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Pietismus im Sozialismus. Die Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR (= Kritische Studien zur...

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Vandenhoeck & Ruprecht Hedwig Richter Pietismus im Sozialismus Die Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Band 186
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Vandenhoeck & Ruprecht

Hedwig Richter

Pietismus im SozialismusDie Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Band 186

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Kritische Studienzur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von

Helmut Berding, J!rgen Kocka, Paul Nolte,Hans-Peter Ullmann, Hans-Ulrich Wehler

Band 186

Vandenhoeck & Ruprecht

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Hedwig Richter

Pietismus im SozialismusDie Herrnhuter Br!dergemeine in der DDR

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UmschlagabbildungAlltagsszene in Herrnhut 1968

Foto: Foto- und Kunstverlag Bruno Scholz KG, Ebersbach / SachsenLeihgeber : Heimatmuseum der Stadt Herrnhut

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet !ber <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-525-37007-0

Gedruckt mit freundlicher Unterst!tzung der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

" 2009 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen / www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch!tzt.Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen F#llen bedarf der vorherigen

schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seineTeile d!rfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages çffentlich zug#nglich gemacht

werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung f!r Lehr- und Unterrichtszwecke.Printed in Germany.

Druck und Bindung: a Hubert & Co., Gçttingen

Gedruckt auf alterungsbest#ndigem Papier.

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1 Das Gewçlbe der Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251.1 Anf!nge. Die Goldene Zeit unter Zinzendorf . . . . . . . . . . . 281.2 Anpassungen. Vom 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts . . . . . 35

2 Tradition im Rausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472.1 „Gottes Durchhilfe und Segen. Heil Hitler!“ Die NS-Zeit . . . . . 472.2 Herrnhuts Zerstçrung 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

3 Suche nach neuen Traditionen in der Nachkriegszeit . . . . . . . . . 633.1 Die deutsche Br"dergemeine nach Kriegsende . . . . . . . . . . 63

3.1.1 Elit!re Distinktion und DDR-Kompatibilit!t:Anmerkungen zur Sozialstruktur . . . . . . . . . . . . . . 68

3.2 Umgang mit der NS-Zeit in der weltweiten Unit!t . . . . . . . . 763.3 Die Unitas Fratrum entdeckt ihre Internationalit!t neu . . . . . 903.4 Pilgergemeine im 20. Jahrhundert. Flucht und Vertreibung . . . 103

4 Die Obrigkeit als Feind. SBZ und f"nfziger Jahre . . . . . . . . . . . 1154.1 Neue Demut und alte Auserw!hltheit. Gesellschaftliches

Engagement in den Nachkriegsjahren . . . . . . . . . . . . . . . 1154.1.1 Sozialistische Repressionen und fromme

Loyalit!tsbem"hungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1154.1.2 Wirtschaftliche Eigenst!ndigkeit und Machtinteressen . . 1284.1.3 Neue Aufgaben der Br"dergemeine . . . . . . . . . . . . . 1324.1.4 Demut und Drangsal. Das theologische Konzept f"r die

neue Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1354.2 Fr"hes Arrangement mit dem SED-Staat . . . . . . . . . . . . . 138

4.2.1 „Propheten der DDR“? Die Obrigkeit zeigt sich endlichgn!dig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

4.2.2 500-Jahr-Feier 1957 in Europa. Staat und Gemeineschaffen neue Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

4.2.3 Jubil!um und Generalsynode in den USA 1957 . . . . . . 1494.3 Wirklichkeitsproduktion I: Kommunikation im SED-Staat . . . 153

5 Abgrenzungen. Festkultur und Leben auf der „Insel Herrnhut“ . . . 1655.1 Hegemoniekampf um das Fest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

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5.2 Jugend in der Br"dergemeine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1715.2.1 Der Kampf um die Jugend und die Konfirmation . . . . . 1715.2.2 Familie, Jugendarbeit und Curriculum in der

Br"dergemeine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1795.2.3 Herrnhuter im sozialistischen Schulsystem . . . . . . . . 1895.2.4 Ausbildungswege und Theologiestudium . . . . . . . . . . 196

5.3 Die Einheit in der Trennung. Internationale Provinzialit!t . . . . 2005.3.1 Westflucht und Mauerbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2005.3.2 Leben mit der Mauer. Theologen neuen Typs in den

sechziger Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2025.3.3 Isolation und Gemeinschaft nach dem Mauerbau . . . . . 2075.3.4 Die Tschechische Provinz im Vergleich und die

Unit!tssynode in der CSSR 1967 . . . . . . . . . . . . . . 2145.4 Wirklichkeitsproduktion II: Sehnsucht nach Ferne und

Reisegenehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

6 „Playing the System“. Einreihung in die sozialistische Gesellschaft . 2336.1 Theologie als Tranquilizer. Die Rolle internationaler Diskurse

bei der Ann!herung an das Regime . . . . . . . . . . . . . . . . 2336.1.1 „Kein echter Gegensatz“. Die theologische Positionierung

zum Ost-West-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2336.1.2 Der Weltkirchenrat als internationaler Transferweg

antiwestlicher Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2406.1.3 Der Ost-West-Konflikt, die Menschenrechte und das

Antirassismusprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2456.2 Soziale und evangelikale Positionen. Die Unit!tssynode in

Jamaika 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2556.3 Der Kontrakt zwischen Br"dergemeine und Staat. Die siebziger

Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2576.3.1 Im staatlichen Kirchen-Gehege. Das Fçrderungsheim f"r

behinderte Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2586.3.2 Das Unit!tsjubil!um 1972. „Progressiv“ und fromm im

Sozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2666.3.3 Das Idyll Herrnhut in den siebziger Jahren. Leben

zwischen #berwachung, Kulturbund, Touristen undRuinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

6.4 Wirklichkeitsproduktion III : Die Komplexit!t sozialistischerWahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

7 Das b"rgerschaftliche Engagement der Herrnhuter . . . . . . . . . . 2977.1 Arbeit in der Unit!t und in der sozialistischen Gesellschaft . . . 297

7.1.1 Diakonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2977.1.2 Die Unternehmungen der Br"dergemeine . . . . . . . . . 300

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7.2 Mission im Sozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3107.3 Gestçrte Ordnung und unverhoffte Wende. Die achtziger Jahre . 3227.4 Wirklichkeitsproduktion IV: „Ideologisch problematisch:

Freiheit, Frieden, Recht“. Die m"hsame Produktion desLosungsbuchs im Sozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359Abk"rzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

Quellen – und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3621 Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3622 Periodika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3693 Datenmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

3.1 Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3693.2 Sample . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

4 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370

Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

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Vorwort

An erster Stelle gilt mein Dank Ralph Jessen f!r die außergewçhnlich guteBetreuung der Doktorarbeit. Thomas Lindenberger, der Zweitgutachter,steuerte wertvolle Hinweise und Anregungen bei. Ralf Richter danke ich f!reine hervorragende Korrektur und zahlreiche Anregungen. Wichtig war f!rmich zudem die Hilfe von Gerhard Frey, Uli M"hlert, Peter Maser, Paul Pe-ucker, Peter Vogt und von all den hilfsbereiten Mitarbeitern der Archive, dieich besucht habe. Herzlichen Dank vor allem auch an Jens Niederhut undCarola Tischler.

Die ganze Forschungsarbeit w"re nicht ohne die wohlwollende Unterst!t-zung der Br!dergemeinemçglich gewesen. Ihre Direktion genehmigte mir f!rdie Archivarbeiten großz!gig eine Ausnahme von der Akten-Sperrfrist. Dieserprivilegiert Zugriff auf die Archivalien der Unit"t f!r eine Nicht-Herrnhuterin,die !berdies einen kritischen Zugang zur Geschichte der Freikirche gew"hlthat, wurde mir zum Symbol f!r die Vorurteilslosigkeit und Weltoffenheit derBr!derunit"t. Gudrun und Dietrich Meyer sei stellvertretend f!r die zahlrei-chen Mitglieder der Moravian Community gedankt, die mir in Herrnhut,Ebersdorf, Berlin, Bethlehem (PA) und Winston-Salem (NC) mit Rat und Tatzur Seite standen, mir Interviews gaben, private Unterlagen zur Verf!gungstellten, Unterkunftsmçglichkeiten boten oder mich einfach zumMittagesseneinluden.

F!r ein Dissertationsstipendium danke ich der Stiftung zur Aufarbeitungder SED-Diktatur und f!r die Abschlussfinanzierung der FAZIT-Stiftung. DasDeutsche Historische Institut in Washington D.C., das Diakonische Werk derEKD und der World Council of Churches in Genf haben mir Forschungsauf-enthalte in den USA und der Schweiz ermçglicht.

Berlin, 1. Januar 2009

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Einleitung

Ein f!r Kirchenfragen zust"ndiger Staatsfunktion"r der DDR notierte in denf!nfziger Jahren in einem Bericht !ber die Freikirche Herrnhuter Br!derge-meine, die sich auch Unitas Fratrum, Evangelische Br!der-Unit"t, Evangeli-sche Br!dergemeine – immer ohne „d“ – und in den englischsprachigenL"ndern Moravian Church nennt:1 F!r eine Beurteilung der Unit"t sei eine„Analyse ihrer Entstehung, ihres Wesens und ihrer Geschichte“ unerl"sslich.Daher sehe er sich gezwungen, einen Abriss !ber die Tradition der Unit"tvoranzustellen, ein Vorhaben, das er auf 46 Seiten in der knapp achtzigseitigenStudie ausf!hrte.2 Wie so viele, die sich mit der Unit"t befassen, unterlag derAutor demCharme ihrer Tradition. Die Herrnhuter selbst werden nicht m!de,bei nahezu jedem Thema auf ihre historischen Wurzeln zu verweisen: Ob esum Wirtschaftsfragen, Architektur oder Altenpflege geht – jeder Gedanke isteingebettet in den Horizont der Geschichte. Tradition spannt sich wie eingewaltiges Gewçlbe !ber die Gemeine. Sie war Selbstverst"ndnis, Refugium,Waffe und Modernisierungsmotor.

Die Forschung attestiert der Br!dergemeine, die heute rund 800 000 Mit-glieder in 26 L"ndern und 19 Provinzen z"hlt,3 sie sei mit ihrer kontinuierli-chen Geschichte die „bedeutendste religiçse Gemeinschaftsbildung“, die derPietismus hervorgebracht habe. Auch Max Weber hielt die Herrnhuter mitihrer Abschottung f!r einen bemerkenswerten Sonderfall des Pietismus –w"hrend der Pietismus selbst nach der Reformation als die zweite großeprotestantische Reformbewegung gilt.4 Die Geschichte der Br!dergemeinebegann 1722 mit der Gr!ndung des Ortes Herrnhut in der s"chsischenOberlausitz. Anders als die meisten pietistischen Gruppierungen des 18.Jahrhunderts !berlebte die Unit"t nicht nur alle Anfeindungen, sondern fandauch immer wieder neue Identit"ten und Legitimationserkl"rungen, um ihreExistenz als kleine Freikirche zu erhalten und zu rechtfertigen. Die h"rtestePr!fung war f!r die deutschen Herrnhuter nach eigenen Aussagen die Zeit

1 Vgl. dazu Vogt, Br!dergemeine – das theologische Programm eines Namens, S. 81–105; Pe-ucker, Herrnhuter Wçrterbuch, „Gemeine”, S. 26; h"ufig werden die einzelnen Gemeinen oderOrtsgemeinen mit „d“ (im Gegensatz zur gesamten Gemeine) geschrieben, jedoch !berwiegt inder Geschichte und in der Forschung der Gebrauch ohne „d“ auch f!r die Einzelgemeine.

2 Auskunftsbericht !ber die Deutsche Br!der-Unit"t, o.A., wohl 1951, BA DO 4/1520, der Berichtfindet sich auch in den Unterlagen des MfS: BStU MfS HA XX/4, Nr. 2601.

3 Direktion der Evangelischen Br!der-Unit"t, LosungsMagazin, S. 9.4 Wallmann, Pietismus, S. 182; Weber, Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus,

S. 84. Einen Forschungs!berblick zum Pietismus und seiner Einsch"tzung bietetGierl, S. 468 f. ;vgl. auch Clark, S. 170 f. ; Lehmann, Aufgaben der Pietismusforschung.

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nach 1945. Ihre Identit"tsangebote kamen damals ins Wanken, !berlebens-wichtige materielle Grundlagen brachen weg, und innerhalb der weltweitenUnit"t verloren sie ihre angestammte Vormachtstellung. Die Mitgliederempfanden es als ein „Wunder“, die Nachkriegszeit auch als internationaleGemeinschaft !berlebt zu haben – und dann selbst in Ostdeutschland mit nurnoch rund 5000 Mitgliedern erfolgreich ein abgeschottetes Leben mit Ge-werbebetrieben, Landwirtschaftsg!tern, diakonischen Einrichtungen undinternationalen Verbindungen erhalten zu kçnnen.

Wie gelang es dieser religiçsen Gemeinschaft zu !berleben, Kontinuit"therzustellen und so erfolgreich zu agieren? Diese Frage f!hrt zu zwei Kom-plexen von !bergeordnetem Interesse. Der erste Komplex bezieht sich auf dieSituation in der DDR:Welche Handlungsoptionen hatte die Br!dergemeine ineiner Diktatur, wie tief reichte diese?Wie konnten dieHerrnhuter ein frommesLeben in einer zunehmend atheistischen Gesellschaft f!hren und ihren Mit-gliederbestand weitgehend erhalten? Der zweite Fragekomplex nimmt dielangen Entwicklungslinien in den Blick: Welcher Strategien bediente sich dieUnit"t, um ihr #berleben und ihre Identit"t zu sichern? Wie wirkten diese inKonfrontation mit politischer Macht? Meine Hypothese f!r beide Fragen-komplexe lautet: Die Br!dergemeine verdankte ihr #berleben und ihren Er-folg – auch in der DDR – ihrer F"higkeit zur Traditionserfindung, zur Kon-struktion einer je nach Umwelt passenden Deutung ihrer Geschichte. ZentraleBestandteile ihrer Traditionserz"hlung sind dabei ein zivilgesellschaftlichesEngagement und die Internationalit"t, die sich beide aus derMissionst"tigkeitentwickelt hatten. Die sich daran anschließenden transferhistorischen Fragenordnen sich ebenfalls der Hypothese von der Bedeutung der Tradition unter :Die Frage nach dem Erhalt einer weltweiten „imagined community“ (BenedictAnderson) !ber weitgehend geschlossene Grenzen l"sst sich bei den Herrn-hutern nur mit ihrer Tradition erkl"ren.

Gerade weil die Unit"t ein extremes Beispiel ist, erlaubt ihre UntersuchungVerdeutlichung und Verallgemeinerung. So kann die Studie zweierlei exem-plarisch beleuchten: Erstens die Lebenswelt und den Akzeptanzraum in derDDR. Die Anpassung des Selbstverst"ndnisses an ein neues Umfeld fand sichin abgeschw"chter Form fast !berall.5 Die Unit"t aber bildete ein abgeschot-tetes Milieu und ihr Glaube stand im Gegensatz zur atheistischen Staats-ideologie – und selbst diese Gemeinschaft konnte sich dem sozialistischenZugriff nicht entziehen. So zeigt die Freikirche beispielhaft die staatssozia-listische Tiefenwirkung. Zweitens bietet die Gemeine ein Spiegelbild protes-tantischen B!rgertums, und ihre Untersuchung l"sst mit Einschr"nkungenAussagen !ber den Protestantismus zu. Denn die Unit"t unterhielt engetheologische und organisatorische Beziehungen zu den evangelischen Lan-deskirchen. Sie war mit diesen enger verbunden als mit den Freikirchen, nichtnur weil ihre Mitglieder h"ufig zus"tzlich den Landeskirchen angehçrten,

5 L!dtke, Alltag, S. 896.

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sondern auch, weil die Unit"t stets in die Debatten undDiskurse innerhalb deslandeskirchlichen Protestantismus eingebunden war.6

Die Arbeit konzentriert sich auf Herrnhut als Sitz der Direktion. Die Stadt wardie Zentrale der Gemeine in der DDR und das ideelle Zentrum der weltweitenUnit"t. Auf Herrnhut fokussierte sich die staatliche Aufmerksamkeit. Dochwerden in der Studie auch die anderen ostdeutschen Gemeinen ber!cksich-tigt, schwerpunktm"ßig Berlin als Stadtgemeinde und das th!ringischeEbersdorf als typische Ortsgemeine, wie die Herrnhutischen Siedlungen ge-nannt wurden. Auch die Diaspora oder Bereichsgemeine, zu der die außerhalbder Ortsgemeinen wohnenden, meist in Doppelmitgliedschaft auch zur Lan-deskirche gehçrenden Mitglieder und Freunde der Br!dergemeine z"hlten,bleibt imBlick. F!r die Analyse der ausl"ndischenKontakte sollen beispielhaftdie Beziehungen der Br!dergemeine in der DDR zur bedeutenden Unit"t inden USA untersucht werden.

Die weltweite Br!der-Unit"t bestand aus 17 Provinzen, deren hçchstesOrgan die General-, seit 1957 die Unit"tssynode war. Zwischen den Synodensorgte eine Unit"tsbehçrde f!r die laufenden Gesch"fte. Organisatorischz"hlten die zehn DDR-Gemeinen (Herrnhut, Niesky, Kleinwelka, Dresden,Zwickau – alle in Sachsen; Ebersdorf und Neudietendorf in Th!ringen;Gnadau bei Magdeburg; Forst bei Cottbus; Berlin) zur Provinz der Europ"-isch-Festl"ndischen Br!der-Unit"t, die sich in einen Distrikt Ost (DDR) undeinen Distrikt West (Westeuropa ohne Großbritannien) teilte. Beide Distriktewurden von Direktionen geleitet, die neben dem Direktionsvorsitzendenmindestens zwei weitere Mitglieder hatten (vgl. Organigramm 2). Obwohl siesich als Freikirche verstand, war die Europ"isch-Festl"ndische Provinz asso-ziiertes Mitglied der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) und derDistrikt Ost (sp"ter Distrikt Herrnhut) seit 1969 assoziiertes Mitglied desBundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK). Außerdem gehçrte dieBr!dergemeine allen wichtigen çkumenischen Gremien wie der Evangeli-schen Allianz oder dem $kumenischen Rat der Kirchen an.

Der Untersuchungszeitraum dieser Arbeit von 1945 bis 1990 kann in f!nfAbschnitte gegliedert werden: Die Z"suren sind 1948, 1957, 1961, dann dieDoppelz"sur 1972/1976. Im ersten Zeitabschnitt von 1945 bis 1948 hatten dieHerrnhuter durch die relative Machtf!lle der L"nderparlamente und die Ge-wogenheit der Sowjetischen Milit"radministration (SMAD) noch bedeutendeFreir"ume, die sie dazu nutzten, ihre Kirche zu reorganisieren, materielleGrundlagen zu sichern und damit zu beginnen, internationale Kontakte neuzu kn!pfen.7 Die Gr!ndung der DDR 1949 spielte f!r die Unit"t kaum eine

6 Vgl. etwa Prein ; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, UA Nachlass Uttendçrfer ; vgl. zu denFreikirchen Str!bind ; Beaupain ; Assmann, Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden.

7 Auch Pollack sieht f!r die Kirchen das Jahr 1947 als Z"sur an, Pollack, Organisationsgesellschaft,S. 96 f.

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Rolle. Vielmehr steigerten sich schon seit 1948 mit der Stalinisierung der SEDdie Anspr!che der Einheitspartei auf die ideologische Interpretationshoheit,die zur Konfrontation mit den Kirchen f!hren mussten. So war der zweiteAbschnitt im Untersuchungszeitraum, die Zeit von 1948 bis 1957, gepr"gtdurch bittere Auseinandersetzungen mit der Parteienherrschaft der SED. DasJahr 1957 bildete dabei in zweierlei Hinsicht einen Einschnitt: Zum einenwaren die Jubelfeiern symbolischer Ausdruck einer neuen Zusammenarbeitmit dem Staat. Seit dieser Zeit wurden die Herrnhuter in den Akten als „loyal“bezeichnet. Zum anderen gipfelten die nach dem Zweiten Weltkrieg erneu-erten weltweiten Kontakte in den internationalen 500-Jahrfeiern zur Gr!n-dung der Alten Br!der-Unit"t (1457). Die n"chste Z"sur ist der Mauerbau1961, der nicht nur die innerdeutschen Kontakte hemmte, sondern auch dieinternationale Verbindung erschwerte. Doch brachte die Schließung derGrenze f!r die Herrnhuter die Mçglichkeit der inneren Konsolidierung undzwang sie, sich verst"rkt auf den kommunistischen Staat einzulassen. Die sichseit 1945 vollziehenden soziokulturellen Ver"nderungen verfestigten sich inder Zeit nach 1961: das herrnhutische Milieu entfremdete sich von seinemb!rgerlichen, internationalen Habitus – der dennoch bis zuletzt nicht ganzverschwunden war – hin zu einem eher kleinb!rgerlichen Zuschnitt. DieseVerschiebungen erleichterten das Arrangement mit dem Staat, das durch die250-Jahrfeier der Br!dergemeine 1972 undBeginn der Behindertenarbeit 1976– eine doppelte Z"sur – symbolischen Ausdruck fand. Die Erçffnung desBehindertenheims 1976 bedeutete einen Hçhepunkt in der Geschichte derGemeine, da diese diakonische Arbeit der Unit"t ein neues Selbstverst"ndnisgab und zugleich zahlreiche Kompromisse mit dem Staat erforderte. Mit derSorge um die Behinderten und dem weitgehenden R!ckzug aus anderen Ar-beitsbereichen, hatte sie die Rolle akzeptiert, die der Staat den Kirchen zu-dachte. Daher liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf den Jahren 1945bis 1976, auchwenn die achtziger Jahre und die Zeit der friedlichen Revolution1989/1990 einbezogen werden.

F!r eine Analyse der herrnhutischen Tradition und Kultur ist Jan AssmannsKonzept des Kulturellen Ged"chtnisses hilfreich. Dabei wird kulturelles Ge-d"chtnis und Tradition synonym verstanden. Zwar erkl"rt Assmann, daskulturelle Ged"chtnis reiche !ber den Begriff der Tradition hinaus, indem esauch den Prozess der Weitergabe und die eng mit der Tradition verkn!pfteSelbstdefinition der betroffenen Gruppen umfasse, w"hrend Tradition klas-sischerweise nur als Weitergabe bestimmter Kenntnisse an die nachfolgendeGeneration zu definieren sei. Doch die heutige Traditionsforschung schließtdie von Assmann genannten Faktoren mit ein.8 Das Konzept des kulturellenGed"chtnisses ist f!r die vorliegende Arbeit besonders aufschlussreich, weil es

8 Assmann, Das kulturelle Ged"chtnis, S. 23 f. ; vgl. zur Definition von Tradition: Burke, S. 41 u.123–125; Grieve u. Weiss, Illuminating, S. 1; Sarot, S. 27.

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Tradition im Zusammenhang mit dem Geschichtsverst"ndnis von Gruppie-rungen untersucht.9

Als erste Funktion des kulturellen Ged"chtnisses benennt Assmann dieSchaffung von Gruppenidentit"t. F!r die Tradition der Unit"t ist der Auser-w"hltheitscharakter wesentlich. Zu dessen Beschreibung wiederum eignetsich ein kulturhistorischer Ansatz, durch den die Rolle von „Distinction“(Pierre Bourdieu) in den Blick ger"t. Das elit"re Selbstverst"ndnis derHerrnhuter ist dabei keineswegs ein skurriles oder gar moralisch fragw!rdi-ges Detail ihrer Tradition. Vielmehr erweist sich die Auserw"hltheit als we-sentlich f!r die symbolische Konstruktion der Gemeinschaft und damit f!r ihr#berleben.10 Mit der Funktion der Identit"tsschaffung h"ngt die F"higkeit derTradition zusammen, Legitimit"t zu erzeugen, die ebenfalls !berlebensnot-wendig war : Mitarbeiter und Mitglieder der Unit"t konnten ihr nur die Treuehalten, wenn sie den Sinn dieser kleinen Freikirche erkannten.

Eine zweite Funktion der Tradition ist ihre normative Kraft, Werte undVerhaltensnormen einzu!ben und zu festigen. „Durch Erinnerung wird Ge-schichte zum Mythos. Dadurch wird sie nicht unwirklich“, so Assmann,„sondern im Gegenteil erst Wirklichkeit im Sinne einer fortdauernden nor-mativen und formativen Kraft“.11 Im Protestantismus, insbesondere im Pie-tismus ist diese normative Funktion von Tradition stark ausgepr"gt. Diepietistischen „V"ter“ und „M!tter“ etwa galten als wichtige Vorbilder, ihreLebensl"ufe wurden auf verschiedensteWeisen tradiert. Zur normativen Kraftder Tradition gehçrt ihr Vermçgen, mit Hilfe von Riten, Liturgie, Festkalenderoder Repr"sentationen wie Grabmalen oder Geb"uden, Ordnung und Sinn inRaum und Zeit zu bringen. In der Tendenz des Ged"chtnisses zur Verr"um-lichung ordnet sich der Raum, wie etwa in der mystischen Topographie derHerrnhuter Gemeinen zwischen Gottesacker (Friedhof) und Kirchensaal.12

Nach Anthony Giddens ist Tradition „ein Mittel f!r den Umgang mit Zeit undRaum, das jede einzelne T"tigkeit oder Erfahrung in das Kontinuum ausVergangenheit, Gegenwart und Zukunft einbringt“.13 So zeigt die unter-schiedliche Besetzung und Interpretation des Herrnhuter Raums !ber dieJahrhunderte hinweg, wie sich damit Tradition wandelte und der Mythosverschob.

Die dritte Funktion des kulturellen Ged"chtnisses, die hier interessiert, istihre Erneuerungskraft oder vielmehr die F"higkeit, Neuerungen zu legiti-mieren. Da Tradition Kontinuit"t konstruieren kann, ist sie in der Lage, inUmbruchzeiten Selbstvergewisserung zu bieten und Wandlungsprozesse zu

9 Assmann, Das kulturelle Ged"chtnis, S. 31, vgl. dazu auch S. 30.10 Cohen ; Bourdieu, Die feinen Unterschiede; vgl. zur Br!dergemeine Busch, Karl Barth und

Zinzendorf, S. 241 f.11 Assmann, Das kulturelle Ged"chtnis, S. 52.12 Assmann, Das kulturelle Ged"chtnis, S. 21, 38 f. u. 59 f. ; vgl. zur kollektiven Zeit Gembicki,

Zeitauffassung.13 Giddens, S. 53; vgl. zu den Funktionen von Tradition auch Sarot, S. 27.

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forcieren. In der Forschung wird mit verschiedenen Begriffen auf dieseNeuerungskraft hingewiesen: „Reformulierung“ (Jos% Casanova), „Prozesskontinuierlicher Schçpfung“ (Peter Burke) oder „Invention of Tradition“ (EricHobsbawm).14 Hobsbawms Ansatz, zwischen erfundenen und echten Tradi-tionen zu unterscheiden, erscheint heute fraglich, da eine „erfundene“ Tra-dition auch auf Altes zur!ckgreift und auch eine „echte“ Tradition bei derWeitergabe und Rezeption neu konstruiert wird. Entscheidend ist jedochHobsbawms Hinweis auf die Konstruktion von Traditionen f!r ihre Instru-mentalisierung. Hier verschmilzt die Funktion der Erneuerungskraft mit dernormativen und Legitimit"t schaffenden F"higkeit. Die Herrnhuter nutztenTradition auf vielf"ltige Weise, um sich in wechselnden Zeiten eine neueIdentit"t und damit Legitimit"t zu schaffen, aber auch f!r die Disziplinierungnach innen, die Festigung der Position gegen!ber dem Staat oder f!r denAusbau internationaler Beziehungen.

Bis heute wird von der DDR-Forschung die Frage kontrovers diskutiert, wiedas Verh"ltnis zwischen Beherrschten und Beherrschern und wie die Gesell-schaft einer Diktatur dargestellt werden kçnne. Dabei steht oft der Vorwurf imRaum, die Diktatur zu verharmlosen, obwohl am Unrechtscharakter der DDRim g"ngigen Wissenschaftsdiskurs niemand zweifelt.15 #ber die gleiche Pro-blematik wurde schon in den neunziger Jahren eine breite Diskussion gef!hrt,wenngleich auf hçherem Niveau. Die Wissenschaftler erçrterten damals, mitwelcher Methode man Herrschaft und Gesellschaft in der DDR am bestendarstellen kçnne. Sigrid Meuschel, die f!r einen differenzierten Totalitaris-musbegriff pl"dierte, sprach von der absterbenden bzw. stillgestellten Ge-sellschaft im DDR-Sozialismus.16 Eine sozialhistorische Untersuchung derDDR ist demnach unnçtig und der Forschungsfokus auf die politische Herr-schaft geboten. Dem setzte Ralph Jessen eine „relative Autonomie der sozialenDimension“ und den Hinweis auf die „Grenzen der Diktatur“entgegen.17 MaryFulbrook verwies wie andere Historiker darauf, dass Konzepte, „die nur denrepressiven Charakter des SED-Regimes hervorheben, nicht ausreichen, umden Aufbau, die Stabilit"t und den Untergang der DDR zu erkl"ren“.18

14 Casanova, Civil Society and Religion; Burke; Hobsbawm, Invention of Tradition; vgl. Dazu auchGrieve u. Weiss, Illuminating, S. 9; Colby, S. 47 f. ; vgl. dazu aus religionshistorischer Sicht Graf,Euro-Gott im starken Plural, S. 236–344.

15 Vgl. zuletzt den Streit um die „Sabrow-Kommission“: Wentker, Unausgewogenheiten; Mçller,„Trabi, Stasi, Kinderkrippen“, in: Rheinischer Merkur, 22. 6.2006; Sabrow, Zukunft der Auf-arbeitung; Beitr"ge im Deutschland Archiv 6 (2006) von Rainer Eckert, Michael Schwartz,Hermann Wentker und Martin Sabrow; vgl. auch Sabrow, Geschichte als Herrschaftsdiskurs.

16 Meuschel, Legitimation, S. 10; Meuschel, Machtmonopol und homogenisierte Gesellschaft.17 Jessen, Gesellschaft im Staatssozialismus, S. 98 et passim; Bessel u. Jessen, Grenzen der Diktatur.18 Fulbrook, Gesellschaftsgeschichte der DDR, S. 275; Jarausch, gescheiterte Gegengesellschaft,

S. 15; Kocka, durchherrschte Gesellschaft, S. 552; Lindenberger, Diktatur der Grenzen, S. 16 f. ;Pollack, konstitutive Widerspr!chlichkeit der DDR, S. 113; vgl. auch Kott, L’%tat social alle-mand; vgl. dazu heute auch Palmowski, Limits of Democratic Centralism.

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Tats"chlich werden jedoch auch das Ausmaß des repressiven Charaktersund die totalit"re Durchdringung der Gesellschaft erst deutlich, wenn dieGeschichte der DDR nicht lediglich als Unterdr!ckungsgeschichte analysiertwird.19 Dabei erscheint es problematisch, wenn zahlreiche DDR-Forscher voneiner Dichotomie zwischen oben und unten, zwischen Machthabern undBefehlsempf"ngern ausgehen.20 Um die Totalit"t der Herrschaft und die Sta-bilit"t des staatssozialistischen Systems zu verstehen, muss die komplexeInvolvierung der Bevçlkerung in den Blick r!cken. Die Br!dergemeine – vonihrem Selbstverst"ndnis her eine Gemeinschaft, die in striktem Gegensatz zurSED stand – eignet sich besonders gut f!r eine solche Untersuchung. Dennselbst im abgeschotteten Milieu Herrnhuts, in dem eine Jugendweihe bis zu-letzt anr!chig blieb, gab es verbl!ffende Interaktionenmit derMacht und einerecht weitgehende Akzeptanz der staatssozialistischen Herrschaft. DieseStudie folgt einem Herrschaftsbegriff, nach dem Herrscher und Beherrschtemiteinander agieren und den Beherrschten „ein bestimmtes Minimum anGehorchenwollen“ (Max Weber) zugeschrieben wird.21 Besonders interessantdabei der Prozess der Internalisierung von Machtanspr!chen, also wie das„Gehorchenwollen“ funktioniert; daf!r m!ssen die Akteure die Wirklichkeitentsprechend uminterpretieren, und es kommt – um mit Michel Foucault zureden – zu einer Produktion vonWirklichkeit.22 Außer einem sozial- bedarf esdaher auch eines alltags- und mikrohistorischen Zugangs, mit dem Akteureund ihre Handlungsspielr"ume in den Blick genommen und im Kontext ihrerPr"gung, ihrer Strukturen und Weltbilder verstanden werden kçnnen.23 Die-ser Zugriff ermçglicht es, eine Antwort darauf zu finden, warum die Herrn-huter es schließlich akzeptieren, ihre Tradition der Erziehungsarbeit aufzu-geben, warum sie (anders etwa als die Zeugen Jehovas) eine Obrigkeit alslegitim empfanden, die ihre Internationalit"t regulierte, sie bis in ihreWohnzimmer !berwachte und ihnen sogar Gebetstexte vorschrieb. Derlei#berlegungen !ber die Durchdringung des Lebens mit denMachtanspr!chenund die Internalisierung der verordneten Normen – die „Wirklichkeitspro-duktion“ – sind wesentlich f!r die Beantwortung der Leitfrage nach der#berlebensstrategien der Unit"t und nach den Grenzen der Diktatur. Dahersoll der Prozess dieser Wirklichkeitsproduktion in der vorliegenden Arbeitanhand verschiedener Themenfelder aufgezeigt werden: Kommunikationzwischen Staat und B!rgern (Kap. 4.3), Manipulation durch Privilegien

19 So etwa !berwiegend Schroeder u. Alisch.20 Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 77; Mitter u. Wolle.21 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 542 ff.; vgl. dazu auch die #berlegungen zu einer neuen

Politikgeschichte von Frevert, S. 15.22 Foucault, #berwachen und Strafen, S. 250.23 Vgl. Welskopps #berlegungen zu Akteur, Struktur und Handeln, Der Mensch und die Ver-

h"ltnisse, S. 44 f. ; vgl. dazu auch L!dtke, Alltag, S. 898; vgl. auch Lindenberger, Diktatur derGrenzen, S. 21–26; Geertz.

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(Kap. 5.4), Implementierung von die Wahrheit konstituierenden Ritualen wieWahlen (Kap. 6.4) und Zensur (Kap. 7.4).

F!r diesen Prozess der Internalisierung von Machtanspr!chen ist dasb!rgerschaftliche Engagement der Unit"t von Bedeutung. Seit ihrer Gr!ndunglegitimierte die Glaubensgemeinschaft ihre Sonderexistenz als Freikirche miteinem „Dienst“ – wie etwa der Erziehungsarbeit –, der eine Form zivilgesell-schaftlicher Praxis war. Wobei hier der Begriff Zivilgesellschaft pragmatischund nicht normativ verwendet wird: çffentlich, nichtstaatlich, nicht markt-orientiert, dem Gemeinwohl dienend, freiwillig.24Die Ausgrenzung von reli-giçsen Gruppen aus der Zivilgesellschaftsforschung, das haben neuere Stu-dien gezeigt, ist nicht haltbar ; zumal sich zivilgesellschaftlicheWurzeln des 19.Jahrhunderts vielfach in kirchlichem Engagement finden. Eine Vorreiterrollespielte dabei der Pietismus,25 wof!r die Br!dergemeine ein interessantesBeispiel bietet.

Was die DDR-Geschichtsschreibung betrifft, so zeigt sich ihre seit einigenJahren kritisierte „Verinselung“ besonders im Bereich der Kirchen- und Re-ligionsgeschichte. VonAusnahmen abgesehen, wie der Analyse des SoziologenDetlef Pollack „Kirche in der Organisationsgesellschaft“, war die Kirchen-historie methodisch oft veraltet und selten ankn!pfungsf"hig.26 Nachdem inzahlreichen Arbeiten insbesondere die kirchlichen Positionen gegen!ber demSED-Staat beleuchtet worden sind, hat sich nun durch das von der Evangeli-schen Kirche in Deutschland (EKD) finanzierte Forschungsprojekt „Die Rolleder evangelischen Kirche im geteilten Deutschland“ eine deutsch-deutscheSicht auf die DDR ergeben. Die daraus entstanden umfangreichen Arbeitenvon Katharina Kunter, Claudia Lepp und Anke Silomon tragen eine F!llewichtigerMaterialien zu demThema zusammen.27 Die Integration beider TeileDeutschlands in die Geschichte ist ein Gewinn, und auch in der vorliegendenArbeit soll der Westen in die Analyse einbezogen werden, da sich vieles erstmit Blick auf ihn verstehen l"sst; so kann man etwa das Stillschweigen derDDR-Herrnhuter zu manchen problematischen Tendenzen in der weltweiten$kumene ohne den Diskurs in der Bundesrepublik kaum verstehen. Die vonder EKD gefçrderten Studien f!hlen sich der jungen Disziplin der kirchlichenZeitgeschichte verpflichtet, ein Ansatz, der sich ausdr!cklich nicht auf den

24 Vgl. Jessen u. Reichardt, Einleitung, S. 8; Kocka, Zivilgesellschaft als historisches Problem undVersprechen, S. 26.

25 Clark, S. 156–158; Hitzer ; Borutta, S. 3 f. ; Bauerk"mper u.a., Tagungsbericht „ChristlicheKirchen und Zivilgesellschaft“; Große Kracht, S. 110 f. ; Hiepel u. Ruff.

26 Vgl. etwa Halbrock.Einen Forschungs!berblick !ber Kirchen in derDDRbietenD"hn, Kirchen in derDDR; Pollack,Soziale Rolle; vgl. auch Richter, Die DDR.

27 Lepp, Tabu der Einheit?; Silomon, Anspruch undWirklichkeit;Kunter, Erf!llte Hoffnungen undzerbrochene Tr"ume.

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kirchlich-konfessionellen Binnenbereich beschr"nkt.28 Doch auch wenn Kir-chenhistoriker in den letzten Jahren ihr Blickfeld geçffnet haben und einenDialog zwischen Allgemein- und Kirchenhistorikern postulieren,29 blendetdoch die allgemeine Zeitgeschichte in Deutschland noch vielfach Religion aus.Symptomatisch daf!r sind #berblicksdarstellungen wie der neu herausgege-bene „Gebhardt“, die in der Zeitgeschichte weitgehend ohne Kirche und Re-ligion auskommen.30 Die fortdauernde Parallelexistenz der Kirchen- undReligionsgeschichte liegt auch an ihrer Methodentr"gheit : Meist untersuchtsie Religion von der kirchlichen Organisation her. In kirchenhistorischenArbeiten bleibt die „Innenseite“ (Friedrich Wilhelm Graf) von Religion undKirche mit ihrer Symbolsprache, ihrer Sinndeutung oder Identit"tsformu-lierung oft unterbelichtet.31 Kulturhistorische Ans"tze spielen f!r die zeit-historische Kirchenforschung mit ihrem ereignisgeschichtlichen Fokus kaumeine Rolle.32 Auch sozialhistorische Untersuchungen liegen f!r die DDR-Kir-chengeschichte kaum vor. Christoph Kleßmann mit seiner Studie !ber dasprotestantische Milieu gehçrt in der DDR-Kirchenforschung zu den Aus-nahmen.33

Noch isolierter als die Kirchengeschichte ist die Pietismusforschung. Be-dingt durch die S"kularisierungstendenzen in der Zeitgeschichtsschreibungund der daraus folgenden Vernachl"ssigung von Religion, schloss sich diesesOrchideenfach weitgehend vom wissenschaftlichen Diskurs ab.34 Das pr"gteauch die Definition von Pietismus, der meist denkbar eng als eine Epoche derneueren protestantischen Kirchengeschichte vom Ende des 17. Jahrhundertsbis zur ersten H"lfte des 18. Jahrhunderts verstanden wurde. Soziale und

28 Doering-Manteuffel u. Nowak, Einleitung, S. 10; vgl. zur kirchlichen Zeitgeschichte auch Kaiser,Landeskirchen in der SBZ, S. 90 f. ; Greschat, Bedeutung der Sozialgeschichte f!r die Kirchen-geschichte, S. 104 f. ; vgl. zur Frage der Methodik auch Nowak, Geschichte des Christentums,S. 12.

29 Vgl. etwa die Arbeiten von Doering-Manteuffel, Greschat, Kaiser u. Nowak sowie die von ihnenbegr!ndete Schriftenreihe „Konfession und Gesellschaft. Beitr"ge zur Zeitgeschichte“, die seit1988 im Kohlhammer-Verlag Stuttgart erscheint.

30 Vgl. dazu Graf, Euro-Gott im starken Plural?, S. 231–234 u. 236; vgl. auch die sp"rlichenAusf!hrungen zu den Kirchen von Hans-Ulrich Wehler in seiner f!nfb"ndigen DeutschenGesellschaftsgeschichte. Anders sieht es auch hier im angels"chsischen Raum aus Clark, S. 144–177 et passim.

31 Graf, Religionsgeschichten der Moderne, S. 85, vgl. dazu auch S. 100; Graf spricht gar von einer„depressiv stimmenden R!ckst"ndigkeit“ der Kirchengeschichtshistoriographien gegen!berden „methodologischen Reflexionsniveaus“ der Allgemeinhistoriker, Graf, Euro-Gott im star-ken Plural?, S. 234.

32 Trotz der Forderung von Frank-Michael Kuhlemann nach einer Einbeziehung der Kulturge-schichte in die Kirchengeschichte, Kuhlemann.

33 Kleßmann, Die Beharrungskraft traditioneller Milieus in der DDR;Kleßmann, Sozialgeschichtedes protestantischen Milieus; Kleßmann, Relikte des Bildungsb!rgertums in der DDR.

