, ist beim ‚Tanz um das goldene Kalb‘ von 1530 noch ausgeprägter (Abb. 3, Taf. 16). Der Blick wird im Vordergrund festgehalten, in dem das Volk Israel sich zu einem Mahl niedergelassen hat und ein Panorama von Lastern repräsentiert. Nicht von ungefähr beginnt das Triptychon links mit einem ins Bild gestrecktem Gesäß. Rechts dahinter sind als unterstand schlanke Stämme zusammengefügt und mit einer Decke bedeckt worden, welche durch das Streifenmuster der zigeuner wie eine flagge für diese wirkt. Davor wird gezecht, auf der Haupttafel kommen dazu ein Gelage und amouröse An-gebote, angedeutet durch das Überreichen von früchten, die auf dem rechten flügel offenbar zu Teilerfolgen geführt haben.

Wie schon in ‚Moses nach dem Quellwunder‘ ist das Volk Israel der eigentliche Akteur im Bild. Dies wird erreicht, indem die titelgebende Hauptszene in den Hin-tergrund verlagert wurde und Moses erst nach einigem Suchen beim Abstieg vom wolkenverhangenen Berg Sinai erkannt werden kann. Wie im Bostoner Bild sind zi-geunerische Differenzmarker zur Charakterisierung des Volks Israel verwendet und verweisen damit sowohl auf die ägyptische Herkunft beider Völker sowie die gemein-same mobile Lebensform. Das lasterhafte Gelage wird durch eine verschwenderische

7 Vgl. KöhLer-züLch: Herberge.

251zigeunergenre bei Burgkmair, van Leyden und Bruegel

Prachtentfaltung unterstrichen, was sich in den goldenen Kannen und Krügen sowie in den geschliffenen Gläsern zeigt, aber besonders durch die aufwendigen und farben-frohen Gewänder hervorgehoben wird. Diese dem Volk unterstellte allgemeine Ver-schwendungssucht steht im Kontrast zum sichtbaren sozialen Gefälle in ‚Moses nach dem Quellwunder‘.

Die Parallelsetzung von zigeunern mit dem Volk Israel oder ägypten, wie sie von Lucas van Leyden konzipiert wird und gerade in der flämischen Malerei bis weit ins 17. Jahrhundert hinein immer wieder aufscheint, mag wie ein harmloser Griff in die Kostümkiste wirken, ist jedoch für die fremdengruppe durchaus folgenschwer. Die Überblendung stigmatisiert die ‚zigeuner‘ einmal mehr als lasterhaftes und wankelmü-tiges Volk, das stets an der Grenze zum Heidentum lebt. Erst durch die Analyse der Mechanismen von Projektionen und Stereotypbildungen kann das zigeunerbild ver-standen werden. Somit ist es bei der Analyse der Darstellungen von zigeunern weniger entscheidend, was uns die Repräsentationen über die Menschen zu sagen haben, als was die Repräsentationen aus den Menschen machen.

Während in ‚Moses nach dem Quellwunder‘ das eigentliche Wunder vorweggenom-men und es beim ‚Tanz um das goldene Kalb‘ in den Hintergrund verlegt wurde, steht es in der Petersburger ‚Blindenheilung vor Jericho‘ (Abb. 4) im zentrum des Bildes und alle Nebenfiguren nehmen darauf Bezug. Eine bunte Menge in heimischen wie exoti-schen Kostümen bevölkert den Vordergrund. Dahinter erstreckt sich eine felsige Land-schaft, durch die sich ein Weg auf die Stadt links oben zu windet, während im rechten Mittelgrund Christus noch einmal, nämlich am feigenbaum, erscheint. Christus wird von seinen Jüngern umringt, ohne dass diese auf die zwölfzahl kämen oder benennbar wären. Die anderen figuren sind als Pharisäer, Schriftgelehrte und weitere Anhänger Christi zu verstehen, unter diese mischen sich frauen und Männer in zeitgenössischer Mode. Am Bildrand lassen sich nach den eben angeführten Differenzmarkern mehrere zigeunerfiguren erkennen und auch im Hintergrund der Mitteltafel lagert eine kleine Gruppe. Sie rahmen die Handlung ein und markieren den Chronotopos des Weges und die Verortung der Heilsgeschichte. Von rechts tritt ein Paar hinzu, das mit weit ausla-dender Geste auf Christus hingewiesen wird. Während links eine zigeunerin selbst ei-nen vom Wunder abgewendeten Mann auf das Ereignis hinweist. Bei dieser Person mit umhang ist unklar, ob sie auch zur Gruppe der zigeuner hinzugezählt werden muss.8

Als zahlenmäßig kleine Gruppe nehmen die zigeuner einen großen Raum ein. Be-kanntlich war das Gemälde zunächst ein Triptychon, so dass die beiden Gruppen noch deutlicher aus der Menge der umstehenden abgesondert wurden.9 Lucas van Leyden hat offenbar kein Interesse dem alten Medium des Wandelaltars durch drei getrennte

8 Wie die korrespondierende figur auf dem rechten flügel, die sich jedoch stehend umwendet und uns den Rücken zukehrt, ist auch dieser Mann bewaffnet. Auch wenn die traurige Geschichte des Bildes und seines zustandes eine Aussage über farbwerte und Detailpartien erschwert, muss konstatiert wer-den, dass der Mann im roten Mantel nicht sehr gesund aussieht. Nase und Augenpartien erscheinen gerötet, das Auge angeschwollen und glasig, eine charakteristische zur Erblindung führende Augen-krankheit kann jedoch daraus nicht geschlossen werden (Ich danke Stephanie Gösele für ihren fachli-chen Rat). Dass es sich hier um einen zweiten Blinden handelt, der bei Matthäus parallel auftritt und zu einer gradezu synoptischen Bibeldarstellung führen würde, schließt sich durch das Schwert weitge-hend aus.

9 Vgl. Lawton-sMith: Paintings, S. 139–144.

252 Peter Bell

Geschichten nachzukommen, wofür ja das Gleichnis mit dem feigenbaum Anlass ge-geben hätte. Er verteilt stattdessen ein geschlossenes Panorama auf drei Tafeln. Den-noch kann er sich der Gliederung nicht ganz entziehen und schafft je eine Gruppe im Vordergrund, worin sich je ein Mann vom Ereignis abwendet und eine weitere Person auf das Wunder verweist.

Auch in der Blindenheilung hat das Auftreten der zigeuner mehrere Gründe und funktionen. Als Bildeinstieg von beiden flügeln her, verweisen sie auf ein exotisch orientalisches Setting. Sie stehen für den Chronotopos des Weges wie Quellnymphe und flussgott für die Gewässer. Mit dem Motiv der lagernden zigeunerinnen werden die folgenden Generationen ihre Landschaften beleben und mit anderer Staffage inter-agieren lassen, wodurch auch durch die zigeunerfiguren nachvollzogen werden kann, wie fließend die Grenze von Genre- und Landschaftsmalerei ist. Ebenso changiert die zigeunerszene links zwischen Genre und Anspielung auf Heilsgeschichte, indem die zigeunerinnen an Marien erinnern, ihre Säuglinge an Christuskinder und einen Johan-

Abb. 4: Lucas van Leyden, Christus heilt einen Blinden vor Jericho, 1531, Öl auf Leinwand (urspr. Holz), 116 x 150 cm. St. Petersburg, Eremitage.

253zigeunergenre bei Burgkmair, van Leyden und Bruegel

nesknaben. Es ist vor allem diese einfalls- und facettenreiche figurenbehandlung die van Mander zur langen Würdigung des Gemäldes veranlasst hat.10

Indem die zigeuner auf das Wunder hingewiesen werden und auf der anderen Sei-te selbst darauf verweisen, wird ihre zeugenschaft an der Heilsgeschichte besonders betont. Die vielen fingerzeige und Blicke im Bild lassen die biblische Geschichte zu einer Allegorie des Sehens werden. Nicht nur wird der Blinde sehend, sondern auch die umstehenden Apostel, Pharisäer und zigeuner sehen die Wirkung des Glaubens. In den Reihen der umstehenden bilden die zigeuner die Peripherie und stellen somit die wortwörtliche Randgruppe dar. Ihre erstaunten Blicke versprechen gegenüber den kritischen Gesichtern der Schriftgelehrten eine positivere Aufnahme des göttlichen zeichens.

Lucas van Leyden setzt die zigeuner somit in allen drei Gemälden als exotisch ori-entalische Motive mit genrehaftem Charakter ein. Doch es sind weniger die als ge-genwärtig gedachten zigeuner der Genremalerei wie sie burgundische Wandteppiche, Bosch, Burgkmair oder Bruegel zeigen, sondern zigeuner als vermeintliche ägypter wie sie von den Kostümbüchern tradiert werden. Allerdings stellt jedes der drei Bilder eine eigene Nuance dar. In ‚Moses nach dem Quellwunder‘ repräsentieren sie das ein-fache israelitische Volk in orientalischer Gewandung, ohne dass geklärt werden könnte, ob es als assimiliert ägyptisch gekleidet oder als nomadisches Volk charakterisiert ist. Im ‚Tanz um das goldene Kalb‘ werden die gängigen Differenzmarker der zigeunerfi-guren zu einem opulenten orientalismus verschliffen, der wie eine kostümierte Bau-ernkirmes inszeniert wird. In der ‚Blindenheilung vor Jericho‘ sind die zigeuner zwar auch Teil des orientalischen Settings, stellen jedoch ebenso eine Metapher des Weges, des unterwegs-Seins, dar. Sie sind darin illiterale zeugen der Heilsgeschichte, deren vermeintlicher ursprung im antiken orient mit der Präsenz in der eigenen umgebung eine neue Verbindung zur Heilsgeschichte schafft.

II. Hans Burgkmair und Genre als Kunststück

Die zigeunerfiguren sind also nicht nur durch die Alterität der ‚zigeuner‘ bestimmt, sondern auch durch die Überblendungen einer ägyptischen Herkunft und einer genui-nen Verbindung zum orient und der Heilsgeschichte. Diese Etikettierungen sollen im folgenden um eine weitere zuschreibung ergänzt werden: der Kunstfertigkeit bzw. dem Geschick. Diese fähigkeit hat Hans Burgkmair d.ä. in zwei seiner drei zigeuner-zeichnungen besonders hervorgehoben.11

In der ersten Stockholmer zeichnung (Abb. 5) liest eine junge zigeunerin aus der Hand einer Bäuerin, die zu diesem zweck einen Sack mit Käse, einen Korb mit Eiern und einen Wanderstab freimütig abgelegt hat. Während sie durch die Vorhersage und dem Blick der zigeunerin abgelenkt wird, stehlen zwei zigeunerkinder mehrere Kä-selaibe und die Handleserin greift ebenso unbemerkt nach der Geldbörse. Das auflo-dernde feuer, die rohen Eier, der Hund und die Gänse12 unter der zeltplane können als zeichen für Vorsicht und Gefahr gedeutet werden, doch die Bäuerin merkt von alldem

10 Vgl. van ManDer: Leben, S. 74f. 11 Vgl. Kat. ausst.: Burgkmair, S. 11; FaLK: Burgkmair, S. 23. 12 Pokorny sieht darin Schnabelschuhe und somit ein beschnittenes Blatt, PoKorny: zigeunerbild, S. 105.

254 Peter Bell

nichts. Wie in einer simultanen Erzählung tritt schließlich im Hintergrund ein weiteres Kinderpaar zu einer figurengruppe, von denen zwei offenbar akrobatische Kunststü-cke üben. Sie sind der Schlüssel zur Szene und schaffen die Verbindung zur zweiten zeichnung, der ‚flucht zu Pferd‘. Es geht um das Geschick der zigeuner, das sich im leichtfüßigen, gut koordinierten Diebstahl zeigt. Dazu kommt die Kühnheit des Artis-ten, denn durch die Rechtsprechung der frühen Neuzeit, insbesondere an zigeunern, sind auch diese kleinen Delikte todesmutig.

Das andere Blatt wirkt auf den heutigen Betrachter noch derber (Abb. 6). zwei zi-geuner und eine zigeunerin mit drei Kleinkindern sind auf der flucht vor zwei Bewaff-neten. Die zeichnung ist in vielen Details dichotom angelegt. So reiten die zigeuner, die offenbar einen Wilddiebstahl begangen haben, auf ungesattelten, unbeschlagenen Pferden den viel besser ausgerüsteten Verfolgern davon. Deutlich sind das bessere Ge-schirr, die Sättel, Steigbügel und Sporen gezeigt. Grotesk und derb wird diese Gegen-überstellung verschärft, indem die barfüßige Matrone mit drei an sie geklammerten Kindern im Damensitz reitet und das Pferd sich aussagekräftig entleert. Lediglich der Jagdhund kann sich in weiten Sprüngen auf Höhe der fliehenden halten. Der erste Verfolger wurde abgeworfen, scheint sich zudem im Steigbügel verfangen zu haben und ihm droht, durch zweihänder oder Hufe zusätzlich verletzt zu werden. Durch seinen Sturz steigt auch das Pferd des Kameraden, so dass dieser ebenfalls zur Aufgabe der Verfolgung genötigt wird. Die bessere Ausrüstung der modisch gekleideten Jagd-

Abb. 5: Hans Burgkmair d.ä., zigeuner auf dem Markt, um 1510, federzeichnung auf Papier, 21,5 x 32 cm. Stockholm, Nationalmuseum.

255zigeunergenre bei Burgkmair, van Leyden und Bruegel

hüter oder Landsknechte wird zum Malus. Den zigeunern beiderlei Geschlechts wird also ein größeres Geschick im Reiten zugeschrieben als diesen gut ausgerüsteten und gestandenen Männern.

In beiden Blättern beweisen die zigeuner somit eine große Kunstfertigkeit und set-zen sich kühn Gefahren aus. um dies darzustellen bedient sich Burgkmair jedoch nicht nur inhaltlichen Elementen, die er geschickt kontrastiert oder bündelt, sondern auch stilistischen und kompositorischen. Während sich in der ersten zeichnung die körper-liche und geistige Trägheit der Bäuerin schon in ihrer säulenhaften Statur zeigt, sind die zigeunerfiguren in geschmeidiger Bewegung. Als einzige figur wirft die Bestohlene einen Schatten, während die Diebe auf dem weißen Papier zu schweben scheinen. Das zigeunermädchen springt geradezu aus der zeichnung heraus. Mit dem gleichen Mit-tel werden die figuren in der fluchtszene in Bewegung gebracht. Hier gibt es außer der Staffelung der Akteure und ihrem Größenverhältnis keinerlei Rauminformationen. Das Auge wird getäuscht, indem das Pferd des Verfolgers rechts trotz seiner Position im Vordergrund sehr gestaucht wiedergegeben wird, während die anderen Pferde ge-streckt werden. Dies lässt den Eindruck entstehen, dass das rechte Pferd abrupt zum Stehen kommt, während die anderen mit hoher Geschwindigkeit weiter galoppieren. Indem Burgkmair die zigeunerin und ihr Pferd noch größer als die anderen Akteure gezeichnet hat, wirkt es, als würde die frau mit einer Linse fokussiert.

Abb. 6: Hans Burgkmair d.ä. (?), zigeuner auf der flucht, nach 1510, federzeichnung auf Papier, 20 x 31,5 cm. Stockholm, Nationalmuseum.

256 Peter Bell

Bekräftigt wird die Leichtigkeit und Kühnheit der Handlung durch den virtuosen Duktus des zeichners, dessen Leistung dadurch mit der Kunstfertigkeit der zigeuner korrespondiert. Auch seine klaren Konturen und Schraffuren sind von Schnelligkeit und Präzision bestimmt, wie der gut choreographierte Diebstahl, der in beiden fällen ebenfalls nur ein Einfall des Künstlers und somit eine Täuschung wie das Handlesen ist.

Etwa neunzig Jahre später wird Caspare Murtola angesichts der ‚Wahrsagerin‘ sei-nem freund Caravaggio ironisch bekennen, dass er nicht wisse, ob der Maler oder die zigeunerin den größeren Betrug verübe. Circa zwanzig Jahre nach den zeichnungen wird Agrippa von Nettesheim, der zu dieser zeit noch ernsthafte Abhandlungen zur Chiromantie verfasste, die Gaukler in seiner polemischen Schrift ‚De incertitudine‘ als „Cheirisophen, das heißt Hand-Weise“13 bezeichnen. Diese Handweisen schaffen Illu-sionen durch fingerfertigkeit, Schnelligkeit und fleißiges Üben; eine umschreibung, die auch sehr gut zu den zigeunern und dem Künstler passt. Letzterer hatte sich nach dem Diktum Platons und den Exempeln Plinius’ immer auch als geschickter Täuscher sehen können.14 Das gemeinsame Artistentum lässt Alessandro Magnasco (c. 1667–1749) den liederlichen Künstler in die Mitte einer zigeunergesellschaft setzen,15 eine weitere zwischenetappe auf dem Weg zur Bohème. Wenn Burgkmairs Blätter durch die korrespondierende Geschicklichkeit und die humorvolle Parteinahme für die zigeuner am Anfang dieser Entwicklung stehen, muss auf die wichtige Bedeutung der Genrema-lerei zur Ausbildung der Bohème hingewiesen werden. Die Etablierung der Gattung eröffnete die Möglichkeit, Künstler in Wirtshäusern und ausgelassenen Volksfesten zu zeigen. Ihr Verhalten wurde in der Genremalerei immer deutlicher als abweichend konnotiert,16 was sie noch mehr in Bezug zu anderen devianten Gruppen setzte, etwa indem sie ebenso mobil waren. Der Spur dieser spielerischen Identifikation mit den zigeunern, dem gemeinsamen Artistentum und komplizenhafter Täuschung in der frühen Neuzeit kann hier nicht nachgegangen werden, sie ermöglicht jedoch auch eine neue Sicht auf Pieter Bruegels d.ä. ‚Johannespredigt‘.

III. Pieter Bruegel d.Ä. und Zigeuner als Mittel der Bildrhetorik

Bruegels ‚Johannespredigt‘ (Abb. 7) scheint die verschiedenen Projektionsebenen der zigeunerfiguren zusammenzuführen und gleichsam auf bildrhetorische Weise zu kon-trastieren.17 Am linken Bildrand vor den osmanisch gekleideten figuren wird ein Rad-hut als bloßes Versatzstück einer orientalischen Staffage erkennbar. zur Rechten von Johannes und seinem fingerzeig auf die Christusfigur folgend sitzt eine zigeunerin mit offenem Mund und aufgerissenen Augen, offenbar ergriffen von Predigt und Er-scheinung. Sie könnte also zeugenschaft und den vermeintlich intuitiven Glauben der

13 aGriPPa von nettesheiM: Incertitudine, Kap. XLVIII.14 Vgl. MüLLer: Gründe, S. 156–167.15 Vgl. zum Beispiel ‚Der knauserige Maler zwischen zigeunern und Vagabunden‘, 1738/39, Genua, Mu-

seo Giannettino Luxor; Muti: Magnasco, S. 177.16 Vgl. zum liederlichen Künstler u.a. rauPP: Ansätze, S. 403f. 17 für die folgende Analyse war MüLLer: Paradox grundlegend und ich danke an dieser Stelle Jürgen

Müller wie auch Birgit ulrike Münch für die inspirierenden Diskussionen und Anregungen.

257zigeunergenre bei Burgkmair, van Leyden und Bruegel

zigeuner repräsentieren. Ebenso sind die gefalteten Hände des osmanen zu verstehen, die sich vor dem Radhut so deutlich abheben. Beide figuren stehen für die Bekehrbar-keit des fremden, für christliche Mission und die inkludierende funktion der Predigt.

Wie eine dreieckige Kerbe im großen Kreis der zuhörerschaft ist im Vordergrund eine Nebenszene, gewissermaßen eine Gegenszene, platziert. Ein zigeunerpaar mit Kind und Hund sitzt einem Mann in spanischer Tracht gegenüber, der sich für das Handlesen vollständig von der Predigt abgewandt hat. Die kleine Gruppe bildet eine Genreszene im biblischen Thema aus und wird dadurch zur doppelten Ablenkung, indem nicht nur der Klient von der eigentlichen Handlung im Hintergrund abgelenkt wird, sondern auch der Betrachter. Es lässt sich darin also eine chiastische Disposition erkennen: Auf der einen Seite repräsentiert Johannes die eschatologische zukunft und den Glauben, dem sich die zigeunerin durch das Erkennen Christi intuitiv anschließen kann, auf der anderen Seite steht die abergläubische Vorhersage für das irdische Le-ben des Einzelnen, vertreten durch heidnische zigeuner und den Mann in spanischer Tracht. In dieser Deutung kommt dem Klient des Handlesens eine negative Rolle zu, was von besonderem Interesse ist, weil es sich um ein Porträt handeln könnte. Ein Großteil der Dargestellten hat tatsächlich puppenhafte züge, doch an einigen Stellen sind sehr individuelle Gesichter zu erkennen, was zur Identifikation von Selbstporträts geführt hat.18 Die figur des Klienten scheint eine besondere Brisanz zu haben, denn in vielen Kopien von Bruegels Söhnen, die ansonsten recht akkurat das Vorbild reprodu-

18 zur Malweise vgl. currie/aLLart: Brueg[H]el, Bd. 1, S. 142–183.

Abb. 7: Pieter Bruegel d.ä., Johannespredigt, 1565/66, Öl auf Holz. Budapest, Szépmüvészeti Múzeum.

258 Peter Bell

zieren, ist die Person getilgt.19 Allerdings muss diese Veränderung nicht zwangsläufig nur durch die figur bedingt sein, denn fällt sie weg, verschwindet auch die provokative Genreszene insgesamt und die zigeuner reihen sich in den Kreis der vielfältigen zuhö-rerschaft nahtlos ein.

In jedem fall ist bei der figur des Klienten von einem Porträt auszugehen, obgleich keine konkrete Identifizierung möglich ist. So ist schwer zu entscheiden, ob es sich um ein polemisches feindbild handelt oder lediglich um die ironische Repräsentation des Auftraggebers.

Das Porträt kann jedoch auch noch andere Aussagekraft besitzen als nur die Identi-fikation des Dargestellten. Durch die antithetische Stellung zum Bildthema erscheint es besonders kompositorisch und inhaltlich prominent und bietet sich somit nicht nur für eine politische oder religiöse Stellungnahme an, wie oft vermutet, sondern kann auch eine künstlerische Position Bruegels vermitteln. Im Gegensatz zu dem wenig Sicheren, was über Bruegels politische und religiöse Einstellung bekannt ist, kann er unbestritten als ein pictor doctus bezeichnet werden, der sich nachweislich in vielen Werken kunst-theoretisch geäußert hat. Aufbauend auf die für Burgkmair bis zur Bohème skizzierte Wahlverwandtschaft zwischen täuschendem Künstler und zigeuner ist auch die Johan-nespredigt auf diese Verbindung zu untersuchen. Bruegel hatte sich ein Jahr vor der Entstehung des Gemäldes mit seiner ‚Verleumdung des Apelles‘ entschieden gegen eine Banalisierung seiner Kunst gewehrt und sich mit dem antiken Künstler identifiziert; als topische formel taucht diese Identifikation auch in Abraham ortelius’ Nachruf wieder auf.20 Das präzise Porträt könnte eine weitere Anspielung in diese Richtung sein. Dazu muss daran erinnert werden, dass die Chiromantie zwar eine für sich behandelte Lehre in der frühen Neuzeit darstellte, jedoch im Grunde ein Spezialfall der Physiognomik war, die sich wiederum maßgeblich auf das Gesicht konzentrierte. Hand und Gesicht wurden zur Prognostik herangezogen und auch den zigeunern wurde teilweise die Kompetenz für Weissagungen auf beiden Grundlagen zugesprochen. Der Klient bietet also nicht nur seine Hand, sondern auch sein Gesicht zur Schau. Der Betrachter kann lediglich das Gesicht studieren. Durch diesen umstand entsteht eine weitere Verbin-dung zwischen Bruegel und Apelles, über den Plinius sagt:

Imagines adeo similitudinis indiscretae pinxit, ut – incredibile dictu – Apio grammati-cus scriptum reliquerit, quendam ex facile hominum divinantem, quos metoposcopos vocant, ex iis dixisse aut futurae mortis anno saut praeteritae vitae.21

Die Handleseszene rückt also durch das Porträt in einen größeren physiognomischen Rahmen, bei dem der Betrachter selbst über Alter und Lebenserwartung des Klienten mutmaßen könnte. Dass Bruegel mit seiner veristischen Partie an die Plinius Passage textgetreu erinnern möchte, mag auch zu der ungewöhnlichen Veränderung des Motivs geführt haben, denn nahezu alle anderen Handleseszenen der frühen Neuzeit zeigen

19 currie/aLLart: Brueg[H]el, Bd. 2, S. 446–483.20 Siehe KascheK: Verleumdung.21 „Er malte auch Bilder von so vollkommener ähnlichkeit, daß – unglaublich zu sagen – der Grammati-

ker Apion eine Schrift hinterließ, in der er berichtete, daß ein Mann, der nach dem Gesicht wahrsagte (man nennt solche Leute metoposkópoi [= Physiognomiker]), aus ihnen entweder das kommende Todesjahr oder die zahl der vergangenen Lebensjahre bestimmt hat.“, PLinius secunDus: Naturkunde 35, V. 88, S. 70f.

259zigeunergenre bei Burgkmair, van Leyden und Bruegel

eine Wahrsagerin. Bruegel platziert das wirklichkeitsgetreue Porträt mit der Handlese-szene wie ein Qualitätszertifikat für seine Malerei. Dabei ist es nicht isoliert, sondern bietet den Ausgangspunkt für den Betrachter, weitere Physiognomien im Bild zu stu-dieren – wie etwa den aus dem Bild schauenden Landsknecht oder Christus. Die Kon-stellation Apelles-Wahrsager-Bruegel identifiziert letzteren jedoch nicht nur mit dem antiken Vorbild, sondern thematisiert die Täuschung nun im doppelten Sinne durch die malerische und prognostische Praxis. Bruegel stellt seine Kunst damit bildkritisch und ironisch in frage. Seine Heilsgeschichte hat einen Wahrheitsanspruch, den sie nicht einhalten kann. Lediglich ein zeitgenosse kann dem Leben nach porträtiert werden. folgerichtig erscheint die Taufe Christi als heiligste Handlung des Bildes in diffuse ferne gerückt.

Die größte zahl an zigeunern innerhalb seines oeuvres versammelt Pieter Bruegel d.ä. in der ‚Volkszählung zu Bethlehem‘ (Abb. 8). Etwa in der Mitte des rechten Bild-randes versammelt sich eine Gruppe im Halbdunkel eines kleinen Holzgebäudes. Nur schemenhaft ist eine frau mit Kleinkind und Radhut zu erkennen, die in Sichtachse zur Heiligen familie die Geburt im Stall schon anzukündigen scheint. Die uns und der Käl-te abgewandte figur mit dem Radhut ist Eckpunkt eines Dreiecks von zigeunerinnen; denn etwas unterhalb von ihr stiehlt eine weitere Salat aus dem ärmlichen Garten einer kleinen Hütte und schließlich in gerader Linie darüber steht eine weitere zigeunerin

Abb. 8: Pieter Bruegel d.ä., Die Volkszählung zu Bethlehem, 1566 (?), Öl auf Holz, 115 x 164 cm. Brüssel, Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique.

260 Peter Bell

mit zwei Personen und liest möglicherweise aus der Hand. Im zentrum dieses Dreiecks findet sich ein mit druckgraphischen Vorlagen sehr gut übereinstimmender zigeuner, der die Szene vor dem Wagen zu beobachten scheint. Es ist unklar, ob die zigeuner mit den fahrzeugen in Verbindung gebracht werden können. Das Vorliebnehmen mit dem bescheidenen unterstand, der Mundraub und dem wahrscheinlichen Handlesen lassen sie zu einer typischen bzw. stereotypen zigeunergruppe werden. Der Eindruck, dass sie sich vor den Steuereintreibern verstecken würden, ist naheliegend, bei genauerem Betrachten jedoch eher abwegig, denn diesen hätten sie großflächiger aus dem Weg gehen können. Vielleicht ist sogar der Mann im deckenartigen Mantel mit auffälligem Streifenmuster in zweiter Reihe vor dem Tisch des Steuereinnehmers ein zigeuner.

Träten sie auf diese Weise in einem Bild Lucas van Leydens auf, so ließen sie sich wie Maria und Joseph als Reisende verstehen, die sich wegen der Volkszählung auf den Weg gemacht haben. Sie wären dann fremde im doppelten Sinne, denn sie repräsentier-ten den orient sowie fremde in der Stadt, wie auch Joseph im Grunde als fremder in die Vaterstadt zurückkehrt. Diese Deutung funktioniert im Bruegel -Bild jedoch nicht, denn zu sehr ist die biblische Geschichte in ein brabantisches Ambiente verflochten. Der spanische Doppeladler des amtierenden Kaisers weist weniger auf eine ungebro-chene translatio, sondern eher auf die zeitgenössische Situation von Steuerlast und Käl-teeinbruch.

Auch bei diesem Bild gibt die Kopiertätigkeit des Sohnes Pieter d.J (Abb. 9). einen Hinweis zur Interpretation.22 Auf erstaunliche Weise vermehrt sich die zahl der zigeu-ner in den Kopien. Sie wärmen sich nun auch am feuer vor dem hohen Backsteinhaus, ein Radhut erscheint im Vordergrund links am Stamm des kahlen Baumes und ganz im Hintergrund rechts offenbar unbesorgt vor geharnischten Soldaten.23 Im Gegensatz zum eng umrissenen Raum, den der Vater für die zigeuner vorsah, hat der Sohn sie in jede größere Ansammlung von Menschen integriert. Im Vordergrund und bei den Soldaten könnte es sich durch die Haltung der figuren wieder um eine Handleseszene handeln und somit die kanonische Begegnung mit dieser fremdengruppe vervielfacht worden sein. Interessanter ist deshalb der Kreis ums feuer, in dem der Sohn mal ein zigeunerpaar allein, mal mit Kind und einer weiteren zigeunerin einstreut. Ihnen ge-genüber stehen Soldaten, ohne dass ein Konflikt auszumachen wäre. Eher entsteht der Eindruck, die Menschen würden im kalten Winter enger zusammenrücken. Während Pieter Bruegel d.J. in der ‚Johannespredigt‘ das zigeunermotiv teilweise getilgt hat, pointiert er es in der Volkszählung über Gebühr. In beiden fällen weicht er ungewöhn-lich weit von der Vorlage ab. Als Epigone hatte der Sohn die Möglichkeit auf die Re-zeption der väterlichen Gemälde zu reagieren, abschwächen und verstärken zu können oder auch anachronistisch gewordene Elemente zu übergehen. Bei der Johannespredigt ist dadurch schwer zu entscheiden, ob es sich um die Rücknahme eines skandalösen Motivs oder das Entfernen eines mithin ungewünschten Porträts handelt. In der Volks-zählung ist der Befund eindeutiger. Die Idee scheint so gut aufgenommen worden zu sein, dass der Sohn die zigeunerpopulation über den gesamten Bildraum vermehrte.

22 Vgl. currie/aLLart: Brueg[H]el, Bd. 2., S. 380–445.23 Selbst innerhalb des Kopienwerks des Sohnes Pieter schwankt die zahl der zigeuner vgl. Kat. ausst.:

Breughel, S. 299. Die meisten zigeuner finden sich demnach auf dem Gemälde von Pieter Brueghel d.J. in Maastricht, Bonnefantenmuseum, Instituut Collectie Nederland, inv. 677.

261zigeunergenre bei Burgkmair, van Leyden und Bruegel

Diese Expansion rekurriert offenbar auf dem brisanten Einfall Bruegels die zigeu-ner nicht nur mit der reisenden Heiligen familie in Verbindung zu bringen, sondern sie auch mit einer Volkszählung zu konfrontieren. Als Außenseiter sind beide in das eingebunden, was man als „demographic meditation“24 bezeichnen könnte. ähnlich wie bei van Leydens ‚Quellwunder‘ zeigt sich ein Volk in seinen facetten insbesondere den Peripheren: einfachen Dörflern, Soldaten und eben den zigeunern. Es geht dabei nicht nur um die fiskalische frage, ob zigeuner Steuern zahlen müssen, sondern um die generelle frage ihrer zugehörigkeit. Der Bibelvers aus der Weihnachtsgeschichte et ibant omnes ut profiterentur singuli in suam civitatem (Lk 2,3) wird durch das Bild widersprüchlich. Denn die zigeuner können sich zwar mit jedermann aufmachen, nur die Rückkehr in die Stadt ihrer Väter ist ihnen unmöglich. Dies spiegelt im Grunde ihre Situation in der frühen Neuzeit wider, sie bewegen sich im Territorium, aber gehören zu keiner Gemeinde. Die Vorstellung, dass sie Steuern zahlen, mutet geradezu ironisch an. Während der Betrachter spekuliert, wo die zigeuner zugehörig sind, ob sie sich auf eine Vaterstadt beziehen können und warum sie überhaupt zur Volkszählung erschie-

24 FoGeL: Census, S. 2.

Abb. 9: Pieter Brueghel d.J., Die Volkszählung zu Bethlehem, vor 1616, Öl auf Holz, 112 x 162 cm (Detail). Brüssel, Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique.

262 Peter Bell

nen sind – möglicherweise zusammengetrieben von den Soldaten – in diesem Moment gerät die Heilige familie sowie die im Bild verteilten Verweise auf Mobilität in den Blick. Besonders die zentral platzierten und über das Gemälde verstreuten Wagenräder unterstreichen den Eindruck von unterwegs sein.25 Die zigeuner stehen hier wie das Rad des Schicksals für den Lebensweg des Menschen und insbesondere für seine un-behaustheit. Weder die Heilige familie noch die zigeuner können mit einer gastlichen Aufnahme in der zum Steuerbüro umfunktionierten Herberge rechnen. Doch und dies scheint die frohe Botschaft des Bildes zu sein, für Gott zählen auch diese Menschen, deren zugehörigkeit im irdischen Leben prekär bleibt.

IV. Fazit. Der nahe Fremde als Genrefigur

Die Genremalerei entfaltet sich zwischen den beiden Polen göttlicher ordnung, wie sie durch Monats- und Jahreszeitenbilder repräsentiert werden, und unordnung, etwa in Darstellungen der verkehrten Welt. Durch das abweichende Verhalten und den frem-den Habitus finden sich die zigeunerfiguren eher auf der Seite der unordnung. Doch ihre Rolle ist ambivalent und in manchen Darstellungen scheint die bloße Inszenierung der fremden figuren das Genremotiv zu motivieren.

Die drei Künstler Burgkmair, van Leyden und Bruegel repräsentieren unterschiedli-che Tendenzen zur Behandlung der zigeunerfigur in der Malerei des 16. Jahrhunderts. Bei van Leyden scheint ihre dekorative und historisierende funktion im Vordergrund zu stehen. Die figuren sind eine allgemein verständliche Chiffre für orient, ägypten und den Chronotopos des Weges. Sie sind nicht nur visuell attraktive figuren, son-dern auch mit Wissen über Herkunft und Eigenschaften verknüpft und erhöhen so die Kommunikationsmöglichkeiten des Bildes. Das zusätzliche Reflektionspotential be-gründet wohl insgesamt die Integration von Genreszenen in Historienbildern. Da die zigeunerfiguren meist zwischen Glauben und unglauben changieren, bieten sie dem Historienbild eine besondere Brisanz.

Burgkmair zeichnet hingegen autonome Genreszenen, in denen die zigeuner au-genzwinkernd karikiert und ihr geistesgegenwärtiges Geschick, ihre ‚Handweisheit‘ herausgestellt werden und mit der Virtuosität des Künstlers korrespondieren. Die fi-guren fordern vom Künstler eine gute Auffassung ihrer flinken Bewegungen und vom Betrachter einen aufmerksamen Blick für ihre Täuschungen. Der Aufbau dieser artisti-schen Verbindung sind erste Ansätze zur Ausbildung des Konzepts der Bohème.

Bruegel führt die religiösen und künstlerischen Aspekte zusammen, indem die zi-geuner in seiner Heilsgeschichte im Brabanter Ambiente historisch und gegenwärtig sind. Sie in Johannespredigt und Volkszählung nur als alltägliche Genreszene zu ver-stehen greift hingegen zu kurz. In beiden fällen dienen sie einer provozierenden Bild-aussage indem sie einmal Glaube und Aberglaube gegenüberstellen, ein andermal die frage nach der zugehörigkeit von zigeunern stellen. In beiden fällen geht es nur zu einem kleinen Teil um die durchaus thematisierte Situation des fremden, im größeren Maße sind die zigeuner jedoch nur ein Mittel, um einerseits über die Aussichten des

25 Eine ganz ähnliche fokussierung auf Wagenräder findet sich in Callots ‚zigeunerserie‘, vgl. BeLL/sucKow: unordnung, S. 88.

263zigeunergenre bei Burgkmair, van Leyden und Bruegel

Menschen und den göttlichen Heilsplan zu reflektieren oder um die täuschende Virtu-osität des Künstlers zu würdigen.

Bildnachweise

Abb. 1: foto: Erwin Pokorny (Wien). Abb. 2: FiLeDt KoK: Dance, S. 34, Abb. 27.Abb. 3: BeLL/sucKow: Lebenslinien, S. 510, Abb. 7.Abb. 4: BeLL/sucKow: Lebenslinien, S. 511, Abb. 8.Abb. 5: BeLL/sucKow: Lebenslinien, S. 524, Abb. 23.Abb. 6: BjurströM: Drawings, Nr. 35.Abb. 7: BeLL/sucKow: Lebenslinien, S. 508, Abb. 4. Abb. 8: currie/aLLart: Brueg[H]el, S. 100, Abb. 15.Abb. 9: Kat. ausst.: Breughel, S. 295, Kat. Nr. 97.

Quellen und Literatur

Quellen

aGriPPa von nettesheiM, heinrich corneLius: De incertitudine. Über die fragwürdigkeit, ja Nichtigkeit, der Wissenschaften, Künste und Gewerbe (1530), Berlin 1983. [= De incerti-tudine]

GroneMeyer, reiMer: zigeuner im Spiegel früher Chroniken und Abhandlungen. Quellen vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, Gießen 1987. [= zigeuner]

PLinius secunDus, Gaius: Naturkunde. Lateinisch – deutsch, Bd. 35: farben, Malerei, Plastik, Darmstadt 1978. [= Naturkunde]

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Literatur

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IV. Das Privathaus als Erlebnisraum: Wandmalerei und material culture der Genrekunst

Harald Wolter-von dem Knesebeck

Die Bedeutung des Themenkreises ‚Haus‘ in der profanen Wandmalerei des Spätmittelalters für die Genese der Genremalerei

I. Einleitung

Nach einer verbreiteten konventionellen Definition sind frühneuzeitliche Genrebilder „realistisch wirkende Darstellungen aus dem Alltagsleben mit anonymen figuren“.1 Diese Bilder sparten gerade auch die Niederungen der Gesellschaft nicht aus. Sie zeigten etwa die dumpfen Bauern in den Tavernen, sie spießten die allgegenwärtigen menschlichen Schwächen in Bädern und Bordellen auf. Auf diese Weise boten sie ne-ben Augenlust und Spaß auch didaktisch aktivierbare Botschaften. Diese Botschaften waren konventionell wie die Sprichwörter, die bisweilen hinter den Bilderfindungen stehen, wenn etwa bei Gerard ter Borch ein Sprichwort vom ‚Hundeflöhen‘ als Bild für sinnloses Tun und für faulheit nutzt, das zuvor schon in einer Art Allegorie der faul-heit im didaktischen zusammenhang verbildlicht worden war.2 Auch die spätmittelal-terlichen profanen Wandmalereien bieten solch konventionelle Botschaften. Sie bilden dabei gerade für die Themenkreise Bauern, Bäder und Bordelle Vorläufer. In meinem Beitrag sollen sie daher als eine der Wurzeln der Genremalerei vorgestellt werden. Dies verspricht zudem vergnüglich zu werden, geht der Blick doch zu Schlaraffenäbten und Spielern, faulenzern und ‚Verlorenen Söhnen‘.

Auch auf diese Themenkreise der profanen Wandmalerei kann eine Kernthese meiner Habilitation zur profanen Wandmalerei im Mittelalter angewandt werden: die zweifache Bindung der profanen Wandmalerei zum Haus.3 Das Haus war zum einen Träger dieser Wandmalereien: Die Bilder erfuhren in ihrer konkreten Verbindung zum Haus einen Bedeutungszuwachs, das heißt in ihrer Anbringung an bestimmten or-ten des Raums oder aber in kalkulierten Gegenüberstellungen in diesen Räumen. So verbindet sich die Trinkerszene der gleich noch näher zu betrachtenden Wandmale-reien auf Burg Brandis (Abb. 4–5) mit der Sitznische neben ihr, in der eine Weinernte (Abb. 6) den möglichen ort des Weingenusses in diesem Raum auszeichnet. Wichtiger für die Genese der Genremalerei ist aber die zweite Verbindung der profanen Wandma-lereien zum Haus. In dieser erweist sich mit dem Haus eine wesentliche Institution und ordnungsfigur des vormodernen Menschen als ein zentrales Thema profaner Wand-malerei. Die Wandmalereien thematisieren das Haus, indem sie affirmativ oder in der didaktischen umkehrung des schlechten Beispiels seine ordnung betrachten. Hierbei

1 rauPP: Malerei, S. 2.2 rauPP: Ansätze, S. 413–418, Abb. 5.3 woLter-von DeM KneseBecK: Bilder; vgl. woLter-von DeM KneseBecK: Hûsêre; woLter-von DeM

KneseBecK: Verwendung, bes. S. 333.

268 Harald Wolter-von dem Knesebeck

Abb. 1a–b: Hessenhof, Mann mit Willkommenstrunk im Eingang zum Iweinsaal, zeichnung.

269Die Bedeutung des Themenkreises ‚Haus‘ in der profanen Wandmalerei

gilt das Interesse insbesondere der Hierarchie zwischen den Geschlechtern oder den Generationen und Ständen, es gilt der ordnung, die zwischen dem Hausherr als ‚wirt‘, seiner ‚wirtin‘, den Kindern und dem Gesinde herrschen sollte. Hinzu tritt ein weite-rer Aspekt. funktioniert ein Haus und ist gut bestellt, so kann es auch gastfreundlich sein. Nur dann besitzt es auch eine ‚Hausehre‘, wie man damals die Gastfreundschaft in allgemeiner und umfassender Weise bezeichnete. Ausweis dieser Hausehre ist etwa der Mann mit dem Willkommenstrunk (Abb. 1a), der im Eingang zum Iweinsaal des Hessenhofes in Schmalkalden (Abb. 1b) Teil der Ausmalung dieses Raumes ist. Indem er bildlich jedem eintretenden Gast den Willkomm entbietet, versinnbildlicht er die Hausehre des Hessenhofes und seiner Bewohner. Bei den in der profanen Wandmalerei sehr beliebten Darstellungen von Häusern ohne Hausehre steht hingegen mit der ord-nung des Hauses auch die ordnung der Welt auf dem Kopf. Bei einem solch lehrhaften Exempel der ‚Verkehrten Welt‘ wie auf Schloss Moos in Eppan ist es in der Darstellung der Minnemacht die Hierarchie der Geschlechter.4 um solch lehrhafte Exempel der ‚Verkehrten Welt‘ wird es im folgenden hauptsächlich gehen. für positive wie negative Beispiele ist der ‚geistige Überbau‘ des Hauses das verbindende Element. Das Thema Haus führt die sonst so disparaten Themen der profanen Wandmalerei zusammen, auf der Burg ebenso wie im oberschichtigen Stadthaus.

Profane Wandmalereien treten im Mittelalter in einer fülle von organisations-formen auf. Sie erscheinen etwa als zyklen zu Stoffen, die auch literarisch verarbei-tet wurden. zyklen zum Artusroman bieten bereits die frühesten Beispiele für pro-fane Wandmalerei im deutschsprachigen Bereich, die beiden aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammenden Iweinzyklen auf Burg Rodenegg bei Brixen und dem städtischen Amtssitz der Landesherrschaft, dem Hessenhof, in Schmalkalden.5 für die Genese der Genremalerei sind aber vor allem die inhaltlich eher locker gefügten Bild-zusammenstellungen von Interesse, die nicht durch einen durchgehenden Erzählstrang verbunden sind.6 Ich möchte sie hier unter dem Begriff der kompositen Programme subsummieren. zuerst im städtischen Raum massiert, dominieren sie anscheinend schnell die gesamten profanen Wandmalereien mit szenisch-figürlichem Schwerpunkt.

Meine beiden Hauptbeispiele für solche Programme werden die Wandmalereien auf Schloss Brandis in Maienfeld und im Pfarrhaus von ostermiething zwischen Salzburg und Braunau sein. Bei beiden stellen sich fragen, die auch bei manchem Genrebild auf-treten. ob und in welchem Verhältnis stehen die Bilder zu literarischen Vorlagen? Wie lösen sich Themenbereiche von benennbaren Personen und ihrer Geschichte ab, um

4 woLter-von DeM KneseBecK: Spannungsverhältnisse, bes. S. 497–500. zur ‚Verkehrten Welt‘ allgemein vgl. etwa KunzLe: World; GrössinGer: World; jones: Middle Ages.

5 Grundlegend zu Rodenegg und Schmalkalden sind Bonnet: Rodenegg; rushinG: Images, S. 30–132; schuPP/szKLenar: Ywain; zu Rodenegg zudem staMPFer: Rodenegg; hörMann-weinGartner: Bur-genbuch, Bd. 9, S. 8–42 (joseF nössinG/MaGDaLena hörMann), bes. S. 37–40 (MaGDaLena hör-Mann), zur germanistischen Bewertung vgl. etwa curschMann: Environment; curschMann: Wandel; curschMann: Wort, S. 402–407, neuere kunsthistorische untersuchungen bei GreuB: Tafelrunde; MühLeMann: Erec; zu Schmalkalden vgl. vor allem GerLanD: Wandmalereien; weBer: Iweinbilder; weBer: Kreis; insbesondere aber MöLLer: untersuchungen.

6 Vgl. allgemein zu den Dekorationssystemen Gutscher-schMiD: Repräsentationsräume und jetzt Mei-er: Dekorationssysteme.

270 Harald Wolter-von dem Knesebeck

zu Bildern allgemein menschlichen Verhaltens anonymen Personals mit sinnbildlich-didaktischem Potential im Sinne der Genremalerei zu werden?

Gerade unter diesem Gesichtspunkt scheint mir im deutschsprachigen Raum die Geschichte bzw. mehr noch der Motivkreis des ‚Verlorenen Sohns‘ der Bibel als Ver-schwender oder Prasser, als Prodigus, interessant zu sein. Der Prodigus ist von einer bisher noch nicht erkannten, geradezu paradigmatischen Bedeutung für die thematisch so vielgestaltigen kompositen Programme der profanen Wandmalerei, wie sie vor allem das 14. Jahrhundert bietet.7 Auch als wichtiges Thema der frühen Genremalerei, dem Konrad Renger eine eigene Monographie gewidmet hat, verdient der Themenkreis hier Beachtung.8

Im Gleichnis des Lukas-Evangelium (Kap. 15, 11–32) lässt sich der jüngere von zwei Söhnen vom Vater sein Erbe auszahlen und bringt es in der fremde durch – vivendo luxuriose, wie es bei Lk. 15, Vers 13 heißt. In bitterer Armut hungernd beschließt er, nach Hause zurückzukehren, um dort als Knecht zu dienen. Sein Vater aber empfängt ihn voller freude und nimmt ihn mit einem fest wieder als Sohn auf. Die Moral von der Geschichte verkündet der Vater dem braven, daheimgebliebenen Sohn: Dein Bru-der war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden (Lk. 15, 24 beziehungsweise 32). Gott nimmt ebenso freudig jeden reuigen Sünder auf wie der Vater den ‚Verlorenen Sohn‘. Trotz der inhaltlichen Bedeutung und der hohen erzählerischen Qualitäten des Gleichnisses hatte dieses lange zeit keine Bildtradition. Vielmehr tritt es eher unvermittelt in den Glasfenstern der gotischen Kathedralen städ-tischer zentren frankreichs in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf, wie etwa um 1220 in Bourges.9 Dort ist es ein bilderreicher, komplex in Vor- und Rückbezügen ge-gliederter Großzyklus. In der Bibel wird das Prasserleben des ‚Verlorenen Sohnes‘ nur ganz kurz erwähnt: neben der feststellung, dass der jüngere Sohn sein Erbe mit Prassen durchgebracht habe (Lk. 15, 13), klingt dies nur im Vorwurf des daheimgebliebenen Bruders in einem Halbsatz an (Lk. 15, 30), dass dieser sein Gut mit Dirnen durchge-bracht hätte. In den neuen Großzyklen liegt hingegen der Schwerpunkt eindeutig auf der Vita luxuriosa des Prodigus in Bordell und Gasthaus, wofür auf die zunehmende Verstädterung und Monetarisierung des Mittelalters und die hiermit verbundenen Ge-fahren hingewiesen werden kann.

II. Der Prodigus und die Vita luxuriosa

So verwundert es nicht, dass das Gleichnis in zyklischer form auch in der profanen Wandmalerei nachweisbar ist. Ein Beispiel sind die 1986 entdeckten Wandmalereien (Abb. 2) in der Diele des Hauses fischergrube 20 in Lübeck. Es war zur Entstehungs-zeit der Wandmalereien zwischen 1330 und 1350 im Besitz von Kaufleuten bzw. damals noch mit Stoffen handelnden Gewandschneidern.10 zwischen floralem Wanddekor un-

7 zu diesem Stoff vgl. KirschBauM: Lexikon, Bd. 4, Sp. 172–174, s.v. Sohn, Verlorener (KLaus ziMMer-Manns); vor allem aber KeMP: Erzählung und schiroK: Wandmalereien, S. 291–293, mit älterer Litera-tur.

8 renGer: Gesellschaft.9 KeMP: Erzählung, bes. S. 46–56.10 Vgl. schiroK: Wandmalereien, S. 288–295; BrocKow: Deckenmalerei, S. 116–121, 323f.

271Die Bedeutung des Themenkreises ‚Haus‘ in der profanen Wandmalerei

ten und einem Wappenfries sind Reste von vier Szenen eines Bildfrieses erhalten geblie-ben. Sie spielen alle im Bordell. Die erste Szene, von der nur ein Tisch erhalten blieb, zeigte wohl das Gastmahl, folgt ihr doch das Spiel, das den Verlust des Rockes in der dritten Szene bedingt. Geht mit dem Rock das letzte Geld dahin, so quittieren dies die Huren mit dem Tanz der Spinnrochen auf dem Haupt des Prodigus. Solch unwürdige Prügel setzt sich auch noch in der nächsten Szene vor der Tür des Bordells fort. Wie in der Kathedrale von Bourges ist hier wiederum das Scheitern des Prodigus in der Welt drastisch und kleinteilig erzählt.11 Die Diele des Hauses fischergrube 20 ist dabei der ort des Hauses, den die Gäste und Kunden des Kaufmanns zuerst betraten. Hier zeig-ten die Malereien, dass der Hausbesitzer ein kluger Mann ist, der über konventionelles Wissen um die ordnung der Welt und ihre Gefahren verfügt, was ihn auch als Ge-schäftspartner empfahl. Eine solche Ausrichtung gilt auch für die viel häufigeren fälle, in denen der Themenkreis des Prodigus die Bindung zur Bibel vollständig verliert. In diesen fällen ist es lediglich der Motivkreis der Vita luxuriosa des Prodigus, der in vielfältigen Variationen in komposite Programme eingebettet wird. Auch hier kann die Prodigus-Thematik ebenso unterhalten wie in dem geschilderten, hausbezogenen Sinn über die Welt und über den Menschen belehren.

11 schiroK: Wandmalereien, S. 293, schlug für die verbliebene Mauerfläche links von den erhaltenen fragmenten, auf der noch Platz für etwa drei den erhaltenen Szenen vorangehende Bildfelder wäre, „1. Erbteilforderung, 2. Aufbruch, 3. Empfang bei den Dirnen“ vor.

Abb. 2: Lübeck, fischergrube 20, Diele, fragment mit dem zyklus zum ‚Verlorenen Sohn‘, Wandmalerei.

272 Harald Wolter-von dem Knesebeck

III. Schloss Brandis in Maienfeld (Graubünden)

Dies gilt etwa für mein erstes Hauptbeispiel, die im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts entstandenen Wandmalereien von Schloss Brandis in Maienfeld in Graubünden.12 Sie befinden sich oben im ehemals vierten Geschoss (Abb. 3) des mittelalterlichen Tur-mes der Burg. Die teilweise stark geschädigten Wandmalereien erlauben die Rekonst-ruktion der ehemaligen Ausmaße von drei Räumen rund um das Treppenhaus, deren Binnenwände mit den dort zu vermutenden Wandmalereien allerdings verloren sind.13 Während zwei Räume nur Quadermalerei aufweisen, ist der am besten belichtete große Raum im Südosten (Abb. 4) zudem mit figürlichen Malereien versehen, die in und rund um die zwei fensternischen der Außenwand erhalten blieben. Indem die figuren wie-derum vor Quadermauerwerk gesetzt sind, liegt eine bewusste Steigerung vor. Besitzt dieses Mauerwerk oben einen zinnenkranz, so scheinen die Szenen vor den Mauern einer Stadt oder Burg auf einem Anger zu spielen.

12 Grundlegend sind rahn: Bilderfolgen; reicheL: Meister, S. 107–115, 122f., 174, mit der Werkstattzu-schreibung und einer Herleitung aus der Malerei aus dem Gebiet um zürich- und Bodensee, insbeson-dere im Hinblick auf den Grundstockmeister des ‚Codex Manesse‘; raiMann: Wandmalerei, S. 276–285 sowie sPäni: Elefant, insbesondere zur forschungsgeschichte im Hinblick auf die vermeintlichen Dietrich- und Ecke-Szenen und zur philologisch-überlieferungsgeschichtlichen Problematik der Be-stimmung dieser Szenen als Episoden der ‚Þiðreks saga‘, mit ausführlicher Literaturzusammenstellung. zur Kneipenszene vgl. auch Kat. ausst.: frouwen, S. 289 (Dione FLühLer-Kreis), zu den Samsonsze-nen in typologischer und moralisierender Deutung vgl. saurMa-jeLtsch: Interpretation, S. 293.

13 Bis auf den zum Treppenhaus gehörenden Teil war das Geschoss komplett in einer Phase im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts durch den Meister von Waltensburg, der eine Vielzahl von Kirchenausma-lungen in der Region schuf, ausgemalt worden. zu dieser Werkstatt vgl. reicheL: Meister; raiMann: Wandmalerei.

Abb. 3: Maienfeld, Burg Brandis, ehemaliges viertes Turmgeschoss, Grundriss.

273Die Bedeutung des Themenkreises ‚Haus‘ in der profanen Wandmalerei

Abb. 4: Maienfeld, Burg Brandis, Gesamtansicht der Wandmalereien, zeichnung.

Abb. 5: Maienfeld, Burg Brandis, Prügelnde im Wirtshaus, zeichnung.

274 Harald Wolter-von dem Knesebeck

Auf der Wand links der fensternische im osten (Abb. 5) prügeln sich groß di-mensionierte Spieler über ein Spielbrett hinweg. Rechts der Nische (Abb. 4) erscheint ein Baumgarten, der sich übereck auf der benachbarten Wand fortsetzt. Hier kniet ein Mann mit verschränkten Armen vor seiner Dame. Rechts von der anschließenden fensternische sehen Personen aus der offenen Loggia eines hohen Gebäudes hervor. In den fensternischen befinden sich in den seitlichen Laibungen neben der Wein-ernte (Abb. 6) drei Darstellungen, die bisher zumeist als Szenen aus der Dietrichepik (Abb. 7) gedeutet wurden, oben aber fünf Szenen zur Geschichte des Samson (Abb. 8). Es liegt somit ein komposites Programm vor, das sich vor allem in den fensternischen konzentriert.

Das Wirtshausbild (Abb. 5) ist eindeutig mit dem Themenkreis Vita luxuriosa verbunden. Es zeigt zwei sich prügelnde Spieler in unterhosen, die somit Geld und Kleider bereits verspielt haben. Gewinner ist daher wohl lediglich der Wirt links, der gerade Wein zapft. Der junge Mann neben ihm mit dem Weinglas an den Lippen dürfte hingegen das nächste opfer sein. Die Wirtshausszene ist – wie gesagt – auf die fens-ternische neben ihr bezogen. Dort ist links eine Weinernte (Abb. 6) um eine auch für Weingläser taugliche Licht- und Gerätenische organisiert. Mit dem Wein liefert sie die Grundlage für die Wirtshausszene. Auf der rechten Wand gegenüber ist ihr mitnichten eine Kampfszene aus der Dietrichepik (Abb. 7) gegenübergestellt, sondern vielmehr eine Art Kampfparodie. Statt dem Kampf zwischen Recken ist hier zu Pferde eine frau zu sehen, die an ihrem geblümten Gewand und ihrem mit zierborten versehenen Kopf-tuch erkennbar ist. Sie greift mit einer lanzenartigen Stange einen Mann oder eher des-sen Sitzgelegenheit an. Diese ist ein fass, wie das charakteristische gebogene Profil und die reifenförmigen Eisenringe zeigen. Ein Ritt auf einem solchen fass ist zum Beispiel auf dem romanischen Relief der Stiftskirche St. Peter und Paul in Andlau anzutreffen.14 Der rittlings auf einem fass sitzende Teufel fängt hier einen Wirt, der mit falschem Maß ausgeschenkt hatte.

In Brandis versucht der Mann sein fass mit seinem Schwert zu verteidigen. Nach seinem fußlangen Gewand mit Kapuze zu schließen, ist er ein Kleriker. Er gehört da-mit zu denjenigen Klerikern, die ihre Tage in der Kneipe unter Trinkern und Spielern verbringen, um ihren opfern das letzte Hemd abzunehmen. Berühmt ist die Selbst-beschreibung eines solchen Klerikers, des Abbas Cucaniensis, in einem im Tone einer Liturgieparodie gehaltenen Gedicht der berühmten ‚Carmina Burana‘:

EGo Sum abbas Cucaniensis,/et consilium meum est cum bibulis,/et in secta Decii uoluntas mea est,/et qui mane me quesierit in taberna,/post uesperam nudus egre-dietur,/et sic denudatus ueste clamabit:/‚wafna, wafna!/quid fecisti, Sors turpissima?/nostrę vitę gaudia/abstulisti omnia.15

14 Vgl. Bruhin: Skulpturen, bes. S. 95–97, 107, Abb. 5.15 voLLMann: Carmina, Nr. 222, Kommentar auf S. 1252 mit Nachweis der zitierten Bibelstellen. Über-

setzung, S. 695: „Ich bin der Schlaraffenabt, und meine Ratgeber sind die zechbrüder, und meine Liebe gilt dem orden des Decius, und wer mich morgens in der Schenke aufsucht, wird sie nach der Vesper nackt verlassen und so, seines Gewandes beraubt, rufen: ‚Mordio, mordio! Was hast du getan, du Hure fortuna? Alle freuden unseres Lebens hast du geraubt!“. Decius galt als Patron der Würfelspieler.

275Die Bedeutung des Themenkreises ‚Haus‘ in der profanen Wandmalerei

Abb. 6: Maienfeld, Burg Brandis, Weinernte, zeichnung.

Abb. 7: Maienfeld, Burg Brandis, Kampf um das fass, zeichnung.

276 Harald Wolter-von dem Knesebeck

Der Abbas Cucaniensis16 gehört zum weiten feld der mit Schwankmotiven angereicher-ten Kritik am Klerus. In deren Rahmen erscheint etwa ein versoffener benediktinischer Cellerar in der bekannten satirischen Initialminiatur im ‚Régime de corps‘ des Aldeb-randino da Siena aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts.17 Das Verhältnis solcher Kle-riker zu den frauen ist natürlich ebenfalls zweifelhaft und kritikwürdig. So ist ein mit einer frau tjostierender Kleriker gegen Ende des 13. Jahrhunderts in der überhaupt an Klerikerparodien reichen gotischen Marginalillustration zu finden.18 Ein Kleriker wie Rost, Kirchherr von Sarnen, tritt im ‚Codex Manesse‘ ebenfalls in eine eher seltsame bis fragwürdige Beziehung zu einer frau.19 In Brandis führt der Kleriker auf seinem vor einer frau zu verteidigenden fass die Weinernte gegenüber auf der anderen Wand der fensternische ebenso in einem komischen Bild zu ihren Konsequenzen weiter wie die prügelnden Spieler links vor der Nische. Sind diese beiden Szenen inhaltlich sehr dezi-diert, so handelt es sich bei den beiden Darstellungen der Laibungen des südwestlichen fensters, die ebenfalls mit Dietrich und Ecke verbunden wurden, einfach um sehr ver-breitete Bildkürzel für ritterlichen Kampf und für die Welt der Monstren und Bestien.20

Deutlich als zyklus angelegt sind auf Brandis nur die Samsonszenen (Abb. 8), wel-che oben in der Nischenlaibung die beiden fensternischen verbinden.21 Sie beginnen in der südwestlichen fensternische mit der Bezwingung des Löwen und dem Sieg über die Philister. In der südöstlichen fensternische sieht man den fall und Tod des Helden.

16 Nach dem französischen cocagne für das Land der schlemmenden faulenzer, das aber erst von Sebasti-an Brant seinen deutschen Namen ‚Schlaraffenland‘ erhielt, vgl. PLeij: Traum, S. 44–52.

17 London, British Library, Sloane MS. 2435, fol. 44v, vgl. PaLMer: Bacchus, S. 205, Abb. 6 sowie allge-mein zur Darstellung der Trunkenheit im Mittelalter PaLMer: Bacchus, S. 204f.

18 Lancelot du Lac, New Haven, Yale university Library, Pl. 3, fol. 100v, (pikardisch, spätes 13. Jh.), vgl. ranDaLL: Images, Abb. 706; MüLLer: Minnebilder, Abb. 47, wobei der Kleriker ebenso mit brechen-der Lanze und schmerzverzerrtem Gesicht zu unterliegen scheint wie der Ritter einer auf ziegen- und Geißbock ausgetragenen Tjost, bei der er vom Rücken fällt, vgl. ranDaLL: Images, Abb. 710, London, British Museum, Yates Thompson, Ms. 8, fol. 224r, Breviar für Marguerit de Bar, (Lorraine, vollendet nach 1302). Dem Ansturm einer frau mit Schild und einem Kunkel statt der Lanze hat ein Ritter in dem oben erwähnten Lancelot-Roman der Yale university Library, fol. 329r, nur noch einen wohl ver-geblich Einhalt gebietenden Handgestus entgegen zu setzen, ansonsten ist er waffenlos, vgl. ranDaLL: Images, Abb. 709, vgl. auch Abb. 708.

19 Heidelberg, universitätsbibliothek, Pal. Germ. 848, fol. 285r, vgl. waLther: Miniaturen, S. 192f., Taf. 94.

20 Die beiden nur mit kleinen Buckelschilden sich schützenden Schwertkämpfer links sind etwa in der Casa di Guardia in Avio im Etschtal nahe Rovereto aus dem Trecento in vergleichbarer Größe mit anderen Bildern ritterlicher Übung und Bewährung vereint, vgl. avancini: Trentino, bes. S. 552–568, Abb. auf S. 559. Sie dienen als Bild der Luctatio – d.h. fechtübung – in den Handschriften des ‚Tacui-num sanitatis‘ vom Ende des Trecento, vgl. das Tacuinum sanitatis der Cerruti bzw. des Trienter Bi-schofs Georg von Lichtenstein, Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. S. N. 2644, vgl. anonyM: Hausbuch, S. 190. Die beiden übrigen Darstellungen erscheinen schon in ihrer Anordnung um eine Nische wie füllsel. Mit dem Kriegselefanten mit Turm auf dem Rücken und dem Greifen bie-ten sie ebenfalls weit verbreitetes Bildgut, das keine zwingende Verbindung zum Dietrich-Stoff besitzt. Vgl. auch sPäni: Elefant, S. 474f., der sie aber in zusammenhang mit „gemischten Ensembles“ (vgl. zu dem Begriff curschMann: Aventiure, S. 433), die auf Balkendecken oder in opus-sectile-Dekor auf-treten, und die keine ordnungsstrukturen haben, verortet, während ich in Brandis eben gerade größere Bildkreise, die von den thematischen Schwerpunkten der beiden Teile der Samsonvita herzuleiten sind, in den und um die beiden fensternischen ausmache.