34 Vgl. die Kritik von Lehmann, Aufgaben der Pietismusforschung, u. Gierl.

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kulturelle Ph"nomene des Pietismus blieben dabei meist außer Acht.35 Da-gegen wird seit einigen Jahren eine Definition gefordert, die auch sozialge-schichtliche und kulturelle Aspekte einbezieht. Dabei rechnet man denSp"tpietismus des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts ebensozum Pietismus wie die Erweckungs- und Gemeinschaftsbewegung des 19.Jahrhunderts und diverse evangelikale Strçmungen des 20. Jahrhunderts. Einweiter Begriff von Pietismus, wie er auch in dem neuen Standardwerk zur„Geschichte des Pietismus“ angelegt ist,36 ermçglicht es erst, den faszinie-renden Ph"nomenen des Pietismus in der „longue dur%e“ auf die Spur zukommen. Dabei kann etwa untersucht werden, welche Entwicklung dieKennzeichen des Pietismus nahmen, welche Relevanz sie bekamen undwie sieauf Mentalit"t und Politik gewirkt haben: die Berufung auf das reformatori-sche Erbe, die besondere Bibeltreue, daraus resultierend der Auftrag zurMission; die Notwendigkeit einer „Bekehrung“, einer bewussten Entschei-dung f!r den Glauben; die #berzeugung, von Gott direkt und persçnlichgef!hrt zu werden; Subjektivit"t und ein intensives Gef!hlsleben, in dem dasGebet eine wesentliche Rolle spielte; die Idee Philipp Jakob Speners, des Ur-vaters der Pietisten, von einer „ecclesiola in ecclesia“, dem Kirchlein in derKirche, in dem sich die wahrhaft Frommen sammeln; diese Idee f!hrte zurSelbstorganisation vieler Pietisten in Konventikeln und zu ihrem #berlegen-heitsgef!hl gegen!ber dem ordin"ren Kirchenvolk – ein Gef!hl das im Wi-derstreit zum Missionsauftrag stand und wie in der Br!dergemeine zu einerDialektik zwischen Exklusion und Inklusion f!hren konnte.37 Viele dieserKennzeichen f!hrten zu einem b!rgerlichen und von unten organisiertenEngagement. Der zivilgesellschaftliche Aspekt ist daher f!r eine neue Pietis-musforschung unverzichtbar, zumal f!r die vorliegende Arbeit. Denn dasVerhalten der Herrnhuter in den Diktaturen wird erst verst"ndlich, wennmanihre zivilgesellschaftliche Tradition ber!cksichtigt. Die Br!dergemeine selbstsah sich im 20. Jahrhundert oftmals nicht als Teil des Pietismus, ohne jedochihre pietistischenWurzeln zu leugnen. Diese Haltung war ihrem ausgepr"gtenDistinktionsbed!rfnis geschuldet, denn tats"chlich ist die Geschichte derBr!dergemeine Bestandteil der Pietismusgeschichte.38

In der Pietismusforschung hat sich in den letzten Jahren einiges getan.Neuere Arbeiten haben sich anthropologischen, gender- oder transferhisto-

35 Beispielhaft daf!r das UTB-Taschenbuch !ber den Pietismus, das sich auf die Biographien„großer M"nner“ konzentriert; vgl. zur Diskussion um die DefinitionWallmann, Fehlstart. ZurKonzeption von Band 1 der neuen Geschichte des Pietismus; Lehmann, Engerer, weiterer underweiterter Pietismusbegriff ; Wallmann, Eine alternative Geschichte des Pietismus; vgl. zudieser Diskussion Gierl.

36 Geschichte des Pietismus, 4 Bde.37 Lehmann, Engerer, weiterer und erweiterter Pietismusbegriff; Lehmann, Geschichte des Pie-

tismus; Messner.38 So wird die Br!dergemeine auch in der vierb"ndigen Geschichte des Pietismus ausf!hrlich

behandelt.

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rischen Ans"tzen geçffnet.39 Gerade auch die reichhaltige Forschung !ber dieBr!der-Unit"t ermçglicht inzwischen eine gute #bersicht !ber deren Ge-schichte, die hier f!r das erste Kapitel genutzt werden kann, das die Traditi-onskonstruktionen vor 1945 analysiert. So hat etwa Gisela Mettele in ihrerArbeit !ber die Herrnhuter Br!dergemeine als globale Gemeinschaft im 18.und 19. Jahrhundert untersucht, wie der Zusammenhalt dieser weltweitagierenden Gruppe mçglich war und damit auf einen bislang vielfach igno-rierten Aspekt der Frçmmigkeits- und Pietismusgeschichte aufmerksam ge-macht: die Internationalit"t.40 Hartmut Lehmann spricht von einer „frommenInternationalen“ – deren erneuerte „Bruderschaft“ nach 1945 zu den span-nendsten, doch am wenigsten untersuchten Feldern gehçre.41 Diesem Trendkommt entgegen, dass die internationale Geschichte den Blick auch aufnichtstaatliche Akteure geweitet hat.42 So gewinnen religiçse Gemeinschaftenf!r transferhistorische Fragestellungen an Bedeutung. Dabei erweist sich al-lerdings die kirchengeschichtliche DDR-Forschung als abgeh"ngt: Die weni-gen Darstellungen des internationalen Aspekts bleiben bis auf einige Aus-nahmen auf die diplomatische Ebene und die Erw"hnung des GeldtransfersvonWest nach Ost beschr"nkt, obwohl gerade die internationale Ausrichtungder Kirchen viel !ber ihre Handlungsr"ume in der DDR aussagen kann.43

W"hrend in Deutschland allgemein der internationale Aspekt der Kirchen-und Religionsgeschichte erst schwach ausgepr"gt ist, hat sich im angels"ch-sischen Raum auf diesem Gebiet wesentlich mehr getan.44

F!r diese Arbeit ist der transferhistorische Aspekt entscheidend.45 Andersals der Vergleich richten transferhistorische Fragestellungen, die eng mitkulturanthropologischen Aspekten verkn!pft sind, ihren Fokus auf Aneig-nung, Anpassung oder auch Zur!ckweisung des Transferierten.46 In der

39 Vgl. etwa Sensbach, Rebecca’s Revival; Peucker, From All Nations;Mettele, Wanderer zwischenden Welten; Faull, 77 f. ; Gleixner.

40 Mettele, Wanderer zwischen den Welten; vgl. dazu auch den Aufsatz von Mettele, „ImaginedCommunity“; Rooden.

41 Lehmann, Die neue Lage, S. 26 u. 16.42 Vgl. dazu das Konzept von Iriye, Internationalizing International History ; vgl. dazu auch Nie-

derhut, Wissenschaftsaustausch.43 Vgl. etwa Goeckel, Neue Akteure, neue Priorit"ten; Sch"fer, Der Vatikan in der DDR-Außen-

politik; zu denArbeiten, die !ber Diplomatiegeschichte undGeldtransfers hinaus gehen z"hlen:Jansen-de Graaf, Aufbau der offiziellen kirchlichen Gemeindekontakte; Richter, Vom transna-tionalen Austausch; vgl. allg. zur katholischenKirche undKommunismus Luxmoore u. Babiuch.

44 Vgl. dazu das Vorwort von Pollack zu dem von Beyer herausgegebenen Sammelband „Religionim Prozess der Globalisierung“, Pollack, Vorwort zur deutsch-englischen Ausgabe; vgl. allge-mein zum Forschungsstand Mettele, „Imagined Community“, S. 45–47.

45 Iriye, Global Community ; Iriye, Internationalizing International History.46 Iriye, Internationalizing International History, S. 51 f. ; Osterhammel, Transkulturell verglei-

chende Geschichtswissenschaft; Muhs u.a. , Aneignung und Abwehr, S. 39; Geppert u. Mai,Vergleich und Transfer, S. 97; Espagne u. Werner, Transferts, S. 12 f. u. 33; vgl. zur Diskussionum Komparatistik und Transfer Espagne, Sur les limites du comparatisme; vgl. zum Begriff„Transfer“ die anregenden Arbeiten von Espagne,Werner, Paulmann,Muhs und Steinmetz; vgl.

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vorliegenden Studie geht es dabei vor allem um die Untersuchung, wie sich dieKontakte gestalteten, welche Medien genutzt und welche Ideen und G!terausgetauscht wurden. Diese Fragen m!ssen mit denen nach der Funktions-weise und Grenzen der Diktatur verbunden werden: Welche Strategiennutzten die Herrnhuter gegen!ber den Machthabern? Welche praktischen,theologischen und ideologischen Konzepte steckten hinter ihrem Bed!rfnisnach Internationalit"t einerseits und hinter der Duldung dieser Kontaktedurch das Regime andererseits? F!r diese Fragen eignet sich als Untersu-chungsgegenstand das Land des Klassenfeinds par excellence, die USA. DieGemeine in Nord-Amerika war Mitte des 18. Jahrhunderts als Missions-st!tzpunkt entstanden. Im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts gestaltete sichdas Verh"ltnis der amerikanischen Moravian Church zu den dominierendenHerrnhutern in Deutschland nicht immer einfach, und sie bem!hte sich er-folgreich um Unabh"ngigkeit von der s"chsischen Zentrale. Nach der Zer-r!ttung der transnationalen Beziehungen w"hrend der beidenWeltkriege wares daher umso erstaunlicher, dass gerade die amerikanischenMoraven, wie siebezeichnet werden, sich intensiv um ihre Glaubensgenossen in Deutschlandk!mmerten. Die Motive dieser Solidarit"t und die Entwicklung dieser Be-ziehungen w"hrend des Kalten Krieges sind daher aufschlussreich f!r dieUntersuchung transnationaler Beziehungen !ber den Eisernen Vorhang hin-weg. Dar!ber hinaus ist es interessant zu sehen, wie es von der DDR ausgelingen konnte, Beziehungen gerade in die USA auf- und auszubauen.

Die Quellenlage der Evangelischen Br!dergemeine ist ausgesprochen gut. Daswichtigste Archiv ist das „Archivum Unitatis Fratrum“ in Herrnhut, dasZentralarchiv der weltweiten Unit"t. Dort liegen heute sowohl die Akten derostdeutschen als auch der westdeutschen Br!dergemeine. Die Unterlagenermçglichen einen Einblick in die Frçmmigkeitspraxis, das Alltagsleben, aberauch in die Kommunikation mit staatlichen Behçrden oder landeskirchlichenEinrichtungen. Besonders erw"hnenswert sind die Jahresberichte der einzel-nen Gemeinden, der Provinzen, der Direktionen sowie der zur Gemeine ge-hçrenden Institutionen (wie Betriebe oder Altersheime), die ein lebendigesBild von theologischen und politischen Problemen und von den Alltagssorgenzeichnen. Einen weiteren wichtigen Quellenbestand bilden die Lebensl"ufederMitglieder, die in der Regel von denGl"ubigen selbst verfasst sind, und seitMitte des 18. Jahrhunderts bis heute bei der Beerdigungsfeier des Verfassersoder der Verfasserin verlesen wurden.47 Diese Ego-Dokumente dienen in derRegel dazu, ein Res!mee !ber das eigene Leben, den geistlichen und den

zu dem Begriff „Vergleich“ Osterhammel, Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaates,S. 9–12.

47 Vgl.Motel, Herrnhuter Br!dergemeine, S. 9;Modrow, Religiçse Erweckung und Selbstreflexion,S. 121–124. Vgl. zu den Lebensl"ufenKuhn, Lebensl"ufe; Friedrich, Herrnhutische Lebensl"ufe,S. 201–212; vgl. zu Ego-Dokumenten auch Schulze, Ego-Dokumente; Krusenstjern ; Peters.

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weltlichen Werdegang, zu ziehen. Seit dem 20. Jahrhundert nehmen die Le-bensl"ufe oft ausf!hrlich Stellung zu historischen Ereignissen und der poli-tischen Umwelt, so dass sie sich auch f!r die Analyse politischer und sozial-historischer Aspekte eignen.

Auch was die staatlichen Akten anbelangt, ist die Quellenlage f!r den OrtHerrnhut als Direktionssitz gut, insbesondere die #berlieferung auf Landes-bzw. Bezirksebene. Im Hauptstaatsarchiv Dresden findet sich zudem eineumfassende Gegen!berlieferung f!r die Kreisebene, weswegen dasmysteriçseVerschwinden eines Großteils der Kreisakten Lçbau (im Kreisarchiv Lçbau-Zittau) nicht ins Gewicht f"llt. Auch in den Akten auf Staatsebene (Bundes-archiv und SAPMO), vor allem in der „Hauptabteilung Verbindung zu denKirchen“ bzw. im Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, spielen die Herrnhutergemessen an ihrer geringen Mitgliederzahl eine gewichtige Rolle. MancheUnterlagen des Ministeriums f!r Staatssicherheit (MfS) aus den f!nfziger undachtziger Jahren sind in Dresden Ende 1989 vernichtet worden. Gleichwohlfinden sich von den vierziger Jahren bis zum Ende der DDR Akten, die einen#berblick !ber das geheimdienstliche Vorgehen gegen!ber der Br!derge-meine erlauben. Erg"nzt werden die staatlichen Akten durch die Best"nde imBautzener Staatsfilialarchiv und im Rathaus der Stadt Herrnhut.

Wenn eine Frage !ber die Unit"t an die SED gelangte, war sie meistens sowichtig, dass sie nach Berlin in die SED-Abteilung f!r Kirchenfragen beimZentralkomitee durchgereicht werden musste. So befinden sich dort fastebenso viele Akten !ber die Br!dergemeine wie bei der SED auf Bezirksebene.Wichtiges Quellenmaterial, das das Bild !ber die Gemeine in der SBZ undDDR abrundet, liegt im Archiv der CDU in St. Augustin bei Bonn und imEvangelischen Zentralarchiv in Berlin. Diese Quellen verdeutlichen einerseits,wie die Herrnhuter in die staatliche Organisation eingebunden werdenkonnten, andererseits, wie die Kontakte zu den evangelischen Kirchen aus-sahen und wie die Kirchen miteinander arbeiteten.

In den Archiven der US-amerikanischen Br!dergemeinen in Bethlehem inPennsylvania und in Winston-Salem in North Carolina befinden sich Tau-sende von Briefen einer Korrespondenz mit Herrnhutern der SBZ und DDR,Hunderte von Stellungnahmen und Protokolle !ber die Hilfsaktionen f!r dieostdeutschen Glaubensgenossen sowie Reiseberichte. Auch ein ausf!hrlicherBriefwechsel zwischen den westdeutschen, englischen und amerikanischenGlaubensgenossen ist !berliefert. Die Kontakte in die SBZ und DDR liefen vorallem !ber Bethlehem. Die Akten im Archiv des $kumenischen Rates derKirchen im Genfer Zentralarchiv ermçglichten die internationale Einordnungder ostdeutschen Br!dergemeine. Deutlich werden anhand dieser Akten auchtheologische Differenzen innerhalb der weltweiten Br!der-Unit"t.

Bei aller Skepsis gegen!ber der Oral History war es hilfreich, die Quellen-arbeit durch Zeitzeugeninterviews zu erg"nzen.48 Daf!r habe ich 28 Interviews

48 Vgl. zur Problematik der Oral History Jureit.

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mit 36 Gespr"chspartnern gef!hrt, darunter zwei westdeutsche und sieben imAusland lebende Interviewpartner (USA und Schweiz).

Die Kapiteleinteilung folgt anhand der oben genannten Z"suren der Chro-nologie und setzt zugleich thematische Schwerpunkte. Um die Anpassungs-leistung der br!derischen Tradition analysieren zu kçnnen, muss die Arbeitmit einer historischen Einordnung der Herrnhuter beginnen (Kapitel 1 und2). Darauf folgt die Nachkriegszeit mit ihren Reaktionen auf die NS-Zeit(Kapitel 3), die Suche nach einem neuen Traditionsnarrativ bis 1957 (Kapi-tel 4), die Bem!hungen, das fromme Milieu zu erhalten (Kapitel 5), und dieAnpassung politischer und theologischer Konzepte an die Situation im So-zialismus, insbesondere bis 1972/1976 (Kapitel 6). Die Untersuchung des çf-fentlichen Engagements in der atheistischen Diktatur (Kapitel 7) beschließtdie Arbeit mit einem Ausblick auf die achtziger Jahre und die friedliche Re-volution 1989/90.

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1 Das Gewçlbe der Tradition

Auf dem Hutberg !ber der s"chsischen Stadt Herrnhut liegt der Gottesacker,der nicht nur der Friedhof, sondern auch pr"gnantes Symbol der Br!derge-meine ist. Weiß gestrichen steht !ber den Gr"bern, auf der Bergspitze, einkleiner Turm, der einen weiten Blick in die h!gelige Landschaft der Ober-lausitz gew"hrt. Ein Herrnhuter hatte den Altan 1790 „zu seiner und seinerGeschwister Vergn!gen“ erbaut. Vergn!gen und Tod gehen hier Hand inHand. Der Tod ist den Gl"ubigen Heimkehr zum „lieben Heiland“ – wieChristus in der Unit"t oft genannt wird. Jesus Christus ist das Zentrum derGemeine, sein Zeichen, das Lamm, ist das Zeichen der Br!dergemeine. SeinTod zur S!hnung der S!nden und seine Auferstehung zur #berwindung desTodes, um den Menschen das ewige Leben zu schenken – das ist die gutlutherischeKernbotschaft derUnit"t. ZuOstern sammelt sich die Gemeine vorSonnenaufgang auf dem Gottesacker, um mit Gesang und Posaunen bei denersten Lichtstrahlen die Auferstehung zu feiern. Linden und Hecken s"umendie quadratischen Gr"berfelder. Die Grabsteine sind einfache Steinplatten.Wie Samen liegen sie flach in der Erde und warten auf den J!ngsten Tag.Pr"tentiçse Distinktion und stilsichere Tradition pr"gen die eigenartige $s-thetik, alles ist Symbol, alles angef!llt mit Ged"chtnis. Von !berall her kamendie Schwestern und Br!der, die hier liegen. Viele sind durch die herrnhutischeArbeit Christen geworden. So erinnert der Gottesacker an die einst wichtigsteAufgabe der Gemeine, die weltweite Mission. Auf den Steinen finden sichimmer wieder die gleichen Vor- und Nachnamen. Die Herrnhuter sind einekleine Schar, und alte Familiennamen gelten viel.1 Wer sie kennt, weiß unterwelchen Steinen die wichtigen „V"ter“ und „M!tter“ liegen, bedeutendeMissionare, weit gereiste Prediger, Bischçfe, P"dagogen. Nicht nur mit denalten Familien ziehen sich, trotz aller postulierten geschwisterlichen Gleich-heit, feine Distinktionslinien.2 In der Mitte des Gottesackers ragt als einzigherausgehobene Grabstelle die der Familie des Gr!ndungsvaters NikolausLudwig Graf von Zinzendorf.

Am Ausgang des Gottesackers beginnt eine Lindenallee, die hinab in dieStadt f!hrt, vorbei an den schlichten barocken H"usern bis zum Kirchensaal.In dem hohen, weißen Bau aus dem 18. Jahrhundert mit elegantemDachreitervermengt sich das Bekenntnis zur christlichen Demut mit auserw"hltem Ge-schmack und herrschaftlichem Stil. Der Kirchensaal ist weiß get!ncht, weiße

1 Vgl. dazu Moeschler.2 Hahn, Umgang mit Erinnerung, S. 50; Morgenstern, S. 148; K!chler, Herrnhut – Nest – Welt-

stadt, S. 13 u.15; Lebenslauf Maria M. M!ller, geb. Wunderling, S. 2.

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Vorh"nge sollen den Frommen in die „gute Stube“ Gottes einladen. Der Raumist als Querraum auf die Gemeine ausgerichtet.3 Weiß ist die bestimmendeFarbe, die Farbe der Freude, der Festlichkeit. Zur Beerdigungsfeier steht in derMitte des Saals der weiße Sarg, die Gemeine verliest den vom Verstorbenenverfassten Lebenslauf. So spricht der Tote zu den Lebenden und legt Re-chenschaft ab. Vom Kirchensaal aus f!hrt der letzte Weg hinauf zum Gottes-acker, unter Posaunenschall und begleitet von den Mitgl"ubigen.

Beim Kirchensaal liegt das Zizendorfsche Herrschaftshaus, hinter dem sichein barocker Garten ausbreitet. Die br!derischeArchitektur – „br!derisch“ istdas g"ngige Adjektiv f!r die Gemeine – hatte sich Mitte des 18. Jahrhundertsherausgebildet. Richtlinien aus dieser Zeit verlangen von der br!derischenBauweise, „regul"r und lichte“ zu sein, ohne „finstere[n] Winkel“.4 1756richtete die Unit"t eine zentrale Kommission ein, die f!r diesen einheitlichenStil in allen Gemeinsiedlungen sorgen sollte. Das Bed!rfnis nach Distinktionist allgegenw"rtig, und vornehme Exklusivit"t erweist sich als eine der Kon-stanten der br!derischen Geschichte. Die schlichte $sthetik ist nicht nur anden H"usern erkennbar, sondern auch in den Gesamtanlagen der Ortsge-meinen. „Schlicht“ ist diemeist gebrauchte Selbstbezeichnung derHerrnhuterf!r ihren Stil. In ihren Parkanlagen folgten die Herrnhuter gerne der neuestenMode. Sie gehçrten zu den ersten Anlagen im Stil englischer Landschafts-g"rten.5 Verstreut in den Parkanlagen der Ortsgemeinen stehen weiße Gar-tenh"user mit verspieltem Schnitzwerk. Immer wieder berichten die Chro-niken davon, wie die Gl"ubigen hinauszogen, um zu beten, wie Kinder in derNatur in Tr"nen ausbrachen und sich bekehrten, wie in den Gartenh"userkleine Feste Gott zu Ehren gefeiert wurden.

Vom Herrnhuter Kirchsaal aus f!hren die Straßen in die Stadt – die diesenTitel erhielt, obwohl hier niemals mehr als 3 000 Menschen gelebt haben. DerWeg f!hrt zu D!rninger & Co., der br!derischen Firma aus ZinzendorfsZeiten, in der der bekannte leuchtende Adventstern hergestellt wird. Weiterweg liegt die Druckerei der Familie Winter, die !ber die Jahre das weltweitverbreitete Andachtsbuch „Herrnhuter Losungen“ gedruckt hat, und dasVçlkerkundemuseum, in dem alles gesammelt ist, was dieMissionare seit dem18. Jahrhundert aus der ganzenWelt zusammentrugen. Vorbei amGottesackerf!hrt die Straße vom Kirchsaal hinunter nach Berthelsdorf, wo der Gr!nderZinzendorf seinen Herrschaftssitz hatte. In der dortigen Dorfkirche hatte dieGemeine am 13. August 1727 ihr Pfingsterlebnis, das als ein zweites Gr!n-dungsdatum gilt. Nach langen internen Streitereien war damals w"hrend desAbendmahls „der Heilige Geist !ber sie gekommen“. Sie „lernten einanderlieben“, wie es in der Chronik heißt. An jenem 13. August wurde wohl auchzum ersten Mal das Liebesmahl gefeiert: Ein zwangloses Beisammensein mit

3 Zimmerling, S. 61 f.4 Zitiert nach Zimmerling, S. 63.5 Zimmerling, S. 62 f. ; Rudolph ; Reiter, S. 31–35 u. 51.; Bechler.

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Geb"ck und Tee, um die Freude der Versçhnung nachzukosten. Liebesmahlewurden daraufhin zu allen mçglichen Anl"ssen gefeiert, zu Beerdigungenebenso wie zu besonderen Festtagen.6

Am Ortsausgang Herrnhuts Richtung S!den geht die Straße am Vogtshofvorbei, der Zentrale der Br!dergemeine mit großer Auffahrt durch einenBarockgarten. Daneben liegt das Unit"tsarchiv. Es birgt die Kostbarkeiteneiner Gemeinschaft, die seit Beginn ihres Bestehens im 18. Jahrhundert anihrer Tradition arbeitet. Im Bewusstsein, mit ihrem Heiland Heilsgeschichtezu schreiben, hielten die Herrnhuter fast jedes Schriftst!ck f!r aufbewah-renswert. Oben im Giebel des Archivs steht die Bibelstelle aus dem f!nftenBuch Mose: „Gedenke der vorigen Zeiten und hab acht auf die Jahre vonGeschlecht zu Geschlecht. Frage deinen Vater, der wird dir’s verk!nden, deine$ltesten, die werden dir’s sagen“ (5.Mose 32, 7). ImAlten Testament sollen dieV"ter von der Errettung des auserw"hltenVolkes berichten. Geschichte ist hierHeilsgeschichte, die direkt von Gott gelenkt wird.

Außerhalb des Ortes, vorbei am Vogtshof und am Unit"tsarchiv, steht imWald der Denkstein f!r die Gr!ndung Herrnhuts: Hier hatten m"hrischeExulanten am 17. Juni 1722 den ersten Baumgef"llt. Dieses Ereignis, an das dieGemeine j"hrlich mit einem Marsch hinaus zum Gedenkstein erinnert, mar-kiert den Beginn. – Doch schien den Herrnhutern ein gef"llter Baum nichtangemessen als Auftakt ihrer Geschichte.Wohl aus demBed!rfnis nach einemgeb!hrenderen Anfang wurde der 13. August 1727, das Pfingsterlebnis, zumeigentlichen Beginn konstruiert. Kurze Zeit nach diesem 13. August aber kamZinzendorf ein neuer Ursprung in den Sinn, der alles andere in den Schattenstellte und dem wachsenden Legitimationsbed!rfnis der Gemeine entsprach:Der Graf entdeckte die Parallelen seiner Gemeine zu den Bçhmischen Br!-dern,7 derUnitas Fratrum, die zu den "ltesten evangelischenKirchen z"hlt. DieHerrnhuter Geschichtsschreibung und mit ihr schließlich die ganze Kir-chenhistorie bezeichnet die Bçhmische Br!derkirche als „Alte Br!der-Uni-t"t“, in Abgrenzung zur Erneuerten Unit"t, die im 18. Jahrhundert inHerrnhut gegr!ndet wurde. Die alte Unitas Fratrum hatte sich auf den inKonstanz verbranntenM"rtyrer JanHus (ca. 1370 bis 1415) berufen. Ihr ersterBischof, der Theologe und P"dagoge Johann Amos Comenius (1592–1670),pr"gte die Unit"t.8 Der Dreißigj"hrige Krieg zerstçrte jedoch diese kleineKirche fast vollst"ndig. Als im 18. Jahrhundert m"hrische ExulantenHerrnhutgr!ndeten, war ihre Tradition l"ngst abgebrochen.9 So beginnt die Geschichteder Herrnhuter mit einer großartigen Geschichtskonstruktion und einerkomplexen Traditionserfindung.

6 Erbe, Musik, S. 48 f.7 Vgl. Wallmann, Pietismus, S. 190.8 Vgl. zur Geschichte der bçhmischen Br!der Joseph Th. M!ller, Geschichte der bçhmischen

Br!der.9 Vgl. Schneider, Zinzendorfs Kirchenverst"ndnis, S. 16; Wallmann, Pietismus, S. 190.

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1.1 Anf"nge. Die Goldene Zeit unter Zinzendorf

Tats"chlich aber begann die Geschichte Herrnhuts 1722, als protestantischeExulanten aus M"hren Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf um Asyl aufseinen L"ndereien in der Oberlausitz baten.10 Zinzendorf, aus çsterreichi-schem Reichsadel, war als Halbwaise von gebildeten und frommen Frauenerzogen worden. Im P"dagogium der Franckeschen Stiftungen in Halle an derSaale genoss er eine pietistische Schulbildung, zu der der weltweite Horizontder hallensischen Mission gehçrte. Im Anschluss daran absolvierte der Grafdie Kavalierstour durch Europa. Auf dieser Reise, so bekundet Zinzendorfsp"ter, sei sein Verst"ndnis f!r die%kumene gelegt worden.11 Der Graf, der alseiner der ersten %kumeniker gilt, erwies sich mit dieser Haltung trotz allerGegnerschaft zur Aufkl"rung als ein Kind aufgekl"rten Denkens.12 Er hielt dieKonfessionen f!r „Lehrweisen“ Gottes oder, wie er es nannte, „Tropen“13. Injedem Tropus gebe es Kinder Gottes, und die verschiedenen Konfessionenseien kein #bel. Da Christen in verschiedenen L"ndern und Klimazonenlebten, w"re eine einheitliche "ußere Ordnung ein unmenschlicher Zwang.14

Die Unit"t aber sei kein Tropus, sondern Abbild der !bergeordneten çku-menischen Kirche, in der es einen lutherischen, einen reformierten und einenm"hrischen Tropus gebe. Gerne h"tte der Graf auch einen „j!dischen Tropus“gehabt, doch fand er daf!r nicht gen!gend Juden.15 Die Idee von der !ber-geordneten Stellung der Unit"t zeigt die Ambivalenz im Selbstverst"ndniszwischen dienender Demut und elit"rer Auserw"hltheit. Im pietistischenKonzept der „ecclesiola in ecclesia“ von Philipp Jakob Spener – vom „Kirch-lein in der Kirche“ – wird dieser dem!tige Auserw"hltheitsgedanke sprachlichim Diminutiv des „Kirchleins“ deutlich.

Zinzendorf war ein Streiter. Zu den eindr!cklichsten Bildern dieser Ge-schichtstradierung gehçrt, wie Zinzendorf seine Waffe, Privileg des Adels, beiseiner Predigt auf der Kanzel !berm Talar trug – als er nach vielen Querelenordentlicher lutherischer Theologe geworden war. Der Graf erwies sich nichtals ein K!nder des Friedens – dieses biographische Detail trat in der zweitenH"lfte des 20. Jahrhunderts etwas in den Hintergrund –, er fand viele Feinde,und sein Lebensweg ist gepflastert mit gegen ihn gerichteten Schm"hschriften

10 Die Geschichte Zinzendorfs und der Gemeine im 18. Jahrhundert wurde unz"hligeMale erz"hlt.Zuletzt in knapper, analytisch starker Form von Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!-dergemeine; die vorliegenden Ausf!hrungen beziehen sich stark auf Meyer.

11 Vgl. Beyreuther, Der junge Zinzendorf, S. 203.12 Vgl. Duchhardt, S. 128.13 Von Christoph Matth"us Pfaff (1676–1760), der von verschiedenen Erziehungsweisen Gottes

(tropos paideias) sprach, Zimmerling, S. 156; vgl. zu Zinzendorf als %kumeniker Briefwechselzwischen Generalsekret"r des %RK Visser ’t Hooft und Heinz Renkewitz 1953, %RK 42.0068.

14 Vgl. Schneider, Zinzendorfs Kirchenverst"ndnis, S. 35; Zimmerling, S. 156.15 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 78.

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und Polemiken. Auch er selbst verfasste Streitschriften zu seiner Verteidigungund zumKampf gegen alle „Irrlehren“, vor allem gegen die Aufkl"rung. Selbstmit den Pietisten in Halle kam es zu schweren Auseinandersetzungen. In derGeschichtstradition der Herrnhuter wird dieser Gegensatz bis heute betontund dabei stets mit einiger Genugtuung verdeutlicht, wie sehr sich dieHerrnhuter von den gewçhnlichen Pietisten nicht nur in Halle unterschie-den.16

Das Bed!rfnis der Unit"t nach Distinktion entsprang auch ihrem Legiti-mationsdefizit. Da sie theologisch ausdr!cklich nicht von den Landeskirchenabwich und mit einigen Tausend Mitgliedern in Europa stets außerordentlichklein blieb, musste sie eine Rechtfertigung f!r ihre Sonderexistenz finden,auch wenn sie pro forma noch innerhalb der großen Kirchen organisiert war.Legitimit"t fand sie nicht nur in ihrer Geschichtskonstruktion, die sie alsNachfolgerin der Unitas Fratrum im Handumdrehen zu einer der "ltestenprotestantischen Kirchen !berhaupt machte, sondern zus"tzlich in einembesonderen „Dienst“, den sie der Christenheit zu bieten hatte. Diese Ver-pflichtungen, die von Anfang an Kennzeichen eines zivilgesellschaftlichenEngagements trugen, waren als Legitimationsgrundlage unverzichtbar. „Es istklar, dass eine kirchliche Gemeinschaft, die doch eine verh"ltnism"ßig sogeringe Mitgliederzahl aufweist wie die Br!dergemeine“, hieß es in dendreißiger Jahren, „nur dann eine Daseinsberechtigung besitzt, wenn inneretreibende Kr"fte […] ein geeignetes Feld der Bet"tigung finden.“17 Schon 1732begannen die m"hrischen Handwerker mit derMission. Zinzendorf hatte sichdieser Aufgabe seit seiner Schulzeit in Halle verpflichtet gef!hlt.18 In vielerleiHinsicht unterschieden sich die Herrnhuter Missionare von anderen – einUmstand, der wesentlich zur Konstituierung der Auserw"hltheit beitrug. Sostand Mission im Zentrum des Engagements und Selbstverst"ndnisses derGemeine und wurde nicht als eine Angelegenheit unter vielen betrieben.19

Zudem richtete sich die br!derische Mission bemerkenswerterweise an diebesonders unterdr!ckten Menschen, die Sklaven Westindiens, die Indianernin Nordamerika oder an die Grçnl"nder. Zinzendorf legte auch Wert darauf,sich den Individuen zuzuwenden, nicht ganzen Vçlkern.20 Die Herrnhutersind ein Beispiel daf!r, dass das Bild von der Mission als Dienerin des Kolo-nialismus zu eindimensional ist – wie auch die neuere Missionsforschungaufgezeigt hat. Sowar die Bildung generell einwichtiger Bestandteil gerade derprotestantischen Mission mit ihrem Schriftbezug. Die Herrnhuter erwiesen

16 Brecht, Zinzendorf in der Sicht seiner Kritiker ; Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!-dergemeine, S. 32; vgl. die Einsch"tzung Halles von Str"ter.

17 Verein der Freunde der Br!dergemeine, Br!dergemeine und ihre Werke, S. 9 f.18 Vgl. Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 98.19 Vgl. Wellenreuther, Pietismus und Mission, S. 168; Wessel, Zinzendorfs #berlegungen zur

Mission, S. 165 f.20 Wessel, Zinzendorfs #berlegungen zur Mission, S. 167; Prein, S. 332.

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sich in dieser Hinsicht nicht als Ausnahme, auch wenn sie in ihren Missi-onserz"hlungen ihren Bildungsimpetus als eine Besonderheit hervorhoben.21

Seit dem 20. Jahrhundert nimmt im Missionsnarrativ der Herrnhuter derangebliche Kampf gegen die Sklaverei breiten Raum ein. Das war freilich nichtder Fall. Herrnhut konnte Mission nur im Kontext seiner Zeit betreiben. DieUnit"t besaß im heutigen Surinam in S!damerika und im US-amerikanischenS!den eigene Sklaven.22 #berlegungen, bekehrten Sklaven die Freiheit zuschenken, lehnten die Herrnhuter in der Regel ab und ermahnten stattdessendie Bekehrten, ihrem Herrn treu zu dienen. Doch war die systematischeDiskriminierung von Schwarzen in der Gemeine theologisch undenkbar.23 Ein%lgem"lde aus dem 18. Jahrhundert, das bei den Herrnhutern in verschie-denen Fassungen Verbreitung fand, stellt die ersten Christen verschiedenerVçlker dar, die sich unter den Herrnhutern bekehrt hatten. Dieses sogenannte„Erstlingsbild“ zeigt Menschen aller Ethnien und Kontinente, die sich umeinen sanften Heiland scharen, der liebevoll seine Arme nach allen ausstreckt.Solche Vielfalt und Weltl"ufigkeit wurde bald wesentliches Element der aufDistinktion bedachten Tradition. Der US-amerikanische Historiker JonSensbach hat in einer Studie das Leben einer schwarzen Frau von der west-indischen Insel St. Thomas rekonstruiert und gezeigt, welche Mçglichkeiteneine Schwarze im 18. Jahrhundert innerhalb der Br!der-Unit"t hatte. Sielernte lesen und schreiben, und ihre Briefe gehçren zu den ersten schriftlichenZeugnissen einer schwarzen Frau. Als Predigerin arbeitete sie in ihrer Heimat,in Europa und in Afrika.24 Im 20. Jahrhundert betonte die br!derische Ge-schichtsschreibung die angeblich besondere Menschenfreundlichkeit derherrnhutischenMissionare und ihr Verst"ndnis f!r fremdeKulturen.25 F!r dasSelbstverst"ndnis und die Außenpr"sentation der Herrnhuter im Sozialismusstellte diese „antikolonialistische“ Missionstradition einen wichtigen Faktordar.

Auchwenn die Hilfe der Herrnhuter f!r die Sklaven und „Wilden“mitunterden Unwillen der Kolonialherren erregte, waren die Br!der doch bei ihrenVorhaben auf eine wohlgesonnene Obrigkeit angewiesen.26 Dieses Bem!henum ein geordnetes Verh"ltnis zu den Herrschern hat wohl ein staatstreues,

21 Vgl. Porter, zur Bildung bes. S. 323; Etherington ;Wellenreuther, Pietismus und Mission, S. 170;Wessel, Zinzendorfs #berlegungen zur Mission.

22 Motel, Von der Saat zur Ernte, S. 16 f. ; vgl. zur Haltung der Herrnhuter gegen!ber der Sklavereidie ausgezeichnete Studie von Sensbach, Rebecca’s Revival, S. 53 u. 142; Beck, S. 40; 184 f. ;Auskunft von C. Atwood an die Autorin, 4.3.2008.

23 M!ller, Bete und arbeite!, S. 1–6; Faull, 77 f. ; Sensbach, Rebecca’s Revival, S. 77; Peucker, FromAll Nations.

24 Vgl. Sensbach, Rebecca’s Revival.25 Vgl. etwa G. Hasting an P. Fueter, 15.3. 1954, UA DEBU 458; Meyer, Zinzendorf und die

Herrnhuter Br!dergemeine, S. 78; vgl. auch die Missionserz"hlungen, die die br!derischenKinder hçrten, Morgenstern, S. 148.

26 Vg. Sensbach, Rebecca’s Revival, S. 142; vgl. dazu auchHamilton u. Hamilton, Erneuerte UnitasFratrum, S. 63–67; Beck, S. 112.

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kaum zum Widerstand f"higes Herrschaftsverst"ndnis gest"rkt. Herrnhuterpflegten im 18. Jahrhundert – von Zinzendorfs Querelen abgesehen – in allerRegel eine passive Loyalit"t gegen!ber der Obrigkeit. Zur Franzçsischen Re-volution lautete die Stellungnahme: „Sich so viel als mçglich heraushalten, amwenigsten Parteif!hrer an seinem Orte zu sein. […] Gehorsam der Obrigkeit,welche die Gewalt hat.“27

In den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts zogen einige Herrnhuter nachNordamerika. 1742 gr!ndete Zinzendorf, der gerade durch Amerika reiste,Bethlehem in Pennsylvania.28 Die Mitglieder dort lebten wie ihre Glaubens-genossen in Herrnhut. Ein gemeinsamer Tagesrhythmus und die spezifischeHerrnhuter Frçmmigkeitspraxis gab !ber Grenzen und Meere hinweg allenMitgliedern das Gef!hl der Verbundenheit.29 Bethlehem liegt in der eigenar-tigen Topographie Pennsylvanias, deren Ortsnamen noch heute auf protes-tantische Exulanten und Sektierer aller Couleur verweisen: Ephrata, Ger-mantown, Nazareth, Harmony oder die Siedlungen der Amish People.30 DieHerrnhuter Siedlung Salem in North Carolina, sp"ter Winston-Salem, wurdeder Sitz der Amerikanischen S!dprovinz.

F!r ihreMissionsprojekte in Amerika, Grçnland oder S!dafrikamusste dieUnit"t ihre theologische Berechtigung untermauern. Dabei war sich Zinzen-dorf der legitimatorischen Kraft von Geschichte bewusst und bekannte intern,dass er Tradition instrumentalisiere, um neue Missionsfelder erschließen zukçnnen.31 Zinzendorf nahm Kontakt mit einem polnischen Zweig der Unit"tauf. Der dortige Bischof Daniel Ernst Jablonsky war der Enkel von JohannAmos Comenius und weihte qua seiner Abstammung Zinzendorf und einenweiteren Herrnhuter zum Bischof. Da die Gemeine keine Funktion f!r das austaktischen Gr!nden eingef!hrte Bischofsamt hatte, blieb es – auf Lebenszeitverliehen – eine geistliche Instanz ohne Leitungskompetenzen. Trotz diverserAnfeindungen funktionierte diese Legitimit"tstaktik !ber die alte UnitasFratrum erstaunlich gut. Auch f!r die Selbstvergewisserung der kleinen Ge-meinschaft war die Okkupation einer alten, an M"rtyrern und Traditionenreichen Geschichte essentiell.Womit Zinzendorf jedoch nicht rechnen konnte,war die Eigendynamik seiner Traditionserfindung: Gegen seinen Willen be-gr!ndeten die Br!der und Schwestern 1742 w"hrend Zinzendorfs Amerika-Aufenthalt eine unabh"ngige Freikirche. Der Gemeine schien es folgerichtig,mit der Vergangenheit einer der "ltesten protestantischen Kirchen eine eigene

27 Zitiert nachMeyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, 104; vgl. Lehmann, Pietismand Nationalism, S. 45.

28 Fogleman, S. 148–177; Archives of the Moravian Church Bethlehem, A History of the Begin-nings; Europ"isch-Festl"ndische Br!der-Unit"t Bad Boll, Denkschrift „Kirche undWirtschaft“,S. 3; Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 48 f.

29 Mettele, „Imagined Community“ jenseits der Nation.30 Vgl. dazu auch Ehmer ; Ellis.31 Schneider, Zinzendorfs Kirchenverst"ndnis, S. 33; Blaufuß, Korrespondierender Pietismus,

S. 204.

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Gemeinschaft zu bilden.32 Diese Traditionserfindung der alten Br!der-Unit"twurde im Laufe der Jahrhunderte vielf"ltig genutzt. So betonten etwa dieenglischen und amerikanischen Gemeinen sp"ter diesen historischen Ur-sprung, um ihre Selbst"ndigkeit gegen!ber der m"chtigen deutschen Mut-terkirche behaupten zu kçnnen. In ihrem Namen „Moravian Church“ erin-nerten sie an das Herkunftsland der Exulanten.33

Das Verh"ltnis der Br!dergemeine in Deutschland zu den Landeskirchenblieb stets intensiv und war zugleich von einer merkw!rdigen Ambivalenz.Um ihre Unabh"ngigkeit und ihren elit"ren Status zu wahren, betonte dieUnit"t die habituellen Unterschiede, doch blieb sie den Landeskirchen orga-nisatorisch eng verbunden und versuchte, schwierige politische Zeiten inihrem Windschatten zu !berstehen. Zahlreiche Herrnhuter hatten eine Dop-pelmitgliedschaft in der evangelischen Kirche und in der Unit"t, und etlicheGemeinmitglieder waren in f!hrenden kirchlichen Stellungen etwa alsHochschullehrer, Akademieleiter oder als Generalsekret"r des Kirchentags.34

Das Verh"ltnis der Unit"t zu den Landeskirchen zeigt die Dialektik zwischenelit"rer Abschottung und toleranter Offenheit. Obwohl stark lutherisch ge-pr"gt, war die Gemeine f!r alle Konfessionen offen und erkl"rte dogmatischeFragen f!r zweitrangig. Diese Indifferenz gegen!ber den Dogmen sollte sichals hilfreich erweisen, wenn es darum ging, sich immer neuen Verh"ltnissenanzupassen. Gleichwohl konstituierte die Gemeine durch ihre Frçmmig-keitspraxis ihre Sonderstellung. Noch bevor sie eine eigenst"ndige Freikirchewurde, erkl"rte die in London tagende Synode am 13. November 1741 Jesusfeierlich zum „General"ltesten“, also zum Vorsitzenden der Gemeine. Damitbeanspruchte die Unit"t theokratische Strukturen. Die Beteuerung eines Bi-schofs der DDR in den siebziger Jahren, das Fest werde in hohen Ehren ge-halten, doch achte die Unit"t darauf, „dass hieraus kein Hochmut der Br!-dergemeine gegen!ber anderen Kirchen entsteht“, unterstreicht den ambi-valenten Auserw"hltheitsgestus.35 Auch andere Riten zeugten von dem theo-kratischen Anspruch. Seit 1731 druckte die Gemeine das „Losungsbuch“, einj"hrlich erscheinendes Andachtsbuch, in dem f!r jeden Tag ein biblischesWort stand. Dieses Wort war „gelost“, das heißt, aus einem Pool frommerSpr!che gezogen und damit quasi von Gott selbst gegeben worden. Von An-fang an diente die gedruckte Fassung als Bindeglied zwischen den weit zer-

32 Vgl. Schneider, Zinzendorfs Kirchenverst"ndnis, S. 34. Schneider erkl"rt, die TropenlehreZinzendorfs sei auch kirchenpolitische Taktik gewesen, um die Br!dergemeine vor dem Vor-wurf zu sch!tzen, sie bilde eine illegale vierte Konfession, Schneider, Zinzendorfs Kirchenver-st"ndnis, S. 35.

33 Linyard, S. 26.34 Vgl. Hickel, Lebenserinnerungen, S. 117 f.35 Gill, Freikirche in der Landeskirche, S. 10.

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streuten und reisenden Mitgliedern der Gemeine.36 Sp"ter wurden die Lo-sungen schon Jahre im Voraus aus alttestamentarischen Worten „gezogen“und mit einem neutestamentarischen Wort sowie einer Liedstrophe bzw.einem Gebet versehen.

Die Br!der-Unit"t brauchte solche Traditionen, um ihre Identit"t als dis-tinkte Gruppe zu erhalten. Denn diese war zunehmend durch die weltweiteVerbreitung gef"hrdet. Nicht nur die Missionare sorgten f!r ein weltum-spannendes Netzwerk, auch die Zentrale der Gemeine um Zinzendorf musstesich von der s"chsischen Heimat lçsen, da der Graf zweimal des Landes ver-wiesen wurde. Zinzendorf reiste immer çfter !ber Land und See, um Neu-gr!ndungen zu ordnen und die Missionsarbeit voran zu treiben. Die Ge-folgschaft um den Reichsgrafen nannte sich „Pilgergemeine“ und griff damitauf ein christlichesMotiv zur!ck, das im deutschen Protestantismus vor allemdurch den Pietismus an Bedeutung gewann:37 das Bild vom Leben auf demschmalen Weg als m!hsamem Pilgerpfad zur himmlischen Heimat. Das Pil-ger-Konzept pr"gte die Herrnhuter Tradition und wurde in der Zeit nach 1945neu formuliert. Wichtig f!r die Identit"t erwies sich auch das festlich ge-stimmte, barocke Fest- und Alltagsleben, das der Graf konzipierte.38 DieBr!dergemeine war gerade unter Adligen schick, eine Aufnahme vielmalsbegehrt. Auch Goethe, der sp"ter an der Synode von 1769 als Gast teilnahm,war fasziniert und nach eigenem Bekunden beinahe Mitglied der Unit"t ge-worden – wovon bis heute nicht ohne Stolz in der Br!dergemeine erz"hltwird.39 Doch eine Aufnahmewar nur nach intensiven geistlichen Pr!fungen zuerlangen.

Zinzendorf teilte die Unit"t nach Geschlecht und Familienstand in Chçreein. Jedes Chor (Chor tats"chlich als Neutrum) hatte sein eigenes Fest. DieGeschlechtertrennung verschaffte den Frauen, wie in der Anfangsphase desPietismus generell nicht un!blich, eine bedeutende Stellung. Parallel zurm"nnlichen Struktur predigten sie in ihren Chçren, !bten Seelsorge, leitetenVersammlungen und ganze Institutionen.40 Erst sp"ter glichen sich dieHerrnhuter auch in Geschlechterfragen dem protestantischen Umfeld an undentmachteten die Schwestern. W"hrend allerdings im 19. Jahrhundert Frauenin vielen kirchlich-zivilgesellschaftlichen Bereichen wie der Diakonie einegroße Bedeutung errangen, holte die Br!der-Unit"t diese Feminisierung erstim 20. Jahrhundert nach.41

36 Das Wort „Losung“ geht dabei jedoch nicht auf die Lospraxis, sondern auf den milit"rischenGebauch zur!ck; Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 28; Beyreuther,Allhier beisammen, S. 208.

37 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 38.38 Mettele, Wanderer, S. 35 u. 48.39 Vgl. Raabe.40 Mettele, B!rgerinnen und Schwestern, S. 39 f. ; Faull ; Smaby, Forming the Single Sisters Choir in

Bethlehem; Friedrich, Herrnhutische Lebensl"ufe, S. 210; Zimmerling, S. 35 u. 82–85.41 Vgl. zur „Feminisierung der Religion“ im 19. Jahrhundert Welter.

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Das Gewçlbe der Herrnhuter Geschichte und Tradition ist wie in anderenKirchen voll mit Gedenkdaten und Geschichten der M!tter und V"ter. Aller-dings wurden Geschichte und Tradition in der Unit"t besonders intensiv ge-pflegt und mit Hilfe des Curriculums in der Jugendarbeit und mit Ritenkonstituiert und gefestigt. Das Jahr war neben den Feiern des protestantischenKirchenkalenders gegliedert durch einen zus"tzlichen br!derischen Festka-lender. Besonders reich war das liturgische Leben.42 Das Kinderchor hatteebenso wie die Schwestern-, Witwen- und anderen Chçre j"hrlich sein eigenesFest. Herzst!ck des Gemeinlebens war der sonnt"gliche Gottesdienst. Erwurde „Versammlung“ genannt, da ja das ganze Leben ein Gottesdienst sei.Der Prediger bzw. Gemeinhelfer war weiß gekleidet. Die Schwestern trugeneinen weißen Umhang und eine weiße Haube und unterschieden sich damitvon den nicht-br!derischen Kirchenbesuchern.

Wesentlicher Bestandteil des br!derischen kulturellenGed"chtnisses ist dieMusik. Die amerikanische Moravian Church trug dazu bei, Johann SebastianBach in denUSAeinzuf!hren. Der hohe Stellenwert des Liedes zeigt sich in der„Singstunde“, in der die Versammelten thematisch geordnet verschiedeneLiedstrophen singen und dazwischen Lesungen hçren. So ergibt sich eine„Liederpredigt“.43 In seiner Lyrik entwickelte der Graf zusammen mit derGemeine eine orgiastische, hocherotische, mystische, f!r Außenstehendeschwer verst"ndliche Terminologie. Der Germanist Hans-J!rgen Schraderweist dieser eigent!mlichen Liedsprache der Gemeine zu Zinzendorfs Leb-zeiten die Funktion der Abgrenzung nach außen und der St"rkung der innerenGemeinschaft zu.44 So zeigt die Frçmmigkeitspraxis neben der theologischenBedeutung immer wieder diese zwei Funktionen: Selbstvergewisserung nachinnen und damit Abgrenzung nach außen.

Die Zeit der Gemeine bis zu Zinzendorfs Tod ist in der Geschichtsschrei-bung und im Bewusstsein der Gemeine eine goldene, heile Zeit, wenn auchKonflikte und Probleme dieser Anfangsphase durchaus eingestanden und indie Tradierung aufgenommen wurden.45

42 Vgl. zur Liturgie in der Br!dergemeine Schatull, Liturgie.43 Schatull, Liturgie in der Herrnhuter Br!dergemeine Zinzendorfs, S. 89.44 Schrader, Zinzendorf als Poet, S. 153.45 So etwa die „Sichtungszeit“ in den 1740er Jahren, von der in jeder Herrnhuter Geschichte als

große Krise die Rede ist; in der „Sichtungszeit“ nahm das Gef!hl !berhand und erotisch-mythische Feiern und Lieder pr"gten das Leben. Atwood erkl"rt jedoch, diese sp"ter so ver-teufelte Zeit sei eine Fiktion, die man im Nachhinein erfunden habe, um alles Unkonventionellean der Br!dergemeine in dieser „Sichtungszeit“ zu verdammen und durch die !berwundeneKrise einem frommen „Standard Model“ zu entsprechen, Atwood, Interpreting and Misinter-preting the Sichtungszeit.

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1.2 Anpassungen. Vom 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts

Mit dem Tod des Reichsgrafen 1760 begann eine Epoche der Umstrukturie-rung und Reformulierung bisheriger Traditionen, in der die Gemeine ihreAnpassungsf"higkeit bewies. Auf drei „Reformsynoden“ in den Jahren 1764,1769 und 1775 gaben sich die Herrnhuter eine neue Ordnung.46 Die Unit"tbem!hte sich, ihre Loyalit"t gegen!ber den Landeskirchen und der konven-tionellen Theologie zu unterstreichen, um dem immer gef!rchteten Rucheiner Sekte zu entgehen.47 Zinzendorfs Schriften wurden daf!r gr!ndlichzensiert, vielmals durch Schw"rzungen zerstçrt, seine Lyrik bis zur Un-kenntlichkeit konventionalisiert, eigent!mliche Lehren des Grafen, wie dieApostrophierung des Heiligen Geistes als „Mutter“, abgeschafft. Zu diesemAnpassungsprozess gehçrte es auch, den Einfluss der Frauen in der Gemeineeinzuschr"nken. Die Br!der-Unit"t nahm zudem deutlich Stellung gegen dieAufkl"rung, und st"rkte auf den Synoden ihr christozentrisches theologischesSelbstverst"ndnis.48 Dank der Konventionalisierung und der sich festigenden,auf Konsens zielenden theologischen und kirchenpolitischen #berzeugungengewann dieUnit"t an Akzeptanz und es çffneten sich ihr neue T"tigkeitsfelder.In Russland bot sich mit dem Regierungsantritt Katharinas II. die Gr!ndungeiner Kolonie: Sarepta an der Wolga. Mit Gnadau in Sachsen (1767), Chris-tiansfeld in D"nemark (1772, heute zum Weltkulturerbe gehçrend) und Kç-nigsfeld in W!rttemberg (1806) entstanden neue Ortsgemeinen. Kçnigsfeldwurde als Bollwerk gegen die Sp"taufkl"rung begr!ßt und von schw"bischenPietisten tatkr"ftig unterst!tzt.49

In Schlesien war die Unit"t bereits seit 1742 aktiv. In diesem Jahr hatteFriedrich II. eine „Generalkonzession“ erlassen „zu dem Etablissements derm"hrischen Br!der“.50 Auch wegen dieses Erlasses f!hlte die Gemeine immereine besondere Zuneigung zum preußischen Herrscherhaus. Die schlesischenGemeinen Niesky, Gnadenfrei, Gnadenberg, Neusalz und Gnadenfeld inOberschlesien z"hlten bald zu den bl!hendsten Ortsgemeinen. Die herrnhu-tischen Betriebe in Schlesien waren ber!hmt und trugen zur wirtschaftlichenKonsolidierung der Br!dergemeine bei, deren Finanzen durch Zinzendorfsunbedachtes çkonomisches Walten nach dessen Tod darniederlagen.51 Mit-glieder der Br!der-Unit"t waren angehalten, keine Landwirtschaft zu betrei-

46 Gill, Freikirche in der Landeskirche, S. 9; Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!derge-meine, S. 63–66.

47 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 66.48 Vgl. dazu Hahn, Bild Zinzendorfs; Schrader, Zinzendorf als Poet; Atwood, Interpreting and

Misinterpreting; Mettele, B!rgerinnen und Schwestern, S. 74 f.; Meyer, Zinzendorf und dieHerrnhuter Br!dergemeine, S. 85 f.

49 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 70; Weigelt, S. 114 f.50 Zitiert nach Philipp, Sozial- und Wirtschaftsstruktur, S. 72.51 Schiewe, Br!dergemeine in Polen, S. 73–76; Philipp, Sozial- und Wirtschaftsstruktur.

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ben, um nicht an Ort und Scholle gebunden und jederzeit f!r den „Pilgerweg“und die Mission bereit zu sein. Daher war die Sozialstruktur der Gemeinortehandwerklich und kaufm"nnisch gepr"gt. Durch die gegenseitige F!rsorgeund die Verpflichtung der Unternehmungen f!r das Allgemeinwohl gab eskaum soziale Probleme.52 Die Unit"t betrieb Handelsh"user in St. Petersburg,Moskau und Astrachan, in denen sie insbesondere mit Leinen handelte. Diekaufm"nnisch t!chtigen Herrnhuter erwarben meist die Zuneigung derHerrscher und erhielten das Privileg der Milit"rfreiheit.53 Durch die Missi-onsarbeit im karibischen Raum unterhielt die Unit"t im 19. Jahrhundert auchdort bedeutende Wirtschaftsunternehmen.54 Urbild aller br!derischer Kauf-leute ist der Straßburger Abraham D!rninger (1706–1773), Gr!nder derFirma D!rninger & Co.55

Eine große Bedeutung erlangte die „Diasporaarbeit“. Damit war die Be-treuung von Mitgliedern anderer Kirchen gemeint, die teilweise in einembesonderen liturgischen Akt, als „Diasporageschwister“ aufgenommen wur-den, jedoch keine Voll-Mitglieder waren. Mit dieser Arbeit, das betonte dieUnit"t, wollte sie den anderen protestantischen Kirchen dienen und keineeigenen Mitglieder werben. Die Br!dergemeine stellte eigens „Diasporaar-beiter“ ab, die f!r ein bestimmtes Gebiet zust"ndig waren und von Gemeindezu Gemeinde reisten, Konventikel abhielten und Seelsorge betrieben. DieseAufgabe spielte eine wichtige Rolle bei der Unterst!tzung protestantischerChristen in !berwiegend katholisch gepr"gten Gegenden. So gab es etwa inder zweiten H"lfte des 18. Jahrhunderts rund 15 000 durch die Diasporaarbeitbetreute Balten. 1827 wurden allein auf deutschem Gebiet 25 000 Diaspora-geschwister gez"hlt, zu denen eine noch grçßere Zahl an Mitgliedern der„Freundeskreise“ gerechnet werden muss, die der Gemeine in loser Formverbunden waren.56 Auch in Russland, den skandinavischen L"ndern, inUngarn, den Niederlanden, Frankreich und in der Schweiz bildeten sichSchwerpunkte br!derischer Diasporaarbeit. Besonders erfolgreich war dieArbeit im Warthe- und Netzebruch çstlich der Oder, wo die Br!der 1802 mitihrer Arbeit begannen. Mitte des 19. Jahrhunderts k!mmerte sich die Unit"tdort um rund 3 000 Diasporamitglieder. Da es hier sonst keine Betreuung f!rdie Protestanten gab, setzte sich die br!derische Festkultur und Liturgiedurch.57 Theologisch kam in der Diasporaarbeit die çkumenische Tropen-IdeeZinzendorfs zum Tragen, da die Unit"t Protestanten aller Denominationenbetreute. Auf der anderen Seite verdeutlicht jedoch die hierarchische Abstu-fung zwischen Vollmitgliedern, Diasporamitgliedern und Freundeskreis ein-

52 Sozial-ethischer Ausschuss, Denkschrift „Kirche und Wirtschaft“, S. 1; Philipp, Sozial- undWirtschaftsstruktur, S. 78.

53 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 88.54 Motel, Von der Saat zur Ernte.55 Zimmerling, S. 105; vgl. zu AbrahamD!rningerKrçger ;Mettele, Kommerz und frommeDemut.56 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 73; Weigelt, S. 116.57 Weigelt ; Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 73 u. 108.

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mal mehr die auf Abgrenzung bedachte Frçmmigkeitspraxis der Freikirche,zumal ein Beitritt zur Gemeine als Vollmitglied schwierig war. Mitte des20. Jahrhunderts beklagte sich ein Prediger, der Jahrzehnte in der Diasporagearbeitet hatte, !ber die tief sitzenden#berlegenheitsgef!hle der Herrnhutergegen!ber den Diasporamitgliedern.58

Wie die Missionsarbeit und die Handelsbeziehungen weitete die Diaspo-raarbeit den Horizont der Br!dergemeine. 1787 bezeichnete der Aufkl"rerChristian Gotthilf Salzmann (1744–1822) die Herrnhuter als „wahre Welt-b!rger“.59 Diese globale Gemeinschaft ist ohne den theologischen Hinter-grund der Tropen-Idee und des çkumenischen Ideals nicht verst"ndlich. Zwarverlor die weltweite Verbindung insbesondere im 19. Jahrhundert an Bedeu-tung, doch erneuerten die Synoden immer wieder den Grundsatz der welt-weiten Verfasstheit. So hieß es etwa in den 1818 formulierten „Unit"ts-Sta-tuten“, der „hohe[] Beruf“ der Gemeine sei es, „einen Theil der auf der Erdezerstreuten lebendigen Gemeine Jesu darzustellen, das ist eine Gesellschaftvon wahren Kindern Gottes“.60 F!r die ostdeutschen Herrnhuter sollte dieseVerbindung „der auf Erden zerstreuten“ Gemeine wieder eine zentrale Rollespielen.

Im 19. Jahrhundert fand die Br!dergemeine neben ihrer Missionsarbeiteine weitere Aufgabe: die P"dagogik. Sie war aus der Mission hervorgegangenf!r die Kinder der Mitarbeiter in #bersee. Neben den Schulen und Internatenin den Ortsgemeinen erlangte die bereits im 18. Jahrhundert gegr!ndete La-teinschule in Niesky, genannt das P"dagogium, große Bedeutung.61 Als ihrbedeutendster Absolvent gilt der Theologe Friedrich Schleiermacher (1769–1843). Die Schulen çffneten sich auch f!r Nicht-Herrnhuter und erfreuten sicheines wachsenden Renommees. Im 19. Jahrhundert erlebte die br!derischeP"dagogik eine Bl!te. Es gab f!r M"dchen und Jungen nun insgesamt 45Anstalten in Europa und vier in Amerika. Viele Kinder der hçheren Gesell-schaftsschichten besuchten die Unterrichtsanstalten.62 Auch in den Missi-onsstationen gehçrte die Einrichtung von Schulen zu den ersten Pflichten.Außerdem bildete die Unit"t einheimische Lehrer in ortsans"ssigen Einrich-tungen aus. F!r das Studium ihrer Geistlichen besaß die Br!der-Unit"t eineigenes Theologisches Seminar, auch wenn viele br!derische Theologen zu-s"tzlich an den Universit"ten studierten.63

Dennochwar das 19. Jahrhundert f!r die Br!dergemeine zun"chst eine Zeitder Erstarrung. Die Mitgliederzahlen waren r!ckl"ufig, und einige Ortsge-

58 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 72; H. Meyer an Th. Gill, 26. 11.1957,UA DEBU 610.

59 Salzmann, Carl von Carlsberg, S. 302 f. , zitiert nach Mettele, Wanderer, S. 360 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 90.61 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 79–83.62 Philipp, Sozial- und Wirtschaftsstruktur, S. 117; Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!-

dergemeine, 105.63 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 105 u. 83–85.

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meinenmussten aufgegebenwerden. Der br!derische Historiker Hans-WalterErbe charakterisiert die Jahrhundertmitte als „die ,Welt der Stillen im Lande’,ein St!ck deutsches Biedermeier, b!rgerlich und adlig, in sich abgeschlossenin ihren ,Ortsgemeinen’, diesen stillen, sauberen Siedlungen […] in denennahezu 100 Jahre lang […] die Zahl der Bewohnerschaft gleich blieb (meistzwischen 200 und 500 Mitglieder umfassend)“.64 Die Festkultur, das akzent-freie Deutsch in der l"ndlichen Umgebung, die kapriziçsen Gartenanlagen –all das sorgte f!r frommes Hochgef!hl und Distinktion. Doch die Traditionpasste sich den neuenVerh"ltnissen an. In der Generalsynode von 1818, zu deralle Vertreter der weltweiten Unit"t zusammenkamen, forderten die Nord-amerikaner mehr Kompetenzen und die Aufhebung des Milit"r-Verbots.65

Bereits w"hrend des Unabh"ngigkeitskrieges in den 1770er Jahren waren dieamerikanischen Br!der in einen massiven Loyalit"tskonflikt geraten. DieRevolution verlangte eine nationale Positionierung und stellte damit die, wieGisela Mettele es nennt, „’multiple’ Zugehçrigkeit“ der Herrnhuter in Frage.66

Viele junge M"nner verließen die Moravian Church, da sie sich der jungenamerikanischen Nation mehr verpflichtet f!hlten. 1844 çffnete Bethlehemseine Tore f!r den Zuzug von Nicht-Br!derischen.67

W"hrend f!r die amerikanischen Mitglieder bereits im 18. Jahrhundertandere Identit"tsangebote attraktiv wurden, stellte sich die nationale Frage inDeutschland durch die Napoleonischen Freiheitskriege zu Beginn des 19.Jahrhunderts. Im schlesischen P"dagogium zierten die Zçglinge das Inter-natshaus mit preußischenWappen.68 Die Herrnhuter gehçrten damit zu jenenpietistischen Strçmungen, die wesentlich an der Entstehung einer deutschenNationalit"t beteiligt waren, indem sie den Deutschen eine sakrale Funktionzuschrieben, ihre religiçse Loyalit"t auf politische Institutionen !bertrugenund sich diesen mit ihrem absoluten religiçsen Gehorsam unterstellten. Zudiesen pietistischen Gruppierungen z"hlten konservativ preußische Patrioten– Bismarck selbst erlebte in solchen Kreisen eine Bekehrung und las nichtzuf"lligerweise die Losungen, das herrnhutische Andachtsbuch. Die Unit"twar diesen preußisch-pietistischen Kreisen nicht nur ideell, sondern auchfamili"r verbunden.69

So çffnete sich die Br!dergemeine demMilit"r. 1840wurde imP"dagogiumdas „Nieskyer Regiment“ gegr!ndet. Das Kinder-Regiment entsprach der

64 Erbe, Herrnhaag, S. 45 f.65 Mettele, „Imagined Community“ jenseits der Nation, S. 64; vgl. dazu auch Sommer, Serving Two

Masters.66 Mettele, „Imagined Community“ jenseits der Nation, S. 63 f u. 89.67 Gollin ; Mettele, „Imagined Community“ jenseits der Nation, S. 90; Meyer, Zinzendorf und die

Herrnhuter Br!dergemeine, S. 94 f.68 Knothe, Nieskyer Traditionen, Teil I u. II, S. 77.69 Kaiser, Pietismus und Patriotismus; Lehmann, Pietism and Nationalism, S. 47; Pinson ; vgl. die

famili"ren Ausf!hrungen in Morgenstern; vgl. zur Bedeutung des Pietismus bei der Konsoli-dierung des Preußischen Staates Clark, S. 170 f.

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damaligen Mode und wurde Vorbild f!r andere br!derische Sch!ler-Regi-menter. Unter demEinfluss der nationalen Euphorie und der Offizierssçhne inden herrnhutischen Anstalten fand eine allm"hliche Militarisierung der Er-ziehung statt.70 1848 unterst!tzten die Herrnhuter mehrheitlich die herr-schenden F!rsten- und Kçnigsh"user.71 Die Nationalisierung der Anstaltensignalisierte, wie die identit"tsstiftende Kraft der weltweiten Gemeinschaftauch in Europa an Attraktivit"t verlore und von anderen Identit"tsangeboten!berlagert wurde. Im November 1871 erkl"rte die Leitung der Br!der-Unit"tin Deutschland in einem „Offenen Brief an die evangelischen Christen imdeutschen Vaterland“, wie in der Reformation werde Deutschland erneutQuell neuen Lebens und Lichtes sein.72 Allerdings konnte in Europa, anders alsin Amerika, in den Ortsgemeinen neben der National- und Monarchismus-euphorie die Hochsch"tzung einer angeblich apolitischen Haltung konser-viert werden. Mit dieser Einstellung bei gleichzeitiger nationaler Begeisterunggehçrte die Unit"t einmal mehr zum b!rgerlich-protestantischen Mainst-ream, der auch hier stark durch den Pietismus beeinflusst war.73

Auf der Generalsynode von 1857 gaben sich die Br!der eine neue, dezen-trale Verfassung, die das Ende eines Herrnhuter „Weltb!rgertums“markierte:Die Kirche teilte sich in eine amerikanische, eine englische und eine deutscheProvinz.74 In dieser Entwicklung lagen f!r die Unit"t bedeutende Chancen: Alsglobale Gemeinschaft h"tte sie in der Zeit der Nationalstaaten kaum bestehen,zumindest nur beschr"nkt agieren kçnnen. Indem sie sich ihrem Umfeldanpasste, hat sie ihre Existenz gesichert und doch zugleich ein internationalesBand bewahrt – auch wenn dieses lose geworden war.

Der Historiker Philipp Prein hat gezeigt, wie sich im 19. Jahrhundert aucheine Neufassung des Missionsauftrags entwickelte: Im Zuge der Nationali-sierung in Deutschland wandte sich die Herrnhuter Mission vom Zinzen-dorfschen Missionskonzept ab, in dem das Individuum im Mittelpunkt ge-standen hatte. Stattdessen operierte sie zunehmend mit einem Konzept von„Volkskirche“ und versuchte mit ihrer Mission, „Volksleben, Volkssitte,Volksganzes“ gerecht zu werden.75 Wie die anderen pietistisch gepr"gtenMissionen bezogen die Herrnhuter durch dieses Verst"ndnis allerdings Po-sition gegen die Kolonialisierung der Fremden und die Ausbreitung deutscherKultur auf anderen Kontinenten.76 Doch noch 1908 erschien in Herrnhut dieSchrift des Theologen Karl Friedrich M!ller, Pfarrer in der kaiserlichen Ma-rine, wie das Titelblatt hervorhob, in der er anhand der br!derischen Mission

70 Philipp, Sozial- und Wirtschaftsstruktur, S. 116–118; Prein, S. 333 f. ; vgl. dazu auch Jannasch.71 Stammler, Br!dergemeine in Deutschland im Umfeld der politischen Krise von 1848, insbes.

S. 68.72 Zitiert nach Prein, S. 334.73 Gailus, S. 16 f.74 Mettele, Wanderer, S. 255.75 Prein, S. 339, vgl. auch S. 332–311.76 Prein, S. 334, vgl. auch S. 336 u. 341.

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aufzeigte, wie „Missionare schon vor 150 Jahren die Neger zur Arbeit erzogenhaben“.77

Auch die Mode des Historismus ging an Herrnhut nicht vor!ber. Intensivarbeitete die Unit"t an ihrer Geschichte, die ihr von jeher als Legitimations-quell galt. Es gibt eine F!lle an historischer Forschung von Mitgliedern derUnit"t !ber ihre kleine Freikirche.78 Der Historismus ließ das Interesse derGemeine an ihren vermeintlichen Wurzeln in Bçhmen und M"hren erwa-chen. 1870 entstand in M"hren wieder eine eigenst"ndige Gemeine.79 Be-geistert schlossen sich Herrnhuter zudem der Mode um Turnvater Jahn an. Inder Anfangszeit hatte Zinzendorf daf!r pl"diert, mit den Kindern „Spazier-g"nge“ zu machen, als „Vorbereitung zu k!nftigen Pilgerreisen“. Nun dientendie Leibes!bungen der nationalen Begeisterung.80 Empf"nglich blieb die Ge-meine f!r den Nationalismus und den Monarchismus. 1900 wies die br!de-rische Wochenzeitung „Herrnhut“ die gemeinsamen Vorfahren von WilhelmII. und Zinzendorf nach. Geburtstage des Kaisers wurden mit eigenen Got-tesdiensten gefeiert. Zum 25j"hrigen Regierungsjubil"umWilhelms II. kam eszu einer großen „Nationalspende“ an die Unit"t.81 Die Tradition der Herrn-huter – „vornehm schlicht“ – !bte auf den Adel nach wie vor eine Anzie-hungskraft aus. Mitglieder des Kaiserhauses besuchten die Versammlungenim schçnen Kirchensaal der Berliner Gemeine in derWilhelmstraße.Mitte des19. Jahrhunderts erbaut, bot er eine gelungene Harmonie aus alten br!deri-schen Architekturelementen undmodisch klassizistischem Stil.82 Die BerlinerMitglieder gehçrten vielmals den oberen Gesellschaftsschichten an. Die Filialeder herrnhutischenTraditionsfirmaD!rninger &Co. lag amnoblen Boulevard„Unter den Linden“.83 Sp"ter notierte ein Prediger kritisch !ber die damaligeGemeine, die zum Großteil aus „angesehenen Persçnlichkeiten“ bestandenhabe: Die „Feste wurden mit einem großen Aufwand an leiblichen Gen!ssenund stimmungsvoller Betriebsamkeit begangen.“ Die Br!dergemeine, so derPrediger, habe mehr dem verfeinerten gesellschaftlichen Leben als dengeistlichen Anforderungen gedient – eine Gefahr, in der sich jede HerrnhuterGemeine befinde.84 Kasinobesucher des 1. Gardedragoner-Regiments am

77 M!ller, Bete und arbeite!, S. 1.78 Allein die Zeitschriften, die der Geschichte der Unit"t gewidmet sind, beeindrucken: Meyer,

Deutschsprachige Zeitschriften der Br!der-Unit"t.79 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 109.80 Lebenslauf Werner Burckhardt (gek!rzt), S. 1.81 Der Artikel im „Herrnhut“ ist zitiert in Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 337, UA Nachlass

Uttendçrfer ; Kunick, S. 38; Philipp, Sozial- und Wirtschaftsstruktur, S. 123–126; Meyer,Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 125; vgl. auch Hahn, Umgang mit Erinne-rung, 53–56.

82 Lebenslauf Frieda R"thling, geb. Nielsen, S. 2, UA; $ltestenrat Berlin an Archiv der DBU, 9. 3.1960, Gemeinarchiv Neukçlln, D VII Aufbau.

83 G!nther, Zerstreuung und Sammlung, S. 100; Jahresbericht Berlin Wilhelmstraße 1947, UADEBU 682.

84 Erg"nzungsbericht zum Jahresbericht Berlin 1947, Gemeinarchiv Neukçlln C3Ib1.

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Halleschen Tor, das in Nachbarschaft zur Gemeine in der Wilhelmstraße lag,sollen in die Wilhelminische Armee das br!derische Liebesmahl als sakraleFeier eingef!hrt haben.85

Die Kaiser- und Nationalismusbegeisterung der Br!dergemeine ist nur imKontext des deutschen Protestantismus verst"ndlich, in dem beides exzessivgepflegt wurde. Auch der Pietismus zeigte sich anf"llig f!r kaisertreue Ob-rigkeitshçrigkeit, obwohl Pietisten meist den Abscheu vor dem politischenTagesgesch"ft pflegten und eine unpolitische Haltung proklamierten.86 Rei-nold von Thadden, f!hrendes Mitglied der Bekennenden Kirche, diagnosti-zierte 1948 f!r den Pietismus jener Zeit eine „Verk!mmerung des Sinns f!rpolitische Maßst"be und Normen“.87 Allerdings darf bei dem harschen Urteilnicht vergessen werden, wie sehr diese Verk!mmerung in der deutschen Ge-sellschaft zur Regel geworden war. Diese Haltung, die meist eine antidemo-kratische, antiwestliche und antiindividualistische Gesellschaftskonzeptionimplizierte, war freilich zutiefst politisch.88

Parallel zur Nationalisierung und Militarisierung fand in der Br!derge-meine im 19. Jahrhundert eine geistliche Erneuerung statt. Die um 1820 ein-setzende Erweckungsbewegung erwies sich als ein Jungbrunnen.89 In Europaund Amerika erfasste die religiçse Bewegung Tausende von Menschen, auchdie amerikanischen Herrnhuter von den br!derischen Indianern in Mittel-amerika bis zu den Kaufleuten in Winston-Salem.90 Als Konsequenz ihrer„Erweckung“ suchte die deutsche Gemeine nach einer neuen Begr!ndung f!rihre Existenz und nach neuen Aufgaben. Ebenso wie die aufbl!henden Lan-deskirchen im 19. Jahrhundert entdeckten sie die Soziale Frage und errich-teten ein Sozialwerk. Die Unit"t blieb dabei stets in enger Verbundenheit mitder „Inneren Mission“, die Antwort der protestantischen Kirchen auf dieSoziale Frage. 1885 entstand ein Verband Herrnhuter Diakonissen.91 Dochblieb der diakonische Zweig eher klein. Außerdem besann sich Herrnhut er-neut auf eine seiner Kernaufgaben und zentrale Legitimationsgrundlage: dieMission. So entstanden in Tibet, Alaska oder Tansania weitere Missionsfel-der.92

85 Philipp, Sozial- und Wirtschaftsstruktur, S. 123 f.86 Greschat, Begleitung und Deutung, S. 499; Hçlscher, Geschichte der protestantischen Frçm-

migkeit, S. 279 f.87 Thadden-Trieglaff, Auf verlorenem Posten, S. 647.88 Vgl. dazu Meuschel, Legitimation, S. 15 f. ; vgl. f!r die Naturwissenschaftler, Niederhut, Wis-

senschaftsaustausch, S. 12.89 Weigelt, S. 116; vgl. zur Gemeinschaftsbewegung Ohlemacher ; vgl. zur Erweckungsbewegung

auch Rooden.90 Vgl. dazuNoll, Evangelikalismus;Meyer, Zinzendorf unddieHerrnhuter Br!dergemeine, S. 94–

98.91 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, 110; vgl. zur Innerne Mission und

Diakonie auch Kaiser, Innere Mission und Diakonie; Kaiser u. Greschat, Sozialer Protestantis-mus und Sozialstaat; Lehmann, Pietism and Nationalism, S. 47–49.

92 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 98 f.

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Die Mission rettete dann auch die Br!dergemeine davor, in beschr"nktemPatriotismus unterzugehen. Der britische Bischof ClarenceH. Shawe, der nach1945 wesentlich die internationale Hilfe f!r die Br!dergemeine koordinierte,stellte in der Generalsynode von 1909 den Antrag, Friedenskonferenzen zuunterst!tzen und çffentlich gegen den Krieg Stellung zu beziehen. Die Ge-neralsynode nahm den Antrag an. Am Vorabend des ErstenWeltkriegs, in derGeneralsynode von 1914, brachte der deutsche Theologe Theodor Marx einen„Friedensantrag“ ein.93 In abgeschw"chter Form akzeptierten die Synodalenden Antrag, in dem es dann unter anderem hieß: „Der internationale Cha-rakter der Unit"t sowie unser Missionswerk, das durch ungez!gelte Selbst-sucht der Vçlker und kriegerische Verwickelungen schweren Schaden leidenm!sste, legen uns im besonderen die Pflicht auf, f!r den Friedensgedankeneinzutreten.“94 Ob dieser Friedenswille auch von der Basis der Mitgliedergetragen wurde, ist fraglich. Der Patriotismus und die in der Gemeine undunter Theologen ausbrechende Kriegseuphorie 1914 sprechen dagegen.

Zahlreiche Sch!ler der Herrnhuter Anstalten meldeten sich als Freiwillige.In der Anstaltschronik des P"dagogiums hieß es, f!r die Jungen sei dieserWeg„der einzig und selbstverst"ndlich zu gehende […] gewesen: zur Waffe, auf ’sSchlachtfeld.“95 Der $ltestenrat der Gemeine Neuwied sorgte daf!r, dass derOrganist, ein Missionarssohn mit britischer Nationalit"t, als potenziellerFeind ins Internierungslager kam.Das Losungsbuchwurde unter den Soldatenverteilt.96 Wieder war die Unit"t nur Teil eines weit greifenden Ph"nomens:Theologen aller kriegsf!hrenden L"nder erkl"rten ihre Nation zum auser-w"hlten Volk und zum Siege pr"destiniert, undHerrnhuter in Großbritannienund Deutschland gehçrten zu den Mitunterzeichnern feindseliger Erkl"run-gen britischer bzw. deutscher Theologen, in denen jeweils der anderen Seitedie Schuld f!r den Krieg zugeschoben wurde. Die noch 1914 beschworeneInternationalit"t hatte sich in nichts aufgelçst.97

Traumatisch war das Kriegsende. Die Missionsfelder, die schwer unter demKrieg gelitten hatten, wurden der alleinigen Aufsicht der Herrnhuter Zentraleentzogen.98 Katastrophal wirkte sich auch die Inflation der zwanziger Jahreaus, da das Grundkapital der Unit"t zum Großteil in Deutschland angelegt

93 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, 104 f. ; vgl. zur allgemeinen SituationGreschat, Begleitung und Deutung der beiden Weltkriege, S. 498; Lehmann, Neupietismus undS"kularisierung, S. 47–56; vgl. auch Besier, Les &glises Protestantes.

94 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 105.95 Knothe, Nieskyer Traditionen, Teil I u. II, S. 80; vgl. auch Lebenslauf Gottfried Clemens.96 Hickel, Lebenserinnerungen, S. 11; Meyer, Zinzendorfs Gegenwartsbedeutung, S. 272.97 Vgl. Greschat, Begleitung und Deutung, S. 502 f. ; Hamilton u. Hamilton, Erneuerte Unitas

Fratrum, S. 410; vgl. auch die Auseinandersetzung im „Herrnhut“ und „Moravian Messenger“,z.B. Herrnhut, 4. 8. 1916, S. 173 f.

98 Bericht der Unit"tsdirektion, Distriktssynode West der Dt. Br!der-Unit"t, 1947, S. 12, MAB103HI, Baudert; Hamilton u. Hamilton, Erneuerte Unitas Fratrum, S. 410–412; vgl. auch Le-benslauf W. Burckhardt (gek!rzt), S. 2.

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war.99 Als noch schlimmer erwies sich der Graben, den der Weltkrieg inner-halb der Br!dergemeine gezogen hatte. Einige Provinzen w!nschten nach1918 das Ende der weltweiten Unit"t.100 In den USA hatten deutschsprachigeHerrnhuter in Folge der „Anti-German Hysteria“ ihre Versammlungen aufEnglisch umstellen und ihre deutschen Bibeln verstecken m!ssen. Die Ab-lehnung eines franzçsischen Jungen durch eine der deutschen Zinzendorf-schulen 1920 symbolisiert die nationalistische Verschlossenheit.101 Erst 1931trafen sich die Br!der in Herrnhut wieder zu einer Generalsynode, demhçchstenGremiumder weltweitenUnit"t (s. Organigramm1). DieDelegiertenmussten zun"chst beschließen, die globale Einheit beizubehalten.102 Dankihrer Missionsarbeit stand die Unit"t weiterhin in Verbindung mit der %ku-mene: Das 1921 gegr!ndete International Missionary Council Committee, einZusammenschluss zahlreicher Missionsgesellschaften, tagte in der Zwi-schenkriegszeit auch in Herrnhut. 1924 schloss sich die Unit"t in Deutschlanddem 1922 gegr!ndetenDeutschen EvangelischenKirchenbund als assoziiertesMitglied ohne Stimmrecht an.103

Die Grundhaltung der deutschen Gemeine blieb wie der Mainstream desProtestantismus konservativ-national. Sozialdemokraten wie der Theologeund Leiter des Diakonissenhauses „Emmaus“, Theodor Schmidt, waren eineAusnahme.104 In der br!derischen Wochenzeitung „Herrnhut“ hieß es 1919selbstkritisch: „[I]st es nicht in weiten Kreisen bei uns so, dass es als selbst-verst"ndliche Pflicht jedes guten Patrioten und Christen angesehen wird, zuden rechtsstehenden Parteien zu gehçren? Jeder, der sich als Demokrat odergar Sozialdemokrat bekennt, macht sich bei uns leicht etwas anr!chig“.105

Dass allerdings dergleichen kritische Stimmen im br!derischen Organ zuWort kamen, ist bemerkenswert und typisch f!r die Br!dergemeine, dieimmer von einer diskursiven Offenheit gepr"gt war. 1931 dozierte ein Lehrerim P"dagogium in einer Rede !ber „das Heilige“: Das sei eine „Vaterlands-gesinnung mit einem vertieften Sinn f!r die G!ter unseres Volkslebens undmit der Forderung unbegrenzter Hingabe an die wahren Volksinteressen, einSozialismus ohne Klassenschranken und Parteischranken […], der F!hrer-

99 Hamilton u. Hamilton, Erneuerte Unitas Fratrum, S. 410; D. S. Baudert an Br!der, 30. 11.1951,MAB 113FI, Germany, mission board; Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine,S. 126.

100 Meyer, Zinzendorf und dieHerrnhuter Br!dergemeine, S. 125; Hamiltonu.Hamilton, ErneuerteUnitas Fratrum, S. 410.

101 Auskunft von John H. Giesler an Autorin, 8. 5. 2006; Hamilton u. Hamilton, Erneuerte UnitasFratrum, S. 410; Kunick, S. 24; vgl. auch Knothe, Nieskyer Traditionen, Teil I u. II, S. 83.

102 Meyer, Zinzendorf und dieHerrnhuter Br!dergemeine, S. 125;Hamiltonu.Hamilton, ErneuerteUnitas Fratrum, S. 410; C. H. Shawe an British Representative no the Inter-Allied ControlCommission, 22.10.1945, MAB 103, C II, 1934.