21 Vgl. allgemein KirschBauM: Lexikon, Bd. 4, Sp. 30–38, s.v. Samson, mit Literatur; zu Samson in der profanen Wandmalerei vgl. saurMa-jeLtsch: Interpretation, S. 292f.

277Die Bedeutung des Themenkreises ‚Haus‘ in der profanen Wandmalerei

Auf den von Dalila geschorenen Samson folgt sein Versuch, nach der Blendung einen Baum auszureißen, was ihm dank der mit dem Haupthaar wieder nachgewachsenen Kräfte auch gelingt, und schließlich sein Tod, als der dank der erneuerten Kräfte das Haus der Philister bei deren Dagonsfest zum Einsturz bringt. Samson wird dabei zu-sammen mit vielen seiner feinde unter den Trümmern begraben.

Die Szenenverteilung des Samsonzyklus ist dabei genau auf die soeben herausgear-beiteten Schwerpunkte der beiden fensternischen bezogen. Die großen Taten Samsons gegen Mensch und Tier überfangen die Kampfszene und die Bestien. Seine Blendung durch Dalila und das Ende unter dem einstürzenden Haus verbinden sich mit den Sze-nen zur Vita luxuriosa rund um die Weinernte (Abb. 5–7). Die Minneszene zwischen beiden Nischen (Abb. 4) bleibt dabei vielleicht bewusst inhaltlich wie räumlich in der Schwebe. Sie könnte hierdurch und vor dem Hintergrund der restlichen Malereien An-lass zum Minnediskurs gegeben haben.

Den Kern der Geschichte, nämlich das Gegensatzpaar des starken Samson mit dem Löwen und des schwachen Samson mit Dalila (Abb. 8), zeigt auch der in etwa zeit-genössische zyklus der Minnesklaven auf dem Maltererteppich.22 Auf Brandis rückt dieses Bildpaar in eine räumlich organisierte, den ganzen Raum beherrschende Kont-rastbeziehung.23 Die auf die Genremalerei vorausweisenden Kneipenszenen rund um die Weinernte werden durch ihre Verbindung mit der Samsonthematik als negative Exempel didaktisch noch besser aktivierbar und lesbar. Sie demonstrieren Wissen um die Hausehre und den für sie zentralen guten Trunk. Damit zeigen sie gerade auch im negativen Beispiel konventionelles Wissen um die Welt und ihre Gefahren.

22 Vgl. etwa rushinG: Images, S. 219–244.23 Auch der den Baum ausreißende Samson erscheint wie ein inhaltlich akzentuiertes Gegenbild zu der

vorhergehenden Dalilaszene und geradezu attributiv zu ihr, hält hier doch Samson den Baum ähnlich umfasst wie zuvor Dalila ihn selbst umfangen hatte.

Abb. 8: Maienfeld, Burg Brandis, Samsonszenen, zeichnung.

278 Harald Wolter-von dem Knesebeck

IV. Der ausgemalte Saal im alten Pfarrhaus von Ostermiething

Auch die kaum bekannte Ausmalung des tonnengewölbten Raumes im ehemaligen Pfarrhaus in ostermiething (Abb. 9, Taf. 17; Abb. 10), etwa 30 Kilometer nördlich von Salzburg, der bis vor kurzem als Sakristei der Kapelle des jüngst aufgelösten Al-tenheims der Gemeinde diente, bietet eine solche spannungsreiche Grundstruktur.24 Die Inschrift des Portals des zweistöckigen Gebäudes nennt Bauherrn und ungefähre Entstehungszeit:

Hanc·structuram·fecit·fieri·honorabilis·vir·dominus/Arnoldus·Taubenprunerde·Salczburga·pleban(us)/In·ostermu(n)ting·Anno·domini.M°CCCC°LXIJ25

[Dieses Gebäude ließ der ehrbare Mann, Herr Pfarrer Arnoldus Taubenprunner aus Salzburg, im Jahre des Herrn 1462 in ostermiething errichten.]

24 zu ihnen liegt bisher nur eine im Privatdruck erschienene Monographie des ostermiethinger Vete-rinärarztes Hans Schwaiger, vgl. schwaiGer: fresken und eine ungedruckte kunstgeschichtliche Di-plomarbeit von Verena Dahlitz (DahLitz: Wandmalerei) als monographische Schriften vor; erwähnt werden die Wandmalereien ansonsten nur kurz in Denkmaltopographien und Kunstführern sowie lokalkundlich bzw. lokalgeschichtlich ausgerichteten Beiträgen anlässlich der Restaurierungen der Wandmalereien bei Martin: Braunau, S. 290; hainisch: Kunstdenkmäler, S. 223f; PrettereBner: Kunstschatz; röcK: Welt. Im zusammenhang mit zeitgenössischer profaner Wandmalerei bei woLter-von DeM KneseBecK: Hûsêre, S. 22–41, bes. S. 35, fig. 2–11; woLter-von DeM KneseBecK: Verwen-dung, S. 333–352, bes. S. 345f., Abb. 17. Ich danke Gotthard Kießling, Warburg, für seinen Hinweis auf die Wandmalereien und einen gemeinsamen ersten Besuch in ostermiething.

25 Vgl. Martin: Braunau, S. 290; DahLitz: Wandmalerei, S. 11, Abb. 1.

Abb. 10: ostermiething, Altes Pfarrhaus, Blick nach Süden.

279Die Bedeutung des Themenkreises ‚Haus‘ in der profanen Wandmalerei

Auch die Wandmalereien des Hauses entstanden im Auftrag Taubenprunners, der 1460 Pfarrer in ostermiething geworden war, zeigen diese doch über dem heute zugesetz-ten zugang am Nordende der Westwand (Abb. 11) sein Wappen aus drei ineinander gewundenen Ringen.26 Die demnach nach 1462 und noch zu Lebzeiten des Pfarrers wohl um 1470/80 entstandenen Malereien wurden in den 1940er Jahren entdeckt und freigelegt und nach untersuchungen im Jahre 1974 in den Jahren 1978–1979 restau-riert, wobei insbesondere fehlstellen des mit Granatapfelmuster versehenen Teppich-

26 Vgl. schwaiGer: fresken, S. 9–11; DahLitz: Wandmalerei, S. 11f. Taubenprunner scheint über gewisse Mittel verfügt zu haben, veranlasste er doch den Taufstein seiner Pfarrkirche, der sein Wappen auf-weist, und sogar den Grabstein seines Vorgängers, der ebenso wie der Taufstein in die barocke Pfarr-kirche ostermiethings übernommen wurde, wo der Grabstein heute als Altarplatte dient, vgl. Martin: Braunau, S. 287f.; zu Tauf- und Grabstein vgl. auch einsieDL: Pfarrkirche, S. 13. Mir scheint Arnold Taubenprunner darüber hinaus mit dem dasselbe Wappen führenden Arnold Taubenprunner identisch zu sein, der bereits 1446 ein Pfarrhaus, dasjenige von St. oswald in Kapfenberg in der obersteiermark, errichten ließ. Dort findet sich wiederum, diesmal um sein charakteristisches Wappen organisiert, eine Inschriftentafel, die besagt: Ha(n)c structura(m) fecit d(omi)n(u)s Arnold(us) Taubenprunner. Aufgrund der Missdeutung des Wappens als dasjenige eines Ringelschmieds bzw. der fehlinterpretation des Ter-minus fecit scheint in der lokalen Überlieferung aus diesem Pfarrhaus ein ehemaliges Gewerkenhaus bzw. aus Taubenprunner ein Baumeister geworden zu sein. Ich danke Johann Konrad Eberlein, Graz, für seine Hilfe bei dem Besuch dieses Pfarrhauses.

Abb. 11: ostermiething, Altes Pfarrhaus, Wappen Taubenprunners über ehemaligen Eingang am Nordende der Westwand.

280 Harald Wolter-von dem Knesebeck

behangs der Sockelzone und teilweise wohl auch Konturen und Binnenzeichnungen, insbesondere der Gesichter, ergänzt wurden.27

Der längsrechteckige von Nord nach Süd gestreckte, bis 3,5 m Höhe hinaufreichen-de und über den Längswänden im Westen und osten tonnengewölbte Raum mit den Ausmaßen von 6,2 x 4,05 m war ursprünglich vollständig auf einem nur in einer Schicht aufgetragenen, stark welligen, geglätteten Kalkmörtel ohne Kalkgrundierung ausge-malt.28 Seine drei Eingänge befanden sich im Nordteil des Raums, wobei nur noch der Eingang in der Nordwand selbst offen ist. So blieben auf den Längswänden lange ge-schlossene Wandflächen, von denen die Westliche am südlichen Ende allerdings durch einen späteren Türeinbruch und im zentrum durch einen großflächigen Putzverlust beeinträchtigt wurde. Die einzige fensteröffnung des Raumes ging ehemals nach Sü-den (Abb. 10), wo sich ein von floraler Wandmalerei umgebener, heute verlorener Er-ker befand, heute aber der Anbau des Altenheims von 1967 anschließt. Der Raum war daher im Sommer kühl, im Winter durch den Kamin am nördlichen Ende der ostwand zu heizen. Er konnte daher dem Hausherrn und seinen Gästen als Refugium repräsen-tativen zuschnitts dienen.

Weilte der Betrachter am privilegierten ort des Raums, dem Erker, so sah er eine Art Weltlandschaft (Abb. 9, Taf. 17), mit Anklängen an die umgebung von oster-miething, vor sich, mit einem hoch nach oben gezogenen Horizont, über dem sich am Tonnengewölbe der Himmel mit Vögeln, Wolken, zahlreichen Sternen sowie Sonne und Mond (Abb. 22) öffnete.29 An den Längswänden erscheint dabei eine Abfolge von Hügeln mit kleinen Stadtanlagen, Wäldchen bzw. einzelnen Bäumen. Die Nordwand hingegen (Abb. 12, Taf. 18) ist mit einer einfachen grünen fläche ganz auf die ver-gleichsweise großen figuren ausgerichtet. Diese weisen als einzige im Raum Spruch-bänder auf. unter ihnen erscheint zudem rechts ein ehemals vielleicht mit einem Motto versehenes Textfeld.30

Auf diese Weise exempelartig inszeniert, waren die figuren offensichtlich von be-sonderer Bedeutung für den Raum. In den drei Paaren rechts sind besonders beliebte Weiberlisten zu sehen, wie sie bereits im 14. Jahrhundert im Konstanzer Haus ‚zur Kunkel‘, ebenfalls der Wohnort eines Klerikers, zusammen mit anderen Exempla ver-sammelt waren.31 unten links schert Dalila Samson die Haare. Rechts daneben reitet Phyllis auf Aristoteles in das Bildfeld hinein. Darüber verführt die heidnische Ehefrau König Salomos, hier als die schwarze Königin von Saba wiedergegeben, diesen zum Götzendienst. Die lateinischen Spruchbänder der Personen beschreiben bis auf die aus dem Hohelied (Cant. 1,4) stammende Selbstbezeichnung der Königin von Saba, Nigra sum sed form(osa), den Vorgang, wie ihn ein informierter Beobachter sehen und mora-lisch bewerten würde. So heißt es etwa bei Salomo Regina saba deicit mox salomonem, zu Samson Dalida sampsonem per turpem necat amorem, bei Aristoteles schließlich

27 Vgl. Martin: Braunau, S. 290; zu den verschiedenen Restaurierungen vgl. DahLitz: Wandmalerei, S. 14–20, zu den Konturen insbesondere S. 19f.

28 zur Maltechnik vgl. DahLitz: Wandmalerei, S. 16–18, zu den Maßen S. 21.29 Vgl. DahLitz: Wandmalerei, S. 22.30 Es sind nur noch die beiden ersten Buchstaben der oberen zeile Di erkennbar, von denen der erste in

Rot als Initiale hervorgehoben ist, wie dies auch bei den Spruchbändern der figuren der fall ist.31 Vgl. Mone: Bemerkungen; BeyerLe/Maurer: Häuserbuch, S. 422–425; wunDerLich: Weibsbilder, bes.

S. 113–156.

281Die Bedeutung des Themenkreises ‚Haus‘ in der profanen Wandmalerei

[P]hilosophus sum(m)us delusus per mulierem. Die Königin von Saba wie auch Dalila werden genannt, hingegen bleibt bei der Bezeichnung des Aristoteles als Philosophus summus und der Phyllis als Mulier erheblicher Deutungsspielraum für einen nicht mit der konkreten Geschichte vertrauten Betrachter. Vertreten die Verführerinnen stets den Typus der schönen jungen frau, so sind die Männer zwar alle am Boden, ansonsten aber nach Alter, Gewandung und Stand differenziert. Dies demonstriert, dass die Min-ne alle Männer, die jungen starken ebenso wie die alten mächtigen oder reichen bezie-hungsweise weisen bezwingt.32

In Bezug hierzu steht oberhalb der Tür ein weiteres Beispiel für die ‚Verkehrte Welt‘: der Esel, dem ein Löwe dienstbar folgt. Beide sind in Haltung und Kleidung vermenschlicht. Der gekrönte und auf Trippen voranschreitende Esel unterstreicht mit einem weit verbreiteten Sprichwort Gwalt get fur recht [Gewalt geht vor Recht] sei-ne Dominanz, während der mit dem Schwert ihm demütig folgende König der Tiere hierauf antwortet Des pin ich leb des esels knecht.33 Vergleichbar ist die Geschichte von dem als Löwen verkleideten Esel, den sein Herr an den ohren erkennt und in seinen alten Dienst zurückprügelt. Sie diente dem Dichter Michel Beheim Mitte des 15. Jahr-hunderts zur Kritik an den Städten, die sich lieber ihrem Herrn, in diesem fall dem Markgrafen Albrecht von Brandenburg, unterwerfen sollten.34 Die Geschichte diente somit dazu, jedem Stand den zu ihm passenden Platz in der Welt ins Gedächtnis zu rufen.35 Ebenso sind auch die Weiberlisten als warnende Exempel zu verstehen, die eine ordnungsbewahrende didaktische Stoßrichtung besitzen.

Links von der Tür der Nordwand ist ein weiteres Bild der ‚Verkehrten Welt‘ zu se-hen, das Schlaraffenland (Abb. 13). Hinter einem mit Würsten behängten zaun fliegen einem jungen, wohl liegend gedachten Mann die von der Sonne gebratenen Tauben in den Mund. Tauben wie Wurstzaun zählen zu den grundlegenden Elementen des Wunderlandes von Cocagne, das seit dem späten 15. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum nach dem Vorbild von Sebastian Brants ‚Narrenschiff‘ Schlaraffenland heißen sollte.36 Bildlich fassbar wird dieses Land allerdings erst Generationen später, wenn auch noch vor Bruegel, in der von Erhard Schön 1530 geschaffenen Darstellung zu Hans Sachs’ Gedicht ‚Das Schlauraffenland‘ (Abb. 14).37 Der faule fresser, dem die ge-

32 ähnlich ist dies bei den Wandmalereien von Burg Stein/Castel Pietra in Calliano, vgl. woLter-von DeM KneseBecK: Verwendung, S. 333–352, bes. S. 342–348, mit Verweis auf ostermiehing; sowie Wol-ter-von dem Knesebeck: Erker.

33 Im Sprichwort des Esels wird Gewalt, die neutral einfach unüberwindliche Kraftfülle meinen kann, wohl mit unrecht gleichgesetzt. Vgl. den Artikel ‚gewalt‘ in: GriMM: Wörterbuch, Bd. 6, Sp. 4910–5094, hier Sp. 4939, 4943, 4980f.

34 BeheiM: Gedichte, S. 640–642, Nr. 318; scheeL: Städtekriege, S. 325f.35 Auch in der späteren flugblatttradition zur ‚Verkehrten Welt‘ gehören Szenen mit dem zur Herrschaft

gelangten Esel zum Grundbestand, vgl. couPe: Broadsheet, S. 198f, Pl. 126. Eine vergleichbare Ver-schmelzung der beiden Themenkreise bietet in gewissem Sinne eine Baseler Kissenplatte von 1490, bei welcher der König der Tiere, der gekrönte Löwe, von einer schönen, jungen, zarten frau gebändigt und an der Kette geführt wird, vgl. raPP Buri/stucKy-schürer: Bildteppiche, Kat. Nr. 73.

36 Reiches Quellenmaterial bei MüLLer: Schlaraffenland und richter: Schlaraffenland. Eine grundlegen-de Analyse des Phänomens und seiner Traditionen und kulturellen Bedingungen sowie Wandlungen bietet PLeij: Traum.

37 Vgl. GeisBerG: Woodcut, Nr. 1193; hoLLstein: Engravings, S. 149, Nr. 97.

282 Harald Wolter-von dem Knesebeck

Abb. 13: ostermiething, Altes Pfarrhaus, Schlaraffenland, Wandmalerei.

283Die Bedeutung des Themenkreises ‚Haus‘ in der profanen Wandmalerei

bratenen Vögel direkt in den Mund fliegen, kauert bei Schön unten rechts, der Würst-chenzaun befindet sich neben dem ganz aus Leckereien bestehenden Haus.38

Es ist hier nicht der Platz, auch nur stichwortartig die ganze, bis in die Antike zu-rückreichende Tradition dieses Wunsch- und Wunderlandes des Überflusses zu schil-dern, von dem Einzelmotive wie der Jungbrunnen zum Teil auch schon in der Wand-malerei eine längere Tradition hatten. Gegenüber der fülle von Einzelmotiven, die in der literarischen Ausgestaltung des Themas und in den späteren Bildern vorherrscht – neben den verschiedenen Essensgenüssen etwa auch Reichtum, freie Sexualität und ewige Jugend sowie ständige festtage und die Belohnung der faulsten und Gröbsten – fällt die bildkürzelartige Darstellung des Schlaraffenlandes in ostermiething auf. Es ist hierdurch den anderen Exempla der Nordwand angenähert. Wie diese ist es ein Beispiel für eine humorvoll moralisierende Lesart des Themas ‚Verkehrte Welt‘.39 Darüber hin-aus nimmt es eine markante Stelle im Raum direkt neben dem zugang der Gäste vom flur her ein. Es ist dieselbe Stelle, an der schon in anderen Programmen, wie bereits

38 ob man solche Häuser in denjenigen vermuten darf, die in ostermiething direkt anschließend an den Würstchenzaun in der Türnische der Nordwand anzufinden sind, muss letztlich offen bleiben, da diese (in ihrem jetzigen zustand?) keine Anzeichen von Essbarkeit aufweisen.

39 Vgl. PLeij: Traum, z.B. S. 117–128.

Abb. 14: Erhard Schön, Das Schlaraffenland, Holzschnitt zu Hans Sachs’ ‚Das Schlauraffenland‘, 1530, 185 x 281 mm.

284 Harald Wolter-von dem Knesebeck

Abb. 16: ostermiething, Altes Pfarrhaus, Jungfrau mit Einhorn.

285Die Bedeutung des Themenkreises ‚Haus‘ in der profanen Wandmalerei

in Schmalkalden, Willkommensfiguren mit einem Willkommenstrunk die Gastlichkeit des jeweiligen Hauses herausstreichen.

Spielt sich die ‚Verkehrte Welt‘ im oberen Rundbogenfeld der Nordwand (Abb. 12, Taf. 16) in einem gehobenen gesellschaftlichen Ambiente, demjenigen der Herrschen-den, Weisen und Helden ab, so bleibt das ‚Schlaraffenland‘ (Abb. 13) darunter mit seiner Konzentration auf das fressen auch ständisch untergeordnet und ohne Schriftbeigabe. Auf der Wand daneben, rechts von der mit einer Weinranke versehenen Türlaibung, folgt ein weiteres Bild für den Nahrungserwerb in der ‚Verkehrten Welt‘ der einfachen Leute (Abb. 15, Taf. 19). Hier angelt ein Mann einen Vogel aus einem Teich, während sich die fische auf einem Baum zurückgezogen haben.40 Jenseits der Tür erscheint hier auf der Westwand das bekannte Bild der Jungfrau mit einem hier schoßhundartig klei-nen Einhorn (Abb. 16). Die inhaltlich-formale Parallele zu Samson im Schoße Dalilas (Abb. 12, Taf. 18) ist evident. Der starke Mann und das unüberwindliche Tier werden im Schoß einer schönen frau schwach und verwundbar.41

Die folgende Szene der Westwand (Abb. 17, Taf. 20) konnte Dahlitz anhand der Affen identifizieren, die auf den Bäumen und am Boden mit Gegenständen wie Rund-spiegeln, Gürteltaschen und Bündeln hantieren. Es ist die auch als Pantomime beliebte Geschichte vom schlafenden Krämer, mit dessen Waren die Affen in närrisch-nach-äffender Weise unfug treiben.42 Vom Kramer blieb nur ein heller Rest neben dem am Boden sitzenden Affen übrig. Darstellungen dieses Themas finden sich zuerst in der Buchmalerei, sind aber noch im 16. Jahrhundert an kostbaren Ausstattungsgegenstän-den profaner Räume wie dem sogenannten Holbeintisch in zürich zu fassen, sind aber zugleich bei Pieter Brueghel (Abb. 18) anzutreffen.43

Gegenüber auf der ostwand sind Jagddarstellungen zu sehen. zwischen der Stich-kappe über dem Kaminschirm und der rechts folgenden Tür (Abb. 19) stellt ein Vogel-steller in seiner Laubhütte mit Kloben und Lockvogel Singvögeln nach. Rechts schließt sich ein erfolgreicher Hasenjäger auf dem Heimweg an. Es folgt auf dem Rest der Wand (Abb. 20, Taf. 21) breit angelegt die Jagd auf Hirsch und fuchs mit dem Netz. Auf dem Kaminschirm am Nordende dieser Wand (Abb. 21) steht zudem ein Mann in Bauern-

40 In der späteren Überlieferung zur ‚Verkehrten Welt‘ taucht dieses Motiv immer wieder auf. Hier sind es dann die fische, welche die Vögel, wie etwa in einem flugblatt des 17. Jahrhunderts mit dem Thema ‚Die verkehrte Welt hie kann Wol besehen Jederman‘, vgl. couPe: Broadsheet, 198f, Pl. 126, aber teil-weise auch Menschen angeln bzw. fliegend über die Vögel im Wasser herfallen. zu diesem Motivkreis der umkehrung von Jäger und Gejagtem gehört etwa auch der Katzen-Mäuse-Krieg in Moos, vgl. woLter-von DeM KneseBecK: Spannungsverhältnisse, bes. S. 492–496, Abb. 110–111.

41 In diesem zusammenhang könnte es von Bedeutung sein, dass die Überwältigung des Samson durch die Philister in dem Bild mit Samson im Schoße Dalilas als folge des Verlustes seiner Haare zumindest inhaltlich immer präsent ist, auch wenn sie nicht dargestellt ist, wie bereits in dem umfangreichen zy-klus auf Schloß Brandis (Abb. 8), während die Jungfrau mit dem Einhorn dieses auch wie ein Attribut ihrer Jungfräulichkeit und der tugendhaft gezähmten Liebe eines in didaktischer Weise als vorbildlich gezeigten Paares führen kann, wie dies z.B. bei einem Baseler Wirkteppich vom Ende des 15. Jahrhun-derts in Chicago der fall ist, vgl. raPP Buri/stucKy-schürer: Bildteppiche, Kat. Nr. 72.

42 DahLitz: Wandmalerei, S. 47–55.43 Vgl. allgemein wüthrich: Holbein-Tisch, S. 78–104. zum Holbeintisch vgl. auch den Beitrag von

justus LanGe in diesem Band. zu Pieter van der Heydens Stich zu diesem Thema nach dem Entwurf Pieter Bruegel des älteren vgl. Kat. ausst.: Bruegel I, Kat. Nr. 53 (jürGen MüLLer); Kat. ausst.: Bruegel II, Kat. Nr. 95 (naDine M. orenstein); hoLLstein: Etchings, Kat. Nr. 34; seLLinK/Martens: Bruegel, S. 146–151.

286 Harald Wolter-von dem Knesebeck

tracht vor offenen Gefäßen mit einem an einer Kordel gehaltenen fass in der rechten Hand. Er führt mit der linken einen Noppenbecher an den Mund. Dieses Trinkgefäß spricht wohl doch eher für einen trinkenden Bauern als für die bisher hier angenom-mene Imkerszene.44 Als Trinker würde er zudem gut zu den Minnesklaven (Abb. 12, Taf. 18) und zum ‚Schlaraffenland‘ (Abb. 13) auf der Nordwand passen.45

Insgesamt ist der Raum wie schon das Turmzimmer auf Burg Brandis von teilweise kontrastierenden Verbindungen zwischen den Wandmalereien geprägt. Während die Jäger auf der ostwand (Abb. 20, Taf. 21) in der mannhaften und ordnungsbewahrenden Jagd auf Hasen, Hirsch und fuchs tugendhaft ihre Speise, das hochgeschätzte Wild-bret, erringen, und sich dabei kundig verschiedenen Geräts bedienen, schläft gegenüber der für faulheit – Acedia stehende Krämer (Abb. 17, Taf. 20; Abb. 18), sodass die Affen

44 zu einem zusammenhang mit der Imkerei vgl. schwaiGer: fresken, S. 37; DahLitz: Wandmalerei, S. 92f.

45 Das Motiv des von Bienen umsurrten Kopfes ist gerade in der Entstehungszeit im deutschsprachigen Bereich recht beliebt. jones: Middle Ages, S. 76–78, der die Beispiele zusammengetragen hat, hält hier-zu auf S. 78 fest: „the presence of a swarm of flies/bees/insects round a person’s head indicates that the person is either a fool or (fatally) prone to be distracted by idle, flattering or perhaps even homicidal thoughts.“ Dementsprechend scheint mir der trinkende Bauer von unguten bzw. närrischen Gedanken bewegt zu sein, was ihn wiederum der Nordwand mit den Darstellungen der Minnesklaven und coca-gne verbinden würde.

Abb. 18: Peter von der Heyden, nach Pieter Breugel d.ä., Affen plündern den schlafenden Krämer aus, 1557, Kupferstich, 225 x 290 mm.

287Die Bedeutung des Themenkreises ‚Haus‘ in der profanen Wandmalerei

Abb. 19: ostermiething, Altes Pfarrhaus, Vogelfänger.

288 Harald Wolter-von dem Knesebeck

Abb. 21: ostermiething, Altes Pfarrhaus, Trinkender.

289Die Bedeutung des Themenkreises ‚Haus‘ in der profanen Wandmalerei

über seine Ware herfallen können. Ist die geregelte Jagdausübung als männliche Betäti-gung par excellence ein Sinnbild der Tugendhaftigkeit, so erzeugt die entgegengesetzte untugend der faulheit Chaos, was an der zu Haus und Haushalt gehörenden Dingwelt des Krämers vorgeführt wird.46

Auch zwischen Nord- und Südteil des Raumes (Abb. 9, Taf. 17; Abb. 10) gibt es eine solche Kontrastbeziehung. Der Raum bietet dem vom flur aus im Norden Ein-tretenden den Blick auf den ehemals privilegierten Erker im Süden. Direkt über diesem erhebt sich in der Himmelszone die Sonne. Ihr Pendant, der Mond (Abb. 22), befindet sich bezeichnenderweise nicht direkt neben ihr, wie etwa auf der ebenfalls sternüber-säten Holzdecke, die in der sogenannten Badestube des Westpalas von Runkelstein erhalten blieb.47 Vielmehr erscheint der Mond weit von der Sonne abgesetzt als eine Art Gegenstück zu ihr über dem fensterlosen Nordbereich des Raumes mit seinen de-

46 Ganz ähnliche Strukturen bietet die Ausmalung des sogenannten Jagdzimmers auf Schloss Moos in Eppan, vgl. woLter-von DeM KneseBecK: Spannungsverhältnisse. zu einer interessanten Vermengung mit der Niemand-Thematik kommt es bei den 1495 datierten Wandmalereien im Üsenberger Hof in Endingen nahe freiburg/Br., wo der Niemand schlafend wie der Kramer dargestellt wird, vgl. zu der Wandmalerei KenDeL/ziMDars: Hof, bes. S. 54–58; ziMDars: zukunft, bes. Anm. 10, zudem mit Ver-weis auf die verwandte Thematik der Metz unmuß, vgl. raPP Buri/stucKy-schürer: Bildteppiche, S. 61, 187–190.

47 Vgl. DoMansKi/Krenn: Wandmalereien, S. 65f.

Abb. 22: ostermiething, Altes Pfarrhaus, Mond.

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zidierten Darstellungen der ‚Verkehrten Welt‘. In ähnliche zusammenhänge wird der Mond am Goldenen Dachl in Innsbruck eingebunden, wie Pokorny zeigen konnte.48 Direkt unter dem mittig im Gewölbe der Loggia angeordneten Mond erscheint innen als Wandgemälde Dalila, die Samson die Haare schneidet. Die mit Luna etwa im Wolf-eggschen Hausbuch verbundenen Eigenschaften Gaukelei, Täuschung und Neigung zur Anarchie verbinden sich in Innsbruck wie in ostermiething auf das Beste mit den Bildern für die Weibermacht beziehungsweise die ‚Verkehrte Welt‘.49 Indem hier die Hierarchien zwischen den Geschlechtern, den Ständen, den Menschen und den Tie-ren auf den Kopf gestellt werden, sind sie Bilder für all das, was ein Haus und seinen Hausherrn gefährdet. Wir erhalten hier wohl einen Einblick in die von konventionel-len Bildern geprägte Vorstellungswelt eines lokalen Würden- und Amtsträgers wie des Pfarrers und Hausherrn Arnold Taubenprunner als Auftraggeber der ostermiethinger Wandmalereien.

V. Fazit

Es ist diese wertbezogene Vorstellungswelt, die auch die Genrebilder bedienen konn-ten. Wie der von Affen geplünderte Krämer als Beispiel schädlicher faulheit zeigt, teil-ten Genrebilder eine solche Botschaft nicht nur mit den profanen Wandmalereien. Sie verband sie vielmehr auch mit Gefäßen, Tischen und Kachelöfen.50 Diese alle teilten nicht nur ihre Bilderwelt, sondern auch das Haus als ihren ort mit profanen Wandma-lereien und später mit den Genrebildern. Am selben ort wie zuvor die Wandmalerei und die bildtragende Dingwelt des Hauses führten die Genrebilder thematisch die bei diesen zuvor im Hausbezug entwickelten, didaktisch-moralischen Themen fort. Sie taten dies allerdings in einer ganz neuen Sprach- und Ausdrucksfähigkeit. Die Gen-rebilder ersetzten letztlich die profanen Wandmalereien im bildlichen Wertehaushalt der Hausbesitzer. umso hilfreicher dürfte für ihr Verständnis der Blick zurück auf die profane Wandmalerei sein.

Bildnachweise

Abb. 1a–1b: weBer: Iweinbilder.Abb. 2: schiroK: Wandmalereien.Abb. 3–8: rahn: Bilderfolgen.Abb. 9–13, 15–17, 19–22: Harald Wolter-von dem Knesebeck.Abb. 14, 18: Archiv des Verfassers.

48 PoKorny: Minne, S. 34.49 zum Wolfeggschen Hausbuch, Privatbesitz, vgl. Kat. ausst.: Venus, bes. S. 38–42.50 Vgl. wüthrich: Holbein-Tisch, S. 78–104.

291Die Bedeutung des Themenkreises ‚Haus‘ in der profanen Wandmalerei

Quellen und Literatur

Quellen

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Thomas Schauerte

Bauer, Dirne, fußknecht. zu Dürers frühen Genremotiven und der Kultur der Nürnberger Tafelaufsätze

Das Berliner Kupferstichkabinett bewahrt unter der Signatur Kdz 1280 eine ca. 25 cm hohe, stark beschnittene federzeichnung Albrecht Dürers auf. Sie ist – offenbar ei-genhändig – signiert und mit der Jahrzahl 1504 datiert (Abb. 1).1 zu sehen ist ein halb kniender Bauer mit einem Glaspokal in der emporgehobenen Rechten und – teilweise abgeschnitten – einem Hahn in der linken Hand. Angefangen von der derben, unra-sierten Physiognomie mit dem prognathischen Kinn bis zu den zerfetzten Beinkleidern und Schuhen deutet alles auf einen Vertreter der einfachen Landbevölkerung hin. Die an sich recht aufwendige Seitenwehr, in deren Scheide sogar noch zwei Besteckmesser sitzen, entstammt zwar gehobeneren Verhältnissen, hat aber bessere Tage gesehen, wie die abgerissene Scheidenspitze zeigt.2

Da das Blatt von der forschung bislang eher am Rande behandelt und mehrfach abgeschrieben wurde,3 gibt es auch keine tiefergehenden Deutungsansätze, so dass man sich mit den bisherigen Bezeichnungen als bloße Bauerndarstellung oder gar als „be-waffnetem Strolch“ mit seiner Beute4 im hier gegebenen zusammenhang nicht lange aufhalten muss. Denn schon das schlanke, gefüllte Stangenglas in seiner Rechten,5 das ersichtlich nicht unter die bäuerlichen Alltagsgegenstände zählt, verlangt nach einer ikonographischen Deutung. Sie erschließt sich vergleichsweise leicht, wenn man den Blick auf die merkwürdige, halb gebückt gehende, halb sitzende Körperhaltung des Mannes richtet: ursächlich dafür ist das bauchige, einen Krug oder eine Kanne bezeich-nende Gefäß hinter dem Bauern,6 das offenbar in die Komposition einbezogen werden musste, was auf diese Weise einigermaßen schlüssig ermöglicht wird. Ein solches Be-hältnis aber ist dann zwingend erforderlich, wenn man diese merkwürdige figur als Entwurf zu einem Tischbrunnen deutet, der vielleicht tatsächlich nach diesem Ent-

1 winKLer: zeichnungen, Bd. 2, Nr. 342; anzeLewsKy/MieLKe: Dürer, Nr. 46. Die zeichnung wurde später im Kontext des Gebetbuchs für Kaiser Maximilian I. von Albrecht Altdorfer aufgegriffen, vgl. schauerte: Vorgeschichte, S. 129.

2 MüLLer: Dürer, S. 65.3 tietze/tietze-conrat: Verzeichnis, Bd. 1, Nr. A 37; PanoFsKy: Leben, Nr. 1239; strauss: Drawings,

Bd. 2, Nr. 1504/54. Der Verf. folgt der überzeugenden zuschreibung von anzeLewsKy/MieLKe: Dürer, Nr. 46.

4 winKLer: zeichnungen, Nr. 342.5 Es weist die noch heute für Schaumweine gebräuchliche form der sog. ‚flöte‘ auf.6 Der wulstige, offenbar sogar geflochtene fuß des Behältnisses lässt eine Benennung als fass ungeeignet

erscheinen.

298 Thomas Schauerte

wurf angefertigt wurde, um dann in einem vornehmen Haushalt betrieben zu werden.7 Über einen inneren Mechanismus aus kupfernen Leitungen und das unterdruck-Prin-zip des Heronsbrunnens8 wäre flüssigkeit aus dem fäßchen durch den Leib und den rechten Arm des Bauern hinaufgepumpt und durch den Pokal in einer kleinen fontäne emporgedrückt worden, aus der sich die solchermaßen erheiterte Tischgesellschaft mit ihren Gläsern bedienen konnte, solange der Mechanismus lief, was vermutlich nicht ohne kleinere Missgeschicke abging und für gehobene Stimmung sorgte – womöglich auch und gerade dort, wo es diplomatisch oder gesellschaftlich geboten war, das ‚Eis zu brechen‘.

7 Diese Vermutung äußerte bereits Raupp, ohne jedoch näher darauf einzugehen, vgl. rauPP: Bauernsa-tiren, S. 102.

8 zu Begriff und funktionsprinzipien vgl. wieweLhove: Tischbrunnen, S. 34–38.

Abb. 1: Albrecht Dürer, Entwurf für einen Tischbrunnen, 1504, federzeichnung, 24,9 x 17,8 cm. Berlin, Kupferstichkabinett.

299zu Dürers frühen Genremotiven und der Kultur der Nürnberger Tafelaufsätze

folgt man dieser Deutung, dann lässt sich für diese Darstellungweise eines Land-manns auch eine bemerkenswert schlüssige Gesamtikonographie formulieren: Was an der fürstlichen oder patrizischen Tafel an Speis und Trank gereicht wird, hat letzten Endes der Bauer hervorgebracht, der es nun mit unterwürfig gebeugtem Knie in Ge-stalt des Pokals und des Hahnes herzuträgt.9 und da Wein bei Tisch aus Kannen oder Karaffen ausgeschenkt wird, dürfte dieser Tischbrunnen dementsprechend Wein ge-spendet haben. Damit aber erinnerte die figurine die Tafelnden zugleich moralisierend an die ‚bäurische‘ Verrohung, die bei übermäßigem Trinken auch in gehobenen Kreisen unausweichlich droht.10

Diese kleine Beobachtung gewinnt nun zusätzliches Interesse, weil sie die lange zeit unbeachtete, von Kohlhaussen erst 1968 zusammengestellte und 2002 von Wiewelhove weiter kontextualisierte Werkgruppe der Tischbrunnen-Entwürfe innerhalb von Dü-rers zeichnerischem Œuvre um ein weiteres Blatt vergrößert.11 Damit lassen sich nun nicht weniger als acht Entwürfe für dieses Sujet benennen, etliche mit relativer Sorgfalt gezeichnet und koloriert.

Im doppelten Wortsinne dominiert werden sie von jener bekannten, zuletzt in der Nürnberger Dürer-Ausstellung 2012 präsentierten aquarellierten federzeichnung aus dem Britischen Museum von etwa 1500. Sie ist nicht nur durch ihre schiere Größe von 56 auf 36 cm bemerkenswert, sondern auch durch ihre Detailliertheit und die zartfar-bige Ausarbeitung, was alles an eine direkte Weisungszeichnung für den Goldschmied denken lässt.12 zudem gilt sie als der früheste unter diesen Entwürfen, deren letzter mit 1527 datiert ist, also nur wenige Monate vor Dürers Tod im April des darauf folgenden Jahres.13 Auf den Londoner Entwurf wird noch einmal zurückzukommen sein, doch ist zunächst eine Gruppe von Graphiken im frühwerk Dürers zu betrachten, die zum Tischbrunnenentwurf eine starke, bisher weitgehend übersehene Verwandtschaft auf-weisen.

Etwa mit dem Jahr 1494 einsetzend erschafft Dürer eine ganze Reihe von Kupfer-stichen, die gemeinhin zur „Vor- und frühgeschichte“ der Genre-Kunst gezählt wer-den.14 Die Motive entstammen dabei vor allem den Themenkreisen der positiv oder ne-gativ besetzten Sexualität, dem Kreis der Exotica, vor allem aber den Bereichen Soldat und Reiter sowie eben dem bäuerlichen Milieu. Auch wenn es zu den Charakteristika des neuen Mediums Kupferstich gehört, dass dort kaum nach ‚hohen‘ und ‚niedrigen‘ Sujets hierarchisiert wurde, fällt doch auf, dass der Anteil genrehafter Szenen im früh-werk Dürers zwischen 1494 und 1500 nahezu die Hälfte seiner Kupferstiche ausmacht.

9 rauPP: Bauernsatiren, S. 99.10 Von den beiden Gegenständen Pokal und Hahn ausgehend sah auch Grosjean den Bauern auf die

primitiven Grundbedürfnisse des Trinkens und Essens reduziert, vgl. Grosjean: Interpretation, S. 126. ferner sei auf das weite feld genrehaft-derber Bauerndarstellungen von Künstlern des ausgehenden 15. Jahrhunderts wie den Monogrammisten bxg, fVB, ie und BR, dem Hausbuchmeister oder Martin Schongauer verwiesen, vgl. rauPP: Bauernsatiren, insbesondere die zahlreichen Beispiele in Kap. 2, S. 35–133.

11 KohLhaussen: Goldschmiedekunst, S. 255–265; wieweLhove: Tischbrunnen, S. 62–70. zuletzt war Dürers Beziehungen zur Goldschmiedekunst eine eigene Abteilung in der Dürer-Ausstellung des Bri-tischen Museums 2003 gewidmet: Kat. ausst.: Dürer I, Nr. 62–69.

12 Kat. ausst.: Dürer II, Nr. 157; zuvor Kat. ausst.: Kardinal, Bd. 1, Nr. 143 (h. wieweLhove).13 winKLer: Dürer, Nr. 945.14 rauPP: Bauernsatiren, S. 35.

300 Thomas Schauerte

Da Nürnberg nun durch die Blüte des Gold- und Rotschmied-Handwerks so-wie durch das überragende fachwissen im technisch-mechanischen Instrumentenbau schon im 15. Jahrhundert als ein Vorort für die Herstellung kostbarer Tisch- und zim-merbrunnen gelten muss, könnte man bei Dürer den Eindruck gewinnen, als habe er erst gegen 1500 – also vergleichsweise spät – den Entschluss gefasst, diese eher leichtge-wichtigen ikonographischen Sujets seiner frühen Kupferstiche neu und höherwertig zu kontextualisieren, indem er aus ihnen figurenstaffagen für seine Tischbrunnen schuf. Genau dies nämlich scheint ein Blick auf den fuß des großen Londoner Tischbrunnens zu besagen, auf dem das Personal seiner Kupferstiche zu einem guten Teil wiederzu-entdecken ist (Abb. 2, Taf. 22): Im Vordergrund sitzt ein dudelsackspielender Bauer mit seiner frau, während die Hügelkuppe dahinter von marschierenden, disputierenden und kämpfenden Soldaten, einer von hinten links heranrückenden Bauernschar und einem Jäger mit seinen Hunden vorne rechts bevölkert wird. Doch greift diese Be-trachtungsweise wohl zu kurz, und dies aus dem einfachen Grund, weil Dürers erste Berührungen mit der feinmechanischen Tischbrunnen-Kultur wesentlich früher, näm-lich spätestens mit dem Jahr 1494 angesetzt werden müssen. Denn durch die Heirat mit Agnes frey am 7. Juli tritt er auch in enge verwandtschaftliche Beziehung zu deren Vater Hans, den Johann Neudörffer 1547 als einen wahren Tausendkünstler, dabei zu-gleich aber auch als einen Mann von hohem Ansehen beschreibt:

und zwar in solcher zahl ehrbarer Künstler kann ich nicht aussen lassen diesen kunst-reichen alten freyen, der in allen Dingen erfahren war. […] Er ward Genannter des grössern Raths 1496. Seine Ehewirtin starb 1521, er selbst 1523 […] den 21. Novem-bris. Der Musik hatte er Verstand, für einen guten Harfenschläger war er berühmt.

Wichtig ist hier aber vor allem die folgende Passage:

Er hatte einen guten Verstand, das Wasser mit Luft in die Höhe zu bringen; er machte aus Kupfer allerlei Bilder, Manns und Weibspersonen, die waren inwendig hohl, und also durch Gebläse zugerichtet, dass das eingegossene Wasser ihnen oben zum Kopf oder andern orten in der Höhe heraus sprang, und mocht ein Jeder solchen Brunnen tragen und mitten in einen Saal setzen und zu zierlichen Ehren zu gebrauchen, wie denn bei Herrn Hannsen Ebner noch einer zu sehen ist.15

Die Verbindung zu seiner vornehmen Kundschaft war für frey dabei leicht herzustel-len, weil seine frau, Dürers Schwiegermutter, eine geborene Rummel war und damit aus einem alten ratsfähigen, auch damals noch überaus reichen Nürnberger Patrizier-geschlecht stammte.16 Diese feststellung kann allerdings nicht dafür entschädigen, dass der 1523 verstorbene frey, obwohl er Dürers engster umgebung angehörte, als eine vergleichsweise schlecht erforschte figur zu gelten hat. So hat sich auch – von weni-gen bescheidenen und entsprechend problematischen fragmenten abgesehen – nicht

15 zitiert nach Lochner: Nachrichten, S. 117; vgl. ferner Stw. ‚frey, Hans‘, in GrieB: Künstlerlexikon, Bd. 1, S. 419.

16 Vgl. Art. ‚Rummel von zant und Lonnerstadt, Patrizierfamilie‘, in DieFenBacher/enDres: Stadtlexi-kon, S. 916 (M. DieFenBacher).

301zu Dürers frühen Genremotiven und der Kultur der Nürnberger Tafelaufsätze

ein einziger Tischbrunnen des 15. Jahrhunderts erhalten,17 geschweige denn einer, der sich frey auch nur mit einiger Sicherheit zuschreiben ließe. Daher war die forschung für spätmittelalterliche Nürnberger Exemplare seit jeher auf graphische Darstellungen angewiesen, und hier hat sich immerhin in unmittelbarer Nähe zu der einstigen Reichs-stadt, in der bedeutenden Graphischen Sammlung der Erlanger universitätsbibliothek, ein kleines Konvolut dreier großformatiger, kolorierter zeichnungen aus den 1490er Jahren erhalten, die im 17. Jahrhundert für die markgräfliche Sammlung aus Nürnberg erworben worden waren.18 Sie wurden traditionell Hans frey zugeschrieben, obwohl sie nicht signiert sind und von frey auch sonst bislang nichts namhaft gemacht werden konnte, was einen stilkritischen Vergleich erlaubte.

Hier bietet sich nun eine Gegenüberstellung der eingangs erwähnten Berliner Dü-rer-zeichnung mit dem Bauern-Brunnen aus dieser Gruppe an, den Messling unlängst noch einmal als Werk freys ins Spiel gebracht hat (Abb. 3, Taf. 23).19 Dabei weisen die beiden Entwürfe zunächst keine direkten formalen Wechselbeziehungen, sondern eher Gegensätzlichkeiten auf: Schon allein die schiere Größe des Erlanger Blattes von über 1,30 m Höhe lässt – anders als Dürers flotte federzeichnung – wohl das Endprodukt des Entwurfvorgangs als verbindliche Visierung für den Auftraggeber und die ausfüh-renden Handwerker erkennen. Dabei würde die sorgfältige und lebensnahe Kolorie-rung auf Kupfer oder ein anderes Metall minderer Güte hinweisen, das – anders als Gold oder Silber – eben in den zuständigkeitsbereich eines Rotschmieds wie frey fiele. Doch anstatt augenfällige unterschiede weiter herauszuarbeiten, erscheint es wichti-ger, auf eine entscheidende Gemeinsamkeit hinzuweisen, denn der ikonographische Hauptakzent stimmt auf beiden zeichnungen überein: Wie bei Dürers Berliner Blatt wird auch bei der Erlanger Visierung die Anwesenheit des Bauern auf einer vornehmen Tafel durch das Moment des Herzubringens der früchte seiner Arbeit gerechtfertigt, hier in Gestalt einer Gans20 und eines Sacks mit quittenartigem obst. Hinzu kommt noch das Motiv einer volkstümlichen musikalischen Erbauung der Tischgesellschaft durch den Dudelsack über der linken Schulter, womöglich ein Hinweis darauf, dass Luft- und Wasserdruck auch in der Lage hätten sein können, ein verborgenes Spiel-werk in Gang zu setzen.21 Aus dieser Perspektive betrachtet, fänden also vor allem die Bauern-Stiche Dürers eine gute motivische Rückbindung in der gängigen Nürnberger Tischbrunnen-Ikonographie. Doch muss sich die Suche nach weiteren Genre-Anre-gungen Dürers keinesfalls auf verlorene Tischbrunnen beschränken, weil ja auch diese letzlich nur zur größeren Gattung der Tafelaufsätze gehören; hier aber ist die Über-lieferung an Realien etwas breiter gestreut, wie die folgenden Beispiele zeigen mögen.

Das Silberschiff als Tafelaufsatz ist literarischen Quellen zufolge bereits seit dem 14. Jahrhundert Bestandteil der höfischen Tischkultur in frankreich; auch im Reich

17 Lediglich aus den Jahren gegen 1350 ist ein gut 30 cm hohes Kunstwerk vermutlich aus einer Pariser Werkstatt in Cleveland erhalten, bei dem darunter eine hinreichend große Schale und ein Sockel als zweites Wasserreservoir zu ergänzen wäre, vgl. wieweLhove: Tischbrunnen, S. 54.

18 DicKeL: Dürer, Nr. 96–98 (G. MessLinG).19 DicKeL: Dürer, Nr. 96 (G. MessLinG).20 Vgl. dazu Dürers aquarellierte federzeichnung eines Tischbrunnen-Entwurfs (Wien, Kunsthistori-

sches Museum), auf der ein sitzender Bauer ebenfalls eine Gans im Arm trägt, winKLer: zeichnungen, Bd. 1, Nr. 236.

21 wieweLhove: Tischbrunnen, S. 34f.

302 Thomas Schauerte

schenkte die Stadt Wesel bereits im Jahre 1348 der Gräfin von Cleve ein solches Kunst-werk.22 Doch von den wenigen erhaltenen Beispielen stammen zwei aus dem Nürn-berg der Jahre um 1500. Die Rede ist natürlich zunächst von dem etwa 80 cm hohen ‚Schlüsselfelder Schiff‘ aus fast vollständig vergoldetem Silber, das sich mitsamt seinem 1503 datierten futteral im Germanischen Nationalmuseum als Leihgabe der Schlüssel-felder familienstiftung und emblematisches Spitzenstück der Schausammlung erhalten hat (Abb. 4).23 Die überbetont bauchige Gesamtform der schwer bewaffneten Karacke rührt von ihrer funktion als Trinkgefäß her, denn die Aufbauten sind oberhalb des Steuerruders abnehmbar, wobei der verbleibende Rumpf zwei Maß – ca. zweieinhalb Liter – flüssigkeit fasst. Wie zuvor bei den drei Erlanger Tischbrunnen hat die ältere Kunstgeschichte auch hier versucht, ein herausragendes Werk mit einem bedeutenden Namen in Verbindung zu bringen, in diesem falle mit Dürers 1502 verstorbenem Vater Albrecht d.ä., dem hochangesehenen Goldschmied.24 Doch ebenso wie im falle des Hans frey haben sich von ihm keine beglaubigten Werke erhalten, die einen Stilver-gleich erlaubten, und so bleibt auch dies lediglich eine reizvolle Hypothese.

Interessanter ist aber im gegebenen zusammenhang die Tatsache, dass 74 aus Silber gegossene figürchen das Schiff bevölkern, die nicht nur aus Matrosen, Geschützbedie-nungen, Soldaten und sogar aus einem Koch bestehen, sondern die auf dem Achterkas-tell auch genreartige Szenen wie eine Tafelgesellschaft, Kartenspieler, ein Liebespaar, einen Narren, einen lesenden Mönch und dergleichen versammelt; sie beziehen ihre szenische Rückbindung hier aus der narrativ gegebenen Situation der bunt zusammen-gewürfelten Reisegesellschaft, die sich bei der langen Überfahrt auf einem Hochsee-schiff die zeit vertreibt.

Mit einer umfangreichen Miniaturbesatzung ist auch das zweite überkommene Nürnberger Silberschiff bestückt, das mit gut 60 cm Höhe deutlich kleiner und einige Jahre älter als das Schlüsselfelderische ist. Schon seit 1538 ist das weitgehend original erhaltene Kleinod im Kirchenschatz des Doms in Padua verzeichnet, wo es sich im Museo Antoniano bis heute befindet (Abb. 5). Auch hier ist der obere Teil des Schiffes ab der Höhe des Schanzkleides abnehmbar, und es bleibt ein pokalartiges Weinbehält-nis für den Gebrauch an einer festlichen Tafel stehen.25 Doch wenn es sich auch hier generell wieder um eine Karacke handelt, sind die unterschiede zur jüngeren Nürn-berger Schwester augenfällig, zumal sie prinzipieller Natur sind: Das Schlüsselfelder-Schiff spiegelt zwar nicht unbedingt seiner Proportionierung, aber doch seinen nauti-schen Details nach den Wunsch, ein seetüchtiges, wehrhaftes Hochseeschiff mit allen dazu notwendigen Vorrichtungen wiederzugeben.26 Dabei konnte die ausführende Werkstatt offenbar auf den eigenen fundus der beiden bekannten, formal deutlich sti-

22 Vgl. KohLhaussen: Goldschmiedekunst, S. 266. 23 Vgl. KohLhaussen: Goldschmiedekunst, S. 266–277; eser: Leuchter, S. 45–71 und Nr. 5. Thomas Eser

ist für die freimütige Überlassung von Text- und Bildmaterial zur Paduaner ‚Navicella‘ herzlich zu danken.

24 KohLhaussen: Goldschmiedekunst, S. 270–272.25 KohLhaussen: Goldschmiedekunst, Nr. 339; eser: Leuchter, S. 48–54; Luisetto: Archivio, Nr. 148,

Inv.Nr. 49.26 KohLhaussen: Goldschmiedekunst, S. 272.

303zu Dürers frühen Genremotiven und der Kultur der Nürnberger Tafelaufsätze

lisierten Kupferstichen von Karacken aus dem späten 15. Jahrhundert zurückgreifen.27 Hier war man bei dem älteren Werk offenbar freier verfahren: Übergroß sind Bug- und Achterkastell, so dass fock- und Besanmast kaum benutzbar wären. Es herrschen or-namentale Stilisierung und Verzierung vor, und der wuchtige Großmast mitsamt seiner unpraktikablen Takelage und den beidseitig angelegten Stehleitern erinnert mitsamt der unrealistischen Verdachung seines Krähennests eher an einen schlanken Turm. Doch ist dies nicht die einzige Besonderheit an dem kostbaren Werk.

Eser merkte bereits 2002 überzeugend an, dass es sich bei dem Tafelaufsatz nicht zu-letzt um eine heraldische Allegorie handele. Denn anders als die Sirene des Schlüsselfel-der-Schiffs trägt ihr Paduaner Pendant eine Krone, was ikonographisch verfehlt wäre, heraldisch jedoch an prominenter Stelle begegnet: nämlich im Wappen der Nürnber-

27 Es handelt sich um Kupferstiche des Meisters W mit dem Schlüssel (Bartsch: Peintre, Bd. 10, S. 61, Nr. 44), Israhels van Meckenem (TIB 9 [1981], 196) oder des Monogrammisten WA (TIB 8 [1980], 22).

Abb. 4: Anonym, ‚Schlüsselfelder Schiff‘, 1503, Silber, vergoldet, 79 x 43,5 x 18 cm.

Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum.

Abb. 5: Anonym (Hans frey?), Tafelaufsatz in Schiffsform (sog. ‚Navicella‘), gegen 1500,

Silber, vergoldet, 58 x 32,5 cm. Museo Antoniano, Kirchenschatz

des Doms zu Padua.

304 Thomas Schauerte

ger Patrizierfamilie der Rieter. und zu dieser Beobachtung fügt sich auch eine weitere Merkwürdigkeit dieses Schiffs, denn auf dem Hauptdeck und dem Achterkastell stehen völlig sinnwidrig zwei stilisiert gearbeitete Bäumchen, mit denen ursprünglich noch ein drittes, heute verlorenes auf dem Hauptdeck korrespondierte. Auch hier führt zwar die herkömmliche Ikonographie rasch in die Irre, nicht aber die Heraldik, denn es gibt nur eine Nürnberger Patrizierfamilie, die einen Baum im Wappen führt: die Pirckheimer mit dem redenden Wappenbild der Birke.28

Nimmt man zudem die stilkritisch erschlossene Entstehung in den 1490er Jahren als zeitlichen Rahmen, so findet sich hier auch der passende Anlass für die Herstellung einer solchen Kostbarkeit: Denn am 13. oktober 1495 fand im großen Saal und in den angrenzenden Stuben des Nürnberger Rathauses eine ausgesprochene Prominenten-hochzeit in der patrizischen oberschicht statt, als der junge Willibald Pirckheimer sich mit Crescentia Rieter verheiratete.29 Dies wäre als Anlass für die Schenkung eines kost-baren Tafelaufsatzes wohl nicht abwegig, der die Verbindung der beiden vornehmen und reichen Häuser in einer heraldischen Allegorie feierte.30

Doch damit hat es bei diesem Kunstwerk mit den Besonderheiten noch nicht sein Bewenden, denn in den älteren Inventaren des Paduaner Domschatzes wird seit 1542 ein Wappen am Sockel erwähnt, das einen Adler und die Buchstaben I.f.N. gezeigt habe, das inzwischen aber verloren gegangen ist.31 Nachdem alle Nürnberger Patri-ziergeschlechter und Goldschmiede auf diese Buchstaben hin ergebnislos durchdekli-niert wurden, ist man dieser frage nicht weiter nachgegangen, obwohl sich eine recht einfache Lösung anböte, wenn man den Kreis der Goldschmiede im engeren Sinne einmal verlässt. Denn die Buchstaben I.f.N. ließen sich in genau dieser Reihenfolge als „Io(h)annes Frey Noricus bzw. Norimbergensis“ auflösen, womit also Dürers vielbe-gabter Schwiegervater als urheber dieses Werks in frage käme. Man muss allerdings einwenden, dass es sich hier um ein Werk der Goldschmiedekunst handelt, frey aber ausschließlich als Rotschmied bezeugt ist. Andererseits gelang es in Nürnberg erst mit Ludwig Krug gegen 1517/18 einem Goldschmied, ein Reliquiar von seiner Hand für das „Hallesche Heiltum“ des Kardinals Albrecht von Brandenburg mit seinen Initialen zu signieren.32 Bis dahin verwendete man – und auch dies keineswegs durchgängig – allenfalls Meister- oder Hausmarken. Dass frey an diesem Werk maßgeblich beteiligt gewesen sein könnte, wäre durch diese Signatur also insofern denkbar, als sie ja nicht gegen eine Gepflogenheit des Nürnberger Goldschmiedehandwerks verstoßen hätte. Dieser Beitrag könnte etwa im Gesamtentwurf und in den technischen Details gelegen

28 eser: Leuchter, S. 52.29 eser: Leuchter, S. 52, spricht dies nur als Vermutung aus; doch müsste wohl eher ein zweites gesell-

schaftliches Ereignis nachgewiesen werden, bei dem Ende des 15. Jahrhundert beide familien invol-viert gewesen wären, um diese Hypothese zu entkräften.

30 Vgl. reicKe: Rieterin, S. 238, wonach die Hochzeit laut Ratsprotokoll auf dem Nürnberger Rathaus im Großen Saal und der angrenzenden Stube stattfand.

31 „…unarma con una aquila con littere I. f. N.“, nach: Luisetto: Archivio, S. 797; vgl. dazu eser: Leuch-ter, S. 48. Das Nürnberger Wappen zeigt ja tatsächlich einen halben Adler, was bei dem allgemeinen Charakter dieser Beschreibung nicht zuletzt aus heraldischer unkenntnis unterschlagen worden sein könnte, während der charakteristische, allbekannte Doppeladler des Reiches vermutlich Erwähnung gefunden hätte.

32 KohLhaussen: Goldschmiedekunst, Nr. 397.

305zu Dürers frühen Genremotiven und der Kultur der Nürnberger Tafelaufsätze

haben, zumal das Gebilde ja als Gefäß dienen konnte, sobald man die Aufbauten vom Rumpf weghob.

Auch wenn dies eine Hypothese bleiben muss, spräche zumindest die Stilkritik nicht dagegen, denn wenn man das Distellaub von einer der Erlanger Tischbrunnen-zeichnungen gegen ein Detail vom Sockel des Paduaner Schiffs hält, dann kann des-sen Vorzeichnung kaum wesentlich anders ausgesehen haben (Abb. 6, 7). Ihr relativer Schematismus und die weitgehende Absenz von graphischer Plastizität legt ebenfalls nicht die urheberschaft eines vollausgebildeten Künstler-zeichners nahe, der frey ja vermutlich auch nicht war.

Aber selbst wenn sich hinter der verlorenen I.f.N.-Signatur an der Navicella doch ein anderer, unbekannter Nürnberger Meister verbergen sollte, lässt sich kaum bezwei-feln, dass der junge Dürer spätestens durch seine Einheirat in die familie frey 1494 mit den Projekten seines Schwiegervaters in Berührung kam, ja mehr noch: Da auf bei-den Seiten berufliches und gesellschaftliches Ansehen und ein gewisser Wohlstand im Spiele war, darf im falle Dürers von einer zeittypischen, durch die Väter arrangierten Hochzeit ausgegangen werden, so dass die drei Handwerker nicht notwendig erst seit 1494 zusammengearbeitet haben.

Doch ist an dieser Stelle im Hinblick auf die Verbindungen der Genrekunst im gra-phischen frühwerk Albrecht Dürers mit der Kultur des Tafelaufsatzes der Blick auf ein Kunstwerk zu richten, das unlängst wieder verstärkte Aufmerksamkeit erfahren hat, indem es erneut als Selbstbildnis des Goldschmieds Dürer senior und nicht als Werk seines Sohnes postuliert wurde (Abb. 8).33 Bezeichnenderweise zeigt das – damit dann einzige bekannte – Werk Albrechts d.ä. diesen bei der Nachbearbeitung bzw. prüfenden Betrachtung einer kleinen gegossenen figurine. Dabei ist die Motivwahl eines kräftig ausschreitenden Soldaten mit bewimpelter Lanze interessant, da es sich offenbar nicht um eine Heiligenfigur handelt.34 Dies ist bemerkenswert, denn es waren

33 Kat. ausst.: Dürer II, Nr. 3.34 Diese Beobachtung führt bereits KohLhaussen: Goldschmiedekunst, S. 270, als Beweis für des älteren

Dürer Beteiligung am Schlüsselfelder Schiff an.

Abb. 6: Anonym, Tischbrunnen-Visierung, gegen 1500, aquarellierte federzeichnung,

ca. 74,9 x 33,5 cm, Detail. Erlangen, universitätsbibliothek,

Graphische Sammlung.

Abb. 7: Anonym (Hans frey?), Tafelaufsatz in Schiffsform (sog. ‚Navicella‘), gegen 1500, Silber, vergoldet, Detail: Rankenwerk.

Museo Antoniano, Kirchenschatz des Doms zu Padua.

306 Thomas Schauerte

ja vergleichsweise selten profane Gerätschaften wie Tischbrunnen oder Silberschiffe, sondern weit eher die Nischen und Postamente in den spätgotischen Mikro-Architek-turen tausender sakraler Gegenstände, für die entsprechend große Mengen derartiger figurinen erforderlich waren. Während jedoch die Miniatur-Heiligen an Reliquiaren, ziborien oder Monstranzen naturgemäß weit statuarischer aufgefasst werden muss-ten, erforderten Tafelaufsätze genau jene freiere, weil szenisch bedingte Beweglichkeit, wie Dürer senior sie in diesem Detail seines Selbstbildnisses thematisiert. Dabei darf wohl vorausgesetzt werden, dass die Entgratung und weitere Nachbearbeitung sol-cher gegossenen figürchen auch zur später abgebrochenen Goldschmiede-Ausbildung des jüngeren Dürer gehört hat, für den damit eine intensive Auseinandersetzung mit fremden, mitunter vielleicht schon eigenen, oft interessant bewegten Kunstwerken in

Abb. 8: Albrecht Dürer d.ä., Selbstbildnis, Silberstiftzeichnung, 28,4 x 21,3 cm. Wien, Albertina.

307zu Dürers frühen Genremotiven und der Kultur der Nürnberger Tafelaufsätze

extremer Nahsicht mit relativer Gewissheit reklamiert werden kann. Auch wenn es sich dabei weit überwiegend um Gestalten christlicher Themenkreise gehandelt haben muss, konnte er hier hin und wieder eben auch den freier agierenden figurinen begeg-nen, die dafür bestimmt waren, sich auf Tischbrunnen oder Silberschiffen zu tummeln.

Hierzu fügt sich eine Berliner zeichnung Dürers mit drei Kriegsleuten aus dem Jahr 1489 recht gut (Abb. 9).35 zunächst ist sie natürlich als Vorbild für die Soldaten bei einer Kreuzigung oder bei Martyrienszenen verwendbar; sie könnte jedoch tatsächlich auch die Vorstudie für einen unausgeführten Kupferstich dieses Inhalts gewesen sein, wie Dürer einen ähnlichen um 1496 ausgehen ließ; aber mit gleichem Recht ließe sie

35 winKLer: Dürer, Nr. 18; strauss: Drawings, Bd. 1, Nr. 1489/7.