103 Vgl. Unterlagen in Archiv %RK 26.0022; Vollprecht, S. 47–52.104 Weber, Theodor Schmidt; vgl. zur reflexhaften Ablehnung der Linken durch Pietisten Lehmann,

Neupietismus und S"kularisierung, S. 49 f. ; vgl. allg. Hçlscher, Frçmmigkeit, S. 371 f.105 Padel, Christentum und politische Partei, Herrnhut 21.2. 1919, S. 44.

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gedanke, der Gedanke der Mitverantwortung auch der werdenden Menschen,undmanches andere Heilige mehr.“106 Mit Zinzendorfs schlichter „KonnexionzumHeiland“ hatte das nur nochwenig zu tun. Doch die nationale Gesinnungdiente dem guten Renommee der Gemeine. F!hrende Herrnhuter erhieltenregelm"ßig Ehrendoktorw!rden von Theologischen Fakult"ten bedeutenderUniversit"ten. Die Unit"t war ein hoch geachteter Akteur im deutschen Pro-testantismus.107

Auch das Theologische Seminar bewies seine Anpassungsf"higkeit. Schonim 19. Jahrhundert hatte sich die Unit"t in den Streit um liberale oder kon-servativ „positive“ Theologie eingelassen, der den Protestantismus des 19.Jahrhunderts gespaltet hatte. Das ging bis zur Relegation von Dozenten, dieder Unit"tsleitung und den Mitgliedern nicht fromm genug erschienen. Einervon ihnen konnte sp"ter wieder zur!ckkehren, und am Ausgang des 19.Jahrhunderts wurden am Theologischen Seminar der Unit"t recht unter-schiedliche Lehrrichtungen geduldet – auch das ein Hinweis auf die geistigeOffenheit.108 In den zwanziger Jahren erschien demDozenten Gerhard Reicheldie br!derische Theologie als allzu angepasst und liberal, so dass er aus demSeminar ausschied.109 Auch Lebensl"ufe deuten auf eine Vielfalt in Theologieund Alltagsfrçmmigkeit dieser Zeit hin: Es zeigte sich neben theologisch li-beralen Auffassungen nach wie vor die herrnhutische Frçmmigkeit mit der„persçnlichen Konnexion mit dem Heiland“; außerdem gab es ein im Tradi-tionalismus aufgehendes Christentum, eine „Liebe zur Gemeine“ etwa, die vonden Schreibern mit den Riten und der Herrnhuter $sthetik definiert wurde, –bis hin zu Lebensl"ufen, die Religion kaum noch thematisieren.110 Da dieHerrnhuter traditionell wenig wert auf Dogmen legten, war die Gemeine offenf!r neue und vielf"ltige Strçmungen.

106 Zitiert nach Knothe, Nieskyer Traditionen, Teil I u. II, S. 95.107 Lebenslauf Theodor Marx, S. 11; Lebenslauf Samuel Baudert; Reichel, Gerhard Reichel, S. 250;

Meyer, Otto Uttendçrfer, S. 266.108 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 101–104.109 G"rtner an Direktion Bad Boll, 29.7. 1961, UA EFUD 913;Reichel, Gerhard Reichel, S. 249 f. ; vgl.

dazu auch die Anmerkungen im Lebenslauf von Erwin Fçrster.110 Vgl. beispielsweise Lebenslauf der Frieda R"thling, geb. Nielsen; Lebenslauf von Wilfried Me-

rian u. Erwin Fçrster ; vgl. Kuhn, Lebensl"ufe von Frauen, S. 557.

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2 Tradition im Rausch

2.1 „Gottes Durchhilfe und Segen. Heil Hitler!“ Die NS-Zeit

Der Pietismus w!hrend der NS-Zeit ist ein weitgehend unerforschtes Thema.Dennoch gew!hren kleinere Studien einen Einblick. Sie verweisen auf einegroße Anfangseuphorie und ab Ende 1933 auf eine Abkehr vom Nationalso-zialismus, die allerdings nur in Ausnahmef!llen zu Widerstand f"hrte.1 #berdie Br"dergemeine im Nationalsozialismus gibt es ebenfalls nur wenigeAufs!tze, die wiederum nur Einzelaspekte beleuchten.2

Herrnhut Anfang der dreißiger Jahre bildete eine fromme, abgeschotteteWelt, klein- und bildungsb"rgerlich zugleich, in der es dank des herrnhuti-schen sozialen Netzes kaum materielle Not gab.3 In diesem b"rgerlich-christlichen Kosmos wurde Hitlers Machtergreifung wie in ganz Deutschlandmit "berschw!nglicher Freude begr"ßt.4 Die NSDAP errang in den Reichs-tagswahlen vom 5. M!rz 1933 in Herrnhut rund 43 Prozent und damit fast soviel wie im Reichsdurchschnitt (knapp 44 Prozent). In den anderen Ortsge-meinen, von denen die Wahlergebnisse "berliefert sind, erhielt die NSDAPnoch mehr Stimmen. Kleinwelka mit "ber f"nfzig Prozent war f"hrend. Inganz Sachsen lag die Zustimmung zur NSDAP weit "ber dem Reichsdurch-schnitt.5 Ideelle und finanzielle Unterst"tzung erhielt die Partei seit 1929 vonder br"derischen Firma D"rninger & Co. In Herrnhut stand ein „BraunesHaus“, das D"rninger bereits 1932 der NSDAP zur Verf"gung gestellt hatte;nach der Machtergreifung wurde die Straße, in der es stand, in Adolf-Hitler-Straße umbenannt. Sp!ter sollte die Firma das Haus an die sozialistische FreieDeutsche Jugend weiterreichen.6

Paroli hatte den Nationalsozialisten der Herrnhuter DruckereibesitzerBruder Gustav Winter geboten, der sich im Wahlkampf f"r den Christlich

1 Vgl. z.B. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, S. 323–348; Thadden, Zwischen Welt-ferne und Staatstreue, S. 654–658; Ohlemacher, S. 450–455.

2 Damaschke, Diktatur und Kirche; Knothe, Nieskyer Traditionen; Kunick ; Peucker, ZeisterBr"dergemeine im Zweiten Weltkrieg; Aufs!tze in Unitas Fratrum 53/54 (2004) "ber den Um-gang der Gemeine mit der NS-Vergangenheit.

3 Vgl. Damaschke, Diktatur und Kirche, S. 78; Lebenslauf Christa Hickel, geb. Becker, S. 1.4 Vgl. die Jahresberichte 1933 der Gemeinen, der Direktion etc., UA.5 „Aus den Gemeinen der Deutschen Br"der-Unit!t“, in: Herrnhut, 8.3. 1933, S. 92; Reichstag-

Wahlergebnisse in Br"dergemeinen, zusammengetragen von G. B"hler, in Unitas Fratrum 40(1990), S. 20; Wagner, „Machtergreifung“.

6 Antrag der Br"der-Unit!t Herrnhut vom 20. August 1948 auf R"ckgabe der G!ter, Stellung-nahme Merian, S. 24, Bundesarchiv DO 4/342; Bericht der Dienststelle Lçbau, 13.1.1956, BStUBV Drd. KD Lçbau 18066, S. 2.

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Sozialen Volksdienst (CSVD) engagiert und Flugbl!tter gegen die NSDAPgedruckt hatte.7 Der CSVD hatte sich 1929 in Abgrenzung zu dem antisemi-tischen und arbeitnehmerfeindlichenKurs der DeutschnationalenVolksparteigebildet und band vor allem pietistische und freikirchliche Kreise. Im Wahl-kampf hatte er deutlich vor der Rassenlehre des Nationalsozialismus gewarnt.8

Die Stadt Herrnhut w!hlte den CSVD im M!rz 1933 mit 23,5 Prozent zurzweitst!rksten Partei – in den anderen Ortsgemeinen erhielt er einstelligeErgebnisse, reichsweit unter ein Prozent. Drittst!rkste Partei in Herrnhut wardie christliche, monarchiefreundliche „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ mitknapp 19 Prozent. In Koalition mit der NSDAP sollte diese Partei Adolf HitlerdieMacht sichern. In anderenOrtsgemeinen erreichte die Kampffront doppeltso viel wie im Reich (rund 8 Prozent). Die nationalliberale Deutsche Volks-partei erhielt knapp 7 Prozent (gegen"ber einem Prozent reichsweit). DieSozialdemokratenmit 4,6 Prozent (reichsweit 18,3) und die Kommunistenmit1,3 Prozent (reichsweit 12,3) hatten nurmarginale Bedeutung.9 So spiegeln dieErgebnisse das nationalkonservativ-christliche Milieu in den Ortsgemeinenwider, auf das der Nationalsozialismus eine große Attraktion aus"bte.10 MitFackeln zogen die Herrnhuter nach der Wahl durch die Straßen. Bald wehtendie Hakenkreuzfahnen im ganzen Ort.11 Ein Gemeinbrief nannte 1933 r"ck-blickend das „Jahr des Heiles“. #ber „das große Erleben unseres Volkes“kçnne man nur „mit dankbarer Freude sprechen: Wie groß ist des Allm!ch-tigen G"te.“12

Die Festkultur der Herrnhuter f"llte sich mit neuen Inhalten, die ihrerNeigung zum Militarismus entgegen kamen. In der Th"ringer OrtsgemeineNeudietendorf veranstalteten NSDAP, SA und Stahlhelm einen Fackelzug beiHitlers Machtergreifung. „Der Appell des Reichskanzlers an das DeutscheVolk durch Rundfunk "bertragen“, so die br"derische Zeitung „Herrnhut“,„beschloss unter Singen des Deutschlandliedes die erhebende Feier.“13 Ims!chsischenKleinwelka, berichtete der „Herrnhut“, bot sich der Gemeine nach

7 Bericht der Dienststelle Lçbau, 13.1. 1956, BStU BV Drd. KD Lçbau 18066, S. 3; Ordnung,250 Jahre Herrnhut, S. 38 f.

8 Thadden, Zwischen Weltferne und Staatstreue, S. 653; Lehmann, Pietismus und weltlicheOrdnung, S. 322 f. ; Thierfelder, Landeskirche in W"rttemberg, S. 451; Lehmann, Neupietismusund S!kularisierung, S. 55.

9 „Aus den Gemeinen der Deutschen Br"der-Unit!t“, in: Herrnhut, 8.3. 1933, S. 92; Reichstag-Wahlergebnisse in Br"dergemeinen, zusammengetragen von G. B"hler, in Unitas Fratrum 40(1990), S. 20.

10 Reichstag-Wahlergebnisse in Br"dergemeinen, zusammengetragen von G. B"hler in UnitasFratrum 40 (1990), S. 20.

11 „Aus den Gemeinen der Deutschen Br"der-Unit!t“, in: Herrnhut, 8. 3. 1933, S. 92. Eine Aus-nahme bildete Niesky, wo die Bevçlkerung stark gespalten war: Die NSDAP erhielt mit46 Prozent sehr hohe Zustimmung, jedoch erreichten hier auch die Sozialdemokraten mit26 Prozent ein wesentlich besseres Ergebnis als im Reich.

12 Gruß der Gemeine Neudietendorf an ihre ausw!rts wohnenden Geschwister, Januar 1934, Ge-meinarchiv Ebersdorf, Ordner „Geschichtliches“.

13 „Neudietendorf“, in: Herrnhut, 24.4. 1933, S. 61; vgl. auch Kunick, S. 40 f.

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dem Gottesdienst „ein eindrucksvolles Bild auf unserem Kirchplatz: Stahl-helm und Milit!rverein, die mit ihren Fahnen dem Gottesdienste beigewohnthatten, waren aufgetreten“. Die br"derischen Bl!ser spielten. Das guteWahlergebnis der NSDAP in Kleinwelka sei Grund zur Dankbarkeit.14 In denNachrichten "ber das schlesische Gnadenfrei beschreibt der „Herrnhut“ imM!rz 1933 ein Fest, in demKreisleiter der NSDAP und Gauf"hrer gelobten, imSinne Hitlers weiter zu wirken. „Zum Schluss“, so der „Herrnhut“, „erklangdas Lied: ,Ich bete an die Macht der Liebe’ weihevoll hinaus in die stilleNacht.“15 Ebenfalls in Gnadenfrei fand am Vorabend zum 1. Mai 1933 eine„R"stversammlung“ im Kirchensaal statt. Unter der „dicht gedr!ngten Zu-hçrerschaft“, berichtete der „Herrnhut“, waren „die langen braunen undgrauen Reihen der SA und des Stahlhelm, alle dem Wort unseres Predigerslauschend“.16

Die schlesischen Ortsgemeinen waren ohnehin anf!llig f"r den National-sozialismus,17 doch tat sich das „braune Gnadenfrei“, wie es bald genanntwurde, im Sommer 1933 mit seinem Wunsch nach Anschluss an die natio-nalsozialistischen Deutschen Christen besonders hervor. Die Direktion lehntedieses Ansinnenmit der Begr"ndung ab,manwolle nicht voreilig handeln undsich am Kurs der Landeskirchen orientieren. Die Unit!tsleitung betonte dabeimehrfach die guten Beziehungen zu den staatlichen Institutionenund forderte„die Gemeinen zu lebendiger innerer Mitarbeit an den gegenw!rtigen Vor-g!ngen“ auf.18 Dieses Taktieren hatte System. Immer in der Angst, die kleineFreikirche kçnne unter das Rad der Geschichte geraten, war die oberste Devisedas Stillhalten. Daf"r nutzte die Unit!t in der NS-Zeit wie sp!ter im Sozia-lismus ihre Beziehungen zu den Landeskirchen – von denen sie sich sonst inStil undHabitus so sorgf!ltig abgrenzte. Die Gemeine hoffte, imWindschattender Evangelischen Kirche das #berleben ihrer Institutionen zu sichern. Der„Dienst“ dieser Einrichtungen, der f"r ihre Legitimation unverzichtbar war,f"hrte immer wieder in intime N!he zur Obrigkeit, ohne deren Zustimmungdie Institutionen nicht erhalten werden konnten.

Der Festkalender der Gemeine çffnete sich weiter : Die Herrnhuter zele-brierten den 1. Mai, die Wahltage oder Fr"hlingsfeiern.19 Und immer wiedergab es Fackelz"ge, Feuerstçße mit „lodernden Flammen zum Nachthimmel“,

14 „Kleinwelka“, in: Herrnhut, 14.3. 1933, Seite 92 f.15 „Gnadenfrei, in: Herrnhut, 21.3. 1933, S. 136.16 Gnadenfrei, in: Herrnhut, 2. 6.1933, S. 166.17 G!rtner, „Du sollst Deine landeskirchliche Gemeinde lieben wie Deine eigene br"derische

Gemeinde. Gedanken zur heutigen Zerstreuung der Br"der-Unit!t in Deutschland“, ca. 1960,S. 9, UA EFUD 626.

18 An die $ltestenr!te der Gemeine der DBU von Direktion, 20. 7.1933, Gemeinarchiv Ebersdorf,Ordner „Geschichtliches“; vgl. auch „Deutsche Br"dergemeine“, in: Herrnhut, 29.9. 1933,S. 291; vgl. zur Rolle der Deutschen Christen von 1933 bis 1935 Schulze Wessel, DeutscheChristen und Lebendige Kirche, S. 154.

19 Gnadenfrei, in: Herrnhut, 2. 6.1933, S. 166.

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NSDAP-Festreden, Chor!le, Horst-Wessel- und Deutschlandlied, Aufruf desPredigers zur Vaterlandsliebe, Beflaggung, gemeinsames Lauschen auf dieHitlerreden unter freiem Himmel.20 Im Schwarzw!lder Kçnigsfeld pflanztendie M!nner der SA, unter ihnen zahlreiche Br"der, eine Hitlereiche. In denOrtsgemeinen wurden Straßennamen umbenannt und j"dische Namen ge-tilgt.21 Das Feiern hielt an. Zum Wahlsonntag im November 1933 strçmten inKçnigsfeld „beim Schall der Posaunen alt und jung in unseren Kirchensaal[…] [d]ie Kriegsvereine, die NSDAP und die Stahlhelmleute [schritten] ingeschlossenen Reihen zur Predigt und danach zurWahlurne, begleitet von derHitlerjugend und dem Bund Deutscher M!del.“22 Am Tag danach pries dieGemeine dasWahlergebnis von "ber neunzig Prozent f"r die NSDAPmit demChoral : „Nun danket alle Gott“.23 Ein Artikel im „Herrnhut“ res"mierte: „Allediese Feiern sind der berechtigte Ausdruck einer großen, dankbaren Freu-de.“24 Der çffentliche Raum in den Gemeinen gehçrte den Flaggen und derStimme des „F"hrers“ aus dem Radio. Auf dem Hutberg wehte die Haken-kreuzfahne. Das Erntedankfest im Herbst 1933 feierten die Br"der undSchwestern als eine Mischung aus Bodenkult und Gotteslob. Auch die theo-logische Ausbildung der Br"dergemeine passte sich an. Das TheologischeSeminar in Herrnhut verlangte f"r eine Aufnahme zus!tzlich eine „Hoch-schulreife“, die jungeM!nner nur durch eineMitgliedschaft in der SA erhaltenkonnten.25

Tradition erwies sich in der NS-Zeit in vielf!ltiger Form als Erneuerungs-und Anpassungsmotor. Selbst das Losungsbuch fiel in subtiler Form derneuen Ideologie zum Opfer, indem die Herrnhuter Bibelstellen durch K"r-zungen anpassten.26 Das alte Pilgermotiv bekam einen neuen Klang. In einerInterpretation des br"derischen Theologen Karl M"ller waren die Pilgernunmehr „das Volk“ – nicht mehr die Gemeine. Die Pilgerfahrt sei die Suchenach dem rechten Deutschland, das Ziel die „neue Heimat“, Deutschland.27

Weitere Quellen zeugen davon, wie das Gef"hl der Auserw!hltheit mit dem

20 Niesky, in: Herrnhut, 24.3. 1933, S. 99; Herrnhut, in: Herrnhut, 24.5. 1933, S. 167.21 Kçnigsfeld, in: Herrnhut, 4.5. 1933, S. 145; Niesky, in: Herrnhut, 16.6. 1933, S. 191; Wagner,

Abraham D"rninger & Co., S. 257.22 Kçnigsfeld, in: Herrnhut, 15.11. 1933, S. 360.23 Kçnigsfeld, in: Herrnhut, 15.11. 1933, S. 360; vgl. auch Kunick, S. 35.24 „Gnadenfrei“, in: Herrnhut, 21.3. 1933, S. 136; vgl. dazu auch die anderenArtikel im „Herrnhut“

von 1933.25 Herrnhut, in: Herrnhut, 6. 10.1933, S. 312; vgl. auch Damaschke, Kirche und Diktatur, S. 79 f.

Da das Seminar diese Forderung sp!ter aufgrund eines Studentenmangels wieder zur"ckzog,kann dieser Nachweis einer SA-Mitgliedschaft nicht von oben aufoktroyiert worden sein, Le-benslauf Helmut Hickel, S. 2.Im Jahr 1937warenvon den vier Theologiestudenten zwei imNS-Studentenbund, wie ihr F"hrerSiegfried Bayer meldete, Formular : Vorl!ufige St!rke- und Personalstandsmeldung, Sommer-semester 1937, Bayer, Siegfried, 11.7.1915, Document Center Berlin, PK / A 172, 7.

26 Landeskirchenrat Eisenach, Betreff: Pfarrerkalender, 16.1. 1939, Gemeinarchiv Ebersdorf,Ordner „Geschichtliches“; Sitzungsbericht der DUD, 13.12.1950, UA DEBU 4.

27 „Unterwegs nach Deutschland“ von Karl M"ller, in: Herrnhut, 21.4. 1933, S. 117.

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deutschen Volk geteilt und damit der neuen Zeit angepasst wurde.28 Ein Ge-meinhelfer sprach nach denM!rzwahlen 1933 vom „Grund des neuen Reiches[…], das wir bauen wollen.“29 Ein Theologe pr"fte im „Herrnhut“ die br"-derischen Feiertage auf ihren nationalsozialistischen Gehalt. F"r das br"de-rische Pfingstfest, den 13. August, erkl!rte er das „Volk“ zurGemeine, das „umeine neue Volksgemeinschaft“ ringe. Zum 13. November, an dem Jesus als der„General!lteste“ gefeiert wurde, diskutierte er die Frage nach der Autorit!t inder Gemeine und res"mierte: „Gott hat unseremVolk einen F"hrer geschenkt,dem er die Autorit!t gegeben hat.“30

Wie sehr die Deutschen den Nationalsozialismus als Erlçsung empfandenund wie er scheinbar einen Ausweg bot aus allem Frust, allen Dem"tigungenund allen Neurosen – das ist vielfach beschrieben worden. Gerade im natio-nalprotestantischenMilieu sahmanHitlersMachtergreifung als R"ckkehr zurGott gewollten Ordnung und Schutzwall gegen den Bolschewismus.31 InSachsen war die Begeisterung f"r den Nationalsozialismus besonders groß –auch unter den Geistlichen. In den Kirchenwahlen 1933 w!hlten die Protes-tanten zu 75 Prozent die Deutschen Christen. Die Synode wurde als „BrauneSynode“ bezeichnet, da die meisten Synodalen in Uniformen der NSDAP undihrer Unterorganisationen erschienen.32 Was aber bewog die Pietisten dazu,1933 nicht den „schmalen Weg“ zu w!hlen, sondern mit den Massen zu ju-beln?Die Pietisten inDeutschland hatten seit demKaiserreich keine politischeLoyalit!t mehr entwickelt. Aus dem Alten Testament und aus ihren eigenenGruppen war ihnen die Gestalt des charismatischen F"hrers vertraut, und inHitlers gewaltigem Auftreten konnten sie das Wesen eines Propheten erken-nen.33 Warnende Stimmen, die es unter den Pietisten auch gab, gingen zu-n!chst unter.34

Auch ausl!ndische Besucher sahen die neue Regierung positiv. EinHerrnhuter Geistlicher aus den USA, der 1934 nach Deutschland reiste, ver-merkte erfreut, dass die Gottesdienste in Herrnhut und in den Landeskirchen,in denen Hitler h!ufig als „unser F"hrer“ tituliert werde, sehr gut besuchtseien.35 Wie der britische Morave Bischof Clarence H. Shawe, der das Reich1933 besuchte, konstatierte er, es gebe keine Judenverfolgung. Shawe erkl!rte

28 Vgl. etwa das Gedicht „Zeugenschaft“ von Th. G"nther, Jahrbuch der Br"dergemeine 1935/36,S. 3.

29 „Kleinwelka“, in: Herrnhut, 24.3. 1933, Seite 92.30 „Die Br"dergemeine im Dritten Reich“ von Karl M"ller, in: Herrnhut, 29.9. 1933, S. 294.31 Vgl. z.B. Greschat, Bedeutung und Deutung, S. 510–518; Lehmann, Pietismus und weltliche

Ordnung, S. 324.32 Wilhelm, evangelisch-lutherische Landeskirche Sachsens, S. 135; Hein ; vgl. zu Sachsen insge-

samt Wagner, „Machtergreifung“ in Sachsen.33 Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, S. 327.34 Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, S. 328.35 „How I found Germany” von A. O. Dannenberger, in: The Moravian, 7. 3. 1934; !hnlich Dr.

Chareles S. Macfarland, Secretary-Emeritus of the Federal Council of Churches, in: The Mo-ravian, 6.12. 1933, S. 583.

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abschließend: Die Gemeine „stands outside the struggle, but stands ferventlypatriotic“.36 Trotz aller Fackelm!rsche und Dankgottesdienste war bei vielenHerrnhutern das pietistische Selbstverst!ndnis erhalten geblieben, politischneutral zu sein. Gerade, weil die Anpassung im kulturellen Umfeld und nichtin der Lehre der Br"dergemeine stattfand, konnten sich die Herrnhuter derIllusion hingeben, letztlich von der Politik unber"hrt zu bleiben.

Im Zweifelsfall stellte sich die Br"dergemeine jedoch auf die Seite derMacht. Ihre Hauptsorge galt dem #berleben der Freikirche.37 Als der „Arier-paragraph“ verordnet wurde, versetzte die Br"dergemeine 1935 ihren PfarrerErwin Schloss, der j"dische Vorfahren hatte, auf eine Pfarrstelle in Bern.38

Nach 1945 kursierende Berichte von Rettungsaktionen j"discher B"rger unterden Herrnhutern lassen sich nicht belegen. Die br"derische Tradition hattewenig von Zinzendorfs Philosemitismus bewahrt. Als 1940 in Niesky dieNSDAP der Br"dergemeine die Judenfreundlichkeit ihres Gr"nders vorhielt,wies die Direktion diesen Vorwurf entr"stet zur"ck.39 Nicht zuletzt von lan-deskirchlicher Seite wurde die Gemeine vielfach angefragt, ob sie nicht mitHilfe ihres internationalen Netzwerks „nicht-arische“ Menschen ins Auslandbringen kçnne. Um 1940 erhielt die Direktion beinahe t!glich solche Bittbriefe– und lehnte kategorisch ab.40 Selbst der herrnhutische Theologe FriedrichG!rtner, der sp!ter die Unit!t wegen ihrer kompromissbereiten Haltung ge-gen"ber dem NS-Regime kritisieren sollte, sprach 1933 vom „berechtigte[n]Kampf unseres Volkes heute gegen Internationalismus und Pazifismus, gegenMarxismus, Rassenvermischung und j"dischen Einfluss“.41 Unter den leiten-den M!nnern war der Antisemitismus wie "berall in nationalkonservativenKreisen comme il faut.OttoUttendçrfer, Schriftsteller, P!dagoge, Ornithologe,Historiker, einer der f"hrenden Geister der Gemeine, war auch nach demZweiten Weltkrieg noch von der Schlechtigkeit der Juden "berzeugt.42 DerDirektor der Knabenanstalt in Kçnigsfeld fand sich nach der Lekt"re von„Mein Kampf“ 1934 endlich in die NS-Gedankenwelt ein, wor"ber er imJahresbericht der Anstalt geradezu erleichtert berichtet, sich f"r seine sp!teEntscheidung entschuldigend.43 Inzwischen konnte, wer wollte, wissen, wohin

36 „How I found Germany” von A. O. Dannenberger, in: The Moravian, 7. 3. 1934; „Our Church inthe New Germany” von C. H. Shawe, in: Moravian Messenger, January 1934.

37 Peucker, Zeister Br"dergemeine im ZweitenWeltkrieg;Damaschke, Diktatur und Kirche, S. 82 f.38 Direktion der EBUanHerrn 1. Vizepr!sidenten Fischer, Landesverwaltung Sachsen, 25. 10.1945,

HStA Drd. 11377/236; vgl. zur Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsen Wilhelm,evangelisch-lutherische Landeskirche Sachsens, S. 135 u. 140.

39 Damaschke, Diktatur und Kirche, S. 88 f.40 Briefwechsel in UA DUD 4332 u. 6034; vgl. Damaschke, Diktatur und Kirche, S. 89.41 Friedrich G!rtner, Die Verk"ndigung der Br"dergemeine im neuen Deutschland, Vortrag ge-

halten auf der 8. br"derischen Jungtheologen-Tagung, 10. u. 11. Oktober 1933, in: Herrnhut,S. 325.

42 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 256, 326 u. 333 et passim.43 „[I]ch habe allenmeinen nationalsozialistischen Bekannten es gr"ndlich gesagt: h!ttet ihr mich

beizeiten auf dieses Buch und nur auf dieses Buch [,Mein Kampf ’] gewiesen statt auf die l!r-

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die Reise ging. Schon im September 1933 hatte sich im Reich der widerst!n-dische Pfarrernotbund gebildet.

Die bisherigen Untersuchungen zur NS-Zeit best!tigen das Urteil desbr"derischen Historikers Paul Peucker von der scheinbaren Politikferne derDirektion und einer NS-nahen Basis.44 Mit ihrer Neutralit!t – zumBeispiel derVerweigerung, Juden zu helfen – bezog die Unit!tsf"hrung dennoch Position.Sonst h!tte schwerlich unter ihrer Leitung der Nationalsozialismus an derBasis so gut gedeihen kçnnen. Die Direktion gab sp!ter gegen"ber denangloamerikanischen Gemeinen an, weniger als f"nf Prozent der Mitgliederh!tten der NSDAP angehçrt. Da die Unit!tsleitung aber nach 1945 die Dingeschçnte und nirgendwo ein Hinweis auf eine systematische Erfassung ehe-maliger Parteimitglieder zu finden ist, wird diese Zahl ohne empirischeFundierung sein.45 Die sp!teren Probleme, die zahlreiche Herrnhuter mit derEntnazifierung hatten, weisen darauf hin, dass die NSDAP-Mitgliedschaft imGegenteil gang und g!be war.46 Der herrnhutische Historiker Hans-WalterErbe entschuldigte nach 1945 die verbreitete Mitgliedschaft in der NSDAPmiteinem „vielfach geradezu r"hrend gute[n] Wille[n], der bei uns mit einergewissen ernsthaften Naivit!t verbreitet ist. Ich denke etwa an die altenSchwestern im Schwesternhaus, die mit ehrlicher #berzeugung Parteimit-glieder wurden“.47

Auch die Jugend wurde auf Kurs gebracht. Anfang der dreißiger Jahre un-terrichteten in den br"derischen Anstalten ca. 450 Lehrerinnen und Lehrerrund 3 000 Sch"lerinnen und Sch"ler.48 Die herrnhutische Geschichtsschrei-bung vermutet bis heute bei den Lehrern und anderen NS-Herrnhutern einDilemma: Sie h!tten widerwillig mittun m"ssen, um grçßeres Unheil von derUnit!t abzuwenden.49 Das war ein g!ngiges Interpretationsmuster, auf dasnach 1945 viele Deutsche zur"ckgriffen.50 Tats!chlich aber erkannten zahl-

mende Massenpropaganda, so w!re ich wohl leichter in die NS-Gedankenwelt eingetaucht undh!tte mich politisch leichter und fr"her auf manche der neuen Gedanken eingestellt“, Jahres-bericht Knabenanstalt 1933/34, S. 7, zitiert nach Kunick, S. 46.

44 Peucker, Zeister Br"dergemeine im Zweiten Weltkrieg, S. 118.45 F"r die Gemeine Zeist stellt Peucker fest, dass rund 10 Prozent aller Mitglieder (also auch der

mehrheitlich niederl!ndischen) der nationalsozialistischen NSB angehçrten, Peucker, ZeisterBr"dergemeine imZweitenWeltkrieg, S. 129; Brief an J. K. Pfohl, 21.12.1945,MAB103CII, 1945;vgl. dazu auch S. Baudert an C. H. Shawe, 22.11. 1945, MAB 103 C II, 1945.

46 Peucker, Zeister Br"dergemeine im Zweiten Weltkrieg, S. 125.47 Erbe berichtet, die Schwestern seien dann aufgrund der Feindschaft gegen das Christentum

sp!ter wieder ausgetreten, Vortrag „Die Br"dergemeine und die Schuldfrage“, H.-W. Erbe, S. 8,16.4. 1946, UA DEBU 1367.

48 Jahrbuch der Br"dergemeine 1933/34, S. 142; „Die Neue Jugend in der Br"dergemeine“ vonGerhard Favre, in: Herrnhut, 27. 10.1933, S. 327.

49 Knothe, Nieskyer Traditionen, Teil III, S. 44–48; ganz !hnlichMeyer, Otto Uttendçrfer, S. 269 f.50 Report of Br. Baudert on the Brethren’s Church in Germany, Unity’s Conference, Montmirail,

3. 7.1946, S. 3, MAB 100 F I, Unity General Directory ; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 304u. 336; E. Fçrster anW. Reichel, 28.10.47, UA DEBU 29; vgl. dazu auch Kunick, S. 63; LebenslaufGertrud Schmole; Lebenslauf Erwin Fçrster, S. 12; Lebenslauf Gerhard Reichel, S. 3.

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reiche br"derische P!dagogen eine #bereinstimmung zwischen christlichenund nationalsozialistischen Erziehungszielen und setzten sich in ihrem Berufmit Nachdruck f"r die neuen Ideen ein,51 zur Not auch gegen den Willen derZçglinge. „Knabenanstalt erscheint in der Predigt endlich im Braunhemd,nach viel Schwierigkeiten“, hieß es 1933 in der Kçnigfelder Chronik.52 Lehrerund Sch"ler im P!dagogium feierten 1938 den Besuch des Reichssportf"hrersHans von Tschammer und Osten, dessen Sohn auf eine br"derischen Schuleging und dessen Adjutant ein junger Herrnhuter war.53 1940 f"gte die Br"der-Unit!t in die Satzung ihrer Erziehungsanstalten die Passage ein: „[D]ieZinzendorfschulen [wollen] Jungen und M!dchen, die ihren Schulen undHeimen anvertraut sind, zu nationalsozialistischen deutschen M!nnern undFrauen heranbilden und zu christlichen Charakteren erziehen.“54 Wie sehr dieNationalsozialisten die Arbeit der herrnhutischen Schulen sch!tzten, wirddaran deutlich, dass die Zinzendorfschulen anders als die Mehrzahl konfes-sioneller Schulen zun!chst nicht verstaatlicht wurden.55 Ein NS-Schuldezer-nent erkl!rte, es best"nden gegen"ber den Zinzendorfschulen im Gegensatzzu anderen konfessionellen Privatschulen keine politischen Bedenken.56 Diebr"derischen Lehrer akzeptierten es, als 1940 die staatlichen Stellen den Re-ligionsunterricht verboten, als sie der SS-Inspektion unterstellt, als gemein-sames Gebet und Andacht untersagt wurden.57 Doch allen Anpassungen zumTrotz verstaatlichten die NS-Behçrden kurz vor Kriegsende schließlich dochnoch die Zinzendorfschulen.58

Eine Gruppierung stach aus der scheinbaren Neutralit!t oder offenen Eu-phorie heraus: Unter meist jungen br"derischen Theologen regte sich bereitsEnde 1933 Widerstand gegen die Haltung der Direktion. Zu ihnen z!hlten

51 AuchKnothe erkl!rt, „ein großer Teil der Lehrer” habe das nationalsozialistische Programmgutgeheißen, Knothe, Nieskyer Traditionen, Teil III, S. 9; Br. Hans Bçnhof, Direktor der Kçnigs-felder M!dchenanstalt, teilte im Jahresbericht 1933 der Direktion mit: „Es ist das Vorrecht derJugend, sich begeistert umden F"hrer zu scharen undmit ganzemHerzen sichmit fortreißen zulassen. Es war uns eine Freude, dabeimit zu tun und in solcher Zeit der Jugend zu helfen“, zitiertnach Kunick, S. 41, vgl. auch S. 37, 84 et passim u. darin Chronik derM!dchenanstalt am 16. Juli1933, S. 37 u. 84; Knothe, Nieskyer Traditionen, Teil III, S. 28 et passim; vgl. zur Jugendarbeit inder Br"dergemeine auch den Bericht „Das Evangelische Kameradschaftslager Kçnigsfeld 1934“mit der Zeichnung eines Hakenkreuzes "ber dem Schwarzwald, Jahrbuch der Br"dergemeine1935/36, S. 18 f.

52 Chronik der M!dchenanstalt am 16. Juli 1933, zitiert nach Kunick, S. 37.53 Knothe, Nieskyer Traditionen, Teil III, S. 30; Hickel, Lebenserinnerungen, S. 22; H.-G. Hafa an

H. Renkewitz. 4.5. 1953, EZA 4/347.54 Aktennotiz f"r Amtsgericht – AbteilungHandelsregister, Herrnhut, 7. 12.1940, Staatsfilialarchiv

Bautzen, Amtsgericht Herrnhut 2318.55 Knothe, Nieskyer Traditionen, Teil III, S. 36.56 Kunick, S. 55.57 Knothe, Nieskyer Traditionen, Teil III, S. 33 u. 36; Vortrag „Die Br"dergemeine und die

Schuldfrage“, H.-W. Erbe, 16.4. 1946, S. 6, UA DEBU 1367.58 Hickel, Geschichte der Diakonie, S. 159; Kunick, S. 105; Knothe, Nieskyer Traditionen, Teil III,

S. 40.

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Heinz Renkewitz und Friedrich G!rtner.59 Der 31j!hrige Renkewitz hatte dieSchulen der Br"dergemeine durchschritten, in Herrnhut, Gçttingen undLeipzig Theologie studiert und war Dozent am Herrnhuter TheologischenSeminar f"r Kirchen- und Br"dergeschichte.60 G!rtner war ebenfalls Theologeund arbeitete in Breslau als Prediger. 1935 dr!ngte er die Synode, die Bezie-hungen zur nazistischen Reichskirchenregierung von Ludwig M"ller endlichabzubrechen und sich der im Mai 1934 von der Bekennenden Kirche pro-klamierten Barmer Theologischen Erkl!rung anzuschließen. Diese Erkl!rungdistanzierte sich von den Deutschen Christen und formulierte eine scharfeAbsage an ungerechtfertigte Anspr"che der Obrigkeit. DieHerrnhuter Synode1935 lehnte ab und berief sich einmal mehr auf ihre „Neutralit!t“, auch wennsie „innerlich“ das Anliegen der Bekennenden Kirche unterst"tze.61 Alszweites Argument gegen einen Anschluss an die Barmer Erkl!rung nannte dieSynode die finanzielle Lage, derentwegen sie auf das Wohlwollen der Regie-rung angewiesen sei.62 Vor allem Mitglieder der !lteren Generation unter-st"tzten diese lavierende Position, unter ihnen Johannes Vogt, Theodor Marxund Theodor Schmidt, die sp!ter wesentlich amWiederaufbau in der SBZ undDDR beteiligt sein w"rden. Otto Uttendçrfer bedauerte noch nach Kriegs-ende, wie nunmehr die „radikale Bekenntniskirche recht obenauf gekommen“sei.63 Finanziell ging diese Kalkulation auf. W!hrend der NS-Zeit gelang es derBr"dergemeine, die enormen Schulden aus dem ErstenWeltkrieg abzutragen.Das ber"hmte Herrnhuter Leinen wurde 1937 in der Pariser Weltausstellungmit einem „Grand Prix“ ausgezeichnet. D"rninger & Co. war zu einem großenmittelst!ndischen Unternehmen mit 749 Mitarbeitern geworden. 1944 kon-statierte die Direktion bedeutende wirtschaftliche Gewinne f"r das Jahr.Wesentlich trug dazu eine schlesische Gemeine, das „braune Gnadenfrei“, bei,deren D"rninger-Betrieb mit einem „Gaudiplom der Deutschen Arbeitsfront“ausgezeichnet worden war, deren Weberei vom Krieg profitierte und dieWehrmacht belieferte.64 Die 1940 erschienene Festschrift von D"rninger en-detemit demBekenntnis: „So glaubenwir gern, dass der alte Geist und die alteTradition des Hauses erhalten bleiben und sich in jeder Richtung bew!hrt bis

59 Stellungnahme j"ngerer Gemeindiener im Herrnhut, 27.10.1933, S. 326 f; Schiewe u. Schlimm,Schuld und innere Besinnung, S. 26; Reichel, Vorgeschichte der Synode 1935, S. 46 f. ; Meyer,Zinzendorf unddieHerrnhuter Br"dergemeine, S. 143; vgl. auchC. Bernhard, F. G!rtner, u. a. anPrediger und$ltestenr!te, o.A., dreißiger Jahre, Archiv Br"dergemeine Ebersdorf zu$R I R 3,3a.b.

60 Dienerbuch H. Renkewitz.61 Protokoll der Synode 1935 in: Unitas Fratrum 40, S. 66.62 Protokoll der Synode 1935 in Unitas Fratrum 40, S. 60 f.63 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 337, UA Nachlass Uttendçrfer, S. 289.64 Wagner, Abraham D"rninger & Co., S. 257; Wenzel, Wirtschaft und Finanzen, S. 162; „The

Institution of Abraham D"rninger & Co.“, 12/1991, MAB Unterlagen Schwarz; Rechnungen anWehrmachtskassenzentrale Berlin, vierziger Jahre, UA EFUD 688; vgl. zur D"rninger-WebereiLebenslaufG. Clemens, S. 4; ; Protokoll DUD-Sitzung, 23.3. 1945, S. 20,UADUD47; http://www.duerninger.com/zeittafel.html, 12.12.2007.

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in die Gegenwart hinein. Es brauchte dazu nicht des Hinweises, dass die Leiterdes Unternehmens bereits seit dem Jahre 1929 den ersten Anh!ngern desNationalsozialismus inHerrnhutmancheHilfe leisteten, deren sich diese nochgern erinnern werden“.65

Das Lavieren und Taktieren der Synode 1935 wurde durch das „Wort derSynode“ unterstrichen. Es war inhaltlich der Barmer Erkl!rung nahe, indemes die Bibel als maßgebliche Instanz herausstellte und sich indirekt von denDeutschen Christen distanzierte: „Gegen"ber der Betonung artgem!ßer Re-ligion halten wir fest an der Ausbreitung des Evangeliums unter allen Vçlkernund Rassen.“ Dennoch schloss das „Wort“ mit einem Dank an Gott f"r denNeuaufbau des Vaterlands und der F"rbitte f"r „Volk, Staat und F"hrer.“66 DieBr"dergemeine sandte „telegraphische Gr"ße an den F"hrer“ mit Segens-w"nschen und „Gedenken an den Jahrestag der nationalen Erhebung“.67 Diefolgende Herrnhuter Synode von 1936 schrieb an B"rgermeister Bruder Dr.Burkhardt ein Grußwort, das mit den Worten schloss: „Wir w"nschen auchEuch bei den wahrlich nicht leichten Aufgaben der Gegenwart GottesDurchhilfe und Segen. Heil Hitler!“68 Die Herren im Rathaus gehçrten in derMehrheit der Br"dergemeine und h!ufig der NSDAP an.69

Erstaunlich ist die unkritische N!he der Herrnhuter zum Nationalsozia-lismus "ber die Anfangseuphorie hinaus. Die pietistischen Verb!nde Baden-W"rttembergs etwa hatten bald den „antichristlichen“ Charakter des Natio-nalsozialismus erkannt. Die Dachvereinigung Gnadauer Verband hatte nachpeinlicher Verbr"derung mit den Deutschen Christen bereits im Dezember1933 deren Theologie f"r falsch erkl!rt, und ein Großteil der Gemein-schaftsbewegung schloss sich daraufhin der Bekennenden Kirche an. DieBr"dergemeine hat einen solchen Schritt nie vollzogen.70 Im Zweiten Welt-krieg hielt die Unit!t den Kriegsdienst f"r eine selbstverst!ndliche Pflichtgegen"ber dem Vaterland. Diese Haltung war in allen Kirchen unumstritten.Martin Niemçller etwa meldete sich aus dem KZ als Freiwilliger zur Marine.71

Doch die Loyalit!t der Br"dergemeine ging tiefer. Im Wochenblatt derHerrnhuter Br"dergemeine hieß es 1941 zum „Geburtstag des F"hrers“: „DerWeg Adolf Hitlers zum F"hrer des deutschen Volkes und zum obersten Be-fehlshaber der Deutschen Wehrmacht ist so eigenartig, dass es den Genera-

65 Wagner, Abraham D"rninger & Co., S. 257.66 „Ein Wort der Synode“, in: Herrnhut, 15.2. 1935, S. 51 f.67 „Die Deutsche Unit!ts-Synode, Tagung 1935“, in: Herrnhut, 15.2. 1935, S. 55; vgl. dazu die

Einsch!tzung von Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br"dergemeine, S. 144.68 Vorstand der Synode der DBUan B"rgermeister Burkhardt, 25.11.36, Ordner „Diverses 1928 bis

1988“, Stadtarchiv Herrnhut.69 Vgl. Angaben in Ordner „Stadtr!te, Stadtverordnete, Aussch"sse“, 30er Jahre, Stadtarchiv

Herrnhut.70 Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, S. 332–346; Ohlemacher, S. 452; Thadden, zwi-

schen Weltferne und Staatstreue, S. 657; vgl. zur Unit!t Damaschke, Kirche und Diktatur.71 Vgl. Greschat, Begeisterung und Deutung, S. 513–517.

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tionen, die nach uns kommen […] als ein kaum fassbares Wunder erscheinenwird.“72 Walther Baudert, der sp!ter die NS-Zeit und das Kriegsende apoka-lyptisch als Wirken des Antichrists deuten w"rde, erkl!rte 1941 auf der Ti-telseite des „Herrnhut“: „Wie anders begehen wir den Heldengedenktag indiesemKriege als in den Jahrennach demWeltkrieg! Das bittere ,Umsonst’ derj"ngsten Vergangenheit ist "berwunden. […] In neuer Grçße undMacht stehtdas Deutsche Reich.“73 Die Treue der Unit!t zum F"hrer und ein tieferDurchhaltewille hielten sich bis zuletzt.74

Wenig ist bekannt "ber die Herrnhuter Missionare in der NS-Zeit. Einigescheinen "berzeugte Mitglieder der deutschen, aber auch der niederl!ndi-schen NS-Bewegung gewesen zu sein.75 In den Missionsschriften aus dieserZeit l!sst sich jedoch kein Rassismus erkennen, vielmehr wurde etwa mitausgewiesener Hochachtung von den „Afrikanern“ gesprochen.76 Dennochhatte in der Missionsarbeit wie in den Gemeinen die nationale Identit!tweitgehend die Reste eines transnationalen Selbstverst!ndnisses verdr!ngt,auch wenn bis zum Zweiten Weltkrieg die internationalen Kontakte der Ge-meine auf F"hrungsebene fortgef"hrt wordenwaren.77 Im holl!ndischen Zeistbek!mpften sich deutsche und niederl!ndische Gemeinmitglieder bitter undverzichteten wegen des Nationalit!tenhasses sogar auf das Liebesmahl.78 Be-sonders litten die tschechischen Mitglieder. Zahlreiche ihrer Prediger wurdenverhaftet, einige Br"der schwer misshandelt und zwei sogar erschossen.79 Die353 deutschen Herrnhuter in Tschechien aber separierten sich von den rund6 000 tschechischen Gemeinmitgliedern.80

72 „Zum 20. April“, in: Herrnhut, 20.4. 1941; Vgl. auch „Sieg!“, von P. Hahn, in: Herrnhut,14.1.1940.

73 „Zum Heldengedenktag“, von Walther Baudert, in: Herrnhut, 1. 3. 1941, S. 41.74 Vgl. etwa Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 337, UA Nachlass Uttendçrfer, S. 228, 287 et

passim.75 Hahn, Umgang mit Erinnerung, S. 57; S. Baudert an J. Vogt, 3. 8. 1946, UA DEBU 28; vgl. Mor-

genstern, S. 274. Die NS-Zeit wird in der br"derischen Missionsgeschichte von H. Beck weit-gehend "bergangen; so bleibt es unklar, inwiefern die Aversion der s"dafrikanischen Herrn-huter gegen das deutsche Missionskontrollgremium, deren Aufsicht die Afrikaner als „Nazi-kontrolle“ bezeichneten, tats!chlich mit einer NS-Verstrickung der Missionsdirektion zu tunhatte, Beck, Br"der unter Vçlkern, S. 422.

76 Herrnhuter Missionsdirektion, Afrikaner bauen Gemeinde; Nachrichten aus der Mission, UA.77 C. H. Shawe an British Representative, Inter-Allied Control Commission, 22. 10.1945, MAB 103,

C II, 1934; Lebenslauf Siegfried Bayer, S. 3.78 Peucker, Zeister Br"dergemeine im Zweiten Weltkrieg, S. 118, 130.79 Die Br"der-Unit!t in der Tschechoslowakei, Unity’s Conference,Montmirail, 8. 7.1946,MAB114

D I, General Directory, 1951-1953-1959; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 284, UANachlassUttendçrfer ; Reichel, Im Zuchthaus; vgl. W. Baudert an K. Reichel, 10.4.48, UA DEBU 514.

80 The Renewed Unitas Fratrum, J. Halama, S. 9, MAB Unterlagen Freeman; Statistics of the CzechDistrict, 1935, MAB 99HII, CZECHOSLOVAKIA; S. H. Gapp an Schwarze, 31.3. 1945, MAB115DII, 33.1.

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2.2 Herrnhuts Zerstçrung 1945

Die ersten Fl"chtlingstrecks aus Schlesien bewegten sich bereits 1944 durchdie kleine Barockstadt. Die Sowjetarmee r"ckte n!her. Viele der Vertriebenen,die durch Herrnhut zogen, starben sp!ter in Dresden in der Bombennachtvom 13. auf den 14. Februar 1945. Am Tag danach war auch in Herrnhut derSchnee von Brandasche schwarz gef!rbt.81 W!hrend die meisten Fl"chtlingezu Fuß und mit Karren "ber die Landstraßen zogen, fuhren kurz vorKriegsende mit „vornehmem Landauer“ die „leitenden Herren des Bank-hauses Eichborn & Co. aus Breslau am Herrschaftshaus vor.“82 Ihnen wieanderen br"derischen Unternehmern und ihren Gesch!ftspartnern stellte dieBr"dergemeine B"ror!ume zur Verf"gung.83 Das Herrnhuter Netzwerkfunktionierte in viele Richtungen. Unit!tsdirektor Samuel Baudert gelang esnoch im Februar, 33 Fahnenabz"ge des Losungsmanuskripts f"r 1946 zurSicherung nach Ebersdorf und Neudietendorf in Th"ringen zu schleusen, vonwo aus es in alle Welt gelangte; so brach die Tradition des Losungsbuchs auchin der Nachkriegszeit nicht ab.84 Damals begann die Leitung der Unit!t dar-"ber nachzudenken, einen Teil der Direktion auf die Westseite der Elbe zuverlegen.85

Im M!rz 1945 entstand in Herrnhut ein St"tzpunkt des Volkssturms, mitSitz im br"derischen Herrschaftshaus und unter Leitung des 59j!hrigen Ar-chivars und einstigen Missionars Bischof Hermann Georg Steinberg, einversehrter Offizier des Ersten Weltkriegs. Auch die Wehrmacht hatte f"r den„Verteidigungsbereich Herrnhut“ eine Dienststelle eingerichtet.86 Das Tage-buch Otto Uttendçrfers berichtet am 22. M!rz 1945, ganz Herrnhut werdeunter Leitung von Bruder Steinberg befestigt, „und vieleM!del schippenunterihm ganz freudig.“87 Nicht alle waren so blindgl!ubig, zumal jeder wissenkonnte, welches Risiko eine Verteidigung bedeutete.88 Doch die Liebe zumMilit!rischen saß tief in der Gemeine. Die Rote Armee r"ckte n!her. AnfangApril kam der Abwehroffizier, Leiter und Teilhaber der Sternfabrik, Bruder

81 Becker, S. 7 u. 11; Jahresbericht der Gemeine Herrnhut 1945, UA DEBU 803; vgl. zu denFl"chtlingen auch Reeb, S. 8.

82 Bericht „Das Kriegsende inHerrnhut“ von K. Schmidt, o.A., wohl 1946, S. 1, Unterlagen Th. Gill,Herrnhut.

83 Bericht „Das Kriegsende inHerrnhut“ von K. Schmidt, o.A., wohl 1946, S. 1, Unterlagen Th. Gill,Herrnhut.

84 S. Baudert an Hellstrçm und N. Hickel, 20.2.45, UA DEBU 27.85 Bericht der Unit!tsdirektion, Distriktssynode West, MAB 193 H I, Baudert; Briefe S. Bauderts,

Februar und M!rz; N. Hickel an S. Baudert, 8. 3.1945, UA DEBU 27.86 Becker, S. 9; Notizen "ber die Schreckenstage in Herrnhut Anfang Mai 1945 von H. S. Reichel,

S. 2, MAWS ML 116 Davis – J. R. Davis Collection.87 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 231, UA Nachlass Uttendçrfer ; vgl. Erlebnisbericht H. G.

Steinbergs, 27.7. 1945, S. 1, MAWS ML 116 Davis – J. R. Davis Collection; Becker, S. 9 f.88 Jahresbericht Herrnhut 1945, UA DEBU 803; vgl. dazu auch Reeb.

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Harry Verbeek, zu Besuch nach Herrnhut und riet den DirektionsmitgliedernSamuel Baudert und Kurt Marx, in denWesten zu fliehen. Gleich am n!chstenTag brachen die beiden – f"r die Bevçlkerung ganz "berst"rzt – auf.89 InHerrnhut sollten Johannes Vogt und Walther Baudert, Vetter von SamuelBaudert, die F"hrung "bernehmen.90 Bischof Samuel Baudert war der richtigeMann f"r die Koordination im Westen, auch wenn er damals bereits 65 Jahrez!hlte. Er war der f"hrende Kopf der Unit!t, nicht nur wegen seiner Positionals Direktionsvorsitzender – und nicht nur, weil er zu einer der renommier-testen Herrnhuter Familien gehçrte. In S"dafrika als Kind br"derischerMissionare geboren, in den herrnhutischen Anstalten erzogen, mit StudiumamTheologischen Seminar in Herrnhut und schon ab dem 34. Lebensjahr mithohen $mtern der Unit!t betraut, war er mit den weltweiten Arbeitsgebietender Br"dergemeine vertraut. Baudert, dem 1922 von der Universit!t Jena derEhrendoktortitel verliehen worden war, erscheint in den Akten als intelligent,eitel und herrschs"chtig. Die Direktionsmitglieder im Osten mussten sich inder Folge immer wieder gegen seine Bevormundung wehren.91 Johannes Vogthingegen – 1883 geboren und zur gleichen Generationwie Baudert gehçrend –erwies sich als der ideale Mann f"r den Osten. Er war in Ulm als Sohn eineskleinen Kaufmanns aufgewachsen, hatte eine Ausbildung als Maschinen-techniker absolviert, die Missionsschule in Niesky besucht und 14 Jahre inSurinam unter oft widrigen Bedingungen im Missionsdienst gearbeitet. Vogtbesaß den nçtigen Realit!tssinn f"r die kommenden schwierigen Aufgaben.Da er erst im Erwachsenenalter der Unit!t beigetreten war, hatte er zwar vielunter dem herrnhutischen D"nkel gelitten, lebte ihn selbst jedoch nicht.92 Daskonnte f"r die Zeiten unter sowjetischer und sozialistischer Herrschaft nurvon Vorteil sein. Erwin Fçrster, der Berliner Gemeinhelfer, blieb mit Vogt undWalther Baudert in der SBZ und gehçrte in Herrnhut als Missionsinspektorzur Direktion Ost. F"r Fçrster, 1901 geboren, gestaltete sich dieses Losschwieriger als f"r Vogt. Der klein gewachsene, distinguiert b"rgerlicheTheologe, den die Glaubensgenossen hinter der Hand „Napoleon“ nannten,ein geborener Herrnhuter, war geltungsbed"rftig und sollte sich nur schwer indie sozialistischen Verh!ltnisse finden.93

Anfang Mai 1945 erfuhren die Herrnhuter von Hitlers Tod. Die Ortsgruppeder NSDAP hielt eine çffentliche Trauerkundgebung ab und mahnte zum

89 Bericht „Das Kriegsende in Herrnhut“ von K. Schmidt, wohl 1946, S. 2, Unterlagen Th. Gill,Herrnhut., Privatunterlagen Th. Gill; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 235, UA NachlassUttendçrfer ; vgl. zu Verbeeks Wissen Aktennotiz Erdmann, 23.7. 1946, UA DEBU 579.

90 Rundschreiben von S. Baudert und Th. Marx, 7.4. 1945, UA DEBU 27; Uttendçrfers Lebenser-innerungen, S. 236, UANachlass Uttendçrfer ; S. Baudert an DUDHerrnhut, 24.11.45, UADEBU27.

91 Vgl. Briefwechsel zwischen S. Baudert mit Herrnhut, ab 1946, UA DEBU 28, 29 u. 30.92 Interview mit K. Samuel und Julie Reichel geb. Vogt, Herrnhut, 14.2. 2006, Unterlagen H.

Richter ; Johannes Vogt, Dienerbuch.93 Lebenslauf E. Fçrster ; Interview mit Ehepaar X., 28.8.2007, Unterlagen H. Richter.

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Durchhalten.94 Dann kam der Evakuierungsbefehl. Mit Leiterwagen, zu Fuß,mit Eisenbahn, Lastwagen oder Rad zogen die Herrnhuter am 7. Mai aus. Eswar ein m"hsamer, trauriger Zug, der sich aus der Stadt bewegte. EinigeHundert Zivilisten, vor allem Alte und Kranke, mussten aus Mangel anTransportmçglichkeiten bleiben. Bruder Steinberg mit seinem Volkssturmjedoch gelang noch rechtzeitig die Flucht.95 Johannes Vogt gehçrte zu denwenigen, die in letzter Minute die fatalen Folgen einer Verteidigung erkanntenund denMut hatten, sich dagegen auszusprechen, zumal die Sowjets eigentlichnur durchziehen wollten.96 Noch in der Nacht vor der Evakuierung soll er dieVerantwortlichen inst!ndig gebeten haben, auf Kampfhandlungen zu ver-zichten. Dochumsonst. TheodorMarxwar auf Vogts Seite und bezeichnete diesinnlose Verteidigung als Verbrechen.97 Sp!ter erkl!rten die leitenden Br"derden Glaubensgenossen im Ausland, sie h!tten die Verteidigung nicht gewollt,allein die Wehrmacht trage Schuld.98 Doch h!tte die Direktion oder ein Kreisbeherzter Br"der und Schwestern Bischof Steinberg schon fr"her Einhaltgebieten kçnnen. Seit M!rz hatten die Herrnhuter die Vorbereitungen zurVerteidigung mitgemacht oder mit angesehen – und niemand hatte sichdeutlich gegen die Quartiernahme der Wehrmacht ausgesprochen. Am 8. Maistand die Rote Armee vor Herrnhut. Alles war getan, um eine friedliche#bergabe der Stadt zu vereiteln: Auf dem Hutberg wehte die Hakenkreuz-fahne, und als die Sowjets anr"ckten, leisteten die deutschen Soldaten inHerrnhut erbitterte Gegenwehr, zum Teil mit schwerem Gesch"tz. DieK!mpfenden zerstçrten und besch!digten mehrere H!user. Dabei wurdenauch rund 75 Prozent der D"rningerschen Geb!ude in Brand gesetzt – obdurch Beschuss der Angreifer oder, wie Augenzeugen berichteten, durch dieWehrmacht als „L!hmungsaktion“ des Feindes, ist nicht klar.99 Sechs deutsche

94 Notizen "ber die Schreckenstage in Herrnhut von Br. H. S. Reichel, MAWS ML 116 Davis – J. R.Davis Collection; vgl. auchUttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 239, UANachlass Uttendçrfer ;Becker, S. 12. Einige Monate sp!ter behauptete der Berthelsdorfer B"rgermeister gegen"ber derneuen Landesverwaltung beim Tod Hitlers habe „die Br"dergemeine nichts Eiligeres zu tun[gehabt], als durch reichen Flaggenschmuck mit Hakenkreuzfahnen den angeblichen ,Tod desF"hrers’ zu betrauern“. B"rgermeister zu Berthelsdorf an Vizepr!sident der Landesverwaltung,24.9. 1945, HStA Drd. 11378/294.

95 Becker, S. 12 f. ; Erlebnisbericht H. G. Steinbergs, 27.7. 1945, S. 1; MAWS ML 116 Davis – J. R.Davis Collection; Reeb, S. 9.

96 Becker, S. 18; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 247, UA Nachlass Uttendçrfer.97 S. auch Notizen "ber die Schreckenstage in Herrnhut Anfang Mai 1945 von H. S. Reichel, o.D.,

S. 2,MAWSML116Davis – J. R. Davis Collection; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 245, 251et passim, UA Nachlass Uttendçrfer.

98 The Condition of theMoravian Settlements in Germany von J. G. F"rstenberger, S. 2, MAB 103 CII, 1946; Chaplain E. S. Bullins an Bishop J. K. Pfohl, 27.9. 1945,MAB 103 II, 1945; AnAccount ofthe present Condition of the Brethren’s Church, o.D., S. 2,MAB 100 F I, Unity General Directory.

99 Bericht von Lydia Hasting, S. 5 u. Erlebnisbericht H. G. Steinbergs, 27.7. 1945, S. 2, beide inMAWS ML 116 Davis – J. R. Davis Collection; Bericht von B!rbel M"ller "ber die Tage im Mai1945, S. 7; Notizen "ber die Schreckenstage in Herrnhut Anfang Mai 1945 von Br. H. S. Reichel,

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und zwei sowjetische Soldaten fielen bei den Eroberungsk!mpfen. Mit derVerteidigung der Stadt war ihre Zerstçrung besiegelt.100

Am Nachmittag des 8. Mai zog die Rote Armee in Herrnhut ein. Irgend-wann entdeckten die Sowjets einWeinlager und fingen an, sich zu betrinken.101

In der Nacht zum 9. Mai setzten sie Herrnhut systematisch in Brand. DieFlammen zerstçrten rund zwanzig Prozent des Ortes, darunter den barockenStadtkern. Der Kirchensaal brannte, dasHerrschafts-, G!ste- undGemeinhausstanden ebenso in Flammen wie das Schwestern- und Br"derhaus. 33 Prozentder Gewerbebetriebe wurden zerstçrt. Die Menschen, die Steinberg zur"ckgelassen hatte, durchlebten grauenvolle Stunden. Zwei Krankenschwesternbegingen aus Angst vorMisshandlungen Selbstmord.102 Vier weitere Zivilistenverbrannten oder wurden erschossen. Sowjetische Soldaten vergewaltigtenFrauen. Die Berichte erz!hlen von dem Grauen der Menschen, wie sie stun-denlang in Kellern und auf dem Fußboden saßen, von der Lebensangst, derMachtlosigkeit, von den Schreien der Missbrauchten aus den Nebenzim-mern.103 Am Morgen flohen einige Frauen auf den Hutberg. Eine Schwesterschilderte, wie dort, im Angesicht des Gottesackers, Friede "ber sie gekom-men sei, in der Hoffnung, bald mit den „vorangegangenen Geliebten“ vereintzu sein.104 Der magische Ort hatte trotz Hakenkreuzflagge und Gewalt nichtsvon seiner Kraft verloren.

S. 3, 28, 34; Becker, S. 14; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 245, UA Nachlass Uttendçrfer ;Wenzel, Abraham D"rninger, S. 185.

100 Becker, S. 18; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 247, UA Nachlass Uttendçrfer.101 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 255, UA Nachlass Uttendçrfer.102 Becker, S. 16–18; Bericht von Schw. Heidi Buck, 4. 8. 1945, S. 3, MAB 103 C II, 1945.103 Becker, S. 18. Bericht von B!rbel M"ller "ber die Tage im Mai 1945, S. 5; Bericht von Lydia

Hasting, S. 4 f. , MAWS ML 116 Davis – J. R. Davis Collection; vgl. zu den russischen Verge-waltigungen Naimark, S. 69–140; vgl. auch Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 251, UANachlass Uttendçrfer.

104 Bericht von B!rbel M"ller "ber die Tage im Mai 1945, S. 6, MAWS ML 116 Davis – J. R. DavisCollection.

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3 Suche nach neuen Traditionenin der Nachkriegszeit

3.1 Die deutsche Br!dergemeine nach Kriegsende

Die Verstçrung nach der „Katastrophe“, wie das Kriegsende 1945 allgemeinbenannt und empfunden wurde, war tief. Die Herrnhuter bezeichneten dasGeschehen als den schwersten Schlag, der die Gemeine je getroffen habe.1 DieErsch!tterung betraf alle Lebens- und Erinnerungsr"ume.2 Die mystischeTopographie in Herrnhut war vielfach zerstçrt. #ber dem Gottesacker hattedie Hakenkreuzfahne geweht, die barocken H"user waren in Flammen auf-gegangen, statt des Kirchensaals standen schwarze Ruinen, !berall lagenSchutt und Tr!mmer. Im Stammhaus der Firma D!rninger hatte sich diesowjetische Stadtkommandantur einquartiert.3 Die Ortsgemeinen quollen!ber von hungrigen, bettelnden, stehlenden Vertriebenen. „Der hiesigeTischler arbeitet z. Zt. Triumphs"ulen f!r die Russen und S"rge f!r dieDeutschen“, schrieb 1945 eine Diakonisse in Herrnhut.4 Rund ein Drittel derdeutschen Gemeinmitglieder befand sich auf der Flucht. Die schlesischenHerrnhuter aus Gnadenfeld, Gnadenberg, Gnadenfrei, Breslau, Hausdorf undNeusalz flohenRichtungWesten. IhreOrtewarenverw!stet oder von Fremdenbewohnt. Ebenso erging es den deutschsprachigen Mitgliedern, deren Ge-meinen Daubau, Gablonz, Herzogwald und Roßbach im tschechischen Su-detenland lagen. Von 22 deutschen Gemeinen waren neun ausgelçscht. DieDiasporaarbeit in Polen und im Warthe- und Netzebruch lçste sich auf, ihreMitglieder befanden sich auf der Flucht. Etwa 300 Herrnhuter waren gefal-len. 23 Kirchens"le, acht Schulgeb"ude und 13 Chorh"user waren wie einGroßteil der Betriebe zerstçrt worden. Die SMAD enteignete das herrnhuti-sche Bankhaus C. F. Goerlitz. Insgesamt hatte die deutsche Br!dergemeineeinen Verlust von !ber vierzig Millionen Reichsmark zu beklagen.5

1 S. Baudert an Unit"tsdirektion Bethlehem, Winston-Salem, London, 1. 7. 1945, MAB 103 C II,1945; vgl. auch General Directory, C. H. Shawe, an S. H. Gapp u. J. K. Pfohl, 2. 11.1945, MAB 103C II, 1945.

2 Vgl. zum gestçrten Selbstverst"ndnis beispielsweise Zusammenfassung von Gemeinnachrich-ten. Nr. 3, 3. 11.1945 u. S. Baudert an Direktion in Bethlehem, Winston-Salem, London, 1. 7.1945, MAB 103CII, 1945.

3 Wenzel, Abraham D!rninger, S. 185.4 Zitiert nach Neub, Margarete Ribbach, S. 304.5 Schiewe, Br!dergemeine in Polen, S. 78;Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine,

S. 148 f. ; Brief S. Baudert an B. E.Michel vom 23.11.1945,MAB 103CII, 1945;Wenzel,Wirtschaftund Finanzen, S. 166; Vermerk von Gr!nbaum, 1. 9. 1950, BA DO 4 / 2289.

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In der SBZ lagen neun Gemeinen: Neben Herrnhut die Gemeinen Niesky,das benachbarte Kleinwelka bei Bautzen, dazu Ebersdorf und Neudietendorfin Th!ringen, das anhaltinische Gnadau und die Stadtgemeinen Dresden,Berlin und Zwickau. Hinzu kam eine kleine Herrnhuter Gemeinschaft in Forstbei Cottbus. Nicht alles war zerstçrt. Allein in Herrnhut arbeiteten noch achtbr!derische Betriebe. Auch in anderen deutschen Gemeinen waren wirt-schaftliche Einrichtungen erhalten geblieben.6 Wichtig f!r die Unit"t bliebendie land- und forstwirtschaftlichen Unternehmungen.7 Doch die Betriebehatten kaum Einnahmen. Hingegen standen auf der Ausgabenseite großeSummen f!r Geh"lter und Pensionen und die erhalten gebliebenen diakoni-schen Werke in den Ortsgemeinen: die Diakonissenanstalt „Emmaus“, einKrankenhaus, zwei Altenheime, eine Wirtschaftsschule, f!nf Kinderheimeund zwei Kinderg"rten.8 In Ostdeutschland gab es rund 5000 Kirchenmit-glieder, von denen aber nur 2200 in der Lage waren, einen Mitgliedsbeitrag zubezahlen.9

Die Teilung in Ost und West belastete die Arbeit der Unit"t stark. SamuelBaudert und Kurt Marx waren im Juli 1945 mit ihren Ehefrauen im W!rt-tembergischen Bad Boll angekommen. Der Kurort am Fuße der Schw"bischenAlb gehçrte seit 1920 der Gemeine. Die Erben Christoph Friedrich Blumhardts(1842 bis 1919) – pietistischer Pfarrer, SPD-Landtagsabgeordneter und Leiterdes von seinem bekannten Vater Johann Christoph Blumhardt (1805–1880)geerbten Boller Kurhauses – hatten das Gut 1920 der Unit"t vermacht. Nachdem Zweiten Weltkrieg wurde Boll nicht zuletzt wegen der Pr"senz der Br!-dergemeine ein geistiges und geistliches Zentrum. Der w!rttembergischeBischof Theophil Wurm gr!ndete hier im September 1945 die erste kirchlicheAkademie Deutschlands.10 Viele der im Osten Gebliebenen !bten heftigeKritik an der Flucht der Direktion und ihrem Verbleib im Westen – un!ber-sehbar zeichnete sich bereits jetzt ein mentaler Riss zwischen Ost und Westab.11 Der $rger war verst"ndlich, da auch M!tter und Kinder „aus dem en-geren Kreis der Deutschen Unit"tsdirektion“, wie es im Direktions-Protokollhieß, bereits imM"rz RichtungWesten und ins Ausland geflohenwaren. Unter

6 Schiewe, Br!dergemeine in Polen, S. 78;Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine,S. 148 f. ; S. Baudert an B. E. Michel, 23.11. 1945, MAB 103CII, 1945; Wenzel, Wirtschaft undFinanzen, S. 166; Vermerk von Gr!nbaum, 1.9. 1950, BA DO 4 / 2289; Die wirtschaftlichenUnternehmungen, o.A., ca. 1945, BA Berlin DO 4/342. Nicht genannt in dem Bericht ist D!r-ninger & Co: Unterlagen in Akte UA DEBU 627.

7 Wenzel, Abraham D!rninger, S. 186 f.8 Hickel, Geschichte der Diakonie, S. 157 f.9 J. Vogt an K. G. Hamilton, 13.7.54, MAB 113FI, Germany East Zone 54–59; J. Vogt an K. G.Hamilton, 5.12.52, MAB 113FI, Germany East Zone 54–59.

10 Bericht !ber die Lage der deutschen Br!dergemeine von S. Baudert, 17.12.1945, MAB 103 C II,1945; vgl. dazu Treidel, S. 27–32.

11 Protokolle S. Bauderts von 1945, UA DEBU 27; Bericht der Unit"tsdirektion, DistriktssynodeWest, MAB 193 H I, Baudert; vgl. zur Teilung der Unit"tsdirektion auch Reichel, Teilung derDeutschen Unit"tsdirektion; S. Baudert an DUD Herrnhut, 24.11.45, UA DEBU 27.

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ihnen die großen alten Herrnhuter Namen.12 Die nicht zum engeren Kreisgehçrten, waren Bischof Steinberg und den Sowjets ausgeliefert geblieben. Sofunktionierte das Distinktionsreglement innerhalb der Unit"t selbst in derNotsituation. Im November 1945 erkl"rte sich Baudert offiziell zu seinerFlucht: Die Direktion habe aufgrund der russischen Besatzung mit einem„eisernen Vorhang“ zwischen Ost und West gerechnet und sei in den Westengezogen. Damit freilich hatte Baudert Recht: Mit der Flucht konnte er einenTeil des Vermçgens in Sicherheit bringen und im Westen die internationalenKontakte neu kn!pfen. Wichtig war auch die N"he Bad Bolls zur Schweiz, wodie Gemeine sich bereits im April 1945 Gedanken !ber die „Rettung desBr!dertums“ gemacht hatte.13 Da Johannes Vogt und Walther Baudert nachdem Teilungsplan der Direktion in Herrnhut lediglich die Verwaltungsarbei-ten !bernehmen sollten, scheinen die Br!der davon ausgegangen zu sein, dassin Herrnhut keine zweite Zentrale sein sollte und die eigentliche Direktion –mit dem Vorsitzenden Samuel Baudert – im Exil sei. Tats"chlich gingen dieRundbriefe und Informationen in der ersten Nachkriegszeit von Bad Bollaus.14

Die rechtliche Teilung der Europ"isch-Festl"ndischen Provinz – womit dieBr!dergemeine in Europa ohne England und Tschechien gemeint war – ineinen Distrikt Ost f!r die DDR und einen Distrikt West f!r die westeurop"i-schen Gemeinen (seit 1961 Distrikt Herrnhut und Distrikt Bad Boll genannt)vollzogen die Herrnhuter erst 1947 (s. Organigramm 2).Offiziell erhielt Herrnhut damit als Sitz der Direktion Ost die gleiche Bedeu-tung wie Bad Boll mit dem West-Direktorium. Die Bischofsweihe von Jo-hannes Vogt, dem Vorsitzenden des Distrikts Ost, diente auch dazu, seinePosition zu st"rken. Diese taktische Bischofsweihe fand nicht nur Zustim-mung unter den Gemeinmitgliedern, doch befand sich Vogt damit in guterTradition: Schon Zinzendorf war einst aus pragmatischen Erw"gungen zumBischof geweiht worden.15 Wie sp"ter die Landeskirchen betonten dieHerrnhuter ihren Willen zur Einheit und die geringe Bedeutung der organi-satorischen Teilung, auch waren die Beschl!sse der Ost- bzw. West-Synoden

12 Sitzungsprotokoll der DUD, 9. 3. 1945, UA DUD 47.13 S. Baudert an DUDHerrnhut, 24.11.45, UADEBU 27; Vogt an DUDBad Boll, 16.12.45, UADEBU

27; Rundschreiben von S. Baudert und Th. Marx, 7. 4.1945, UA DEBU 27; Uttendçrfers Le-benserinnerungen, S. 236, UANachlass Uttendçrfer ; S. Baudert an DUDHerrnhut, 24.11.45, UADEBU 27.

14 Rundschreiben von S. Baudert und Th. Marx, 7.4. 1945, UA DEBU 27; Uttendçrfers Lebenser-innerungen, S. 236, UANachlass Uttendçrfer ; S. Baudert an DUDHerrnhut, 24.11.45, UADEBU27.

15 Wegen dieser politischen Begr!ndung, die der eigentlichen Bestimmung des Bischofsamts inder Unit"t widersprach, gab es im Vorfeld der Wahl und Weihe Vogts einige Auseinanderset-zungen, UASynHt 1 u. 4; RundschreibenDirektionHerrnhut, 18.12.1961, UADEBU 50; vgl. zurTeilung der beidenDistrikte Reichel, Teilung der DUD, insbes. S. 91; Vereinbarung zwischen derDeutschen Br!der-Unit"t, Herrnhut, und der Europ"isch-Festl"ndischen Br!der-Unit"t, BadBoll, 18.4. 1948, EFUD 688.

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nur mit der Zustimmung der jeweils anderen Synode g!ltig. Doch ging derfaktischen Teilung bereits die innere Trennung voraus. Allein die Personal-entscheidung – imWesten die Direktionsspitze aus den alten Familien, in derOst-Leitung eher die br!derischen Neulinge – hatte f!r ein Ungleichgewichtgesorgt. Da der Osten bis 1947 nicht einmal offiziell gleichberechtigt war,ergaben sich von Anfang an Minderwertigkeitsgef!hle der Verantwortlichenim Osten gegen!ber den selbstbewussten Direktionskollegen imWesten. 1946schrieb ein Bruder nach einerWestreise: „Dass wir uns imOstenmit denen imWesten durch die Zonengrenze auseinanderleben, ist nichts Neues […] Imallgemeinen haben dieMenschen imWesten, je weniger sie vomOstenwissen,sehr gemischte Gef!hle gegen!ber den im Osten Wohnenden: Bewunderung,Mitleid und Misstrauen.“16 Vogt, dem Samuel Baudert aus Schwaben immerwieder scharfe Zurechtweisungen in die Oberlausitz sandte (!ber einen an-geblich viel zu teuren Losungsbuchsatz, !ber die Geh"lter oder !ber dieEinsch"tzung von Entwicklungen in der weltweiten Unit"t), schrieb 1949sichtlich genervt nach Bad Boll : „Je l"nger je mehr empfinden wir die Last derZonentrennung, weil wir sehen, wie Ihr Euch schwer in unsere Lage hinein-denken kçnnt […] die Verh"ltnisse werden so nach und nach so grundver-schieden anders, dass man sich eben gegenseitig !ber manche Dinge kaumverst"ndigen“ kann.17 Zunehmend beschlich die Geschwister in Herrnhut dasGef!hl, !ber wichtige Entscheidungen des West-Distrikts nicht informiert zuwerden, zumal Bad Boll zwangsl"ufig die faktische Zentrale der Europ"isch-Festl"ndischen Provinz wurde.18

1949 schloss sich die Br!dergemeine auf der Grundlage des Vertrages von1924 als assoziiertes Mitglied der 1948 gegr!ndeten Evangelischen Kirche inDeutschland (EKD) an. Sie hatte einen Sitz in der Synode, jedoch keinStimmrecht. Durch den Vertrag band sich die Freikirche so eng wie noch niean die Landeskirchen – angesichts der politischen und wirtschaftlichen Si-tuation eine kluge Entscheidung, um das #berleben der Unit"t zu sichern.19

Ein Jahr zuvor war die Europ"isch-Festl"ndische Provinz dem neu gegr!n-deten %kumenischen Rat der Kirchen (%RK) beigetreten. Die Br!dergemeinef!hlte sich der %kumene theologisch und traditionell verbunden, zudembekam sie von dem Rat Gelder f!r ihre Arbeit.20 An der Gr!ndungsver-sammlung des %RK in Amsterdam 1948 nahmen f!nf Br!der aus der Unit"tteil, darunter Frederick P. Stocker aus den USA und Heinz Renkewitz aus Bad

16 Bericht Erdmann, 12.7. 1946, UA DEBU 579.17 Briefe S. Baudert an Herrnhut, ab 1946, UA DEBU 28–30.18 J. Vogt anH. Renkewitz, 1. 2.1951, UADEBU 30; E. Fçrster anH.Motel, 5. 12.1966, UADEBU 33;

vgl. zur Trennung auch F. G"rtner an W. Baudert, 8. 8. 1950, UA DEBU 1368.19 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 151.20 S. Baudert an J. G. F!rstenberger, 20.4.1948 u. weiter Unterlagen in MAB 114GI, Switzerland.

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Boll.21 Aus der SBZ reiste niemand an, doch gehçrten Ost- undWest-Gemeinedem %RK bis zur Gr!ndung des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR1969 gemeinsam an.

3.1.1 Elit"re Distinktion und DDR-Kompatibilit"t:Anmerkungen zur Sozialstruktur

Wenn auch die sozialhistorische Quellenlage nicht befriedigend ist, lassen sichdoch einige Besonderheiten zur Sozialstruktur der Br!dergemeine in der DDRausmachen.22 Die Westflucht junger und gebildeter Eliten aus der DDR betraf!berproportional stark die Unit"t.23 Die Mitgliederzahl im Distrikt Ost, wieder Bereich in der DDR genannt wurde, sank von 1948 mit 5200 Mitgliedernbis zum Jahr 1962 um 1900 auf rund 3300 Mitglieder.Gleichzeitig nahm der Distrikt West um !ber 2000 Mitglieder zu.24 Der Dis-trikt Ost verlor also bis zum Mauerbau rund 35 Prozent seines Bestandes!berwiegend durchAuswanderung – gegen!ber 8 ProzentWestfl!chtlingen inder Gesamtbevçlkerung. In den Landeskirchen sank im Vergleich die Mit-gliederzahl von 1950 bis Anfang der sechziger Jahre um dreißig Prozent. Dochw"hrend die Landeskirchen in der DDR, "hnlich wie die Freikirchen, nachdemMauerbau bis 1989 einenMitgliederschwund um rund sechzig Prozent zuverzeichnen hatten, verringerte sich in der Br!dergemeine die Mitgliederzahlnur um zwanzig Prozent.25 Es gab drei Gr!nde f!r diese – f!r DDR-Verh"lt-nisse relativ konstante – Mitgliederzahl: einmal das abgeschottete Milieu derBr!dergemeine; dann die stark auf Tradition und Gruppenidentit"t zielendeErziehung in Familie, im Konfirmations- und Christenlehreunterricht, inFreizeiten und in Konventikeln; schließlich die Anpassungsf"higkeit der Ge-meine und ihrer Tradition an die jeweils herrschenden Verh"ltnisse, sowohlpolitisch als auch theologisch. Nicht zuletzt der ausgezeichneten und sorg-f"ltig organisierten Jugendarbeit war es zu verdanken, dass die Br!dergemeine– anders als die Landeskirchen – nicht an#beralterung litt.W"hrend Ende der

21 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 138; Unterlagen von F. P. Stocker,MAB 104GI, Amsterdam + Europe Stocker; WCC Assembly, list of participants, o.D., Archiv%RK 31.019/1; Unterlagen, Ende vierziger Jahre, UA DEBU 94.

22 Die Quellengrundlage der Sozialstruktur ist zwar mit knapp 200 Personendatens"tzen rechtbreit, doch l"sst sich daraus nur die Tendenz der Entwicklung von 1945 bis 1990 ableiten, da esvon der wichtigsten Quelle, den Lebensl"ufen, nur wenige der j!ngeren Generationen gibt.

23 Rundbrief „An die Geschwister in den Gemeinbereichen“, Dezember 1971, UA EFUD 658; vgl.dazu auch Graf, Theologie und Kirchenpolitik, S. 300.

24 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 150. Zu den abgehenden Mitgliedernz"hlten auch die Mitglieder aus West-Berlin, die erst nach 1961 zum West-Distrikt gez"hltwurden.

25 Vgl. zu den Landeskirchen Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 380–382; vgl. zu ebenfallsstark sinkenden Mitgliederzahlen der anderen Freikirchen Assmann, Bund Evangelisch-Frei-kirchlicher Gemeinden, S. 28.

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vierziger Jahre rund zwanzig Prozent zu den Kinder- und Jugendchçren ge-hçrten (bis 18 Jahre), wuchs diese Altersgruppe bis 1989 auf dreißig Prozentan.26 Typisch f!r die konfessionell gebundene Bevçlkerung war hingegen derhohe Anteil an Frauen: Er blieb "hnlich wie bei den Mitgliedern der großenKirchen relativ konstant bei etwa sechzig Prozent. Und wie in der ganzenostdeutschen „Arbeitsgesellschaft“ z"hlte auch die Unit"t einen hohen Anteilerwerbst"tiger Frauen; allerdings war in der Unit"t die Frauenarbeit und dieEntlastung der Frauen durch Kinderg"rten traditionell !blich.27

Die Diskriminierung der ostdeutschen Christen bei der Ausbildung f!hrteauch in der Unit"t zu einer Abnahme der hçher Gebildeten. Die Aufnahmevieler Dorfbewohner und b"uerlich gepr"gter Diasporamitglieder als Voll-mitglieder trug ebenfalls zur Ver"nderung der Sozialstruktur bei. BeideGruppen w"ren vor 1945 kaum in die Gemeine aufgenommen worden. Unterden Bedingungen im Sozialismus aber war die Unit"t zunehmend froh !berNeuzug"nge. Der Druck von außen st"rkte das inklusive und schw"chte dasexklusive Element.28 Das Bildungsniveau sank bis zum Ende der DDR zu demdes Bevçlkerungsdurchschnitts ab – und blieb damit im Verh"ltnis zu denanderen protestantischen Kirchen relativ hoch. Etwa zehn Prozent der br!-derischen Jahrg"nge ab 1930 hatten einen Hochschulabschluss (Gesamtbe-vçlkerung rund 11 Prozent, konfessionell Gebundene rund 8 Prozent), hinzukamen in der Gemeine etwa 6 Prozent Theologen, die meist kein staatlichesAbitur und keinen staatlichen Hochschulabschluss besaßen. Etwa 84 Prozentder Herrnhuter hatten eine Fachschule, eine Handwerkerlehre oder eine Be-rufsausbildung absolviert (gegen!ber 82 Prozent in der Bevçlkerung). Un-gelernte Herrnhuter gab es in den j!ngeren Jahrg"ngen kaum (Gesamtbe-vçlkerung 7,5 Prozent; ostdeutsche Kirchenmitglieder rund zwanzig Pro-zent). Gegen!ber den anderen konfessionell Gebundenen in der DDR zeigtsich also eine gewisse Privilegierung der Herrnhuter.29 Da jedoch wesentlichweniger Herrnhuter als zuvor trotz guter Schulnoten und trotz des bil-dungsb!rgerlichen Anspruchs Abitur und Hochschulabschluss absolvierendurften, empfanden viele Gemeinmitglieder die Diskriminierung im Bil-dungsbereich als besonders gravierend.