Abb. 9: Albrecht Dürer, Drei Kriegsleute, 1489, federzeichnung, 22 x 16 cm. Berlin, Kupferstichkabinett.

308 Thomas Schauerte

sich eben auch als Entwurf für das Personal eines Tafelaufsatzes postulieren, wie dies die Besatzung im Krähennest auf dem Paduaner Silberschiff demonstriert (Abb. 10).

Jedenfalls lässt sich mit Blick auf Dürers gezeichnete oder gedruckte Blätter pro-fanen Inhalts aus den 1490er Jahren feststellen, dass hier gewisse thematische Interfe-renzen zwischen den Gattungen bestanden zu haben scheinen: Dürers Bauern-Motive finden sich – wie oben gezeigt – ebenso auf dem fuß seines Londoner Tischbrunnens wie in der Gesamtikonographie der großen, vielleicht von seinem Schwiegervater frey stammenden Erlanger Visierung.

Doch gibt es noch weitere, kaum je auf ihre mögliche funktion hin untersuchte frühe Dürer-zeichnungen, die auf einen möglichen Bezug zur Tischbrunnen-Ikono-graphie hin zu befragen wären: So könnte der Kinderfries von 1495 aus dem Moskauer Puschkin-Museum, dessen Selbstzweck man bislang ausschließlich in einer frühen, ita-lienisch inspirierten Antikenaneignung Dürers sehen wollte (Abb. 11),36 durchaus eine bestimmte funktion besessen haben. Denn stellt man dieser zeichnung die dritte der Erlanger Tischbrunnen-Visierungen gegenüber (Abb. 12)37 dann zeigt sich in dessen Becken eine erotisch konnotierte Thematik: um das oberste, leicht als Liebesbrunnen deutbare Becken buhlen dort drei Moriskentänzer um die Gunst einer Schönen am rechten Brunnenrand. Das untere Becken selbst hingegen ist mit einem mehrteiligen fries geziert, der spielende nackte Kinder in einer offenbar bukolisch aufzufassenden Landschaft zeigt.

An dieser Stelle soll nun abschließend der Versuch stehen, diese teilweise recht he-terogenen Überlegungen noch einmal auf die frühgeschichte der Genre-Darstellungen bei Albrecht Dürer zu perspektivieren. Vieles davon geht über das festhalten einschlä-giger Mutmaßungen und erster Beobachtungen noch kaum nennenswert hinaus. Den-noch scheinen sich die folgenden Sachverhalte wo nicht als Endergebnisse, so doch als brauchbare forschungsfragen herauszukristallisieren.

36 winKLer: zeichnungen, Nr. 83; strauss: Drawings, Bd. 1, Nr. 1495/1.37 DicKeL: Dürer, Nr. 98.

Abb. 10: Anonym (Hans frey?), Tafelaufsatz in Schiffsform (sog. ‚Navicella‘), gegen 1500, Silber, vergoldet, Detail: Mastkorb. Padua, Museo Antoniano, Kirchenschatz des Doms zu Padua.

309zu Dürers frühen Genremotiven und der Kultur der Nürnberger Tafelaufsätze

Abb. 12: Anonym, Tischbrunnen-Visierung, gegen 1500, aquarellierte federzeichnung, Detail. Erlangen, universitätsbibliothek, Graphische Sammlung.

Abb. 11: Albrecht Dürer, Kinderfries, 1495, federzeichnung, 27,2 x 31,6 cm. Moskau, Puschkin-Museum.

310 Thomas Schauerte

Grundlage der vorstehenden Überlegungen war die Tatsache, dass Dürer wahr-scheinlich schon durch die Goldschmiedelehre 1484–1486 beim Vater, spätestens aber seit seiner Heirat 1494 und dem näheren umgang mit seinem Schwiegervater, dem vielbegabten Rotschmied und Mechanicus frey, ebenso frühzeitig wie intensiv – und vielleicht durchaus nicht nur passiv – mit der Kultur der spätmittelalterlichen Tafel-aufsätze in Berührung gekommen sein dürfte. Möglicherweise war Hans frey 1494/95 sogar an der fertigung des Paduaner Silberschiffs für die Hochzeit des jungen Willi-bald Pirckheimer mit Crescentia Rieter maßgeblich beteiligt (Abb. 5); dann wäre dieses Werk gleichsam unter den Augen Albrecht Dürers entstanden. Auch wenn sich aus den früheren Entwicklungsstufen des Tafelaufsatzes seit dem 14. Jahrhundert kaum etwas erhalten hat, darf bereits gegen 1500 von ikonographischen Setzungen mit einer immerhin 150-jährigen Tradition ausgegangen werden. Hier sah sich der junge Dürer mit einem so gut wie ausschließlich profanen, ja bisweilen banal wirkenden Themen-kreis konfrontiert, der allerdings durch die Kostbarkeit des Materials, den technischen Aufwand, die besagte lange Tradition, vor allem aber durch das hohe Sozialprestige der Auftraggeber nobilitiert wurde.38

Auch wenn die Geschichte des spätmittelalterlichen Tafelaufsatzes auf weite Stre-cken mangels erhaltener objekte nur mühsam rekonstruiert werden kann, besteht über ihre breite Präsenz in fürstlichen oder patrizischen Haushaltungen kein zweifel, und all diese Wunderwerke waren dicht mit einer bewegten Schar von figurinen aus dem Themenkreis bevölkert, den das Sujet des Tafelaufsatzes erforderte. Sie entstammten den Goldschmiedewerkstätten, deren Milieu die Kindheit und Jugend Albrecht Dü-rers über weite Strecken begleitete, und schufen damit eine wichtige, bislang eher un-terschätzte Grundlage für die Publikation seiner frühen Genre-Kupferstiche, denn sie waren aus diesem Blickwinkel heraus vollkommen marktgerecht: Er nahm sich moti-vische Herauslösungen aus der Ikonographie von Tafelaufsätzen vor und konnte dabei auch figuren ohne erkennbare Rückbindung an ein etabliertes, moralisierendes Sujet zeigen, weil sie auch so auf Bekanntes und Vertrautes verwiesen.

Allzu groß freilich war das Risiko eines künstlerischen und wirtschaftlichen fehl-schlags für Dürer dabei wohl nicht – umso größer allerdings der Erfolg: Denn die Auf-traggeber kostbaren Tischgeräts und die präsumtiven Käufer und Sammler von Dürers pretiösen Kupferstichen waren miteinander wohl weitgehend identisch. Dass es Dürer dabei mit seinen eigenen Entwürfen nicht immer genügte, nur anspruchslos zu erhei-tern, zeigte bereits das erste Beispiel aus dem Berliner Kupferstichkabinett (Abb. 1): Mit einer beinahe sozialkritischen Implikation erinnert die derbe Bauerngestalt in ihrer Demutshaltung daran, woher die bei Tisch gereichten Genüsse ursprünglich stammten; darüber hinaus trägt sie die Warnung vor übermäßiger Ausschweifung in sich.

Dieses ständige Changieren zwischen der voraussetzungs- und folgenlosen Erhei-terung durch munter plätschernde Weinströme und eine geheimnisvolle, verblüffende Mechanik im Wechselspiel mit der regellosen An- oder Abwesenheit moralischer Be-lehrung scheint ein ikonographisches Grundcharakteristikum von Tafelaufsätzen zu sein, wie sie prinzipiell auch der frühen Genrekunst insgesamt eignet. Darüberhinaus

38 Gerade darin zeigt sich eine grundlegende Parallele zur Drôlerie in der Buchmalerei des Spätmittel-alters, die von der gleichen Klientel in Auftrag gegeben wurde, vgl. zur Rolle der Drôlerie bei der Entwicklung der Genrekunst rauPP: Bauernsatiren, S. 89–99.

311zu Dürers frühen Genremotiven und der Kultur der Nürnberger Tafelaufsätze

aber dürfte ein Nebeneffekt der kleinformatigen, frühen Kupferstiche Dürers mit Bau-ern, Dirnen oder fußknechten nicht zuletzt in ihrer Attraktivtät für den Entwurfs-prozess profaner Gold- und Rotschmiedewerke bestanden haben; in diese Richtung weist der lebhafte Gebrauch, den der bedeutende Nürnberger Goldschmied und uni-versalkünstler Ludwig Krug (ca. 1488/90–1532) von den graphischen Werken seines zeitgenossen Albrecht Dürer gemacht hat.39 Doch gerade in der Beziehung des jungen Dürer zur Nürnberger Goldschmiedekunst seiner zeit sind noch viele fragen offen; ihre Beantwortung erscheint auch deshalb lohnend, weil sie zugleich weitere Erkennt-nisse für die frühzeit der Genrekunst in Deutschland erhoffen lassen.

Bildnachweise

Abb. 1, 9: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.Nr. Kdz 1280; Kdz 2 (nach winKLer: Dürer, Nr. 342, Nr. 18).

Abb. 2: London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.Nr. 5218/83.Abb. 3, 6, 12: Erlangen, universitätsbibliothek, Graphische Sammlung, Inv.Nr. 96, 98.Abb. 4: Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Inv.Nr. HG 2146 (Leihgabe der Schlüssel-

felder familienstiftung).Abb. 5, 7, 10: Museo Antoniano, Kirchenschatz des Doms zu Padua, Inv.Nr. G. 49.Abb. 8: Wien, Albertina, Inv.Nr. 4842.Abb. 11: Moskau, Puschkin-Museum (nach winKLer: Dürer, Nr. 83).

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39 KohLhaussen: Goldschmiedekunst, S. 357, 362f., 366–370. Schon Dürer senior hatte mit dem Vater Krugs 1489 für Kaiser friedrich III. zusammengerabeitet, vgl. Stw. ‚Dürer, Albrecht d.ä.‘, in GrieB: Künstlerlexikon, Bd. 2, S. 294.

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Justus Lange

„Ain ieder moerck mit vleysz hiebey“. Genremotive auf bemalten Tischplatten als pädagogisches Instrument

I. Bemalte Tische

Erst im Verlauf des 16. Jahrhunderts wurden im deutschsprachigen Raum Tische als freistehende Ausstattungsstücke im Wohnraum gebräuchlich.1 Dabei dienten diese zunächst weniger als Speisetisch, als vielmehr zum Arbeiten und Lesen und für die Konversation kleinerer Gruppen. Seit der Spätgotik lassen sich zwei Typen unterschei-den: der Wangen- und der Schragentisch. Besonders beliebt waren runde oder qua-dratische, seltener polygonale Tische, die sich in der folgezeit zunehmend zu einem Repräsentationsmöbel entwickelten, wie dies etwa erhaltene Ratstische verdeutlichen. Die herausgehobene Bedeutung gerade von Tischen als wichtiges Möbelstück belegen auch die ordnungen der zünfte, die im falle von Straßburg vorsahen, dass nur ein Schreiner (und kein zimmermann) dieses Möbelstück anfertigen durfte, im falle von ulm einen Klapptisch, der als besonders anspruchsvoll galt, als Meisterstück vorsahen.2 Die ursprünglich undekorierte Platte gotischer Tische wurde sukzessive als Bildfeld entdeckt und konnte auf unterschiedliche Weise verziert werden. Neben geschnitzten Reliefs konnten sie auch mit Elfenbein- oder Holzintarsien versehen werden.3 Eine Sonderrolle bildeten bemalte Tischplatten, da sie zwischen der Möbelkunst und der Malerei vermitteln.

Als 1871 in zürich der sog. ‚Holbein-Tisch‘ entdeckt wurde, rückte Gottfried Kin-kel in einem 1876 publizierten Vortrag erstmals das Phänomen bemalter Tischplatten in den Blick kunsthistorischer forschung (Abb. 1).4 Neun Tischplatten versammelte er in seiner Übersicht, darunter die prominentesten Beispiele von Hans Herbst (damals Holbein zugeschrieben, Anm.d.Verf.), Hans Sebald Beham und Martin Schaffner (da-mals als unbekannt bezeichnet, Anm.d.Verf.). Über die funktion solcher Tische konn-te er nur Vermutungen anstellen, empfand sie eigentlich unzweckmäßig,

wie ein jedes Möbel, das man so sehr schonen müßte, daß man es eigentlich gar nicht gebrauchen dürfte. Es ist ein Luxusgegenstand für eine Putzstube, und eine bürger-

1 frühere Beispiele waren wandfeste Bänke sowie von der Wand herunter klappbare Tische. KreiseL: Kunst, S. 122 ff.

2 charLes: Möbel, S. 362.3 Eine derart verzierte Tischplatte, die um 1570 in Martin Schaffners Heimatstadt ulm entstand, befindet

sich im ulmer Museum: Ahorn, Eschenmaser, Birnbaum, Linde, Nussbaum, zeder, Elfenbein, graviert und teilweise gefärbt, 124 x 116,5 cm, (Inv.Nr. 1907.2439). Kat. ausst.: Renaissance, S. 776.

4 Öl auf Lindenholz, 102 x 138 cm, zürich, Schweizerisches Landesmuseum, Inv. Dep. 527. Vgl. wüth-rich: Holbein-Tisch.

314 Justus Lange

liche familie mit Kindern, in mäßig großen Räumen, hatte keine rechte Verwendung dafür und kaum einen sichern Platz zum Aufstellen. In den Schlössern vornehmer Herren mögen solche Tische denn eine Bestimmung gehabt haben, wobei sie wenig abgenutzt wurden. […] Bedenkt man jedoch die Quadratform und die Art, wie die Bilder auf allen diesen Tischen stehen, nämlich daß auf jeder Seite man eins derselben aufrecht vor sich hat, so muß man annehmen, daß sie grade für vier Personen zum Dransitzen bestimmt waren. Ich halte sie deshalb für Spieltische zum Kartenspiel, und dieß wird auch dadurch unterstützt, daß auf dem Holbeintisch wirklich ein paar Kar-ten aufgemalt sind.5

Von besonderer Bedeutung schien für Kinkel schließlich die Wahl der Bildmotive.

Ein Nonnenkloster, ein geistlicher fürst mochten sich die Passion und die Geschichte David’s auswählen; doch sind ja auch diese beiden Darstellungen mit weltlicher Lust gewürzt. Wo aber Holbein und Beham selbst ihre Stoffe wählen durften, da greifen sie, wie sie auch sonst thun, in’s volle wirkliche Leben hinein und schildern Genrescenen mit Lustbarkeiten der höheren Stände, der Bürger und Bauern. In Italien malt man auf die ziermöbel mythologische Scenen und manchmal ein romantisches Novellenbild

5 KinKeL: Tischplatten, S. 415.

Abb. 1: Hans Herbst, Bemalte Tischplatte, 1515, Öl auf Holz, 102 x 138 cm. zürich, Schweizerisches Landesmuseum.

315Genremotive auf bemalten Tischplatten als pädagogisches Instrument

aus einem italienischen Poeten, im Norden das wirkliche Leben und dessen sinnliche Lustigkeit. […] [so] sind die bemalten Tischplatten gradezu die frühsten in oel aus-geführten Genrestücke aus dem wirklichen Volksleben und brechen damit eine neue Bahn in der Kunst.6

1939 publizierte Heinrich Kohlhaussen eine eingehendere Behandlung der Bilderti-sche – bis heute die letzte zusammenhängende Beschäftigung mit dem Thema – und konnte noch wenige weitere Beispiele hinzufügen. zeittypisch überhöhte er in seinen Ausführungen das Nationale dieser Bildertische, nannte sie einen typisch deutschen Gegenstand.

Hier hat sich zum letzten Male in diesem für die deutsche Kunst so tragischen Jahr-zehnt der Norden gegen die Einflüsse des Südens gestemmt; nun bricht der Süden ein. Seine Vorstellungswelt, sein ornamentenschatz, seine Architektur sprengen die letzten geschlossenen Bildfolgen heimischer Art. Damit ist nach einem langen wech-selvollen Behauptungskampf das deutsche Mittelalter endgültig gestorben.7

Kinkel und Kohlhaussen stellten also jeweils den Vergleich mit italienischen Werken an. Bemerkenswert ist jedoch die völlig unterschiedliche Wertung dieses Vergleichs. Während bei Kohlhaussen mit den Bildertischen das Mittelalter ein Ende findet, stehen diese bei Kinkel gerade am Anfang einer neuen Kunst. Hinsichtlich der frage nach funktion und Kontext der Bildertische konnte auch Kohlhaussen nur wenige Angaben liefern. Er empfand es eher eine „merkwürdige Gepflogenheit, die Tischplatten mit Bilderfolgen zu bemalen.“8

Heute kennen wir dreizehn bemalte Tischplatten, wobei bei zweien in jüngster zeit berechtigterweise bezweifelt wurde, ob es sich tatsächlich um Tischplatten handele oder nicht vielmehr um Tafelbilder, die erst nachträglich zu Tischplatten umfunktio-niert bzw. uminterpretiert wurden.9 Das bedeutet, der bekannte Bestand an bemalten Tischplatten hat sich seit dem ersten Aufsatz von Kinkel nicht wesentlich geändert. Der von Kinkel und Kohlhaussen getroffenen Einschätzung, dass es sich hierbei um ein zeitlich wie geographisch eng gefasstes Phänomen handelte, ist also zuzustimmen. Die frage des Entstehungskontextes solcher Bildertische ist bislang nur am Rand ge-stellt worden. Wofür wurden sie geschaffen? Welchen zweck hatten sie zu erfüllen? In welchem gesellschaftlichen umfeld entstanden sie?

Erst die neuere forschung konnte anhand von Einzeluntersuchungen zu ausge-wählten Tischplatten hier tiefere Erkenntnisse hinsichtlich des Entstehungskontextes dieser Einzelwerke liefern. Lucas Wüthrich führte dies 1990 anhand des sog. Holbein-Tischs von 1515 durch, Michael Wiemers hat 2002 in einem Artikel über Hans Sebald

6 KinKeL: Tischplatten, S. 416.7 KohLhaussen: Bildertische, S. 42.8 KohLhaussen: Bildertische, S. 12.9 Es handelt sich um die berühmte Tafel ‚Die sieben Todsünden‘ von Hieronymus Bosch (oder einem

Nachfolger) im Museo del Prado in Madrid und ‚Die Schlacht Karls des Großen‘ aus der Werkstatt Albrecht Altdorfers im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Vgl. PoKorny: Tischplatte, S. 35–43 sowie hess: Weg, S. 77–96.

316 Justus Lange

Behams bemalte Tischplatte von 1534 (Paris, Louvre) den Entstehungskontext erhellt.10 Eine die neuere forschung aufgreifende Gesamtschau steht jedoch noch aus.11

II. Drei Straßburger Beispiele

Im folgenden sollen drei Tischplatten hinsichtlich der von Kinkel aufgeworfenen fra-ge der Genese der Genremalerei betrachtet werden. Sie entstanden zwischen 1528 und 1533 für den Straßburger Kunstraum – einem der künstlerischen zentren solcher Bil-dertische – und bieten somit eine gute Vergleichsgrundlage.

zu Beginn kann auf einen vorher unbekannten, 2010 vom Musée de l’Œuvre Notre-Dame in Straßburg erworbenen Klapptisch verwiesen werden, der unser Bild von den bemalten Tischplatten erheblich erweitert (Abb. 2, Taf. 24).12 Er stammt von einem noch nicht bestimmten Meister und trägt die Jahreszahl 1528 sowie zwei Wappen, von denen eines möglicherweise dasjenige der familie des Sebastian Brant sein könnte.13 Es dürfte sich demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine für Straßburg gefer-tigte Arbeit handeln. Dargestellt ist auf der ausgeklappten Tafel der Lebenslauf eines Edelmannes von der Geburt bis zum Tode. Über einer ornamentalen Bildleiste mit musizierenden figuren, Grotesken und Rankenornamenten erkennt man ein bühnen-artiges Gesims, auf dem figuren die verschiedenen Lebensstationen darstellen. Jede der zwanzig Stationen wird von einer Banderole mit zweizeiligen Sprüchen überfangen. Anfang und Ende des Lebens sind jeweils durch längere Texte auf einem über Gesims und ornamentleiste ausgerollten Schriftstück markiert, die sich über Eck befinden. Dadurch ergibt sich eine klare Leserichtung des Tisches, der vom Betrachter einmal umschritten werden musste, um das Bildprogramm zu erschließen. Die Mitte der Ta-fel wird durch ein dunkles rechteckiges Bildfeld gefüllt, auf dem ein ruhender Mann von Affen bestohlen wird. Weitere Pflanzen und Tiere bevölkern die Bildfläche, so dass der Szene ein wesentlich unübersichtlicherer Charakter eignet. Deutlich wird so die durch Schrift und figuren klar gegliederte Randzone von dem durch eine gewisse unordnung gekennzeichneten Mittelfeld unterschieden: ordnung steht im Gegensatz zum Chaos. Von einem einheitlichen Bildraum kann nicht die Rede sein, da sich deutli-che Größenunterschiede zwischen den einzelnen Bereichen ergeben. Dieser Gegensatz wird auch inhaltlich weitergeführt, indem dem geordneten Lebenskreislauf mit seinen verschiedenen Stationen das Durcheinander im Mittelfeld gegenübergestellt wird. In dem liegenden Mann ist unschwer die figur des bestohlenen Krämers zu erkennen, ei-nem offensichtlich beliebten Thema des 16. Jahrhunderts, den schon die 1515 entstan-dene Tischplatte von Hans Herbst im Schweizerischen Landesmuseum zürich zeigt.14

10 wüthrich: Holbein-Tisch; wieMers: Kardinal, S. 217–236.11 Die 2010 an der universität Bonn begonnene Dissertation von Jens Kremb ‚Bemalte Tischplatten im

Kontext profaner Raumausstattungen des Späten Mittelalters‘ (bei Prof. Harald Wolter-von dem Kne-sebeck) wird hier Abhilfe schaffen.

12 Öl auf Lindenholz, 143 x 124 cm (geöffnet), Straßburg, Musée de l’Œuvre Notre-Dame, Inv.Nr. 22.2010.1.1. Jens Kremb (Bonn) machte mich auf diesen Tisch aufmerksam, wofür ihm auch an dieser Stelle herzlich gedankt sei. zu der Tischplatte siehe jüngst: DuPeux: Jugent. Ich danke Cécile Dupeux (Straßburg) für die zusendung ihres Artikels sowie eines fotos.

13 DuPeux: Jugent, S. 195–196.14 wüthrich: Holbein-Tisch, S. 78–104.

317Genremotive auf bemalten Tischplatten als pädagogisches Instrument

Die zahlreichen Genremotive sind also in einen dialektischen Kontext eingebettet und bilden die entscheidende folie des Bildinhalts. Während in der umlaufenden Randzone alles seinen geordneten Gang geht und der Edelmann sich je nach Altersstufe adäquat verhält, wird das fehlverhalten des schlafenden Krämers im Mittelfeld unmissver-ständlich zur Schau gestellt. Die Genremotive bilden dabei die inhaltliche Klammer zur Verdeutlichung dieses Gegensatzes.

Durch Infrarotreflektographien der Rückseite konnte belegt werden, dass dieser Tisch offensichtlich zeitweilig als Spieltisch Verwendung fand, da sich dort Spielfelder für Tric-Trac und Schach befinden, die zu einem unbekannten zeitpunkt mit Holzfarbe übermalt wurden, was im Hinblick auf Kinkels oben erwähnte These zur funktion solcher Bildertische von Interesse ist.15

Eine weitere bemalte Platte eines falttisches, die der Werkstatt von Hans Baldung Grien zugeschrieben wurde, entstand 1530 (Abb. 3).16 Bis 1945 wurde sie im Kunst-gewerbemuseum in Berlin aufbewahrt und ist seitdem verschollen. Die Wappen an den Ecken sind als diejenigen der Straßburger familien Herlin und Sebott identifiziert worden, so dass wahrscheinlich der Ammeister Martin Herlin und seine zweite frau Catharina Sebott die Auftraggeber waren.17

Auf einer breiten Randzone sind Turnierszenen zu Wasser und auf dem Land, Jagdszenen sowie wiederum die Darstellung des schlafenden Krämers, der von Affen bestohlen wird, zu sehen. Das mittlere feld stellt in zwei entgegengesetzten Bildfel-dern – entsprechend den Kanten des Klapptisches – eine große Badeszene und eine vornehme Gesellschaft beim Musizieren und Spielen im freien dar. Die fülle der Genremotive reihen sich scheinbar ohne eine bestimmte Erzählrichtung aneinander. Tatsächlich kann der Tisch von jeder Seite aus beginnend betrachtet werden. Ebenso wird auf erklärende Schriftbänder oder Texte gänzlich verzichtet. Somit lässt sich auch keine inhaltliche Gegenüberstellung von Tugend und Laster wie im vorigen Beispiel feststellen. Vielmehr führen die verschiedenen Szenen ein Panoptikum menschlicher Torheit vor Augen, wobei sich Anspielungen an die sieben Todsünden in den einzelnen figuren entdecken lassen: der sich im Spiegel betrachtende Narr steht für Superbia, der schlafende Krämer für die Acedia, die Badeszenen sowie die diversen Vergnügungen der vornehmen Gesellschaft im freien spielen auf Avaritia, Gula und Luxuria an, die zum Teil satirisch aufgefassten Kampf- und Turnierszenen mögen Hinweise auf Invi-dia und Ira geben.

Die dritte hier zu betrachtende Tischplatte in der Gemäldegalerie Alte Meister in Kassel stammt von Martin Schaffner und entstand 1533 (Abb. 4, Taf. 25).18 Sie ist viel-leicht der bedeutendste Vertreter der Gattung der Bildertische und hat deshalb bislang die meiste Aufmerksamkeit der kunsthistorischen forschung erfahren. War es am An-fang die Suche nach dem Künstler, so stand – seitdem 1899 Martin Schaffner als Schöp-

15 Siehe dazu die Abbildung auf dem faltblatt Nr. 30 (Tischplatte) aus dem Musée de l’Œuvre Notre-Dame, Straßburg sowie DuPeux: Jugent, S. 190.

16 Klapptisch, 134 x 119 cm (geöffnet), Berlin, Kunstgewerbemuseum, Inv.Nr. K 2610 (Kriegsverlust). KinKeL: Tischplatten, S. 408–411; KohLhaussen: Bildertische, S. 30–33; von Der osten: Grien, S. 265–266.

17 staeDeL: Anmerkungen, S. 78–79.18 Öl auf Lindenholz, 108,5 x 117,5 cm, Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister,

GK 22. Vgl. Kat. ausst.: Erfindung.

318 Justus Lange

Abb. 3: Hans Baldung Grien, Werkstatt, Bemalte Tischplatte, Öl auf Lindenholz, 134 x 119 cm. Ehem. Berlin, Kunstgewerbemuseum (Kriegsverlust).

319Genremotive auf bemalten Tischplatten als pädagogisches Instrument

fer des Werkes gesichert war – die frage nach Auftraggeber und Entstehungskontext im Vordergrund. 1977 konnte Wilhelm Staedel diese frage überzeugend beantworten, indem er die kleine Aufschrift asymus stedelin bei der figur der Caritas mit dem Straß-burger Goldschmied Erasmus Stedelin in Verbindung brachte.19 Immer wieder hatte man versucht, das äußerst inhalts- und beziehungsreiche Bildprogramm zu entschlüs-seln. Hierbei konnten sukzessive immer tiefer gehende Erkenntnisse gewonnen werden. Insbesondere der kritische Bestandskatalog der Kasseler Sammlung altdeutscher Male-rei von Anja Schneckenburger-Broschek von 1997 konnte eine fülle von fragen lösen.20

und dennoch bleiben einige fragen offen. Eine davon – sie ist bislang eigentlich immer nur implizit geäußert worden – ist der ungemeine Detailreichtum des Werkes und – in unserem Kontext wichtig – die Einbettung genrehafter Motive in das Werk. Sie stehen im Werk Schaffners recht isoliert da, sieht man einmal von einem fragment eines Mannes mit Weinkorb ab, das jüngst dem Œuvre Schaffners zugeordnet wurde.21

Die Vielzahl der Beschriftungen ist mit der fünf Jahre vorher entstandenen, heute in Straßburg aufbewahrten Tischplatte gut zu vergleichen und verdeutlicht den pädago-gischen Impetus des Werkes. So wie dort gibt es mittels der Beschriftung bei Schaff-ner einen klar angezeigten Anfang des Rundganges der Betrachtung. folgt man diesen Beschriftungen, so ergibt sich ein inhaltsreiches Programm aus Bezügen zwischen den sieben farben, freien Künsten, Planeten, Tugenden, Wochentagen und Metallen. Viel wurde geschrieben über die angeblich falschen zuordnungen dieser Bezüge, da zum Bespiel Mars üblicherweise mit dem Eisen in Verbindung steht, hier aber mit Kupfer in Relation gesetzt wird. Im Katalog der Schaffner-Ausstellung von 1959 empfand man das Ganze als „das Staccato einer in sich beziehungslosen Kleinteiligkeit und Vielteilig-keit der Komposition.“22 1977 schrieb Karl-August Wirth gar: „Jeder Versuch, hier im einzelnen bedeutungsvoll-beziehungsreiche Gleichwertigkeit des in Parallele Gesetz-ten aufzudecken, wäre sinnlos und irreführend.“23 Schließlich wurde dem Werk sogar jegliche didaktische Intention abgesprochen.24

Dennoch hat es an Erklärungsversuchen nicht gefehlt. Ich selbst habe dies in einer Ausstellung 2002, die Schaffners Tischplatte ins zentrum rückte, unternommen und Sonderwünsche des Auftraggebers nach einer besonderen Anschaulichkeit des damals vorhandenen Wissens als Grund für die Abweichungen angenommen. Da die Tafel für einen Goldschmied entstand, ist den Metallen und ihrer Rangordnung ein besonde-res Augenmerk gewidmet, dem sich die anderen Beziehungen unterzuordnen hatten.25 2008 hat Manuel Teget-Welz in seiner verdienstvollen Schaffner-Monographie auf den umstand hingewiesen, dass die farben – der elementare Grundstoff des Malers – als erstes in den Beschriftungen genannt werden, und zwar in Relation zu den sieben frei-en Künsten. Er folgerte daraus, dass sich darin der Anspruch des Malers als Pictor Doctus ablesen lasse, der sich dadurch von dem Handwerksmilieu abheben wolle.26

19 staeDeL: Bildertisch, S. 302–303.20 schnecKenBurGer-BroscheK: Malerei, S. 230–261.21 teGet-weLz: Schaffner, S. 542–543.22 Pee/LustenBerGer: Schaffner, S. 41.23 wirth: Schriftquellen, S. 365.24 tezMen-sieGeL: Darstellungen, S. 245–246.25 Kat. ausst.: Erfindung, S. 74–79.26 teGet-weLz: Schaffner, S. 275–277.

320 Justus Lange

Bezeichnenderweise verlieh Schaffner der figur des studierenden Ptolemäus seine ei-genen züge (Abb. 5).27

III. Genremotive auf der Tischplatte

In fortführung dieser Thesen möchte ich hier nun auf die Alltagsmotive näher einge-hen, die vielleicht nicht nur dekoratives Beiwerk sind, sondern den Weg zum besseren Verständnis bereiten. Einführend in das Programm des Bildes steht auf der ‚Schultafel‘ bei Ptolemäus:

Ain ieder moerck mit vleysz hiebey Siben farben unnd Künsten frey Siben zaichen unnd Metall Siben Tag der wochen all Siben Tugenden die seind gut Wee dem der dzeit on nutz verthut.28

27 schnecKenBurGer-BroscheK: Malerei, S. 241.28 Kat. ausst.: Erfindung, S. 18.

Abb. 5: Martin Schaffner, Ptolemäus, Detail der bemalten Tischplatte für Erasmus Stedelin. Kassel, Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister.

321Genremotive auf bemalten Tischplatten als pädagogisches Instrument

Schon der Eingangssatz Ain ieder moerck mit vleysz hiebey gibt ein Stichwort vor, das ich im folgenden etwas näher beleuchten möchte: fleiß. Mit dem Schlusssatz Wee dem der dzeit on nutz verthut wird unmissverständlich an die Einhaltung des Programms verwiesen. Müßiggang wird als etwas Schlechtes gebrandmarkt.

Bekanntlich hatten sich sowohl in Schaffners Heimatstadt ulm als auch in Stedelins Wirkungsstätte Straßburg wenige Jahre vor der Entstehung der Tischplatte mit Einfüh-rung der Reformation (Straßburg 1529, ulm 1530) die Rahmenbedingungen für Maler und Goldschmied grundsätzlich geändert. Waren vorher sowohl für den Goldschmied als auch für den Maler Aufträge seitens der Kirche ausschlaggebend für den wirtschaft-lichen Erfolg gewesen, so wandten sie sich nun – gezwungenermaßen – mehr und mehr dem wohlhabenden Bürgertum zu. Dass dieser Wandel schrittweise erfolgte, belegen einige Dokumente. Bereits 1525 reichten die Straßburger Maler und Bildhauer eine schriftliche Eingabe an den Rat der Stadt ein, in der sie um unterstützung baten.29 Ein Holzschnitt Peter flötners aus der zeit um 1530/40 zeigt einen Goldschmied, der sich als Landsknecht verdingen muss, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.30 In dieser unruhigen zeit war es vielleicht angebracht, auf die elementaren Tugenden des Kunsthandwerkers hinzuweisen: Arbeit und fleiß. Christoff Stedelin, der Vater von Erasmus, war selbst Goldschmied und bekleidete wichtige ämter in Straßburg, 1523 saß er im Kleinen Rat der Goldschmiedezunft, 1529 im Großen Rat. Wenn er hinter dem Auftrag an den ulmer Maler Martin Schaffner steht – und es spricht einiges dafür – dann hätte er mittels der anspruchsvoll gestalteten Tischplatte nicht nur seine Stellung, sondern auch seine Vorstellung von Arbeit und fleiß zu demonstrieren beab-sichtigt. Darüber hinaus dürfte Erasmus Stedelin 1533 oder kurz davor seine Ausbil-dung zum Goldschmied abgeschlossen haben, so dass eine derart inhaltsreich bemalte Tischplatte dieses Ereignis programmatisch visualisiert hätte.31

Auf der Grundlage von Max Webers einflussreicher Arbeit ‚Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus‘ wurde versucht, ein spezifisch protestantisches Arbeitsethos in der frühen Neuzeit auszumachen.32 Kronzeuge war dabei unter ande-ren Luther mit seinen Texten. Konrad Wiedemann konnte dementgegen 1979 heraus-arbeiten, dass die Vorstellung von Arbeit im 16. Jahrhundert im Wesentlichen noch mit derjenigen des Mittelalters übereinstimmte.33

Ilja M. Veldman hat ausgehend von diesen Arbeiten die niederländische Druckgra-phik mit Darstellungen von Arbeit und fleiß untersucht. Sie stellte fest:

In the sixteenth century the themes of labor and diligence appear almost exclusively in prints and book illustrations, both of which were pre-eminently produced by and for the burghers.34

29 rott: Quellen, Bd. 3/1, S. 304–305.30 Holzschnitt, 290 x 200 mm, bez. Steffan Goldschmidt. Nach Schatpffer kunst sein mein begier/Der Ni-

derlendischen manier/Von gulden Schewren/Roten ringen/Nun will mein fuß ich weyter schwingen/zu einem Herren in Trabaten/Ein Monat lang umb acht Ducaten/Dem will sein feindt ich helfen schlagen/mein stolzen leyb gar dapffer wagen. hoLLstein: Engravings, S. 121.

31 staeDeL: Anmerkungen; Kat. ausst.: Erfindung, S. 62–65.32 weBer: Ethik, S. 96–138.33 wieDeMann: Arbeit, S. 115–152.34 veLDMan: Images II, S. 227–264.

322 Justus Lange

In Ergänzung zu ihren Beobachtungen zur Druckgraphik lässt sich anhand der bemal-ten Tischplatte Martin Schaffners ein vergleichbares Vorgehen feststellen. Lässt sich daraus eine dezidiert bürgerliche Ikonographie ablesen?

zunächst fällt der ungeheure Detailreichtum in der Schilderung der Gegenstände ins Auge, die sich zum Teil mit tatsächlich erhaltenen kunsthandwerklichen Gegen-ständen in Beziehung setzen lassen, also verdeutlichen, dass der Künstler von real exis-tierenden Dingen ausging. Die allegorischen figuren wiederum zeichnen sich durch ihre betont zeitgenössische Kleidung des wohlhabenden städtischen Patriziats aus. Bemerkenswert ist zudem die Vielzahl der Vögel auf der Tischplatte. Neben den ein-zelnen symbolischen Bedeutungen der Vogelarten könnte es sich dabei auch um einen Verweis auf Hiob 5, 7: Homo natus ad laborem et avis ad volatum handeln, also „der Mensch ist geboren, um zu arbeiten, die Vögel, um zu fliegen.“ Ein Verweis, der sich in der niederländischen Graphik des 16. Jahrhunderts wiederholt bei der Darstellung von Labor und Diligentia findet.35

Blickt man schließlich auf die Darstellungen im Hintergrund, so erkennt man einige figuren, die auf den ersten Blick bloße Staffagefiguren zu sein scheinen, auf den zwei-ten aber eine bemerkenswerte Vorstellung von Arbeit und fleiß vor Augen führen, stellt man sie in Beziehung zu den Texten der Tischplatte.

1. Ackerbau

Im Hintergrund der Allegorie der Spes befinden sich Bauern, die ein feld bestellen (Abb. 6). Spes wird hier mit Grammatik verbunden: Der Sämann rechts verweist auf diese traditionelle Vorstellung dieser freien Kunst, wie ein Einblattholzschnitt von 1480 belegt, auf dem die sieben freien Künste mit verschiedenen Tätigkeiten in Bezie-hung gesetzt werden und die Grammatik ganz links als Sämann gezeigt wird (Abb. 7).36 Gut möglich, dass sich Schaffner in seinem Werk an dem Holzschnitt orientierte. Si-cher dagegen ist, dass sich der Künstler in der Gestaltung des pflügenden Bauern an den Holzschnitt ‚Der Ackermann‘ aus Hans Holbeins ‚Totentanz‘ anlehnte, worauf erstmals Helmut Börsch-Supan 1960 aufmerksam machte und was in der folgezeit von forschern wiederholt wurde, ohne jedoch der frage nachzugehen, ob diese Motivüber-nahme auch eine inhaltliche Begründung haben könnte.37 Vergleicht man Holzschnitt und Malerei, so wird einerseits diese Motivübernahme sehr anschaulich, andererseits jedoch ergibt sich ein signifikanter unterschied, da bei Schaffner den Ackermann nicht der Tod, sondern ein zweiter Bauer begleitet, der die Pferde antreibt, während der hin-tere den Pflug steuert. Holbeins Holzschnitt wurde 1538 schließlich mit der inscriptio In sudore vultus tui vesceris pane tuo versehen, also Genesis III, 17–19: „Du sollst Dein Brot im Schweiße deines Angesichts essen.“ Nach dieser Lesart wird Arbeit also als Bürde verstanden, die auf die Erbsünde zurückgeht. In diesem Kontext wird der beige-fügte Vers auf Schaffners Tischplatte interessant:

35 veLDMan: Images II, S. 230.36 Die sieben freien Künste, Einblattholzschnitt, 258 x 363 mm, Gotha, Stiftung Schloss friedenstein,

Kupferstichkabinett, Inv.Nr. 1,4–6. Vgl. schnecKenBurGer-BroscheK: Malerei, S. 241; Kat. ausst.: Erfindung, S. 23, 34 und 86–88.

37 Börsch-suPan: Schaffner, S. 7; schnecKenBurGer-BroscheK: Malerei, S. 243.

323Genremotive auf bemalten Tischplatten als pädagogisches Instrument

Gelb sich der überwinder klaidt Grammatica all Künsten laidt Sonn ist der siben zaichen licht Durch Gold man offt den Sontag bricht Wer rechte tugend woll verstan Der soll ain gute Hoffnung han.38

Der Hinweis „Durch Gold man oft den Sonntag bricht“ wird deutlich als Warnung davor zu verstehen sein, wegen der Erwerbsarbeit, dem Streben nach Reichtum, den Sonntag und damit den Lobpreis Gottes nicht zu wahren. Die Vorstellung von Arbeit wird damit in einen theologischen Kontext gestellt.

Der Goldpokal bei der Allegorie der Spes auf Schaffners Tischplatte ist dem sog. ‚Bullingerpokal‘, eine Arbeit eines bislang nicht identifizierten Straßburger Meisters im Schweizerischen Landesmuseum in zürich, nicht unähnlich.39 Bemerkenswert ist zu-dem, dass in Heinrich Bullingers Schauspiel ‚Lukretia und Brutus‘ von 1533, also dem-selben Jahr wie Schaffners Tischplatte, ein vergleichbares Arbeitsethos vertreten wird:

38 Kat. ausst.: Erfindung, S. 22.39 Kat. ausst.: Erfindung, S. 64.

Abb. 6: Martin Schaffner,

Bauern auf dem feld, Detail der bemalten Tischplatte

für Erasmus Stedelin. Kassel, Museumslandschaft

Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister.

Abb. 7: Die sieben freien Künste, um 1480, Einblattholzschnitt, 258 x 363 mm. Gotha, Stiftung Schloss friedenstein, Kupferstichkabinett.

324 Justus Lange

from(m) uffrecht syn und sich began Mit arbeyt zimpt ein frommen man. Der soll sich ouch vergnügen lon und maessig syn, nit muessig gon Der würt in seynen alten tagen Gantz froelich syn on alles klagen.40

Labor und Diligentia werden so zu spezifisch bürgerlichen Tugenden erhoben. Doch ist es damit selbstverständlich nicht getan. Entscheidend ist darüber hinaus auch das Vorhandensein technischer und wissenschaftlicher Kenntnisse, ohne die es keinen wirtschaftlichen Erfolg gibt. Deutlich wird dies etwa an der Darstellung des Montan-wesens, das am oberrhein keine unbedeutende Rolle spielte.41

2. Bergbau

Im Hintergrund der Allegorie der Prudentia sind figuren bei verschiedenen Tätigkei-ten aus dem Erzbergbau zu erkennen, deren Wiedergabe eine gewisse Kenntnis dieses Berufs verrät (Abb. 8).42 So sieht man im Vordergrund eine Schmiede, vor der zwei Männer einen Gegenstand auf einem Amboss schmieden. Links fährt ein Bergmann eine Laufkarre aus einem Stollen heraus. Darüber sieht man zwei Männer, die ein Holz für den Grubenausbau tragen. Weitere Hölzer sind vor der Schmiede zu erkennen. Gerade der Erzabbau stand im zeichen des Saturns unter besonders günstigen Bedin-gungen. So heißt es in der ‚Astronomia Deutsch‘ von 1578:

In den stunden Saturni ist gut schwere ding kauffen unnd verkauffen/als Eisen/Bley/unnd allerley Metall unnd schwer Ertz/schwere stein/schwartz gewandt […] Ertz gra-ben/und was in der Erden zuhandeln ist.43

Nun waren Darstellungen von Bergbau zu zeiten Schaffners keine Seltenheit mehr und Rainer Slotta hat sogar vermutet, dass Erasmus Stedelin selbst in diesem Bereich tätig war.44 Es handelt sich demnach nicht um ein dekoratives Detail, sondern einen Hinweis zum tieferen Verständnis des Bildprogramms. Die Inschrift auf der Tischplatte gibt auf jeden fall zu bedenken, dass im falle des Bergbaus besonders die Prudentia erforder-lich sei:

Schwartz dem laidige wol ansteet Astronomy das gstirn durchgeet Hat derhalb den Sambstag bevor Saturnus fiert die Eysin spor Wer woll das im sey glück berait Der brauch sich der fursichtigkait.45

40 wieDeMann: Arbeit, S. 228.41 MeyerDirKs: Bergbau.42 sLotta: Bildertisch, S. 70–73.43 anonyM: Astronomia, S. 61.44 sLotta: Bildertisch, S. 85–86.45 Kat. ausst.: Erfindung, S. 37.

325Genremotive auf bemalten Tischplatten als pädagogisches Instrument

3. Musik

Musik und Tanz tauchen bei bemalten Tischplatten bisweilen auf. Diejenige aus der Werkstatt Baldung Griens zeigte vornehm gekleidete festgesellschaften bei Musik und Tanz und stellte diese im Kontext der anderen Darstellungen in einen negativen Kontext des nichtigen zeitvertreibs. Auf Martin Schaffners Werk wiederum findet sich eine gänzlich andere Vorstellung. zu den füßen der Allegorie der Temperantia liegen Harfe und Laute sowie ein aufgeschlagenes Notenbuch, in dem der Anfang des be-kannten Liedes des Komponisten Ludwig Senfl (1486–1542/43) ‚Mein fleiß und Mühe‘ zu erkennen ist (Abb. 9).46 Der bitter-resignative Text handelt vom undank der Welt. obwohl er sein Leben lang seinem Herrn gedient hat, erhält der Landsknecht nicht die verdiente Anerkennung: „Mein treuer Dienst bleibt unerkannt.“47 Es mag deshalb auch kein zufall sein, dass im Hintergrund ein Landsknecht zu erkennen ist, der im Gespräch mit einer frau zu sein scheint. Interessant ist, dass die erste Druckfassung des Liedes erst aus dem folgenden Jahr (1534) bekannt ist und somit der Darstellung auf der Tischplatte besondere Bedeutung zukommt. Gleichzeitig spricht es auch für die

46 schnecKenBurGer-BroscheK: Malerei, S. 254.47 hecKMann: Venus, S. 317.

Abb. 8: Martin Schaffner, Bergwerkszene, Detail der bemalten Tischplatte für Erasmus Stedelin. Kassel, Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister.

326 Justus Lange

Beliebtheit und Verbreitung des Liedes. Auf Schaffners Tischplatte wird die Musik also nicht zum Sinnbild des unnützen zeitvertreibs, sondern eher zur Trostspenderin des aufrichtig handelnden Menschen.

4. Jagd

Bei den vorangegangenen Beispielen spielte das Thema der Jagd eine große Rolle. So zeigen sowohl der Tisch von Hans Herbstals auch derjenige aus der Werkstatt Hans Baldung Griensverschiedene Jagdszenen. Inhaltlich zielten diese Szenen eher auf eine zurschaustellung eines unnützen zeitvertreibs, wie dies bereits Sebastian Brants Kritik in seinem erstmals 1494 erschienenen ‚Narrenschiff‘ formulierte:

Auch Jagen nicht ohn Narrheit bleibt, Die zeit man nur damit vertreibt; Wiewohl es sein soll Scherz und Spiel, So macht es doch der Kosten viel.48

48 Brant: Narrenschiff, S. 271.

Abb. 9: Martin Schaffner, Allegorie der Temperantia, Detail der bemalten Tischplatte für rasmus Stedelin. Kassel, Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister.

327Genremotive auf bemalten Tischplatten als pädagogisches Instrument

Auf der Tischplatte von Martin Schaffner findet das Thema der Jagd nur als kleines Detail im Hintergrund der Allegorie der Fortitudo Verwendung. Die Verbindung mit Fortitudo konnotiert das Jagen durchaus positiv. In der Kombination mit der Rechen-kunst gibt er schließlich den Hinweis: Arithmetric rechent die list, so dass der Jagd insgesamt ein eher positiver Aspekt zugewiesen wird, der den Erfolg des Jägers von seinem taktischen Geschick (seiner List bzw. Klugheit) abhängt macht.49

IV. Tugend und Laster im Mantel des Genres

Ein Jahr nach Schaffners Werk entstand die Tischplatte Hans Sebald Behams für Kar-dinal Albrecht von Brandenburg.50 Sie stellt die biblischen Szenen aus der Davids-geschichte dar. Auch hier lassen sich im Hintergrund genrehafte Motive ausmachen, die „mit weltlicher Lust gewürzt“ geschildert sind, wie es von Gottfried Kinkel 1876 bezeichnet wurde. So entdeckt man im Hintergrund der Darstellung des Triumphs Davids einen Mann seine Notdurft verrichten.51 Dennoch spielen Genremotive kaum mehr eine besondere inhaltliche Rolle.

Damit kommen wir noch einmal auf Kinkels Bemerkung zurück, dass in den Tisch-platten der Anfang der Genremalerei zu finden ist. Drei fragmente einer Tischplatte, die offensichtlich eine ähnliche Komposition wie Baldung Griens verschollenes Werk in Berlin zeigte, haben sich im Museum Wiesbaden erhalten und wurden dort als Ein-zelwerke katalogisiert (Abb. 10).52 Sie zeigen eine Bauern-, eine Bade- und eine Ritter-kampfszene. Die halbe Tischplatte soll aus der Martinsburg in Mainz stammen und könnte somit ebenfalls mit Kardinal Albrecht von Brandenburg im zusammenhang stehen.53 Im sprichwörtlichen Sinne haben sich so aus der Tischplatte tatsächlich Gen-remotive als Bildthema herausgelöst. Vergleichbar zeigt sich dies etwa in der kleinen Holztafel mit der Darstellung der Ira in Bergamo, die aus dem ‚Todsündentisch‘ des Hieronymus Bosch, Museo del Prado) ‚herausgelöst‘ wurde.54

Selbstverständlich sind diese Herauslösungen dem jeweiligen Einzelschicksal der Werke geschuldet. Dennoch ist bemerkenswert, dass sie sich überhaupt erhalten haben. Es lässt auf eine gewisse Wertschätzung solcher vereinzelter Genremotive schließen. Dies lässt sich auch als allgemeine feststellung bei der Darstellung der Sieben Todsün-den konstatieren.55

49 Kat. ausst.: Erfindung, S. 26–27.50 Öl auf Holz, 128 x 131 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv.Nr. 1033 (S/AR). Vgl. wieMers: Kardinal.51 wieMers: Kardinal, S. 225.52 Die ursprüngliche Hälfte der Tischplatte (Mischtechnik auf Holz) maß 57 x 129 cm. Vgl. Kat. Mus.:

Catalog, S. 31, Nr. 146 (dort als Pieter Breughel, Die menschlichen Thorheiten. Allegorie. Tischplatte aus der Martinsburg in Mainz). Sie gelangte 1824 in Museumsbesitz. Wohl Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie in vier Teile zersägt. Heute werden drei fragmente als deutsche Schule, um 1600 geführt: Ba-deszene, 31 x 77,5 cm (Inv.Nr. M 279), Tanzende Paare, 27,5 x 37,5 cm (Inv.Nr. M 280) und Turnierpaa-re, 22,5 x 29,5 cm (Inv.Nr. M 281). Ein viertes fragment (ca. 20 x 129 cm) wurde 1936 vertauscht gegen die heutige Inv.Nr. M 116. Peter forster (Wiesbaden) sei an dieser Stelle herzlich für die zusendung von fotos und Informationen zu den fragmenten gedankt.

53 KinKeL: Tischplatten, S. 412.54 Öl auf Holz, 22 x 30 cm, Accademia Carrara, Bergamo, Inv.Nr. 1005. Vgl. rossi: Accademia S. 271

(dort Pieter Brueghel d.J. zugeschrieben).55 BLöcKer: Studien, S. 28–32.

328 Justus Lange

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329Genremotive auf bemalten Tischplatten als pädagogisches Instrument

Blickt man abschließend noch einmal auf Schaffners Tischplatte, so wird deutlich, dass er hiermit gerade keine ‚beziehungslose Kleinteiligkeit‘ schuf, sondern vielmehr mit einem vereinheitlichten Bildraum, der sich von den vier Seiten aus erschließt, regel-recht einen Wissensraum schuf, in dem die notwendigen Kenntnisse für den Auftrag-geber sowie den Maler versammelt sind: oder – wenn man so möchte – ein Manifest für einen freien Künstler. In Anbetracht der gewandelten, unsicheren Auftragssituati-on entstand so ein überaus programmatisches Werk. Genremotive dienen ihm hierbei gerade zur Veranschaulichung des Programms. Es sollte eben kein abstraktes theore-tisches Gebilde sein, sondern ein besonders anschauliches objekt mit pädagogischem Impetus. In der Person des Ptolemäus, der sich fleißig dem Studium widmet, schuf Schaffner eine unmittelbare Identifikationsfigur (vielleicht auch für sich selbst). Bei ihm beginnt und endet das umfangreiche Bild- bzw. Bildungsprogramm. Vielleicht be-finden sich auch nicht zufällig zwischen der Allegorie der Prudentia und ihm Sporen dargestellt – ein traditionelles Attribut der Diligentia.56 In der figur des Ptolemäus kann man also geradezu eine Allegorie der Diligentia und zwar des fleißigen und freien Künstlers erkennen. Körperlich gearbeitet wird im Hintergrund bei den Bauern und Bergleuten – Kunst und Wissenschaft werden dagegen im Vordergrund gezeigt.

Anhand dieser hier nur angerissenen Details wird deutlich, welche funktion solche bemalten Tischplatten gehabt haben könnten: zwar mag daran auch gespielt worden sein, jedoch lag ihre eigentliche Bestimmung in der Visualisierung des gelehrten Dis-kurses. Es handelte sich um Konversationsstücke, die dem angeregten Gespräch immer wieder Stoff liefern konnten. Sie vermittelten darüber hinaus – wie im falle Martin Schaffners – ein bürgerlich-humanistisches Tugendideal.57

In Ludger tom Rings d.J. 1569 entstandenen Bildnissen des Braunschweiger Pat-rizierehepaares Reinhard Reiners und Gese, geb. Meier drückt sich dieser bürgerlich-humanistische Stolz unmittelbar aus. Reiners, der wie Stedelin Goldschmied und Rats-mitglied war, zeigt sich selbstbewusst vor einer bemalten Tischplatte, die sich auf dem Porträt seiner Ehefrau anschließt.58 Auf der dunklen fläche, die sich ähnlich auf den genannten Platten in zürich und Straßburg findet, sind einzelne figuren und fabel-wesen zu erkennen. Da auch die Tischplatte aus der Werkstatt Baldung Griens für ei-nen Goldschmied (oder seinen Sohn) entstand, zeigt sich, dass solche Möbel weniger bloßer zierrat waren als vielmehr Ausdruck eines gehobenen bürgerlichen Standesbe-wusstsein. Es dürfte sich also gerade nicht um Gelegenheitsarbeiten mangels anderer Aufträge handeln, wie verschiedentlich vermutet.59 Im Gegenteil handelte es sich um besonders kostbare, herausgehobene Kunstwerke. Anspielungen auf die freuden des Lebens – in Anspielung höfischer Traditionen, aber auch Arbeit und fleiß, Grundlage der erworbenen gesellschaftlichen Position –, fanden dort ihren unmittelbaren Nieder-schlag, ganz so, wie es in Johann fischarts Schrift ‚Das Glückhafte Schiff von zürich‘ aus dem Jahr 1576 als Lob auf die Stadt heißt:

56 veLDMan: Images II, S. 234.57 Bautz: Virtutes, S. 119–124.58 Öl auf Holz, 84,5 x 53,3 und 85,8 x 58 cm, Braunschweig, Herzog Anton ulrich-Museum, Inv.Nr. 698

und 699 (Leihgaben des Städtischen Museums Braunschweig). Vgl. zuletzt LucKharDt/sors/cLaus: Meisterwerke, S. 86–87; Kat. Mus.: Gemäldesammlung, S. 574.

59 von Der osten: Grien, S. 265.

330 Justus Lange

Dan nichts zirt aine Stat so sehr Als ehrlich Künst und gute Lehr.60

In Sebastian Brants ‚Narrenschiff‘ hieß es dagegen noch schlichter im Hinblick auf die feldarbeit:

Selig, wer mit der Hacke schafft, Doch Müßiggang ist narrenhaft. Die Müßiggänger straft der Herr, Der Arbeit gibt er Lohn und Ehr.61

Sowohl Brants als auch fischarts Verse drücken einen nicht geringen Stolz des Bür-gertums gegenüber der höfischen Sphäre aus, dem entsprechend repräsentative und didaktisch aufgeladene Kunstwerke Ausdruck verleihen sollten. Dies galt in beson-derem Maße in der alten Patrizierstadt Straßburg, in der die zünfte eine bedeutende politische Rolle spielten. Blickt man abschließend noch einmal auf die hier erwähnten Tischplatten, lässt sich hinsichtlich der Verwendung von Genremotiven eine bemer-kenswerte Wandlung feststellen. Während bei Hans Herbst der Eindruck eines Durch-einanders überwiegt, in dem das Chaos auf die beiden negativen Gestalten des Nemo (Niemand) und des schlafenden Krämers zurückzuführen ist, herrscht bei Schaffner eine klare ordnung. Man könnte es auch als eine Gegenüberstellung der Laster von Acedia und Desidia bei Herbst und der Tugenden Diligentia und Labor bei Schaffner bezeichnen. Diese inhaltlichen Differenzen spiegeln sich auch kompositorisch. Herbst entwickelt seine Komposition in der fläche und nimmt eine gewisse Beziehunglosig-keit der Dinge zueinander in Kauf, während Schaffner zu einem vereinheitlichten Bild-raum tendiert, der den jeweiligen figuren Aktionsraum bietet. Die beiden Klapptische in Straßburg und ehemals Berlin wiederum arbeiten konstruktionsbedingt mit jeweils auf eine Tischhälfte hin komponierten Bildflächen, die sich gegenüberstehen.

Ein Jahr nach Schaffners Tischplatte entstand die bereits erwähnte von Hans Sebald Beham, die mit der architektonischen Rahmung der vier dreieickigen Bildfelder ein neues Kompositionselement einführt. Wenig später scheinen die bemalten Bildertische jedoch keine nennenswerte Rolle mehr gespielt zu haben.62 für dekorierte Tischplat-ten bevorzugte man nun Stein als Material, was wiederum Rückschlüsse auf die Ver-wendung solcher Tische zulässt. Eine 1545 entstandene Platte aus rotem Sandstein mit flachreliefs in Trier ist hierfür ein gutes Beispiel, das sich zudem inhaltlich mit Darstel-lungen der Weibermacht und der ‚Verkehrten Welt‘ an manche hier gezeigten bemalten Tischplatten anschließt.63

Die Entwicklung der Genremalerei ging schließlich andere Wege, jedoch sind die bemalten Tischplatten eine nicht zu unterschätzende Vorstufe auf dem Weg dazu. Ilja Veldman zeichnete anhand der niederländischen Druckgraphik des 16. Jahrhunderts den Weg von der Allegorie zum Genre nach.64 Bei den Tischplatten scheint der Weg

60 wieDeMann: Arbeit, S. 250.61 Brant: Narrenschiff, S. 359.62 Einzig eine 1575 entstandene Platte mit Wappen und Notenbüchern im Museum in Neumarkt in der

Pfalz bildet einen einsamen Nachzügler. KohLhaussen: Bildertische, S. 45.63 seewaLDt: Welt.64 veLDMan: Images I, S. 207.

331Genremotive auf bemalten Tischplatten als pädagogisches Instrument

jedoch etwas anders verlaufen zu sein: Das anfängliche Überwiegen genrehafter Szenen weicht sukzessive immer komplexeren allegorischen Darstellungen, die Genremotive in den Dienst ihres Bildprogramms stellen.

Bildnachweise

Abb. 1: Lucas wüthrich: Der sogenannte ‚Holbein-Tisch‘. Geschichte und Inhalt der bemalten Tischplatte des Basler Malers Hans Herbst von 1515, zürich 1990.

Abb. 2: © Photo musées de Strasbourg, Mathieu Bertola.Abb. 3: Gert von Der osten: Hans Baldung Grien. Gemälde und Dokumente, Berlin 1983.Abb. 4: © Museumslandschaft Hessen Kassel, foto Arno Hensmanns.Abb. 5: © Museumslandschaft Hessen Kassel, foto Arno Hensmanns.Abb. 6: © Museumslandschaft Hessen Kassel, foto Arno Hensmanns.Abb. 7: © Gotha, Stiftung Schloss friedenstein, foto Lutz Ebhardt. Abb. 8: © Museumslandschaft Hessen Kassel, foto Arno Hensmanns.Abb. 9: © Museumslandschaft Hessen Kassel, foto Arno Hensmanns.Abb. 10: © Museum Wiesbaden, foto Ed Restle.

Quellen und Literatur

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VI. Wahre Liebe versus Liebe als Ware: Sexualität und Geschlechterbeziehung

zwischen Minne, Bad und Bordell

Stefan Matter

Konversationsstücke des 15. Jahrhunderts. Überlegungen zu einigen Minnegarten-Stichen um Meister E.S. vor dem Hintergrund literarischer Minnediskurse der zeit

Die folgenden Überlegungen wurden angeregt von zwei fast zeitgleich und unabhän-gig von einander erschienenen untersuchungen zu Minnegarten-Darstellungen in der Druckgrafik der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Keith Moxey1 und Thea Vig-nau-Wilberg2 nahmen bei ihren Arbeiten die figur des Narren in den Minnegärten des Meisters E.S. in den fokus und versuchten, die von ihnen behandelten Stiche als bürgerliche Reaktion auf überkommene höfische Minneideale zu lesen. Beide Arbeiten erschienen in den frühen Achtzigerjahren und seither scheint sich diese Lesart in der forschung etabliert zu haben – zu unrecht, wie ich meine.

Ich will daher im folgenden zunächst die Argumentation, die zu dieser Interpre-tation geführt hat, kurz nachzeichnen, um dann eine alternative Deutung vorzuschla-gen. Diese wird sich stärker und vor allem differenzierter auf die literarischen Diskurse der Entstehungszeit der Stiche stützen, weil ich meine, dass die Grafiken nur vor dem Hintergrund der in literarischen Texten verhandelten Probleme verständlich werden. Dies gilt umso mehr, als dass es sich bei der höfischen Minne, um die die Darstellungen unzweifelhaft kreisen, um ein primär literarisches Phänomen handelt.

um welche Stiche handelt es sich? Sowohl Moxey wie auch Vignau-Wilberg gehen zunächst vom üblicherweise früh im Schaffen des Meisters angesetzten ‚Liebesgar-ten mit Schachspielern‘ aus (L 214), der in einem umzäunten Garten drei Liebespaare zeigt (Abb. 1).3 Während das mittlere Paar stehend an einem Tisch Schach spielt, ist die Dame des linken Paares mit einer Kette und vermutlich einem Ring beschäftigt, den sie möglicherweise von ihrem Galan geschenkt bekommen hat. Am rechten Bildrand liest eine junge Dame aufmerksam in einem Brief, wobei ein vor ihr stehender junger Mann ebenfalls einen Blick auf die zeilen zu erhaschen versucht. Diese letztgenannte figur ist durch ihre kurzgeschorenen Haare und ihre Kleidung als Narr ausgewiesen – eine figur, die zu jener zeit in Minnegärten ausserhalb des Œuvres des Meisters E.S. nicht eben verbreitet ist und daher durchaus Aufmerksamkeit verdient.4

Der Meister E.S. allerdings hat die Narrenfigur immer wieder verwendet und nach seinen Stichen wurde sie verschiedentlich vom Banderolenmeister und von Israhel van Meckenem kopiert. Ich zeige hier zuerst (Abb. 2) den nur als fragment überlieferten

1 Vgl. Moxey: Master E.S.2 Vgl. viGnau-wiLBerG: Minne.3 Vgl. Lehrs: Geschichte, Bd. 2, S. 302f.4 zur figur des Narren und deren Erkennungsmerkmalen vgl. die materialreiche Arbeit von MezGer:

Narrenidee, insbes. S. 183–309.

338 Stefan Matter

Abb. 1: Meister E.S., Liebesgarten mit den Schachspielern, Kupferstich, 166 x 208 mm (L 214).

Abb. 2: Meister E.S., Kleiner Liebesgarten, Kupferstich, 77 x 200 mm (L 207).

339Konversationsstücke des 15. Jahrhunderts.

kleinen Liebesgarten des Meisters E.S. (L 207), in welchem der Narr Dudelsack spie-lend hinter dem Brunnen und damit im zentrum des heute beschnittenen unikates auftaucht.5 Die Dame des um den Brunnen sitzenden Paares hält auf ihrer Linken einen Papagei, während der Mann mit der seinen nach dem Dolch zwischen seinen Beinen greift. Der Mann des linken Paares, auch er mit einem Dolch zwischen den Beinen, greift nach der Brust seiner Begleiterin, an deren Gürtel in auffälliger Weise ein Geld-beutel hängt. Das heute verlorene Paar am rechten Bildrand, auf welches noch Reste eines Spruchbandes verweisen, wurde nach allgemeiner Überzeugung, ebenso wie die anderen beiden Paare, auf dem Jungbrunnen-Stich des Banderolenmeisters wiederholt (L 92) (Abb. 3). Das dort dargestellte Paar lüftet sich gegenseitig die oberbekleidung, eine Szene, die wir im umkreis von Meister E.S. auch mehrfach mit einem männlichen Narren überliefert haben.6 Damit berühren sich die Kompositionen von L 214 und L 207 in entscheidenden Punkten.