Obwohl große Teile der b!rgerlichen herrnhutischen Elite in den Westengeflohen waren, blieb die traditionell ausgepr"gte Selbstrekrutierung derF!hrungsschicht auch nach 1945 in Ostdeutschland außerordentlich hoch. Solag die Selbstrekrutierung von Theologen im Ost-Distrikt mit 37 Prozent weit!ber dem (ebenfalls sehr hohen) DDR-Schnitt von 22 Prozent. Das kam nichtzuletzt daher, dass Pfarrkinder oft nur Theologie studieren durften. Die

26 Br!dergemein-Sample, vgl. Anhang, Quellen; vgl. zu den landeskirchlichen Zahlen Pollack,Organisationsgesellschaft, S. 391–393.

27 Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 394 f. ; Bauerk!mper, Sozialgeschichte, S. 12 f.28 K"chler, Herrnhut – Nest – Weltstadt, S. 13.29 Br!dergemein-Sample, vgl. Anhang, Quellen; zur Gesamtbevçlkerung Pollack, Kirche in der

Organisationsgesellschaft, S. 395–402.

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kirchlichen Mitarbeiter unter den Herrnhutern, die in der SBZ und der DDRlebten (neben den Theologen auch Institutsleiter, Kaufleute oder diakonischeMitarbeiter), waren gar zu 42 Prozent Kinder kirchlicher Angestellter. DieseEliten- und Funktions-Kontinuit"t nach 1945 war nur wegen der sehr l!-ckenhaften Entnazifizierung in den Kirchen mçglich.30 Bei den Herrnhuternkam die geringe Grçße der Kirche hinzu.

Auch wenn sich die Sozialstruktur der Br!dergemeine der ostdeutschenGesellschaft ann"herte, blieb Herrnhut eine Insel, und bis zum Ende der DDRerhielt sich im ganzen Ost-Distrikt ein spezifisch br!derisches Milieu. W"h-rend die Herrnhuter mit ihren internationalen Biographien und ihrem welt-weiten Horizont einen eigenartigen Kontrast zur l"ndlichen Umgebung derOrtsgemeinen bildeten, waren die Außenstehenden gewçhnliche Dorfbe-wohner, die fr!her oft im Dienst von Gemeinmitgliedern gestanden hatten.Schwere kçrperliche und sozial wenig geachtete Arbeit empfanden altehr-w!rdige Herrnhuter bis in die Nachkriegszeit als nat!rliches Aufgabengebietder Dçrfler. Schon die Sprache sorgte f!r Distanz. Herrnhuter sprachen, egalwo sie wohnten, keinen Dialekt – ein Umstand, auf den sie gerne aufmerksammachten.31 Gerade Herrnhut hatte in der rauen, abgeschotteten Oberlausitzstets die Rolle des Außenseiters, aber auch des Arbeitgebers und Wohlt"ters.Wie die anderen Ortsgemeinen war die Muttergemeinde traditionell durchHandwerk und Gewerbe gepr"gt und hatte kaum Bauern oder Angehçrige derUnterschicht in ihren Reihen.32 In der Umgebung Herrnhuts hingegen be-fanden sich nach Informationen des statistischen Jahresberichts 1947, derbereits die SED-Kategorisierungen wiedergibt, siebzig Prozent „Arbeiter“(wozu auch die Bauern gerechnet wurden), 12 Prozent Angestellte und rund16 Prozent Selbst"ndige.33 Herrnhut, das von einer breiten b!rgerlichenMittelschicht dominiert war, hatte aufgrund seiner Bedeutung inmitten derOberlausitzer Provinz bereits im 19. Jahrhundert Stadtrecht erhalten undbeherbergte das Krankenhaus und das Amtsgericht – obwohl der Ort kaummehr als 2000 Bewohner z"hlte. Ein f!r l"ndlicheVerh"ltnisse ungewçhnlichesVereinsleben sorgte in den zwanziger Jahren f!r einen gehobenen Lebensstil :Vom Geschichts- bis zum Tennisverein gab es in Herrnhut, das vor seinerZerstçrung 1945 mit seiner barocken Stadtstruktur und seinen Villen außer-ordentlich reizvoll war, zahlreiche Organisationen, die ein st"dtisch b!rger-liches Gesellschaftsleben ermçglichten.34 Ein „Proletariat“, darauf legte die

30 Br!dergemein-Sample, vgl. Anhang, Quellen;Kleßmann, Sozialgeschichte des protestantischenMilieus, S. 33 f.

31 Schneider, Gl!ck in der Nische, S. 165.32 B!rgermeister und Stadtverordnetenvorsteher M. Martin an Kreisrat Lçbau, 28. 1.1950, HStA

Drd. 11420/119; Motel, Von der Saat zur Ernte, S. 10.33 Statistischer Jahresbericht f!r den Kreis Lçbau f!r das Jahr 1947, HStA Drd. 11377/1641.34 Vereinsregister und Unterlagen in 2348 u. 3533, Staatsfilialarchiv Bautzen.

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Br!dergemeine auch nach 1945 wert, habe es in Herrnhut nie gegeben.35 Derelit"re Habitus, der in der Br!dergemeine gepflegt wurde, f!hrte unter denAußenstehenden vielfach zu Missgunst. Dies war umso problematischer, alsder prozentuale Anteil der Gemeinmitglieder in Herrnhut gegen!ber derEinwohnerschaft abnahm.Doch anerkannten die nicht-br!derischen Mitb!rger die Leistungen derUnit"t und die Vorteile, die allen daraus erwuchsen. In den siebziger Jahrenetwa hieß es in einem Bericht der Staatssicherheit, ein Großteil der Einwohnersei der Meinung, die Probleme Herrnhuts kçnnten nicht vom Rat der Stadt,sondern nur von der Unit"t gelçst werden.36

Das Leben in Herrnhut war durch Theologen dominiert, die nicht nur einemoralische Autorit"t besaßen, sondern auch in allt"glichen Dingen das Sagenhatten. In den sechziger Jahren z"hlten die Kreisbehçrden 14 Pfarrer in derkleinen Stadt, zu denen noch pensionierte Prediger, Missionare und einstigetheologische Dozenten hinzukamen.37 Die f!hrende Schicht war bildungs-b!rgerlich orientiert. Gemeinhelfer, wie die br!derischen Pfarrer hießen,besaßen zu DDR-Zeiten oft ausgezeichnete Bibliotheken, dank der westlichenB!cherhilfe zum Teil mit einem Bestand anmoderner westlicher Belletristik.38

In Herrnhut lebten zahlreiche originelle Persçnlichkeiten, die in der kleinenOrtschaft f!r ein eigent!mliches Klima sorgten. Zu ihnen gehçrte derSchweizer Herrnhuter Wilfried Merian. Der Nachkomme der Basler Kupfer-stecher-Familie, der in Schlesien unter anderem die Herrschaft Kreisau Hel-muth Graf von Moltkes verwaltet hatte, hielt sich abseits vom Glaubenslebender Gemeine – eine Lebensform die in der Gemeine durchaus geduldet wurde.Merian war ein ausgezeichneter Landwirt und Gutsverwalter, so dass er baldnicht nur die br!derischen G!ter, sondern auch große Teile der katholischenund protestantischen Liegenschaften verwaltete. Der Schweizer verhehlteniemals seine großb!rgerlichen Anspr!che: Er lebte in einer der f!r DDR-Verh"ltnisse luxuriçsen Villen Herrnhuts (die ihm die Staatsorgane viele Jahrestreitig machten), reiste ausgiebig, leistete sich einen Chauffeur, der denschwarzen Mercedes steuerte, und f!hrte ein offenes Haus mit zahlreichenG"sten.39 Viele Mitglieder der Gemeine hatten multinationale Biografien undwaren noch in Surinam, im Himalaja, in Afrika, in D"nemark, der Schweizoder England geboren worden. NebenMerian gab es rund ein halbes Dutzend

35 Vgl. Landforstmeister Landesregierung Sachsen anMinister Uhle, 14.7.1948, HStA Drd. 11394,Nr. 546.

36 Bezirksverwaltung f!r Staatssicherheit Drd., Abteilung XX, an Oberst Bormann, 14.1.77, BStUMfS HA XX/4, 778, S. 426.

37 Pfarrer des Kreises Lçbau, o.A., RdK Lçbau 230, Kreisarchiv Lçbau-Zittau; Lebenslauf ChristaHickel, geb. Becker, S. 1.

38 Hettasch-Haarmann, S. 31; vgl. zu den Herrnhuter Pfarrbibliotheken auch Schneider, Einblickein Pfarrh"user.

39 Lebenslauf W. Merian.

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Schweizer in Herrnhut. 16 Prozent der Herrnhuter in der SBZ waren imAusland geboren bzw. aufgewachsen.40

Auch innerhalb der Unit"t verliefen feine Differenzierungen: Dazu gehçrtedie bereits genannte Trennung zwischen Vollmitgliedern und Diasporamit-gliedern.41 Als nach 1945 einige der b"uerlich gepr"gten Diasporamitgliedersich in Ortsgemeinen niederließen, erwies sich ihr sozialer Status f!r dieb!rgerlichen Herrnhuter als so hinderlich, dass die Integration nur mit gro-ßen Schwierigkeiten gelang.42 Wichtig war bis in die Nachkriegszeit der un-ausgesprochene Unterschied zwischen den alten, hoch positionierten Ge-schlechtern, aus denen viele Direktionsvorsitzende und Bischçfe kamen, undden Mitgliedern aus Familien mit weniger illustren Stammb"umen. DerTheologe Karl Barth, der die Unit"t aus der Schweiz kannte, kritisierte dieseKonzentration der Br!dergemeine auf Familie und „Gemeingeist“, die sie !berden Glauben stelle.43 Anders als im Westen verschwand aber das Ph"nomendes „Gemein-Adels“ im Osten fast vollst"ndig. Die Direktionsvorsitzenden imDistrikt Herrnhut kamen allesamt aus unbedeutenden br!derischen oder garaus urspr!nglich landeskirchlichen Familien. Diese $nderung an der F!h-rungsspitze trug wesentlich dazu bei, dass der Habitus der ostdeutschenUnit"t etwas von seiner elit"ren Distinktion einb!ßte und damit DDR-kom-patibler wurde. Auch die andern exklusiven Elemente verloren bis 1990 anBedeutung, verschwanden aber niemals ganz.

Die Fakten weisen auf eine geringe soziale Mobilit"t hin, die eine auf Tra-dition fixierte Lebenshaltung fçrderte. Die Tradition f!hrte jedoch nicht zurStagnation. Wenn ein staatstreuer methodistischer Theologe Anfang dersiebziger Jahre im DDR-Jargon kritisierte, der „kleinb!rgerlich-mittelst"n-dische Lebenszuschnitt“ sei in der Br!dergemeine zur Norm geworden,44 sobeschrieb er damit nur eine Seite der Medaille undmissachtete die anhaltendeeigenartige globale und bildungsb!rgerliche Ausrichtung der Herrnhuter.Ihre Ambivalenz zwischen Abkapselung und %ffnung, zwischen Enge undWeite war die ganze DDR-Zeit !ber bemerkbar. Der Historiker ChristophKleßmann attestierte dem protestantischen Milieu, innerhalb der DDR-Ge-sellschaft eine Alternativkultur geboten zu haben.45 Die Ortsgemeinen botenin vielfacher Hinsicht eine Kultur, die quer zu allem lag, wof!r die DDR stand.Die soziokulturelle Pr"gung des herrnhutischen Milieus, das sich trotz einerpartiellen Ann"herung an die DDR-Gesellschaft erhalten konnte, bildete einbemerkenswertes Resistenzpotenzial.46

40 Br!dergemein-Sample, vgl. Anhang, Quellen; vgl. dazu auch Morgenstern, S. 157.41 Br!dergemein-Sample, vgl. Anhang, Quellen.42 Schiewe, Br!dergemeine in Polen, S. 68.43 Busch, Karl Barth, S. 241 f.44 Ordnung, 250 Jahre Herrnhut, S. 69; vgl. Interview mit Erdmute Frank, ostdt. Gemeinmitglied,

Bethlehem, USA, 3. 5.2005, S. 9, Unterlagen H. Richter.45 Kleßmann, Sozialgeschichte des protestantischen Milieus, S. 52.46 Vgl. zum soziokulturellen Resistenzpotenzial Jessen, Akademische Elite, S. 437.

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3.2 Umgang mit der NS-Zeit in der weltweiten Unit"t

„Was will der Herr uns mit dieser schweren Heimsuchung sagen?“, fragte daserste Rundschreiben der Direktion nach Kriegsende.47 Was wollte Gott?Warum hatte er das getan? Nicht nur die Tradition der Herrnhuter mit demelit"ren Selbstverst"ndnis war durch das dem!tigende Kriegsende in Fragegestellt. Auch das bisherige pr"gende gesellschaftliche Identit"tsangebot, derkonservative Nationalismus, geriet ins Wanken. Das Empfinden f!r die Z"sur,f!r eine totale „Katastrophe“ war 1945 allgegenw"rtig und tief.48 Wie gingendie deutschen Herrnhuter in Ost undWest damit um – und wie reagierten dieneuen Machthaber in der SBZ und wie die Herrnhuter im Ausland? Da dieDebatten in der Br!dergemeine stark mit denen in den Landeskirchen ver-bunden waren, ermçglicht der Blick auf die Herrnhuter auch einen allge-meinen Zugang zu den protestantischen Diskursen.

Die Herrnhuter hatten ein vages Schuldempfinden, das jedoch nicht ausdemWissen um das eigene Versagen herr!hrte. Vielmehr lag seine Genese inder Interpretationsbed!rftigkeit des katastrophalen Kriegsendes.49 Auf derSuche nach einer Erkl"rung dieser Ereignisse kristallisierte sich schnell einErkl"rungs- und Aufarbeitungsmuster heraus: das Gericht Gottes.50 Dabeiwurde Geschichte als Heilsgeschichte interpretiert, also als Plan Gottes mitseinem Volk hin zum Heil, zum guten Ende. Gewiss gebe es "ußerliche Ur-sachen f!r das schwere Schicksal, erkl"rte etwa Gemeinhelfer Hugo Siebçrger,doch es sei „Gottes Zulassung gewesen“; auch hier zeige sich „nur Seine Liebe.Er will uns und unsere ganze Gemeine dadurch innerlich fçrdern.“51 „Zornund Gnade gehçren zur Liebe Gottes“, hieß es im Rundschreiben der Direk-tion imM"rz 1945, Gottes Zorn ziele darauf ab, „den Einzelnen wie die Vçlkerzur Umkehr und Buße zu bringen“.52 Hier klang die weltweit im Protestan-tismus verbreitete These an, NS-Zeit und ZweiterWeltkrieg seien Ergebnis derS"kularisierung, und nach diesem schrecklichen Hçhepunkt werde eine Re-

47 Rundschreiben der DUD, Herrnhut, Nr. 6/45, 19.9. 1945, Archiv Bg Eb $R I R 2,3a; vgl. zudiesem Kapitel auch Richter, De-Nazification, Socialism and Solidarity.

48 Dieses Empfinden f!r den Einbruch im deutschen Protestantismus unterstreicht Pollack, Ab-brechende Kontinuit"tslinien.

49 S. Baudert an Unit"tsdirektion Bethlehem, Winston-Salem, London, 1. 7. 1945, MAB 103 C II,1945; vgl. General Directory, C. H. Shawe, an S. H. Gapp, J. K. Pfohl, 2. 11.1945, MAB 103 C II,1945.

50 Vgl. Gemeinnachrichten Nr. 17, Bad Boll, 28.11.1947, Gemeinarchiv Ebersdorf, $R I R 2, 3a;Grunds"tze des Br!dergemeinkreises Neu-Gnadenfrei, 17.5. 1947, UA DEBU 29; Schiewe u.Schlimm, Schuld und innere Besinnung, S. 17.

51 Protokollbuch $ltestenrat Herrnhut, zitiert nach Schiewe u. Schlimm, Schuld und innere Be-sinnung, S. 17.

52 Rundschreiben der DUD 4/1945, 6. 3. 1945, UA DEBU 49; ganz "hnlich auch Rundschreiben derDUD6/1945, 19.9. 1945, UADEBU49; Aussagen zur Schuld in Schiewe, Br!dergemeine in Polen,S. 80.

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christianisierung stattfinden.53 Die Synode im Ost-Distrikt erkannte 1947 ineiner offiziellen Erkl"rung als „Sinn dieser notvollen Jahre“: das GerichtGottes, die Schulderkenntnis und schließlich den Segen der Gerichtszeit. InBad Boll formulierte die West-Synode ein "hnliches Wort.54 #berhauptstimmten die Herrnhuter in Ost und West in der Interpretation der NS-Zeitweitgehend !berein.

Die positiv-heilsgeschichtlich interpretatorischeWendung der Unit"t hattevier Vorteile: Erstens bekam das Elend der Nachkriegszeit einen Sinn; daserwies sich als psychologisch wertvoll, um mit der Gegenwart fruchtbarumgehen zu kçnnen. Zweitens best"rkte gerade das Gericht als heilsge-schichtliches Moment das traditionelle Gef!hl der Auserw"hltheit. Denn mitder zur Umkehr mahnenden Strafe hatte Gott sich als besonders gn"dig er-wiesen. Sogar die Schuld selbst ergab sich aus der Auserw"hltheit: „Von derGemeine, die der Heiland vor anderen bevorzugt hat, h"tte man ein besonderstreues Eintreten erwarten sollen.“55 Drittens lenkte der Verweis auf denheilsgeschichtlichen Aspekt, der nach S!nde und Buße die Verzeihung im-pliziert, den Blick in die Zukunft. Der Brite Shawe notierte !ber diese Haltungder deutschen Herrnhuter : „What has happened to them is taken as a judg-ment of God; what stands before them is taken as a challenge to new andstrenuous effort.”56 In einem 1946 publizierten Gedicht des Herrnhuters Kurtvon B!low !ber seine verlorene Heimat Gnadenberg heißt es beispielhaft amSchluss !ber die Ruinen des abgebranntenKirchsaals: „DieMauern, sie stehenuns vor Gesicht. / Ist’s da wohl nicht unsere heilige Pflicht, wenn sie uns somahnen und auf uns schauen, / im festen Glauben neu aufzubauen!“57 Nurselten findet sich die psychologisch weniger g!nstige, apokalyptische, aufStrafe konzentrierte Interpretation. Deutschlandweit hat sich die Theologienicht f!r diese apokalyptische Variante der Geschichtsdeutung entschieden,sondern wie in der Br!dergemeine die Dinge optimistisch interpretiert.58

Viertens bedurfte es bei einem in geistliche Worte geh!llten Eingest"ndniskeiner Konkretisierung der Schuld. Die Opfer des eigenen Fehlverhaltensblieben ausgeblendet.59 Bei der Br!dergemeine findet sich in der Nach-kriegszeit nur ganz vereinzelt ein Bewusstsein f!r die Schuld der Deutschenund damit f!r konkretes eigenes Versagen. Entscheidend war auch im Hin-

53 Greschat, „Rechristianisierung“.54 In Schiewe u. Schlimm, Schuld und innere Besinnung, S. 27 f. u. 30 f.55 Sitzungsbericht der DUD, 10. 7.1946, UA DEBU 1.56 C. H. Shawe: Further contacts with the Moravian Church in Europe, MAB 100FI, Unity General

Directory.57 Rundschreiben der DUD 2/46, 20.2.1946, UA DEBU 49.58 W. Baudert, Die heilsgeschichtliche Bedeutung der gegenw"rtigen Stunde, S. 8 f. , um 1947,MAB

99GI, Letters of Thanks.59 Der br!derische Psychoanalytiker und Theologe Hans-Christoph Hahn erkl"rte, h"ufiger als

Gest"ndnisse f"nden sich „Versuche, das Erlebte religiçs zu interpretieren und so dem kollek-tiven Ged"chtnis der Gemeine einzuordnen“, Hahn, Umgang mit Erinnerung, S. 58.

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blick auf das k!nftige Verhalten der Br!dergemeine: Das Verh"ltnis zur Ob-rigkeit wurde nirgendwo hinterfragt. Schuldgest"ndnisse blieben so auf einerunpolitischen Ebene, wie in einem Rundbrief der Direktion: „Wir sehen diegroßen Nçte, die uns betroffen haben, als ein Gericht !ber die Gemeine an,und zwar als ein verdientes Gericht. Ist nicht unsere br!derliche Liebe durchdie Kritiksucht angekr"nkelt, die Dienstbegierde durch selbsts!chtiges Be-hagen gel"hmt? Ist nicht unsre Haltung durch Lauheit, Halbheit und Selbst-zufriedenheit gekennzeichnet? Ist nicht unser Gemeinleben, vor allem unserErwerbsleben weithin verweltlicht? Und ist nicht die Ursache all dieserSch"den, dass wir nicht mehr in der ersten Liebe zumHeiland stehenwie einstdie V"ter?“60 In vielen Schuldbekenntnissen wird deutlich, dass man in dens"kularen Tendenzen in der Gemeine vor 1945 das Ur!bel sah und nun zueiner echten Frçmmigkeit zur!ckkehren wolle.

Die Geschichtsinterpretation der Gemeine entsprach protestantischerTheologie61 und lag nahe beim „Stuttgarter Schuldbekenntnis“, das der Ratder Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) 1945 abgelegt und in derdeutschen Bevçlkerung große Empçrung hervorgerufen hatte: „[W]ir klagenuns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht frçhlichergeglaubt und nicht brennender geliebt haben.“62 W"hrend Theologen desReichsbruderrates der Bekennenden Kirche wie Martin Niemçller sich f!reine klarere Entschuldigung einsetzten (die sie sp"ter im „Darmst"dter Wort“formulierten), wandten sich Kirchenf!hrer wie der w!rttembergische BischofWurm in zahlreichen Appellen gegen die angebliche Rachsucht der Alliiertenund ergriffen f!r das scheinbar unschuldige deutsche Volk Partei.63 In dieserKollektiv-Unschuldsthese zeigte sich das autorit"re Obrigkeitsbild, das vonder alleinigen Verantwortung der Herrschenden und der grunds"tzlichenInkompetenz der Beherrschten ausging. Und wieder wurde das problemati-sche Verh"ltnis zur Obrigkeit nicht hinterfragt. Ausl"ndische Beobachternotierten bei Reisen durch Deutschland betroffen das Fehlen jeden Schuld-bewusstseins.64 Karl Barth fragte bereits 1945 die Kirchenvertreter unterBezug auf ihre geistlich verbr"mte Entschuldigung und die D"monisierungHitlers: „Warum redet ihr immer von D"monen? Warum sagt ihr nicht kon-kret: Wir sind politische Narren gewesen?“65 Die Br!dergemeine bezog offi-

60 Hirtenbrief der Kirchenleitung der EFUD, Neujahr 1947, UA DEBU 49.61 Vgl. Graf, Theologie und Kirchenpolitik, S. 310 f.62 Stuttgarter Schuldbekenntnis, 19.10.1945. Pollack verweist darauf, dass das Bekenntnis nicht,

wie in der Forschung behauptet, nur auf Druck der %kumene zustande gekommen sei, Pollack,Abbrechende Kontinuit"tslinien, S. 456 f. ; vgl. auch Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte1949–1990, S. 365 f.

63 Friedrich, Helmut Thielicke, S. 250; vgl. auch Brakelmann, S. 75; Ruff, S. 826 f. ; vgl. zumDarmst"dter Wort Lepp, Tabu der Einheit?, S. 67–71.

64 Nowak, Kirche im Jahr 1945, S. 381 f.65 Barth in einem Interview, 1945, zitiert nach Doering-Manteuffel, Ideologische Blockbildung,

S. 38.

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ziell keine der beiden Positionen. In einem Rundschreiben Ende 1945 legte dieDirektion unkommentiert sowohl ein weit reichendes Schuldbekenntnis desReichsbruderrates bei als auch ein apologetisches Schreiben BischofWurms.66

Am ehesten konnten sich die Herrnhuter mit dem Kompromiss des „Stutt-garter Bekenntnisses“ identifizieren, das sie çfters zitierten.67

Die Unit"t war hier erneut schlicht ein Spiegelbild der deutschen Gesell-schaft: Allgemein, in Ost wie inWest, wurde nach einem kurzen Intermezzo inder unmittelbaren Nachkriegszeit68 die Verantwortung f!r die Verbrechenabgelehnt. Doch obwohl in der ausgesprochen religiçs engagierten Nach-kriegsgesellschaft der Umgang mit der NS-Zeit nicht ohne das religiçse Um-feld verstanden werden kann, werden diese in der Geschichtsschreibungbisher weitgehend ausgeklammert.69 Auch wenn die Kirchen mit dem Stutt-garter Schuldbekenntnis weiter gingen als die Mehrheit der deutschen Be-vçlkerung (das darf freilich nicht !bersehen werden), ermçglichten doch dieDiskurse in den Kirchen – gepr"gt durch ein konservatives Obrigkeitsbild unddurch die allzu rasche Forderung nach christlicher N"chstenliebe und Ver-gebung – die Verdr"ngung deutscher Schuld. Erst sp"ter, in den f!nfzigerJahren, als der religiçse Hype nachließ, !bernahmen „Wirtschaftswunder“und Konsum die Verdr"ngungsfunktion, bis sich die Gesellschaft Ende dersechziger Jahre allm"hlich bereit fand, sich mit der NS-Vergangenheit aus-einander zu setzen.70

So dominierte in der Bevçlkerung wie in der Br!dergemeine die #ber-zeugung, Deutschland sei prim"r ein Opfer der Ereignisse.71 Nach der Lon-doner Konferenz der Siegerm"chte 1947, in der die Schaffung einer einheit-

66 Rundschreiben der DUD 7/1945, 25. 10.1945, UA DEBU 49.67 Vgl. Rundschreiben, UA DEBU 49; etwa Jahresbericht Berlin 1946, S. 1, Archiv Br!dergemeine

Neukçlln C3 Ia1; Vortrag „Die Br!dergemeine und die Schuldfrage“, H.-W. Erbe, 16.4. 1946, UADEBU 1367.

68 Mit zunehmendem Druck der Alliiierten zur Entnazifizierung habe die Bereitschaft der Be-vçlkerung abgenommen, sich mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen. So die These vonPollack, die er gut mit den Umfragen der amerikanischen Besatzer belegen kann, Pollack,Abbrechende Kontinuit"tslinien, S. 463–465.

69 Vgl. etwa die Analyse der Nachkriegsgesellschaft in Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte1914–1949, S. 951–984; auch in Wehlers f!nftem Band wird die Bedeutung der kirchlichenAufarbeitungsdiskurse f!r die Gesellschaft nicht deutlich, sondern eher als ein innerkirchlichesProblem dargestellt, S. 363–366; vgl. auch Wolfrum, S. 215–231; Sabrow, NS-Vergangenheit;Classen, Fremdheit gegen!ber der eigenen Geschichte. Vgl. zu dem Intermezzo Pollack, Ab-brechende Kontinuit"tslinien.

70 Wolfrum, S. 228–231; plausibel ist gleichwohlWehlers positive Beurteilung der f!nfziger Jahre,demnach die desillusionierten Deutschen dem realistischen Kurs Adenauers gefolgt seien,w"hrend nazistische Strçmungen allenfalls am Rande der Gesellschaft vorkamen, Wehler,Deutsche Gesellschaftsgeschichte Bd. 5, S. 16 et passim.

71 Classen, Fremdheit gegen!ber der eigenen Geschichte, S. 107; vgl. zur „Selbstviktimisierung“ inDeutschland Sabrow, NS-Vergangenheit, S. 134; vgl. zur Br!dergemeine z.B. Rundschreiben derDUD 2/1946, 20.2.1946, S. 2, UA DEBU 49; „Gebet f!r Europa”, in: Rundschreiben der DUD 3/1946, 27.3. 1946, UA DEBU 49.

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lichen Zentralinstanz f!r alle deutschen Besatzungszonen gescheitert und eszum Bruch zwischen den USA und der Sowjetunion gekommen war, erkl"rtedie Direktion in der SBZ: „Ein Volk, das durch die gleiche Sprache, Kultur undSitte unlçsbar fest verbunden ist, muss als eine schçpfungsm"ßige Einheitbetrachtet werden und bedarf ausreichender Lebensbedingungen, um beste-hen zu kçnnen.“72 Das national-konservative Weltbild der Herrnhuter hatteweiterhin Bestand. Otto Uttendçrfer meinte gar : „Die Versklavung undHungerkur Deutschlands wird von den Feinden im Westen in Gang ge-bracht“.73 Im Juni 1945 konstatierte der Wissenschaftler : „Wir h"tten denzweiten Weltkrieg mit unsern schwachen Geburtenjahrg"ngen nie beginnend!rfen, sondern erst Bevçlkerungsaufbau durch Bauernsiedeln im Ostendurchf!hren m!ssen, und so ist durch Unvorsichtigkeit der ganze Osten unddas Preußentum Deutschlands in der Ostflut zugrund gegangen. […] DieFeinde haben eine ungeheure Blutschuld an Deutschland, sie haben es gera-dezu gemordet“.74 Noch 1946 konnte der Krieg von einem br!derischenGeistlichen als ein „Ringen“ um die „Festung Deutschland“ interpretiertwerden.75 In einem bemerkenswerten Vortrag des br!derischen Historikersund Studienrats Hans-Walter Erbe von 1946 !ber die Schuld der Br!derge-meine hieß es jedoch, ein Schuldeingest"ndnis sei unumg"nglich, denn dieT"ter „waren Menschen unserer Sprache, unseres Volkes, Menschen von un-serm Fleisch und Blut.“ Zugleich distanziert sich Erbe jedoch deutlich vondenen, die nicht zu ihrem Volk st!nden: Als „ich einmal in Paris in einemKreis von Emigrantenmit verst"ndnisinnigem L"cheln begr!ßt wurde, dawarmir das widerlich, und ich sch"mte mich, dass ich da mit hineingerechnetwurde. […] Deshalb sind uns ja die gçnnerhaften, strafenden oder aufmun-ternden Ansprachen aus der Ferne wie die von Thomas Mann so qualvoll undwiderw"rtig. Es gibt nicht zwei Sorten von Deutschen; ich mag mich nicht ingemeinsamer Front gegen die Nazis auf die Seite unserer Besieger stellen.“76

Die Alliierten !berließen die Entnazifizierung kirchlicher Mitarbeiterweitgehend den Kirchen selbst, die sie sehr lax betrieben. Wie den meistenDeutschen erschien vielen Herrnhutern – auch einem Mann wie Hans-WalterErbe – die Entnazifizierung als illegitimes oder gar illegales Mittel einer Sie-gerjustiz.77 Ehemalige NSDAP-Mitglieder enthob die Unit"tsleitung allenfalls

72 Schreiben DUDHerrnhut, 29.12.1947, UA DEBU 49; vgl. Jahresbericht Herrnhut 1947, S. 1, UADEBU 203.

73 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, Eintrag 12.4. 1945, S. 236, UA Nachlass Uttendçrfer.74 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, Eintrag 5. 6.1945, S. 252, vgl. S. 245 u. 327, UA Nachlass

Uttendçrfer.75 Jahresbericht der Gemeine Herrnhut 1945, UA DEBU 803; vgl. zum Bedauern in der Bevçlke-

rung !ber das Kriegsende Vollnhals, S. 11 f.76 Vortrag „Die Br!dergemeine und die Schuldfrage“ von H.-W. Erbe, S. 3 f., 16.4. 1946, UA DEBU

1367.77 Vgl. Nowak, Kirche im Jahr 1945, S. 387 f.; Hein, S. 378–381; Sitzungsbericht der DUD, 14.5.

1947, UA DEBU 2; Vortrag „Die Br!dergemeine und die Schuldfrage“ von H.-W. Erbe, 16.4.1946, UA DEBU 1367; vgl. auch Ruff, S. 826.

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auf massiven Druck von außen hin ihres Amtes.78 In Berlin etwa hatte dieGemeine Probleme mit den Alliierten wegen eines ehemaligen SA-Mitglieds,das seit 1931 der Partei angehçrt hatte. Erst auf das Dr"ngen des Landesbi-schofs Otto Dibelius, ein Freund der Unit"t, fanden sich die Herrnhuter bereit,den Betroffenen als$ltestenrat und Synodalen zu entfernen.79 Angeregt durcheine Diskussion innerhalb evangelischer Missionswerke beschloss die Unit"timmerhin, in der Br!dergemeine wenigstens die schlimmsten Verstrickungenehemaliger Missionare zu untersuchen.80

In der Regel aber wartete die Unit"tsleitung ungeduldig auf das Ende vonEntnazifizierungsverfahren, um $mter in der Gemeine, auch Leitungsposi-tionen, mit „entnazifizierten“ einstigen NSDAP-Mitgliedern besetzen zukçnnen.81 Vogt betrieb die Verteidigung eines Mitarbeiters der Missions-Verwaltung gegen!ber den Behçrden mit dem Argument, der ehemalige NS-Parteigenosse sei lediglich einer jener „allzu idealistisch gesinnten, um nichtzu sagen harmlosen jungenMenschen, die autorit"tsfromm erzogen glaubten,den Nationalsozialismus mit ihrem schlichten Christenglauben vereinigen zukçnnen“.82 Als ein Direktionsmitglied der Firma D!rninger auf massivenDruck hin und angesichts der prek"ren Lage des Betriebs in der SBZ vonseinem Amt enthoben werden musste, entr!steten sich intern zahlreicheGemeinmitglieder, allen voran Johannes Vogt.83 Einstige NSDAP-Mitglieder,die w"hrend des Entnazifizierungsverfahrens in wirtschaftliche Not gerieten,konnten aus der knappen Nachkriegskasse der deutschen Unit"t Hilfe er-warten.84 Bischof Hermann Georg Steinberg, dessen Verhalten als Leiter desVolkssturms in den letzten Kriegswochen in Herrnhut solch verheerendeAuswirkungen gehabt hatte, blieb bis zu seinem Tod 1969 hoch geachtet undhatte in den f!nfziger Jahren den Direktionsvorsitz des West-Distrikts inne.85

78 Sitzungsbericht der DUD, 30. 12.1946, UA DEBU 1; Th. Siebçrger an F. O. Schwender, 11.10.1951,MAB 99FII, Displaced Persons;W. Baudert an LandesbischofMitzenheim, 23. 12.1946, UADEBU 244.

79 Sitzungsbericht der DUD, 21.11.1946, UA DEBU 1; Briefwechsel H. Meyer von 1947, UA DEBU693; Unterlagen in C3 If3, Gemeinarchiv Neukçlln; vgl. auch den Umgang mit NS-Belasteten inZeist: Peucker, Zeister Br!dergemeine im ZweitenWeltkrieg, S. 137 f. ; vgl. dazu Brief H. Bielke,13.8. 1946, UA DEBU 1022.

80 S. Baudert an J. Vogt, 3. 8. 1946, UA DEBU 28.81 4. Arbeitsbericht, 23.1.–30.1. 1946, Sondersitzung der DUD, 27.11.1946, beide in UA DEBU 1;

Sitzungsbericht der DUD, 22.1. 1946, Punkt 22, UADEBU 2; Brief J. Vogt an Landrat des KreisesLçbau, 21.1.1948, UA DEBU 82; Brief S. Baudert an E. Fçrster, 6. 2. 1947, UA DEBU 29; Briefezum Fall R. W., UA DEBU 579; Schreiben Fçrster, 16.12.1947, UA DEBU 627; Brief Hafa anRenkewitz, 4. 5. 1953, EZA 4/347.

82 Vogt an Landrat des Kreises Lçbau, 21.1. 1948, UA DEBU 81; vgl. ganz "hnlich Vortrag „DieBr!dergemeine und die Schuldfrage“ von H.-W. Erbe, S. 8, 16.4. 1946, UA DEBU 1367.

83 Briefe zum Fall R. W. von 1946, UA DEBU 579; Protokoll Sitzung D!rninger-Vorstands-Aus-schuss am 18.7.1946, UA DEBU 579.

84 S. Baudert an Herrnhut, 10.1. 1946, S. Baudert an J. Vogt, 17.1. 1946, UA DEBU 29.85 Fçrster : Entwurf, Einige Gedanken !ber die Zukunft des Theolog. Seminars, 23.11.S1946, UA

DEBU 135.

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Besonders prek"r war die Lage in den neu erçffneten Schulen in den West-zonen. Samuel Baudert berichtete 1947: „Die Entnazifizierung der Lehrerin-nen und Lehrer macht mir allerhand Pein.“ Es gab kaum unbelastete br!de-rische P"dagogen.86

Im April 1945 hçrten die Bewohner Herrnhuts vom Ausmaß des Holoc-austs; Schweizer Sch"tzungen h"tten ergeben, dass in Europa f!nf MillionenJuden ermordet worden seien.87 Doch erschienen die NS-Gr"uel als etwas sehrFernes, Verbrechen einer bçsen, fremden Elite.88 Auchwenn dieMehrheit einekonkrete Schuld von sich wies, lassen sich im Umgang mit der NS-Zeit ge-nerationelle Unterschiede ausmachen. Br!der, die bei Kriegsende schon !bersechzig Jahre z"hlten, wie Samuel Baudert, Theodor Marx oder Otto Utten-dçrfer, konnten keine spezielle Schuld der Deutschen oder gar der Br!der-gemeine feststellen. Sie blieben den nationalistischen, obrigkeitstreuen Vor-stellungen verhaftet. Zu ihnen gehçrte auch Johannes Vogt, der bei Kriegsende62 Jahre alt war.89 Einige Gemeinmitglieder mittleren Alters hingegen er-kannten eine besondere Schuld der Christen und der Br!dergemeine. Zuihnen gehçrten Gottfried Clemens, der sp"tere B!rgermeister in Herrnhut,der Studienrat Hans-Walter Erbe und die Theologen Helmut Hickel, ErwinFçrster, Friedrich G"rtner und Heinz Renkewitz.90 G"rtner und Renkewitzlebten im Westen, doch in den Nachkriegsjahren unterschieden sich die Po-sitionen in Ost und West nicht. „Worin ich unsere Schuld erblicke?“, fragteRenkewitz 1946 in einem Vortrag: „In einer zweideutigen Haltung, die austaktischen Gr!nden Kompromisse schloss.“91 Hans-Walter Erbe erkannteebenfalls 1946 in dem oben genannten Vortrag, der in der Gemeine zirkulierteund breit diskutiert wurde, die Schuld der Unit"t in ihrem Lavieren. Außer-dem sprach er die persçnliche Schuld des Einzelnen an, das Ausbleiben jedenWiderstandes, die „Inselhaftigkeit“ der Gemeine, aus der ihre Fehlhaltung imKirchenkampf resultiert habe.92 Der 1890 geborene Gerhard Reichel, der in

Erwin Fçrster immerhin verweigerte einem Herrnhuter, der sich in Kleinwelka als eifriger HJ-F!hrer ausgezeichnet hatte, eine politische Unbedenklichkeitserkl"rung auszustellen – wof!r ersich dann vor einem leitenden Bruder rechtfertigen musste, E. Fçrster an W. Reichel, 28.10.47,UA DEBU 29.

86 Brief S. Baudert an E. Fçrster, 13.1.1947, vgl. auch Brief E. Fçrster an S. Baudert, 23.1. 1947, UADEBU 29; Protokoll Unit"ts-Konferenz in Montmirail, Beginn 3.7. 1946, MAB 114DI, GeneralDirectory 1951-1953-1959; vgl. zur NS-Belastung der br!derischen Lehrer auch Keßler-Leh-mann, Schulen und Werke der Br!dergemeine, S. 138, 143 u. 157.

87 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, Eintrag, 11.4. 1945, S. 235, UA Nachlass Uttendçrfer.88 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 245, UA Nachlass Uttendçrfer, vgl. auch S. 330.89 Vgl. aber Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 330, UA Nachlass Uttendçrfer.90 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 284 u. 304, UA Nachlass Uttendçrfer ; Protokoll Predi-

gerkonferenz, April 1947, Bad Boll, UADEBU29; LebenslaufMargarete Beyer, S. 3; Lebenslauf S.Bayer, S. 4 f.; Hickel, Lebenserinnerungen; vgl. auch Lebenslauf E. Fçrster, S. 12; Lebenslauf W.Merian, S. 15.

91 Vortrag „Grundlage und Zukunft der Arbeit der Br!dergemeine“ von H. Renkewitz, Bad Boll,25.4. 1946, UA DEBU 1367.

92 Vortrag „Die Br!dergemeine und die Schuldfrage“ von H.-W. Erbe, 16.4. 1946, UA DEBU 1367.

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den zwanziger Jahren seinen Dienst im Theologischen Seminar gek!ndigthatte, weil ihmdie dortige Theologie nichtmehr frommgenug erschienenwar,erkl"rte 1946, „wir haben es eben erlebt, wie der Herr der Geschichte uns seinunerbittliches ,Nein’ in den Weg stellte, als wir in Deutschland den Versuchunternahmen, die Geschichte seiner Treue und seines Erbarmens mit Israelund damit mit unserm ganzen Menschengeschlecht abzubrechen.“93 Damitgehçrte Reichel zu den wenigen, die an den Judenmord erinnerten. Bei ihmwirdwie bei den Theologen des Reichsbruderrates deutlich, dass eine religiçseInterpretation keineswegs einer tiefer gehenden Aufarbeitung zuwiederlaufenmusste. Aufgrund seiner biblizistischen Exegese gehçrte Reichel auch zujenen Pietisten, die schonw"hrend der NS-Zeit eine besondere Verantwortungf!r die Juden empfunden hatten. Die Frçmmigkeit, die Besinnung auf dasEvangelium, konnte durchaus Unabh"ngigkeit bieten –musste es aber nicht.94

Auchwenn sich nur eineMinderheit in der Unit"t bereit fand, sich der eigenenVergangenheit kritisch zu stellen, zeigt sich doch erneut, dass in dem intel-lektuell fruchtbaren Milieu ein breit gef"chertes Meinungsspektrum mçglichwar. Die Kleinheit der Kirche hatte nicht zu einer Verengung des Diskursesgef!hrt. Das hatte die Gemeine nicht zuletzt ihrem engen Anschluss an dieLandeskirchen zu verdanken.