5 Vgl. Lehrs: Geschichte, Bd. 4, S. 296f.6 höFLer: Meister E.S., Bd. 1, Abb. 23 und 24 (ehem. Israhel van Meckenem zugeschrieben). – Lehrs:

Geschichte, Bd. 4, S. 140, glaubte nicht mehr an eine Entlehnung des Paares von L 207, sondern nur der Dame; was er sich anstelle des ‚Galans‘ vorstellte, verschweigt er. Denkbar wäre aber eben ein Narr.

Abb. 3: Meister der Banderolen, Jungbrunnen, Kupferstich, 235 x 319 mm (L 92).

340 Stefan Matter

Auch im großen Liebesgarten (L 215) (Abb. 4) taucht der Narr an prominenter Stelle auf, nämlich im Vordergrund und aus dem Bild herausblickend, während seine Begleiterin ihm sein Geschlecht entblößt. Hier ist der abgeschlossene Garten in eine Landschaft eingebettet, in welcher mit einer Jagd und einem Lanzenstechen noch wei-tere Vergnügungen der höfischen Gesellschaft ins Bild gesetzt sind.

Die funktion des Narren im Liebesgarten liegt für Moxey und Vignau-Wilberg auf der Hand: Er parodiere die Ideale der höfischen Minne, die in der zweiten Hälfte des

Abb. 4: Meister E.S., Großer Liebesgarten, Kupferstich, 235 x 153 mm (L 215).

341Konversationsstücke des 15. Jahrhunderts.

15. Jahrhunderts bereits längst überholt und insbesondere unter den Rezipienten der Stiche aus der Mode gekommen sei. Es lasse sich nämlich die gleichsam schöngeistige zwecklosigkeit des Werbens um eine – im besten fall ausserdem noch verheiratete – Dame keineswegs mit deren frühbürgerlichen ökonomischen Ansprüchen und den da-mit verbundenen Moralvorstellungen zur Deckung bringen. Der die tumbe fleisches-lust oder gar die fornicatio verkörpernde Narr dekuvriere den Minnedienst als das, was er im Kern eigentlich sei, nämlich plumpes Streben nach sexueller Lustbefriedigung außerhalb der städtisch und kirchlich sanktionierten Ehe. Mit dem moralischen zei-gefinger dies anzuprangern sei wiederum die große Leistung des Meisters E.S., und als solche wird sie seither in der forschung kolportiert, von Michael Camilles vielgelese-nem Buch zur Liebe im Mittelalter bis zu den jüngsten Katalogen und Monographien.7

Auf diese Weise werden zum einen Ideen aus Huizingas ‚Herbst des Mittelalters‘ weitergeführt, der sich die ausgefeilten höfischen Rituale des späten Mittelalters nicht anders als inhaltsleer und damit dekadent denken konnte,8 zum anderen fügen sich diese Liebesgarten-Interpretationen in die kunsthistorische forschungsdiskussion um die Gattung der Genremalerei, die vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert als bürgerliche Kunstgattung verstanden und etabliert worden ist, in welcher fragen des sittlichen Verhaltens in bürgerlichem oder zumindest frühbürgerlichem Kontext the-matisiert würden.9

Moxey und Vignau-Wilberg untermauern diese ihre Lesart der Narrenfigur mit ikonologischen Detailuntersuchungen, insbesondere aber auch durch den Verweis auf literarische Quellen, namentlich fastnachtsspiele, teilweise auch flugblätter, nur ganz am Rande auch auf höfische Literatur. Es ist dies der Punkt, an dem ich mit meiner Re-lecture einsetzen möchte, denn die meisten herangezogenen Texte sind eine beträchtli-che zeit nach der Schaffensperiode von Meister E.S. entstanden, die grob in das dritte Viertel des 15. Jahrhunderts fällt, und bilden zudem nur einen sehr beschränkten Aus-schnitt aus dem literarischen Spektrum der zeit ab.

Keith Moxey etwa führt unter anderen folgende Vergleichsbeispiele an: einen Ein-blattdruck ‚Die Ewlen Bays‘ mit einem Text von Erhard Schön, datiert 1532;10 ein tex-tiertes flugblatt ‚Wer weis obs war ist‘ aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts;

7 caMiLLe: Kunst, S. 162–164; Kat. ausst.: Meister E.S., S. 81–84, Kat. Nr. 95 (L 207), 97 (L 214) und 98 (L 215); höFLer: Meister E.S., Bd. 1, S. 107–112; MohrLanD: frau, S. 192–199.

8 huizinGa: Herbst; zur Auseinandersetzung mit Huizingas zerfalls-Modell vgl. die dortige Einleitung von BirGit FranKe und BarBara weLzeL oder beispielsweise: Keen: Huizinga; zur vorgeblichen Krise des Rittertums im späten Mittelalter allgemein: saBLonier: Rittertum.

9 Exemplarisch sei BrieGer: Genrebild, genannt, der mit Kapiteln zur ‚bürgerlichen Malerei im Alter-tum‘ und im Mittelalter einsetzt, und damit immerhin – trotz der möglichen Kritik an seinem Kon-zept des Bürgerlichen – auch die Kunst vor dem 16. Jahrhundert im Blick hat, was in der jüngeren forschung keine Selbstverständlichkeit mehr ist. So wird etwa auch in GaehtGens: Genremalerei, die frage nach der Möglichkeit von Genrebildern in der zeit zwischen römischer Antike und Renaissance gar nicht erst gestellt, ebenso wenig wie jene nach der Herleitung der Genredarstellungen des 16. und 17. Jahrhunderts aus mittelalterlichen Traditionen. Ein kurzer Abriss der forschungsgeschichte bietet schneiDer: Geschichte, S. 7–17.

10 GeisBerG: Woodcut, Bd. 4, Nr. 1356. – Der Titel des Einblattdruckes ist übrigens von Moxey: Master E.S., S. 135f., mit ‚The owl’s bite‘ falsch ins Englische übersetzt, bays ist ein vom mittelhochdeutschen beize, ‚mit falken/Hunden jagen‘, abgeleitetes Substantiv, also ‚Jagd‘.

342 Stefan Matter

das in niederländischer Sprache verfasste ‚Antwerpener Liederbuch‘ von 1544;11 dann das ebenso von Vignau-Wilberg angeführte Spiel ‚Die Gouchmatt‘, welches Pamphilus Gengenbach 1516 in Basel drucken ließ, sowie Hans Sachs’ ‚Hofgesind Veneris‘ von 1517. Vignau-Wilberg führt dazu noch das ‚Gouchmat‘-Spiel von Thomas Murner aus dem Jahr 1519 an. Daneben stehen vereinzelt auch ältere Texte, namentlich fastnachts-spiele von Hans folz. Dasselbe Bild ergibt sich bei den bildlichen Vergleichsbeispielen, die zur Hauptsache dem 16. Jahrhundert entstammen.

Es scheint vor dem Hintergrund des bisher Ausgeführten nötig zu sein, zunächst einige Eckdaten zum Konzept der höfischen Minne in Erinnerung zu rufen, was in un-serem fall heißt, diese überhaupt erst in die Diskussion einzubringen.12 Die Minnebe-ziehung ist eine Dienstbeziehung, der Mann wirbt zuerst um die Erlaubnis der Dame, überhaupt dienen zu dürfen – sie ist dadurch dann seine Minnedame, um deren Gunst er wirbt. Die Protagonisten bleiben namenlos, der ‚zivilstand‘ (wie wir das heute nen-nen) spielt nie eine Rolle13 und auch die frage, worin die erhoffte Gunstbezeugung be-stehe, wird in den Texten meist nicht genauer thematisiert. Es kann sich beispielsweise um einen Blick handeln oder auch um ein freundliches Wort, grundsätzlich auch um eine umarmung und mehr. Geworben wird mit ritterlichen Taten, insbesondere aber auch mit dem, was wir heute als Literatur bezeichnen: mit Liedern, dem Minnesang. Dem Dienst wird eine läuternde und veredelnde Wirkung zugesprochen, in ihm wächst der Mann zu einem höfischen Menschen; die Lieder ihrerseits erhöhen den Hof, indem sie ihm fröide verschaffen. Bedroht wird dieser veredelnde Kreislauf nur von den soge-nannten ‚Klaffern‘, welche die stets als geheim gedachten Minnebeziehungen am Hof öffentlich machen wollen.

Der Dienst also steht im zentrum der hier umrissenen ‚hohen Minne‘, er macht die Minnebeziehung im Wortsinne wertvoll. Von der Dame mehr Gunst als einen gelegent-lichen Wink zu erhalten ist zwar erklärtes ziel der Minnediener, dass sie es nicht errei-chen, führt jedoch systemkonform zu deren weiterer Veredelung, dient der weiteren Erhöhung des Hofes und wahrt insbesondere auch die Ehre der Dame, deren höchste Tugend eben gerade die Beständigkeit ist. Gäbe sie dem Werben nach, verlöre sie mit ihrer Ehre auch ihre Anziehungskraft, der Kreislauf wäre gestört.14 Diese dilemmati-sche Situation der sogenannten ‚hohen Minne‘ – nach einer Wendung von Leo Spitzer

11 Die heute maßgebliche Edition ist van Der PoeL/GrijP: Liedboek; Moxey zitiert nach der Einleitung in von FaLLersLeBen: Volkslieder.

12 Einführend zu diesem breiten Komplex schweiKLe: Minnesang, sowie die einschlägigen Kapitel der Li-teraturgeschichten, z.B. wehrLi: Geschichte; Brunner: Geschichte. Einen guten ersten Einstieg bietet zuletzt: Kat. ausst.: Codex.

13 Das ist in der französischen Literatur der zeit durchaus anders, nicht zuletzt darin unterscheidet sich aber eben die Minnekonzeption der deutschsprachigen Literatur von jener, vgl. dazu neben der oben zitierten Literatur etwa MüLLer: Lyrik, S. 49. Das ist zu bedenken, wenn viGnau-wiLBerG: Minne, S. 45, schreibt: „Bei der hochverehrten frau handelt es sich aber keineswegs um eine Schöne, die um-worben wurde mit dem ziel, sie als Braut in die eigene Burg heimzuführen. Eher das Gegenteil traf zu.“ Der falsche Eindruck konnte unter anderem wohl auch dadurch entstehen, weil sie für diesen Punkt lediglich auf englischsprachige forschung verweist, die die deutschsprachige Literatur nicht speziell im Blick hat.

14 Auch hier greift viGnau-wiLBerGs Sicht der Dinge zu kurz: „Daß [die Dame] in der Praxis nicht im-mer unereichbar blieb, tut der Idee dieser hohen, reinen Minne […] keinen Abbruch.“ (S. 45). Wenn mit „Praxis“ die literarisch vermittelten Situationen gemeint sind, dann gilt das für den hohen Minne-sang nicht. Wo die Konfrontation der systemkonformen unereichbarkeit der Dame mit dem berech-

343Konversationsstücke des 15. Jahrhunderts.

in der literaturwissenschaftlichen forschung ‚paradoxe amoureux‘ genannt15 – wird in den uns alleine zur Verfügung stehenden literarischen Texten immer und immer wieder durchgedacht.

Bereits in der höfischen Blütezeit, im frühen 13. Jahrhundert, entstehen von die-sem Konzept abgewandelte formen wie namentlich die sogenannte ‚niedere Minne‘, in welcher nicht lediglich um ständisch höhergestellte Damen und auch nicht immer nur erfolglos geworben wird; daneben gibt es von Beginn an mit dem Tagelied auch eine Liedgattung, die von bereits erfolgter Vereinigung berichtet. Nun gilt das eben ausge-führte wiederum allerdings nur für den Bereich der Lyrik, denn schon in der höfischen Epik der zeit, etwa im Artusroman, scheinen andere Regeln zu gelten. Dort nämlich finden sich Liebende, um zu heiraten, Kinder zu kriegen und damit für die Kontinuität von Herrschaft zu sorgen.

Das alles ist aber auch nur ein Teil des Redens über die Liebe im Mittelalter. Walter Haug hat in einem wichtigen Beitrag vor wenigen Jahren insgesamt sieben „erotische Diskurse des Mittelalters und der frühen Neuzeit“ unterschieden.16 Neben dem eben kurz beleuchteten ‚höfisch-literarischen Diskurs‘ wären dies der kirchlich-kanonisti-sche, der medizinische, der feudale, der philosophisch-theologische, der burlesk-lite-rarische sowie schließlich der theoretisch-didaktische Diskurs. In all diesen Bereichen wird unter je ganz unterschiedlichen Voraussetzungen über das Verhältnis von Mann und frau und über die Liebe nachgedacht und geschrieben. Diese Diskurse folgen ih-ren eigenen Argumentationsstrategien und Texttraditionen, ihren je spezifischen Quel-len und Verweissystemen. Wo sie überblendet werden, werden Brüche sichtbar, mitein-ander unvereinbares bleibt nebeneinander stehen. Das zeigt sich etwa schon, wenn im 12. Jahrhundert ein uns nicht näher bekannter Andreas Capellanus am französischen Königshof zunächst zwei Bücher mit Regeln zum amour courtois verfasst, um dann ein drittes mit misogynen remedia amoris folgen zu lassen.17 Das wiederum hat bereits mittelalterliche Leser irritiert: Als Johannes Hartlieb 1440 im Auftrag Herzog Alb-rechts VI. von Österreich eine deutschsprachige Übersetzung des lateinischen Werkes unternimmt, meint er sich wegen des frauenfeindlichen Inhaltes jenes dritten Buches bei seinen Lesern ausdrücklich entschuldigen zu müssen.18 Diese verschiedenen Rede-weisen über die Minne gilt es zunächst einmal von einander getrennt zu halten.

Darüber hinaus ist es wichtig, die verschiedenen volkssprachlichen Literaturen nicht unbedacht zu vermengen. In Bezug auf Minnegärten wird beispielsweise in der kunst-historischen forschung schon fast stereotyp auf den ‚Roman de la rose‘ verwiesen.19

tigten Anspruch auf Entlöhnung auserzählt wird, wie das etwa im ‚Mauritius von Craûn‘ der fall ist, führt das in die Katastrophe.

15 „[L]e ‚paradoxe amoureux‘ […] est à la base de toute la poésie trobadoresque: amour qui ne veut pas posséder, mais jouir de cet état de non-possession, amour-Minne contenant aussi bien le désir sensuel de ‚toucher‘ à la femme vraiment ‚femme‘ que le chaste éloignement, amour chrétien transposé sur le plan séculier, qui veut have and not have“, zit. nach KöhLer: observations, S. 29.

16 hauG: Liebe.17 In den letzten Jahren erschienen gleich zwei ausführlich kommentierte Übersetzungen des Textes an-

Dreas caPeLLanus: Amore; anDreas caPeLLanus: Liebe.18 Karnein: Amore, S. 17f.19 Das tun auch die beiden hier im zentrum stehenden Arbeiten: viGnau-wiLBerG: Minne, S. 45; Moxey:

Master E.S., S. 132, zieht unter anderem die ‚Echecs amoureux‘ heran, eine auf den ‚Rosenroman‘ zu-rückgreifende Liebesallegorie. So verfährt aber auch jüngst wieder MohrLanD: frau, S. 192f.

344 Stefan Matter

Es muss dem gegenüber mit Nachdruck betont werden, dass es im deutschsprachi-gen Raum, mit vereinzelten Ausnahmen im niederdeutsch-französischen Grenzgebiet, schlichtweg keine Rosenroman-Rezeption gegeben hat. Das ist bei der überragenden Bedeutung des Textes für die französische Literaturlandschaft des späteren Mittelalters zwar in der Tat sehr erstaunlich (und lohnte eine nähere untersuchung), der ‚Roman de la rose‘ fällt damit als Referenztext für die hier besprochenen Stiche aber eben doch weitgehend aus.

Was heißt das nun für unsere Liebesgarten-Stiche? für die frage nach der funkti-on der dort dargestellten Narren und damit nach der Aussage der Blätter ist es sicher sinnvoll, literarische Texte heranzuziehen – bloß welche mögen die aussagekräftigsten sein? Die meisten der bisher mit den Stichen verbundenen Texte gehören meiner Mei-nung nach zu Diskurszusammenhängen, die mit den Minnegärten nicht direkt etwas zu tun haben. Mit derben Schwänken und manch einem fastnachtsspiel, einzuordnen vielleicht am ehesten in Haugs burlesk-literarischen Diskurs, lassen sich ohne weite-res Darstellungen verbinden, die Hans-Joachim Raupp ‚Bauernsatiren‘ genannt hat20 – nicht aber unsere Minnegärten mit höfischem Personal. für diese bietet sich vielmehr eine zugleich höfisch geprägte und trotzdem städtisch verankerte literarische folie an, als welche ich die sogenannten Minnereden vorschlagen möchte.

An die 600 verschiedene Minnereden sind im 14. und vor allem im 15. Jahrhundert entstanden und vielfach überliefert worden.21 Die Texte sind von meist mediokrer Qua-lität und relativ schlecht erschlossen, so dass sie selbst in den literaturwissenschaftli-chen Debatten eine untergeordnete Rolle spielen. Sie haben aber genau das zum Inhalt, was die hier behandelten Stiche thematisieren – die höfische Liebe, ihre Regeln und ihre folgen, gelegentlich exemplifiziert anhand kurzer Geschichten, häufig traumartig in-szeniert, in von Personifikationen bevölkerten idealtypischen Landschaften. Die Texte sind zu einem überwiegenden Teil didaktisch ausgerichtet, belehren über Verhaltens-regeln, legen Tiere, Blätter oder Blüten aus, leiten zum Briefeschreiben an und vieles andere mehr.

Sehr dominant ist in Minnereden die Klage über den Verfall der Sitten, insbesondere natürlich im Bereich der höfischen Liebe. Häufig trifft der stets präsente Ich-Erzähler etwa an einem idyllischen frühlingsmorgen auf eine einsame Dame auf einer Waldlich-tung, die laut ihr Leid beklagt. Das kann dann beispielsweise die frau Ehre sein, die bedauert, dass ihr in der Welt niemand mehr nachfolge, oder es handelt sich um eine von ihrem Liebhaber verlassene frau, die beklagt, dass es in der Welt keine Treue mehr gäbe und dem Ich-Erzähler Regeln für den umgang mit frauen mit auf den Weg gibt. Insgesamt wird also in den Texten häufig ein Bild eines idealen zustandes gezeichnet, in welchen Störungen eintreten, meist in der form von Individuen, die sich nicht an die Regeln der Minne halten, indem sie nicht treu, verschwiegen oder sonstwie höfisch ge-nug sind. Von diesen wird die Minne bedroht, über sie wird immer und immer wieder gesprochen, meistens tadelnd, teilweise auch parodierend oder satirisch.

20 rauPP: Bauernsatiren.21 Als erster Einstieg eignet sich LieB: Minnerede. Grundlegend sind immer noch BranDis: Minnere-

den; GLier: Artes. Künftig wird das in den letzten Jahren erarbeitete ‚Handbuch Minnereden‘ eine grundlegende Materialbasis für die Beschäftigung mit dieser Textgruppe bereitstellen: KLinGner/LieB: Handbuch, auf welches die im folgenden Verwendeten B[randis]-Nummern verweisen.

345Konversationsstücke des 15. Jahrhunderts.

Narren kommen in Minnereden – wie auch sonst in der Literatur vor dem Ende des 15. Jahrhunderts – selten vor.22 Wo sie es doch tun, werden Männer so bezeichnet, die sich an falsche Minne-Wertvorstellungen halten. Das ist etwa in der zuerst 1470 im Augsburger ‚Liederbuch‘ der Clara Hätzlerin überlieferten Minnerede ‚Wahre und falsche Liebe‘ (B 404) der fall, in welcher ein Streitgespräch zwischen zwei Damen wi-dergegeben wird, die gänzlich unterschiedliche Vorstellungen von der Minne haben.23 Während die eine die oben ausgeführten Werte der hohen Minne vertritt, akzeptiert die andere lediglich Liebhaber, von denen sie materielle Geschenke erwarten kann: Ain narr gibt dir hochen muot/Du gibst Im red, er gibt dir guot (87f.). Bleiben die Geschen-ke aus, bezichtige sie ihn ganz einfach der untreue, worauf er sich bemühe, sie durch Geschenke wieder gnädig zu stimmen – Ain Narr der gibt dir, was er hatt,/So dich ain weiser nottig lat (109f.). Der Narr ist hier also einer, der sich sprichwörtlich zum Nar-ren halten lässt, näherhin ein Minnetor.24

Während in diesem Beispiel die Männer als Verführte geschildert werden, die den kühl berechnenden frauen zum opfer fallen, thematisieren die Texte natürlich auch Männer als Verführer. Bei Meister Altswert, einem um 1400 aktiven Minnereden-Au-tor, kann man eine ausführliche Klagerede über die niuwe minne lesen, welche von Narren im Elsass praktiziert werde. Sie zeichne sich durch geckenhafte Kleidersitten und lüsternes Verhalten in der Werbung aus, bei welchem die Regeln der ‚guten alten‘, höfischen Minne Punkt für Punkt pervertiert werden. Gleich mehrere Dutzend Verse werden etwa darauf verwendet zu beschreiben, wie es schlechter Brauch geworden sei, dass Männer frauen überall unsittlich berühren (sie griffent frowen schentlich an; er grift ir uf und nider).25 frau Venus, welcher der Ich-Erzähler diese Verhältnisse schil-dert, prophezeit den Narren, die dieser neuen Minne anhängen, ein schlechtes Ende: Welch gouch hat in sinem sinne,/das er die [i.e. falsche niuwe minne] nu halten wil/der wirt gelestert in kurzem zil. Ganz im Geist der hochhöfischen Lyrik geht es demgegen-über bei der Minne um ein Streben nach sittlichen Werten, das den Menschen in seinem Platz in Gottes Schöpfung im Blick hat:

Venus […] sprach: Der minnen sint zwo;/die ein ist luter und fin,/dar umb tuo die niuwen minne hin,/wan sie ist falsch und verwassen,/dar umb sol man sie lassen./Die recht minne ist guot;/wer die haltet, der ist guot,/der hat hie der welt lan [i.e. Lohn]/und mag fri vor got stan (63,15–24).

Nur wer der richtigen, alten Minne folgt, kann vor Gott und der Welt bestehen.26

22 Die großen literaturwissenschaftlichen Arbeiten zu Narren setzen denn auch erst mit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert ein: KönneKer: Wesen; LeFeBvre: fols.

23 Ediert in haLtaus: Liederbuch, Nr. II, 56, S. 230–234.24 zur reichen Literatur zu diesem Topos vgl. beispielsweise schneiDer: Weiberlisten; Maurer: Topos;

sMith: Power; KaPPLer/thioLier-Mejean: fous.25 hoLLanD/KeLLer: Altswert: ‚Der Kittel‘, S. 11–69, die zitate: 53,29 und 54,22.26 Das ist im Übrigen auch die Argumentationslinie in der umarbeitung der oben angeführten Minnerede

‚Wahre und falsche Liebe‘ (B 404) durch Hans folz, ‚zweierlei Minne‘ (B 406), in welcher die Akzente so verschoben werden, dass die wahre Liebe nur eine sein kann, die vor Gott bestehen kann, indem sie in von der Kirche genehmigten Bahnen verläuft (janota: Liebe, hier bes. S. 185–187). Dies allerdings bleibt im Bereich der Minnereden eine Ausnahme und ein Experiment ohne folgen, so schon GLier: Artes, S. 351. – zu diesen beiden, von einander abhängigen Minnereden vgl. zuletzt KLinGner: Minne-reden, S. 96–106.

346 Stefan Matter

Schaut man sich den Liebesgarten mit den Schachspielern wie auch den kleinen Liebesgarten vor diesem Hintergrund erneut an, so kann man im Detail zu anderen Deutungen als in der bisherigen forschung kommen. Ich beschränke mich auf drei Beispiele:

Es spricht manches dafür, dass die Dame links von ihrem Galan im Liebesgarten mit den Schachspielern (Abb. 2) soeben Geschenke in Empfang genommen hat, dass jener also ebenso gut ein Narr ist wie sein Geschlechtsgenosse am rechten Bildrand. Es wäre dann dasselbe Thema verbildlicht wie es die mit ‚Wahre und falsche Liebe‘ verwandte, zuerst 1457 überlieferte Minnerede ‚Minne und Pfennig‘ des Elenden Knaben (B 450) und andere ähnliche Reden zum Gegenstand haben, welche die Macht des Geldes im Kontext der Liebe beklagen.27 Schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts ist diese Diskussi-on auf einem der Regensburger Tapisserien verbildlicht, auf welchem ein edler Jüngling und ein unedler älterer Mann mit prall gefülltem Geldbeutel vor den Thron der frau Minne treten. Der Alte sagt in diesem Sinne: fraw ich pin nit ein edel man, seht mein pfennig an.28

Die Dame des um den Brunnen sitzenden Paares im ‚Kleinen Liebesgarten‘ (Abb. 1) trägt auf ihrer linken Hand einen Papagei, der in der einschlägigen Literatur als Symbol der Libido, ja gar des Geschlechtsaktes gelesen wird.29 Ich würde in ihm lieber, wie in vergleichbaren Darstellungen jener zeit im deutschsprachigen Raum, einen Hinweis auf die höfische untugend des Rühmens sehen. Als solcher taucht er etwa auf dieser Kissenplatte von um 1500 auf (Abb. 5, Taf. 26), auf welcher eine Dame zu sehen ist, die auf ihrer linken Hand ein Herz trägt, aus welchem Bittersüß- und Rosenblüten sprießen.30 Sie wendet sich nach rechts zu einem Papagei, der auf einem Baum sitzt. In dem ihr beigegebenen Spruchband ist noch zu lesen: Myn hertz ist aller dugent vol, den es andersz werden sol, während der Papagei ihr entgegnet: Nieman sol sich selbert bliemen, man fint niemans ‹haelten› dem riemen. Der Erhaltungszustand lässt ein pro-blemloses Verständnis der Kürzesttexte nicht zu, es scheint aber doch klar zu sein, dass der Papagei vor blumigem und weit verbreitetem Eigenlob warnt, das in jedem fall unangemessen sei.31

Dagegen, auch das mittlere Liebespaar im kleinen Liebesgarten vor diesem Hinter-grund zu lesen, spricht meines Erachtens auch nicht die sonst in der Diskussion um diese Stiche erstaunlicherweise noch gar nicht herangezogene Kopie vielleicht Israhels

27 Ediert in Matthaei: Minnereden, Nr. 2, S. 34–46.28 Vgl. von Der Leyen/sPaMer: Wandteppiche, S. 11–16; Kurth: Bildteppiche, Taf. 250–255; BranDis:

Minnereden, Nr. 458a; von wiLcKens: Museum, S. 24–31; schMiD: Inschriften, S. 26f., Nr. 21.29 Die Deutung als „Symbol der Kopulation“ bei höFLer: Meister E.S., Bd. 1, S. 109, der dazu auf hern-

anD: Graphiksammlung, Kat. Nr. 100, S. 286, verweist, die ihrerseits allerdings für diese Deutung eine italienische Kupferplatte und ansonsten nur französische Literatur heranzieht. ohne genauere Belege werden bei MohrLanD: frau, S. 192–199, gleich mehrfach Vögel in den von ihr besprochenen Minne-gärten auf den Geschlechtsverkehr bezogen.

30 Kissenplatte von um 1500 in Privatbesitz, 72 x 82 cm; vgl. raPP Buri/stucKy-schürer: Bildteppiche, S. 380–382, Nr. 123.

31 Derselbe Kontext gilt für eine etwa gleichzeitige Kissenplatte, auf der die einsam in der Wildnis sit-zende Dame zu einem Papagei, der auf ihrer Hand sitzt, klagt: mich dunckt die welt git bóssen lon dar v^ wil ich ir abi ston: Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe, Inv. 1900.108, 58 x 67 cm; vgl. Kurth: Bildteppiche, S. 101, S. 223, Taf. 72; GöBeL: Wandteppiche, S. 37, Abb. 19a; raPP Buri/stucKy-schürer: Bildteppiche, S. 385f., Nr. 126.

347Konversationsstücke des 15. Jahrhunderts.

van Meckenem nach dem kleinen Liebesgarten (Abb. 6).32 Die dort textierten Spruch-bänder legen dem Mann einen Treueschwur in den Mund (dir tzo willen allien […]), während die Dame vielleicht nicht grundlos ihr widerfahrenes Leid beklagt (in stiller t[rwe] i[ch] liden d[ue]). Lese ich die Spruchband-Texte richtig, dann würde dazu auch passen, dass ihr Blick im Gegensatz zur Vorlage nun ganz zu Boden gesenkt ist und dafür der Narr sehr deutlich nicht aus dem Bild, sondern den Galan mit dem mögli-cherweise etwas zu vollmundigen Versprechen fixiert.

Schließlich: Der Griff des Mannes an die Brust der Dame im kleinen wie auch im großen Liebesgarten wird vor dem Hintergrund der soeben kurz vorgestellten Texte lesbar als Ausdruck der rundum negativ besetzten niuwen minne, die Schamgrenzen ohne zögern überwindet. Die Dame im Vordergrund des großen Liebesgartens, die dem Narren den Rock lüftet, dürfte daher ein Bild der weiblichen Lüsternheit auf der Jagd nach närrischen Liebhabern sein, wie es der Banderolenmeister in seiner textierten Badeszene – übrigens im linken Teil eine Collage von Meister E.S.-figuren – deutlich macht.33

Minnereden führen, wie wir gesehen haben, einen Diskurs über das richtige Ver-halten innerhalb des geschlossenen Systems der Minne; die Ehe spielt in diesen Texten – ganz wie in ihrem alten Vorbild, dem Minnelied – praktisch nie eine Rolle. Überhaupt

32 Vgl. Lehrs: Geschichte, Bd. 9, Nr. 469.33 Vgl. Lehrs: Geschichte, Bd. 4, S. 149–151, Nr. 99; die Identifizierung der figuren aus dem ‚Grossen

Kartenspiel‘ des Meisters E.S. bereits ebd., S. 151.

Abb. 6: Israhel van Meckenem, Kopie nach dem kleinen Liebesgarten von Meister E.S., Kupferstich, 83 x 133 mm (L 469).

348 Stefan Matter

bewegen wir uns gänzlich im Bereich einer literarischen fiktion. Nach allem, was wir wissen, haben die in diesen literarischen und bildlichen Darstellungen thematisierten Rollenmuster und Beziehungsmodelle weder mit der gelebten Wirklichkeit des 13. noch mit jener des 15. Jahrhunderts viel zu tun. Die Bilder geben ihrerseits ebenso we-nig wie die Texte Szenen aus dem Alltag wieder, vielmehr handelt sich auch bei ihnen um Verbildlichungen von Text- und Bildtraditionen entsprungenen Scheinwelten, in denen mehr oder weniger komplex konstruierte Auseinandersetzungen mit Grund-fragen der erotischen zweierbeziehung in spielerischer Weise verhandelt werden kön-nen.34 Bei aller Realitätsnähe in der Wiedergabe von Gegenständen und figuren, so meine ich, findet die ‚Entdeckung des Alltags in der Kunst der frühen Neuzeit‘ – so der Titel der letzten monographischen Einführung in die Geschichte der Genremale-rei – hier noch nicht statt.35 Die in der forschung unter dem Namen ‚Szenen aus dem Alltagsleben‘ bekannte Stichfolge Israhels van Meckenem zeigt beispielsweise keines-wegs „ohne jeden Hintersinn den Alltag seiner zeit“, wie dies noch in der neueren forschung gelegentlich behauptet wird.36 Das gilt auch für die Stiche des Meisters E.S.

Ich möchte vor diesem hier ausgeführten Hintergrund argumentieren, dass das zweifellos kritische Element, das mit der Narrenfigur in die Minnegärten hineinge-tragen wird – soweit bin ich mit der bisherigen forschung durchaus einverstanden – sich primär auf die erwähnten Minne-Verhaltensregeln bezieht, dass damit also falsches Verhalten innerhalb des Regelkanons der höfischen Minne verbildlicht werden soll. Bei der Präsenz dieses Themas in der so überaus populären Textgattung Minnereden scheint mir diese Lesart deutlich wahrscheinlicher als die Herleitung der funktion der Narrenfigur von Nürnberger fastnachtsspielen.

In unserem zusammenhang zentral ist daher meiner Meinung nach die Redewen-dung ‚sich zum Narren machen‘. Sie ist auch der Schlüssel für das Verständnis der meis-ten bildlichen und literarischen Vergleichsbeispiele, die üblicherweise mit den Minne-garten-Stichen angeführt werden. Das – allerdings auch erst 1494 – in Basel gedruckte ‚Narrenschiff‘ Sebastian Brants führt sehr schön vor Augen, dass kein Stand, kein Al-ter, keine Berufsgruppe und kein Geschlecht davor gefeit ist, Narren hervorzubringen.

Auf solches spielt, um nur ein einschlägiges Beispiel für mögliche Rezipienten un-serer Stiche zu nennen, der reiche Augsburger Kaufmannssohn Marx Walther an, wenn er im Jahr 1480 an einem Turnier mit „junge[n] Bürger[n] aus den angesehensten fa-milien“ Augsburgs als Anführer eines Narrenzuges antritt (Abb. 7, Taf. 27).37 Seine Begleiter, die zum größten Teil als Grieswärtel fungieren, sind in der Miniatur der das Turnier dokumentierenden Handschrift alle namentlich bezeichnet. Rüstungsteile mit

34 Die frage allerdings, ob nicht doch wenigstens die Werbung als solche von den Sängern möglicher-weise ernst zu nehmen wäre, wurde im zusammehang der Auseinandersetzung mit der Arbeit von haFerLanD: Minne, heftig und kontrovers diskutiert.

35 schneiDer: Geschichte.36 Lehrs: Geschichte, Bd. 9, Nr. 503. Abgebildet in strauss: Bartsch 9, S. 163, Nr. 172 (267). Die ganze

folge umfasst L 499–510. – zitat nach Kat. ausst.: van Meckenem, S. 85. Dagegen bereits LyMant: folge.

37 Cgm 1930, fol. 5v/6r, zur Hs. vgl. schneiDer, Handschriften, S. 312f. – Beschreibung der Szene nach waLther: Turnierbuch I, S. 380.

349Konversationsstücke des 15. Jahrhunderts.

Narrenmotiven sind aus dieser zeit auch tatsächlich erhalten.38 Turnieren war nach allem, was wir wissen, Marx Walthers Passion, und er entwickelte darin offenbar eine gewisse Meisterschaft, für die er zu seiner zeit überregional bekannt war. In seinem Wunsch nach Aneignung höfischer Lebensformen steht er repräsentativ für eine ganze Schicht aufstrebenden Geldadels, der mit dem alten Adel um Ansehen und Macht kon-kurrenzierte. Dazu gehörte zentral auch die Vertrautheit mit Literatur und der spiele-rische umgang mit ihr, den Walther unter anderem in seinen anspielungsreichen Tur-nierauftritten und durch deren Dokumentation in einer Art Hausbuch unter Beweis stellte.39 Neben den Narren begegnen dort verschiedene weitere literarische Motive, welche die Rüstungsteile schmücken und mutmaßlich damit den Turnieren, oder doch zumindest den einzelnen Stechen darin, Themen zuwiesen, die wiederum Vorwürfe für Gespräche abgegeben haben werden. Literatur und in ihr verhandelte Themen werden so im Rahmen des Turnieres inszeniert und in Anschlussgespräche überführt. Bezeich-nend ist dabei, dass Walther und seine Gesellen sich hier selbst als Narren präsentieren, sie als Turnierende Akteure und zugleich Publikum der Inszenierung darstellen, wie das für höfische Verkleidungsspiele auch andernorts gut bezeugt ist.40

In denselben Augsburger Kreisen wie Marx Walther bewegte sich auch der etwa eine Generation ältere Jörg Roggenburger, für welchen 1470/71 die Lohnschreiberin Clara Hätzlerin in Augsburg das nach ihr benannte und vorhin bereits erwähnte ‚Lie-derbuch‘ schrieb, eine der wichtigsten Minnereden-Sammelhandschriften jener zeit.41 Wir haben es bei Roggenburger wie auch bei Walther also mit jenem vermögenden und gebildeten Augsburger Stadtbürgertum der 1470er-Jahre zu tun, das man sich doch wohl auch als Rezipientenkreis für Druckgrafik vorstellen kann.42 Der im Turnierbuch dokumentierte Narrenzug hat keine eindeutige Beziehung zum Thema Liebe; kritisiert wird aber mit dem Narren-Auftritt sicherlich auch nicht etwa das Turnierwesen als die höfische Repräsentationskunst par excellence, für die sich Marx Walther ja eben so sehr begeisterte, vielmehr bezeugt das Turnierbuch, wie Walther über dessen form und Ausgestaltung aus intimer Kenntnis und in souveräner Weise verfügt. Wenn mit den Narren-Verkleidungen überhaupt ein kritisches Moment verbunden war, dann wohl am ehesten eine Kritik an all denen, die sich in der Welt närrisch verhalten, kaum an einem spezifischen Aspekt des Gesellschaftssystems, in welchem man sich hochzuar-beiten bemühte.

Eine vergleichbare, allerdings auf die Liebe beschränkte Perspektive auf die mensch-liche Narrheit, nimmt der Stich des Meisters der Weibermacht mit der auf einem Esel reitenden Dame ein, die nach eigenen Angaben ausreitet, um mit ihrem federspiel Af-

38 Beispielsweise ein sogenannter Rosskopf von um 1490 im Deutschen Museum in Berlin, Inv.Nr. 4383, PC 94a, vgl. Kat. ausst.: Ritterwelten, Kat. Nr. 18a, S. 203–205 (Franz niehoFF).

39 zur Einordnung der Handschrift in Walthers Bemühungen um Aufstieg in der Augsburger ober-schicht vgl. Kat. ausst.: Ritterwelten, Kat. Nr. 23, S. 219–225 (Max tewes).

40 Ich habe das in meinem Beitrag Matter: Minne, im zusammenhang von höfischen Gesprächsspielen auszuführen und zu kontextualisieren versucht. zur späteren zeit vgl. schnitzer: Maskeraden.

41 Roggenburger war bereits durch seine Mutter der patrizischen oberschicht der Stadt verbunden und seit 1464 mit felicitas, der Tochter von Andreas fugger, verheiratet. Vgl. eDMunDs: Patron, S. 261–267.

42 Einen guten Einblick in das kulturelle Leben der Stadt Augsburg in der zweiten Hälfte des 15. Jahr-hunderts geben die Beiträge des Bandes janota/wiLLiaMs-KraPP: Leben.

350 Stefan Matter

fen und Narren zu fangen (Abb. 8).43 Auch hier wird die Botschaft sein, dass angesichts der Macht der Liebe wortwörtlich jedermann zum Narren werden kann – erneut klingt der Topos der Minnetoren an. Eine Kritik an den Regeln der höfischen Minne ist damit aber nach meiner Meinung ebenso wenig verbunden wie etwa in Brants ‚Narrenschiff‘ die mittelalterliche Ständeordnung kritisiert wird. Ganz im Gegenteil kann man sich solche Rollenspiele innerhalb eines ordnungsgefüges insbesondere dann gut vorstel-len, wenn die dahinterstehenden Wertnormen unhinterfragbar feststehen.44 Dafür, dass der Stich des Meisters der Weibermacht auf diese Weise zu verstehen ist, spricht sicher-lich auch, dass das Motiv offensichtlich in abgewandelter form im ‚Narrenschiff‘ selbst wieder aufgegriffen wird (Abb. 9).45

Vielleicht etwa gleichzeitig, wohl noch vor dem Ende des 15. Jahrhunderts, wird der Stich in einer Raumausmalung auf Schloss Moos bei Eppan in der Nähe von Bozen unter anderem mit einem Minnegarten kombiniert, in welchem vermutlich ebenfalls ein Narr ausgemacht werden kann.46 Thematisiert wird damit einerseits die Gefährdung

43 Vgl. Lehrs: Geschichte, Bd. 1, S. 163–165, Nr. 16, Taf. 11, Nr. 30; GeisBerG: Anfänge, S. 37f., Taf. 9; GeisBerG: Geschichte, S. 165–167, Abb. 58.

44 Dies gilt etwa auch in exemplarischer Weise für den spielerischen Rollentausch im Rahmen des jährli-chen Narrenfestes am 6. Januar, an welchem eine Art ‚Verkehrte Welt‘ in der kleinen Welt der geistli-chen oder Schul-Gemeinschaft inszeniert wurde: FassLer: feast, S. 65–99.

45 Brant: Narrenschiff, Illustration zu Kap. 13: Von buolschafft. An mynem seyl ich draffter yeich/Vil narren, affen, esel, geüch/Die ich verfür betrüg vnd leych. – Vgl. zu diesem Holzschnitt ecKharDt: Totentanz, S. 171–184.

46 zuletzt dazu woLter-von DeM KneseBecK: Spannungsverhältnisse.

Abb. 8: Meister der Weibermacht, Die Macht der Minne, Kupferstich, 130 x 201 mm (L 16).

351Konversationsstücke des 15. Jahrhunderts.

des einzelnen Mannes, dem droht, sich zum Liebesnarren machen zu lassen, anderer-seits aber auch die Gefährdung der Institution Minne durch eben solche Narren. Kom-biniert werden diese Szenen mit konventionellen Jagddarstellungen, dem ‚Verkehrte Welt‘-Motiv des Katz- und Mäusekrieges und einer burlesken Ernte-Szene unter einem Phallusbaum. Die Welt und ihre ordnung, in ihrer Gefährdung stets bewährt und bei alledem von der Liebe regiert, Amor vincit omnia.

Soweit zu den Liebesgarten-Stichen des Meisters E.S. Wie aber, mag man fragen, sieht es denn aus, wenn die höfische Liebe als solche in einem kritischen oder negativen Licht dargestellt werden soll? Die vielleicht im ersten Moment erstaunliche Antwort lautet: Im Wesentlichen genau gleich, wenn auch ohne Narren, dafür gelegentlich mit einem Teufel. Wenn beispielsweise auf lehrhaften Bildtafeln in spätmittelalterlichen Kirchen47 oder in einer Inkunabel eines katechetischen Erbauungsbuches – dem ‚See-lentrost‘ in seiner Druckausgabe von 1478 (Abb. 10, Taf. 27) – die zehn Gebote in Text- und Bildform dargeboten werden, so kann das sechste Gebot ganz einfach mit einem höfischen Liebespaar verbildlicht werden.48 Damit ist sicherlich nicht gemeint, dass gerade spezifisch die höfische Minne mit Ehebruch gleichzusetzen ist, vielmehr handelt es sich schlicht um dieselbe Abbreviatur für den amor carnalis, die beispielsweise in Monatsdarstellungen den Monat Mai bezeichnet oder sehr häufig in dekorativer Weise auf objekten der Kleinkunst dargestellt ist.

47 Vgl. sLenczKa: Bildtafeln.48 anonyM: Trost, fol. 126r; GW M41133; hain: Repertorium, Nr. 14582; schraMM: Bilderschmuck,

Nr. 389–398, hier Nr. 394. zum diesem Lehr- und Exempelwerk des 14. Jahrhunderts vgl. PaLMer: Seelentrost, und die dort gegebenen Literaturhinweise; der Text ist ediert in schMitt: Seelentrost.

Abb. 9: Sebastian Brant, ‚Narrenschiff‘,

Holzschnitt zum 13. Kapitel.

352 Stefan Matter

Damit ist aber ein ganz zentraler Punkt doch wenigstens am Rande noch berührt – die hier behandelten Darstellungen sind sehr häufig für eine Vielzahl von Deutungs-angeboten offen. Je nach Kontext, in welchen sie eingebettet werden, können sie bei-spielsweise unter geistlichen oder weltlichen Prämissen ausgedeutet werden und wir können sicher sein, dass von dieser freiheit auch Gebrauch gemacht worden ist. Nach-weisen lässt sich das naturgemäß kaum; was wir von der profanen Minneikonographie der zeit wissen, deutet aber doch darauf hin, dass Darstellungen häufig absichtlich so gestaltet worden sind, dass sie kaum eindeutig zu lesen waren.49 Ich habe an anderer Stelle ausgeführt, dass ich das für ein Signum der weltlichen Minnedarstellungen über-haupt halte.50

Gerade die nicht textierten unter den besprochenen Darstellungen laden sicherlich dazu ein, sich Gedanken über die funktion des Narren zu machen. Das gilt umso mehr für Druckgraphik, bei welcher ein Kontakt zwischen Künstler und Rezipient nicht zwingend anzusetzen ist und zudem zunächst eine Kontextualisierung in einer Hand-schrift oder dergleichen fehlt. Wie alle Bildelemente muss auch der Narr dann zuerst entschlüsselt werden, woran sich Gespräche über Deutungsangebote anschliessen kön-nen. Davon, wie dies im Einzelnen aussehen könnte, vermitteln Minnereden einen Ein-druck, denn in ihnen wird unablässig diskutiert und gestritten, Gespräche werden be-lauscht und urteile zu Streitfragen gefällt. Nicht selten werden dabei die Textenden so gestaltet, dass der Rezipient sich im Anschluss an die Lektüre oder den Vortrag in der Situation wiederfindet, über die im Text verhandelte Streitfrage selbst urteilen zu müs-sen; teilweise wird er sogar explizit dazu aufgefordert.51 In diesem Sinne bilden Minne-reden nicht nur vor, über welche Gegenstände der Minne man sich unterhalten kann, sondern auch in welcher Art und Weise über diese Gegenstände gesprochen werden kann. Eine denkbare Diskussion vor einem Liebesgarten-Stich des Meisters E.S. hätte sich beispielsweise um die frage gedreht haben können, wer denn für den Sittenzerfall in Minneangelegenheiten verantwortlich sei – eine frage, wie sie schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts in ulrichs von Lichtenstein ‚frauenbuch‘ von einer Dame und einem Mann diskutiert wird, bevor dann in für Minnereden typischer Weise und hö-fischer Etikette folgend der Ich-Erzähler den Streit zugunsten der frau entscheidet.52

Vor diesem Hintergrund wäre die Lesart des Narren in den Minnegärten als Kri-tiker der höfischen Minne nicht auszuschließen, nur scheint sie mir zur Entstehungs-zeit der Stiche nicht die naheliegendste zu sein. Schon ein paar Generationen später allerdings mag ein Rezipient in der Tat gefunden haben, dass nicht nur der närrisch Liebende sondern die ganze höfische Gesellschaft närrisch sei. Ich würde daher die Liebesgarten-Stiche des Meisters E.S. von ihrer Intention her nicht als ‚subversive Bil-der‘ beschreiben wollen, wenn ihnen auch durchaus – ich denke allerdings: unabsicht-lich – ein subversives Potential innewohnt.53 Der Titel über meinem Beitrag ist daher

49 Vielleicht bestes Beispiel dafür sind die außerordentlich zahlreichen Darstellungen von Jungfrauen mit Einhörnern im Schoß, die sowohl weltlich (Treue) als auch geistlich (allegorische Einhornjagd) gelesen werden können, was im konkreten Einzelfall aber kaum je einmal klar zu belegen ist. Vgl. dazu ein-horn: unicornis.

50 Matter: Reden.51 Vgl. KLinGner/LieB: Handbuch, Bd. 2, Register, s.v. ‚offener Schluss‘.52 uLrich von Lichtenstein: frauenbuch.53 zum Konzept des ‚subversiven Bildes‘ vgl. den Beitrag von jürGen MüLLer in diesem Band.

353Konversationsstücke des 15. Jahrhunderts.

doppeldeutig gemeint – um ‚Konversationsstücke‘ handelt es sich hier nicht nur im in der kunstwissenschaftlichen forschung gebräuchlichen Sinne, als dass Gespräche abgebildet werden, sondern auch insofern, als dass die Bilder Gespräche anregen, zu ihnen regelrecht auffordern.

Bildnachweise

Abb. 1: höFLer: Meister E.S., Tafelbd., Abb. 214.Abb. 2: höFLer: Meister E.S., Tafelbd., Abb. 207.Abb. 3: höFLer: Meister E.S., Textbd., Abb. 151.Abb. 4: höFLer: Meister E.S., Tafelbd., Abb. 215.Abb. 5: Private Collection, Milan, photo courtesy GALLERY MoSHE TABIBNIA, Milan.Abb. 6: strauss: Bartsch, S. 251 (Appendix), Nr. 165 (306).Abb. 7: waLther: Turnierbuch II. Abb. 8: Lehrs: Geschichte, Bd. 1, Taf. 11.Abb. 9: Brant: Narrenschiff.Abb. 10: anonyM: Trost.

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Bertram Kaschek

Das kunsttheoretische Bordell. Metamalerei bei Jan van Hemessen

Für Reindert Falkenburg

I. Prolog

zwischen 1536 und 1543 schuf der Antwerpener Maler Jan van Hemessen drei Ta-felbilder, die im Vordergrund großfigurige Szenen im Inneren eines Bordells zeigen (Abb. 5, Taf. 28; Abb. 7, Taf. 29; Abb. 12, Taf. 30).1 Hatte die Kunstgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts diese Werke noch als „Sittenbilder“ gewertet und somit als recht unmittelbare, wenngleich komisch-stilisierte Darstellungen gesellschaftlicher Wirklichkeit aufgefasst,2 so konnte Konrad Renger in seiner 1970 publizierten Disser-tation den Nachweis führen, dass Hemessens Bordellszenen aus der ikonographischen und literarischen Tradition des Verlorenen Sohnes sowie aus der Tradition spätmittel-alterlicher Sinnes- und Lasterdarstellungen hervorgegangen sind.3 Renger zog daraus die Konsequenz, Hemessens Bildfindungen als scherzhafte Warnungen vor dem Laster der Trunksucht und dem daraus folgenden Hang zu Glücksspiel und unkeuschheit zu deuten. Auch Burr Wallen, dem wir die bislang einzige umfassende Monographie zu Jan van Hemessen verdanken, sieht in den Bildern nicht zuletzt eine „moral critique of the sensual, dissipated lifestyle of a cosmopolitan and tolerant Northern Renaissance urban elite.“4 Darüber hinaus hat Wallen allerdings auch darauf hingewiesen, dass in Hemessens Bordellszenen immer wieder Bezüge zu Kunstwerken und kunsttheore-tischen Topoi italienischer Provenienz auszumachen sind, die auf einen gezielten und reflektierten Einsatz künstlerischer Mittel hindeuten.

Diese Einsicht, die bei Wallen eher anekdotisch und unzusammenhängend vorge-tragen wird, soll im folgenden systematischer entfaltet werden. So lautet die These des vorliegenden Beitrags, dass Hemessens Bordellszenen sich nicht in moralsatirischen Appellen erschöpfen (sollten sie denn überhaupt je diese funktion gehabt haben), son-

1 ‚Der Verlorene Sohn im Bordell‘, 1536, 140 x 198 cm, Öl auf Holz, Brüssel, Koninklijke Musea voor Schone Kunsten van België (Inv. 2838); ‚Jedermann im Bordell‘, undatiert, Öl auf Holz, 83 x 111,5 cm, Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle (Inv. 152); ‚Jedermann im Bordell‘, 1543, Öl auf Holz, 84 x 118 cm, Hartford, Wadsworth Athenaeum (Inv. 1941.233).

2 Vgl. GraeFe: van Hemessen, S. 39–44; von BaLDass: Sittenbild, S. 23; vgl. auch von BaLDass: Anfänge, S. 23, wo es zu den Werken des sog. Braunschweiger Monogrammisten (Jan van Amstel) heißt, im Sit-tenbild werde „das Treiben einer bestimmten Gesellschaftsklasse in ungeschminkter, völlig natürlicher Weise wiedergegeben“.

3 renGer: Gesellschaft, zu Hemessen hier v.a. S. 27, 120–142. Rengers Studie ist die erste zusammenhän-gende ikonographische untersuchung niederländischer Wirtshausszenen des 16. Jahrhunderts.

4 waLLen: van Hemessen, S. 54. Vgl. auch siLver: Peasant, S. 71–74.

360 Bertram Kaschek

dern vielmehr als anspielungsreiche und intrikate Kunstgebilde zu betrachten sind, in denen der Maler auf vielfältige Weise seine Kunst – und womöglich auch sich selbst als Künstler – zum Thema macht. Damit soll die moralische Dimension der Bilder keines-wegs bestritten werden, doch gilt es zu bedenken, dass jede mögliche ‚Botschaft‘ hier stets in ein komplexes Spiel der formen eingelassen ist, das zunächst einmal alle Auf-merksamkeit für sich selbst beansprucht. Die Einbindung des Betrachters in die Dar-stellung verläuft demnach, wie zu zeigen sein wird, nicht nur über ein ansprechendes, ja verführerisches Sujet, sondern vor allem auch über die spezifische Weise seiner bild-lichen Inszenierung. Die moralische urteilskraft ist folglich nicht von der ästhetischen zu trennen, sondern hat diese vielmehr zur Voraussetzung. Nur wer das künstlerische Kalkül der Darstellung zu würdigen weiß, kann überhaupt zu einem komplexeren mo-ralischen urteil gelangen.

um für die folgenden Analysen der Bordellbilder einen Rahmen zu schaffen, sei vorab auf einige bemerkenswerte Charakteristika der Kunst Jan van Hemessens hin-gewiesen. ohne zweifel zählt er zu jenen niederländischen Künstlern des 16. Jahrhun-derts, die sich mit Nachdruck an der italienischen Renaissancekunst orientiert haben. In den Augen Burr Wallens war er sogar „by far the most eclectic artist among the Romanists.“5 In seiner gelehrten Studie kann Wallen denn auch zahlreiche Motivzitate nach Werken Michelangelos, Raffaels und Leonardos im Œuvre des Malers nachwei-sen. Wie der um 1500 in der Nähe von Antwerpen geborene und dort 1524 zum Meis-ter ernannte Hemessen zu seiner umfassenden Kenntnis dieser Vorbilder gelangt ist, kann indes nicht mit Sicherheit gesagt werden. Giorgio Vasari erwähnt ihn in seinen ‚Vite‘ zwar lobend als Italienfahrer, doch gibt es hierfür keinerlei archivalische Evidenz. Dessen ungeachtet geht Wallen – hier der älteren Literatur folgend – von einem frühen Italienaufenthalt aus und vermutet darüber hinaus mehrere Reisen nach fontainebleau in den 1530er und 1540er Jahren, wo Hemessen sich am Hofe von françois I. mit itali-enischer Malerei hätte vertraut machen können.6 Allerdings gibt es auch hierfür jenseits der Werke keine Belege. Dank weit verbreiteter Kupferstiche war die Reise zu den ori-ginalkunstwerken jedoch ohnehin keine notwendige Voraussetzung für die Rezeption antikisch-italienischen formenguts.

Paradigmatisch zeigt sich dies an zwei Darstellungen des büßenden Hieronymus aus den Jahren 1531 und 1543. In der frühen Version (Abb. 1) ist der mächtige Körper des Heiligen zweifelsohne nach dem Vorbild von Marco Dentes Laokoon-Stich aus den 1520er Jahren (Abb. 2) gestaltet worden.7 Im Gemälde von 1543 (Abb. 3) hingegen stellt die übermäßig muskulöse Schulterpartie unverkennbar eine formale Auseinan-dersetzung mit dem ‚Torso Belvedere‘ dar.8 Darüber hinaus zitiert die figur des Hei-ligen in ihrer knienden Haltung aber auch einen Auferstandenen aus Michelangelos ‚Jüngstem Gericht‘ (Abb. 4). Diese Überblendung von Antiken- und Renaissancezitat stellt eindrücklich unter Beweis, dass Hemessen die zitierten Werke nicht nur kannte, sondern sich darüber hinaus auch der spezifischen Bedeutung bewusst war, die der antike Torso für Michelangelos monumentales Körperideal hatte. Allerdings liegen bei

5 waLLen: van Hemessen, S. 14.6 waLLen: van Hemessen, S. 9.7 waLLen: van Hemessen, S. 38–42.8 waLLen: van Hemessen, S. 42.

361Metamalerei bei Jan van Hemessen

diesem Doppelzitat Hemessens genaue Bildquellen im Dunkeln, da eine Rückenan-sicht des ‚Torso Belvedere‘ zu diesem zeitpunkt ebenso wenig in druckgraphischer Reproduktion vorlag wie Michelangelos gewaltiges fresko.9 Die Kenntnis des Torsos könnte demnach die These einer Italienreise stützen, doch bleibt zu erwägen, dass He-messen in Antwerpen durchaus zeichnungen von Künstlerkollegen, die das original in Rom studiert hatten, gesehen haben könnte. Überliefert ist etwa Maarten van Heems-kercks grafisch stark modellierende Rückenansicht des Torsos aus dem ‚Römischen Skizzenbuch‘.10 Das Motivzitat nach Michelangelo deutet ebenfalls darauf hin, dass Hemessen mit einer zeichnerischen Vorlage von fremder Hand gearbeitet hat, da das 1541 vollendete ‚Jüngste Gericht‘ erst ab Mitte der 1540er Jahre in Kupferstichen re-produziert wurde.11 So steht zu vermuten, dass unmittelbar nach der Enthüllung des freskos in der Sixtinischen Kapelle vor ort sogleich zeichnungen nach einzelnen fi-

9 Antonio da Brescias früher Kupferstich (um 1510) des ‚Torso Belvedere‘ zeigt eine um die Beine er-gänzte Vorderansicht, ohne jedoch den muskulösen Rücken auch nur anzudeuten.

10 Dieser Hinweis findet sich bereits bei waLLen: van Hemessen, S. 42.11 Vgl. Barnes: Michelangelo, S. 99–120.

Abb. 1: Jan van Hemessen, Hl. Hieronymus als Büßer, 1531, Öl auf Holz, 110 x 149 cm. Lissabon, Museu Nacional de Arte Antiga.

362 Bertram Kaschek

Abb. 2: Marco Dente da Ravenna, Laokoon, Kupferstich, 47,6 x 32,8 cm. Wien, Graphische Sammlung Albertina.

363Metamalerei bei Jan van Hemessen

gurenmotiven angefertigt wurden, die schnell in die Niederlande gelangten und dort in den Künstlerwerkstätten kursierten.12

Der unleugbare umstand, dass Hemessen mit dem Idiom und dem Motivschatz der italienischen Renaissance bestens vertraut war, führt demnach keineswegs notwendig zur Annahme einer Italienreise. Vielmehr scheint es, als sei Hemessens ‚Eklektizismus‘

12 Ein prägnantes Beispiel hierfür ist der ‚Hl. Sebastian‘ aus der Werkstatt Jan van Scorels, der geradezu ‚wörtlich‘ einen Aufschwebenden auf dem ‚Jüngsten Gericht‘ zitiert. Da das Gemälde 1542 datiert ist, muss auch hier eine umgehend über die Alpen gesendete und zudem überaus genaue zeichnung als Modell gedient haben. zur Tafel LaMMertse: van Eyck, Nr. 74, S. 322–325; vgl. hierzu auch BusKirK/KascheK: Kanon, S. 121–123.

Abb. 3: Jan van Hemessen, Hl. Hieronymus als Büßer, 1543, Öl auf Holz, 102 x 83,5 cm. St. Petersburg, Eremitage.

364 Bertram Kaschek

nicht zuletzt das Resultat einer Aneignungspraxis, die auf dem zusammenfügen teils nur fragmentarisch überlieferter formbestände beruht. Burr Wallen selbst hat auf ein Dokument aus dem Jahr 1552 hingewiesen, in dem vermerkt ist, Hemessen habe einen handel van schilderen, also einen Kunsthandel, betrieben – eine weitere Möglichkeit

Abb. 4: Michelangelo, Jüngstes Gericht, 1541, fresko, Detail: Auferstehender. Vatikan, Sixtinische Kapelle.

365Metamalerei bei Jan van Hemessen

für den Maler, sich mit Bildern aller Art vertraut zu machen.13 So hat Hemessen nicht nur extensiven Gebrauch von italienischen Vorbildern gemacht, sondern auch – wie bereits Quinten Massys und Joos van Cleve vor ihm – immer wieder auf Traditionsbe-stände der altniederländischen Malerei zurückgegriffen. In seiner ‚Kreuzabnahme‘ aus den späten 1520er Jahren kombiniert er etwa das durch einen Stich Raimondis vermit-telte Raffaelsche Kompositionsschema mit zwei symmetrisch ans Kreuz gelehnten Lei-tern mit der Darstellung affektiver Trauer in der Tradition Rogier van der Weydens.14

Alles deutet also darauf hin, dass Hemessen die wichtigsten Impulse von Werken und Bildvorlagen erhalten hat, die vor ort in Antwerpen verfügbar waren. und offen-kundig stellte für ihn und seine Generationsgenossen die Vermittlung der Errungen-schaften der italienischen Renaissance mit der einheimischen Bildtradition ein zentrales künstlerisches Problem dar. Dass Hemessen dieses Problem nicht nur zu bewältigen trachtete, sondern es auch eigens thematisiert und reflektiert hat, wird nun an seinen Bordellbildern zu zeigen sein.

II. Der Verlorene Sohn

Hemessens großformatige Tafel aus dem Jahre 1536 (Abb. 5, Taf. 28) ist das erste ge-malte Bild in der Kunst der Niederlande, das den Verlorenen Sohn unter den Huren zeigt. In druckgraphischer form war das Thema zuvor vor allem von deutschen Künst-lern wie Jörg Breu und Sebald Beham (Abb. 6) gestaltet worden. Von letzterem hat Hemessen vermutlich auch die kompositorische Grundanlage übernommen, die das ausschweifende Treiben des Prodigus in einer palastartigen Architektur präsentiert.15 Während aber Beham in seinem großformatigen Holzschnitt die architektonische Sze-nerie aus einiger Entfernung in strenger zentralperspektive darbietet, hat Hemessen eine schräge Ansicht des Innenraums gewählt und den Betrachter recht nah ans Bor-dellgeschehen herangerückt.

Aus geringer Distanz können wir nun dem zügellosen Treiben des Verlorenen Soh-nes, der sich im Vordergrund links von zwei hübschen Dirnen bezirzen lässt, beiwoh-nen. Aufgrund seiner etwas dezentralen Position und seiner leichten Verschattung steht er allerdings nicht im fokus der bildlichen Aufmerksamkeit. Dieser richtet sich viel-mehr ganz auf die von hellem Schlaglicht erleuchtete Prostituierte im Bildzentrum, die nicht zuletzt auch mit ihrem fein ornamentierten roten unterkleid, ihrem Dekolleté und ihren entblößten Armen als erotischer Blickfang fungiert. Sie hat ihr anmutiges Antlitz nach links gewendet und reicht ihrer dort befindlichen Kollegin die Hand, wobei beide frauen mit ihren fingern im lockigen Haar des Mannes spielen. In ihrer

13 Vgl. waLLen: van Hemessen, S. 22f. Das Dokument wird von Wallen in einer fußnote (S. 339) voll-ständig zitiert. Interessanterweise handelt es sich dabei um eine Art Bürgschaft für seine Söhne Gillis und Hanse, die Hemessen in Gesellschaft eines Mitarbeiters nach Italien sandte, um „zu lernen, zu hören und zu sehen“ („se leerende ende se hooren ende se siene“). Vielleicht hat Hemessen seinen Söhnen jene Studienreise zukommen lassen wollen, die ihm selbst womöglich versagt geblieben ist. Im Gegensatz zu seiner Tochter Caterina scheint den Söhnen Gillis und Hanse jedoch kein künstlerischer Erfolg vergönnt gewesen zu sein: Die Archive und Sammlungen schweigen ansonsten von ihnen.

14 Vgl. waLLen: van Hemessen, S. 29f.15 zu Behams Holzschnitt vgl. Kat. ausst.: Maler, Nr. 53, S. 223–225 sowie den Beitrag von Jürgen Mül-

ler in vorliegendem Band.

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anderen Hand, die nach vorne ausgestreckt ist, balanciert die Dirne mit abgespreiz-ten fingern ein dünnwandig-feines Weinglas, das zu großen Teilen bereits geleert ist. Vermutlich ist sie darauf bedacht, ihren sie sehnsuchtsvoll anblickenden Kunden auf neckische Weise zum Nachfüllen des Glases zu bewegen, denn dieser hält schon ei-nen Weinkrug in seiner ebenfalls ausgestreckten Hand bereit. Die hässliche Alte ganz rechts, in der wohl die Kupplerin zu erkennen ist, betrachtet diesen erfolgversprechen-den Verführungsakt mit sichtbarer Genugtuung. Hinter der Kupplerin, in der Burr Wallen ein zitat nach einer Sybille Michelangelos aus der Sixtinischen Kapelle erkannt hat,16 ist ein schmallippiger und debil grinsender Alter zu sehen, der enttäuscht in sei-nen offenbar leeren Krug schaut. Neben ihm sitzt eine weitere Dirne, die sich mit ih-rem oberkörper einem würfelspielenden Krämer zugewendet hat. Hinter all diesen Gestalten findet sich dann noch ein Dudelsackspieler, der als Einziger dem Betrachter einen schelmischen Blick zuwirft. Weit weniger frohgemut scheint demgegenüber der andere Musiker zu sein, der am linken Bildrand – offenbar gegen seinen Willen – an die Szene des Vordergrundes herangeführt wird, wohl um die zechgesellschaft dort bei Laune zu halten. Hinter dieser Szene, ganz im linken oberen Bildeck, ist schließlich die Vertreibung des nun völlig mittellosen Prodigus aus dem freudenhaus zu sehen. Dieses Ereignis leitet zu den kleinen Außenszenen über, die – wie bereits in Behams

16 Vgl. waLLen: van Hemessen, S. 54.

Abb. 6: Sebald Beham, Der Verlorene Sohn im Bordell, Holzschnitt, 65,7 x 95,2 cm. Dresden, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett.

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Holzschnitt – in den Durchblicken zwischen den Säulen zu sehen sind und den weite-ren Verlauf der Geschichte schildern.

Das Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lk 15,11–31) handelt bekanntermaßen von einem Vater und seinen zwei Söhnen, von denen der jüngere seinen Erbteil vorzeitig einfordert und ihn dann in der fremde mit Dirnen verprasst (Szene des Vordergrunds). Während einer Hungersnot muss er sich als Schweinehirt verdingen, darf jedoch nicht einmal mit den Tieren aus einem Trog fressen (Hintergrundszene im ersten schmalen Durchblick). Daraufhin entschließt er sich reumütig, zu seinem Vater zurückzukehren, um ihm als Tagelöhner zu dienen. Der Vater heißt ihn freudig willkommen und veran-staltet zu seinen Ehren – wenngleich zum Missfallen des allzeit rechtschaffenen, nun aber eifersüchtigen älteren Bruders – ein großes fest (Hintergrundszene im zweiten breiteren Durchblick).

Diese Geschichte von Verlust und Rückgewinnung birgt in ihrer Struktur ein star-kes theologisches Argument gegen die Werkgerechtigkeit: Der untadelige Lebenswan-del des älteren Sohns verschafft diesem letztlich keine Vorteile gegenüber seinem zü-gellosen jüngeren Bruder. Im biblischen Kontext richtet sich das Gleichnis, wie auch die beiden vorangehenden Gleichnisse vom Verlorenen Schaf und von der Verlorenen Drachme (Lk 15,1–10), gegen jene Schriftgelehrten und Pharisäer, die Jesus vorwerfen, mit unwürdigen Sündern zu verkehren. Alle drei Gleichnisse betonen daher, dass im Himmelreich mehr freude herrsche „über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren“ (Lk 15,7).

Im zuge der Reformation erlangte das Gleichnis aufgrund seiner Nähe zu Luthers Ablehnung der Werkfrömmigkeit und der damit einhergehenden Lehre vom gnädigen Gott große Popularität und erfuhr zahlreiche literarische Ausarbeitungen.17 Wie längst bekannt ist, war für Hemessen aller Wahrscheinlichkeit nach das 1529 in Antwerpen publizierte Schauspiel ‚Acolastus sive De filio prodigo‘ des lutherisch gesinnten Huma-nisten Gulielmus Gnaphaeus (Willem de Volder) von Bedeutung, da hier das Treiben im Bordell, das in der Bibel nur mit zwei Sätzen angedeutet wird, ins zentrum der literarischen Darstellung rückt.18 zudem lässt sich Hemessens Bildpersonal teilweise auf die figuren den Stücks zurückführen. ob Hemessen sich auch der lutherischen Ausrichtung des Dramas angeschlossen hat, ist hingegen fraglich. In jedem fall sollte man sich davor hüten, das Bild als Bekenntnis des Malers zur Reformation zu deuten – schließlich hat Hemessen einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Œuvres der Marien- und Heiligenikonographie gewidmet.

Wichtiger als eine vorschnelle Bestimmung der konfessionellen Ausrichtung des Bildes ist für den vorliegenden zusammenhang ohnehin die frage nach den künstleri-schen Gestaltungsmitteln. Denn diese dienen, wie sich zeigen wird, nicht lediglich einer moralisierenden Bilderzählung, sondern sie machen das bildliche Darstellen sowie das visuelle Erkennen (und Verkennen) selbst zum Thema. Dies beginnt bereits bei der Schrägansicht des Innenraums, die von vornherein eine gewisse unsicherheit im Hin-blick auf die räumliche ordnung der Darstellung erzeugt: figuren und Gegenstände sind in ihren Stellungen zueinander keineswegs immer einfach zu bestimmen. In be-

17 Vgl. sPenGLer: Sohn. 18 Vgl. renGer: Gesellschaft, S. 34–37; waLLen: van Hemessen, S. 55. Der Text des Dramas liegt in einer

modernen niederländischen Übersetzung vor. Vgl. GnaPhaeus: Acolastus.

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sonderer Weise zeigt sich dies am Protagonisten, dessen bereits erwähnte unauffällig-keit keineswegs allein aus der Verschattung seines Gesichts resultiert, sondern offenbar das Ergebnis einer gezielten Verunklärung räumlicher und körperlicher Verhältnisse ist. zunächst ist festzustellen, dass der Verlorene Sohn auf eine Weise zwischen den Körpern der Dirnen eingespannt ist, die seine eigene körperliche Integrität aufzulö-sen scheint. Wie die linke Dirne trägt er ein aufwändig plissiertes Hemd, doch ist sein ausgestreckter Arm so weit von seinem Kopf entfernt und zudem durch die Arme und Hände der frauen von diesem abgetrennt, dass die beiden Elemente nicht unmittel-bar als Einheit zu erfassen sind. Dass das gelbe Gewand unterhalb des oberkörpers der linken Dirne seine Hose sein muss, zeigt sich allein an der großen Schamkapsel.19 Denn verfolgt man die Schulterlinie der Dirne, hätte man an dieser Stelle ihre Hüften erwartet. Überhaupt ist nicht ganz klar, ob die drei figuren eigentlich sitzen oder ste-hen. Vielmehr befinden sie sich in einem merkwürdigen Schwebezustand, in dem die einzelnen Körperteile geradezu ein Eigenleben zu führen scheinen. Dass dies nicht dem unvermögen des Malers geschuldet ist, sondern ein kalkuliertes Strukturmerkmal der Komposition und Bilderzählung darstellt, lässt sich an den beiden figuren hinter der Kupplerin demonstrieren.20 Der alte Grinser und die junge Dirne haben ihre ober-körper und ihre Gesichter voneinander abgewandt: Er schaut in sein leeres Gefäß, sie wendet sich dem Würfelspieler neben ihr zu. Von daher bemerkt man erst auf den zweiten Blick, dass sich ihre Arme hinter dem Kopf der Kupplerin überkreuzen und ihre Hände auf diese Weise vom jeweils zugehörigen Körper abgetrennt erscheinen: Während der Alte mit seiner freien Hand nach dem Glas der vorderen Dirne zu greifen scheint, findet sich die Hand seiner Nebensitzerin just in seinen Schritt – womöglich, um dort seine Börse zu ergattern.21 Wir haben es hier also mit handfesten Täuschungs- und Ablenkungsmanövern zu tun, die zum einen die Interaktionen zwischen den figu-ren im Bild bestimmen, die zum anderen aber auch den Betrachter vor dem Bild in die Irre führen können. Denn Blickrichtung, Körperneigung und flächenanordnung der Glieder lassen hier mitunter zunächst ganz andere als die ‚tatsächlich‘ stattfindenden Handlungen erwarten.

In diesem Sinne hat jüngst Bret Rothstein Hemessens Brüsseler Tafel einer minuti-ösen Analyse unterzogen, in der er den vom Maler sorgfältig inszenierten fallstricken der Wahrnehmung nachspürt und als untergründiges Leitmotiv des Bildes ein immer wiederkehrendes frustriertes Begehren freilegt.22 Wie der alte kannekijker sehnsuchts-voll in den leeren Krug schaut, der im wörtlichen Sinne sein Gesichtsfeld begrenzt, wie er zugleich nach einem möglichen Ersatz greift und dabei selbst beraubt wird, so befindet sich auch der Verlorene Sohn in einer Situation, die nur schlecht für ihn enden kann. Getrieben von sexueller Begierde, ist er blind für das Ränkespiel der beiden Dir-nen, die mit ihren verführerischen Gesten sein Blickfeld einschränken und sich darum

19 zur Konnotierung der vom Prodigus getragenen Schlitzmode als verwegen und lasziv vgl. zitzLsPer-Ger: Kostümkunde, S. 46f.

20 Bereits friedrich Winkler (1924) erkannte durchaus Hemessens Sinn für „das Künstliche“, doch sah er in seinen Gestalten vor allem „den Charakter eines unvergleichlich banalen Kraftmeiertums“. Vgl. winKLer: Malerei, S. 297.

21 Weitere Beispiele einer solchen Praxis des ‚zergliederns‘ bei Hemessen, aber auch bei Pieter Bruegel, diskutiert richarDson: Bruegel, S. 95–98.

22 rothstein: Beer, S. 888f.

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mühen, die Erfüllung seines Verlangens so lange aufzuschieben, bis er all sein Hab und Gut verzecht hat.

Völlig zu Recht weist Rothstein auch darauf hin, dass Hemessen mit einem äu-ßerst hohen Grad an visueller Aufmerksamkeit und analytischer Kompetenz bei seinen Kunden gerechnet haben muss.23 Schließlich erfordert ein Bild wie der Brüsseler ‚Ver-lorene Sohn‘ nicht nur einen feinen Sinn für die meisterhafte malerische Wiedergabe stofflicher oberflächen, sondern eben auch die Bereitschaft, ein offenbar absichtsvoll verworrenes Geschehen geduldig und mit wachem Sinn für Ambivalenzen so weit wie möglich zu entwirren. Dabei wird man unweigerlich die Erfahrung machen, dass die eigene Wahrnehmung keineswegs vor jenen Irrtümern gefeit ist, denen das Bildperso-nal scheinbar hilflos erliegt. Gleichwohl liegt darin nicht nur die moralische Botschaft, sich ersteinmal an die eigene Nase zu fassen, sondern vor allem auch ein Angebot zu einer durchaus lustvollen Bilderkundung, die zu einer gesteigerten Wertschätzung der vom Maler klug gewählten Gestaltungsmittel führen kann.

III. Jedermänner

Die in der Brüsseler Tafel angelegte Thematisierung sinnlicher Wahrnehmung und bildlicher Darstellung, die hier nur in groben zügen angedeutet werden konnte, fin-det in den Tafeln aus Karlsruhe (Abb. 7, Taf. 29) und Hartford/Connecticut (Abb. 12, Taf. 30) eine intensivierte fortsetzung. Beide Bilder haben annähernd das gleiche for-mat und präsentieren wiederum Szenen im Inneren eines Bordells.24 Allerdings ist es diesmal kein jugendlicher Verlorener Sohn, der von den Dirnen umgarnt wird, son-dern jeweils ein älterer Mann mit altertümlicher Kopfbedeckung, der in einem Moment des Innehaltens oder der Gegenwehr gezeigt wird. Es handelt sich hierbei vermutlich um Elckerlijc-figuren, d.h. um Verkörperungen des Jedermann, die wie der Verlorene Sohn die frage nach der Erlösungsfähigkeit des Individuums aufwerfen.25 Der Kern der spätmittelalterlichen Elckerlijc-Parabel, die erstmals 1496 in den Niederlanden ge-druckt wurde, besteht darin, dass Gott den Tod zum wohlhabenden Jedermann sendet, um von diesem Rechenschaft über sein Leben zu fordern.26 Daraufhin sucht der Je-dermann bei einer Reihe von allegorischen figuren (freundschaft, Sippschaft, Besitz) Rechtsbeistand, doch können diese ihm allesamt nicht helfen. Während nun in den vorreformatorischen Ausformungen des Stoffes die guten Werke und die Erkenntnis den Jedermann schließlich zur Erlösung führen, rücken in den reformatorischen Bear-beitungen Glaube und Reue an deren Stelle.27

Gerade im Antwerpen der 1530er Jahre wurde der Elckerlijc-Stoff auf spannungs-volle Weise religionspolitisch akzentuiert: 1536 erschien unter dem Titel ‚Homulus‘

23 rothstein: Beer, S. 892f.24 Nur die Hartforder Tafel trägt ein Datum: 1543. Die gängige Datierung des Karlsruher Bildes auf 1539

ist keineswegs zwingend. Die annähernde formatgleichheit deutet eher darauf hin, dass die Tafeln als Pendants oder zumindest als Variationen eines Themas etwa zur gleichen zeit entstanden sind.

25 Vgl. waLLen: van Hemessen, S. 59.26 Eine moderne niederländische Ausgabe, die sich an der Antwerpener Ausgabe von Willem Vorster-

mann (ca. 1525) orientiert, bietet van eLsLanDer: Elckerlijc. für englische und deutsche Bearbeitungen des 16. Jahrhunderts vgl. wieMKen: Dramen.

27 Vgl. DaMMer/jessinG: Jedermann, S. 1–29.

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eine lateinische Übersetzung des urspünglich volkssprachlichen Texts, die nicht zuletzt aufgrund eingeschobener Marienanrufungen und einer fürbittszene im Himmel eine deutliche katholische Ausrichtung erhält.28 Demgegenüber veröffentlichte der Huma-nist Georgius Macropedius nur drei Jahre später mit seinem ‚Hecastus‘ eine freie Bear-beitung des Stoffes, in der die Handlung ganz im Diesseits belassen und der Glaube an Jesus Christus als notwendige und hinreichende Bedingung für das Seelenheil behaup-tet wird, was dem Autor, der einem reform-katholischen Milieu zugeordnet werden kann, den Vorwurf einbrachte, er propagiere lutherische Irrlehren.29

Burr Wallen hat nun auf eine Szene im ‚Hecastus‘ hingewiesen, in der der alternde Protagonist bei Trank und Spiel plötzlich einen stechenden Schmerz verspürt, der ihn an den Tod gemahnt und zur Reue führt.30 Ein solcher Moment könnte durchaus auch auf Hemessens Tafeln in Karlsruhe und Hartford dargestellt sein. Allerdings spielt der ‚Hecastus‘ nicht in einem Bordell. Macropedius hebt in seiner Vorrede explizit her-vor, dass sein Stück „nichts an beschämender Sünde oder frivolität“ enthalte: „Hier gibt es keinen Liebhaber junger Mädchen, keinen Kuppler, keine schamlose Hure oder was sonst für fromme Augen anstößig wäre (sofern denn da ein redlicher zuschauer sitzt).“31 Hemessens Kompositionen folgen also keineswegs dieser konkreten literari-schen Vorlage, sondern entwerfen für den Jedermann jeweils eigenmächtig eine bildli-che Wirklichkeit, die vor frivolen und obszönen Momenten nicht zurückschreckt.

Im Vergleich zum Brüsseler ‚Verlorenen Sohn‘ fällt auf, dass der Betrachter nun nicht mehr durch die Darstellung eines biblischen Gleichnisses auf Distanz gehalten wird. Vielmehr scheint der Maler alles dafür zu tun, das Bildgeschehen auf den Betrach-ter hin zu aktualisieren. So sieht man in den Durchblicken des Hintergrunds keine Sze-nen aus biblischer Vorzeit, sondern Situationen aus dem gegenwärtigen Bordellalltag: noch zu verführende Kunden an der Eingangstür und freier beim An- oder Ausziehen (Karlsruhe) sowie einen eingeschlafenen Gast am Herdfeuer (Hartford).32 Vor allem aber erscheinen die figuren des Vordergrundes in beiden Bildern nicht nur annähernd in Lebensgröße, sondern sie sind auch derart nah an die ästhetische Grenze herange-rückt, dass der Betrachter unwillkürlich in die Szene miteinbezogen ist: Ein jeder, der vor eines der Bilder tritt, wird unversehens selbst zum Mitglied der ruchlosen Bordell-gesellschaft und sitzt gemeinsam mit dem Jedermann und den Huren am Spieltisch.

1. Die Tafel in Karlsruhe

Das Karlsruher Bild (Abb. 7, Taf. 29) setzt in besonderer Weise auf Effekte der unmit-telbarkeit. Der Jedermann hat sich hier in einer plötzlichen Drehung von der ihn sacht umarmenden Dirne abgewendet, so dass sein Gesicht frontal auf den Betrachter ausge-

28 Vgl. DaMMer/jessinG: Jedermann, S. 4f.29 Vgl. DaMMer/jessinG: Jedermann, S. 5 und 26. Der ‚Hecastus‘ des Macropedius wurde 1549 von Hans

Sachs ins Deutsche übertragen. Der Band von DaMMer/jessinG bietet eine kommentierte synoptische Edition der beiden Texte sowie eine neuhochdeutsche Übersetzung des lateinischen ‚Hecastus‘.

30 Vgl. waLLen: van Hemessen, S. 59f.31 zit. nach DaMMer/jessinG: Jedermann, S. 196f. Dies ist wohl ein Seitenhieb gegen den erfolgreichen

‚Acolastus‘, in dem die Szene im Bordell genüsslich ausgeschmückt wird.32 zur ikonographischen Entschlüsselung dieser Hintergrundszenen vgl. die Ausführungen bei renGer:

Gesellschaft, S. 120–142 und waLLen: van Hemessen, S. 60f.

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richtet ist, wenngleich sein Blick an diesem vorbeiführt. Er erscheint in einem dramati-schen Schlaglicht, das ihn von links trifft und seine faltige Physiognomie kontrastreich modelliert. Während er sich mit einer Hand auf dem Spieltisch neben ihm abstützt, hat er die andere Hand in einer jähen Geste, die offenbar sein Innehalten zum Ausdruck bringt, nach oben gerissen. Das Schlaglicht trifft die gespreizten finger der Hand, die dem Betrachter in perspektivischer Verkürzung entgegenkommt, von hinten, so dass die verschattete Handinnenfläche an den fingerspitzen jeweils von Glanzpunkten be-krönt wird. Dieses Spiel von Licht und Schatten, in dem die Bildwelt mit aller Macht in den Betrachterraum vorzudringen sucht, markiert nicht nur die flüchtigkeit des dar-gestellten Moments, sondern verweist auch auf eine hier möglicherweise vorliegende Reflexion der Erscheinungs- und Sichtbarkeitsbedingungen des Bildes selbst.33

So subtil auf der linken Seite des Bildes mit der ästhetischen Grenze gespielt wird, so derb und zotig wird sie auf der rechten geradezu übersprungen. Dort nämlich for-dert die obszön grinsende Kupplerin den Betrachter mit einer zweideutigen Geste zum Trinken und wohl auch zum Geschlechtsverkehr auf. In diesem Sinne findet der geöffnete Krug der hässlichen Alten innerhalb des Bildes sein männlich konnotiertes Gegenstück im Dolch des Jedermann. Die Dirne in der Mitte verfügt hingegen über raffiniertere Methoden der Verführung: Ihre fingerspitzen umspielen zärtlich den obe-ren Rand des feinen Glases, das der Jedermann unten mit dem zeigefinger berührt. Ihre Annäherungsversuche sind also im wörtlichen Sinne ‚vermittelt‘ und wissen die feinen Schwingungen eines multisensuellen Mediums zu nutzen. Schließlich bündeln sich im Weinglas alle fünf Sinne: Seine Transparenz ist visuell erfahrbar, seine oberfläche kann ertastet, seine Vibration gehört, sein Inhalt gerochen und geschmeckt werden.

Die von der Komposition erzwungene Nähe zum Geschehen des Vordergrundes ermöglicht es dem Betrachter, die stoffliche Beschaffenheit der malerisch fingierten Bildwelt genau in Augenschein zu nehmen – etwa die mit eleganten ornamenten ge-prägte und mit Perlen besetzte lederne Hüfttasche des Jedermann, den feinen Pelz-kragen der jungen Dirne oder den vom regen Gebrauch blankpolierten zinnkrug der Kupplerin. Doch trotz der durch die Nähe ermöglichten Sichtbarkeit der Dingwelt, die eigentlich die Erkenntnis des Dargestellten insgesamt erleichtern sollte, bleiben – wie schon bei der Brüsseler Tafel – die räumlichen und auch die körperlichen zusammen-hänge der Szene teils äußerst unklar. So ist schwer zu ermessen, auf welchem gemein-samen Grund der Tisch und die um ihn versammelten Personen eigentlich aufruhen.

Das Problem spitzt sich zu, wenn man die Hintergrundszenen in die Betrachtung mit einbezieht. Denn vergleicht man die gekachelten fußböden in den beiden Blick-schneisen, dann muss man feststellen, dass diese jeweils nicht nur einen anderen flucht-punkt, sondern auch einen anderen Neigungswinkel haben: Während der Boden links relativ flach zur Eingangstür des Bordells führt, bietet sich der Boden des Innenraumes rechts in steiler Aufsicht dar. Die Tischplatte im Vordergrund lässt sich jedoch keinem dieser beiden Raumsegmente eindeutig zuordnen.

33 Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass Hemessen hier wie auch andernorts Inszenierungsweisen und Bildstrategien prägt, die um 1600 vor allem von Caravaggio wieder aufgenommen werden. Die genauen Rezeptionswege sind noch ungeklärt; Hemessen wird in der Caravaggio-Literatur gemeinhin übergangen. zur Medialität des Helldunkels bei Caravaggio vgl. sPinner: Helldunkel; Prater: Licht; KrüGer: Bild, S. 243–279. zu ironischen zitatverfahren bei Caravaggio vgl. von rosen: Caravaggio.

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Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass dem Maler dies aus unvermögen oder Nach-lässigkeit unterlaufen ist. Alles deutet vielmehr darauf hin, dass Hemessen den Konflikt der Perspektiven sehenden Auges herbeigeführt und ganz bewusst einen inhomogenen Bildraum entworfen hat. Die räumliche Diskontinuität zwischen den einzelnen Szenen lässt sich womöglich als Index einer zeitlichen Gliederung verstehen, die das Gesche-hen in drei Stadien des Bordellbesuchs aufteilt und den Jedermann im Vordergrund am Scheideweg positioniert.34 Doch selbst wenn man die konfligierenden Perspektiven in dieser Weise narrativ auflöst, bleibt für den Betrachter das Irritationspotential räumli-cher Inkonsistenz erhalten. Dadurch wird nun genau jene Konvention thematisch, die seit Leon Battista Albertis ‚De pictura‘ (1435) geradezu metonymisch für die Malerei der Renaissance einsteht: die einheitliche zentralperspektive. Mit den durchaus nach perspektivischen Regeln gestalteten Kachelböden des Hintergrundes hat Hemessen de-ren bildlichen Code explizit in Szene gesetzt, ihn aber zugleich mit sich selbst in einen unlösbaren Widerstreit geführt. Auch hier zeigt sich also ein Bestreben des Malers, die Bedingungen, Regeln und Normen der Bildproduktion und der damit einhergehenden Bildwahrnehmung im Medium des Bildes selbst zu problematisieren. Auf diesen As-pekt werden wir bei der Erörterung der Hartforder Tafel zurückkommen.

An dieser Stelle soll die Aufmerksamkeit dagegen auf einen Aspekt gelenkt werden, der von der forschung zwar durchaus bemerkt, der jedoch in seiner systematischen Tragweite noch nicht hinreichend erfasst wurde. Vor allem Burr Wallen hat hinsichtlich der auffälligen Gesten in Hemessens Genrebildern auf Leonardo da Vincis großes the-oretisches und malpraktisches Interesse an der Beredsamkeit des Leibes hingewiesen.35 Im fall von Hemessens ‚Berufung des Matthäus‘ von 1536 (München, Alte Pinako-thek) konnte er sogar ein konkretes zitat nachweisen: Die in der Bildmitte scheinbar frei schwebende Hand, die dem schmallippigen Alten zuzuordnen ist, dessen Kopf genau neben jenem des zöllners erscheint, ist eindeutig Leonardos ‚Letztem Abend-mahl‘ entlehnt.36

unterzieht man die Karlsruher Tafel unter diesem Gesichtspunkt einer erneuten Betrachtung, dann wird man festellen müssen, dass hier tatsächlich einige leonardes-ke Topoi zu finden sind. zunächst ist da die hübsche Dirne im zentrum des Bildes. Mit ihren zarten Gesichtszügen und ihrem sanft gelockten, mittig gescheitelten Haar verkörpert sie – wie fast alle weiteren schönen jungen frauen in Hemessens Bordell- und Matthäusbildern – Leonardos Typus weiblicher Schönheit, wie er sich etwa in der ‚felsgrottenmadonna‘ (1. Version, 1483–86, Paris, Louvre) (Abb. 8), der in zahlreichen Kopien überlieferten ‚Leda‘ (1508, original verloren) oder der ‚Kirschenmadonna‘ des Leonardo-Schülers Giampetrino (ca. 1508–13, Privatsammlung) manifestiert. Sein maltechnisches fundament findet dieser Typus im berühmten sfumato des Meisters, das durch eine höchst nuancierte Modellierung von Licht und Schatten eine völlige Auflösung scharfer Kontraste und Konturen zu erreichen sucht.37 So realisiert sich im weichen rilievo des frauengesichts nicht zuletzt jene gratia (Anmut), die der Darge-stellten den Anschein der Lebendigkeit und der betörenden leibhaften Anwesenheit

34 Vgl. renGer: Gesellschaft, S. 125f.; waLLen: van Hemessen, S. 60f.; siLver: Peasant, S. 73.35 waLLen: van Hemessen, S. 57.36 waLLen: van Hemessen, S. 72.37 Vgl. zöLLner: Bewegung, S. 258–261; KrüGer: Bild, S. 123–128.

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Abb. 8: Leonardo da Vinci, felsgrottenmadonna, 1483–86, Öl auf Holz, 199 x 122 cm. Paris, Louvre.

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verleiht. Demgegenüber steht die runzlige Kupplerin zweifelsohne in der Tradition le-onardesker Groteskköpfe und visualisiert mit ihrer hässlichen Physiognomie zugleich ihre moralische Verschlagenheit.38

Auch die ausgestreckte und von hinten beleuchtete Hand des Jedermann ist ver-mutlich weniger ein zeugnis für Hemessens aufmerksames und unmittelbares Natur-studium als vielmehr ein Indiz für seine Auseinandersetzung mit leonardesker Malerei. Denn mit den gespreizt-gestreckten fingern stellt dieses malerische Kabinettstückchen eine kunstvolle Variation des auffälligen Gestus der ‚felsgrottenmadonna‘ (Abb. 8) dar. Hemessens in sich widersprüchliche Nutzung des fliesenbodens als Perspekivcode könnte darüber hinaus geradezu als bewusst inkonsistenter Gegenentwurf zu Leonar-dos perfekter zentralperspektive des ‚Abendmahls‘ verstanden werden. So wird vor allem im Kupferstich des Giovanni Pietro da Biragio (Abb. 9) die einheitliche perspek-tivische Konstruktion überdeutlich durch einen gefliesten Boden hervorgehoben.

Hat man die diversen Topoi leonardesker Malerei einmal bemerkt, dann liegt es nahe, bestimmte Details des Gemäldes darüber hinaus auch im Lichte von Leonardos kunsttheoretischen äußerungen zu betrachten. Licht- und Schatteneffekte auf unter-schiedlichen oberflächen (man beachte etwa das Glanzlicht auf der Kopfbedeckung, den komplizierten faltenwurf der Gewänder oder das Lichtspiel im Haar der Dirne), das gebrochene Licht (im Glas auf dem Tisch) und überhaupt die unterschiedlichen Lichtverhältnisse im Bild (das Tageslicht, das hinten links zur Eingangstür hereinfällt und demgegenüber das Kaminfeuer rechts, das mit dem durchs fenster einfallenden Tageslicht konkurriert und die Dinge in komplexen Beleuchtungssituationen erschei-nen lässt) – all dies sind Phänomene, mit denen sich Leonardo in seinen Schriften wie-

38 Vgl. GoMBrich: Leonardo.

Abb. 9: Giovanni Pietro da Biragio nach Leonardo da Vinci, Das letzte Abendmahl, Kupfer-stich, 22,3 x 44,7 cm. London, The British Museum, Department of Prints and Drawings.

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der und wieder intensiv beschäftigt.39 Mimik und Gestik, die bewegten Haltungen und Gebärden der figuren und die damit einhergehenden perspektivischen Verkürzungen sind ebenso Gegenstand seiner theoretischen Reflexionen wie auch die Regeln der Per-spektivdarstellung.40 Achtet man auf die einander zugeneigten Köpfe der Dirne und der Kupplerin, die wie an einer imaginären schrägen Achse gespiegelt scheinen, dann kann man kaum umhin, darin Leonardos Ratschlag befolgt zu sehen, man solle Schönheit und Hässlichkeit zur Wirkungssteigerung einander direkt gegenüberstellen.41 Bedenkt man zudem, dass Leonardo sich auch über das Problem allzu schnell veraltender Mode Gedanken macht, dann lässt sich vielleicht sogar auch die altertümliche Kopfbedeckung des Jedermann aus seinen Reflexionen ableiten.42 Dafür spräche auch der umstand, dass Leonardo sich dabei besonders über die fransenmode des 15. Jahrhunderts lus-tig macht – ein Merkmal, das zwar nicht die Kopfbedeckungen in den Bordellbildern Hemessens, wohl aber in manchen der späteren Szenen der ‚Berufung des Matthäus‘ (Abb. 10) auszeichnet.

fragt man sich nun, wie Hemessen überhaupt zur Kenntnis all dieser leonardesken Bild- und Gedankenfiguren kommen konnte, ist zunächst auf den bereits ewähnten Kupferstich nach dem ‚Abendmahl‘ hinzuweisen, der belegt, dass zumindest Leo-nardos berühmtes Secco bereits seit etwa 1500 allgemein verbreitet war.43 Ein solcher tendenziell schematischer Kupferstich konnte freilich kaum die finessen leonardesker Pinselkunst vermitteln. Doch selbst wenn Hemessen nicht nach Italien und fontaine-bleau gereist ist und Leonardos Werke nicht im original gesehen hat, konnte er sich in Antwerpen immerhin an malerischen Werken schulen, die direkt auf Bildfindungen Leonardos zurück zu führen sind. ohne dass wir wüssten, wie er zu seinen Kenntnis-sen gelangt ist, hat Quinten Massys wohl als erster in den Jahren 1508–12 in seinem ‚Johannes-Triptychon‘ (Antwerpen, Museum voor schone Kunsten) bei der Gestal-tung der kaiserlichen Schergen von Leonardos Groteskköpfen Gebrauch gemacht.44 Nur wenig später hat er zudem das Bild einer grotesk-hässlichen und altmodisch her-ausgeputzten alten frau (London, National Gallery) gemalt, dessen wesentliche züge ebenfalls auf eine zeichnung Leonardos zurückzuführen sind.45 Neben Massys war es jedoch vor allem Joos van Cleve, der Leonardos Idiom im Laufe des ersten Drittels des 16. Jahrhunderts in Antwerpen verbreitet und populär gemacht hat. Joos van Cleve war 1511 zum freimeister ernannt worden und unterhielt in der folge eine der erfolg-reichsten Malerwerkstätten der Stadt, die Auftraggeber in ganz Europa belieferte, aber auch Varianten einzelner Kompositionen in Serie für den freien Markt produzierte.46

39 Vgl. LeonarDo Da vinci: Traktat, S. 242–317, 339–350 (Licht und Schatten), S. 317–321 (Glanzlichter), S. 234–241 (faltenwurf).

40 Vgl. LeonarDo Da vinci: Traktat, S. 97–100, 200–213 (Linearperspektive), S. 112 (Gebärden), S. 161–184 (Mimik und Gestik).

41 Vgl. LeonarDo Da vinci: Traktat, S. 120. Vgl. hierzu auch die Ausführungen bei aLBerti: Malkunst, S. 257.

42 Vgl. LeonarDo Da vinci: Traktat, S. 240f.43 Edwin Buijsen hat auf ein unsigniertes und undatiertes ‚Letztes Abendmahl‘ aus einer englischen Pri-

vatsammlung aufmerksam gemacht, das leonardeske Motive enthält und womöglich als frühwerk Jan van Hemessens zu erachten ist. Vgl. Buijsen: Avondmaal.

44 siLver: Paintings, S. 46.45 siLver: Paintings, S. 140.46 Vgl. LeeFLanG: van Cleve sowie hanD/LeeFLanG: Leben, S. 26f.

376 Bertram Kaschek

Sein größter ‚Verkaufsschlager‘ war die ‚Kirschenmadonna‘ (Abb. 11), die womöglich auf das oben bereits erwähnte Gemälde des Leonardo-Schülers Giampetrino zurück-geht und von der heute noch insgesamt 29 Versionen aus van Cleves Werkstatt sowie von atelierfremden Kopisten erhalten sind.47 Von den ‚Küssenden Knaben‘ (‚Christus und Johannes als Kinder, einander umarmend‘), die ebenfalls auf einer Komposition Leonardos basieren, existieren heute noch 18 Versionen.48 Dass mit Leonardos Bildfin-dungen zumindest auch Versatzstücke seiner bis dahin noch unpublizierten kunstthe-oretischen Ansichten nach Antwerpen gelangt sind, ist naheliegend. Hemessen konnte demnach um 1540 auf einen voll etablierten Bild- und Kunstdiskurs des leonardismo zurückgreifen. Angesichts der immensen Popularität dieses Idioms konnte Hemessen zudem damit rechnen, dass Antwerpener Kollegen und Kenner in der Lage waren,

47 ewinG: van Cleve, S. 116.48 ewinG: van Cleve, S. 119. zur ironisierenden Anverwandlung der ‚Küssenden Knaben‘ in Pieter Aert-

sens ‚Pfannkuchenessern‘ von 1560 (Rotterdam, Museum Boijmans-van Beuningen) vgl. richarDson: Bruegel, S. 2–4.

Abb. 10: Jan van Hemessen, Die Berufung des Matthäus, um 1548, 114 x 137 cm. Wien, Kunsthistorisches Museum.

377Metamalerei bei Jan van Hemessen

Abb. 11: Joos van Cleve, Kirschenmadonna, ca. 1525, Öl auf Holz, 74 x 52,3 cm. Aachen, Suermondt-Ludwig-Museum.

378 Bertram Kaschek

sein Spiel mit leonardesken Topoi als solches zu erkennen. Wie dieses Spiel genauer zu verstehen ist, wird abschließend noch zu diskutieren sein.

2. Die Tafel in Hartford

Im Vergleich zur Karlsruher Tafel ist im Hartforder Bild (Abb. 12, Taf. 30) das Gesche-hen des Vordergrundes um eine weitere figur ergänzt. Denn wie zuvor im Brüsseler ‚Verlorenen Sohn‘ wird der männliche Protagonist hier von zwei jungen Prostituierten zugleich in die zange genommen.49 und wie dort geht es auch hier offenbar darum, ihn mit sanftem Nachdruck und neckischem Spiel zum Weitertrinken zu verleiten: Während ihn die eine Dirne mit mahnendem Gestus explizit zum Trinken auffordert, entzieht ihm die andere das von der ebenfalls anwesenden Kupplerin nachgefüllte Weinglas, indem sie es mit ausgestrecktem Arm in die Höhe hält. Die zinnkanne der Kupplerin verfügt diesmal eher über phallische Konnotationen, die von der in ihrer anderen Hand liegenden Pfote des Hündchens, das den Betrachter aus seiner verschat-teten Position am unteren Bildrand treuherzig anblickt, bestärkt werden. zwischen der Kupplerin und den Dirnen ist zudem eine Katze zu sehen, die im Begriff ist, mit ihrer Pfote der achtlosen Tischgesellschaft eine Artischocke zu entwenden. Darin ist nicht zuletzt ein Signal an den Betrachter zu erkennen, den im Bild präsentierten Sachverhal-ten mit erhöhter Aufmerksamkeit, wenn nicht gar mit einigem Misstrauen zu begeg-nen. und tatsächlich lassen sich auch in der Hartforder Variante einige wohlkalkulierte unstimmigkeiten der Körperanordnung und der Raumkonstruktion finden.

Der Perspektivcode des fliesenbodens ist hier nur einmal im schmalen Durchblick zur Küche zu sehen, doch ist er für die räumliche orientierung nicht besonders hilf-reich, da ein fluchtpunkt nicht auszumachen ist und die Kontinuität dieses Raumab-schnitts zum Vordergrund im unklaren bleibt. Immerhin aber evoziert er gemeinsam mit den kleinen figuren am Kaminfeuer eine beachtliche Raumtiefe der Küche, die in scharfem Kontrast zum Raum diesseits der Türe steht, in dem sich das Geschehen des Vordergrunds abspielt. Denn hier scheint aufgrund des nahen Türrahmens und des sich rechts daran anschließenden Wandstücks sowie des offenbar noch näheren fensters links der Raum auf ein Minimum zusammenzuschrumpfen. Wie die massiven menschlichen Körper samt Mobiliar in dieser engen Kammer Platz finden sollen, muss dem Betrachter ein Rätsel bleiben. Achtet man zudem auf die deutlich nach hinten links fluchtende Tür, wird man zu dem urteil gelangen, dass das direkt hinter dem Jedermann erscheinende fenster sich nicht mit dieser fluchtung verbinden lässt und gewissermaßen ein Ding der unmöglichkeit darstellt.

Mit Blick auf die interagierenden figuren des Vordergrunds lässt sich diese Diagno-se fortsetzen. So befindet sich der Jedermann in einer schier unmöglichen Körperhal-tung, die es dem Betrachter kaum erlaubt, die beiden Knie im linken unteren Bildeck anatomisch mit seinem Kopf und oberkörper in Einklang zu bringen. Auch ist nicht recht ersichtlich, wie seine Schulter sich hinter dem Kopf der vorderen Dirne befinden kann, wenn sein dazugehöriger Arm vor der Brust der frau herabführt, um schließlich

49 Vgl. rothstein: Beer, S. 891.

379Metamalerei bei Jan van Hemessen

ihre Hand zu halten. offenbar sind die figuren ganz bewusst in die fläche getrieben worden: Geschehenslogisch betrachtet, müssten die Akteure sich eigentlich vor- oder hintereinander befinden, doch kommt es im Bild vor allem zu einem forcierten Neben-einander. So entseht der Eindruck, als seien die Körperteile in einer geradezu kubis-tisch anmutenden Manier dekonstruiert und anschließend vornehmlich planimetrisch rekonstruiert worden.50

Während in der fläche alles dicht gefügt erscheint, ist das Geschehen in räumli-cher Hinsicht jedoch äußerst instabil. Da nämlich der Jedermann sich den zuwendun-gen der hinter ihm stehenden Dirne zu erwehren trachtet, läuft er Gefahr, die ande-re Dirne, die mit erhobenem Arm und spitzen fingern das Weinglas balanciert, aus dem Gleichgewicht zu bringen. obgleich wiederum völlig unklar ist, ob sie sitzt oder steht, fällt ihre äußerst gefährdete Position auf den ersten Blick überhaupt nicht auf, da der obere Rand des Weinglases parallel und sehr dicht zur oberen Bildkante verläuft, sodass es scheint, als könne sie sich mit dem Glas am Bildrahmen abstützen. Hinzu kommt, dass der fuß des Weinglases ziemlich exakt zwischen den Kapitellen des Ka-mins eingespannt ist und der Ballen der das Glas haltenden Hand sich passgenau in die Schwingung der Kaminarchitekur schmiegt (Abb. 13). Die geradezu rhythmische Abwechslung von Hell und Dunkel tut ein Übriges, um den erhobenen Arm fest in die flächenkomposition einzubinden und so den trügerischen Anschein zu erwecken, als befinde sich die Dirne in einer stabilen Position.

Hemessens eigenwilliges Arrangement, das den Konflikt zwischen Bildraum und Bildfläche offenbar nicht glätten oder gar überwinden möchte, sondern ihn vielmehr lustvoll in Szene setzt, findet seine Erklärung wiederum in einem kunsttheoretischen Kontext. Diesmal sind es jedoch weniger die Motive und Ideen Leonardos, die den thematischen Rahmen abstecken, sondern jene Kompositionsregeln, die Leon Battista Alberti in ‚De pictura‘ (1435) für die Darstellung einer historia aufgestellt hat. Im Jah-re 1540 war Albertis Traktat, der als Gründungsmanifest eines neuzeitlich-rationalen Bildkonzeptes gewertet werden kann, erstmalig in einer Druckausgabe erschienen, die vom Baseler Verleger Bartholomaeus Westheimer besorgt worden war.51 Von nun an stand es auch einer breiteren lateinkundigen Leserschaft in Nordeuropa offen, sich mit Albertis Positionen zu befassen. und wenn nicht alles täuscht, dann hat Hemessen in seiner Hartforder Tafel eine intensive Auseinandersetzung mit dem italienischen The-oretiker gesucht.52

Vor dem Hintergrund der soeben beschriebenen flächenhaften und zergliedernden Inszenierungsweise Hemessens ist vor allem daran zu erinnern, dass auch Alberti im-mer wieder ausdrücklich den flächencharakter der Malerei betont. Bereits im Kontext seiner berühmten Definition des Bildes als finestra aperta, weist er darauf hin, dass es

50 Hemessens Tafeln weisen in ikonographischer und bildstrategischer Hinsicht tatsächlich einige er-staunliche Parallelen zu Pablo Picassos ‚Demoiselles d’Avignon‘ (1907, New York, Museum of Modern Art) auf. Leo Steinbergs nachgerade klassische Studie zu Picassos epochemachendem ‚Meisterwerk‘ hat denn auch den Titel des vorliegenden Beitrags angeregt. Vgl. steinBerG: Brothel.

51 Vgl. BätschMann: Einleitung, S. 106f.52 freilich wissen wir nicht, ob Hemessen vollauf lateinkundig war. Immerhin signierte er in latinisierter

form. für ein humanistisches Bildungsniveau Hemessens argumentierte zuletzt Konečný: Braut.

380 Bertram Kaschek

sich hierbei zunächst um eine Konstruktion in der fläche handelt.53 So behält Alberti trotz seines auf Transparenz und auf Kontinuität zum Betrachterraum zielenden Bild-konzepts gerade in pragmatischer Hinsicht immer die flächengebundenheit der Male-rei im Auge.54 In besonderer Weise trifft dies für die Gestaltung eines ‚Vorgangs‘, also für die compositio einer historia, zu, kommt hier doch alles auf die richtige Anordnung der flächen an:

Die ersten Teile des Werkes sind also die flächen, weil aus diesen die Glieder, aus den Gliedern die Körper, aus diesen der ‚Vorgang‘ zur Vollendung gebracht werden – der ‚Vorgang‘ als das letzte und eigentlich vollkommene Werk des Malers.55

freilich ist nach Alberti „vornehmlich darauf zu achten, dass die einzelnen Glieder schön je zueinander passen […] und dadurch Schönheit und Liebreiz bewirken.“ Wird eine solche verhältnismäßige Abstimmung nämlich nicht geleistet, dann sei die Dar-stellung „gewiss abstoßend“.56 Im Hinblick auf Hemessen ist hier zweierlei von Be-deutung: zum einen die Beschreibung des Kompositionsverfahrens, nach der sich eine Handlung (historia) aus flächen (superficies), Gliedern (membra) und Körpern (corpo-ra) aufbaut; zum anderen der Hinweis auf die zu erzielende Verhältnismäßigkeit der Teile. Ersteres findet sich in Hemessens analytischer zerlegung des Körpers (v.a. des Jedermann) zweifelsohne wieder, während letzteres gewiss verfehlt wird. Alberti wird hier also auf eine Weise beim Wort genommen, die seinem normativen Anspruch zu-gleich widerspricht. Die anatomisch und räumlich offenkundig inkorrekt arrangierten Körper hätte er unter gar keinen umständen akzeptiert. Denn was bei der Körperdar-stellung den „gegebenen Möglichkeiten“ zuwiderläuft, „verstößt aufs Schwerste gegen die ziemlichkeit der Anschauung.“57

Dieser Verstoß wiegt umso schwerer, als es sich nach Alberti bei der historia um das „vollkommene Werk des Malers“ handeln soll, in dem sich neben Liebreiz (venustas) und Anmut (gratia) unter anderem auch Würde (dignitas) und Anstand (verecundia) zu verkörpern haben.58 Gegen jeden Anstand verstößt jedoch bereits das Thema von Hemessens Darstellung, das keine vorbildhafte Heldentat, sondern die körperliche und moralische Schwäche eines Jedermann zur Bildwürdigkeit erhebt.59 Eine weitere Ver-letzung von Albertis Anstandsregeln ist in der geradezu unmöglich engen Raumord-

53 aLBerti: Malkunst, S. 225: „zuerst zeichne ich auf der fläche, die das Gemälde tragen soll, ein vier-winkliges Rechteckt beliebiger Größe: es dient mir gewissermaßen als offenstehendes fenster, durch welches der ‚Vorgang‘ betrachtet wird.“

54 Vgl. KrüGer: Bild, S. 35f.55 aLBerti: Malkunst, S. 257. Womöglich ist im auffällig inszenierten Saum zwischen dem blauen ober-

kleid des Jedermann und dem an mehreren Stellen hervortretenden gelben Innenfutter eine malerische umsetzung von Albertis circumscriptio zu erkennen, die dieser auch als fimbriarum notatio (festle-gung der Säume) bezeichnet. Diese umschreibungslinie soll – wie beim antiken Maler Parrhasios – „geradezu unsichtbar“ sein. Vgl. aLBerti: Malkunst, S. 247. Dementsprechend lassen die umrisse der figuren bei Hemessen keine Konturlinien erkennen, obgleich sie sich zumeist scharf von ihrer umge-bung abgrenzen. zur circumscriptio bei Alberti vgl. auch Kanz: Linien, S. 92–96.

56 aLBerti: Malkunst, S. 259.57 aLBerti: Malkunst, S. 277. An anderer Stelle weist Alberti explizit darauf hin, dass gerade bei lebens-

großen Darstellungen „sogar die kleinsten Versehen ins Auge springen.“ Vgl. aLBerti: Malkunst, S. 303.

58 Vgl. aLBerti: Malkunst, S. 262f. (zu venustas und gratia), 266f. (zu dignitas und verecundia).59 Vgl. zu diesem Aspekt auch den Beitrag von Jürgen Müller in vorliegendem Band.

381Metamalerei bei Jan van Hemessen

nung von Hemessens Gemälde zu erblicken. Denn zum Verhältnis von Körpern zu ihrer räumlichen umgebung ist in ‚De pictura‘ folgendes zu lesen:

ferner kann man gar nicht genug tadeln, was ich auf Gemälden immer wieder zu sehen bekomme: Menschen in einem Gebäude, als wären sie in einer Schachtel eingeschlos-sen, worin sie kaum sitzend und zu einer Kugel zusammengepresst Platz fänden.60

Der Eindruck einer engen und erdrückenden Schachtel wird bei Hemessen nicht nur durch die fehlende Raumtiefe erzeugt, sondern auch dadurch, dass die linke, stehende Dirne mit gebeugtem oberkörper knapp unter dem oberen Bildrand gezeigt ist, so dass sie in aufrechter Haltung das format der Tafel sprengen würde. Darüber hinaus scheinen die beiden Dirnen mit dem Jedermann wenn nicht zu einer „Kugel“, so doch zu einer unheiligen Dreieinigkeit „zusammengepresst“ zu sein.61

Mit seinen gezielten Verstößen gegen Albertis Kompositionsregeln, von denen hier nur die prominentesten herausgestellt werden konnten, hat Hemessen eine Bildstra-tegie erfunden, die wenig später von Pieter Aertsen (ca. 1509–75) systematisch wei-terentwickelt wurde.62 So hat Reindert falkenburg in einer Reihe von wegweisenden Studien eindrucksvoll dargelegt, dass das bildlich-visuelle Spiel mit dem Regelwerk italienischer Kunsttheorie im Œuvre Aertsens geradezu einen ‚running gag‘ darstellt.63 In zahlreichen ‚profanen‘ Werken des Malers konnte er Bezugnahmen auf Alberti – wie auch auf andere theoretische Entwürfe italienischen ursprungs – nachweisen, die zwar den Wortlaut, aber keineswegs den normativen Gehalt des jeweiligen Textes ins Bild setzen. Diese ironisch-verkehrende Aneignung italienischer Kunsttheorie deutet falkenburg nicht zuletzt im Sinne einer künstlerischen Selbstreflexion, bei der Aertsen die ‚Grammatik‘ und die visuelle funktionsweise der Malerei zum Thema macht64 – ein Befund, der sich gewiss auf Hemessens Hartforder Tafel übertragen lässt.

um die selbstreflexive Qualität des Hartforder Bildes vollends deutlich zu machen, sei hier noch auf das ‚geschlossene fenster‘ hinter dem Jedermann und seinen Verführe-rinnen hingewiesen, das jeden Ausblick in eine Welt jenseits des weitgehend als fläche konzipierten Bildraums verwehrt und somit als geradezu wörtliche Antithese zu Al-bertis berühmter finestra aperta verstanden werden muss.65 So schließt Hemessen mit

60 aLBerti: Malkunst, S. 265. zwei Sätze zuvor ist zudem zu lesen: „Malt man […] die Kentauren, wie sie beim festschmaus toben, wäre es unpassend, wenn einer in diesem wilden Getümmel friedlich daläge, vom Wein eingeschläfert.“ Darf man in Hemessens eingenicktem Gast, der im hinteren Raum am Ka-min hockt, eine umsetzung auch dieses Verbotes sehen?

61 Ausdrücklich, wenn auch nur am Rande, sei hier darauf hingewiesen, dass ‚raumlos‘-enge, holzvertä-felte Innenräume in der Antwerpener Malerei des frühen 16. Jahrhunderts durchaus über eine eigen-ständige Darstellungstradition verfügen, die in verschiedenen Sujets (Hl. Hieronymus in der Studier-stube, Geldwechslerstuben, Porträts) maßgeblich von Quinten Massys geprägt wurde. Womöglich ist Hemessens Komposition als Apologie dieser Tradition gegenüber den Anforderungen des albertischen Bildkonzepts zu deuten.

62 zur Vor- und frühgeschichte ironischen zitierens in der niederländischen Kunst des 16. Jahrhunderts vgl. MüLLer: Laokoon.

63 Vgl. u.a. FaLKenBurG: Aard; FaLKenBurG: Rhyparographer; FaLKenBurG: Taste; FaLKenBurG: Errata.64 Vgl. FaLKenBurG: Errata, S. 201f.65 zu einem verwandten Aspekt in Pieter Aertsens ‚Christus bei Maria und Martha‘ (1552, Wien, Kunst-

historisches Museum) vgl. stoichita: Bild, S. 17.

382 Bertram Kaschek

seiner demonstrativen Hervorkehrung der flächenhaftigkeit der Malerei zwar an die Überlegungen Albertis an, doch konterkariert er dabei dessen gleichzeitiges Streben nach einem transparenten Durchblick. Während Alberti einen ästhetischen Ausgleich zwischen der faktischen opazität und der fingierten Transparenz des Bildes fordert, führt Hemessen dem Betrachter eine opake fiktion vor Augen, deren Komposition in der fläche nicht in eine überzeugende oder gar täuschende bildräumliche Illusion überführt wird, sondern stets als zweidimensionale Konstruktion kenntlich bleibt.

Dass es tatsächlich Hemessen ist, der für den hier beschriebenen Konflikt zwischen fläche und Raum verantwortlich zeichnet, bezeugt nicht zuletzt seine Signatur auf dem rechten Türpfosten (Abb. 13).66 Sie findet sich dort vielleicht nicht ganz zufällig di-rekt unter einer Reihe mit Kreide notierter Schuldstriche und scheint somit vollauf in den Bildraum integriert zu sein. Hemessen hat den vierzeiligen Schriftzug IOANNES DE HEMESSEN PINGEBAT 1543 allerdings ostentativ horizontal gesetzt, wodurch dieser sich dem diagonalen Tiefenzug des Türrahmens widersetzt und gewissermaßen zurück auf die vorderste Ebene der Bildfläche ‚springt‘. Demnach fungiert die Signatur hier nicht nur als handschriftlicher „Autorschaftsnachweis“, sondern auch als „inter-

66 Bereits in der Brüsseler Tafel hatte Hemessen den ort seiner Signatur mit Bedacht gewählt. Sie findet sich im linken unteren Bildeck auf der Tischkante unterhalb der den Betrachter anblickenden und an-fauchenden Katze, die im Begriff ist, ein paar Essenreste zu stehlen: IOES DE HEMESSEN 1536. Die Karlsruher Tafel trägt weder Signatur noch Datum.

Abb. 13: Jan van Hemessen, Detail aus Abb. 12.

383Metamalerei bei Jan van Hemessen

agierendes Element“ zwischen Bild- und Betrachterrealität.67 Indem sie zwischen der oberfläche der bemalten Tafel und dem dargestellten Tiefenraum oszilliert, markiert sie sinnfällig diese unaufhebbare Ambivalenz bildlicher Darstellung. Auffällig ist zudem, dass auch die sich rechts an den Türrahmen anschließende Holzvertäfelung des zim-mers nahezu ohne tiefenräumliche fluchtung erscheint. Sie verweist damit vermutlich nicht nur auf die Bildfläche, sondern darüber hinaus auch auf den zugrundliegenden materiellen Bildträger: die Holztafel. In diesem Sinne findet sich auch im Karlsruher Bild hinter dem Kopf des Jedermann eine solche besonders flach und flächig gestaltete Vertäfelung, die den faktischen ‚Grund‘ der Darstellung offenbart.68

IV. Conclusio

Sollten die hier präsentierten Beobachtungen an Hemessens Tafeln in Brüssel, Karls-ruhe und Hartford zutreffen, dann bietet uns der Künstler in seinen ‚Genrebildern‘ sicher keinen ‚spiegel van alledag‘, sondern vielmehr eine medienreflexive Auseinan-dersetzung mit den vielfältigen Konventionen pikturaler Repräsentation. Angesichts der metapikturalen Komplexität der jeweiligen Inszenierungen muss denn auch eine vornehmlich auf moralische Belehrung zielende Deutung der Bilder in die Irre führen. Gleichwohl kann die mit dem Bordell als Handlungsort einhergehende Thematisie-rung sinnlicher Verführbarkeit keinesfalls zu den Akten gelegt werden, deutet doch al-les darauf hin, dass dieses Problem hier unter kunst- und bildtheoretischen Vorzeichen besonders intensiv durchgearbeitet wurde.

Der Innenraum des Bordells, in den man unwillkürlich versetzt wird, wenn man vor eine der Tafeln tritt, ist zweifelsohne ein metaphorischer Raum. Wie der Jedermann für die Menschheit im Allgemeinen steht, so steht auch das Innere des Bordells für die Welt in ihrer sinnlichen Immanenz.69 Dass der Mensch aus dieser Immanenz nicht ohne Weiteres entkommen kann, machen Hemessens Tafeln in Brüssel, Karlsruhe und Hartford mit ihren zunehmend klaustrophobischen Interieurs auf eindrückliche Weise visuell erfahrbar. Wie gezeigt wurde, ist der Innenraum des Bordells jedoch gerade in seiner bildlichen Vergegenwärtigung zugleich auch ein kunst- und bildtheoretischer Reflexionsraum, in dem drängende Probleme der zeitgenössischen Malerei verhandelt werden. So stellt sich im Gegenzug die frage, ob nicht auch das Personal des Bordells – vor allem in den Bildern in Karlsruhe und Hartford – kunsttheoretisch lesbar ist.

Einen Hinweis in diese Richtung gibt die altertümliche Kopfbedeckung der beiden Jedermänner.70 Auf einen Betrachter um 1540 muss die völlig veraltete Hutmode der

67 zur Signatur allgemein in diesem Sinne, auch mit Hinweis auf Albertis Bildkonzept, vgl. GLuDovatz: fährten, S. 23f.

68 zur illusionistischen Thematisierung des objektcharakters von Gemälden im 17. Jahrhundert vgl. stoichita: Bild, S. 299–312.

69 unter Rekurs auf altniederländische Mariendarstellungen, in denen das aufgeräumte Interieur als Me-tapher der reinen Seele sowie des unbefleckten Leibes Mariens vorgestellt wird, sieht Nanette Salomon im engen und oft unordentlichen Innenraum des Bordells zudem „an enclosure that is […] defined as both a woman’s space and a woman’s sexualized body.“ Vgl. saLoMon: Boredeeltjes, S. 149.

70 zum Phänomen bildlicher „Kostümargumentation“ vgl. zitzLsPerGer: Kostümkunde, S. 42f. Eine systematische Entfaltung der vielfältigen Möglichkeiten bildspezifischer Sinnstiftung durch Kleidung bieten Ganz/riMMeLe: Sinnstiftung.

384 Bertram Kaschek

männlichen Protagonisten insofern einen distanzierenden Effekt ausgeübt haben, als sie die Aktualität der Darstellung in frage stellt und das Geschehen potentiell in der Vergangenheit ansiedelt. Denkbar ist aber auch, dass die Jedermänner durch ihre Be-kleidung – als zeitgenossen – der Lächerlichkeit preisgegeben werden sollen. für ein mit der heimischen Bildtradition vertrautes Publikum wird die Hutmode jedoch vor allem jenen Kleidungsstil in Erinnerung gerufen haben, der die figuren der altnieder-ländischen Malerei des 15. Jahrhunderts kennzeichnet. Während der Hut des Hartfor-der Jedermann geradezu dem Stifter aus dem linken Seitenflügel von Rogier van der Weydens ‚Abegg-Triptychon‘ (Riggisberg, Abegg-Stiftung) entwendet zu sein scheint, erinnert der Chaperon seines Karlsruher Genossen an Jan van Eycks sogenannten ‚Ti-moteos‘ (London, National Gallery) oder an van Eycks ‚Porträt des Jan de Leeuw‘ (Wien, Kunsthistorisches Museum). Ein weiteres Mal also spiegelt Hemessen weniger seine gegenwärtige Lebenswelt als vielmehr eine hochartifizielle Kunstwelt, die als sol-che erst genommen werden sollte.

Die Pointe dieser vestimentären Inszenierung besteht nun darin, dass die Akteu-re von Hemessens Bordellszenen nicht nur als moralische Exempla für die sinnliche Verführbarkeit des Menschen zu werten sind, sondern dass das Verhältnis der Jeder-männer zu den Dirnen auch im Sinne einer kunsttheoretischen Allegorie zu lesen ist. Demzufolge handelt es sich bei den altmodisch gekleideten und bereits in die Jahre ge-kommenen Männern um Personifikationen der (alt)niederländischen Malerei, die von den sinnlichen Schönheitsreizen der modernen italienischen Renaissancemalerei (ver-körpert durch die hübschen leonardesken Hetären) verführt werden und sich – wohl vergeblich – dieser Versuchung zu entziehen trachten.

Hemessen reflektiert und ironisiert hiermit nicht nur die allgemeine Italien- und die spezielle Leonardo-Mode unter seinen Anwerpener Malerkollegen, sondern auch seine eigene, weitestgehend auf zitaten basierende Kunstpraxis, die sich nicht zuletzt durch eine vielfach zu beobachtende Verschmelzung von altniederländischen Bildformeln mit italienischen Kompositionsideen und figurenidealen auszeichnet. Dass er in der Hart-forder Tafel seine Signatur unter den Schuldstrichen am Türpfosten angebracht hat, kann man durchaus im Sinne einer selbstironischen Identifikation mit dem bedrängten Jedermann deuten: Hemessen selbst hat sich als christlich-altniederländischer Jeder-mann ins Hurenhaus der pagan-italienischen Kunst begeben und sich dort von den sinnlichen Reizen einer auf Schönheit und Anmut zielenden Malerei betören lassen.71

In diesem Kontext ist auch zu erwähnen, dass die beiden Jedermann-Tafeln just zu einer zeit entstehen, als sich auf dem Antwerpener Kunstmarkt ein fundamentaler Strukturwandel vollzieht: 1540 gründen die Antwerpener Maler mit dem sogenannten Schilderspand einen eigenständig organisierten umschlagplatz für Bilder und entzie-hen sich dadurch der bislang herrschenden kirchlichen Kontrolle des Kunsthandels. Wie Koenraad Jonckheere jüngst angemerkt hat, gehen damit auch dramatische Verän-

71 Im Hintergrund steht hierbei sicher die maßgeblich von Erasmus’ ‚Ciceronianus‘ (1528) geprägte De-batte über die frage, inwiefern christliche Literaten und Künstler sich am formvorbild der heidnischen Antike orientieren dürfen. Vgl. hierzu PiGMan: Imitation; MüLLer: Paradox, S. 76–81. Dass Hemessen das antik-pagane Italien als Raum sinnlicher Verführungen aufgefasst hat, zeigt nicht zuletzt seine spä-te ‚Berufung des Matthäus‘ (Abb. 10), die den sündigen zöllner explizit im Kontext einer römischen Ruinenlandschaft lokalisiert.

385Metamalerei bei Jan van Hemessen

derungen in der Kunstproduktion einher: zum einen entstehen nun plötzlich zahlrei-che Tafeln mit mythologischen Sujets; zum anderen setzt eine umfangreiche Produkti-on von Aktdarstellungen in italianisierendem Stil ein – eine Entwicklung, die bald auch von kritischen Stimmen begleitet wird.72

Hemessen, der selbst zwar keine mythologischen Themen gestaltet hat, dessen Aus-einandersetzung mit den neuen italienischen Kunstidiomen und mit der Aktdarstel-lung dafür aber um so intensiver war, scheint mit seinen Bordellbildern einen frühen Kommentar zu dieser Tendenz in der zeitgenössischen Bildproduktion abgegeben zu haben. Dabei ist seine Haltung zur italienischen Kunst und Kunsttheorie offenbar von einer tiefen Ambivalenz geprägt, die sich zuvorderst in seinem umgang mit leonardes-ken und albertischen Motiven offenbart.

Leonardo (1452–1519) und Alberti (1404–72) stehen für Positionen, die um 1540 nördlich der Alpen einen gewaltigen Geltungsanspruch erheben: Leonardo durch die außerordentliche Popularität seiner Bildfindungen, Alberti durch seine nun endlich im Druck vorliegende normative Theorie des Bildes. Hemessen reagiert auf diesen An-spruch mit einem zwiespältigen Verfahren der Aneignung, denn gerade indem er die beiden italienischen Autoritäten beim Wort – und ‚beim Bild‘ – nimmt, bezieht er zu-gleich auch Stellung gegen sie. So bekundet sich seine opposition zu Leonardo ausge-rechnet darin, dass er in der Karlsruher Tafel bei zahlreichen Motiven und Details der Malerei des italienischen Meisters folgt. Denn damit widerspricht er einem zentralen Credo Leonardos, der bekanntlich kein freund der imitatio artis, sondern ein vehe-menter Vertreter der direkten imitatio naturae war. Ausdrücklich fordert Leonardo, „daß nie einer die Manier eines anderen nachahmen soll; denn er wird, was die Kunst betrifft, nicht ein Sohn, sondern ein Enkel der Natur genannt werden.“73 Einer solchen von Leonardo geforderten authentischen Naturnachahmung setzt Hemessen seine ge-wissermaßen postmoderne zitatkunst entgegen. Selbstbewusst vertritt er die Position, dass man auch durch die zitathafte Aneignung und Kombination von Vorbildern ori-ginelle Werke schaffen kann und liefert damit eine implizite Apologie seiner Kunst, die maßgeblich von einer ‚eklektischen‘ zusammenführung fremder Stile und Motive bestimmt ist.