Zwischen der Br!dergemeine in Ost und West gab es trotz der gemeinsa-men Aufarbeitung bzw. ihrer Verweigerung einen entscheidenden Unter-schied: Der Druck der Besatzungsmacht war im Osten ungleich grçßer, undjeder Vorwurf einer NS-Belastung konnte die Existenz gef"hrden. Durchdiesen Druckwiederum, zogen stark belastete Herrnhuter in aller Regel in denWesten. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Verh"ltnis zumNS-Staat, mit der Geschichte D!rningers oder der NS-Studentenschaft imTheologischen Seminar war unter diesen Bedingungen kaum mçglich. Auchdas unter sowjetischer Besatzung tabuisierte Unrecht, das sowjetische Trup-pen Herrnhut zugef!gt hatten, nicht zuletzt die traumatisierende Zerstçrungdes Stadtkerns, erschwerte es den Gemeinmitgliedern, Schuldgef!hle zu ent-wickeln und Verantwortung zu !bernehmen. Die anderen Unit"tsprovinzenunterst!tzten weitgehend den Verdr"ngungskurs und beteuerten die Un-schuld der deutschen Gemeine gegen!ber den Besatzungsbehçrden.95 Da!berdies alle evangelischen Kirchen auf dem Gebiet der SBZ besonders starkNS-belastet waren, einigte man sich hier innerhalb des Protestantismus raschund stillschweigend auf eine Verdr"ngung.96

Doch die Vergangenheit war noch frisch und der herrnhutische Jubel f!rVolk und F!hrer bei den misstrauischen Nachbarn (die freilich nicht weniger

93 Gerhard Reichel an Geschwister und Freunde, 3. 7. 1946, UA NB IX 165.94 Gerhard Reichel an Geschwister und Freunde, 3.7. 1946, UA NB IX 165; vgl. zu Pietismus und

Judentum Vogt, Zwischen Bekehrungseifer und Philosemitismus.95 Vgl. etwa Briefe in 100FI, Unity General Directory und 113EII, GermanyWestern District 1946–

50.96 Nowak, Historischer Kontext, S. 28.

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gejubelt hatten) in Erinnerung. So gelangten Informationen !ber die NS-Zeitan die Behçrden. Staatliche Unterlagen zitierten immer wieder peinlichePassagen aus dem „Herrnhut“ oder aus Festschriften, die an der Geisteshal-tung der Unit"t keinen Zweifel ließen.97 Die Vorw!rfe einer NS-Belastungtauchten nach Gr!ndung der DDR-Staatssicherheit 1950 auch h"ufig in derenUnterlagen auf. Deutlich wird dabei die Motivation der Behçrden, denen esweniger um Entnazifizierung, als darum ging, bei Bedarf belastendes Materialzur Hand zu haben.98 Da einstige br!derische NSDAP-Mitglieder in Lei-tungspositionen die SBZ ohnehin verlassen hatten, finden sich in den Ent-nazifierungslisten im Kreis Lçbau zwar die alten br!derischen Namen, dochwaren unter den Delinquenten nur die unbedeutenden F"lle. Gleichwohlverhafteten die Sowjets im August 1945 vor!bergehend zahlreiche BewohnerHerrnhuts, darunter vor allem ehemalige NSDAP-Amtsinhaber und Hitler-jugendf!hrer.99 Nach recht pragmatischen Gesichtspunkten ließ die SMADstrafen oder Gnade walten. Da sie insgesamt ein Interesse an der Loyalit"t derBr!der-Unit"t hatte, wurden die NS-Verstrickungen nicht sonderlich gr!nd-lich untersucht.100 Auch dank der vielf"ltigen F!rsprache aus dem Auslandzeigte sich selbst der lokale sowjetische Kommandant verst"ndnisvoll, und dieBr!dergemeine sprach von seinem „kind understanding for the general andspecial position of the Unity“.101 Die Unit"t setzte sich gegen!ber der SMADmit ihren geradezu abenteuerlichen Unschuldsbeteuerungen durch. Den So-wjets ging es eben nicht um Aufkl"rung, sondern um Machtsicherung.102

Von Verdr"ngung und gewundenen Schuldbekenntnissen war auch dieAuseinandersetzung mit den Herrnhutern im Ausland gepr"gt. Hans-WalterErbe meinte dazu: „Als k!rzlich ein amerikanischer Bruder zu Besuch da war,sprach er seine Verwunderung dar!ber aus, dass kein Herrnhuter Bruder imKZ gesessen hat und dass es bei uns Parteimitglieder gegeben hat. Das zweitewerden die Ausl"nder auch beim besten Willen noch f!r lange Zeit nichtverstehen; das Erste hat uns selbst manche Not gemacht.“103 Br!derische US-

97 Unterlagen zur Br!der-Unit"t aus den vierziger Jahren, HStA Drd. 11378/294; BA DO 4/342;Denkschrift Finanzdirektion der Deutschen Br!der-Unit"t, 27.1. 1950, BA DO 4/2289; vgl. auchErkl"rung von Hans Diensen, August 1948, UA DEBU 1470; vgl. die Unterlagen zur Br!der-Unit"t in MfS HA XX/4, 778.

98 S. Unterlagen in MfS HA XX/4, 778; MfS BV Drd. KD Lçbau 18066.99 Unterlagen Kreisentnazifizierungskommission Lçbau, HStA Drd. 11864/IV/4/09.177; Utten-

dçrfers Lebenserinnerungen, S. 275, UA Nachlass Uttendçrfer.100 Vgl. zur Entnazifizierung in der SBZ Classen, Fremdheit gegen!ber der eigenen Geschichte,

S. 104–107.101 An Account of the present Condition of the Brethren’s Church, o.D., S. 6, MAB 100 F I, Unity

General Directory ; vgl. zur Beziehung zur SMAD Kap. III.2.1.102 Bericht !ber die Br!der-Unit"t, erstattet an die Russische Kommandantur Lçbau (#bersetzung

aus dem Russischen), 13.8. 1945; Die Br!der-Unit"t und der Nationalsozialismus, o.D., wohl1945, BA DO 4/342.

103 Vortrag „Die Br!dergemeine und die Schuldfrage“ von H.-W. Erbe, S. 8, 16.4.1946, UA DEBU1367.

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Soldaten berichteten nach Hause verwundert !ber die vielen HerrnhuterLosungsb!cher, die sie in den deutschen H"usern fanden: „Certainly they hadread the daily texts, but had they believedwhat they had read?”104 Die deutscheDirektion f!hlte sich bem!ßigt, ihren Briefen und Berichten ins Auslandmeistein allgemein gehaltenes Schuldbekenntnis und die Rede von Gottes Gerichthinzuzuf!gen. Dergleichen war jedoch Eingest"ndnis, das die Opferhaltungnoch verst"rken konnte, da es das pietistische Selbstbild des unter Gottesunergr!ndlichen Ratschluss geduldig leidenden Frommen best"rkte.105

Die Bereitschaft zur Vergebung in den anderen Provinzen war erstaunlichgroß. Bischof Shawe aus England antwortete auf ein verklausuliertes Schuld-bekenntnis der deutschenDirektion: „We have not asked for such a confessionto be made to us […] But that you of your own initiative have felt impelled totake this step we can only regard as a great and brotherly act of reconciliation,for which we thank you.”106 Die protestantische, auf Buße orientierte Theo-logie kam dieser Art der Aufarbeitung entgegen. Die neutestamentarischeMahnung, mehr auf den Balken im eigenen Auge zu achten als auf den Splitterim Auge des anderen, wirkte tief. Zur Befriedigung der deutschen Kirchenreagierten die Protestanten im Ausland auf das „Stuttgarter Schuldbekennt-nis“ mit einem eigenen Gest"ndnis ihrer Verfehlungen.107 Auf einen BriefJohannes Vogts mit der !blichen Mischung aus Schuldbekenntnis und Un-schuldsbeteuerung antwortete die Direktion der US-amerikanischen S!d-provinz 1946: „We, too, have felt the call to repentance and stronger faith anddevotion and together with youwho have suffered far more grievously, we joinhearts and hands in Christian love“.108 Diese Liebes- und Vergebungsbereit-schaft schuf den Weg zu umfassender Solidarit"t mit den deutschen Glau-bensgenossen. Sie ermçglichte dar!ber hinaus in der Unit"t die Reformulie-rung ihrer internationalen Tradition, ein stark religiçs gepr"gtes Zusam-mengehçrigkeitsgef!hl, das es so seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr gege-ben hatte.

Im#brigen glaubten dank der Unschuldsbeteuerungen von deutscher Seitedie anderen Provinzen tats"chlich, dass die deutsche Br!dergemeine weitge-hend frei von den Einfl!ssen des Nationalsozialismus geblieben sei.109 Dazutrugen auch die Berichte der Fl!chtlinge und Vertriebenen bei, die f!r sich zu

104 „Letter from a Soldier“, in: The Moravian, 23.6.1945.105 Bericht der deutschen Unit"ts-Direktion, Distriktssynode Ost, 1947, MAB 103HI, Baudert; J.

Vogt an S. H. Gapp, 16.8.46, UA DEBU 522.106 C. H. Shawe an S. Baudert, 31.5. 1946, zitiert nach Schiewe u. Schlimm, Schuld und innere

Besinnung, S. 24.107 W. Baudert, Die heilsgeschichtliche Bedeutung der gegenw"rtigen Stunde, S. 8 f. , wohl 1947,

MAB 99GI, Letters of Thanks.108 J. K. Pfohl an J. Vogt, 3.9. 1946, UA DEBU 526; vgl. auch Jahresbericht Berlin 1946, S. 1 f,

Gemeinarchiv Neukçlln C3 Ia1.109 C. H. Shawe an Baudert, 11.2.1946, UA DEBU 289; vgl. auch Richter, De-Nazification, Socialism

and Solidarity, S. 9–15.

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sprechen schienen. Und in der Tat hatten sie Furchtbares erlebt. NormanNaimark hat eindr!cklich geschildert, wie die Soldaten der Roten Armee mitHassparolen systematisch aufgepeitscht wurdenund dannmit unvorstellbarerGrausamkeit unter den Deutschen, aber auch anderen „befreiten“ Bevçlke-rungsgruppen w!teten.110 Ein Herrnhuter, dessen zwei Sçhne gefallen, dessenFrau und Tçchter von den sowjetischen Soldaten vergewaltigt worden unddessen Geld und Gut auf der Flucht verloren gegangenwaren, urteilte in einemBericht, der in den USA kursierte: „One thing is sure: we actually paid for thecrimes committed by the German people […] However, nobody can convinceme that we have acted in the same way [as the Russians], torturing people andraping women. […] Therefore the enemies have no right to pass judgment andto condemn us.”111 Samuel Baudert argumentierte "hnlich in einem Brief aneinen br!derischen US-Soldaten. Die Gemeine, so Baudert, beuge sich unterdas Gericht Gottes – eine Formel die st"ndig wiederholt wurde –, doch vor denAugen vieler Gemeinmitglieder h"tten sich „noch furchtbarere Grausamkei-ten ab[gespielt] , als sie der SS und der deutschen Wehrmacht zur Schuldgegeben werden und niemand sieht ein Ende der Zerstçrung […] inDeutschland“ ab.112 Es sind auch diese Zus"tze, die das Schuldbekenntnis derdeutschen Gemeine fragw!rdig erscheinen lassen.

In ihrem vagen Schuld- und starken Opfergef!hl nahm die deutsche Ge-meine die Vergebung der weltweiten Unit"t als selbstverst"ndlich an. Als dieHerrnhuter im holl"ndischen Zeist und d"nischen Christiansfeld eine be-dingungslose Versçhnung ablehnten, waren die Deutschen empçrt. Die Fragenach Schuld und S!hne wurde zu einerMachtfrage, in der die Deutschen, allenvoran Samuel Baudert, versuchten, durch die Relativierung der NS-Vergan-genheit ihre starke Position in der Unit"t zu verteidigen. Als die Zeister Ge-meine die ehemaligen Mitglieder der holl"ndischen NS-Bewegung aus derGemeine ausschlossen, musste sie diese Maßnahme auf Intervention Baudertszur!cknehmen.113 In einem Brief der Direktion an die US-Moraven hieß es:„Wenn wir bei Euch nicht dem Wunsch nach Vergeltung begegnen, – durchdie, wenn Menschen sie !ben, keine Schuld gut gemacht werden und keineVersçhnung geschaffen wird, – sondern der br!derlichen vergebenden Liebe,so ist das ein großes gnadenreiches Erleben“.114 Deutlich ist die Botschaft vondeutscher Seite, wie unchristlich und ohnehin sinnlos es sei, nicht zu verge-ben. Ein mit der Moravian Church verbundener hochrangiger US-Milit"rbesuchte 1946 Bischof Baudert in Bad Boll. Mit ironischem Unterton berich-

110 Naimark, S. 71–74 et passim; vgl. auch Kowalczuk u. Wolle, S. 28 u. 38.111 Bericht eines Fl!chtlings, 25.6.1946, MAB 104FI, Meyer, Heinrich.112 S. Baudert an E. Michel, 23.11.1945, MAB 103CII, 1945.113 Peucker, Zeister Br!dergemeine im Zweiten Weltkrieg, S. 137 f. ; vgl. dazu auch Brief H. Bielke,

13.8. 1946, UA DEBU 1022; C. H. Shawe an Baudert, 27.12.1945, UA DEBU 289.114 S. Baudert an S. H. Gapp u. J. K. Pfohl, 31.12.1945, MAB 103II, 1946; S. Baudert an P. Fabricius,

5. 2.1946, UA DEBU 1020; vgl. auch J. Vogts an Direktion Bad Boll, 25. 10.1946 u. andereUnterlagen in UA DEBU 28.

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tete er einem Freund in Bethlehem, wie Baudert mit seiner multinationalenBiografie prahle undmomentan versuche, neben seiner deutschenwieder eineandere Staatsb!rgerschaft zu erhalten. „Bishop Baudert was doubtlessly per-fectly satisfied to be a Germanwhile everything was going well.” Unangenehmfiel dem amerikanischen Offizier auf, wie sowohl Baudert auch als seineEhefrau jede Schuld von sich wiesen.115

Erstaunlich war die Bereitschaft zur Versçhnung bei den tschechischenHerrnhutern, die unter der deutschen Besatzung Misshandlungen und langeHaftzeiten erlitten hatten und von denen einige Glaubensgenossen hinge-richtet worden waren. Noch 1945 kam eine Abordnung tschechischer Br!derin die SBZ, um sich bei der sowjetischen Kommandantur f!r die deutscheBr!dergemeine einzusetzen und auf die historische Bedeutung Herrnhuts zuverweisen.116 Als die leitenden Herrnhuter zur ersten Unit"tskonferenz derNachkriegszeit 1946 in Montmirail in der Schweiz kamen, war alles auf Ver-sçhnung gestimmt. Baudert klagte !ber das Leid, das in der NS-Zeit !berHerrnhut hereingebrochen sei, und die Konferenz plante die Hilfe f!r diedeutsche Br!dergemeine. Dennoch wurde auch hier die Machtfrage aufge-worfen. Die zur europ"isch-festl"ndischen Provinz gehçrenden nicht-deut-schen Gemeinen der Schweiz, D"nemarks, Schwedens und Hollands wolltennicht mehr von den Deutschen abh"ngig sein. Der klug vermittelnde Konfe-renzvorsitzende Shawe richtete daraufhin eine unabh"ngige Finanzstelle ein,„damit die außerdeutschen Kreise nicht mehr verpflichtet sind, ihre Gelder anHerrnhut abzugeben“.117 Ein US-Theologe las zum Abschluss des erstengroßen internationalen Nachkriegstreffens Verse aus dem Epheserbrief : „Er-tragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Ei-nigkeit im Geist durch das Band des Friedens“ (Epheser 4, 2 f.).

So kam es in der Unitas Fratrum in der Nachkriegzeit zu keiner ernsthaftenAuseinandersetzung mit der NS-Zeit. Erst 1961 kam die Schuldfrage wiederhoch. Der in der Bundesrepublik lebende Friedrich G"rtner forderte diebeiden Distriktssynoden auf, sich mit dem Thema Christen, Juden und NS-Vergangenheit auseinander zu setzen. Es war ein g!nstiger Zeitpunkt, da inJerusalem gerade der Eichmannprozess lief und sich die westdeutsche %f-fentlichkeit zunehmend zu einer Auseinandersetzung mit dem Holocaustbereit fand. Doch die Mitglieder der Westsynode empfanden die Anfrageschlicht als „taktlos“ – und die Ostsynode besch"ftigte sich damit erst gar

115 Col. W. W. Preisch, Transport Div. , an S. H. Gapp, 3.6. 1946, MAB 103CII, Gapp Files, EuropeTravel 1946.

116 Unterlagen von 1945 in UA DEBU 514; Die Lage der Br!dergemeinkolonien in Deutschland vonJ. G. F!rstenberger, 30.8. 1945, S. 3. Extracts from a report forwarded by Bishop C. H. Shawe,o.D., beide Dokumente in MAB 103CII, 1945; vgl. zur tschechischen Gemeine in der NS-ZeitReichel, Im Zuchthaus.

117 Protokoll Unit"tskonferenz, Montmirail, Juli 1946, S. 11 f., MAB 114DI, General Directory 1951-1953-1959.

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nicht.118 In einem Schreiben an die Direktion in Bad Boll erkl"rte G"rtnerdaraufhin: „Ich habe erfahren, dass man auch auf der Synode [West] ge-sprochen hat vom ,krankhaften Schuldgef!hl der Deutschen’. Mir ist nichtbekannt geworden, dass dieser Vorwurf von der Synode ernsthaft zur!ckge-wiesen worden sei.“119

Im Laufe der Jahremodifizierten die ostdeutschenHerrnhuter ihreHaltunggegen!ber der NS-Vergangenheit. Friedrich Wilhelm Graf spricht von einemim Protestantismus besonders stark ausgepr"gten „Schuldsyndrom“, das beivielen Theologen in der DDR bereits in den f!nfziger Jahren dazu gef!hrthabe, einen „antifaschistischen“ Paktmit der SED einzugehen.120 Doch bei denHerrnhutern finden sich erst seit den sechziger Jahren geh"uft die routiniertenSchuldbekenntnisse protestantischer Theologen im Zusammenhang mit einerteilweisen Anerkennung marxistischer Positionen. So scheint dieser antifa-schistische Schuldkomplex erst nachtr"glich als Legitimation der N"he zumSED-Staat konstruiert worden zu sein. Die Schuldbekenntnisse konnten auf-grund ihrer Formelhaftigkeit und penetrantenWiederholung – ohne konkreteNennung von Ross und Reiter – kaum zu einer tieferen Auseinandersetzungtaugen.121 $hnlich konturiert war !brigens ein weiterer Schuldkomplex, derebenfalls dazu diente, die fehlende Distanz zur SED zu rechtfertigen: dasangebliche Versagen der Kirchen bei der „Arbeiterfrage“ im 19. Jahrhundert.Die entsprechenden Statements der Kirchen radierten die ganze Geschichteder Inneren Mission und der Diakonie aus und hoben dagegen lobend diekommunistischen Bem!hungen hervor.122 Gegenstimmen wie 1973 die desGçrlitzer Bischofs Hans Joachim Fr"nkel vor einer leichtfertigen Identifizie-rung mit dem „Antifaschismus“ und marxistischen Werten blieben die Aus-nahme.123

118 Brief Vorstand der Distriktssynode Ost an F. G"rtner, 21.4. 1961, zitiert nach G"rtner an Di-rektion der EFBU, Bad Boll, 29.7.1961; G"rtner an Direktion der EFBU, Bad Boll, 29.7. 1961;schon 1957 hatte G"rtner der Br!dergemeine Versagen in der NS-Zeit vorgeworfen, Essay „Dusollst Deine landeskirchliche Gemeinde lieben“, UA EFUD 626; vgl. zur westdeutschen %f-fentlichkeit Classen, Fremdheit gegen!ber der eigenen Geschichte, S. 113 f. ; vgl. auch Herf,Divided Memory.

119 G"rtner an Direktion der EFBU, Bad Boll, 29.7.1961.120 Graf, Theologie und Kirchenpolitik, S. 311.121 Vgl. dazu Direktion an Prediger, 11.4. 1970, UA DEBU 53.122 Vgl. etwa Facharbeitskreis des BEK f!r den %RK, Auftrag und Gestalt, S. 64–68, 75 et passim;

Ausschuss Kirche und Gesellschaft, Zeugnis und Dienst, S. 191 f. ; Ausschuss Kirche und Ge-sellschaft, Wie wird das Evangelium wirksam?, insbes. S. 203; Ausschuss Kirche und Gesell-schaft /Sekretariat des BEK, Zur theologischen Relevanz der Menschenrechte, S. 254; Br!der-gemeine in derMission heute, DirektionHerrnhut, November 1986, S. 5 u. 4, vgl. dazu auch S. 8,BA DO 4 / 4814.Vgl. die neuern Forschungen zur Rolle des Christentums und der sozialen Frage im 19. Jahr-hundert Hitzer ; Große Kracht ; Hiepel u. Ruff ; vgl. auch die kluge Analyse in Nipperdey, S. 437–440; vgl. auch Blackbourn, S. 134 f. ; vgl. zur Rolle des Pietismus in dieser Hinsicht auch Clark,Preußen, S. 158 f.

123 Vortrag von Bischof H. J. Fr"nkel, 8. 11.1973, SAPMO-BA DY 30/IV 2/2.036/39.

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1987 fand die Br!dergemeine im Osten eine stilvolle und w!rdige Repr"-sentationsform ihresUmgangsmit der Vergangenheit. Auf demGottesacker inHerrnhut errichtete sie ein Denkmal, auf dem neben den Jahreszahlen 1933–1945 und einem zerbrochenen Hakenkreuz steht: „Vergib uns unsere Schuld,wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. F!hre uns nicht in Versu-chung“.124 Nachdem es in der bundesrepublikanischen %ffentlichkeit bereitsseit Mitte der sechziger Jahre zu einem Paradigmenwechsel im Umgang mitder NS-Vergangenheit gekommen war,125 fand sich die Synode in Bad Boll1985 zu einem weit reichenden Schuldbekenntnis bereit, in dem es unteranderem hieß: „Wir denken besonders an das große Leiden des j!dischenVolkes.“126 Dass die Gemeine selbst systematisch Hilfe f!r Juden abgelehnthatte, war in Vergessenheit geraten.

Auff"llig an der Vergangenheitsbew"ltigung ist die Abwesenheit der Frauenin den Quellen. Dabei hatten sie wie die Frauenschaftsf!hrerin aus Gnadenfreioder die Leiterin der Frauenschule Neudietendorf als NSDAP-Mitgliederteilweise prominente Positionen inne gehabt.127 Ein politisches Thema wie dieEntnazifizierung oder Aufarbeitung lag allein in der Verantwortung derm"nnlichen Mitglieder.

Schon nachwenigen Jahrenwar es der Unit"t gelungen, ihre Geschichte neuzu schreiben; die !ber Herrnhut wehende Hakenkreuzfahne war vergessen.Dieser Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit aber ermçg-lichte Kontinuit"t. Da eine grundlegende Uminterpretation der Weltsicht undeine Reflexion der Beziehungen zurObrigkeit nicht nçtig erschienen, blieb dasnational-konservative Weltbild weitgehend erhalten. Tradition entfaltete hierihre ganze Legitimationskraft: Trotz aller S!nden hatte die Gemeine ein Rechtauf eine Weiterexistenz und Anspruch auf ihre Auserw"hltheit. Gerade dieTradition der Auserw"hltheit verhinderte auch eine konkrete Schuldbenen-nung, denn wenn die Herrnhuter einr"umen mussten, ordin"re NS-Verbre-cher und unz"hligeMitl"ufer in ihrenReihen gehabt zu haben, w"re das elit"reSelbstbild ins Wanken geraten. So konnte es dazu kommen, dass Hans-WalterErbe in seinem Aufarbeitungs-Vortrag weniger nach den Schuldigen in derGemeine fragte, als vielmehr nach einer Erkl"rung suchte, warum man keineWiderstandsk"mpfer in den eigenen Reihen gefunden habe.128 Zugleich botTradition aber auch eine einschneidende Neuerung an: die Internationalit"t.So halbherzig also aus heutiger Sicht der Umgangmit demVersagen in der NS-Zeit erscheinen mag, so g!nstig erwies er sich f!r das #berleben der Br!der-

124 Schiewe u. Schlimm, Schuld und innere Besinnung, S. 14.125 Classen, Fremdheit gegen!ber der eigenen Geschichte, S. 119.126 Beilage an alle Gemeinhelfer und Gemeinhelferinnen, UA Syn 1985, B/E Nr. 2127 Brief W. Baudert an Bad Boll, 6.11.46, UA DEBU 28; Brief E. Fçrster an S. Baudert, 15. 10.1946,

UADEBU 28; vgl. auch Interview mit ClementineWeiss, ostdt. Gemeindienerin, Ebersdorf, 6. u.9. 12.2005, S. 3, Unterlagen H. Richter.

128 Vortrag „Die Br!dergemeine und die Schuldfrage“, H.-W. Erbe, 16.4.1946, UA DEBU 1367.

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Unit"t. Gerade die Internationalit"t aber w!rde im Laufe der Zeit das national-konservative Weltbild der Herrnhuter in Ostdeutschland ver"ndern.

3.3 Die Unitas Fratrum entdeckt ihre Internationalit"t neu

Als die US-Truppen auf Th!ringen zumarschierten, wehten in Ebersdorf –anders als in Herrnhut – weiße T!cher aus den Fenstern. Am br!derischenKirchsaal befestigten die Gemeinmitglieder das Schild „Moravian Church“.Kein Schuss fiel.129 Und dann geschah das, was Zeitzeugen sp"ter als Wunderbezeichneten: Der amerikanische Soldat Roy Bassett entdeckte beim Dorf-b"cker ein Herrnhuter Losungsbuch, zog sein amerikanisches Pendant hervorund gab sich als Morave zu erkennen. Im Gemeinhaus traf er den Direkti-onsvorsitzenden Samuel Baudert, der gerade in Ebersdorf auf der FluchtRichtung Westen Zwischenstation machte. Baudert berichtete danach, es seiein Zeichen des Himmels gewesen, dass mit dem Feind zugleich ein „Bruder“gekommen sei. „Wir sp!rten den Herzschlag br!derlicher Liebe“, schriebBaudert sp"ter !ber das Treffen.130 Diese Begegnung war der Beginn einesinternationalen Netzwerkes. Zwar wollte die Besatzungsmacht keine „Ver-br!derung“ ihrer Soldatenmit den Besiegten, doch die Herrnhuter k!mmertedas wenig. Diese Solidarit"t der US-Amerikaner nach 1945 gehçrt zu denerstaunlichsten Ph"nomenen der Nachkriegszeit, nicht nur bei den Moraven,sondern auch bei anderen Kirchen. Hartmut Lehmann spricht von einer„frommen Internationalen“, die bisher noch kaum von der Forschung un-tersucht worden sei.131 Wieso bekam die Internationalit"t nach dem ZweitenWeltkrieg diese Bedeutung?

Die zwei Zentren der US-amerikanischen Br!der-Unit"t waren Bethlehemin Pennsylvania f!r die nordamerikanische Provinz, zu der auch die kanadi-schen Gemeinen gehçrten, und Winston-Salem in North Carolina f!r dieS!dprovinz der USA. Mitte des 20. Jahrhunderts z"hlten beide zusammen 55000 Kirchenmitglieder – denen in Deutschland rund 11 000 Mitglieder ge-gen!ber standen.132 In Amerika war die Br!dergemeine eine b!rgerliche, vonWeißen dominierte Kirche, deren leitende Mitglieder oft aus der gehobenenMittelschicht stammten, deren Bischçfe und Vorsitzende oft promovierteTheologen waren und Kontakte zu f!hrenden Intellektuellen, zu einflussrei-chen Zeitgenossen wie der Diplomatin Eleanor Dulles, aber auch zu hohen

129 Schneider, Gl!ck in der Nische, S. 21–25 u. 35; vgl. zu diesem Kapitel auch Richter, Vomtransnationalen Austausch; Richter, De-Nazification, Socialism and Solidarity.

130 Richter, Vom transnationalen Austausch, S. 96 f.131 Lehmann, Die neue Lage, S. 26 u. 16.132 F. P. Stocker an A. Schweitzer, 16.4. 1956, MAB 100FI, Quincentennial; Meyer, Zinzendorf,

S. 150.

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Milit"rs pflegten.133 Noch vor Kriegsende, lange bevor dieMoravian Church inden USA etwas !ber die Herrnhuter in Deutschland erfahren konnten, plantendie US-Gemeinen ein Hilfsprogramm f!r Europa.134 Das war nicht selbstver-st"ndlich, auch wenn einige wenige f!hrende Herrnhuter, darunter der BriteShawe (Vorsitzender der Unit"tsdirektion, des hçchsten Exekutivgremiumsder weltweiten Unit"t) sich immer bewusst waren, wie wichtig die Interna-tionalit"t f!r die Unit"t war.135 Die britische Synode erließ im April 1944 einebemerkenswerte, wohl von Shawe forcierte Resolution: „That as members oftheMoravian Churchwe express, in this fifth year of war as we have done in thedays of peace, our faith in the vision granted to us of a Church internationaland one in spirit, purpose and service, and assure the other provinces of theChurch of our prayers on behalf of the Church, that under the Headship ofChrist our Unity may become a still more effective witness for Christ in theworld.“136 Ganz in diesem Sinn beschloss die Synode in#bereinstimmungmitdem britischen çkumenischen Council of Christian Churches ein Wiederauf-bauprogramm f!r den Kontinent.137

Die erstaunliche Bereitschaft zur Vergebung oder vielmehr zur Ausblen-dung aller Verfehlungen in der NS-Zeit hing also schlicht damit zusammen,dass die Moravian Community ohnehin wenig Interesse am tats"chlichenVerhalten der deutschen Herrnhuter w"hrend des Nationalsozialismus hatte.Sie wollte den deutschen Mitgl"ubigen in der Not beistehen. Dazu trug gewissder Impetus der christlichen N"chstenliebe bei. Doch nach dem ErstenWeltkrieg hatte sich diese N"chstenliebe kaum geregt. Wichtiger f!r dasVerst"ndnis der neuen Solidarit"t ist daher die !berall erwachende Interna-tionalit"t nach dem Zweiten Weltkrieg, in die sich das Zusammengehçrig-keitsgef!hl der Br!der-Unit"t einbettete. Neben der 1945 gegr!ndeten UNOund dem 1948 gegr!ndeten Weltkirchenrat, dem sich die meisten br!deri-schen Provinzen anschlossen, verdoppelte sich die Zahl internationaler Or-ganisationen in den Nachkriegsjahren auf knapp 800.138 Die Zeit der Natio-

133 MAB 100FI, Quincentennial; Sketches of Moravian General Synod Delegates, 1957, MAB 100FI,Post Synod Visitation; MAB 99GI, Displaced Persons, u. MAB 100FI, Quincentennial; Quinc-entennial European Trip, 15.1. 1957, MAB 99HII, Quincentennial – Visitors to Europe; MAB113EI, Germany West+East Dist. ; F. P. Stocker an U. Vogt, 28.12.54, MAB 104HI, V.

134 In der ersten Unit"tskonferenz der Nachkriegszeit hieß es: „Schon lange vor Ende des Kriegessind besonders in den Amerikanischen Provinzen Hilfsaktionen und Pl"ne eingeleitet worden”(Bericht Unit"ts-Konferenz in Montmirail, 7/1946, S. 2, MAB 114DI, General Directory 1951–1959); C. H. Shawe, London, an J. K. Pfohl u. S. H. Gapp, 27. 5.1944; „Editorial”, in: TheMoravian, 17.3.1945; S. Baudert an Bernard E. Michel, 23.11.45, MAB 103CII, 1945; S. H. Gappan V. E. Ziegler, 24.11.45, MAB 103CII, 1945; Reconstruction and Expansion Program of theMoravian Church, Information from Europe, 10. 12.1945, MAB 103CII, 1945; Post-War Re-construction and Expansion Campaign Committee, 15.12. 1945, MAB 99HI, 1949 EasternDistrict Bd.

135 Copy of Resolution 2 and 12, Synod of British Province, April 1944, MAB 103CII, 1944.136 Copy of Resolution 2 and 12, Synod of British Province, April 1944, MAB 103CII, 1944.137 Copy of Resolution 2 and 12, Synod of British Province, April 1944, MAB 103CII, 1944.138 Iriye, Internationalizing International History, S. 56.

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nalismen schien einem globalen Zeitalter Platz zu machen. Die Ziele der Or-ganisationen lagen denn auch !berwiegend im sozialen und kulturellen Be-reich und in der Friedensbewegung.139 Internationalit"t hatte an Attraktivit"tgewonnen und pr"gte stark den Diskurs innerhalb der Unitas Fratrum. Sogehçrte die Moravian Church in den USA zwar zu den Mainline-Kirchen,denen sie sich in Form und Theologie angeglichen hatte, auch f!hlten sich dieMoraven durchaus als patriotische US-B!rger, doch zeigten sie 1945 eineausgepr"gte Identit"t als kleine, gleichwohl globale Kirche. Im Sommer desJahres schrieb der wçchentlich in der Nordprovinz erscheinende „Moravian”:„It is a time of testing for the Moravian international Unity. Shall this ancienttie continue only as a sentimental claim, or will our American church respondas a fellowship of true Christian brothers?”140 Shawe erkl"rte in einem erstenBrief an die deutsche Direktion 1945, er suche nach Mitteln und Wegen, dieUnit"t wieder aufzurichten.141 Tats"chlich spendeten neben den US-ameri-kanischen Moraven auch die Herrnhuter aus England, aus Nordeuropa undder Schweiz f!r die Deutschen.142 Das leitende Gremium der Unit"t, die Ge-neraldirektion, war sich 1945 einig, dass die Deutschen ihre „Br!der“ seienund sie ihnen jede mçgliche Hilfe zukommen lassen w!rde.143

Der Wille zur neuen Internationalit"t ging also nicht von den deutschen,sondern von den amerikanischen und englischen Moraven aus. Bevor dieAmerikaner in Ber!hrung mit der Br!dergemeine in Deutschland kamen,spielte die Internationalit"t in den deutschen Briefen und Berichten eineuntergeordnete Rolle. Die Deutschen hofften zwar, von Bad Boll aus Kontaktzur weltweiten Unitas Fratrum zu bekommen, doch ging es eher um dieOrdnung der Missionsgebiete als um eine neue oder gar solidarische Ge-meinschaft. In Bad Boll und Herrnhut traute man der Moravian Communitywenig zu. Als die Amerikaner 1945 in einem ihrer ersten Briefe mit großerHerzlichkeit nach Deutschland schrieben und ihre Hilfe anboten, schriebBaudert von Bad Boll aus erstaunt nach Herrnhut: „Die Amerikaner mçchtenam liebsten jetzt schon irgendwelche fertigen Aufbaupl"ne haben, die sie dannoffenbar zu unterst!tzen bereit sind. […] aber so einfach, wie sich unsereamerikanischen Br!der die Dinge vorstellen, liegen sie doch nicht.“144 Ineinem anderen Brief meinte Baudert, viel w!rden die „amerikanischen undenglischen Br!der“ doch nicht helfen kçnnen.145

139 Iriye, Internationalizing International History, S. 56 f.140 „Editorial“, in: The Moravian, 9. 6.1945; vgl. zur Hilfsbereitschaft der Moravians auch „Edi-

torial“, in: TheMoravian, 2.6. 1945; „News from the Larger ChristianWorld“, in: TheMoravian,12.5.1945.

141 S. H. Shawe an S. Baudert, 11.9. 1945, UA DEBU 27.142 Vgl. Unterlagen in MAB 99HII, CZECHOSLOVAKIA; Zusammenfassung Gemeinnachrichten

Nr. 10, Bad Boll, 7. 9.1946, MAB 99GI, Moravian European Relief.143 General Directory, C. H. Shawe, an S. H. Gapp u. J. K. Pfohl, 2. 11.1945, MAB 103 C II, 1945.144 S. Baudert an Direktion Herrnhut, 20.1. 1946, UA DEBU 27.145 S. Baudert an Direktion Herrnhut, 3. 12.1945, UA DEBU 27.

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Tats"chlich war allein die grenz!bergreifende Kommunikation nach demKrieg außerordentlich schwierig, ganz zu schweigen von der privaten Orga-nisation eines Hilfsprogramms. Die Moraven nutzten f!r die Kontakte zu-n"chst b!rderische US-Soldaten. Diese !berbrachten der Kirchenleitung inden USA schon im April 1945 erste Informationen !ber die deutsche Mut-terkirche. Die Verbindung zwischen deutscher Direktion und amerikanischenGemeinen war damit fr!her hergestellt als zwischen den Gemeinen inDeutschland und Europa untereinander.146 „I only wish that I had the power todo much more to help restore the world-wide unity of our church than justkeep the outer world informed […]“, erkl"rte einer der br!derischen US-Soldaten in einem Brief an die Heimat.147 Doch war gerade dieser Kommu-nikationsdienst in den ersten Nachkriegsmonaten f!r den Zusammenhalt derFreikirche unsch"tzbar wertvoll. Die Soldaten befçrderten nicht nur Briefezwischen den Gemeinen in den USA und Europa, sondern brachten denDeutschen auch Informationsmaterial aus den Staaten wie etwa die Kir-chenzeitung „The Moravian“. Zugleich verçffentlichten sie darin Artikel !berdie Situation der Unit"t im kriegszerstçrten Europa, so dass die amerikani-schen Gemeinen gut informiert waren.148 Als hilfreich erwiesen sich auch dieKontakte der Moraven zu hohen Milit"rs, die ebenfalls Nachrichten !ber-mittelten – und sogar f!r eine Druckerlaubnis des Losungsbuchs sorgenkonnten.149

Schon 1945 und 1946 reisten f!hrende britische und amerikanische Mo-raven nach Kontinentaleuropa und, wenn mçglich, nach Deutschland.150 F!rdie Koordination war die schweizerische Dependance der Br!der-Unit"twichtig. Dort nutzte der Herrnhuter F!rstenberger seine guten internatio-nalen Kontakte.151 In Herrnhut selbst brachten die rund ein DutzendSchweizer, die dort lebten, ihre Verbindungen zum Schweizer Konsulat inBerlin ein. So entstand auch hier ein wichtiger Kanal f!r Informationen undHilfsg!ter. Mit seinem Schweizer Pass konnte Wilfried Merian in den ersten

146 Die erste Nachricht ist wohl der Brief von Roy Bassett an Rev. Kemper, 14.4. 1945, s. unter„Officials”, „Missions”, S. 10, in: The Moravian, 12.5. 1945; vgl. zur Nachrichten!bermittlungder GIs „Conditions among German Moravians”, in: The Moravian, 14.7. 1945, S. 6; Briefe inMAB 103CII, 1945 u. MAB 103 C II, 1946; vgl. auch Reichel, Die Teilung der Deutschen Uni-t"tsdirektion 1945, S. 87.

147 Bernard M., Basel, an S. H. Gapp, 25.2. 1946; MAB 103CII, 1946.148 Briefe inMAB103CII, 1945; „Letter froma Soldier, Neudietendorf”, in: TheMoravian, 1.9. 1945;

„Am I My Brother’s Keeper?”, in: The Moravian, 5. 1. 1946, S. 1–3.149 Vgl. PECMinutes, Southern Province, 26.3. 1946,MAWS 2100B; die Akten inMAB103CII, Gapp

Files, Europe Travel 1946; MAB 103CII, 1945; Reichel, Teilung der DUD, S. 87; vgl. zumDruck esLosungsbuchs E. S. Bullins, Le Havre, an J. K. Pfohl, 21.12.1945, MAB 103CII, 1945.

150 C. H. Shawe an Baudert, 27.12.1945, UA DEBU 319; Further contacts with the Moravian Churchin Europe, o.A., wohl von Shawe, ca. 1946,MAB 100FI, Unity General Directory ; S. Baudert an B.E.Michel, 23.11.1945,MAB 103CII, 1945; N. Goodall an F. L. Simpson,Whitehall, London, 27.7.1945, Archiv %RK 26.11.20.

151 Vgl. den Briefwechsel J. G. Fuerstenberger mit F. P. Stocker, MAB 103HI, Fuerstenberger, J. G.

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Nachkriegsmonaten auch zwischen den verschiedenen Besatzungszonen undPrag hin- und herreisen.152 Von Anfang an nutzten die Herrnhuter ihre tra-ditionell guten Kontakte zu Regierungsstellen, ob in Tschechien, England oderAmerika.153 F!r 1946 setzte die Unitas Fratrum eine Unit"tskonferenz an, beider die verschiedenen Provinzleitungen zusammenkommen sollten.154 Nachgroßen organisatorischen und diplomatischenM!hen konnte die oben bereitserw"hnte Konferenz im Sommer 1946 in der Schweiz auf dem br!derischenGut Montmirail tagen. Alle geladenen 14 Br!der aus den USA, Großbritan-nien, Schweiz, Tschechoslowakei, Schweden, Holland, D"nemark undDeutschland waren zugegen – nur Johannes Vogt aus der SBZ verwehrten dieBehçrden die Ausreise.155 In Montmirail wurden erste Entscheidungen zu dendamals noch nicht selbst"ndigenMissionsgebieten getroffen, damit die Arbeitdort fortgesetzt werden konnte. Die britischen und amerikanischen Moravenbrachten den Deutschen schonend bei, dass sie keinerlei Einfluss mehr auf dieMissionsarbeit hatten. Zentrales Thema war jedoch die Koordination derWiederaufbauhilfe. Die Vertreter aus Europa und Amerika berichteten !ber-einstimmend davon, wie !beraus herzlich die Atmosph"re verlaufen sei.156

Neben Konferenzen und Reisen, die allm"hlich wieder regelm"ßiger statt-finden konnten, bildeten ausf!hrliche Korrespondenzen zwischen den Pro-vinzen die wichtigste Basis des Austausches. So ist eine Korrespondenz mitTausenden von Briefen zwischen den Gemeinen in Ostdeutschland mit denenin den USA !berliefert. Insbesondere bis zum Mauerbau war dieser schrift-liche Austausch sehr intensiv, w"hrend die Kontakte aus den USA nachWestdeutschland ab Ende der vierziger Jahre nur noch denen zu anderenL"ndern entsprachen.157 Die gesamte Korrespondenz mit den ostdeutschenHerrnhutern und "ber sie spiegelt nur „geschwisterliche Liebe“ wider : kein$rger, keine Kritik, keine Dissonanz. Die unz"hligen Bittbriefe der ostdeut-schen Kirchenleitung an die „Geschwister“ in denUSAwurden nicht raschmiteiner moderatenGeldsendung abgetan. Vielmehr !bersetzten dieMoraven dieBriefe trotz Wiederholungen und L"ngen systematisch, exzerpierten, ver-vielf"ltigten und verteilten sie an die Gemeinen und besprachen sie in ihren

152 PEC Minutes, Southern Province, 7. 6.1945, MAWS 2100B; Abschrift Abteilung V Referat 4,Sachstandsbericht, 4. 4. 1955 et passim, BstU MfS HA XX/4, 778; J. Vogt an C. H. Shawe, 27.4.1946, UA DEBU 319; Lebenslauf W. Merian, S. 9, 15–17, 19.