In vergleichbarer Weise beansprucht er auch gegenüber Alberti, dass gerade der gezielte Regelverstoß die Möglichkeit einer alternativen Bildform eröffnet, die ihre Er-füllung nicht in einem geometrisch rationalisierten Bildraum und einer entsprechend organisierten historia findet. Während bei Alberti das Bild die Aufgabe hat, dem Be-trachter durch eine wohlgeordnete compositio und einen homogenen Bildraum den ra-tionalen Nachvollzug des bildlichen Sachverhalts so einfach wie möglich zu machen (nicht zuletzt, um den Betrachter als autonomes und vernünftiges Subjekt zu konsti-tuieren74), setzt Hemessen alles daran, die agierenden Körper und den Bildraum derart zu dissoziieren, dass der Betrachter die Einheit von Handlung und Raum mitunter mühevoll rekonstruieren muss – und dies, ohne zu einem wirklich stimmigen Ergebnis

72 Vgl. joncKheere: Nudity, S. 27.73 LeonarDo Da vinci: Traktat, S. 52.74 Dabei ist jedoch zugleich an Albertis pessimistische „Nachtseite“ zu erinnern. Vgl. hierzu BLuM: Auf-

merksamkeit, S. 97–99.

386 Bertram Kaschek

kommen zu können, so dass er unweigerlich in einem zustand der Verunsicherung befangen bleibt.

Die größte Nähe zu Leonardo und Alberti weist Hemessen wohl hinsichtlich der frage der Affektübertragung auf. Beide Theoretiker zeigen ein unbändiges Interesse an den Möglichkeiten der Malerei, den Betrachter nicht nur intellektuell anzusprechen, sondern ihn auch emotional zu bewegen.75 Entsprechend ist es auch Hemessen bei all seinen bildlichen Manövern in erster Linie darum zu tun, die Manipulationskraft der Malerei mit Nachdruck unter Beweis zu stellen – und dabei auf alle allzu idealistischen Prätentionen zu verzichten. Im Widerstreit von illusionsfördernden und illusionshem-menden Momenten wird der Betrachter zum Spielball des Malers, der ihn scheinbar in jede gewünschte Richtung lenken kann. So geht es in den Bordellszenen selbstredend nicht allein um die Verführung der niederländischen Kunst durch die italienische Ma-lerei, sondern auch und vor allem um die Verführung des Betrachters durch das Bild – wiederum ein Kerngedanke Leonardos, der gelungener Malerei die Macht zuspricht, den Betrachter verliebt zu machen.76 Wie dies vonstattengeht, kann der Leser des vor-liegenden Beitrags am eigenen Leibe erfahren, indem er sich abschließend nochmals der schönen Dirne auf dem Karlsruher Bild zuwendet, deren Gesicht sich in extremer Schieflage befindet. Denn wenn er sich nun zur Seite neigt, um ihr hübsches Antlitz lotrecht zu betrachten, hat sie ihm bereits den Kopf verdreht.

Bildnachweise

Abb. 1: waLLen: van Hemessen, fig. 27.Abb. 2: © Albertina, Wien.Abb. 3: waLLen: van Hemessen, fig. 106.Abb. 4: Archiv des Autors.Abb. 5: © Koninklijke Musea voor schone Kunsten van Belgie/foto: J. Geleyns/RoScan.Abb. 6: © Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett.Abb. 7: © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe.Abb. 8: © Louvre/LessingImages.Abb. 9: © The Trustees of the British Museum.Abb. 10: © Kunsthistorisches Museum Wien/LessingImages.Abb. 11: © Suermondt-Ludwig-Museum.Abb. 12: © Wadsworth Athenaeum Museum of Art/Art Resource, New York/Scala Archives,

florenz.Abb. 13: © Wadsworth Athenaeum Museum of Art/Art Resource, New York/Scala Archives,

florenz.

75 Vgl. zöLLner: Bewegung; zöLLner: Pictura.76 Vgl. LeonarDo Da vinci: Traktat, S. 24. Bei Hemessen soll wohl nicht zuletzt auch der zahlende Kun-

de vor dem Bild den Verlockungen leonardesker Schönheit erliegen. zu einem verwandten Aspekt bei Hans Holbeins ‚Laïs von Korinth‘ (1526, Öffentliche Kunstsammlung Basel) vgl. MüLLer: Deutung.

387Metamalerei bei Jan van Hemessen

Quellen und Literatur

Quellen

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390 Bertram Kaschek

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Jan-David Mentzel

zwischen obszönität und Ideal. Überlegungen zu zwei Badedarstellungen der Beham-Brüder

I. Das Obszöne und die Genrekunst

Eine nackte frau tritt von hinten an einen jungen athletischen und unbekleideten Mann heran, blickt ihm auffordernd in die Augen, legt vertraulich ihre Hand auf seine Schul-ter und fasst ohne zögern nach seinem Geschlecht (Abb. 1).1 Dieser verheißungsvollen Annäherung will sich der Jüngling nicht entziehen. Er wendet seinen Kopf der aus dem Schatten Tretenden zu und erwidert ihren Griff nach seinem Glied, indem er seine Rechte mit eindeutiger Geste zu ihrer Scham führt. Ganz auf sie konzentriert und in den Reigen der Berührungen verstrickt bemerkt er nicht, dass auch der Tod seine fin-ger im Spiel hat. Die halb mumifizierte Gestalt hat sich von der anderen Seite genähert und den Mann beim Schopf gepackt. Nun schiebt er ihn mit sachtem Druck zur frau. Es sieht so aus, als machten die Schöne und der Tod gemeinsame Sache. Das Geschehen erregt den Knochenmann dabei so stark, dass seine Begeisterung trotz des verfallenen Körpers in einer Erektion gipfelt. In die Mitte dieser obskuren ‚ménage à trois‘ hat sich ein Knabe verirrt. Der Mann hat seine Hand auf den Kopf des Kindes gelegt, als wollte er einen Störenfried beiseiteschieben. Der Kleine verliert ob dieser Geste das Gleichgewicht und sucht mit Hand und Knie an einem Sack voller Münzen Halt, der neben ihm liegt. Am linken Bildrand gibt eine vertikal stehende Tafel mit den Worten Horaz’ zu verstehen, dass der Tod aller Dinge Ende sei – HO: MORS VLTIMA LI-NEA RERVM.2

Sebald Behams technisch brillanter Stich aus dem Jahre 1529 greift auf die Iko-nographie des Liebespaares mit Tod zurück, wobei der Tod bei ihm als Kuppler und erregter Nebenbuhler eine ungewöhnliche Doppelrolle spielt.3 Das intensive Bezie-hungsgeflecht zwischen den figuren gibt dem Betrachter Rätsel auf. Bei dem Blatt könnte es sich ebenso gut um eine Allegorie der käuflichen Liebe wie um eine Warnung vor der verhängnisvollen Verführungsgewalt der frau oder um eine Erinnerung an die Vergänglichkeit aller Sinneslust handeln. Vor allem die Schrifttafel mit dem lateinischen

1 zu dem Stich mit weiterführender Literatur vgl. zuletzt Kat. Nr. 3 in Kat. ausst.: Maler, S. 154f.2 Die zeile beschließt den 16. Brief Horaz’, vgl. horatius FLaccus: Episteln, S. 124/126 (1,16.79).3 Berühmte Beispiele für dieses Bildthema stellen etwa Albrecht Dürers Kupferstich ‚Der Spaziergang‘

(B 94) und Hans Burgkmairs d.ä. farbholzschnitt ‚Liebespaar vom Tod überrascht‘ (B 40) dar. Eine ähnliche Dreiecksposition wie auf Behams Stich nehmen auch die figuren auf Dürers gleichfalls sehr drastischem Studienblatt mit einem nackten Paar und einem Teufel ein (W 158), wobei hier nicht der Tod als Nebenbuhler auftaucht, sondern eine Art Dämon als Kuppler fungiert, womit eine etwas ande-re aber ebenso häufig anzutreffende Ikonographie aufgerufen wird.

392 Jan-David Mentzel

Abb. 1: Sebald Beham, Tod und laszives Paar, 1529, Kupferstich, 82 x 49 mm. Nürnberg, Museen der Stadt Nürnberg, Graphische Sammlung, Inv.Nr. St.N. 16525.

393Überlegungen zu zwei Badedarstellungen der Beham-Brüder

Sinnspruch lässt an eine moralisierende Lesart denken, ohne diese letztlich zu belegen.4 Doch stellt sich beim Betrachten des Blattes anfänglich gar nicht die frage nach der Bedeutung. Vielmehr wird der erste Eindruck von der Drastik des Gezeigten domi-niert. Es existieren keine zeugnisse darüber, wie Sebalds zeitgenossen auf den Kupfer-stich reagierten, aber ein Inventareintrag vom Anfang des 17. Jahrhunderts zeigt, dass zumindest im Rückblick das unverblümte Geschehen auf der Graphik für zu gewagt gehalten wurde.

Der Nürnberger Paul III. Behaim (1592–1637), der sich leidenschaftlich darum be-mühte, eine umfassende druckgraphische Sammlung aufzubauen, entschied sich 1618 dazu, ein Inventar dieser Sammlung anzulegen.5 Der Wunsch nach Katalogisierung sei-ner graphischen Bestände wird verständlich, wenn man bedenkt, dass es ihm gelang, eine immense zahl von Blättern zusammenzutragen. Er dürfte zu seinem Lebensende bis zu 38.000 Drucke besessen haben.6 Das in zwei Teilen erhaltene Verzeichnis ver-zichtet weitgehend auf Kommentare zu den einzelnen Blättern.7 Doch bei dem Eintrag, der den oben beschriebenen Kupferstich betrifft, findet sich ausnahmsweise eine latei-nische Ergänzung: Der doth hinder 2 nackendtn menschen Vnnd einem kindt, propter quam picturam Sebaldo Beham civitate fuit ejecto.8 Schon die Tatsache, dass die Gra-phik Paul Behaim dazu veranlasste, einen zusätzlichen Kommentar zu verfassen, zeugt davon, dass sie ein gewisses unbehagen bei ihm ausgelöst haben dürfte. Der lateinische Satz ist weniger in biographischer als in rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht interessant. Denn zum einen erfährt man durch ihn, dass Sebalds Kupferstich auf einen Betrachter des 17. Jahrhunderts so provokant gewirkt haben muss, dass ihm eine Verbannung des Künstlers wegen einer solchen Arbeit plausibel erschien. zum anderen sorgt der Kom-mentar dafür, dass die Aufmerksamkeit des Lesers vom drastischen Inhalt der Graphik auf ihre biographische Relevanz gelenkt wird. So kommt die lateinische Glosse einer Rechtfertigung gleich, die den Besitz des Blattes mit dem Interesse des Sammlers am Lebenslauf des Künstlers begründet.9

Dass Sebald Beham nun wegen dieser oder ähnlicher Arbeiten der Stadt verwiesen worden sei, lässt sich nicht bestätigen, obwohl diese These lange zeit die Rezeption seines Lebens und Werks maßgeblich mitbestimmt hat – und zwar verschärft um die Behauptung, dass die obszönen Graphiken zugleich Auskunft über den Lebenswan-

4 Christian Kiening weist hingegen darauf hin, dass linea auch mit „ziel“ wiedergegeben werden kann, was den Tod als ziel alles geschlechtlichen Begehrens in einem anderen Licht erscheinen ließe, vgl. KieninG: Tod, S. 200.

5 zu Behaims Biographie vgl. Kettner: Beginn, Bd. 1, S. 12–23.6 zur genauen zusammensetzung und Größe vgl. Kettner: Beginn, Bd. 1, S. 24–27.7 Der bekanntere Teil wird in Berlin verwahrt und gibt Auskunft über die graphische Sammlung Be-

haims. Der zweite Teil befindet sich heute in der Staatsbibliothek Bamberg und zählt die Druckplatten im Besitz des Sammlers auf, vgl. Kettner: Beginn, Bd. 1, S. 6.

8 zitiert nach Kettner: Beginn, Bd. 2, S. 58 (Druckgraphikinventar fol. 19r (pag. 35)). Jasper Kettner transkribiert erecto, versicherte aber auf Rückfrage, dass ejecto gemeint sei, wie es etwa Alfred Bauch gelesen hat und wie es auch hier verstanden werden soll, vgl. Bauch: Aufenthalt, S. 201.

9 Auch der fakt, dass die Bemerkung anders als sonst in Latein verfasst ist, betont die sachliche Ebene, auf der Paul Behaim hier argumentiert. Auf diese Besonderheit verwies bereits zscheLLetzschKy: Ma-ler, S. 86.

394 Jan-David Mentzel

del des Künstlers geben würden.10 Auch wenn inzwischen solche Verquickungen von Œuvre und Biographie als Konstruktionen erkannt wurden, setzt die wissenschaftliche untersuchung von derlei Graphiken der beiden Beham-Brüder nur verhalten ein.11 Das liegt in erster Linie an ihrem Sujet, denn die drastische zurschaustellung erigierter Pe-nisse und weiblicher Genitalien scheint auf die meisten Betrachter so vordergründig zu wirken, dass nach der Benennung dieser Tatsachen eine weitere Auseinandersetzung nicht mehr für nötig befunden wird. Die irritierende Nacktheit auf den Stichen lässt den Blick auf der oberfläche verharren und verhindert das Eindringen in die Graphi-ken im Sinne eines ‚close readings‘. Daher werden sie zumeist als Produkte für einen Markt männlicher Käufer abgetan, die ihre voyeuristischen Gelüste anhand solcher Graphiken befriedigen konnten. In Konsequenz besagt diese Lesart nichts anderes, als dass solche Bilder nur das offensichtliche zeigen, weil von ihnen nicht mehr erwartet wurde. Über das Gezeigte hinaus hätten sie also nichts zu erzählen. Demnach käme auch innerbildlichen Kommentaren wie etwa lateinischen Inschriften keine andere funktion zu, als den Darstellungen zur Legitimation ein ‚allegorisches Deckmäntel-chen‘ überzuwerfen.

In dieser Tradition steht, wenn auch mit anderer Gewichtung, der rezente Aufsatz von Heiner Borggrefe.12 Er interpretiert die Nacktdarstellungen bei Albrecht Dürer und seinen Nachfolgern als aus einer künstlerischen Neugierde entsprungen und kon-statiert, dass sich die Arbeiten der Behams und ihrer Kollegen einer künstlerischen Empirie verdanken, die sich für das Veristische des Körpers interessiert und ganz im Geiste der Renaissance steht, in der die lange zeit verrufene curiositas rehabilitiert wur-de. Nicht um eine Stilisierung und ästhetisierung des Nackten, sondern um eine sinn-lich erfahrbare anthropologische Wirklichkeit sei es den Künstlern gegangen. Indem Borggrefe versucht, die vordergründige Körperlichkeit der Arbeiten ins zentrum zu rücken, schreibt er zugleich jene naive Tradition fort, die in Bildern nur Schilderungen der Wirklichkeit sieht.

Dieses Deutungsmuster erinnert stark daran, wie über lange zeit hinweg Genre-darstellungen interpretiert wurden. Einer im 19. Jahrhundert entwickelten ästhetik folgend wurden solche Bilder unter dem Hinweis, dass sie das Alltägliche abbilden würden, nicht weiter befragt und ihnen allenfalls eine moralisch erbauliche Aussage zu-geschrieben.13 Die Interpretationen verharrten also, wenn auch aus anderen Gründen, ebenso an der oberfläche der Bilder wie bei den obszönen Darstellungen der Behams. Bezüglich der Genrekunst hat sich die forschungslage inzwischen deutlich verändert, wie vor allem die kunstwissenschaftlichen Debatten zu Bauerndarstellungen oder ak-

10 zur Rezeption vgl. seiter: Geschick; vgl. auch Bauch: Aufenthalt, wo zuerst über Behams umzug nach frankfurt detailliert nachgedacht wird; vgl. außerdem den rezenten biographischen Abriss mit den Lebensstationen Behams bei stewart: Beham.

11 zuletzt der Aufsatz MüLLer/Küster: Prediger, mit der an dem Kupferstich ‚Die Nacht‘ entwickelten These, dass es in den Bildern um die Thematisierung der Sündhaftigkeit des Betrachters ebenso geht, wie um subversive Techniken zur Verspottung italienischer Vorbilder, über die letztlich spiritualisti-sches Gedankengut transportiert wird.

12 BorGGreFe: Anatomie.13 Vgl. die vorzügliche Quellensammlung zur Theorie der Genremalerei, die in der Einleitung auch einen

Überblick über die Begriffs- und Rezeptionsgeschichte dieser Gattung liefert, GaehtGens: Genrema-lerei, S. 13–46.

395Überlegungen zu zwei Badedarstellungen der Beham-Brüder

tuelle forschungen zur Entwicklung von Landschaftsbildern zeigen.14 Doch Klärungs-bedarf besteht nach wie vor hinsichtlich der Ausdifferenzierung der Gattungen und des rasanten Anstiegs genrehafter Szenen in der Kunst zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Bisher versuchte man etwa das Phänomen als einen durch die Reformation ausgelös-ten Säkularisierungsschub zu deuten, der durch den Verlust der liturgischen funktion der Bilder und die mit ihm einhergehende Eröffnung neuer Rezeptionskontexte aus-gelöst wurde.15 Eine andere Theorie besagt, dass das Aufkommen der neuen Bildty-pen als Reaktion auf gesellschaftlich-ökonomische Veränderungen verstanden werden muss.16 Die folgenden Überlegungen hingegen fußen auf jenem forschungsansatz, der die nordeuropäische Genrekunst des 16. Jahrhunderts hauptsächlich als bildlichen Ge-gendiskurs zur idealen, an der Antike geschulten Kunst der italienischen Renaissance versteht und der die innerbildliche Syntax aufzuzeigen versucht, die einem solchen Ge-gendiskurs zugrunde liegt.17

Die Druckgraphiken der Beham-Brüder bieten sich hier als untersuchungsgegen-stände besonders an, darf man die beiden Nürnberger Künstler doch sowohl im Be-reich des obszönen als auch auf dem Gebiet der Genrekunst als Vorreiter betrach-ten.18 Denn obwohl die drastischen Nacktdarstellungen nur einen Bruchteil ihres breiten graphischen Schaffens ausmachen, können sie als ein Alleinstellungsmerkmal der Beham’schen Kunst gelten.19 Ein Blick auf die nordalpine Druckgraphik der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erhellt diese Tatsache. zwar wurden hier erotisierende Blät-ter in großer zahl geschaffen, doch solch eindeutige Darstellungen, wie sie sich auf ei-nigen Drucken der Behams finden lassen, genießen Seltenheitswert.20 Selbst wenn man davon ausgeht, dass weit mehr solcher Graphiken im umlauf gewesen waren, als uns heute bekannt ist, bliebe die frage offen, weshalb außer denen der Behams kaum solche Arbeiten auf uns gekommen sind. für die expliziten Graphiken der beiden Nürnberger gilt anders als für vergleichbare Kupferstiche aus Italien, dass sie weitestgehend genre- oder schwankhafte Szenen zeigen.21 Mithin gibt sich die sexuelle Drastik der Drucke

14 Einen aktuellen Überblick über forschungspositionen zur frühen Landschaftsmalerei bietet KascheK: Weltzeit, S. 19–30; in Bezug auf die weitläufigen Debatten zu Bauerndarstellungen sei stellvertretend nur auf die Positionen verwiesen von Moxey: Peasants, der sie als Moralsatiren deutet und rauPP: Bauernsatiren, der sich um eine literarische und ikonographische Kontextualisierung bemüht.

15 Vgl. hoFMann: Geburt.16 Vgl. schneiDer: Geschichte.17 Dies entspricht dem Profil des Teilprojekts E ‚Das subversive Bild‘ des SfB 804 ‚Transzendenz und

Gemeinsinn‘, das in zahlreichen Arbeiten Jürgen Müllers herausgearbeitet wurde, zum Beispiel MüL-Ler: Peasant.

18 Vgl. die Ergebnisse des Nürnberger Katalogs Kat. ausst.: Maler.19 zu nennen wären hier etwa die Kupferstiche ‚Die Nacht‘ (P 154) und ‚Schlafende vom Tod überrascht‘

(P 39 als original von Barthel und P 147 als Kopie von Sebald).20 Dies gilt für die sexuelle Drastik. Weit verbreitet hingegen ist ein derber fäkalhumor, der etwa auch

bei Peter flötner zu finden ist und häufiger in literarischen Werken Nürnberger Humanisten auftritt. Exemplarisch hierfür können Passagen aus Willibald Pirckheimers Schmähschrift ‚Eccius dedolatus‘ genannt werden, etwa PircKheiMer: Eckius, S. 42f. und S. 82f.; zu Peter flötner vgl. Münch: Körper, S. 72f.; und zuletzt sMith: flötner, S. 182–185.

21 Allerdings finden sich auch einige alttestamentliche Szenen unter ihnen, wie ‚Potiphars Weib‘ (P 14) und ‚Amnons Inzest‘ (P 16).

396 Jan-David Mentzel

bei ihnen als ein im Genrehaften angesiedeltes Moment zu erkennen.22 So steht zu hof-fen, dass eine Analyse dieser Arbeiten nicht nur Rückschlüsse zur Bewertung des ob-szönen gibt, sondern auch die Entwicklung der Genrekunst im Allgemeinen und be-stimmte bildliche Argumentationen derselben im Besonderen besser zu verstehen hilft.

II. Bäder und Tradition

Dazu seien zwei kleine Kupferstiche mit Badedarstellungen genauer in den Blick ge-nommen, fallen auf ihnen doch genrehafte Szene und drastische Bildsprache in eins (Abb. 2 u. 3).23 Bei den beiden Stichen handelt es sich um leicht modifizierte, seitenver-kehrte Kopien Sebald Behams nach früheren Arbeiten seines Bruders. Barthels seltene fassungen weisen weder ein Monogramm auf noch sind sie signiert.24 Es gilt als wahr-scheinlich, dass sie in den 1520er Jahren entstanden sind, bevor der Künstler Nürnberg verließ und sich in München als Porträtmaler etablierte.25 Gemeinhin wird davon aus-gegangen, dass Sebald nach dem Tod seines Bruders im Jahr 1540 die Stiche wiederhol-te.26 Er ergänzte die beiden Bäder um sein Monogramm und versah die ‚Drei frauen im Bad‘ mit der Jahreszahl 1548. Der ‚frau im Bad‘ gesellte er zudem zwei Buben zu. Da die beiden Blätter nahezu das gleiche format aufweisen und thematisch zusammenge-hören, ist es gut denkbar, dass sie als Gegenstücke gemeinsam verkauft wurden.27

Das erzählerische Moment beider Stiche ist stark reduziert. So zeigt das eine Blatt nur eine einzelne frau in einem Bad, dessen Räumlichkeit sehr schlicht ausfällt. Die verputzten Wände weisen lediglich eine Nische mit Rundbogen auf, wodurch die frau kompositorisch gerahmt und betont wird. Sie sitzt auf einer Bank. Ihr rechter fuß ruht in einem Holzzuber, während sie das linke Bein angezogen hat. Damit es nicht von der Bank rutscht, hat sie ihren linken Arm um das Bein geschlungen und ihre Hand auf das Schienbein gelegt. Durch diese Haltung wird ihr Geschlecht entblößt. Doch scheint die frau nicht daran zu denken, dass sie beobachtet werden könnte. Sie wendet ihren Blick arglos nach links zu einem Spiegel, sodass der Betrachter ihr Gesicht und die elegante, hochgesteckte flechtfrisur im Profil sehen kann und nicht befürchten muss, entdeckt zu werden, ist die frau doch für den Moment mit sich selbst beschäftigt. Das leichte Übergewicht, das durch die Bewegung zur Seite hin entsteht, gleicht sie mit ihrem Arm aus, mit dem sie sich auf der Bank abstützt. Der an einem großen Haken hängende Spiegel und das mit utensilien für die Körperpflege ausgestattete Kästchen

22 Dies gilt für den Norden Europas. zu zeitgleichen Phänomenen in Italien, vor allem zu Marcantonio Raimondis ‚I Modi‘ und Jacopo Caraglios ‚Götterliebschaften‘ existieren inzwischen zahlreiche Publi-kationen, etwa taLvacchia: Positions; turner: Loves.

23 Sebald Beham, ‚frau ihre füße badend‘ (P 210), Kupferstich, 79 x 52 mm, ist in fünf zuständen über-liefert. Beim zweiten Bad handelt es sich um Sebald Beham, ‚Drei frauen im Bad‘ (P 211), Kupferstich, 76 x 54 mm. Es ist in drei zuständen überliefert, vgl. hoLLstein: Engravings I, S. 121f.

24 Barthel Beham, ‚frau ihre füße badend‘ (P 44), in zwei zuständen überliefert und Barthel Beham, ‚Drei frauen im Bad‘ (P 45), vgl. hoLLstein: Engravings II, S. 203.

25 zu Barthel Behams Biographie und seinem Engagement in München vgl. Löcher: Beham, S. 9–19.26 Vgl. Löcher: Beham, S. 53.27 Von den Behams ist eine Reihe weiterer Badedarstellungen bekannt; Sebalds Kupferstich ‚Narr im

Bad‘ (P 216) und Barthels Radierung ‚frau vom Tod überrascht‘ (P 38) sowie Sebalds Holzschnitte ‚Jungbrunnen‘ (P 1120) und ‚frauenbad‘ (P 1223). Auch auf seinem Holzschnitt mit dem sogenannten ‚Herodesfest‘ (P 832) sind Badende zu sehen.

397Überlegungen zu zwei Badedarstellungen der Beham-Brüder

Abb. 2: Sebald Beham, frau ihre füße badend, Kupferstich, 79 x 52 mm. Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet, Inv.Nr. RP-P-oB-10.922.

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darunter verweisen genauso wie der Quast, der in der ursprünglichen Version Barthels neben der frau auf der Bank lag, auf die durch Kunst erhöhte Schönheit der frau. Von kosmetischen Eingriffen sprechen die mit einem Reif sorgfältig hergerichtete frisur und die enthaarte Scham.28 Meisterhaft versteht es der Kupferstecher, den Körper der

28 Bodo Brinkmann untersucht ein Gemälde Hans Baldung Griens, das heute in einer Kopie in Karlsruhe erhalten ist und das drei frauen bei der Toilette zeigt. Die jüngste und schönste frau benutzt eben einen solchen Quast, wie wir ihn bei Barthel Beham sehen, um ein Elixier auf ihr Schamhaar zu reiben, das, so vermutet Brinkmann, der Enthaarung dienen könnte, vgl. BrinKMann: Kurzweil, S. 53–56.

Abb. 3: Sebald Beham, Drei frauen im Bad, 1548, Kupferstich, 76 x 54 mm. London, The British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.Nr. 1853,0709.78.

399Überlegungen zu zwei Badedarstellungen der Beham-Brüder

frau zu modellieren. Das durch Parallel- und Kreuzschraffuren erzeugte Schattenspiel verleiht ihm plastische Qualität.

Sebald belebt im Vergleich zu seinem Bruder die kleine Badestube durch zwei Kin-der, die er hinzufügt. Nun steht ein Knabe auf der Bank neben der frau und holt gerade mit einer Reisigrute aus, um sich zur Steigerung der Durchblutung auf den Rücken zu schlagen. Dabei nimmt er eine heroische Pose ein. Auf derselben Bildachse befindet sich ein weiterer Junge, der sich über einen Holzzuber beugt und nach einem Tuch fasst, das über dessen Rand hängt. zudem prononciert Sebald im Vergleich zu seinem Bruder die Deckenarchitektur, was das Bad in einem antikischen Sinne klassischer er-scheinen lässt, aber auch den Raumeindruck verändert. Denn aus einer engen Stube bei Barthel scheint nun ein größerer Raum geworden zu sein, der sich rechts außerhalb des Bildes weiter erstreckt. obwohl bei Sebald die frau die Attraktion des Stiches bleibt, wird durch diese Maßnahmen die Konzentration des Betrachters wenigstens zum Teil von ihr abgelenkt. Bei den ‚Drei frauen im Bad‘ hat Sebald Beham im Vergleich zu seinem Bruder kaum Veränderungen vorgenommen. Lediglich aus einer Schüssel im Hintergrund wird bei ihm ein Schwamm. und neben den beiden sitzenden frauen ergänzt er das Bild um einen schmalen Wandstreifen, der oben seinem Monogramm Platz bietet. Das ist insofern witzig, als dass er genau dort signiert, wo das Bild wirklich von ihm stammt.

Das Bad hat hier einen anderen Charakter. Nicht eine verputzte Nische, sondern eine holzverkleidete Schwitzstube – wie der Kachelofen im Hintergrund verrät – bil-det den Schauplatz für das lockere Beieinander der drei frauen. Die Raumsituation ist nicht ganz leicht zu erfassen. Vor dem ofen läuft eine Bank durch den Raum. An der Seitenwand ist ein hoher konsolenartiger Vorsprung angebracht, der wohl ebenfalls als Sitzmöglichkeit gedacht ist. Er ruht auf einer Art steinernen Stufe. Der Kupferstich zeigt drei korpulente frauen, deren Handlungen mit der Hitze, die vom ofen ausgeht, parallelisiert werden. Jedenfalls sind sie längst nicht mehr nur zur Körperpflege im Bad, wie die achtlos auf dem Boden liegenden Schwämme verdeutlichen. Die Aktivste der drei sitzt breitbeinig auf der Bank, wodurch dem Betrachter wiederum der Blick auf ihr entblößtes Geschlecht gewährt wird. Ihr fuß steht in einem zuber, der halb aus dem Bild gerutscht ist. Auf das andere Bein stemmt sie mit resoluter Geste ihre Hand. Hinter ihr hockt die zweite frau, die zärtlich ihre Hände auf die Schultern ihrer freun-din legt, als wollte sie ihren Rücken massieren, auf den sie milde lächelnd herabblickt. Die erstere reagiert nicht auf die Berührung, denn ihre Konzentration gilt der dritten frau. Diese steht auf der Bodenschwelle und hat ihr Bein auf die Konsole gehoben, was die Sitzende zum Griff an das Geschlecht der Stehenden ermuntert. Diese guckt unter ihrem erhobenen Arm hindurch zurück zum ursprung der Berührung. Die Dicke aber erwidert ihren Blick nicht, sondern visiert mit schelmischem Ausdruck den Jungen, der auf der Konsole steht, als wollte sie ihm erklären, welche Reize mit ihrer Berührung verbunden sind. Doch der Kleine guckt nur verständnislos oder gar unbeteiligt zurück. Er kann dem ganzen Geschehen noch kein Interesse abgewinnen. Ganz anders der Betrachter: Ihm bietet sich nicht nur der verführerische Blick auf das Geschlecht der Sitzenden, sondern er darf darüber hinaus zeuge der erotischen Neckereien werden, die im Normalfall nicht für seine Augen bestimmt sind. Jedenfalls suggerieren die an-geschnittene Hand der stehenden frau, der nur halb im Bild zu sehende Knabe und der

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über den Bildrand hinausgerutschte zuber einen verstellten Blick, als könnte man das Geschehen nur heimlich aus einem Versteck beobachten.

Sebald und Barthel bot sich für diese expliziten Szenen das Bad als Schauplatz an, denn es galt traditionell als ort der sexuellen Versuchungen. Beredtes zeugnis von die-ser Vorstellung gibt etwa der Theologe Heinrich von Langenstein im fünften Kapitel seines ‚Tractatus de cursu mundi‘, der Mitte der 1380er Jahre entstanden sein dürfte und an den Mainzer Gelehrten Johann von Eberstein gerichtet war.29 Den Anlass zur Abhandlung gaben Wandbilder, welche die Gemächer Ebersteins schmückten. So be-schreibt Langenstein unter anderem die Darstellung eines Badefestes in Wiesbaden, bei dem Männer und frauen angesichts ihrer Nacktheit in unbändiger Begierde entbren-nen und jeglichen Anstand fahren lassen. Der Theologe kommt zu dem vernichtenden urteil, dass am Ende des Badeaufenthaltes die Körper zwar gereinigt, doch die Seelen von Sünden geschwärzt seien.30 Wie das Bild aussah, auf das sich Heinrich von Langen-stein bezieht, oder ob es sich bei diesem gar nur um eine literarische fiktion handelt, ist nicht mehr zu klären, doch dass sich der Theologe bei seinen Betrachtungen auf ein Bild beruft, macht deutlich, dass schon damals die Verknüpfung von zügelloser Sexualität und Bädern topisch war. Diese Tradition setzt sich fort und erfreut sich auch im 16. Jahrhundert einer weiten Verbreitung, begegnet sie doch in volkssprachlichen Schwänken ebenso wie in lateinisch verfassten Texten.31

Auch bildliche zeugnisse machen dies deutlich, wenn man etwa an den ‚Marbur-ger Bildteppich‘ mit dem Gleichnis vom Verlorenen Sohn denkt. Auf einem Bildfeld erkennt man den jungen Mann, wie er sich mit einer nackten frau einen großen zuber teilt und sein Erbteil verprasst.32 Ebenso markieren Darstellungen, die den Narren im Bad zeigen, dasselbe als freudenhaus. Auf solchen Bildern kann sich der Narr der zu-dringlichkeit der anwesenden frauen kaum erwehren und sucht entsetzt zu fliehen, wie es etwa auf einem Kupferstich des Bandrollenmeisters oder auf einer zeichnung für einen Scheibenriss von Hans Süß von Kulmbach, die heute im Städel aufbewahrt wird, zu sehen ist.33 Das Motiv war auch Sebald nicht unbekannt, wie ein kleiner Stich gleichen Themas belegt, den er 1541 schuf.34 für alle Graphiken gilt, dass der Narr opfer seiner eigenen Libido wird. Es lässt sich festhalten, dass Bäder als weltliche orte der Verführung und der verwerflichen fleischeslust galten und genau in diesem Sinne auch zur Darstellung gebracht wurden. Implizit erzählen sie immer von der Nichtbe-herrschbarkeit des geschlechtlichen Begehrens und der bezwingenden Macht der Se-xualität.

In dieser Tradition stehen auch die beiden kleinen Badestiche der Behams. Sie ar-gumentieren aber insofern anders, als dass sie die männliche figur aus dem Bild ver-

29 Cornelius Will gibt einen kurzen Überblick zum Traktat und liefert eine Teiledition des gesamten Tex-tes, die das 5. Kapitel umfasst, vgl. wiLL: de Hassia.

30 wiLL: de Hassia, S. 349, redeunt corpora dealbata et corda vitiis denigrata.31 zur sexuellen Metaphorik des Bades vgl. LoLeit: Wahrheit, S. 81–84. Die Arbeit liefert einen guten

Überblick über die verschiedenen Themen und Literaturgattungen, in deren Kontext das Bad eine Rolle spielte.

32 zum ‚Marburger Bildteppich‘, vgl. LeMBerG: Bildteppich, S. 28f.33 Meister mit den Bandrollen, ‚fechtsaal und Badehaus‘ (B 7) und Hans Süß von Kulmbach, ‚Der Narr

im frauenbad‘, zu den Bildern vgl. Kat. ausst.: Dürer, S. 48f.34 zuletzt zu diesem Stich Kat. ausst.: Maler, S. 217f.

401Überlegungen zu zwei Badedarstellungen der Beham-Brüder

bannen und deren Rolle dem Betrachter zuweisen, der nun angesichts der gezeigten Vorgänge derjenige ist, dessen Wollust heraufbeschworen wird. So beziehen sie den Rezipienten in das Bild ein und lassen ihn und sein Begehren zum Thema der Stiche werden. Konnte der Betrachter noch über den Narren lachen, der angesichts seines sexuellen Verlangens in die fänge loser Bademädchen gerät, wird er nun selbst zum Narren, der seinen Blick nicht vom heimlichen Geschehen der Beham’schen Kupfer-stiche abwenden kann.

Doch machte man es sich zu leicht, wollte man die untersuchung bei dieser fest-stellung enden lassen. um dies zu verdeutlichen, sei eine zweite Tradition aufgerufen, die ebenfalls mit Badedarstellungen verbunden ist. Hierzu sei an die verlorenen Bäder Jan van Eycks erinnert, von denen das eine in einer schlecht erhaltenen Kopie überlie-fert ist.35 Über die Gestalt des anderen setzt uns der Humanist Bartholomäus facius in Kenntnis. In seinem Traktat ‚De Viris Illustribus‘ widmet er sich unter anderem auch den Bildhauern und Malern.36 Jan van Eyck hebt er dabei besonders hervor und inszeniert ihn als pictor doctus. Michael Baxandall hat ausgeführt, wie facius im Rück-griff auf antike Autoritäten in seinem Traktat eine implizite Kunsttheorie mitliefert, die Poesie und Malerei parallelisiert und im zeigen und Erzeugen von Emotionen die vornehmste Aufgabe der beiden Schwesterkünste erkennt.37 Doch an Jan van Eycks Arbeiten bewundert der Humanist in erster Linie den augentäuschenden Realismus, der schier alles zum Leben zu erwecken vermag. In diesem Kontext beschreibt facius auch das von van Eyck verfertigte Badebild ausführlich.38 Allerdings macht seine Ek-phrasis deutlich, dass der flämische Maler auf seiner Tafel ein ganz anderes kunsttheo-retisches Problem verhandelte. Im Sinne des Paragone wird auf ihr die Überlegenheit der Malerei über die Bildhauerkunst demonstriert und die Superiorität der Ölmalerei über antike Techniken betont. Jedenfalls steht der erotische Aspekt des Bades hier nicht an erster Stelle. facius verweist eigens auf die Ehrenhaftigkeit der dargestellten frauen, die ihre Scham keusch mit Tüchern verhüllen. zur größten Sensation der Tafel erklärt er die Darstellung eines Spiegels, der es dem Betrachter erlaubt, nicht nur die Brust einer der Badenden zu sehen, sondern gleichzeitig ihren Rücken zu bewundern, was bei einer Skulptur nicht möglich wäre.39 Auch weitere Aspekte, wie etwa das zusam-menfallen extremer ferne und Nähe durch ein rückwärtiges fenster, das den Blick auf eine belebte Landschaft öffnet, eine Lampe als Lichtquelle, eine schwitzende Alte oder ein Hündchen, das eine Pfütze aufleckt, bezeugen die Vorrangstellung der Malerei, die allein über diese Darstellungsmöglichkeiten verfügt.

In diesem Sinne sind also Badeszenen als kunsttheoretische Auseinandersetzungen zu verstehen. Dass das nicht nur für Jan van Eycks Tafel gilt, machen die beiden be-

35 Die Kopie vom Anfang des 16. Jahrhunderts findet sich heute im ‚fogg Art Museum‘ in Cambridge. Die Gestalt des Badebildes ist zudem durch ein Galeriebild von Willem van Haecht, das sich heute im Rubenshaus in Antwerpen befindet, bekannt. zuletzt ausführlich zu van Eycks profanen Nacktdar-stellungen Paviot: Tableaux.

36 Eine Analyse der Passagen des Traktats, die sich mit den Künstlern beschäftigen sowie ein Abdruck derselben in englischer Sprache liefert Michael Baxandall, vgl. BaxanDaLL: facius.

37 BaxanDaLL: facius, S. 92–97.38 Vgl. BaxanDaLL: facius, S. 102.39 zum Spiegel und zu Geschlechterbildern bei van Eyck, haMMer-tuGenDhat: van Eyck.

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rühmten Bäder von Albrecht Dürer deutlich.40 In seiner zeichnung des ‚frauenbades‘ (Abb. 4), das verschiedentlich als eine Sammlung akademischer Aktstudien verstanden wurde, greift er etwa auf zahlreiche antike Vorbilder zurück, um den Adressaten des Blattes in ein vieldeutiges Spiel zu verwickeln.41 In seinem ‚Männerbad‘-Holzschnitt

40 Dies sind die Bremer zeichnung ‚Das frauenbad‘ und der etwa zur gleichen zeit entstandene Holz-schnitt ‚Das Männerbad‘. zum frauenbad mit einer großen Sammlung weiterer Badedarstellungen der Bremer Katalog, Kat. ausst.: Dürer.

41 Vgl. MüLLer: Mann.

Abb. 4: Albrecht Dürer, frauenbad, 1496, feder in schwarzer Tinte, 231 x 230 mm. Bremen, Kunsthalle Bremen, Kupferstichkabinett, Inv.Nr. KL 57.

403Überlegungen zu zwei Badedarstellungen der Beham-Brüder

hingegen reflektiert er Möglichkeiten der Darstellung des nackten männlichen Körpers zwischen christlicher Legitimität und antikem Ideal.42

Dass sich die beiden kleinen Badestiche der Behams in die Tradition einreihen, in der Bäder als orte der Verführung gelten, konnte bereits gezeigt werden. Dass die Be-hams dabei aber anders als ihre Vorgänger argumentieren, indem sie elliptisch erzäh-len und den männlichen Protagonisten aus dem Bild verbannen, um den Betrachter selbst an dessen Stelle zu rücken, lässt es lohnenswert erscheinen, die beiden Stiche auch auf weitere Implikationen hin zu überprüfen. Schließlich bot die Verortung einer solchen Szene in einem Bad Anlass zu kunsttheoretischen Reflektionen, wie der kurze Blick auf die Beispiele Jan van Eyck und Albrecht Dürer angedeutet hat. zudem darf nicht vergessen werden, dass in einer Badszene unweigerlich der nackte menschliche Körper und mit ihm auch das Ringen um die ideale menschliche Gestalt im Rückgriff auf die Antike zum Thema wird. ursprünglich ein typisch italienisches Problem des Quattrocento wurde der Akt mit Dürers Arbeiten auch in Nordeuropa zum künstle-rischen Allgemeingut. Doch obwohl spätestens seit den 1520er Jahren eine weite Ver-breitung von Nacktdarstellungen in Nordeuropa beobachtet werden kann, darf nicht davon ausgegangen werden, dass damit alle Debatten um die angemessene Wiedergabe des nackten menschlichen Körpers schon geführt worden seien. So stehen fragen des Decorums im Raum, wie etwa die Klage des Erasmus von Rotterdam zeigt, der die exorbitante Verwendung nackter Körper in den Darstellungen biblischer Geschichten kritisiert.43 Auch ein künstlerischer Modus hat sich nicht herausgebildet, der als ver-bindlich für Nacktdarstellungen gelten darf. Vielmehr greifen Künstler wie Dürer auf verschiedene Stile für Nacktdarstellungen zurück, um etwa antike Idealität oder deut-sche Nationalität zu betonen, wie Annemarie Bonnet in ihren untersuchungen zeigen konnte.44 Stil bedeutet in diesem fall eine bewusste Entscheidung für eine bestimmte form. Die verschiedenen Möglichkeiten, die Künstler zu nutzen wissen, zeugen von der Komplexität des Problems. Hinzu kommt das Bemühen um die Normierung der Körperdarstellungen durch Arbeiten zu den menschlichen Proportionen.45 Mithin ist die Darstellung des Nackten immer auch als eine erneute ortsbestimmung in all diesen Debatten zu verstehen. In eben diesem Spannungsfeld befinden sich auch die beiden Badestiche der Behams.

III. Subversion durch Übererfüllung

Es wurde schon darauf hingewiesen, dass das augenfälligste Merkmal des Kupferstichs der ‚frau ihre füße badend‘ (Abb. 3) seine absolute Schlichtheit ist. Die ganze Szene konzentriert sich auf einen Moment. Eine erzählerische Komponente entfällt somit fast ganz. Die frau rückt in den fokus des Geschehens. Selbst die von Sebald Beham etwas

42 Vgl. MentzeL: Körper.43 Auf Erasmus’ Vorbehalte verweist Erwin Panofsky, vgl. PanoFsKy: Erasmus, S. 209f.44 Anne-Marie Bonnet bemüht sich um ein neues Verständnis von Nacktdarstellungen bei Dürer, wobei

sie davon ausgeht, dass er bewusst über die Darstellungsform der Körper verfügt und mit den verschie-denen Körpermodi auch ikonographische Implikationen meint, Bonnet: Akt.

45 Das berühmteste Beispiel für Studien zur menschlichen Proportion stellt sicherlich Albrecht Dürers langes Ringen um das rechte Maß des Menschen dar. zuletzt wurden seine vier Bücher der menschli-chen Proportion neu abgedruckt und kommentiert durch Berthold Hinz, vgl. Dürer: Bücher.

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unmotiviert hinzugefügten Kinder ändern nichts an dieser Reduzierung. Es wirkt bei-nahe so, als ob die zwei Knaben auf dem Kupferstich nur ergänzt worden wären, um das Bild zu entschärfen, ohne die tatsächliche Attraktion, nämlich die entblößte Scham der frau, zu verdecken. Durch die Anwesenheit der beiden Kinder wird eine Bild-erzählung behauptet, die nicht existiert. Die frau bleibt das zentrum des Blattes. Sie ist zugleich Anlass und ziel der Darstellung. Trotzdem befindet sich der Kupferstich nicht außerhalb aller Bezüge, lässt sich doch das Bad der Venus assoziieren.46 So erinnert die Sitzende entfernt an Marcantonio Raimondis ‚Venus nach dem Bad‘ (Abb. 5).47 Über-einstimmungen zwischen beiden Stichen lassen sich spätestens dann feststellen, wenn man sich die Venus des Italieners um 90 Grad gedreht denkt. Vor allem der Griff an das Schienbein fungiert als Wiedererkennungsmerkmal. Auch eine gewisse Abhängigkeit des Jungen mit der Reisigrute von dem Amor des italienischen Stichs lässt sich nicht leugnen.

Über das Verhältnis der erotischen Stiche der Behams zur italienischen Kunst hat erstmals Janey L. Levy ausführlicher nachgedacht.48 Sie bemüht sich in ihrem Aufsatz darum, die freizügigen Stiche der beiden Nürnberger in eine gesamteuropäische Mode erotischer Bilder einzuordnen, ohne ihnen dabei ihre Besonderheit abzusprechen, in-dem sie zeigt, wie die Brüder auf innovative Weise nordeuropäische Stoffe neu inter-pretieren und im Sinne der imitatio mit italienischen formenrepertoire kombinieren, sodass unerwartete, aber dennoch in einer Tradition stehende Bilder entstehen, die von einem gebildeten Publikum goutiert werden konnten. Den Grund für die Hinwendung der Beham-Brüder zu spezifisch nordeuropäischen Themen, wie etwa der Badestube, sieht sie im deutschen Nationalstolz, wie er sich ebenfalls in den Werken deutscher Hu-manisten, angeführt von Conrad Celtis, widerspiegelt. Mit Levy könnte man schließen, dass auch in der ‚frau ihre füße badend‘ eine solche Überlagerung eines nordeuropä-ischen Bildtypus mit der italienischen Ikonographie des Venusbades vorliegen würde. ob dazu nun Marcantons Kupferstich als Vorbild hinzugezogen wird oder nicht, ist letztlich gar nicht entscheidend.

Was diese Interpretation jedoch nicht weiter betont, ist die einzigartige Drastik der Darstellungen. zwar war die Darstellung nackter Körper zur Entstehungszeit der Beham’schen Badestiche inzwischen gang und gäbe, doch es gab stets Muster der Dis-tanzierung und Legitimierung des Nackten. So lässt sich summarisch festhalten, dass bei Nacktdarstellungen das männliche Glied nicht im erigierten zustand gezeigt wurde und dass das weibliche Geschlecht durch drapierte Tücher und entsprechende Körper-haltungen verborgen blieb. Stattdessen begegnen einem allenthalben anspielungsreiche Gesten, auf die Geschlechter oder den Geschlechtsakt hinweisende Symbole und ins Bild gesetzte Redewendungen, die zeichen eines mehr oder weniger subtilen Spiels mit erotischen Allusionen sind. zugleich stellen sie eine Aufforderung zur Verbalisierung des Geschehens dar.49

46 Vgl. Kat. ausst.: Menschen, S. 226, Kat. Nr. 106.47 Eine Kopie Albrecht Altdorfers (B 34) belegt, dass der Stich auch in Nordeuropa bekannt war.48 Vgl. Levy: Engravings.49 Sogar die Darstellung des Geschlechtsaktes, verborgen unter schwerer Kleidung, wurde gewagt. Hier

sei an zwei Kupferstiche von Heinrich Aldegrever erinnert, die jeweils einen Mönch und eine Non-ne beim Liebesspiel in freier Natur zeigen, die von einem Landsknecht überrascht werden (B 178 & B 179).

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Abb. 5: Marcantonio Raimondi (nach Raffael), Venus nach dem Bade, 1512–20, Kupferstich, 168 x 120 mm. London, The British Museum,

Department of Prints and Drawings, Inv.Nr. V,6.39.

406 Jan-David Mentzel

Auffällig ist in diesem zusammenhang, dass Druckgraphiken des 15. Jahrhunderts weniger ängste vor drastischen Szenen zeigen. Der beherzte Griff eines Liebhabers in den Schritt der frau gehört zum gängigen Bildrepertoire.50 Es scheint, als ob mit der Gewinnung der korrekten Anatomie im Rückgriff auf die Antike zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Verschleierung der sexuellen Verfasstheit des Körpers einherging, als ob sich idealer Akt und Geschlechtlichkeit ausschließen müssen, weil der kunstide-ale Körper in einer Sphäre des rein Schönen weltlichen Gelüsten enthoben ist. Dieser Befund lässt sich auch an bildlichen Reaktionen anderer Künstler auf die expliziten Arbeiten der Beham-Brüder stärken. Allaert Claesz. wiederholt Sebald Behams Stich mit ‚Amnons Inzest‘. Doch während der utrechter Künstler die Körperhaltungen von Tamar und Amnon ohne änderungen von seinem Nürnberger Kollegen übernimmt, zieht er es vor, Amnons Hüfte mit einem Tuch zu umhüllen und kaschiert so die bei Be-ham zur Schau gestellte Erregung des David-Sohnes.51 ähnlich verfährt Jakob Binck, der die beiden kleinen Graphiken mit ‚Adam‘ und ‚Eva‘ von Sebald Beham wieder-holt.52 Anders als auf den originalen, auf denen die Geschlechter der ureltern unver-deckt bleiben, nimmt Binck diese ihm offenbar zu gewagte Interpretation des paradie-sischen zustands zurück und verbirgt ihre Blöße hinter Blättern.53

Von dieser impliziten Transzendierung von Nacktdarstellungen hin zu ideal-keu-schen Akten nimmt der kleine Kupferstich ‚frau ihre füße badend‘ nun offensichtlich Abstand. Vielmehr torpediert er diese unausgesprochene Setzung sogar, denn obwohl der Kupferstich den Assoziationsspielraum zum Bad der Venus hin öffnet, sieht der Betrachter doch nur eine verführerische unbekannte und keine Göttin. Ihre Körper-lichkeit scheint antik-ideal, worauf auch ihr Haarschmuck hinweist. Trotzdem bleibt sie eine einfache, entblößte frau in einer Badestube mit Holzzubern. Der Kupferstich verunklärt die Grenzen. Die Behams spielen mit ikonographischen Versatzstücken, ohne die kleine Graphik ins konkret Allegorische zu überführen. So bleibt etwa un-klar, ob der Spiegel an der Wand auf luxuria oder vanitas hinweist oder ob ihm als Baderequisit keine weitere Bedeutung zukommt.54 Was also diesen Kupferstich neben der expliziten Nacktheit der frau besonders macht, ist das Vage seiner Symbolik. Das Bild ist unentscheidbar und changiert zwischen seinen Deutungsmöglichkeiten. Eben darin liegt aber auch das Hintersinnige. Es wirkt, als schaute man in einen Vexierspiegel und je nachdem, worauf man scharf stellte, ergebe sich ein anderer Sinn. Am Ende aber kann es keine unverfängliche Nacktheit geben, müsste diese doch ins Ideale sublimiert sein, wo sie nur als ästhetische Kategorie gelten würde, ihre sexuelle Verfasstheit aber verloren ginge. Dies nun, zeigt uns die ‚frau ihre füße badend‘, ist nicht denkbar. Nacktheit, erst recht frontale, tritt immer körperlich in Erscheinung und ist mithin

50 Vgl. etwa den Kupferstich mit dem ‚Jungbrunnen‘ (B 6) des Bandrollenmeisters, Kat. ausst.: Dürer, S. 42.

51 Allaert Claesz. (Monogrammist AC), ‚Amnons Inzest‘ (seitenverkehrte Kopie nach Sebald Beham) (B 4).

52 Jakob Binck, ‚Adam‘ (B 1) (seitenverkehrte Kopie nach Sebald Beham) und Jakob Binck, ‚Eva‘ (B 2) (seitenverkehrte Kopie nach Sebald Beham). zu den beiden Beham-Stichen vgl. Kat. ausst.: Maler, S. 176f.

53 Die einzige Kopie, die auf eine zurücknahme der Drastik verzichtet, ist die Wiederholung der Nacht durch Heinrich Aldegrever (B 180).

54 Vgl. Löcher: Beham, S. 38f.

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sexuell aufgeladen. Der Betrachter, der angesichts der nackten Tatsachen zum Voyeur wird, kann sich dieser Wirkung nicht entziehen. Der Blick muss unweigerlich zu den Genitalien der frau wandern, die beinahe im absoluten Bildmittelpunkt liegen und durch die in der Komposition angelegten Diagonalen zusätzlich betont werden. Gera-de im häuslichen Ambiente der Badestube liegt der Angriff auf das italienische Ideal, in der Vorführung seiner form die offenlegung seines gefährdenden Potentials. Der Betrachter verwandelt sich angesichts des Kupferstichs vom Kunstkenner zum Voyeur, selbst wenn er das Blatt nur aus einem rein ästhetischen Blickwinkel betrachten wollte.

In diesem zusammenhang sei an Augustinus erinnert, der im 14. Buch seines ‚De Civitate Dei‘ über das Verhältnis von sexueller Begierde und Willen reflektiert. Er zieht das fazit, dass mit dem Sündenfall dem Menschen seine zeugungsglieder nicht mehr zu Willen seien, wie dies vormals im paradiesischen zustand der fall gewesen wäre. So erhebt sich der Körper gleichsam gegen den Geist wie sich der Mensch gegen Gott erhoben hat.55 Diesen Konflikt setzt Sebald prägnant in seinem kleinen Tondo ‚Joseph und Potiphars Weib‘ um (Abb. 6).56 Der junge Joseph flieht entsetzt vor dem zugriff der lüsternen frau. Doch sein erigiertes Glied verrät, wie wenig der alttestamentliche Held ihren körperlichen Reizen entgegenzusetzen hat. Eindringlich wird hier die von Augustinus beschriebene Spaltung von Willen und sexueller Lust vor Augen geführt. ähnlich dürfte es einem Betrachter der ‚frau ihre füße badend‘ ergehen, der ebenfalls angesichts der gezielten Blickführung und der zurschaustellung ihrer Scham in den unauflösbaren Konflikt von Augenlust und Kunstbetrachtung verwickelt wird. Diesen Konflikt zu erzeugen gelingt aber erst durch die Überhöhung der Nacktheit hin zum obszönen. Es lässt sich festhalten, dass die Behams mit der ‚frau ihre füße badend‘ ein auf seine Drastik reduziertes Bild schufen, das im Modus der Übertreibung auf die unumgängliche Geschlechtlichkeit des nackten Körpers hinweist und somit die frage nach der Legitimität antikischer Nacktheit stellt. Die Anverwandlung antiker Vorbil-der im Sinne der Übertreibung, die sich sogar als superatio im Sinne einer absichtlich falsch verstandenen imitatio-Lehre verstehen lässt, kann als subversive Technik gedeu-tet werden, die im Modus der überzeichneten Affirmation Vorbilder oder Konzepte zu desavouieren vermag.57

IV. Drei Frauen im Bad

Der zweite Stich argumentiert in gewisser Weise ähnlich wie die ‚frau ihre füße ba-dend‘ und kann daher als Gegenstück verstanden werden, doch verschiebt sich auf ihm der fokus. Auf den ‚Drei frauen im Bad‘ wird die Anwesenheit des Betrachters klarer thematisiert. Der schon erwähnte verstellte Blick sei noch einmal eigens betont. Die zahlreichen Astlöcher in der Rückwand erzählen ebenfalls von der Möglichkeit des unbemerkten Beobachtens. Auch durch das ungezügelte Gebaren der frauen wird der Rezipient deutlicher als Voyeur inszeniert als auf der ‚frau ihre füße badend‘. zuletzt

55 Vgl. auGustinus: Gottesstaat, Bd. 1, S. 974, 975–986, 987 (14,23–26).56 Dazu zuletzt MüLLer/Küster: Prediger, S. 24.57 Ein ähnliches Vorgehen findet sich beim Jungbrunnen mit Wiederholungen von zitaten, die ebenfalls

als Übertreibung die imitatio-Lehre lächerlich machen, vgl. MüLLer: Italienverehrung, S. 315–318 und MentzeL: Taufe, S. 106–108.

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sei daran erinnert, dass auch der Blick des Kindes das Sehen zum Thema macht. Doch anders als der erwachsene Mann, der sich an dem erotischen Spiel der frauen ergötzen kann, schaut der Knabe völlig verständnislos auf das Geschehen.58 Doch was der Be-trachter auf den ‚Drei frauen im Bad‘ sieht, sind keine Idealakte mehr. Die Nackten scheinen eher eine Parodie auf ein antikes Körperbild abzugeben, weichen sie doch in

58 Borggrefe würde den Jungen im Gegenteil zu der hier vorgeschlagenen These als Metapher des lustvol-len und unkontrollierten Schauens deuten, das im männlichen Betrachter angesichts der vollzogenen Handlungen wieder hervorbricht und ihn in einen zustand vor aller kulturellen zügelung der Begier-den zurückversetzt, vgl. BorGGreFe: Anatomie, S. 38f.

Abb. 6: Sebald Beham, Joseph und Potiphars Weib, 1526, Kupferstich, ø 52 mm. Braunschweig, Herzog Anton ulrich-Museum, Inv.Nr. 1155.

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ihrer Korpulenz deutlich von diesem ab. Die Badehauben verweisen ebenso wie die holzvertäfelte Stube mit dem ofen auf ein einheimisches Ambiente. In diesem zusam-menhang könnte man fragen, ob mit den drei frauen ein nordeuropäischer Gegen-entwurf zu italienisch-antikischen Idealvorstellungen vorliegt und wie eine so geartete Nacktheit bewertet wird.

Es kann festgehalten werden, dass der Kupferstich klare Signale sendet, die von der erotisierenden Wirkung eines Schwitzbades berichten. Der ofen im Hintergrund lässt das schwüle Raumklima spürbar werden, das Auslöser der lustvollen Aktivitäten zu sein scheint. So wirkt die aktive Dicke auf der Bank, als wäre sie die versonnene frau von dem anderen Stich, die animiert von der Hitze nun aus ihrer Lethargie erwacht ist und selbst zum Subjekt erotischer Handlungen wird. Ihr ganzer Körper ist Aktion. Noch im 17. Jahrhundert wurde der Beham-Stich in diesem Sinne rezipiert, als ihn der Augsburger Briefmaler Lorenz Schultes als grobe Holzschnittversion wiederholte und mit einem misogynen Gedicht versehen in umlauf brachte.59 Bei der sexuell stimu-lierenden Wirkung von Wärme oder warmem Wasser handelt es sich um einen Allge-meinplatz, der schon im Medizinhandbuch ‚Tacuinum Sanitatis‘ durch eine Darstel-lung bezeugt ist.60 In der universitätsbibliothek in Lüttich wird eine Handschrift dieses Traktats aufbewahrt, in der sich unter dem Eintrag zu „wohltemperiertem Wasser“ eine zeichnung findet, die in ähnlicher Weise wie der Kupferstich der Behams drei frauen zeigt, die sich in der feuchtwarmen umgebung des Bades anderen Dingen als der blo-ßen Körperpflege widmen, obwohl der Text mit seinen medizinischen Ausführungen darüber nichts verlautbaren lässt.61

Aber wie schon im falle der ‚frau ihre füße badend‘ reiht sich auch dieses Blatt nicht nur in eine ikonographische Tradition ein, die hier die sexuell aufgeladene Atmo-sphäre eines Schwitzbades bebildert, sondern reagiert erneut auf vorausgehende Kunst, nämlich auf Albrecht Dürers ‚frauenbad‘ (Abb. 4). Diese berühmte zeichnung aus dem Jahre 1496, die sechs entkleidete frauen ganz unterschiedlicher körperlicher Kon-stitution zeigt, darf ohne zweifel als deutsches ‚urmodell‘ eines frauenbades gelten. Schnell wurde Dürers Blatt in einen Holzschnitt übertragen, der Hans Springinklee zugeschrieben wird.62 offensichtlich referiert der Beham-Stich mit den ‚Drei frauen im Bad‘ auf Dürers zeichnung. Insgesamt ähnelt nämlich die Konstellation der drei frau-en jener Gruppe aus dem ‚frauenbad‘ Dürers, die sich aus der übermäßig Dicken, der schönen Hockenden und der Stehenden mit der Reisigrute zusammensetzt, wenn man sich die Raumsituation um 90 Grad gegen den uhrzeigersinn gedreht denkt. Selbst wenn man diese recht komplizierte Bezugnahme nicht überzeugend findet, kann zumindest

59 Das Gedicht führt die Handlungen der frauen auf das fehlen eines Mannes zurück. Das Blatt wurde gemeinsam mit anderen Schriften 1625 konfisziert und Schultes der Stadt verwiesen. Auslöser für das Eingreifen der obrigkeit waren aber wohl zuerst Lorenz Schultes’ Schriften und nicht das Badebild, vgl. schiLLinG: Bildpublizistik, S. 208–214.

60 zum ‚Tacuinum Sanitatis‘ beispielsweise coGLiati arano: Handbook.61 fol. 76r, vgl. coGLiati arano: Handbook, Abb. 77.62 Vgl. Kat. ausst.: Dürer, S. 15, Abb. 2, wobei er hier als anonymer Holzschnitt nicht Hans Springinklee

zugeordnet wird. Es existiert ein weiterer Holzschnitt, der eine Art Pasticcio aus Dürers zeichnung und Sebald Behams frauenbad-Holzschnitt (P 1223) mit einem durch ein fenster hinein starrenden Voyeur ist, vgl. Kat. ausst.: Dürer, S. 15; zu Behams frauenbad-Holzschnitt, Kat. ausst.: Maler, S. 186f.

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die Stehende aus dem Beham-Stich ohne zweifel auf Dürers frauenbad zurückgeführt werden. Die kunstvolle Torsion ihres Körpers entpuppt sich als Verschmelzung zweier figuren aus der zeichnung. So geht die Beinhaltung auf den Rückenakt der Badenden zurück, die ihren fuß auf einem Hocker abgestellt hat, um sich am Gesäß zu kratzen. Die Haltung des oberkörpers mit dem erhobenen Arm wiederholt hingegen die frau, die ihren Rücken zur Durchblutung mit einem Reisigbündel traktiert.63

Demnach wird auch das Körperbild Dürers durch Überhöhung ins Drastische als falsches Ideal bloßgestellt. Die subversive Bezugnahme auf das Vorbild findet dabei in einer geradezu spielerischen Anverwandlung der Vorlage statt, die zwischen Kritik und Abhängigkeit schwankt.64 Dürers gezügelte Normierung von Körpern, die ihren bezeichnendsten Ausdruck in seinen langwierigen Arbeiten zur menschlichen Propor-tion findet, wird in frage gestellt.65 In einer ähnlich entfesselten Weise begegnet dies nur noch bei Hans Baldung Grien, der in seinen Hexenbildern vergleichbar drastische formeln für die unbeherrschbarkeit des Körpers und mithin der Sexualität gefunden hat, wie es für Sebalds ‚Drei frauen im Bad‘ gilt.66 Dass sie körperliche und sexuelle Wesen mit entsprechender Verführungskraft sind, macht nicht nur die entblößte Scham deutlich, sondern auch die Körperfülle der frauen, deren leiblicher Präsenz man sich nur schwer zu entziehen vermag. und auch der Griff der Sitzenden an das Geschlecht der Stehenden kommt einer Prüfung gleich, mit der die Geschlechtlichkeit der frau erwiesen werden soll. Ihr überraschter Blick zurück lässt keine zweifel darüber auf-kommen, wie diese Prüfung ausfällt. Somit erweist sich auch der zweite Badestich der Behams als eine ebenso provokante wie intelligente Stellungnahme zum Problem ide-aler Nacktheit.

Der genaue Blick auf die beiden Stiche hat deutlich werden lassen, dass auf ihnen frontale Nacktheit und obszöne Vorgänge nicht zum Selbstzweck dargestellt werden, sondern gezielt zum Einsatz kommen, um im Modus der Übertreibung Muster der Idealisierung in frage zu stellen. Die Bäder erweisen sich als weiterer wichtiger Mosa-ikstein, der deutlich macht, wie stark die sich neu entwickelnden Genrethemen kunst-theoretisch aufgeladen waren. Indem die Behams die Vorbilder sowohl aus Italien als auch aus ihrer Heimat modifizieren und sich bestehender Ikonographien bedienen, die sie in ihren Aussagen verunklären, verunsichern sie die Betrachter ihrer Arbeiten und konfrontieren sie mit fragen nach ihrer eigenen Sexualität. Sie inszenieren die Ver-führbarkeit des Rezipienten ebenso wie seine Gefährdung durch die unkeuschheit der Kunst und werfen damit zugleich die frage auf, ob es überhaupt so etwas wie göttliche

63 Hier sei auf ein weiteres eventuelles Vorbild hingewiesen. Ein Kupferstich mit einem Bacchanal von Marcantonio Raimondi (B 248) zeigt einen weiblichen Satyr, der im Begriff ist, sich an einer Priapus-Statue zu befriedigen. Diese figur taucht in einem Kupferstich von Jakob Binck isoliert als Kopie auf (B 284 unter Raimondi). Auch die Beinhaltung dieser figur könnte als Vorlage für die frau aus dem Schwitzbad der Behams gedient haben, vgl. Kat. ausst.: Maler, S. 189.

64 Thomas DaCosta Kaufmann verweist auf diesen Sachverhalt für Baldung Grien schon sehr früh und sieht in der Auseinandersetzung mit Dürer einen kritischen Blick auf eine Idealität, die mit dem Sün-denfall nicht mehr gegeben ist, vgl. Dacosta KauFMann: Hermeneutics, S. 29–33.

65 Hier sei noch einmal an Berthold Hinz’ Grundthese erinnert, vgl. hinz: Akt; als weiteres Beispiel für den spielerischen umgang mit Dürer und der Antike vgl. etwa den Beitrag zu dem Beham-Kupferstich ‚Drei frauen mit Tod‘ in Kat. ausst.: Maler, S. 158.

66 zu Baldungs Hexen-Bildern vgl. die umfassende Arbeit Kat. ausst.: Hexenlust; hier sei auch an die ‚Pferdeserie‘ Baldungs erinnert, die ganz ähnliche fragen stellt, vgl. zuletzt PeineLt: Samen.

411Überlegungen zu zwei Badedarstellungen der Beham-Brüder

Schönheit geben kann, die nur mehr zum Guten verführt. Die Antwort fällt so verfüh-rerisch aus, dass die frage angesichts der nackten Tatsachen fast naiv erscheinen muss.

und was ist mit dem Kupferstich ‚Tod und laszives Paar‘? Es überrascht kaum, dass auch diese Arbeit Sebalds auf ein italienisches Vorbild Bezug nimmt.67 Aus einem reinen Tugendhelden in transparenter Rüstung, der aus einem Triumphzug Marcantonio Rai-mondis stammt, wird ein verführter Jüngling, der sich nur allzu gern der angenehmen wie gefährlichen Wägung seiner Geschlechtlichkeit unterzieht.

Bildnachweise

Abb. 1: Rechte liegen bei den ‚museen der stadt nürnberg‘, foto: Thomas Schauerte.Abb. 2: Rechte liegen bei ‚Het Rijksprentenkabinet, Amsterdam‘.Abb. 3: Rechte liegen bei ‚© Trustees of the British Museum‘.Abb. 4: Rechte liegen bei der Kunsthalle Bremen, foto: Lars Lohrich.Abb. 5: Rechte liegen bei ‚© Trustees of the British Museum‘.Abb. 6: Rechte liegen beim ‚Herzog Anton ulrich-Museum, Kunstmuseum des Landes Nieder-

sachsen, Braunschweig‘.

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Barbara Katja Kemmer

Augenlust versus innere Schau.1 Verlockung und Verderbnis in lasziv-genrehaften Bildfindungen an der Schwelle zur Neuzeit

I. Das Problem mit den sinnlichen Begierden

Bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts schufen Künstler für die Augen eines wohl überwiegend männlichen Rezipientenkreises Bilder, die wollüstiges Treiben auf un-missverständliche und derbe Art zeigen. Im Kontext der Visualisierung vermeintlicher ‚Alltagssituationen‘, die sexuelles Verhalten auf scheinbar ‚realistische‘ Weise beschrei-ben, spielt die häufige Vermischung von sakralen respektive hohen und profanen res-pektive niedrigen Inhalten eine wichtige Rolle, was hinsichtlich der Entwicklung und Etablierung einer eigenständigen Genrekunst als besonders bedeutsam erachtet werden muss. Genrehafte Darstellungen obszöner Handlungen bewegen sich dabei vielfach in einem Spannungsfeld, welches zwischen zwei Polen angesiedelt ist: der lockenden Versuchung einerseits und der Irritation des Reizes andererseits, der die Abkehr vom Gesehenen mitunter intendiert.

Der zeitgenössischen Morallehre zufolge hätten lasziv-erotische Bilder eher unge-sehen bleiben sollen, was insbesondere für die Augen innerlich nicht gefestigter zeitge-nossen gilt. Dieser umstand verweist unter anderem auf die gefürchtete Wirkung, die mit dem Genuss solcher Visualisierungen verbunden wurde. Denn die Augenlust, die sich im Schauen zeigt, hat im ungünstigsten fall die Erweckung der fleischeslust zur folge: das Sehen als ursprung allen Begehrens.2 Die Annahme, dass sexuelle Begierde durch die Augen entsteht, findet nicht nur bildimmanent, sondern auch im zeitgenössi-schen umgang mit expliziten Bildfindungen mehr oder weniger deutlichen Ausdruck.3

Schon früh ist die Schaulust zwiespältig eingeschätzt worden. Vor der negativen Wirkung sinnlicher Anblicke wurde stets gewarnt. Die Überlieferung vieler literari-scher und bildnerischer Werke, die genau diese Lust am Schauen thematisieren, macht

1 Dieser Artikel basiert in Grundgedanken auf der 2011 an der universität Trier eingereichten, von Prof. Dr. Dr. Andreas Tacke betreuten Magisterarbeit der Verfasserin, welche sich mit der Visualisierung von Sexualität in der frühneuzeitlichen Kunst beschäftigt. Der Titel der Arbeit lautet: ‚Die Wollust des Satyrs als Projektion unterdrückter Sexualität? Eine Studie zur Darstellung von Lust und Leidenschaft in der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts‘.

2 Vgl. hierzu u.a. sPrinGer: Voyeurismus, S. 85; Kat. ausst.: Pfeil, S. 18; MüLLer: Mann, S. 37, erinnert an Leonardo da Vinci, der in seinem Traktat von der Malerei „den Gedanken formuliert, dass uns die gemalte Schönheit verliebt machen kann und das Auge die ursache dafür ist, dass sie von sämtlichen Sinnen besessen werden will.“

3 Vgl. u.a. FreeDBerG: Power, S. 354; FinDLen: Humanismus, S. 50–52 u. S. 103; taLvacchia: Positions, S. 45 u. S. 47; hunt: obszönität, S. 10 u. S. 28; GinzBurG: Tizian, S. 234 u. S. 239.

416 Barbara Katja Kemmer

dies besonders evident.4 Bereits in der Bibel, genauer im 2. Kapitel des 1. Johannes-briefes (1 Joh 2, 15–17) heißt es:

Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist. So jemand die Welt liebhat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters. Denn alles, was in der Welt ist, ist fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. und die Welt vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit.

Die Wahrnehmung der sichtbaren Außenwelt wird demnach der inneren Schau, die zu Gott führt, im wertenden Sinne gegenüber gestellt.5

Das eine, das verurteilte Sehen hält sich – so ließe sich in der Terminologie des Johannes-Briefs sagen – an die Phänomene der vergänglichen Welt, während das an-dere durch sie hindurch auf die Ewigkeit gerichtet ist. Das eine ist sündhaft, während das andere eine gepriesene, nachzuahmende Tätigkeit darstellt.6

In der Verbildlichung von biblischen Geschichten wie beispielsweise ‚Susanna und die beiden ältesten‘ (Dan 13, 1–64) und ‚Bathseba und David‘ (2 Sam 11, 2–27) zeigt sich exemplarisch die Gefahr, die einer solchen form der Augenlust innewohnt.7

An dieser Stelle sei auf zwei in unserem Kontext besonders interessante Bildfindun-gen hingewiesen – zum einen auf eine Tafel des Schweizers Niklaus Manuel, welche die biblische Episode des Ehebruchs um König David und seine spätere Ehefrau Bathseba mit Wollust und Tod in Verbindung setzt.8 Die Darstellung der Rückseite steht in iko-nographischer Verbindung zu den zeitgenössisch populären Liebespaardarstellungen, unter die sowohl die Verbildlichung einer Liebesbeziehung zwischen jungem Mann und junger frau, als auch jene der sogenannten ‚ungleichen Paare‘ zwischen einem jungen und einem sehr viel älteren Partner zu subsumieren sind, wobei insbesondere letztere als Sinnbild der käuflichen Liebe und als zeichen von Tollheit und unvernunft in Liebesdingen verstanden werden können. Überdies fallen darunter Bilder, die eine frau mit aus anderen ikonographischen zusammenhängen entliehenen ‚männlichen‘ Partnern zeigen – besonders in Gestalt von Narr, Tod und Teufel. Bei solchen Bei-spielen tritt der moralisierende fingerzeig besonders deutlich zutage; nichtsdestotrotz spielen auch diese mitunter recht ausgeprägt mit der erotischen Verführbarkeit des Au-ges.

Des Weiteren sei in diesem Kontext auf eine bemalte Tischplatte des Sebald Be-ham verwiesen, welche der Künstler für Kardinal Albrecht von Brandenburg anfertigte

4 Vgl. u.a. staDLer: Schaulust, S. 14; sPrinGer: Voyeurismus, S. 27; schaDe: Genese; vgl. überdies zur Bedeutung des Gesichtssinns in der frühen Neuzeit allgemein und speziell in Hinsicht auf die dem Auge zugesprochene Ersatzfunktion als wichtigstem ‚Vermittler von Lust‘ (in Anlehnung an die zivilisationstheorie Norbert Elias’) u.a. KLeinsPehn: Blick, S. 103f., S. 115–120 u. S. 132; KLeinsPehn: Schaulust, S. 32–35 u. S. 41.

5 Vgl. staDLer: Schaulust, S. 15.6 staDLer: Schaulust, S. 15.7 Vgl. staDLer: Schaulust, S. 15f.8 Niklaus Manuel gen. Deutsch, Bathseba im Bade (Vorderseite)/Der Tod als Kriegsknecht um-

fasst ein junges Weib (Rückseite), 1517, Mischtechnik auf Tannenholz, 38,2 x 29,2 cm, Kunstmuse-um Basel, Amerbach-Kabinett 1662, Inv.Nr. 419, Abb. in: Kunstmuseum Basel, Sammlung online. [http://194.176.109.156/eMuseumPlus (30.5.2013)]

417Augenlust versus innere Schau

und diesem widmete.9 Das Tischplattenbild zeigt vier Szenen aus der Davidsgeschich-te, unter welchen sich auch jene berühmt-berüchtigte Bade- und Beobachtungsszene findet. Besonders aufschlussreich ist die Verbindung dieser Darstellung mit der bis ins 15. Jahrhundert zurückreichenden Bildtradition des (Liebes-)Narren im frauenbad, der hier vor den badenden frauen die flucht ergreift, was sein Hinterteil entblößt und ihn der vollkommenen Lächerlichkeit preisgibt. Wiemers ist beizupflichten, wenn er diesbezüglich schreibt:

Behams Verknüpfung dieser Motive mit dem Bad der Bathseba hat mindestens Sel-tenheitswert, ist vielleicht sogar einmalig und eine Erfindung des Künstlers oder sei-nes gelehrten Beraters. Auf diese Weise wird dem Betrachter aber noch deutlicher gemacht, wie das biblische Thema ‚David und Bathseba‘ im 16. Jahrhundert zu ver-stehen war: Es geht hier in der Auffassung der zeit nicht nur um die Schuld Davids, sondern auch um die Gefahr, die dem Mann durch die Lust der frauen erwächst und der er sich allzu leicht ausliefert. Es ist die Gefahr, die Selbstbestimmtheit zu verlie-ren, sich zum Minnesklaven und durch seine eigene Liebstorheit zum Narren, ja zum opfer zu machen.10

In dieser Lesart stehen derartige Bildthemen für die Gefährdung des Mannes, der dem Anblick weiblicher Schönheit und Sinnlichkeit verfällt und sich in der folge eines sündhaften Verhaltens schuldig macht. Dabei gilt es zu bedenken, dass nicht nur das Sehen im Kontext fleischlicher Begierden in der frühen Neuzeit als sündhaft definiert worden ist. Heiner Borggrefe weist darauf hin, dass zu dieser zeit das „Wort vom ver-botenen Sehen […] einen ungleich tieferen Sinn [hatte], insofern die Neugierde (curio-sitas) eine christliche Sünde war.“11 Bilder, die nun eine solche Neugierde thematisieren und diese zusätzlich mit der Lust des fleisches in Verbindung setzen, führen folglich genau das vor, was eigentlich unterbunden werden sollte.

Die gedankliche Einschränkung des Begriffs von der Begehrlichkeit der Augen (concupiscentia oculorum), die neben der fleischeslust (concupiscentia carnis) und dem Hochmut (superbia) als wesentliche Sündenkategorie im Johannesbrief genannt wird, auf sinnlich-sexuelles Begehren griffe demnach viel zu kurz. Gerade bei nähe-rer Betrachtung der Interpretation des Bibelwortes durch den Heiligen Augustinus wird deutlich, dass mit concupiscentia oculorum in erster Linie Neugierde (curiositas) gemeint ist, die eine generelle Erfahrung der Sinne und ein Wissen, das durch diese vermittelt wird, sucht.12 Eine primär auf diesseitige Aspekte gerichtete curiositas ist zu-nächst daran interessiert, sich die Welt in allen möglichen Einzelaspekten anzuschauen und in einem weiteren Schritt den Dingen auf den Grund zu gehen, was eine intellek-tuelle Durchdringung und ein wissenschaftlich zu nennendes Erkenntnisinteresse in sich trägt. Augustinus beurteilt diese form der curiositas aber gleich der auf fleischliche Lust ausgerichteten Begierden äußerst kritisch:

9 Hans Sebald Beham, Szenen aus dem Leben Davids, bemalte Tischplatte, 1534, Holz, 128 x 131 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv.Nr. 1033, Abb. in: wieMers: Kardinal, S. 218.

10 wieMers: Kardinal, S. 224.11 BorGGreFe: Anatomie, S. 44; vgl. zur Neugierde in Mittelalter und früher Neuzeit KrüGer: Curiosi-

tas, insbesondere die Einleitung, S. 7–18, die der Herausgeber schrieb, und den Aufsatz von Lorraine Daston: Die Lust an der Neugier in der frühneuzeitlichen Wissenschaft, S. 147–175.

12 Vgl. auGustinus: Bekenntnisse, 10, 35, 54–56.

418 Barbara Katja Kemmer

Denn außer der Begehrlichkeit des fleisches, die dem Ergötzen aller Sinne und Lüste innewohnt, an der ihre Diener, die sich weit von dir entfernen, zugrunde gehen, wohnt in der Seele noch eine Gier, eitel und vorwitz: sie will sich durch die gleichen Körper-sinne nicht im fleische ergötzen, sondern vermittels des fleisches Dinge in Erfahrung bringen, bemäntelt mit dem Namen der Wissenschaft.13

Mit dem Begriff der Augenlust in der Deutung Augustinus’ ist also primär nicht das Sehen als Mittel zur Lustgewinnung gemeint, sondern das Sehen im Sinne der curio-sitas, als Mittel der weltlichen Erfahrung selbst.14 Die lediglich auf die Erkenntnis der äußeren Welt gerichtete Begierde wird dabei mit dem als wahr gedachten ‚geistigen Sehen‘, welches nach innen gerichtet ist und Gotteserkenntnis erst ermöglicht, kontras-tiert. „[G]eh nicht nach außen, kehr zu dir selbst zurück. Im innern Menschen wohnt die Wahrheit […].“15 Der Blick nach innen ist demnach der einzige Weg zu wahrer Erkenntnis – und zu Gott. Nun ist die concupiscentia oculorum in Bezug zur concup-iscentia carnis, der fleischeslust, speziell zusammenzudenken mit einer auf erotische Lustgewinnung ausgerichteten Begehrlichkeit der Augen – der voluptas oculorum, die nicht nur neugierig Weltliches in Erfahrung bringen will, sondern sich durch das Sehen sinnlich-sexueller Inhalte ‚im fleische zu ergötzen‘ sucht. Diese form der Augenlust ist neugierig und wollüstig zugleich und ihre zuwendung zur vergänglichen Welt ist gleich der erkenntnisgeleiteten Neugierde fern von der „ewigen Schau der unwandel-baren Wahrheit“.16

Mittels der lasziv-genrehaften Darstellung sexueller Ausschweifungen ließen sich nun besonders einprägsam Situationen schildern, die zwar körperliche Lust vorführen und bisweilen gar imstande gewesen sein dürften, eine solche beim Betrachter hervor-zurufen, beim näheren Hinsehen indes sollte sich der erste Eindruck des Öfteren in sein krasses Gegenteil, die Produktion einer unlust, verkehrt haben.

Den zeitgenössischen abendländischen Auffassungen zufolge stand körperlich-sexuelles Begehren in Verbindung mit Sünde, unkontrolliertheit, Irrationalität, Ver-derbnis und Tod. In Bezug auf den lapsus humani generis, den Adam und Eva sich zuschulden hatten kommen lassen, definierte das Christentum in Anlehnung an den Heiligen Augustinus sexuelle Lust und körperliches Begehren als sündhaft.17 Diese sinnliche Neugierde wurde in kausalen zusammenhang zur Erbsünde gesetzt, die den Menschen den seither unumgänglichen Tod auferlegte. Der Gläubige war dazu ange-halten, sich die damit verbundene Schuld stets zu vergegenwärtigen und sein eigenes Wesen idealiter derart zu formen, dass der Geist den sündigen Körper beherrschte, so dass sich das menschliche Handeln von jenem der Tiere, die ihren körperlichen Trieben völlig ausgeliefert seien, unterscheide und abhebe.

Das Ausgeliefertsein an unkontrollierte Begierden wird sodann häufig in Verbin-dung mit dem Begriff der Wollust gebracht. Die unterschiedlichen Konnotationen der

13 auGustinus: Bekenntnisse, 10, 35, 54.14 Vgl. staGi: Gott, s. 284.15 auGustinus: Religion, 38, 72.16 auGustinus: Religion, 38, 71.17 Vgl. BLacKBurn: Wollust, S. 54; haMMer-tuGenDhat: Aspekte, S. 151f.; LeiBBranD-wettLey/LeiB-

BranD: formen, S. 558f.

419Augenlust versus innere Schau

Wollust reichen von eher sachlichen Begriffen wie freude, Lust oder Genuss bis hin zu rein sinnlichem Begehren und in diesem Kontext dann der häufig anzutreffenden Reduktion auf die sexuell-erotische Sphäre.18 Die verschiedenen Bedeutungen existier-ten bereits im 11. Jahrhundert nebeneinander, wobei darauf hingewiesen wird, dass unter kirchlichem Einfluss seit dem frühneuhochdeutschen eine zunehmend negati-ve Betonung des Wortsinns auszumachen sei.19 Überdies wird der Begriff der Wollust mitunter – beispielsweise in Listen die sieben Todsünden betreffend – durch den der luxuria (Ausschweifung) ersetzt.20 Blackburn weist aber zu Recht darauf hin, dass die Verbindung der Wollust mit Exzess und Übersättigung eine (auch im Wortsinn) falsche Richtung einschlage, da Wollust ja nicht bedeute, dass Verlangen an sich schlecht sei, sondern eben nur dessen exzessive, zügellose Ausprägung.21 Bereits Platon bewertete die Wollust nicht per se negativ, denn Begehrlichkeiten seien als solche nicht zwangs-läufig falsch.22 Der Mensch solle sich nur der mit ihr verbundenen Gefahren bewusst sein und sich entsprechend wappnen. Es herrschte also die Vorstellung, dass jegliches Begehren stets Gefahr läuft, überhand zu nehmen und eben deshalb der Kontrolle be-darf. Nicht der Mensch sollte sich von seiner Begierde beherrschen lassen, sondern um-gekehrt diese beherrschen, also: Herr seiner Sinne sein. So schreibt Blackburn weiter:

Wollust ist gut, wo sie ihren ort hat, aber außerhalb dieses ortes muss sie mit Scham, ja mit Abscheu betrachtet werden. Auf ihren Trinkgefäßen stellen die Griechen gerne Satyrn dar – zwitterwesen aus Mensch und Pferd oder Maultier –, normalerweise im zustand der Erektion und oft auch in dem Moment, wo sie sich auf schlafende Mäna-den stürzen. Doch ihre nur halb menschlichen figuren lassen vermuten, dass sie etwas Marginales repräsentieren, Grenzen, die nicht überschritten werden sollten, Verstöße, die sich die Menschen selbst – so verlockend die dargestellten Aktivitäten auch sein mögen – nicht gestatten sollten.23

Die Dämonisierung der sexuellen Wollust durch das Christentum hatte bekannter-maßen weitreichenden Einfluss auf die Konzeption von Geschlechtlichkeit und Sexu-alität im Abendland.24

Hier kommt eine ganz neue Note ins Spiel, die weit hinausgeht über die Warnung der Griechen vor dem raumgreifenden Wesen der Begierde, der nur mit entsprechender Selbstbeherrschung beizukommen sei. Hier haben wir Hass, Verderbtheit, Sünde.25

Als einzig mögliche Rechtfertigung für eine sexuelle Betätigung bleibt dem Christen der auf fortpflanzung angelegte Geschlechtsakt innerhalb der Ehe, welcher jedoch we-

18 Vgl. reininGer/KeiL: Wollust, Sp. 323f.; hoLL: Luxuria, Sp. 123f.; hoLL: Sünde, Sp. 224–227.19 Vgl. reininGer/KeiL: Wollust, Sp. 323f.20 Vgl. oLBrich: Lexikon, S. 428: luxuria = lat. Geilheit, Üppigkeit, Genusssucht; vgl. zudem BLacKBurn:

Wollust, S. 30; haMMer-tuGenDhat: Venus.21 Vgl. BLacKBurn: Wollust, S. 30.22 Vgl. BLacKBurn: Wollust, S. 46.23 BLacKBurn: Wollust, S. 46.24 Vgl. BLacKBurn: Wollust, S. 54; haMMer-tuGenDhat: Aspekte, S. 151f.; LeiBBranD-wettLey/LeiB-

BranD: formen, S. 558f.; DöBLer: Eros, S. 14.25 BLacKBurn: Wollust, S. 59.

420 Barbara Katja Kemmer

der mit Wollust noch mit Vergnügen einhergehen sollte.26 Denn wie noch im Herbst 2010 in einem Artikel der Süddeutschen zeitung zu lesen war: „Die Wollust verdrängt die restliche Welt, legt die Vernunft lahm und lässt kein Platz für das Gebet.“27 Es galt demnach, seine körperlichen und damit weltlichen Begierden – dem asketischen Ideal folgend – zu überwinden, damit der Geist sich zu Gott erheben könne.28

Durch eine in sexuellen Belangen allgemein zu unterstellende ‚schuldbeladene‘ mentale Grundstimmung im christlich geprägten Europa, die durch eine sexualfeind-liche und repressive kirchliche Praxis gestützt und gefördert wurde, kann unterstellt werden, dass der Konsument gewagter Bildfindungen im Schauen generell eine gewisse Hin- und Hergerissenheit zwischen Reiz und Abwehr empfunden haben mag.29 Die kritischen Be- und Verurteilungen wollüstiger Ausschweifungen und die betont bilder-feindlichen geistigen Positionen, die im zuge der reformatorischen Bewegungen weit-reichende Verbreitung fanden, dürften zudem zu einer Verstärkung dieser Gegeben-heiten beigetragen haben. Dies gilt auch trotz der Entwicklungen in Italien (und deren Einfluss), welches in der sprichwörtlichen Rückbesinnung auf antike Sinnesfreuden partiell recht hemmungslos-muntere Bilder geschlechtlicher zusammenkünfte hervor-brachte.

Nichtsdestotrotz dürfte eine reflektierte Auseinandersetzung und ein wachsendes Bewusstsein um das eigene unkeusche Verhalten, das sich im Anblick obszöner Bil-der für den Betrachter offenbarte, diesen auf den seiner Augenlust zugrunde liegenden zwiespalt zurückgeworfen und zur inneren Positionierung dem Gesehenen und sich selbst gegenüber angehalten haben. Denn letztlich musste er sich fragen, ob es um seine Keuschheit und moralische Verfassung besser bestellt war, als um jene der dargestell-ten figuren im Bild. Wenn die bildnerische Anlage eine solche zerrissenheit zwischen keuschem und unkeuschem Sehen und Verhalten bereits selbst (mit)formulierte, war diese Bewusstwerdung seitens des betrachtenden Subjekts im Grunde unumgänglich.

Die mannigfachen Bildfindungen lasziv-genrehafter Art lassen die Aussage zu, dass Sexualität in ihrer Ambivalenz diskutiert wurde. Die bildhaft gewordene Mehrdeutig-keit lässt das Ringen um gesellschaftliche Normen und Grenzen spürbar werden. In-dem die Bilder sexuell-derbes Gebaren vorführen und bisweilen bereits bildimmanent mit wünschenswertem Verhalten kontrastieren, schaffen sie ein exkludierendes Mo-ment: Kulturell inakzeptables Verhalten, welches häufig mittels figuren, die außerhalb der zivilisierten ordnung stehen (wie der Narr), visualisiert ist, wird – auch im wört-lichen Sinn – an den ‚Rand‘ gerückt und als abnorm definiert. Die Bilder argumentieren derart, dass der Betrachter sich des eigenen ‚randständigen‘ Verhaltens bewusst wird und dieses als unkeusch und ‚falsch‘ erkennen muss. Dies mag zu einem ‚Erschütte-rungsmoment‘ führen, der die schamhafte Abkehr von Gesehenem und solchermaßen die Negierung des (nach außen gerichteten) Blicks zur folge hat.

26 Vgl. BLacKBurn: Wollust, S. 64; haMMer-tuGenDhat: Aspekte, S. 151.27 herrMann: Listen.28 Vgl. zum Begriff der Askese u.a. seitz: Askese, S. 195–259; auGustinus: Religion, 38, 70; vgl. zudem

Murray: Man, S. 125; FLanDrin: Geschlechtsleben, S. 147.29 Vgl. u.a. GinzBurG: Tizian, S. 234–237, S. 239 und S. 254; FreeDBerG: Power, S. 358; KLeinsPehn: Blick,

S. 108f.

421Augenlust versus innere Schau

Die frage, wie eine Rezeption erotischer Sujets im Mittelalter und der frühen Neu-zeit allgemein vonstattengegangen sein mag, kann – mangels aussagekräftiger (Schrift-)Quellen – freilich genauso wenig beantwortet werden, wie die Reaktion des einzelnen Konsumenten nachvollzogen werden kann. Allerdings lässt sich aufgrund der Häufig-keit – wie auch der Heftigkeit – der bildlichen wie schriftlichen äußerungen zu wol-lüstigem Verhalten im 15. und 16. Jahrhundert ein bereits zu dieser zeit rege geführter Diskurs um Sexualität und die visuelle Darstellung derselben nachweisen.30 Man denke in diesem Kontext etwa an die Einführung und Etablierung der zensur, die angstvollen Debatten bezüglich der unterstellten Wirkmacht von Bildern und die ausgrenzende Verwendung von Begriffen wie ‚unzucht‘ – und den Kampf gegen die ‚unzucht‘, die gerade durch die Reformatoren und in den zeiten der Konfessionalisierung lautstark geführt wurde.31 Bedenkt man überdies die äußerungen zu den Gefahren der Wollust, zur sinnlich-verführerischen, ‚mächtigen‘ frau und zur schändlichen Hingabe an die ‚Augenlust‘, kann durchaus von einer nicht stillzulegenden Rede im foucault’schen Sinne bereits zu Beginn der Neuzeit gesprochen werden.

II. (Spiel-)Arten der Visualisierung

Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit ins Bild zu setzen, war in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kunst ob der skizzierten kulturhistorischen Gegebenheiten nicht ganz ungefährlich. Sowohl die Künstler, die sexuelle Lust und Leidenschaft dar-stellten, als auch die Käufer derartiger Bilder gingen unter umständen ein nicht ge-ringes Risiko ein, des sündhaften Verhaltens wegen verfolgt und bestraft zu werden. Man denke hier an den vielfach beschriebenen Skandal um Marcantonio Raimondi, Pietro Aretino und die sogenannten ‚Modi‘, die in einer zusammenstellung von Bild

30 Ein Großteil der zeitgenössischen schriftlichen Quellen, die wollüstiges Verhalten thematisieren, ist normativer Art. Es handelt sich dabei gewissermaßen um Handlungsanleitungen oder Disziplinie-rungsbemühungen (wie etwa im falle von Ehegerichtsprotokollen): Diese vermitteln die Idealvorstel-lung, die die jeweilige Epoche oder jedenfalls deren Machtrepräsentanten von wünschenswertem Ver-halten hegten. Inwieweit freilich Theorie beziehungsweise theoretisches Ideal und Praxis je in Einklang zu bringen waren, muss bis dato offen bleiben. Denn solche Normierungsversuche lassen im Grunde keine sichere Aussage über die jeweiligen Auswirkungen auf das tatsächliche Verhalten der Menschen zu, an die sie gerichtet waren. Es bedeutet eben nicht, dass die entsprechenden geistigen Positionen, welche sich im Diskurs formen und welche in unserer zeit noch nachvollziebar sind, die zeitgenössi-sche Realität zu beschreiben vermögen, vgl. hierzu u.a. eDer: Kultur, S. 19f.; roPer: Ödipus, S. 17–23; BurGhartz: zeiten, S. 237 u. S. 244f.; BurGhartz: Discourse; haMMer-tuGenDhat: Aspekte, S. 162. Hinsichtlich der forschungen im Gebiet der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Sexualität und zu den beiden Hauptlagern innerhalb der Wissenschaft (‚Repressionsthese‘ versus ‚Sexualisierungsthese‘) vgl. u.a. cLassen: Significance; DinzeLBacher: Sexualität; eLias: Prozeß I, u.a. S. 222–225, S. 249 u. S. 262; eLias: Prozeß II, u.a. S. 313 u. S. 317; FoucauLt: Sexualität; eDer: Sexualunterdrückung; eDer: Kultur, S. 12–14 u. S. 238f. Vgl. zudem allg. zur weitreichenden Kritik an der zivilisationstheorie Nor-bert Elias’ u.a. den groß angelegten, mehrbändigen Gegenschlag von Duerr: Mythos; cLassen: Signi-ficance, S. 78–83, dessen Kritik sowohl Elias als auch Duerr gilt; eDer: Sexualunterdrückung, S. 16.

31 Vgl. zur Diskussion um die unterstellte Wirkmacht von (lasziven) Bildern und damit zusammen-hängende zensorische Bemühungen u.a. FreeDBerG: Power, S. 354, S. 358 u. S. 361; FinDLen: Hu-manismus, S. 50–52 u. S. 103; taLvacchia: Positions, S. 45 u. S. 47; hunt: obszönität, S. 10 u. S. 28; GinzBurG: Tizian, S. 234–237, S. 239 u. S. 254; KLeinsPehn: Blick, S. 108f.; hyDe: Geschichte, S. 213; PranGe: Nachrichten, S. 86–89 u. S. 93. BurGhartz: zeiten, S. 7–9, S. 13–16 u. S. 241f.; BurGhatz: Discourse, S. 78f. u. S. 94; oPitz: Imagines, S. 262–267.

422 Barbara Katja Kemmer

und Text wahrscheinlich im Jahre 1527 in Venedig veröffentlicht wurden. Das Problem der von Raimondi 1524 nach zeichnungen Giulio Romanos in Kupfer gestochenen sechzehn Liebesstellungen lag bekanntermaßen nicht in der Art der Darstellung der in unterschiedlichen Stellungen kopulierenden Paare, sondern darin, dass den reprodu-zierten zeichnungen keine legitimierende Ikonographie vorgeblendet war.32 Die Stiche wurden unmittelbar nach ihrem Erscheinen durch Papst Clemens VII. verboten und der urheber Raimondi kam ins Gefängnis.33 Er kommt, so die Legende, auf fürsprache des Dichters Pietro Aretino unter der Auflage wieder frei, alle verfügbaren Abzüge des Druckwerkes und sämtliche Druckplatten zu vernichten.34 Von der originalausgabe sind denn auch nur einige fragmente erhalten, von denen neun im British Museum in London aufbewahrt werden.35

Aretino, der wegen seiner sozial- und gesellschaftskritischen Schriften auch den von Ariost stammenden Titel ‚il flagello de’ principi‘ (Geißel der fürsten) trug, haben die Stiche wahrscheinlich gerade wegen des Verbotes interessiert, so dass er sich diese anschaute, offenbar Gefallen daran fand und beschloss, den Abbildungen Sonette hin-zuzufügen. Sinngemäß schreibt der Poet in einem Brief an Battista zatti vom 19. De-zember 1537:

Nachdem ich von Papst Clemens die freilassung Marcantonios aus Bologna erwirkt hatte, der ins Gefängnis geworfen worden war, weil er die XVI Stellungen in Kupfer gestochen hatte, bekam ich Lust, auch mal diese Bilder zu sehen, um derentwillen Giberti [gemeint ist Gian Matteo Giberti, der päpstliche Datar; Anm.d.Verf.] fortwäh-rend schrie, man müsse den trefflichen Künstler ans Kreuz schlagen. und nachdem ich sie gesehen hatte, ergriff mich derselbe Geist, der Giulio Romano angetrieben hatte, sie zu zeichnen. Wie in alten und neuen zeiten Dichter und Bildhauer eine geistige Belustigung darin gefunden haben, laszive Werke zu schreiben oder zu meißeln […], so verfaßte ich zu jenen ‚Stellungen‘ die Sonette, wollüstigen Angedenkens, wie sie unter den Kupfern zu lesen stehen, und wie ich sie, allen Heuchlern zum Trotz, Euch widme. Hole der Teufel die erbärmliche öffentliche Meinung und die verflixte gute Sitte, die unseren Augen verbietet, gerade das zu sehen, was ihnen am meisten Ver-gnügen macht.36

32 Vgl. vasari: Lebensbeschreibungen, S. 564f., der in der Lebensbeschreibung des Marcantonio Rai-mondi über die ‚Modi‘ schreibt, dass „[…] Giulio Romano von Marcantonio in zwanzig Blättern die verschiedenen Arten, Haltungen und Stellungen stechen [ließ], in denen unkeusche Männer bei den frauen liegen; und was noch schlimmer war, zu jeder Art verfaßte Pietro Aretino ein höchst unan-ständiges Sonett, so daß ich nicht weiß, ob der Anblick der zeichnungen für das Auge oder Aretinos Worte für das ohr schlimmer waren. Dieses Werk wurde von Papst Clemens sehr getadelt; und wenn Giulio nicht bereits nach Mantua fortgegangen gewesen wäre, als es publiziert wurde, so hätte ihn wohl der unwille des Papstes schwer gestraft; und da man diese zeichnungen an orten fand, wo man es am wenigsten gedacht hätte, wurden sie nicht nur verboten, sondern auch Marcantonio ergriffen und ins Gefängnis gesteckt, und es wäre ihm schlimm ergangen, wenn nicht der Kardinal de’ Medici und Bac-cio Bandinelli, der in Rom dem Papst diente, ihn gerettet hätten. Wirklich sollte man die Gaben Gottes nicht, wie es oft geschieht, zur Schande der Welt und auf ganz abscheuliche Sachen verwenden.“; vgl. zudem Kat. ausst.: Pfeil, S. 11; aretino: Modi, S. 54 u. 61; FinDLen: Humanismus, S. 53; taLvacchia: Paradigms, 1997, S. 85; taLvacchia: Positions, S. 51 f.; Lawner: Modi, S. 9.

33 Vgl. taLvacchia: Positions, S. 9.34 Vgl. aretino: Stellungen, S. 11.35 Vgl. Lawner: Modi, S. 15; aretino: Stellungen, S. 14; Fischer: Töne, S. 84f.36 zit. nach FinDLen: Humanismus, S. 91.

423Augenlust versus innere Schau

Das Sehen bildnerischer Inhalte, die als lasterhaft und der beabsichtigten Wirkung nach durch die zeitgenossen als primär ‚pornographisch‘ definiert wurden – wie dies bei den erwähnten ‚Modi‘ der fall war und was durch die soeben zitierte Aussage Aretinos bezüglich künstlerischer Intention gestützt wird –, galt als moralisch verwerflich und wurde entsprechend geahndet.37 Dem Wortsinn nach bedeutet Pornographie Huren-schrift. Der Begriff leitet sich etymologisch aus dem Griechischen von den Wörtern porne (Dirne) oder porneia (unzucht) ab, die jeweils zusammengesetzt werden mit dem Wörtchen graphein (schreiben).38 Die Bezeichnung ‚Pornographie‘ gelangte in Europa allerdings erst nach 1850 in den allgemeinen Sprachgebrauch, wobei sie dann vorwiegend in archäologischen zusammenhängen Verwendung fand – primär um die wiederentdeckten Malereien auf den Wänden des einst unter Asche begrabenen Pom-peji zu beschreiben.39 Pornographie meint im allgemein anerkannten Sinne die direkte Darstellung der menschlichen Sexualität, wobei die Geschlechtsorgane in ihrer sexu-ellen Aktivität betont werden. Dies geschieht in vielen fällen primär in der Absicht, beim Betrachter sexuelle Erregung auszulösen.40 Im Gegensatz zur Erotik beschränkt sich die Pornographie also meist auf die reine Darstellung der Geschlechtsteile bezie-hungsweise des Geschlechtsaktes. Die Erotik hingegen bezeichnet ursprünglich mehr die sinnlich-geistige Liebe, die aber durchaus sexuell gefärbt sein kann. Das Erotische spielt eher mit Andeutungen, wobei diese wiederum durchaus – wenn auch nicht im ausschließlichen Sinne – das ziel haben können, den Betrachter sexuell zu stimulieren.

Hinsichtlich des umgangs mit Bildern, die sich der menschlichen Sexualität in un-terschiedlicher Ausprägung widmen, gab es demnach bereits im frühen 16. Jahrhun-dert eine unterscheidung zwischen zulässigen ‚erotischen‘ und unzulässigen ‚porno-graphischen‘ Darstellungen, jedoch erschloss sich diese im Gegensatz zur heutigen zeit weitestgehend aus dem narrativen Kontext. freizügige und betont sinnliche In-szenierungen wurden aller Regel nach nur so lange geduldet, wie sie eine mythologi-sche oder allegorische Verbrämung aufwiesen oder sich – allgemein gesprochen – auf Quellen texte berufen konnten, die eine solche Art der Darstellung rechtfertigten. In Italien überwiegen dabei die künstlerischen Interpretationen, die sich aus einzelnen Erzählungen der antiken Mythologie speisen, wobei die ‚Metamorphosen‘ des ovid41 als eine der am häufigsten frequentierten Quellen in diesem Kontext zu benennen sind und zum klassischen Bildungskanon sowohl der adeligen Rezipienten als auch des auf-strebenden Bürgertums gehörten.42 In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstehen dann in der südalpinen Kunst innerhalb dieses thematischen zusammenhangs vielerlei ‚erotisch‘ zu nennende Werke in Malerei, Kleinplastik und den (druck-)graphischen Künsten. Spätestens ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts finden sich zum Teil aus-gesprochen explizit und recht schablonenhaft aufgefasste Verbildlichungen von Sexua-lität, überdies jene des konkret gegebenen Geschlechtsakts, was jedoch lediglich unter

37 Vgl. hierzu aretino: Modi, S. 45; taLvacchia: Positions, S. 91 u. 93f.; Fischer: Töne, S. 99 u. S. 105; vgl. auch allgemein zum Definitions- und Differenzierungsproblem von ‚Kunst‘ und ‚Pornographie‘ und dem diesbezüglich mitunter auftretenden Problem der zensur u.a. FreeDBerG: Power, S. 345–377.

38 Vgl. FauLstich: Kultur, S. 8; hyDe: Geschichte, S. 11.39 Vgl. KenDricK: Museum, S. 31; caraBeLLi: Image, S. 110.40 Vgl. hyDe: Geschichte, S. 11f.; Brittnacher: Pornographie, S. 49.41 Vgl. oviDius naso: Metamorphosen.42 Vgl. Kat. ausst.: Pfeil, S. 10; Fischer: Töne, S. 82.

424 Barbara Katja Kemmer

Verwendung der aus der antiken Mythologie entstammenden figur des triebhaften Satyrs möglich war. Diesbezüglich schreibt Edward Lucie-Smith in seiner Studie zur Erotik in der Kunst:

Im allgemeinen [sic!] waren die europäischen Künstler des 16. Jahrhunderts noch nicht reif, sich mit der Sexualität in ihrer alltäglichen Erscheinungsform zu befassen. […] Die Renaissance hatte sich zu diesem zwecke einen Themenkatalog geschaffen, durch den erotische Gefühle ausgedrückt und gleichzeitig auf Distanz gehalten wer-den konnten.43

Neben den der Antike entliehenen Mythen göttlicher Liebschaften wurden sodann ins-besondere einzelne Episoden der biblischen Geschichte und gewisse Heiligenlegenden verbildlicht. Das Darstellen scheinbar ‚alltäglicher‘, meint nicht überhöhter Sexualität,44 war problematisch, wohingegen im Bereich legitimierter Ikonographien sexuelle of-fenheit und raue Drastik offenbar nur selten zur Erregung der Gemüter führte.45

Im Gegensatz zu den recht sinnenfreudigen Darbietungen heidnischer Mythologie in Italien speiste sich die Verbildlichung von Nacktheit und Sexualität im Norden Eu-ropas im überwiegenden Maße aus Episoden der christlichen Ikonographie und fand Ausdruck in der allegorischen Darstellung. Auch in der nordalpinen Kunst entstand eine Vielzahl künstlerischer Werke, die auf sehr direkte und schonungslose Weise Ge-schlechtlichkeit und sexuelle Ausschweifungen thematisieren. Dabei kann mitunter von – dem Wortsinn nach – durchaus ‚pornographisch‘ anmutenden Auffassungen gesprochen werden. Jedoch bestechen die Bildfindungen nordeuropäischer Künstler insbesondere durch die mehr oder minder pointierte Ambivalenz in der bildnerischen Anlage, die eine Verbindung zwischen einer erotisch aufgeladenen Sprache einerseits, moralisierenden Warnzeichen und subversiver Kritik andererseits sucht.

III. (Un-)Lust im Blick

Die Augenlust spielt bei den nun zu besprechenden Darstellungen sowohl im Sinne der concupiscentia oculorum als auch in jenem der voluptas oculorum stets eine wesent-liche Rolle. Bilder von Sinnlichkeit und Sexualität wurden, so ist anzunehmen, mitun-

43 Lucie-sMith: Erotik, S. 72; vgl. zudem GinzBurG: Tizian, S. 238.44 Man denke hierbei etwa wiederum an die in Kupfer gestochenen ‚Modi‘ des Raimondi, bei denen die

Darstellung des Geschlechtsaktes ‚einfacher‘ frauen und Männer bar mythologischer oder allegori-scher Verweise als besonders problematisch gedacht werden kann. Indes muss betont werden, dass gerade deren Erscheinen in reproduzierter form und die damit verbundene größere Öffentlichkeit und zugänglichkeit dazu geführt hat, dass der Stecher Raimondi verfolgt wurde. Thomas Hettche erzählt in seiner Bearbeitung der Sonette Aretinos, dass Giulio Romano, der den Auftrag hatte, die ‚Sala di Constantino‘ auszugestalten, sich angeblich so sehr über die schlechte Bezahlung des Papstes geärgert habe, dass er irgendwann zum Protest und eigenen Vergnügen, sechzehn Liebesstellungen auf die Wände gezeichnet habe. Diese hätten ob ihrer direkten und kühnen Ausführung einen schnellen Ruhm innerhalb des Klerus erlangt. Marcantonio Raimondi habe dann die zeichnungen Romanos von der Wand abgenommen und sie als Grundlage für seine ‚Stellungen‘ genutzt. Mag diese Anekdote auch dem Reich der Legenden entstammen, so ist doch zu konstatieren, dass eine explizite Visualisierung nicht überhöhter Sexualität im Medium der ‚öffentlichen‘ Druckgraphik sehr viel weniger geduldet wurde und größeren Restriktionen ausgesetzt war als in ‚privaten‘ Medien – wie etwa der zeichnung. Vgl. aretino: Stellungen, S. 9.

45 Vgl. Lucie-sMith: Erotik, S. 72f.; Kat. ausst.: Pfeil, S. 12.

425Augenlust versus innere Schau

ter auch aus einer solchen Motivation heraus (nämlich Lust und Neugierde am Sehen und Erkennen) geschaffen, gekauft und gesammelt.46 Dem voyeuristischen Blick, der per definitionem heimlich ist, ist hinsichtlich sinnlicher Inszenierungen eine große Be-deutung beizumessen, denn meist kann der Betrachter eines Bildes ungesehen am dar-gestellten Geschehen teilnehmen. Wird er indes in seiner Lüsternheit von einer aus dem Bild schauenden figur entdeckt, entstehen höchst interessante und aufschlussreiche Blickbeziehungen, die für die Deutung des jeweiligen Werkes von größter Wichtigkeit sind.

Wenden wir uns einigen Bildern zu, deren intendierte Aussage als moralisierend bezeichnet werden kann. Die Vermutung liegt dennoch nahe, dass genau diese morali-sche Denotation der Bilder auch eine Möglichkeit für die Künstler bot, sich in der Dar-stellung von Nacktheit und Geschlechtlichkeit nicht zurückzuhalten.47 So sind diverse Bildfindungen in der Lage, den Betrachter auf zweierlei Ebenen zu berühren: zum einen wird die erotische Sinnlichkeit zuweilen in nicht geringem Maße angesprochen, zum anderen werden aber ebenso tiefere Sinnschichten mit ins Spiel gebracht, so dass wohl gleichsam die intellektuell-geistigen fähigkeiten des betrachtenden Subjekts ‚ge-reizt‘ werden sollten und konnten.

Auf einem nach einer verlorenen zeichnung Heinrich Aldegrevers geschaffenen Kupferstich des Virgil Solis, welcher um die Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden ist, finden sich eine Vielzahl von alten und jungen Menschen (auch Kindern) unter-schiedlichen Geschlechts in einer öffentlichen Badeanstalt (Abb. 1). Diese Art der Darstellung zählt zu den zu jener zeit beliebten Badestuben-Szenen, die eine weitrei-chende Rezeption erfuhren. Die Ikonographie des profanen frauenbades ist bereits im frühen 15. Jahrhundert etabliert, wobei die Bildtradition des Bades an sich weiter zurückreicht. So finden sich beispielsweise gemeinsam Badende, aber auch die singulär gegebene ‚Bademagd‘ bereits im 14. Jahrhundert nicht nur als ‚Randfiguren‘ in der ‚pri-vaten‘ Buchillustration.48 Wie Christian opitz in seinem Beitrag zur Darstellung von Nacktheit in der profanen Wandmalerei des Mittelalters anschaulich machen konnte, waren beispielsweise frivole Badeszenen bereits zu dieser zeit ein beliebtes Ausstat-tungselement auch in höfisch-repräsentativen Räumen.49

Das druckgraphische Blatt Solis’ mag als ein moralisierender Verweis auf die zu-stände verstanden werden, die eintreten können, wenn sich Männer und frauen ge-meinsam in einem solchen Etablissement, das vornehmlich der Körperreinigung dienen soll, aufhalten.50

46 Vgl. u.a. BorGGreFe: Anatomie, S. 49f.47 Vgl. u.a. zerner: Estampe, S. 88; vgl. zudem BorGGreFe: Anatomie, S. 45, der bezüglich der christli-

chen Vanitassymbolik in den lasziven Graphiken der Gebrüder Beham schreibt, dass diese „ein dissi-mulatives Moment war, welches ihnen die Darstellung und den Käufern ihrer Blätter die Betrachtung gewagter Motive ermöglichte.“

48 Vgl. BorGGreFe: Anatomie, S. 35, der im Kontext der frühen Darstellungen von Bademägden bei-spielhaft auf die berühmten Randverzierungen in der um 1400 entstandenen ‚Wenzelsbibel‘ (heute in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien) hinweist; vgl. überdies zur Häufigkeit nackter Ba-demädchen in den Randillustrationen der Prachthandschriften, die für König Wenzel IV. geschaffen wurden, u.a. Krása: Handschriften, S. 64–113; oPitz: Imagines, S. 231; vgl. allg. zur derb-lasziven „Nacktheit am Rande“ illuminierter Handschriften u.a. sattLer: Nacktheit; caMiLLe: Manuscript.

49 Vgl. oPitz: Imagines, hier insbes. S. 235–249.50 Vgl. u.a. Kat. ausst: Lust, Textband, S. 160; BorGGreFe: Anatomie, S. 46.

426 Barbara Katja Kemmer

Abb. 1: Virgil Solis, nach Heinrich Aldegrever, Badestube, um 1540/50, Kupferstich und Radierung, 32,7 x 27,6 cm. London, The British Museum,

Department of Prints & Drawings, Inv.Nr. 1845,0809.1542.

427Augenlust versus innere Schau

ohne zweifel handelt es sich auch bei Aldegrevers origineller Schöpfung um eine bissige Satire, da beide Geschlechter im Bad versammelt sind und träge am Boden lie-gende Paare den Geschlechtsakt im Beisein von Kindern vollziehen.51

Jedoch bot sich hier zugleich die Möglichkeit, den nackten menschlichen Körper in all seiner Schönheit in den verschiedensten Haltungen und Positionen abzubilden. Die stehende, in Rückenansicht gegebene weibliche figur etwa, die einerseits auf das am Boden liegende, eng umschlungene Liebespaar verweist, andererseits dem Betrach-ter einen finsteren Blick zuwirft und ihn so seines Voyeurismus gewahr werden lässt, bietet dabei selbst ihr prächtiges Gesäß und ihren Rücken dem Blickenden vor dem Bild dar. In der Komposition werden zwar sinnliche Verlockungen und Begegnungen thematisiert, aber auch die Verkehrung des Lustvollen wird durch figuren, die sich in Teilen von dem Geschehen abwenden, und dem mahnenden fingerzeig der den Rezi-pienten anblickenden frau vor Augen geführt. Indes mag man Borggrefe zustimmen, der die Invention Aldegrevers als ernst gemeinte Kritik gegenüber gottlosem Verhalten beschreibt.52 folgerichtig betont er in seinen Ausführungen die Bedeutung der Gruppe, die sich auf der Treppe im Hintergrund befindet, und welche im Begriff ist, den Raum zu verlassen. Wobei hier besonders die sich über die Brüstung lehnende frau, deren Haupt von einem Schleier bedeckt wird, ins Auge fällt. Wiederum ist es der fingerzeig einer frau, der unsere Aufmerksamkeit fordert:

Sie weist auf einen älteren Mann, der am Rande des Geschehens neben dem Reuenden verweilt. Er macht einen teilnahmslosen Eindruck, als distanziere er sich gottgefällig von dem libertinen Tun. Wohl deshalb preist ihn die fromme Anführerin der Entflie-henden. Auffällig hängt über dem Mann das Monogramm Aldegrevers. So mag man annehmen, dass der Künstler sich hier selbst meint. Über dem Monogramm hängt wiederum ein leeres Bild im Rahmen. Vermutlich drückt es die Abwesenheit eines Gottesbildes aus und beschreibt damit das Bad als einen gottlosen ort.53

Der Kupferstich des Hans Sebald Beham setzt das Thema der Badestube hingegen völ-lig anders in Szene. Das Blatt ‚Drei frauen in der Badestube‘ aus dem Jahre 1548 er-öffnet dem Betrachter den Blick in ein frauenbad (Abb. 2). Den dargestellten frauen scheint es indessen nicht primär um das Reinigen ihrer Körper zu gehen, was unter anderem an den unbenutzten, auf Boden und Podest liegenden Schwämmen und dem an den Bildrand gerückten Badebottich zu erkennen ist, in den die kräftige frau in der Mitte ihr linkes Bein gestellt hat. Die geschickte Positionierung dieser figur durch den Künstler erlaubt den direkten Blick auf ihre Schamspalte. Sie interessiert sich indessen vielmehr für die jüngere frau zu ihrer Rechten, welche sie lüstern lächelnd betrachtet, wobei sie mit ihrer linken Hand deren Geschlecht berührt und ‚kitzelt‘ – was der um-worbenen Dame augenscheinlich gefällt. Denn diese reckt ihren prallen Hintern der sie Berührenden entgegen und gibt durch ihre Beinstellung den zugang zu ihrer Scham frei. Ihre laszive Haltung, der erhobene linke Arm und das linke angehobene Bein ge-ben zudem die Sicht auf ihren gesamten Körper für den Betrachter frei. Ihr Blick und ihr verschmitztes Lächeln machen zugleich deutlich, dass sie sich ihrer sexuellen Aus-

51 BorGGreFe: Anatomie, S. 46.52 Vgl. BorGGreFe: Anatomie, S. 46.53 BorGGreFe: Anatomie, S. 46.

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strahlung und erotischen Wirkung bewusst ist. Die im Hintergrund dargestellte frau, die ihre Hände auf die Schultern der vor ihr Sitzenden gelegt und sich vorgebeugt hat, verfolgt das lüsterne Tun der beiden anderen mit interessiertem Blick.

Die frauen werden bei Beham als grob und schamlos charakterisiert. Bar jeglicher Überhöhung setzt der Künstler weibliche Nacktheit und Sexualität auf profanste Weise

Abb. 2: Sebald Beham, Drei frauen in der Badestube, 1548, Kupferstich, 76 x 54 mm. London, The British Museum,

Department of Prints & Drawings, Inv.Nr. 1853,0709.78.

429Augenlust versus innere Schau

ins Bild, wobei die Betonung der Triebhaftigkeit und Verderbtheit der figuren durch die Visualisierung gleichgeschlechtlicher Handlungen noch zusätzlich gesteigert wird. Der Gedanke, entsprechenden Bildfindungen eine ‚pornographische‘ Sprache und viel-leicht gar eine derart intendierte Wirkung zu unterstellen, ist alles andere als abwe-gig. Bedenkt man jedoch die Verurteilung der fleischlichen Begierde – in Anblick und Ausführung – zur zeit der Entstehung des Werks kann auch dieses Blatt, welches das verbotene Schauen (auch bildimmanent mehrfach) thematisiert, zu einem selbstreflek-tierten Problembewusstsein beim Betrachter geführt haben. Im Anschauen des Blattes und Erkennen der Sündhaftigkeit des Dargestellten mag der voyeuristische Blick, der sich selbst erkennt, (s)eine Verkehrung erfahren haben. Der Blick nach außen muss sich abwenden und nach innen gelenkt werden: Augenlust versus innere Schau.

Die Wertung des lasziv-lüsternen Blicks, der sowohl durch die frauen als auch den Rezipienten verkörpert wird, verstärkt sich durch die antithetische Gegenüberstellung mit dem Blick des Säuglings, dessen Gesicht den Brüsten der links stehenden frau zugewandt ist.54 Das Schauen als generelle sinnliche Erfahrung trifft hier auf ein Schau-en, das der durch die Augen vermittelten Lustgewinnung dienlich ist. Die moralische Verwerflichkeit des menschlichen Verhaltens und deren Aburteilung schwingen, wenn auch auf abstrakte Weise, deutlich mit. Gerade aber die betont sexualisierte Sprache dieser Invention ist die eigentliche Krux solcher Darstellungen: das lustorientierte Se-hen wird intendiert, inszeniert und gewissermaßen ‚bedient‘, aber es soll gleichsam kri-tisch hinterfragt werden. Auf die Hingabe erfolgt die Distanzierung: der lüsterne Blick wird negiert und findet seine Verkehrung.

Neben der Darstellung von ‚Alltagssituationen‘ in Bade-, Bordell- und Bauern-szenen, die sexuelles Treiben auf scheinbar ‚realistische‘ Weise schildern, fällt die häu-fige Überschneidung ‚hoher‘ und ‚niedriger‘ Inhalte auf dem Weg zur Entwicklung ei-ner eigenständigen Genrekunst besonders ins Gewicht. Dies ist sowohl durch erotisch aufgeladene Interpretationen tradierter Episoden aus der christlichen Ikonographie als auch anhand der Vielzahl von Allegorien, die auf christliche Inhalte verweisen, nach-vollziehbar. Die betonte fokussierung und Hervorhebung einzelner Aspekte bekann-ter Geschichten kann so zur umdrehung des ursprünglichen Sinngehalts führen.

Genrehaftes Darstellen soll im folgenden nicht ausschließlich in der form ver-standen werden, dass lediglich alltäglich anmutende Gegebenheiten ins Bild gesetzt werden. Es soll in diesem Kontext eben gerade die teils erheblich profane Vorstellung menschlicher Handlungen in Verbindung mit ikonographischen Traditionen, die von den Künstlern aufgenommen, uminterpretiert, weiterentwickelt und miteinander ver-woben wurden, Beachtung finden. Müller kann in diesem zusammenhang allgemein beigepflichtet werden, wenn er (zwar aus einem anderen Blickwinkel) von einer cha-rakteristischen Niedrigkeit der Genremalerei spricht, die er in Bezug auf Erasmus’

54 Der Bezug des Kindes zur frau und die Betonung der (nährenden) Brüste durch den Blick des Säug-lings erinnern ikonographisch an Darstellungen der Caritas. Diese kleine Gruppe gedanklich mit dem Sinnbild der Nächstenliebe in Verbindung zu bringen, die gleich der Gottesliebe entzündet werden soll, ließe die fleischlichen Begierden der frauen – mittels der Kontrastierung zwischen ‚hoher‘ und ‚niedriger‘ respektive ‚wahrer‘ und ‚falscher‘ Liebe – noch verderbter erscheinen. Gerade auch weil die idealiter ‚nährende‘ frau sich viel mehr für ihre sinnlich-sexuellen Bedürfnisse und jene ihrer Gespie-linnen als für das Kind an ihrer Seite interessiert.

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‚Adagium Sileni Alcibiadis‘ als „silenische Poetik“ verstanden wissen will.55 Denn die Genremalerei „will dem Rezipienten den Hochmut nehmen, sodass er sich am Ende seiner Überlegenheit beraubt sieht.“56 Gerade auch im Bereich der Darstellung von Körperlichkeit und Sexualität wird der Mensch als unvollkommen, fehlerhaft und ba-nal definiert. In diesem Sinne entwirft die frühe Genrekunst eine Art Gegenmodell zum kulturell gedachten Ideal, welches das Groteske und Profane hervorhebt und vor Augen stellt – und so dem Menschen einen Spiegel vorhält.57 Bereits frühe Verbild-lichungen innerhalb dieses zusammenhangs können vielfach als eine Art Sittenbild verstanden werden, was jedoch nicht meint, dass ein distinguierter Blick auf einzelne soziale Gruppen oder beschriebene Phänomene gerichtet wird, der eine Überlegenheit implizierte. Vielmehr sollten die Bilder als ein (teils augenzwinkernder) Verweis auf dem Menschen innewohnende Eigenschaften und Triebe interpretiert werden.

In einem 1530 datierten Kupferstich schuf Lucas van Leyden (Abb. 3) eine In-terpretation der biblischen Erzählung um die zerstörung der Stadt Sodom und die Errettung von Lot und seinen beiden Töchtern (Gen 19, 1–38).58 Der Künstler deutet in seinem Blatt die Vernichtung der sündigen Stadt, vor der Lot mit seiner familie fliehen konnte, nur noch im Hintergrund an. oskar Bätschmann wies darauf hin, dass die ikonographische Vereinigung des untergangs von Sodom und der flucht Lots mit dem zeitlich späteren Inzest erstmals um 1500 durch den Meister PW ins Bild gesetzt wurde.59

Das Motiv der zusammenfügung scheint auf der Hand zu liegen. In einer nicht gebun-denen Darstellung ist eine Gruppe von zwei frauen mit einem Mann ohne das Kenn-zeichen der brennenden Städte nicht als Lot und seine Töchter identifizierbar. Sie würde sich von der Darstellung profaner Buhlschaften nicht unterscheiden lassen.60

In seiner Besprechung zu bildnerischen Themen des ‚Braunschweiger Monogrammis-ten‘ wies Becker zudem auf eine ausgeprägte und bezeichnende Spannung früher Gen-reszenen hin, die zwischen Vorder- und Hintergrund deutlich wahrnehmbar und von entscheidender Bedeutung für die Interpretation sei.61 Diese Beobachtung kann für die Komposition van Leydens fruchtbar gemacht werden, da die beschriebene Gegensätz-lichkeit in der Komposition des Bildraums die noch zu analysierenden inhaltlichen Spannungen in ihrer Wichtigkeit besonders betont. Das Hauptaugenmerk des Blattes

55 Vgl. MüLLer: Bauer, S. 79.56 MüLLer: Bauer, S. 79.57 Vgl. Münch: Körper, S. 73, die in diesem Kontext auf den russischen Philosophen und Literaturthe-

oretiker Michail Bachtin und dessen grundlegende Schrift ‚Rabelais und seine Welt‘ verweist, der „im Gegensatz zu früheren Konzeptionen, die das Groteske in die Nähe des Absurden und fantastischen rücken, gerade für die zeit nach 1500 von einem ‚grotesken Realismus‘ [spricht], der das Marginali-sierte wieder ins zentrum des Geschehens rückt: ‚Der klassische Realismus stellt die Wirklichkeit dar, wie sie den Normen einer kulturellen ordnung zufolge sein sollte, der groteske Realismus zeigt die Wirklichkeit, wie sie trotz dieser ordnung existiert.‘“

58 Vgl. allg. zu Visualisierung und Deutung der Lot-Geschichte u.a. siLver/sMith: Knowledge, S. 255; ties: Lot; BätschMann: Lot.

59 Vgl. BätschMann: Lot, S. 167 u. Abb. 8: Meister PW, Lot und seine Töchter, Kupferstich, um 1500, Wien, Albertina.

60 BätschMann: Lot, S. 167.61 Vgl. BecKer: Puff, S. 23 u. S. 27.

431Augenlust versus innere Schau

liegt auf der im Vordergrund gegebenen Verführung des Vaters durch seine Töchter, die diesen mit reichlich Wein gefügig machen. Das brennende Sodom, die fliehenden figu-ren und die zur Salzsäule erstarrte frau Lots, die sich entgegen der Anweisung nach der verlassenen Stadt umgedreht hatte, helfen dabei, die laszive Szene mit der biblischen Historie in Verbindung zu bringen und die spezifische Art der Darstellung zu legiti-mieren. Die Komposition betont dabei nicht die eigentliche Intention der beiden Töch-ter, nämlich durch den inzestuösen Verkehr mit ihrem Vater das Überleben des eigenen Stammes zu sichern, sondern den sexuellen Akt an sich, der mittels der weiblichen Verführungskräfte und der berauschenden Wirkung des Alkohols herbeigeführt wird. Van Leydens Stich kann im Kontext der zeitgenössisch heftig geführten Diskussionen um die sogenannte ‚Weibermacht‘ verstanden werden. Er definiert in diesem kontextu-ellen Rahmen die durch die frauen symbolisierte Sexualität als listig und sündhaft und den verführten Mann als töricht.62 Überdies wird Lot als aktiver Part der unzüchtigen Handlung geschildert, was in der biblischen Erzählung so nicht angelegt ist.

62 Vgl. zur Diskussion um die gefürchtete ‚Weibermacht‘ u.a. MüLLer: Naturwesen, S. 47f. u. S. 56; Kat. ausst.: Lust; BreitLinG: Eros, S. 184; BracKert: Sexualisierung; ties: Lot, insbes. S. 190–201.

Abb. 3: Lucas van Leyden, Lot und seine Töchter, 1530, Kupferstich, 18,9 x 24,3 cm. London, The British Museum, Department of Prints & Drawings, Inv.Nr. 1846,0425.5.

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Die betonte Akzentverschiebung innerhalb der künstlerischen Interpretation hin zur körperlichen Verführung verkehrt demnach den eigentlichen Sinngehalt der Überlieferung, die eine göttliche Rettungsmaßnahme beschreibt, bei der die einzig Tugendhaften inmitten einer sündhaften, dem untergang geweihten umgebung, be-freit werden. Die Auslegung van Leydens besticht durch ein irritierendes Moment: Die Lüsternheit und Verderbtheit der Geretteten wird im Gegensatz zur biblischen Erzählung betont. für die Rezeption bedeutet dies, dass sich der Betrachter im Anblick dieser Interpretation konkret mit fragen um Schuld, Gnade und Erlösung konfrontiert sieht.63 Spricht die bei van Leyden besonders pointierte Schilderung der unzucht des gerechten Lot und seiner beiden Töchter nicht für die Sündhaftigkeit und Niederträch-tigkeit des Menschengeschlechts an sich?

Durch den Blick derjenigen Tochter, die bereits auf dem Schoß des Vaters Platz genommen hat, wird der Rezipient pikanterweise direkt angesprochen, was den mora-lischen Apell des Blattes noch verstärkt. Er wird sich durch diese Einbeziehung seines voyeuristischen Verhaltens bewusst, was ihn auf die frage nach der eigenen Sinn- und Sittlichkeit zurückwirft. Aber nicht nur die voluptas oculorum wird in der biblischen Episode thematisiert, sondern auch die concupiscentia oculorum, die erkenntnisgeleite-te Neugierde an sich: In der figur der zur Salzsäule erstarrten frau Lots manifestiert sich der Gedanke des verbotenen Sehens, welches auf dem Willen zum Wissen beruht. Sie brach das Gebot, sich nicht nach der brennenden Stadt umzudrehen – und sie wur-de dafür bestraft. Man mag sich hier an den Sündenfall erinnern, denn auch Eva wider-setzte sich dem göttlichen Willen und aß vom Baum der Erkenntnis. Neugierde und Wissensdrang, die gewissermaßen aus einem individualistisch verstandenen Interesse des Menschen hervorgehen, werden dem Willen Gottes sinnhaft entgegen gesetzt – und als sündhaft definiert.

Mittels der inhaltlichen Verschiebung und der äußerst frivolen Schilderung dieses Sujets durch van Leyden vermögen das Liederliche und das Niedrige des menschlichen Tuns besonders grell hervorzutreten. Das Profane im Verhalten, welches zur Kritik gestellt wird, findet eine besondere Betonung und eröffnet vielfache Deutungsräume. Die bildimmanente Ambivalenz nebst der bewussten Einbeziehung des Betrachters vor dem Bild, der zur eigenen Positionierung angehalten wird, zeichnet dieses Werk aus. Mithilfe eines sinnlich-verführerischen Vokabulars wird das Auge des Betrachters gelockt und bei näherem Hinsehen sogleich irritiert. Das ‚Problem‘ derartiger visueller Präsentationen wird deutlich: Der Künstler bedient sich einer ausgesprochen sexuali-sierten Bildsprache, gerade um die Verruchtheit und Gottlosigkeit der gezeigten Per-sonen real erfahrbar zu machen und um den Blick des Betrachters einerseits zu locken, andererseits aber abzustoßen.

Vergleicht man die Verführungsszene van Leydens mit der Darstellung eines Stell-dicheins in einem frühen Beispiel der Genremalerei des häufig mit dem Notnamen ‚Braunschweiger Monogrammist‘ bezeichneten niederländischen Künstlers, der mitt-lerweile mehrheitlich mit dem in Amsterdam geborenen Maler Jan van Amstel gleich-gesetzt wird,64 erkennt man trotz differenter Kontexte deutliche Verknüpfungen. Das

63 Vgl. BätschMann: Lot, S. 178–180.64 Vgl. hierzu etwa den Beitrag von Jürgen Müller in diesem Band.

433Augenlust versus innere Schau

sogenannte ‚Paar hinter dem Kornfeld‘65 zeigt im Vordergrund das Treffen eines Lie-bespaares, das sich von dem im Bildhintergrund dargestellten Dorf und einer Pilger-gruppe entfernt hat, um sich in der Nähe des Waldes gemeinsamer sexueller freuden hinzugeben.66 Das Handeln von frau und Mann macht in der Kontrastierung zu jenem der Pilgerschar deutlich, dass das Pärchen den Bedürfnissen des vergänglichen Körpers eine größere Wichtigkeit beimisst als den Nöten der ewigen Seele. So unterschiedlich die beiden Bildbeispiele im Detail auch sein mögen, so treffen sie sich an diesem ent-scheidenden Punkt: Begehrlichkeit und Wollust werden mit Sittenlosigkeit und Got-tesabkehr gleichgesetzt.

Der Mensch verhält sich in der Hingabe an sexuelle Begierden jedoch nicht nur höchst sündhaft, sondern auch irrational und ‚närrisch‘. Das Ausgeliefertsein an die sexuelle Sinnenlust bedeutet, dass der Mensch seine ihm innewohnenden körperlichen Triebe nicht zu zügeln vermag. Die unkontrollierte Affektgebundenheit beispielswei-se der volkstümlichen figur des Narren, der im Kontext der Visualisierung sexueller Lüsternheit in Mittelalter und früher Neuzeit eine vielfache Darstellung findet, steht dabei in größtmöglichem Gegensatz zur herrschenden Moral, in welcher der Geist den Körper beherrschen und die Handlungen des Menschen idealiter leiten soll. Die Kraft des Verstandes soll alles Körperliche, das als niedrig definiert wird, unterwerfen.

Das winzige graphische Blatt ‚Ein Narr im frauenbad‘ von Hans Sebald Beham aus dem Jahre 1541 zeigt den umstand der Tollheit in Liebesdingen auf besonders einpräg-same Weise (Abb. 4). Der Künstler spielt hier auf die Triebhaftigkeit des Mannes an, die ihn, wenn er ihr nachgibt und dem lockenden Weib verfällt, zum sprichwörtlichen Narren macht. Im falle einer Hingabe macht sich der Mann zum opfer der berüchtig-ten ‚Weibermacht‘. Die Szene des Blattes ist wohl in einem Bordell angesiedelt, worauf der mit Blumen bedeckte Tisch, der Weinkühler und der überdachte Badezuber hin-weisen. Der männliche Protagonist, der mit typischer Kappe und entblößtem Genital als Narr im Bild vorgestellt wird, versucht sich aus den fängen der beiden an ihm zer-renden nackten frauen zu befreien. Denn augenscheinlich hat er es sich anders überlegt und möchte den lüsternen Weibern doch lieber entfliehen. Aber das dürfte ihm nicht mehr gelingen: Die hinter ihm stehende frau hat die Arme um seinen oberkörper ge-schlungen und hält ihn fest umklammert. Die sich im Badebottich befindende Nackte zerrt derweil an seinem Rock, um ihn gänzlich zu entkleiden. Überdies zieht sie kräftig an dem zipfel seiner Narrenkappe, was als ein Gestus der Macht interpretiert werden kann, denn sie wird sich nun nicht mehr mit dem sinnbildlich zu verstehenden zipfel zufrieden geben. Sich dieser Tatsache bewusst werdend, richtet der närrische Lüstling

65 Jan van Amstel (Braunschweiger Monogrammist)‚ Paar hinter Kornfeld, 2. Viertel des 16. Jahrhun-derts, Öl auf Holz, 21 x 28 cm, Braunschweig, Herzog Anton ulrich-Museum, Abb. 1, in: BecKer: Puff, S. 22.

66 BecKer: Puff, S. 24, verweist in diesem zusammenhang auf die vermehrte Produktion von Bildern in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die Liebespaare zeigen, die außerhalb eines Dorfes an Weges- und Waldrändern (quasi fern der zivilisierten ordnung) die Einsamkeit suchen, um sich Dingen hinzu-geben, die besser unentdeckt bleiben sollten. Dies wird gestützt durch die große zahl an überlieferten Werken aus sehr unterschiedlichen ikonographischen Traditionen, die Paare bei heimlichen Treffen zeigen. Man denke beispielsweise in diesem Kontext an Verbildlichungen ‚ungleicher Paare‘ (auch in Verbindung mit den figuren des Todes und des Narren) und zum Thema ‚Mönch und Nonne‘, worin sowohl gesellschafts- als auch glaubenskritische züge in teils harscher form zum Tragen kommen. Vgl. allg. zum Thema der ‚ungleichen Paare‘ stewart: Lovers.

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entsetzt und flehend den Blick aus dem Bild nach außen zum Betrachter und warnt diesen so, es ihm auf keinen fall gleich zu tun. Der Rezipient wird wiederum direkt in seiner Schaulust angesprochen und wird so unmittelbar in das Bildgeschehen invol-viert. Lasterhaftigkeit und ‚Närrisch-Sein‘ werden dem Betrachter nicht nur im Bild gezeigt, er muss sich selbst als lasterhaft und närrisch erkennen.

Die figur des Narren kann in lasziv-genrehaften Bildern eine ähnliche Verwendung finden wie der Bauer oder die mythologische Gestalt des antiken Satyrs. Die Satyrn der italienischen Renaissance standen dabei den antiken Prototypen indes näher als jene des Nordens. Dort dominierte die Vorstellung des Satyrs im Kreise seiner fami-lie.67 Die nordische Idealisierung des Satyrs im familienverband war durch das Vor-stellungsmuster des ‚Wilden Mannes‘ respektive der ‚Wilden Leute‘ vorbereitet und verband sich mit diesem.68 Er fand überdies aber auch eine häufige Verwendung als ‚stiller Kommentator‘ in moralisierenden Werken, in denen er durch seine ihm zuge-schriebene Triebhaftigkeit das dargestellte Thema als anstößig und sündhaft definiert, wie dies etwa in dem 1531 entstandenen Holzschnitt ‚Der Jungbrunnen‘69 des Sebald

67 Vgl. KauFMann: Savage, S. XX.68 Siehe zum Thema des ‚Wilden Mannes‘ und der ‚Wilden Leute‘ die grundlegende Studie von Bernhei-

Mer: Man; vgl. zudem white: forms; Kat. ausst.: Man.69 Hans Sebald Beham, Jungbrunnen, 1531, Holzschnitt, 37 x 108,3 cm, Dresden, Staatliche Kunstsamm-

lungen, Kupferstich-Kabinett, Inv.Nr. A 3016.

Abb. 4: Sebald Beham, Ein Narr mit zwei badenden frauen, 1541, Kupferstich, 4,5 x 7,0 cm. London, The British Museum, Department of Prints & Drawings, Inv.Nr. 1883,1110.485.

435Augenlust versus innere Schau

Beham der fall ist.70 Narr, Satyr und ähnlich konnotierte Gestalten, die allesamt außer-halb der etablierten menschlich-zivilisierten ordnung zu verorten sind, können so dem Betrachter sinnbildlich zu verstehen geben, dass das Bildgeschehen als ‚triebgeleitet‘, ‚animalisch‘ und/oder ‚närrisch‘ aufgefasst werden muss.

IV. Ambivalenz und Rezeption

Die explizite Verbildlichung der ‚nackten‘ menschlichen Geschlechtlichkeit und Sexua-lität findet sich in genrehaften Bildwerken höchst selten. Der sexuelle Akt an sich wird zwar thematisiert, aber die Geschlechtsorgane werden in ihrer Aktivität nicht betont. Die Darbietung von Nacktheit hingegen ist auch derartigen Bildfindungen überhaupt nicht fremd und wird mit vielfältigen ikonographischen Bezügen und in teils betont se-xualisierter Sprache ins Bild gesetzt. Einer fokussiert genussorientierten Schaulust wird dabei allerdings meist nicht gedient, vielmehr findet sich die Irritation des lüsternen Blicks, dessen Negierung und Verkehrung.

Die hier beispielhaft besprochenen Bilder leben insbesondere von der bereits in ih-nen angelegten Doppeldeutigkeit, die als Verweis auf die im Betrachter selbst wirkende Ambivalenz angesehen werden kann.71 Vielschichtige Darstellungen ließen mehrere formen der Rezeption zu: Sie vermochten sowohl auf der geistigen als auch auf der rein sinnlichen Ebene zu berühren. Die neugierige Augenlust wurde indes stets ‚be-dient‘, ob das bildimmanente Geschehen nun als verwerflich oder sinnlich anregend empfunden werden sollte. Durch die Irritation, welche nordalpine Bildfindungen in Verbindung mit negativ bewerteten figuren (wie etwa Narr und Bauer) oder mittels ikonographischer zusammenhänge (wie Verderbnis und Tod) hervorrufen konnten, musste diese Schaulust jedoch gleichsam kritisch in frage gestellt werden.

Die lasziv-genrehaften Bildfindungen dienten dabei sicherlich nicht primär der Darstellung geheimer Wünsche mit dem ziel der Stimulanz, jedoch führen auch diese beispielhaft eigentlich ‚undenkbares‘ vor Augen und stellen es damit zur Diskussion. Die vielfach zu beobachtende Rohheit in der Inszenierung wollüstigen Verhaltens ver-stärkt den – mehr oder minder impliziten – moralischen Mahnruf noch zusätzlich. Eine solche Hervorhebung eines als niedrig definierten Verhaltens betont die Anfälligkeit des Menschen für sündhaftes Handeln und zeichnet diesen mittels eines ‚Realismus‘, der mehr der Beschreibung des ‚allzu Menschlichen‘ als der Erfüllung eines gedachten Ideals verpflichtet ist.

Die concupiscentia oculorum des Rezipienten, die als konstitutiv vorausgesetzt wer-den kann, wird nicht selten entlarvt, wodurch dieser direkt mit der eigenen Laster-haftigkeit konfrontiert und seiner Doppelmoral gewahr wird, die ihn denken ließ, er sei tugendhafter als die in den Bildern dargestellten Lüstlinge. Durch die direkte Ein-beziehung verschwimmen die Grenzen zwischen Bild- und Wahrnehmungsraum und gleichsam die Grenzen zwischen Bildgeschehen und Seherlebnis. Die Lust am Schauen,

70 Vgl. Münch: Körper, S. 73, die zu Recht darauf hinweist, dass der sitzende Satyr auf dem Brunnen des Beham-Stichs die gleiche funktion erfüllt wie der Narr an gleicher Stelle im 1525 entstandenen ‚Jungbrunnen‘ von Erhard Schön (Holzschnitt, 47 x 36,7 cm, Museen der Stadt Nürnberg, Graphische Sammlung, Inv.Nr. H 7653).

71 Vgl. hierzu u.a. siLver/sMith: Knowledge, S. 267f.; ties: Lot, S. 219–221.

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die den Betrachter dazu anregt, sich ein Bild anzusehen, kann sich in der konkreten Betrachtung durchaus in ihr Gegenteil – die unlust – verkehren. So appellieren die Bilder an einen klugen und verstehenden Blick, der sich der (auch eigenen) Narrheiten bewusst werden kann. Das postulierte Ideal ist ein handelndes Wesen, das sich den dem Menschen immanenten irrationalen Trieben zu erwehren weiß. Darin steckt sowohl eine Aufforderung zur kritischen Selbstreflexion als auch zur geistig-intellektuellen Besinnung.

Bildliche Vorstellungen wollüstigen Treibens werden dabei – abstrakt oder kon-kret – in kausalen zusammenhang zur Auffassung gebracht, dass sinnliche Begierde durch die Begehrlichkeit der Augen entsteht. Die Schaulust galt dem gläubigen Chris-ten als weltzugewandt und wurde der göttlichen Schau konträr entgegengestellt. Dies scheint gerade bezüglich der zunehmenden Bedeutung des Gesichtssinns in der frühen Neuzeit von größter Wichtigkeit zu sein, welche in unserem Kontext speziell in Ver-bindung mit der Möglichkeit der massenhaften Verbreitung von Bildmaterial durch die Entwicklung druckgraphischer Reproduktionsverfahren zu bedenken ist. Dieser umstand ermöglichte der breiten Bevölkerung zugang zu Schrift und Bild, was die generelle Skepsis gegenüber der – im doppelten Wortsinn – neugierigen Begehrlichkeit der Augen derart gesteigert haben dürfte, dass über die gefürchtete Wirkmacht der Bilder vielfach verhandelt wurde.72 Es ist davon auszugehen, dass dem zeitgenössischen Betrachter die Implikationen seiner Schaulust bekannt waren und dieser somit wusste, dass er sich in der Beschäftigung mit lasziven Bildwerken sündhaft verhielt.

Die Künstler bedienten das Sehbedürfnis eines stetig wachsenden Marktes, der se-hen wollte, was zuvor nicht gesehen werden konnte. und es ist davon auszugehen, dass sie diesen auf sehr unterschiedliche Weise ‚fütterten‘ und der Schaulust auf vielfältigen Rezeptionsebenen dienten.73 Die künstlerischen Inventionen, welche die Augenlust bedienen, sind in einer zeit, in der sowohl der Erkenntnis suchende Blick als auch der nach Lustgewinn strebende, negativ beurteilt werden, durchaus als subversiv zu bezeichnen, da sie die bestehenden Auffassungen bezüglich dessen, was gezeigt und ge-sehen werden soll, in und durch ihre(n) Werke(n) übertreten und in frage stellen. Hin-sichtlich der Intention stehen derartig zu verstehende Kunstwerke den Bestrebungen des italienischen Dichters Aretino in nichts nach, denn sie stellen genau das vor Augen, was diese am meisten begehren, aber am wenigstens sehen und erkennen sollen. Da-bei trugen die Bilder selbstredend einen wesentlichen Teil dazu bei, dass sich ein viel-schichtiger Diskurs formieren und etablieren konnte – sowohl über die concupiscentia oculorum, die sich im Bild selbst und im neugierigen Blick des Betrachters offenbart, als auch über die concupiscentia carnis, die im Anblick sinnlich-sexueller Inszenierungen zu entstehen vermag.

72 Vgl. zur Diskussion um die sprichwörtliche ‚Macht der Bilder‘ (insbesondere auch in der folge der Etablierung der mechanischen Druckverfahren) u.a. FreeDBerG: Power, S. 354, S. 358 u. S. 361; FinD-Len: Humanismus, S. 50–52 u. S. 103; taLvacchia: Positions, S. 45 u. S. 47; hunt: obszönität, S. 10 u. S. 28; GinzBurG: Tizian, S. 234–237, S. 239 u. S. 254.

73 Vgl. hierzu u.a. Matthews Grieco: Satyrs.

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Bildnachweise

Abb. 1: © Trustees of the British Museum.Abb. 2: © Trustees of the British Museum.Abb. 3: © Trustees of the British Museum.Abb. 4: © Trustees of the British Museum.

Quellen und Literatur

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eLias, norBert: Über den Prozeß der zivilisation. Soziogenetische und psychogeneti-sche untersuchungen, Bd. 2: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der zi-

439Augenlust versus innere Schau

vilisation, 13. Auflage, frankfurt a.M. 1988 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 159). [= Prozeß II]

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440 Barbara Katja Kemmer

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Münch, BirGit uLriKe: Der Körper des Narren zwischen Triebhaftigkeit und Entgrenzung. Konzepte von Verkehrung, skatologischer Sexualität und Vulgarität zur zeit der Behams, in: Kat. ausst. Die gottlosen Maler von Nürnberg. Konvention und Subversion in der Druckgrafik der Beham-Brüder, hg. v. jürGen MüLLer/thoMas schauerte, Albrecht-Dü-rer-Haus Nürnberg, Emsdetten 2011, S. 64–76. [= Körper]

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441Augenlust versus innere Schau

oLBrich, haraLD (Hg.): Lexikon der Kunst, Bd. 4, Leipzig 1992. [= Lexikon]oPitz, christian niKoLaus: Imagines provocativas ad libidinem? Der nackte (frauen-)Körper

der profanen Wandmalerei des späten Mittelalters, in: steFan BiessenecKer (Hg.): „und sie erkannten, dass sie nackt waren.“ Nacktheit im Mittelalter, Ergebnisse einer interdiszi-plinären Tagung des zentrums für Mittelalterstudien der otto-friedrich-universität Bam-berg, 3.–4. November 2006, Bamberg 2008 (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien 1), S. 211–268. [= Imagines]

PranGe, Peter: Von feigenblättern und anderen Verhüllungen. Nachrichten aus Moralopolis, in: Kat. ausst. Das feige(n)blatt, bearb. v. Peter PranGe/raiMunD wünsche, Glyptothek München, München 2000, S. 65–119. [= Nachrichten]

reininGer, MoniKa/KeiL, GunDoLF: Wollust, in: norBert anGerMann u.a. (Hg.): Lexikon des Mittelalters, Bd. 9, München 1998, Sp. 323f. [= Wollust]

sattLer, veroniKa: Nacktheit am Rande. Die Darstellung von Nacktheit in der gotischen Mar-ginalillustration, in: steFan BiessenecKer (Hg.): „und sie erkannten, dass sie nackt wa-ren.“ Nacktheit im Mittelalter, Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung des zentrums für Mittelalterstudien der otto-friedrich-universität Bamberg, 3.–4. November 2006, Bamberg 2008 (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien 1), S. 185–210. [= Nacktheit]

schaDe, siGriD: zur Genese des voyeuristischen Blicks. Das Erotische in den Hexenbildern Hans Baldungs Griens, in: corDuLa BischoFF u.a. (Hgg.): frauen, Kunst, Geschichte. zur Kor-rektur des herrschenden Blicks, Gießen 1985 (Kunstwissenschaftliche untersuchungen des ulmer Vereins, Verband für Kunst- und Kulturwissenschaften 13), S. 98–110. [= Genese]

seitz, ManFreD: Askese, in: GerharD Krause (Hg.): Theologische Realenzyklopädie, Bd. 4, Berlin u.a. 1979, S. 195–259. [= Askese]

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sPrinGer, Peter: Voyeurismus in der Kunst, Berlin 2008. [= Voyeurismus]staDLer, uLrich: Schaulust und Voyeurismus: Ein Abgrenzungsversuch. Mit einer Skizze zur

Geschichte des verpönten Blicks in Literatur und Kunst, in: uLrich staDLer/KarL waG-ner (Hgg.): Schaulust. Heimliche und verpönte Blicke in Literatur und Kunst, München 2005, S. 9–37. [= Schaulust]

staGi, PierFrancesco: Der faktische Gott. Selbstwelt und religiöse Erfahrung beim jungen Hei-degger, Diss. phil., Würzburg 2007. [= Gott]

stewart, aLison G.: unequal Lovers. A Study of unequal Couples in Northern Art, New York 1977. [= Lovers]

taLvacchia, Bette: Taking Positions. on the Erotic in Renaissance Culture, Princeton 1999. [= Positions]

taLvacchia, Bette: Classical Paradigms and Renaissance Antiquarianism in Giulio Romano’s ‚i modi“, in: I Tatti Studies 7 (1997), S. 81–118. [= Paradigms]

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442 Barbara Katja Kemmer

wieMers, MichaeL: Der Kardinal und die Weibermacht. Sebald Beham bemalt eine Tischplat-te für Albrecht von Brandenburg, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch. Jahrbuch für Kunstge-schichte 63 (2002), S. 217–236. [= Kardinal]

zerner, henry: L’Estampe érotique au Temps de Titien, in : Tiziano e Venezia. Convegno Inter-nazionale di Studi (Venedig 1976), Vicenza 1980, S. 85–90. [= Estampe]

Kurzbiografien

Dr. Peter Bell ist WIN-Kollegiat der Heidelberger Akademie der Wissenschaften mit dem Projekt ‚Künstliches und künstlerisches Sehen. Computer Vision und Kunstge-schichte in methodisch-praktischer zusammenarbeit‘. Von 2011 bis 2013 war er Post-doktorand der Computer Vision Gruppe an der Ruprecht-Karls-universität Heidel-berg im Heidelberg Collaboratory for Image Processing (HCI). Seine Promotion an der Philipps-universität Marburg und im kunsthistorischen Teilprojekt ‚ordnungen der Bilder. Repräsentation von fremdheit und Armut in Kunst und visueller Kultur in Italien (13.–16. Jahrhundert)‘ des SfB 600 ‚fremdheit und Armut‘ widmete sich wie auch seine Herausgeberschaften fragen der visuellen Repräsentation des fremden in Spätmittelalter und früher Neuzeit (fremde in der Stadt, frankfurt a.M. u.a. 2010; Die andere familie, ebd. 2013).

Prof. Dr. Ulrike Heinrichs bekleidet die universitätsprofessur für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der universität Paderborn. In ihrer forschung befasst sie sich, un-ter Berücksichtigung stilgeschichtlicher, historisch anthropologischer und rezeptions-ästhetischer fragestellungen, mit der Skulptur des hohen und späten Mittelalters sowie der Malerei und Graphik des Mittelalters und der Renaissance. Jüngere Publikationen: ‚Kennzeichen des Komischen in Dürers zeichnungen zur Basler Terenz-Edition: zur Transponierung von spätantik-mittelalterlichen Mustern der Komödienillustration in einem humanistischen Buchprojekt‘ (erschienen in: Menschenbilder. Beiträge zur alt-deutschen Kunst, hg. v. Andreas Tacke/Stefan Heinz, Petersberg 2011) oder ‚Martin Schongauer: Maler und Kupferstecher. Kunst und Wissenschaft unter dem Primat des Sehens‘ (München 2007).

Dr. Christopher P. Heuer is Assistant Professor in the Department of Art & Archa-eology at Princeton university, where he also serves on the Executive Board of the Interdisciplinary Doctoral Program in the Humanities. A specialist in early modern art, theory, and criticism, he is the author of‘The City Rehearsed’ (New York and ox-ford 2009), and co-author of ‘Vision and Communism’ (New York 2011). He remains a continuing participant in ‘our Literal Speed’.

Dr. Bertram Kaschek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für mittlere und neuere Kunstgeschichte an der Technischen universität Dresden. forschungs-schwerpunkte sind die niederländische und deutsche Kunst der frühen Neuzeit sowie fotografie. Jüngere Publikationen: Kanon und Kritik. Konkurrierende Körperbilder in Italien und den Niederlanden [zus. mit Jessica Buskirk], in: Jenseits der Geltung. Konkurrierende Transzendenzbehauptungen von der Antike bis zur Gegenwart, hg. v. Stephan Dreischer u.a., Berlin 2013, S. 103–126; Von der freiheit der Bilder. Spott, Kri-tik und Subversion in der Kunst der Dürerzeit, hg. zus. mit Thomas Schauerte & Jür-

444 Kurzbiografien

gen Müller, Petersberg 2013; Weltzeit und Endzeit. Die ‚Monatsbilder‘ Pieter Bruegels d.ä., München 2012; Bilder machen. fotografie als Praxis, hg. zus. mit Jürgen Müller & Wilfried Wiegand, Dresden 2010.

Dr M A Katritzky is Barbara Wilkes Research fellow in Theatre Studies in the English Department of The open university, Milton Keynes, uK, specializing in early modern English and comparative literature and drama, with particular attention to Shakespeare Studies, Book History, Literature and Medicine, and Transnational Performance Cul-ture. Recent books include: Healing, performance and ceremony in the writings of three early modern physicians: Hippolytus Guarinonius and the brothers felix and Thomas Platter (Ashgate 2012); Women, medicine and theatre 1500–1750: literary mountebanks and performing quacks (Ashgate 2007); The Art of commedia: a study in the commedia dell’arte 1560–1620 with special reference to the visual records (Rodopi 2006), and, co-authored with colleagues in The open university English Department, The Handbook to Literary Research (Routledge 2010).

Barbara Katja Kemmer M.A., Studium der Kunstgeschichte, Soziologie und Ethno-logie (vormals der Pädagogik) an der universität Trier. Daneben Tätigkeit u.a. in der Graphischen Sammlung des kunstgeschichtlichen Instituts in Trier. In diesem Kon-text Mitarbeit an Konzeption und Realisation von Ausstellungen – einschließlich der begleitenden Kataloge – zur Reproduktionsgraphik. Magistra Artium 2011 mit einer Arbeit zur Verbildlichung von sexueller Lust und Leidenschaft in der Kunst der frü-hen Neuzeit. Von September 2011 bis Juni 2013 Mitarbeit im Rahmen des von der DfG geförderten forschungsprojekts ‚Edition der zunftordnungen für Maler bis um 1800: Quellen zur Künstlersozialgeschichte aus den Archiven der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz‘ der Trierer Arbeitsstelle für Künstlerso-zialgeschichte (TAK). Seit Sommer 2012 Promotion zum Thema der Visualisierung künstlerischer Ausbildung in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts.

Dr. Justus Lange ist Leiter der Gemäldegalerie Alte Meister in Kassel. In seinen Pub-likationen beschäftigt er sich vorwiegend mit der Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts, sammlungsgeschichtlichen fragen sowie dem Wechselverhältnis von Malerei und Li-teratur im 20. Jahrhundert (z.B. Dostojewski, Rilke, Raabe). Kuratierte Ausstellungen (Auswahl): Die Erfindung der Welt – Martin Schaffners bemalte Tischplatte von 1533, Staatliche Museen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister, 2002; Pan und Syrinx – Eine erotische Jagd. Peter Paul Rubens, Jan Brueghel und ihre zeitgenossen, Staatliche Mu-seen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister/Städelsches Kunstinstitut, frankfurt a.M., 2004; Dialoge. Barocke Meisterwerke aus Darmstadt zu Gast in Kassel, Museumsland-schaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alter Meister 2011; Lichtgefüge. Das Licht im zeitalter von Rembrandt und Vermeer, Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemälde-galerie Alte Meister 2011/12; Jordaens und die Antike, Museum fridericianum 2013.

PD Dr. Stefan Matter ist Stipendiat des Schweizerischen Nationalfonds und forscht und lehrt derzeit am Deutschen Seminar der universität Tübingen. Seine forschungs-schwerpunkte umfassen die deutschsprachige Literatur des Hoch- und Spätmittelal-

445Kurzbiografien

ters, Text-Bild-Beziehungen im deutschsprachigen Mittelalter wie auch in der Roman-tik, festkultur und deutschsprachige Gebetbuchliteratur. zuletzt erschien von ihm: Minne – Spiel – Gespräch. Überlegungen zu einer Minne-Gesprächskultur des späte-ren Mittelalters ausgehend vom ‚Nürnberger Spieleteppich‘, in: Der ‚Nürnberger Spie-leteppich‘ im Kontext profaner Wanddekoration um 1400. Beiträge des internationalen Symposions am 30. und 31. oktober 2008 im Germanischen Nationalmuseum, hg. von Jutta zander-Seidel (Wissenschaftliche Beibände zum Anzeiger des Germanischen Na-tionalmuseums 29), Nürnberg 2010, S. 75–89; Reden von der Minne. untersuchungen zu Spielformen literarischer Bildung zwischen verbaler und visueller Vergegenwärti-gung anhand von Minnereden und Minnebildern des deutschsprachigen Spätmittelal-ters, Tübingen/Basel 2013 (Bibliotheca Germanica 59).

Jan-David Mentzel M.A. ist seit 2011 Mitarbeiter im Teilprojekt E ‚Das subversive Bild‘ im SfB 804 ‚Transzendenz und Gemeinsinn‘ an der Technischen universität Dresden. Er studierte Kunstgeschichte und Philosophie in Dresden und florenz. Sei-ne forschungen konzentrieren sich auf die Entstehung der Genrekunst in der frühen Neuzeit in Nordeuropa. Einen besonderen Schwerpunkt stellen in diesem zusammen-hang fragen zu Akt- und Badedarstellungen dar. In diesem Bereich liegen bisher drei Aufsätze vor. Hier entsteht auch seine Promotion.

Mitchell B. Merback is Associate Professor of the History of Art at the Johns Hopkins university in Baltimore. Specializing in northern European Art of the later Middle Ages, Renaissance and Reformation, he is the author of: Pilgrimage and Pogrom. Vio-lence, Memory and Visual Culture at the Host-Miracle Shrines of Germany and Aust-ria (university of Chicago Press, 2013); The Thief, the Cross and the Wheel: Pain and the Spectacle of Punishment in Medieval and Renaissance Europe (Reaktion Books, 1999), and numerous articles. He is also the editor of Beyond the Yellow Badge: Anti-Judaism and Antisemitism in Medieval and Early Modern Visual Culture (Brill, 2008).

Prof. Dr. Jürgen Müller holds the Chair in Medieval and Early Modern Art History at the Technical university Dresden. After studying in Bochum, Münster, Amster-dam, Pisa, and Paris, he received his Ph.D. in 1991. He served as a visiting professor at universities in Germany and france, and was appointed the Rudolf Wittkower Pro-fessorship at the Bibliotheca Hertziana in Rome in 2006. His main field of interest is Northern European art of the early modern period. He has published widely on Dürer, Holbein, Bruegel and Rembrandt, including two books, Concordia Pragensis. Karel van Manders Kunsttheorie im Schilder-Boeck (1993) and Das Paradox als Bildform: Studien zur Ikonologie Pieter Bruegels d. ä. (1999). His other field of interest is the history of photography and film, and he is the editor of a popular series published by Taschen on the history of movies.

Dr. Birgit Ulrike Münch is assistant professor at Trier university, Department of Art History. She specialises in Northern Art 1500–1800, social history of the artist, His-tory of Prints, Dynamics and Transformations of Iconography from Late Medieval to Early Modern Art, Confessionalization and Art, and secular imagery of the 15th–17th

446 Kurzbiografien

century. Recent books and (co-)editions include: Die Klage des Künstlers/The Artist’s Lament (Petersberg 2015), Prize formation on Pre-modern Art Markets (Petersberg 2014, in print), fälschung, Plagiat, Kopie. Künstlerische Praktiken in der Vormoderne (Petersberg 2014), Jacob Jordaens: A Genius of Grand Scale (Stuttgart 2012); Künst-lergrabmäler (Petersberg 2011) and a volume on printed series of the Passion of Christ in the Era of Confessional Clashes: Geteiltes Leid. Die Passion Christi in Bildern und Texten der Konfessionalisierung. Von der Reformation bis zu den jesuitischen Groß-projekten um 1600 (PhD 2007, published Regensburg 2009).

Dr. Thomas Schauerte ist Kunsthistoriker und leitet seit 2009 das Albrecht-Dürer-Haus und die Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg. Er wurde 1999 mit einer Arbeit zur ‚Ehrenpforte Kaiser Maximilians I.‘ an der freien universität Berlin promoviert. forschungsschwerpunkt sind Kunst und Humanismus im 15. und 16. Jahrhundert, vor allem mit Bezug zu Albrecht Dürer. Daneben umfasst seine Publikationsliste aber auch Themen von der Karolingerzeit bis zur Romantik. Neuere Publikationen sind: Sehn-sucht Nürnberg. Die Entdeckung der Stadt als Reiseziel in der frühromantik (Ausstel-lungskatalog, Nürnberg 2011); Von der freiheit der Bilder (Tagungsband, Petersberg 2013) und die Biographie ‚Dürer. Das ferne Genie‘ (Stuttgart 2012).

Maike Schmidt M.A. ist Doktorandenstipendiatin am Historisch-Kulturwissenschaft-lichen forschungszentrum (HKfz) Trier. Ihr Dissertationsvorhaben nimmt die text-lichen und ikonographischen Wissenskodifikationen der Großwildjagd im spätmittel-alterlichen und frühneuzeitlichen frankreich in den Blick. Ihre Arbeitsschwerpunkte belaufen sich auf die Wissensgeschichte und Mentalitätengeschichte der abendländi-schen Vormoderne unter besonderer Berücksichtigung der adeligen Handlungskultu-ren frankreichs sowie historischen formen von Performanz und Performativität.

Wolf Seiter M.A. ist Kunsthistoriker aus Dresden. Seine forschungsschwerpunk-te sind die nordalpine Bauerngrafik und Sprichwortbilder des 16. Jahrhunderts, die Strategien zur Vermittlung subversiver Inhalte durch Kunst sowie die filmtheorie und Werke Maya Derens. Aktuell publizierte Beiträge sind: ‚Bauernfest und Bauernkrieg. Überlegungen zur Ikonografie von Sebald Behams ‚Großer Kirchweih‘ von 1535‘, im Katalog zur Ausstellung ‚Die gottlosen Maler von Nürnberg‘ (Emsdetten 2011) und ‚Geschick und Schicklichkeit. Sebald Beham in den Quellen und kunstgeschichtlichen Werken vor 1900‘, im Tagungsband im Rahmen der Nürnberger Dürer-Vorträge 2011 ‚Von der freiheit der Bilder. Spott, Kritik und Subversion in der Kunst der Dürerzeit‘ (Petersberg 2013).

Prof. Dr. Harald Wolter-von dem Knesebeck hat die Professur für Kunstgeschich-te mit besonderer Berücksichtigung des Mittelalters an der universität Bonn inne. Er ist spezialisiert auf die mittelalterliche Buch- und Wandmalerei, zu der er seine Habi-litationsschrift ‚Bilder für wirt, wirtin und gast. Studien zur profanen Wandmalerei 1200–1500‘ [Druck in Vorbereitung] verfasst hat, arbeitet aber auch im Bereich der mit-telalterlichen Schatzkunst und des Bronzegusses sowie der christlichen Ikonographie.

orts- und Personenregister

Aachen 106, 120, 461Adolf II 204, 234, 234 (93), Tafel 14van Aelst, Coecke 32Aertsen, Pieter 7, 34 (47), 35, 37, 116, 376

(48), 381, 381 (65)Agricola, Johannes 158 f., 162, 170Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius

256Alberti, Leon Battista 10, 16 (3), 204, 372,

379–382, 380 (55) (57), 383 (67), 385f., 385 (74)

Albrecht von Brandenburg 281, 304, 327, 416Albrecht III. 210 (27)Albrecht VI. 343Aldebrandino da Siena 276Aldegrever, Heinrich 35, 404 (49), 406 (53),

425, 427Alexander der Große 81, 209–211, 230, Tafel

15Alkmaar 109, 113Altdorfer, Albrecht 297 (1), 315 (9), 404 (47)Althorp 142Meister Altswert 345Amboise 176 (2)Amman, Jost 140, 153Van Amstel, Jan 7, 15–19, 21–24, 27, 30, 3–35,

37–45, 65 (73), 66, 359(2), 430, 432f.Amsterdam 18, 63, 109, 143, 202, 432, 445Andlau 274Andreas Capellanus 343Antelami, Benedetto 132Antiplikos 5Antwerpen/Antwerp 11, 19, 30 (37), 33, 39,

99, 110, 114, 116, 235, 359–361, 365, 367, 369, 375f., 381 (61), 384, 401 (35)

Apelles 258 f.Aretino, Pietro 421–424 (44), 436Arhardt, Johann Jakob 103Ariosto, Ludovico 422Arles 130Augsburg 133, 135, 151f., 154, 160–163, 165,

168, 207, 210 (27), 345, 348f., 409Augustinus, Aurelius 6, 18f. (14), 90, 220,

233, 407, 417f.Averroës 212Avio 276 (20)Bachtin, Michail 430 (57)von Baldass, Ludwig 61Baldramsdorf 127Bamberg 127, 393 (7)Banderolenmeister 337, 339, 347Bandrollenmeister 57, 400Bantzer, Carl 74Bartholomäus Anglicus 233Basel 101, 281 (35), 285 (41), 342, 348, 379Behaim, Michel 281Behaim, Paul III. 393Beham, Barthel 30 (37), 398 (28)Beham, Hans Sebald 9, 21, 23f., 30 (37), 32,

65, 66 (75), 70f., 88f., 88 (27), 91f., 140, 142, 159 (14), 165, 169, 313f., 316, 327, 330, 365f., 391, 391 (3), 393, 394 (10), 395f., 399–441, 403f., 406f., 409f., 416f., 425 (47), 427f., 433–435, 446

Benediktbeuren 130Bening, Simon 66 (76)Berchem, Nicolaes Pietersz. 64Bergamo 327Berlin 15, 17, 27, 29f., 32, 44, 53, 235, 297,

301, 307, 310, 317, 327, 330, 393 (7)Bertrand, Didier 196Binck, Jakob 406, 410 (63)da Biragio, Giovanni Pietro 374met de Bles, Herri 7f.Bodeker, Stephan 227Boleyn, Anne 175, 194Bologna 422Bonn 316 (11), 446ter Borch, Gerard 267van der Borcht, Pieter 30, 126, 135, 137,

139f., 145, 253, 315, 327Bosch, Hieronymus 8, 27, 32, 53, 61, 73, 118,

118 (57), 126Boston 248, 250Both, Andries 134Bourges 270f.

448 orts- und Personenregister

Brandenburg an der Havel 227–230, 237, 281Brant, Sebastian 25, 213, 276 (16), 281, 316,

326, 330, 348, 350Braunschweig 320Braunschweiger Monogrammist [= Jan vanAmstel]Bremen 142da Brescia, Antonio 361 (9)Breu d.ä., Jörg 152, 161f., 168Breu d.J., Jörg 151–159, 162, 164–169, 365Brixen 269Brouwer, Adriaen 64, 134Bruegel d.ä., Pieter 7f., 30 (37), 32, 55, 61,

81f., 86, 88, 91f., 115f., 117f., 126, 135, 137, 247, 253, 256f., 262, 281, 285 (43), 368 (21), 444

Bruegel, Jan 114, 117Brueghel d.J., Pieter 260Brügge 235Brüssel 81, 221, 231, 368f., 371, 378, 382 (66).

383Buchloe 161 (21)Budé, Guillaume 177 (5), 180, 183f., 189Bullinger, Heinrich 323Buonarotti, Michelangelo 32–34, 39–42,

360f., 366Burckhardt, Jacob 92, 182Burgkmair, HansBuys d.ä., Cornelis 109Calliano 281 (32)Callot, Jacques 208, 262 (25)Cambridge 401 (35)Caraglio, Jacopo 396 (22)da Caravaggio, Michelangelo Merisi 134de Caulery, Louis 143Celtis, Conrad 404Chantilly 127Charles V. 100Charles de Valois 184Chateau de Villeneuve 51Chicago 285 (41)Christoph von Bayern 207Chur 210 (30)Claesz., Allaert (= Monogrammist AC) 406Clemen, Paul 53Clemens VII. 422Clerk, John 176 (2), 182 (21)van Cleve, Joos 365, 375f.Clowes, William 125

de Corbechon, Jean 233Cranach, Lucas 34Cuyp, Aelbert Jacobsz. 64Dareios III. 209Demaison, Maurice 51Dente, Marco 360Deventer 117Diderot, Denis 3Diemar, Jörg 165Dijon 231Dircksz., Jacob 109 (36)Dresden 34 (47), 134, 165 (35), 443, 445f.Droochsloot, Joost Cornelisz. 119Dryander, Johann 140Duccio di Buoninsegna 127Dunstan von Canterbury 128Dura Europos 126Dürer, Albrecht 27 (29), 33 (46), 140, 297,

305, 308, 310f., 391 (3), 384, 402f., 409, 446

Dürer d.ä., Albrecht 302, 305von Eberstein, Johann 400Eiselein, Joseph 68, 75Elias, Norbert 201, 217, 234, 416 (4), 421 (30)Elisabeth von Thüringen / Elizabeth of

Thuringia 103Endingen 289 (46)Eppan 269, 289 (46), 350Erasmus von Rotterdam, Desiderius 5 (12),

11, 17, 19f., 27, 38, 43–45, 70, 156–159 (12), 162, 384 (71), 403, 429

Erlangen 305, 309, Tafel 23 Evelyn, John 142van Eyck, Jan 127, 384, 401, 403, 403 (35)facius, Bartholomäus 401, 411ferrarius, Johannes 84de ferrière, Henri 188f.ficino, Marsilio 20 (21)fischart, Johann 329f.florenz 57, 134, 445floris, frans 7flötner, Peter 321, 395 (20)folz, Hans 342, 345 (26)fontainebleau 184 (27), 360, 375du fouilloux, Jacques 189franck, Sebastian 158f.francken, frans I. 99, 119, 119 (62)francken, frans II. 99, 119, 120 (62)francken, Hieronymus II. 99, 120 (62)

449orts- und Personenregister

franckert, Hans 8franco, Giacomo 144frankfurt a.M. 17, 27, 30, 30 (36), 33, 153 (5),

394 (10), 443f., Tafel 3franz I. 180, 184, 184 (25, 27, 30), 185f., 189franz von Assisi/francis of Assisi 103freiburg im Üechtland 112 frey, Agnes 300frey, Hans 300–302, 304f., 308, 310, Tafel 23friedländer, Max 54, 61, 109friedrich II. 182, 182 (19)friedrich III. 201, 204, 216, 311 (39)fries, Hans 112f.froschauer, Christoph 84, 86fugger, Andreas 349 (41)Galle, Philips 115Gard 130Geiler von Kaysersberg, Johannes 165, Tafel

12Gengenbach, Pamphilus 342Georg von Lichtenstein 276 (29)Gent 235Giampietrino 372, 376Glasgow 137Glockendon, Nikolaus 92Glück, Gustav 53, 82, 91Giberti, Gian Matteo 422van der Goes, Hugo 70 (85)Goltzius, Hendrick 141 (66)Gombrich, Ernst 54, 54 (17)Gossaert, Jan 11, 32f., 32 (41), 43Gotha 234, 322 (36)Gottfried von Straßburg 176 (3)de Goya y Lucientes, francisco José 208Graf d.ä., urs 25, 27 (29), 33Gréban, Arnoul 133Grenier, Pasquier 53, 56 (30)Grien, Hans Baldung 317, 325–327, 329, 398

(28), 410, 410 (64)Guillaume de Lorris 225Gutknecht, Jörg 133van Haecht, Willem 401 (35)Hamburg 82Hartlieb, Johannes 209, 210 (27), 343Hätzlerin, Clara 345, 349Hartford 369f., 369 (24), 372, 378f., 381, 383f.Hausbuchmeister (Meister des AmsterdamerKabinetts) 201f., 234f., 299 (10)van Heemskerck, Maarten 361

Heidelberg 34 (47), 234, 443Heinrich II. 184 (25)Heinrich VIII. 175‒177, 176 (2) (4), 181, 194f.Heinrich von Langenstein 400Heintz d.ä., Joseph 144Heldt, Sigmudt 142van Hemessen, Caterina 365 (13)van Hemessen, Gillis 365 (13)van Hemessen, Hanse 365 (13)van Hemessen, Jan 359–361, 363–365, 365

(13), 367–370, 368 (20) (21), 371 (33), 372, 374f., 365 (43), 376, 379–386, 379 (50) (52), 380 (55), 381 (60) (61), 382 (66), 384 (71), 386 (76), Tafel 28–30

Herbst, Hans 313, 316, 330Herlin, Martin 317Hermannus Alemannus 212van der Heyden, Pieter 82, 135, 285 (43)Hilliard, Nicholas 140, 141 (66)Holbein, Hans 313f., 321f., 386 (76), 445van Honthorst, Gerrit 134de Hooch, Pieter 59Hopfer, Daniel 57, 57 (34)Horatius flaccus, Quintus 218Hugo von Sankt Viktor 226, 228, 229, 238Hus, Johannes 81, 92von Hutten, ulrich 83, 84 (15)Huys, frans 30Ingeborg von Dänemark 127Innsbruck 129, 290Jean de Meung 225Jerusalem 126, 137Johann der Gute 231Johann von Soest 234Julius II. 10Kapfenberg 279 (26)Karl der Kühne (der I.) 203f., 208, 210f., 233,

235Karl V. 100, 220, 223, 231, 233–235, 237Karl VI. 184, 221, 231Karl VIII. 184 (25), 185Karl IX. 180 (15), 189Karlsruhe 369f., 369 (24), 372, 378, 382 (66),

383–386, 398 (28)Kassel 317, 319, 444Kempten 88Kinkel, Gottfried 313–317, 327Kleopatra 81, 92,Konrad von Megenberg 225

450 orts- und Personenregister

Konstantin der Große 126f., 424 (44)Konstanz 133, 280Kopenhagen/Copenhagen 137Krug, Ludwig 304, 311, 311 (39)van Laer, Pieter 134de Lairesse, Gérard 3, 3 (2), 63Lais von Korinth 11, 386 (76)Lascaux 179 (10)van Lathem, Lieven 235Lehmann, Christoph 68, 75Leinberger, Hans 56f.Leonardo da Vinci 360, 372, 374–376, 379,

384–386, 415 (2)van Leyden, Lucas 38, 51, 59, 61–64, 66–69,

114, 126, 139–142, 144f., 247f., 251, 253, 260–262, 430–432

Lichtenstein 276 (20), 352Liebermann, Max 54Limoges 129Linnich 107Liss, Johann 142–144Lissabon 361London 51, 82, 127 (11), 137, 142, 143 (73),

299f., 308, 422Los Angeles 209, 233, 235Lübeck 270de Lucena, Vasco 477 (Tafel 15), 209Ludwig VII. 210Ludwig X. 161Luther, Martin 38, 71, 81, 83, 90, 107f., 163,

168, 321, 367, 370Macropedius, Georgius 370Madrid 134Magnasco, Alessandro 256Maienfeld 269, 272, Mainz 204, 243, 327, 400, 476 (Tafel 14)Mair von Landshut 25van Mander, Karel 7f., 61, 64, 70, 141, 253,

445Mandijn, Jan 137Mannheim, Karl 58Manuel, Niklaus 416Marburg 74, 400, 443de la Marck, Robert III. 185Maria von Burgund 235Martin von Tours 103Massys, Quinten 365, 375, 381 (61)Mauss, Marcel 97Maximilian I. 182, 216, 235, 297 (1), 446

van Meckenem, Israel 5, 303 (27), 337, 339 (6), 346f., 348

Meister der Genrebilder 202Meister der Krönung Karls VI. 221Meister der Wäldchen (= Meister des Jean deSy) 220Meister der Weibermacht (lediglich Bildun-

terschrift S. 350)Meister E.S. 209337, 339, 341, 347Meister PW 430Meister von Alkmaar 108 (30), 110, 112f.Meister von Waltensburg 272 (13)Meister W 303 (27)Memling, Hans 113Modena 130Molenaer, Jan Miense 64, 134de Momper, Joos 247Monogrammist AC (=Allaert Claesz.) 406Monogrammist AP 21, 22, 23, 27, 32, 44Monogrammist BR 299 (10)Monogrammist bxg 299 (10)Monogrammist fVB 299 (10)Monogrammist ie 299 (10)Monogrammist HSD 67Monogrammist SE 57 Monogrammist W 208Monogrammist WA 303 (27)Moos 269, 285 (40), 289, (46), 350Moskau 308München 54, 57, 210 (27), 396Murner, Thomas 71, 74, 342Murtola, Caspare 256Nassau 204, 234, 476 (Tafel 14)Neapel/Naples 127Nelli, Nicolo 140, 142Neudorffer, Johann 300Neumarkt 330 (62)Neuss 201, 204, 237New York 57, 127, 189, 197, 292, 293, 379 Niederhaslach 106Nördlingen 107Nürnberg/Nuremberg 9, 11, 21, 30 (37), 86,

106, 159 (14), 165 (35), 169, 297, 299–302, 304f., 311, 348, 393, 395f., 404, 406, 445f.

von oresme, Nikolaus 220, 222f., 225, 235–237

d’orleans, Raoulet 220van orley, Bernard 32ortelius, Abraham 258

451orts- und Personenregister

orthez 188von ostade, Adriaen 64ostermiething 269, 278–280, 283, 290otmar, Hans 165ovidius Naso, Publius 82, 92oxford 233Padua 138, 302–308, 310Panofsky, Erwin 58, 403 (43)Paris 51, 53, 74, 140, 184 (27), 189, 221, 225

(64), 231, 233, 301 (17), 316, 372, 445 Parma 103 (13)Patinir, Joachim 8, 114Pavia 185f.Peiraikos IX, 5Pencz, Georg 86Perikles 81de la Perriere, Guillaume 39(56)Petersburg 251Petrarca, francesco 114, 116, 122Philadelphia 139Philipp der Aufrichtige 234Philipp der Gute 56Philipp der Kühne 188f.Philippos 210f.Philostratos, flavius (4(6), 12)Phoebus, Gaston 177 (5), 180, 182 (22), 183,

186, 188–193, 195f.de Piles, Roger 63Pirckheimer, Willibald 27(29), 304, 310, 395

(20)Plato 19, 256, 419Plinius Secundus Maior, Gaius IX, 4, 16 (3),

256, 258Pompeji 423Poquelin, Jean-Baptiste (= Moliere) 135Potter, Paulus 64Prag/Prague 134Quintilianus, Marcus fabius 42 (59)Raber, Vigil 129, 133, 137Raimondi, Marcantonio 40, 365, 396 (22),

404, 410 (63), 411, 421f., 424 (44)Raffael (Raffaello Santi) 32–34, 43, 360, 365Raoul de Presles 233Reichenau 127Reiners, Gese 329Reiners, Reinhard 329René I. (von Anjou) 207, 238René II. 237Rem, Wilhelm 160

Reuwich, Erhard 235 (94)Riehl, Berthold 54Rieter, Crescentia 304, 310van Rijn, Rembrandt 97, 99 (3), 120, 134,

444f.Rivius, Gualtherus Hermenius/Walter 8f.Rizzoli, Giovanni Pietro (= Giampietrino)Roggenburger, Jörg 349Rolin, Nicolas 52f.Romano, Giulio 126, 137, 145, 422, 424 (44)Rombouts, Theodoor 134Rost, Kirchherr zu Sarnen, Heinrich 276Rotterdam 115, 403Rouen 220Rubens, Peter Paul 65 (73), 401 (35), 444Rufus, Quintus Curtius 209–211, 235Runkelstein 289Sabundus, Raimundus 117Sachs, Hans 135, 140, 233, 281, 342, 370 (29), San Cugat del Valles 132von Sandrart, Joachim 61Scannelli, francesco 134Schaffner, Martin 313, 317, 319–327, 329f.,

444Schan, Jörg 83, 86Schaufelein, Hans 107Schedel, Hartmann 227–230Schmalkalden 269, 285Schnaase, Carl 54Schön, Erhard 281, 341, 435 (70)Schongauer, Martin 5, 208, 299 (10), 443Schultes, Lorenz 409van Scorel, Jan 363 (12)Sebott, Catharina 317Sedlmayr, Hans 19, 91Seel, otto 166Sender, Clemens 161Siegburg 127 (10)Siena 127, 220, 227, 276Simrock, Karl S. 75 und 68 (82) Sysigambis 209, 477 (Tafel 15)Sokrates 19f., 42 (59)Solis, Virgil 65, 425 Spranger, Bartholomäus 7Springinklee, Hans 409St. Gallen 127St. Petersburg 251, 252Stedelin, Erasmus 319, 321, 324, 329, 487

(Tafel 25)

452 orts- und Personenregister

Stedelin, Christoff 321Steen, Jan 59, 120Steinwert von Soest, Johann (=Johann von

Soest)Sterzing 129, 137Stockholm 253Straßburg 165, 176 (3), 313, 316f., 319, 321,

323, 329f.Straßburger Meister 323Susa 209, 477 (Tafel 15)Sus von Kulmbach, Hans 400Tallin 137Tarsos 210Taubenprunner, Arnold 278f., 279 (26), 290Tegernsee 133Telgte 128Teniers, David 119Timanthes 16 (3)tom Ring d.J., Ludger 329Tournai 53Tours 130Trient 276 (20)Trier IX, 71 (90), 100, 125 (1), 128, 330, 415

(1), 444–446Twici, William 186 (36)von uhde, fritz 54ulm 313, 321ulrich von Lichtenstein 352, uta von Niedermünster 132utrecht 235 (95), 406Valla, Giorgio 212Vasari, Giorgio 62, 140f., 142 (68), 360Vatikan(stadt) 42 van de Velde, Adriaen 64 (69)Vellert, Dirck 33Venedig/Venice 27 (29), 138, 143f., 422Veneziano, Agostino 39

Vergil 92Vic(h) 129Vinzenz von Beauvais 226 (67), 230Vischer, friedrich Theodor 61, 81, 92Vogtherr, Heinrich d.ä. 135Vöge, Wilhelm 53de Volder, Willem (= Gnaphaeus, Gulielmus)

367Vorsterman, Willem 369 (26)Voynich, Wilfrid Michael 71–74Vrancx, Sebastian 99, 119de Vries, Hans Vredeman 8, 59Wager, Emmeram 107Walther, Marx 207, 348f.Walther von der Vogelweide 70Warburg 278 (24)Warburg, Aby 51–59, 61, 73f., 91Warschau/Warsaw 116Weber, Max 321Wenzel IV. 425 (48)Weigel, Martin 153Weiskircher, Margarethe 234Werner II. von Palant-Breitenbend 106f.Wesel 302Westheimer, Bartholomäus 379van der Weyden, Rogier 365, 384Wien/Vienna 91,118 (57), 134, 425 (48)Wiesbaden 327, 400Wilhelm von Bayern 162Wittenberg 81Wolfegg 199, 203, 290Wolfenbüttel 125 (1)Wolfgang von Bayern 207Wolsey, Thomas 176 (2), 182 (21)Xenophon 179 (10)zatti, Battista 422zürich 272 (12), 285, 313, 316, 323, 329

farbtafeln

Tafel 1

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International Conference

BOORS, BAGNIOS AND BROTHELSMapping the birth of genre painting before 1550

BAUERN, BÄDER und BORDELLE Die Genese der Genremalerei bis 1550

Organizers Jürgen Müller Dresden; Birgit Ulrike Münch Trier

Speakers Peter Bell Heidelberg; Jessica Buskirk Dresden / Berkeley; Ulrike Heinrichs Paderborn; Christopher P. Heuer Princeton; Matthijs Ilsink s´Hertogenbosch; Bertram Kaschek Dresden; M. A. Katritzky Milton Keynes / Oxford; Barbara Kemmer Trier; Harald Wolter-von dem Knesebeck Bonn; Justus Lange Kassel; Stefan Matter Fribourg; Jan-David Mentzel Dresden; Mitchell B. Merback Baltimore; Jürgen Müller Dresden; Birgit Ulrike Münch Trier; Thomas Schauerte Nürnberg; Maike Schmidt Trier; Thijs Weststeijn Amsterdam

October, 4-6 2012Universität Trier, Campus II / Kapelle, K 101

Conference of the HKFZ, University of Trier (Art History), in cooperation with the Technical University of Dresden (Art History and SFB 804)

International Conference

Boors, bagnios and brothels? Mapping the birth of genre painting before 1550Bauern, Bäder und Bordelle? Die Genese der Genremalerei bis 1550

Speakers Referentinnen und ReferentenPeter Bell Heidelberg; Jessica Buskirk Dresden / Berkeley; Ulrike Heinrichs Paderborn, Christopher P. Heuer Princeton; Matthijs Ilsink S´Hertogenbosch; Bertram Kaschek Dresden; M. A. Katritzky Milton Keynes / Oxford; Barbara Kemmer Trier; Wolter von dem Knesebeck Bonn; Justus Lange Kassel; Stefan Matter Fribourg; Jan-David Menzel Dresden; Mitchell B. Merback Baltimore; Thomas Schauerte Nürnberg; Maike Schmidt Trier; Thijs West-steijn Amsterdam

Concept KonzeptionProf. Dr. Jürgen Müller (Kunstgeschichte Technische Universität Dresden)Dr. Birgit Ulrike Münch (Kunstgeschichte, Universität Trier)

October, 4th - 6th 2012 Universität Trier - Campus IIKapelle, K 101

Tagung des HFZFs in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte und dem SFB 804 "Transzendenz und Gemeinsinn" der TU Dresden

Abb. 1: Plakat zur Tagung ‚Boors, Bagnios and Brothels. Mapping the birth of genre painting before 1550‘/Bauern, Bäder und Bordelle. Die Genese der Genremalerei bis 1550‘ in Trier. Gestaltung Johanna Hochrein.

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Tafel 4

Abb. 11: Jan van Amstel, Liebespaar im Kornfeld, um 1535, Öl auf Holz, 20,5 x 28 cm. Braunschweig, Herzog Anton ulrich-Museum.

Abb. 2: Anonym (Tournai?), Les Bûcherons aux Armes des Rolins, drittes Viertel des 15. Jh., Tapisserie aus Wolle und Seide, 6 Knoten pro cm², 320 x 510 cm. Paris, Musée des Arts Décoratifs.

Tafel 5

Abb. 1: Pieter Bruegel d.ä. (umkreis), Landschaft mit dem Sturz des Ikarus, 1560er Jahre, Öl auf Leinwand, 73,5 x 112 cm. Brüssel, Musee des-Beaux Arts.

Abb. 2: Detail aus Abb. 1.

Tafel 6

fig. 5: Works of Mercy and Poor Soul’s Mass, central panel from nave window (north IV), c.1360. St. florentius, Niederhaslach, Alsace.

Tafel 7

fig. 6: Master of the Palant Altar, Angels and Members of the von Palant family Assisting the Armeseelen, c.1425, tempera on oak, 82 x 45.5 cm.

Aachen, Suermondt-Ludwig-Museum.

Tafel 8

fig. 7: Hans Schäufelein, Man of Sorrows and Works of Mercy, 1522, wood panel, 140 x 135 cm. Nördlingen, Stadtmuseum.

Tafel 9

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Tafel 10

fig. 7: Hieronymus Bosch, The Haywain, c.1516, oil on wood (detail: The toothdrawer). Madrid, Prado.

fig. 9: Giulio Romano, The Snake Charmer,

c.1528, ceiling fresco. Mantua, Palazzo del Tè.

Tafel 11

fig. 10: Jan Mandijn (manner of), Christ driving the traders from the Temple, c.1550s, oil on panel (detail: The toothdrawer). Private Collection, London art market 2009.

Tafel 12

Abb. 2: Hans Burgkmair, zubereitung eines Hasen, Holzschnitt aus Johannes Geiler von Kaysersbergs ‚Das Buch Granatapfel‘, Augsburg 1510, fol. Aai verso.

Tafel 13

Abb. 1: Anonym, Cy devise comment on doit escorcher le cerf et le depecer, Livre de la chasse des Gaston Phébus, um 1407. Paris, Bnf (français 616, fol. 70r).

Tafel 14

Abb. 3: Meister des Pontifikales des Erzbischofs von Mainz, Adolfs II. von Nassau, Agonale Spiele, ca. 1480–90. Mittelalterliches Hausbuch, fol. 3v. Privatbesitz.

Tafel 15

Abb. 6: Meister der Margarete von York, Agonale Spiele vor der Stadt Susa und Begegnung Alexanders des Großen mit Sysigambis, ca. 1470–75, Blatt: 43,2 x 33 cm, Livre des fais d’Alexandre

(Curtius Rufus, De rebus gestis Alexandri magni übersetzt von Vasco de Lucena). Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig XV 8, fol. 99r.

Tafel 16

Abb. 1: Lucas van Leyden, Moses schlägt Wasser aus dem felsen, 1527, Tempera auf Leinwand, 183 x 228,5 cm, Detail. Boston, Museum of fine Arts.

Abb. 3: Lucas van Leyden, Tanz um das goldene Kalb, um 1529/30, Öl auf Holz, 93 x 127 cm (93 x 67 cm; 91 x 30 cm). Amsterdam, Rijksmuseum.

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Tafel 22

Abb. 2: Albrecht Dürer, Entwurf für einen Tischbrunnen, ca. 1500, Aquarellierte federzeichnung, 56 x 35,8 cm, Detail. London, British Museum.

Tafel 23

Abb. 3: Hans frey (?), Entwurf für einen Tischbrunnen, gegen 1500, ca. 130,4 x 50 cm. Erlangen, universitätsbibliothek.

Tafel 24

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Tafel 25

Abb. 4: Martin Schaffner, Bemalte Tischplatte für Erasmus Stedelin, Öl auf Lindenholz, 108,5 x 117,5 cm. Kassel, Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister.

Tafel 26

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Tafel 27

Abb. 10: ‚Seelentrost‘, Augsburg: Anton Sorg 1478, fol. 126r.

Abb. 7: Turnierbuch des Marx Walther. München, BSB, Cgm 1930, fol. 5v/6r.

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