153 Protokoll der Unity Conference in Montmiaril, Opening July 3, 1946, S. 2, MAB 100FI, UnityGeneral Directory ; N. Goodall an F. L. Simpson, Whitehall, London, 27.7. 1945, Archiv %RK26.11.20.

154 Vgl. zur Organisation auch UA DEBU 28.155 Vgl. die Protokolle in MAB 100FI, Unity General Directory.156 Resolutions of he Unity Conference, 3.–12.7. 1946, MAB 110FI, Unity General Directory ; Fur-

ther contacts with the Moravian Church in Europe, wohl von C. H. Shawe, ca. 1946, MAB 100FI,Unity General Directory.

157 MAB 99GI, 103HI, 103HII, 104FI, 104GI, 108FII, 110AI, 113FI etc; Uttendçrfers Lebenserin-nerungen, Eintrag, 2. 5. 1945, S. 280, UA Nachlass Uttendçrfer.

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Konferenzen.158 Die Glaubensgenossen !bermittelten dabei ihre Briefe biszum Mauerbau 1961 durch die West-Berliner Gemeine in Neukçlln. DieseGemeine blieb bis 1961 einer der wichtigsten Kan"le f!r den internationalenAustausch.159 Bereits im Herbst 1945 gelangten die ersten Hilfssendungen derMoraven zu den westdeutschen Mitgl"ubigen. Das war erstaunlich fr!h:CARE-Pakete trafen erst im August 1946 im Nachkriegsdeutschland ein.160

Doch waren die Deutschen keineswegs nur die Hilfsempf"nger, sondernwurden (freilich ihrer alten Machtpositionen verlustig) als „Geschwister“ indie sich neu formierende Moravian Community aufgenommen. F!r die an-fangs so skeptischen Deutschen war das ein !berw"ltigendes Erlebnis, dasanders als die Vergebung ihres Verhaltens in der NS-Zeit nicht als selbstver-st"ndlich hingenommen wurde. Jahresberichte und Rundbriefe in Deutsch-land sind voll des Dankes f!r dieses unerwartete „Wunder“ eines weltweitenZusammengehçrigkeitsgef!hls.161 Typisch ist der Brief eines deutschenHerrnhuters nach Amerika von 1952: „[E]rst die Not des verlorenen Kriegesund die Zust"nde hier haben beitragen m!ssen, dass wir mit Euch Br!dernund Schwestern in den USA zusammen gekommen sind, ganz anders wiefr!her.“162 In der gesamten Unit"t !berwog nun das Gef!hl der weltweitenEinheit : Ob die Tschechochslowakei, Schweden, Schweiz oder Großbritannien– !berall zeugen die Quellen von dieser Internationalit"t. Der f!hrendetschechische Herrnhuter Adolf Ulrich verwies auf die wiedergefundene Tra-dition: „[F]or us here it is a great encouragement just to think that over theocean our Brethren are gathering together in the same spirit of love and faithand brotherhood, which centuries ago inspired our forefather in our Coun-try.”163 Der Berliner Gemeinhelfer Heinrich Meyer, der sich sonst durch einausgesprochen national-konservatives Weltbild auszeichnete, erkl"rte 1946euphorisch, „die Christen in allen Vçlkern finden sich zusammen, erkennenihre Einheit im Glauben, r!cken zusammen in der Liebe“.164 Der sich wie-derholende Verweis auf den Einheit st"rkenden Christusglauben zeugt davon,

158 Vgl. etwa die Briefwechsel in MAB 113FI, Germany East Zone 54–59; MAB 113FI, Germany :Heinrich Meyer ; MAB 104GI, Vogt, Johannes.

159 Z. B. K. Wunderling, Bad Boll, an K. G. Hamilton, 23.8. 1961, MAB113EII, Germany WesternDistrict including Missionshilfe; L. Schuberg an K. G. Hamilton, 4. 1. 1954, MAB 114DI, Ger-many, 1952-1953-54-55-58; MAB 113EII, German Eastern District (including Berlin).

160 Bericht und Rechnung !ber die Sendungen, Z!rich, 8.1. 1947, MAB 99GI, Moravian EuropeanRelief; Relief Goods for Europe, S. H. Gapp, 31.1.1946, 103CII, 1946; G. W. Thomas an S. H.Gapp, 23.1.1946, 103CII, 1946; vgl. allgemein zu den CARE-Paketen Weyerer, S. 796.

161 Vgl. etwa Jahresbericht Gemeine Herrnhut 1945, UA DEBU 803; H.-W. Erbe, H. Renkewitz, W.Schaberg, H. Schmidt, F. Ziegel an Geschwister, EndeApril 1946, UADEBU49; Unterlagen inUAEFUD 1120.

162 H. Meyer an K. G. Hamilton, 5. 2.1952, MAB 113FI, Germany : Meyer.163 A. Ulrich an Synod of Northern Province, 9.8. 1951,MAB 99HII, CZECHOSLOVAKIA; vgl. Auch

Jahresbericht Herrnhut, 1946, UA DEBU 803; J. Vogt an P. Glos, 6. 6. 1945, UA DEBU 514; W.Baudert an R. Kalfus, 7. 12.1945, UA DEBU 514.

164 Jahresbericht Berlin 1946, S. 1, Archiv Br!dergemeine Neukçlln C3 Ia1.

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wie bei den Herrnhutern die çkumenische Tradition der ZinzendorfschenTheologie wieder an Bedeutung gewann: Jede Trennung, ob durch Konfession,Ethnie oder Nation, gelte nun gegen!ber der Gotteskindschaft nichts. Nachallem Trennenden seit den nationalistischen Bewegungen im 19. Jahrhundertund den beiden Weltkriegen kann man hier von einer Traditionserfindungsprechen. Die Unitas Fratrum feierte ihre globale Identit"t in der Nach-kriegszeit wie noch nie zuvor, denn im 18. Jahrhundert war sie selbstver-st"ndlich gewesen – nun empfanden die Herrnhuter sie als etwas Unverhoff-tes, Neues, #berw"ltigendes.165 In der Br!der-Unit"t vereinte sich dabei dieMode der Internationalit"t mit einem exklusiven Zusammengehçrigkeitsge-f!hl. Wie stark der Exklusivit"tsanspruch war, zeigt sich darin, dass die Mo-raven ihre Hilfe ausschließlich den Herrnhutern zugute kommen ließen. Sielehnten deswegen auch eine Zusammenarbeit mit internationalen Organisa-tionen ab. Erst als der World Church Service und der %kumenische Rat derKirchen verb!rgen konnten, dass die !bermittelte Hilfe tats"chlich nurHerrnhutern zugute kam, nutzte die US-Gemeine diese Einrichtungen f!r denTransfer von Hilfsg!tern.166

Der aufkommende Kalte Krieg widersprach nur scheinbar dem weltweitenFriedens- und Internationalit"ts-Diskurs, dem sich dieMoravian Communityanschloss. Denn der Kalte Krieg setzte eine internationale Gemeinschaft gegendie andere, nicht nur mit seinen Verteidigungsb!ndnissen NATO und War-schauer Pakt. Auch f!r die US-Moraven war die politische Entwicklung einwichtiges Motiv f!r die weltweite Solidarit"t. Ihre Hilfe sahen sie als Teil einer„Re-Education“ der Deutschen, ihrer Demokratisierung und Bindung an denWesten, um damit Frieden zu ermçglichen.167 Die Moraven f!hlten sich selbstin die Pflicht genommen. Am Ende des Krieges hatte es im „Moravian” ge-heißen: „Every day it is costing us, the taxpayers of the United States, millionsof dollars to run this war. We pay it gladly. Are we, the churchgoers of theUnited States, as willing to pay for peace?”168 In einer Umfrage von 1946erkl"rte ein Drittel der US-Bevçlkerung, Kirchen seien f!r den Wiederaufbauin Deutschland wichtiger als Politik, knapp zwanzig Prozent hielten beide f!rgleich bedeutend.169 „While you and I will not be welcome as meddlers inGerman domestic affairs, we have in Herrnhut a tunnel through which theinternational Moravian Unity could offer welcome help and a faithful witness,not only in Germany but also in Russia“, hieß es im M"rz 1945 im „Moravi-

165 Vgl. etwa die Briefe in MAB 100FI, Unity General Directory, UA DEBU 514, UA DEBU 516.166 F. P. Stocker an M. S. Richey, 6.1. 1949, MAB 99GI, Moravian European Relief; Unterlagen in

MAB 99GI, Moravian European Relief; MAB 113GII, Church World Service 1954 + 1955.167 Vgl. z.B. F. P. Stocker an J.Weingarth,Wisconsin, 27.6. 1947,MAB 104HI,W; „Editorial”, in: The

Moravian, 2.6. 1945; vgl. dazu grunds"tzlich Sommer, Humanit"re Auslandshilfe, S. 235–376.168 „Editorial”, in: The Moravian, 17.3.1945. Vgl. dazu z.B. auch „Am I my brother’s keeper”, in:

The Moravian, 5.1.1946.169 Vollnhals, Entnazifizierung, S. 13.

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an“.170 Die Moraven proklamierten im gleichen Jahr in f!r US-Amerikanertypischer, heilsgeschichtlich begr!ndeter Fortschrittsgl"ubigkeit:171 „Wemust build a new world – a far better world – one in which the eternal dignityof man is respected.“172 Sie standen ganz in der amerikanischen Tradition,Menschenw!rde und Demokratie als Rechte zu verstehen, die unmittelbar mitdem Christentum zusammenhingen.173 Trotz dieser deutlichen politischenMotivation schlossen sich die Moraven nicht der aufkommenden antikom-munistischen Hysterie an, die noch in den vierziger Jahren begann und imMcCarthyismus mit seiner furiosen Verfolgung von Intellektuellen und allenals kommunistisch Verd"chtigen von 1950 bis 1954 ihren Hçhepunkt fand.174

Eifertum entsprach nicht dem Stil der Moraven. In den amerikanischenUnit"ts-Archiven findet sich daher wohl die Ablehnung des Kommunismus,aber keine Kommunistenhetze.

Den Moraven lagen entsprechend ihrer politischen Motive besonders dieGemeinen in der „Russian Zone“ am Herzen. Bei einem 1947 aufgelegtenHilfsprogramm f!r Europa !ber 32 000 Dollar dachten die US-Moraven davon4000 England zu, 17 350 der SBZ und 5000 der tschechischen Provinz.175 DieHilfe f!r West-Deutschland, die es in geringerem Umfang ebenfalls gab, ließbereits Ende der vierziger nach und endete in den f!nfziger Jahren. Die Mo-raven nutzten alle Mçglichkeiten, damit ihre Sendungen in die SBZ gelangten.Sie schleusten etwa Geld !ber die Br!dergemeine in Prag und Pakete !ber dieGemeine in Berlin-Neukçlln.176 Die Verbindungen zu Prag waren so intensiv,dass die Spitzel der DDR-Volkspolizei vermuteten, dort w!rden die Direktivenf!r die Herrnhuter in ganz Europa ausgegeben.177 Außerdem nutzten die

170 „Editorial”, in: The Moravian, 3. 3. 1945; vgl. dazu auch „Editorial”, in: The Moravian, 17.3.1945; „Impressions from San Francisco”, in: The Moravian, 19.5. 1945; „Editorial”, in: TheMoravian, 2. 6. 1945; „New from the Larger Christian World – Germany’s only hope”, in: TheMoravian, 2.6. 1945; „Editorial”, in: The Moravian, 9. 6. 1945; „Editorial”, in: The Moravian,18.8.1945.

171 Vgl. zu diesem Fortschrittsglauben Ostendorf, S. 21.172 „Impressions from San Francisco”, in: The Moravian, 19.5. 1945; vgl. zur Bedeutung der

Menschenrechte und Demokratie z.B. „Conditions among German Moravians Learned inSpecial Correspondence”, in: The Moravian, 14.7. 1945; F. P. Stocker an H. Meyer, Berlin-Neukçlln, 2. 6.1950, MAB 104FI, Meyer, Heinrich; K. G. Hamilton, an J. Vogt, via Berlin-Neu-kçlln, 11.5. 1955, MAB 113FI, Germany East Zone 54–59; K. G. Hamilton an H. Meyer, Berlin-Neukçlln, 3. 12.1951, MAB 113FI, Germany : Meyer.

173 Vgl. Casanova, Civil Society and Religion, S. 1047 f. ; Berg, S. 45; F. P. Stocker an H. Meyer, 2. 6.1950, MAB 104FI, Meyer, Heinrich.

174 Fried ; Heideking, S. 365–367.175 F. P. Stocker an J. K. Pfohl, 12.9. 1947, MAB 104FI, Bishop J. K. Pfohl; vgl. zur tschechischen

Provinz Kap. III.3.3.4176 MAB 99GI, Morvian European Relief; F. P. Stocker, an J. K. Pfohl, Winston-Salem, 12.7. 1946,

MAB 104FI, Bishop J. K. Pfohl; Heinrich Meyer an S. H. Gapp und J. K. Pfohl, MAB 99GI,Morvian European Relief.

177 Bericht Landesbehçrde der VP Sachsen, 27.4. 1951, BStUMfSHAXX/4–778, S. 136; vgl. dazu J.G. F!rstenberger an PEC Bethlehem, 31.3. 1948, MAB 193HI, F!rstenberger, J. G.

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Amerikaner die Mçglichkeit, G!ter !ber das westdeutsche EvangelischeHilfswerk in die SBZ zu schicken.178 1947 gelang es den Moraven schließlich,CARE-Pakete, die sie schon l"ngst nach West-Deutschland schicken konnten,regelm"ßig und direkt in die SBZ zu senden.179 Anders als die Forschungbehauptet, kamen also CARE-Pakete nicht nur „vereinzelt und auf allerleiUmwegen“ in die SBZ.180 CARE, eine private, vor allem von kirchlichen Ver-b"nden gegr!ndete Initiative, war unter den Moraven deshalb so beliebt, weildie Organisation die Pakete direkt an die gew!nschten Empf"nger sandte.181

Nach den ersten Jahren, in denen Nahrungs- und Kleidersendungen be-sonders wichtig gewesen waren, gewannen die Geldtransfers an Bedeutung.Daf!r kamen der Unit"t erneut ihre internationalen und !bersichtlichenStrukturen zugute. Von den USA !berwiesen die Moraven ihr Geld an dieHerrnhuter Gemeine in Z!rich, die es auf ein Konto in West-Berlin weiter-leitete.182 Wie f!r die Hilfsg!ter blieb West-Berlin bis Anfang der sechzigerJahre auch f!r finanzielle Angelegenheiten ein zentraler Transferplatz.183 Bi-schof Hamilton aus den USA !bertrieb gewiss nicht, als er 1952 erkl"rte: „Thevery life of the Eastern district of the German province depends, at present,uponhelpwhichwe give fromAmerica.“184 Und JohannesVogt schrieb 1955 anBischof Hamilton, ein Drittel der bisherigen Aufbauarbeiten in Herrnhutstamme aus den USA.185 Wenn man bedenkt, dass in zunehmendem Maßeauch die anderen westlichen Gemeinen aus England, Schweden oderDeutschland die Herrnhuter in der DDR unterst!tzten, wird das ganze Aus-maß der internationalen Solidarit"t deutlich – aber auch dieAbh"ngigkeit, wiesie das kirchliche Leben in der DDR insgesamt pr"gte.186

178 „Date we ordered packages from CARE“, Paketliste, o.D., ca. April 1948, MAB 104FI, Meyer,Heinrich; S. Baudert, Bad Boll, an F. P. Stocker, 15.4.47, MAB 99GI, Letters of Thanks.

179 Vgl. Unterlagen in MAB 194FI, Meyer, Heinrich; MAB 113GII, CARE; Infomaterial „For theRussian Zone – where every ounce counts!“, MAB 99GI, CARE Morav. European Relief; vgl. zuden „East German parcels“ auch K. G. Hamilton an A. Gohdes, Mapleton, ND, 17.12.52, MAB99GI, CARE Morav. European Relief.

180 Weyerer, S. 796, vgl. dazu auch S. 802. Zu den immer wieder auftretenden Problemen bei derZustellung vgl. Unterlagen in MAB 99GI, Morvian European Relief u. MAB 113GII, CARE.

181 Weyerer, S. 795; Unterlagen in MAB 99GI, Moravian European Relief.182 F. P. Stocker an J. K. Pfohl, 2. 1. 1948, MAB 104FI, Bischof J. K. Pfohl; F. P. Stocker an H. Meyer,

Berlin-Neukçlln, 12.5. 1950, MAB 104FI, Meyer, Heinrich.183 Unterlagen in MAB 113EII, German Eastern District (including Berlin).

Teilweise erledigten die Herrnhuter ihre Geldtransfers mit Hilfe des %kumenischen Rates derKirchen oder des World Church Service, teilweise lief das Geld !ber eine Gemeine in Kanada,vgl. z.B. F. P. Stocker anH. Renkewitz, 9.2. 1951,MAB 104FI, H. Renkewitz; B. H. Renkewitz an F.P. Stocker, 26.5. 1951, MAB 104FI, H. Renkewitz; K. G. Hamilton an W. Zwayer, Church WorldService, NY, 17.2. 1954, MAB 113GII, Church World Service 1954 + 1955.

184 K. G. Hamilton an S. H. Gapp, 18.2. 1952, MAB 114DI, Gapp, S. H.185 J. Vogt an K. G. Hamilton, 22.1.1955, UA EFUD 691.186 C. H. Shawe an Baudert, 27.12.1945, UA DEBU 319; vgl. zur Hilfe anderer Provinzen z.B. MAB

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Die US-Moraven setzten ihre Gelder, die immer zu zwei Dritteln aus derNordprovinz und zu einem Drittel aus der S!dprovinz stammten,187 unter-schiedlich ein: Erstens schickten sie nach Herrnhut ein j"hrliches Budget zurfreien Verf!gung, zweitens finanzierten sie Großprojekte, drittens unterst!t-zen sie Dauerprojekte wie diakonische Einrichtungen. Wenn nçtig, halfen sieauch spontan in Notlagen aus.188 Das j"hrliche Budget von 3000 Dollar be-gannen die Moraven schon Ende der vierziger Jahre zu !berweisen.189 DieseSumme bedeutete f!r die Ostdeutschen sehr viel: 1955 ergab sie rund 60 000Ostmark, ungef"hr so viel, wie die Gemeine in der DDR j"hrlich aus Kir-chenbeitr"gen aufbrachte.190 Bei den grçßeren Projekten setzten die MoravenPriorit"ten. Als etwa Anfang der f!nfziger Jahre die Berliner Gemeinen mitdem Aufbau ihrer zerstçrten Kirchen begannen, wiesen die Amerikanerdarauf hin, dass ihre Hilfe vorrangig f!r das#berleben der Gemeine im Ostenund dar!ber hinaus f!r den Wiederaufbau des Herrnhuter Kirchensaals ge-dacht sei.191 Dieses Wiederaufbauprojekt war neben den Paketen die erstegroße Hilfsaktion der amerikanischen Provinzen. F!r viele Moraven war derbarocke Kirchensaal Teil des kulturellen Ged"chtnisses; das erkl"rt auch dievielen Privatspenden f!r den Saal. Mit der Kirche in Bethlehem hatten sie eineamerikanisierte Version des Baus vor Augen. Zu mindestens einem Zehntelwaren die Moraven an dem Wiederaufbau des Herrnhuter Kirchensaals be-teiligt, der nach langen Schikanen durch die sozialistischen Behçrden erst inden f!nfziger Jahren erfolgen konnte.192

Zu den dauerhaft unterst!tzten Projekten gehçrten die diakonischen Ein-richtungen der Herrnhuter.193 Hier spielte wie beim Kirchensaal das traditi-onsbewusste Selbstverst"ndnis der Moraven eine Rolle. Die fortdauerndeUnterst!tzung der Diakonissenanstalt „Emmaus“ im s"chsischen Niesky, vonwo aus vor dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Schwestern in die Missionausgesendet worden waren, begr!ndete ein f!hrender Morave mit der Ge-

187 Richter, Vom transnationalen Austausch; vgl. zur Hilfe aus der S!dprovinzMAB 104FI, Bishop J.K. Pfohl.

188 Z. B. MAB 104FI, H. Renkewitz; MAB 104FI, Bishop J. K. Pfohl; MAB 104FI, Bishop J. KennethPfohl; MAB 113FI, Germany East Zone 54–59.

189 F. P. Stocker an H. Renkewitz, 31.5.1951, MAB 104FI, H. Renkewitz.190 H. G. Steinberg an K. G. Hamilton, 22.3. 1955, MAB 113FI, Germany East Zone 54–59; J. Vogt,

via Berlin, an F. P. Stocker, 16.11.1950, MAB 104GI, Vogt, Johannes; J. Vogt an K. G. Hamilton,13.7.54, MAB 113FI, Germany East Zone 54–59; #bersetzung J. Vogt, via Berlin, an K. G.Hamilton, 17.12.1957; MAB 104GI, Vogt, Johannes;#bersetzungH.Meyer, Berlin-Neukçlln, anF. P. Stocker, 11.5.1951, MAB 104FI, Meyer, Heinrich.

191 Was sie letztlich doch nicht daran hinderte, große Summen f!r den Neubau in Berlin-Neukçllnzu spenden. K. G. Hamilton an S. H. Gapp, 18.2. 1952, MAB 114DI, Gapp, S.H; MAB 114DI,Germany, 1952-1953-54-55-58.

192 Vgl. die Unterlagen in MAB 104FI, H. Renkewitz, MAB 99GI, CAREMorav. Europe Relief, MAB104FI, Meyer, Heinrich, MAB 99GI, Displaced People u. MAB 113FI, Germany East Zone 54–59;J. Vogt anM.E. Knapp, 26.11.51, UAEFUD690; Benachrichtigung vonC. Clark,Winchester,MA,24.1.52, UA EUFD 690.

193 F. P. Stocker an J. K. Pfohl, 22.6. 1950, MAB 104FI, Bishop J. Kenneth Pfohl.

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schichte dieser Institution.194 In den ersten Jahren nach 1945 halfen die Mo-raven !berdies bei der Mitfinanzierung des Losungsbuchs und der Organi-sation des Papiers, das im Nachkriegsdeutschland sehr knapp war.195 Außer-dem spendeten die Moraven in Notf"llen zus"tzliche Gelder. Mitte der f!nf-ziger Jahre etwa stellte die DDR-Notenbank den Herrnhutern unerwarteteinen Bankkredit von 200 000 Ostmark in Rechnung, der die kleine Kirche anden Rand des Ruins f!hrte. F!r die Begleichung der Schuld schickten dieMoraven 1954 zus"tzliche 10 000 Dollar in Raten.196 Auch zum Erhalt derFirma D!rninger trugen die Moraven bei, ohne zu wissen, wie stark sich derBetrieb in der NS-Zeit kompromittiert hatte.197 Es gab unz"hlige weitereVorhaben in den Gemeinen Ostdeutschlands, an denen die Moraven beteiligtwaren: Egal ob ein neues Gesangbuch herausgegeben wurde (f!r die Herrn-huter "hnlich wichtig wie Nahrung oder Kleidung und auf jeder Bittlisteobenan), ob die Herrnhuter Direktion Reifen f!r ihr Auto oder ein Kirchen-geb"ude einen Kamin brauchte – die Moraven nahmen Anteil und halfen.198

Die sozialistische Obrigkeit beobachtete die Geldtransfers mit großemMisstrauen. Insbesondere die Behçrden, die mit den anderen Ortsgemeinenbefasst waren und nur wenige Informationen hatten, beunruhigten sich mitkuriosen Ger!chten um die internationale Kirche. So meldete etwa die Lan-des-Volkspolizei Sachsen-Anhalt der Berliner Polizei-Hauptverwaltung, dieHerrnhuter bes"ßen noch Schnapsfabriken in Amerika.199 Immer wiedergaben die Behçrden Stçrfeuer gegen die internationalen Kontakte und dieHilfslieferungen und wollten doch auf die Devisen nicht verzichten. In einemPapier der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen ist f!r die gesamte DDR allein f!rdas Jahr 1954 von 5 Millionen Mark ausl"ndischer Gelder f!r die Kirchen dieRede. Der SED-Funktion"r klagte: „Der grçßte Teil dieser ,Spenden’ (Le-bensmittel, Bekleidung) kommt aus den USAund dient zur Beeinflussung derKirchenmitglieder im Sinne der Hierarchie.“200 Das Misstrauen der SED-

194 K. G. Hamilton an J. Vogt, 4. 12.1951, MAB 113FI, Germany East Zone 54–59; vgl. zur Unter-st!tzung z. B. die Unterlagen in MAB 104FI, Bishop J. Kenneth Pfohl.

195 Die schwedischen Herrnhuter halfen vor allem bei der Beschaffung des Papiers. Unterlagen inMAB 104FI, Bishop J. Kenneth Pfohl u. MAB 113EII, GermanyWestern District 1946–50; Bintzan H. Hickel, 25.9.74, UA EFUD 659; Direktion, Bad Boll, an F.P Stocker, 24.3.48, UA DEBU 522;Unity Newsletter, 4.8. 1977, MAB 173HI, Newsletter.

196 J. Vogt an K. G. Hamilton, 16.11.1953, MAB 113FI, Germany East Zone 54–59; #bersetzung J.Vogt an K. G. Hamilton, 6.2. 1954, MAB 113FI, Germany East Zone 54–59; J. K. Hamilton an J.Vogt, 23.4.54, UA EFUD 691; J. K. Hamilton an J. Vogt, 16.7.54, UA EFUD 691.

197 Unterlagen in 104FI, Meyer, Heinrich; MAB 99GI, Moravian European Relief; The Institution ofAbrahamD!rninger & Co., Dezember 1991, Unterlagen Schwarz,MABArchivesHerrnhut 1995.

198 F. P. Stocker an J. K. Pfohl, 2. 2.1950, u. F. P. Stocker an J. K. Pfohl, 22.6. 1950, MAB 104FI, BishopJ. Kenneth Pfohl; MAB 104FI, H. Renkewitz; MAB 113EII, German Eastern District (includingBerlin); K. G. Hamilton an J. Vogt, 7. 12.1955, MAB 113FI, Germany East Zone 54–59; vgl. zurUS-Hilfe auch UA DEBU 526 und 522.

199 VP-Landesbehçrde Sachsen-Anhalt an Hauptverwaltung der DVP Berlin, 29.6. 1951, BA DO1.11.0 / 864.

200 Die „Hilfst"tigkeit der Kirchen“, o.D., ca. 1955, SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/2.

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Stellen war nicht unberechtigt, wenn man etwa die politische Motivation derMoraven bedenkt. Der Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen, Willi Barth,bezeichnete die Aktivit"ten des Evangelischen Hilfswerks, das maßgeblichden Transfer von Geldern und Hilfsg!tern aus dem Ausland bewerkstelligte,als „W!hlarbeit“, mit der „auf Grund der ver"nderten Lage und der politi-schen Entwicklung in den volksdemokratischen L"ndern und der DDR einmissionarisches M"ntelchen“ umgeh"ngt werden solle.201

Die Gr!ndung der DDR im Oktober 1949 hatte wenig Einfluss auf denKontakt zwischen ostdeutschen Herrnhutern und ihren Mitgl"ubigen welt-weit. Als sich dann in den f!nfziger Jahren in der Neukçllner Gemeine unterHeinrich Meyer in West-Berlin die „Fl!chtlingsgeschwister“ aus der DDRsammelten, f!hlten sich die Moraven erneut in die Pflicht genommen. Mitgroßen Geldsendungen unterst!tzten sie die Fl!chtlingshilfe. Das besondereInteresse an den „Zonenfl!chtlingen“, "hnlich großwie die Anteilnahme an inder DDR inhaftierten „Geschwistern“, enthielt durchaus eine politischeKomponente.202 Erst der Mauerbau 1961 versetzte dem internationalenTransfer einen schweren Stoß. So war ein offener Briefaustausch nun nichtmehr mçglich. Doch gelang es den Moravians dank ihres internationalenNetzwerks weiterhin, ihre Gelder und Paketsendungen in die DDR zu bringen.In den sechziger und siebziger Jahren aber ging die Hilfe aus den USAschrittweise zur!ck, wof!r zwei Gr!nde ausschlaggebend waren: Zum einenwar der Geldtransfer durch die DDR-Behçrden so streng geregelt, dass derschlechte Wechselkurs des Dollars den Geldsegen aus den USA weniger ef-fektiv machte. Zum anderen waren die Gemeinen in West-Deutschland zu-nehmend in der Lage, in der DDR auszuhelfen. Und sie taten dies in großemUmfang.203

Die neue Internationalit"t zahlte sich f!r die Br!dergemeine in Deutsch-land materiell aus. Wohl nicht zuletzt deshalb ließen sich die deutschenHerrnhuter nach anf"nglicher Skepsis so schnell darauf ein, von ihrem na-tionalistischen Selbstverst"ndnis abzulassen und sich in der Tradition einerglobalen Gemeinschaft neu zu erfinden. Wie politisch die Motive der US-Moraven sein mochten, f!r die Br!dergemeine in Ostdeutschland waren siezweitrangig und spielten auch in den (unkontrollierten, !ber West-Berlingehenden) Briefen keine Rolle. Der Gemeine in der DDR ermçglichte die Hilfeschlicht das #berleben. Doch f!r die Moraven ging die Rechnung ebenfalls

201 Bemerkungen vonWilli Barth zu Fragen der Vereinigung des EvangelischenHilfswerkes mit derInneren Mission, 11.1. 1957, SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/4.

202 H.Meyer, Berlin-Neukçlln, an F. P. Stocker, 8. 2. 1955,MAB 104FI, Bishop J. Kenneth Pfohl; K. G.Hamilton anV. L. Thomas, 18.8. 1953,MAB113GII, ChurchWorld Service 1954+1955; H.Meyeran K. G. Hamilton, 12.10.1960, MAB 113EII, German Eastern District (including Berlin); K. G.Hamilton anH.Meyer, 20.9.1960,MAB 113EI, GermanyWest+East Dist;MAB 113FI, Germany :Meyer.

203 E. Fçrster an R. G. Spaugh, 14.10.1966, UA DEBU 526; Unity Newsletter, 4. 8. 1977, MAB 173HI,Newsletter.

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auf: Mit der Unit"t hatten sie in der Tat einen „Tunnel“, durch den sie ihrechristliche Arbeit im kommunistischen Teil der Welt fortsetzen konnten. Eswar dies jedoch kein Kampf der Systeme unter dem M"ntelchen der N"chs-tenliebe. F!r die US-Moraven gehçrten – ebenso wie f!r die meisten anderenKirchen in den USA – bis in die sechziger Jahre christliche Mission, diako-nische Hilfe, demokratisches System und Friedensarbeit zusammen.

Die Herrnhuter in Ostdeutschland profitierten keineswegs nur materiellvon der neuen Internationalit"t. Sie verschaffte den Ostdeutschen neben derfinanziellen Unabh"ngigkeit Selbstbewusstsein und einen gewissen interna-tionalen Horizont – und somit geistige Unabh"ngigkeit. Viele Kirchen in derDDR hatten Kontakte ins Ausland, aber durch die #berschaubarkeit derUnit"t und die persçnlichen Verflechtungen waren die herrnhutischen Be-ziehungenwesentlich intensiver. F!r ihre weltweite Einheit hatte dieMoravianCommunity spezielle Frçmmigkeitspraktiken, die nach dem Krieg wieder anBedeutung gewannen. So begann der Tag f!r die Herrnhuter mit der Lekt!redes Losungsbuchs. Sie wussten, dass die „Geschwister“ in den USA, in Tan-sania oder in Surinam mit dem gleichen Bibelwort in den Tag gingen. Und siewussten, dass das Manuskript des Andachtsbuchs in der DDR verfasst wurde.Allein dieses Bewusstsein, dass von hier aus j"hrlich ein Buch in Millionen-auflage und in vielen Sprachen in alle Welt ging, war f!r die ostdeutscheGemeinewichtig.204 Dass die Losungen trotz der strengenDDR-Zensur fast niege"ndert werden mussten und das Buch in der DDR j"hrlich in einer Auflagevon 350 000 Exemplaren erscheinen konnte, verdankte die Br!dergemeineauch ihrer internationalen Vernetzung. Um ihre Einheit zu st"rken reakti-vierte oder erfand die Unit"t – unter großer Anteilnahme der ostdeutschenHerrnhuter – weitere Riten, wie die Unit"tsgebetswacht, ein rund um denGlobus organisiertes F!rbittegebet, oder das „Unit"tsopfer“, das j"hrlich f!reine bestimmte Gemeine gesammelt wurde. Die weltweite Mission, die inVeranstaltungen wie Missionsfesten, Missionskonferenzen oder Hilfsprojek-ten stark im Leben pr"sent war, fçrderten das Gef!hl der DDR-Herrnhuter ineinen Zusammenhang eingebunden zu sein, der weit !ber ihre Grenzen undihre spezifischen Sorgen hinausging.205

Die neue Einheit war kein Strohfeuer. Das starke globale Zusammenge-hçrigkeitsgef!hl blieb der Unit"t bis heute erhalten, tr"gt zu dem hohenPrestige der Br!der-Unit"t bei und gilt als eines ihrer wichtigsten Kennzei-chen. So konnte der renommierte Missionswissenschaftler R. Pierce Beaver inden siebziger Jahren – im Widerspruch zu den historischen Tatsachen – er-kl"ren, das internationale Band der Br!der-Unit"t sei gerade in den Zeitenwertvoll gewesen, in denen so viele Kirchen den Versuchungen des Nationa-

204 Gill, Losungsbuch im geteilten Deutschland, S. 4.205 Z. B. H. Meyer an K. G. Hamilton, 20.4. 1956, MAB 113FI, Germany : Heinrich Meyer; Ausz!ge

aus Protokollen der Herrnhuter Missionsdirektion von 1952; MAB 113FI, Germany, MissionBoard.

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lismus erlegen seien.206 Die Reformulierung der Tradition war gelungen undwirkte nach innen und nach außen !berzeugend. In der DDR aber wurde dieInternationalit"t immer wichtiger und gewann eine grçßere Bedeutung als inden Gemeinen anderer L"ndern. In ihrer bedr"ngten Situation bedurfte siebesonders der internationalen Vergewisserung.

3.4 Pilgergemeine im 20. Jahrhundert. Flucht und Vertreibung

Die Bevçlkerung Deutschlands betrug nach Kriegsende rund 64 Millionen.Zwischen 1944/45 und 1950 waren davon 14 Millionen von Flucht und Ver-treibung betroffen; von ihnen mussten 4,5 Millionen in der SBZ bzw. DDRunterkommen.207 In der Herrnhuter Br!dergemeine lag der Anteil an Ver-triebenen mit 2000 Mitgliedern bei etwa zwanzig Prozent; hinzu kamen 4000vertriebene Diasporamitglieder, um die sich die Unit"t ebenfalls k!mmerte.208

Bei der Integration der Fl!chtlinge spielten die Kirchen eine zentrale Rolle,zumal es nach 1945 zu einer weit verbreiteten geistlichen Neuorientierungkam. Ulrich Herbert interpretiert die religiçse Orientierung als typischeR!ckversicherung einer Gesellschaft, deren Umfeld vçllig zusammengebro-chen sei.209 Diese R!ckversicherung ist eine der zentralen Funktionen vonTradition. Die bereits angesprochene große Bedeutung der Kirchen resultiertenicht nur aus ihrer weitgehend intakten Infrastruktur, sondern auch aus ihremhohen moralischen Ansehen. Denn trotz ihres ambivalenten Verhaltens in derNS-Zeit war es den Kirchen gelungen, ihr Bild in der %ffentlichkeit mit demder wenigen mutigen Bekenner in ihren Reihen zu identifizieren. Zudemgaben sich die Kirchen nach 1945 gegen!ber den Besatzungsm"chten alsF!rsprecher des Volkes.210 Auch das internationale Netzwerk, mit dem dieKirchen nach 1945 Hilfe nicht nur f!r die Vertriebenen organisieren konnten,spielte hier eine Rolle. Vieles spricht daf!r, dass Kirche nach 1945 die Instanzdes kulturellen Ged"chtnisses und daher maßgeblich an der Integration derVertriebenen beteiligt war.211 Dennoch bleiben auch hier die Kirchen in Dar-stellungen der Nachkriegszeit unterbelichtet.212

206 Zitiert im Papier von J. S. Groenfeldt, angeheftet an Brief, o.A., 16. 9.1976, MAB 173HII.207 Geißler, S. 333–335; Bauerk!mper, Sozialgeschichte, S. 89; vgl. zu den Fl!chtlingen in der SBZ

Schwartz, Vertriebene und ,Umsiedlerpolitik’; Grottendieck, Egalisierung.208 Schiewe, Br!dergemeine in Polen, S. 67; Vogt und Renkewitz mochten bei ihren Fl!chtlings-

angaben (25 Prozent laut Vogt und 30 Prozent laut Renkewitz) !bertrieben haben, um ihreHilfsbed!rftigkeit zu unterstreichen: Vogt an Stocker, 18.8. 1947, UA DEBU 522; H. Renkewitzan Ecunemenical Council of Churches, 6. 11.1948, %RK 42.0068.

209 Herbert, Liberalisierung als Lernprozess, S. 39–41; vgl. auch Pilvousek, S. 14; Bauerk!mper,Sozialgeschichte, S. 90 f.

210 Vgl. dazu auch Nowak, Kirche im Jahr 1945, S. 383.211 Pilvousek, S. 14; vgl. auch Lehmann, Migration und Religion.

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Nach dem Einmarsch der Roten Armee musste die sowjetische Komman-dantur, zu derHerrnhut gehçrte, t"glich bis zu 14 000 Fl!chtlinge versorgen.213

Im Herrnhuter Schwesternhaus richteten die Frauen eine K!che ein undteilten t"glich bis zu 1000 Portionen auch an Fl!chtlinge aus.214 #berhaupterwiesen sich die Frauen, die aus dem politischen Diskurs ausgegrenzt blie-ben, bei der Bew"ltigung des Alltags als die tragende Kraft.215 Im Herbst 1945hatte sich die urspr!ngliche Einwohnerzahl Herrnhuts durch die Fl!chtlingemehr als verdoppelt. Zwar zog der Großteil der Fl!chtlinge weiter, doch kamensehr zum Verdruss der Einwohner bis Anfang der f!nfziger Jahre immerwieder neue Vertriebene. 1948 gehçrten im Kreis Lçbau, der im neuenGrenzgebiet lag, 43 Prozent der Bewohner zu den „Umsiedlern“, Herrnhuthatte einen Fl!chtlings-Anteil von 63 Prozent.216 In jeder Ortsgemeine ließsich das Elend der Vertreibung mit H"nden fassen. In Ebersdorf wuchs dieEinwohnerzahl im Sommer 1945 auf 2500 Personen an und war damit in-nerhalbwenigerMonate um das Dreifache gestiegen.217 Bad Boll z"hlte 1949 inseiner Einwohnerschaft 77 Prozent Fl!chtlinge.218 Die behçrdliche Zuweisungvon nicht-herrnhutischen Fl!chtlingen ver"rgerte die Gemeinen, denn de-rentwegen mussten sie oft Gemeinmitglieder abweisen.219 Wie !berall starbenauch in den Ortsgemeinen viele Fl!chtlinge an Erschçpfung und Unterer-n"hrung.220 Die Lebensbedingungen waren f!r Vertriebene ungleichschlechter als f!r die Einheimischen, auch wenn diese sich oft bem!hten zuteilen. Johannes Vogt berichtete 1947 nach Bethlehem, in seinerWohnung lebenun schon seit zwei Jahren ein Fl!chtlingsehepaar, das selbst seine und seinerFrau W"sche mitbenutze.221 Einige Vertriebene mussten in der Unit"ts-Bi-

212 In s"kularhistorischer Manier etwa beschreibt Wolfrum die Kirchen in seiner Geschichte derBundesrepublik weniger als Akteure, denn als Objekt politischer Entscheidungen, Wolfrum,S. 108–115; auch in Wehlers f!nftem Band seiner Gesellschaftsgeschichte bleiben die Kirchenein Fremkçrper und unterbelichtet; vgl. auch Winkler, Lange Weg nach Westen II.

213 An Account of the present Condition of the Brethren’s Church, o.D., MAB 100 F I, Unity GeneralDirectory.

214 Bericht von Hedi Buck, 4. 8. 1945, MAB 103CII, 1945; Jahresbericht Herrnhut 1945, S. 1 f., UADEBU 803.

215 Morgenstern, S. 136; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 249 et passim, UA Nachlass Utten-dçrfer.

216 Jahresberichte Herrnhut 1946, 1947 u. 1950, UA DEBU 803; Statistischer Jahresbericht f!r denKreis Lçbau 1948, HStA Drd. 11420/159; Protokoll !ber Stadtverordnetensitzung, 28. 10.1947,Stadtarchiv Herrnhut, Protokolle Stadtverordnete 1945–1955; Statistischer Jahresbericht KreisLçbau 1947, HStA Drd. 11377/1641; #bersicht !ber den Personalbestand, 31.12.1948, DEBU673.

217 N. Hickel an S. Baudert, 8. 3. 1945, UA DEBU 27; Protokoll !ber die Zeit 10.4.–21.6. 1945, S.Baudert, UA DEBU 27.

218 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 149.219 Bericht der deutschen Unit"ts-Direktion, Distriktssynode Ost, 1947, MAB 103HI, Baudert.220 Gruß aus Emmaus, November 1950, DADEBU 588; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 271 u.

274, UA Nachlass Uttendçrfer.221 J. Vogt an J. K. Pfohl, 7. 3.1947, UA DEBU 526.

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bliothek hausen, w"hrend sich ein aus Breslau gefl!chteter Pfarrherr zusam-men mit seiner Frau in Herrnhut nur schwer an eine Zweieinhalb-Zimmer-wohnung gewçhnen mochte. Nach den Zerstçrungen war der Wohnraum inHerrnhut knapp und blieb es bis zum Ende der DDR.222 Die Fl!chtlinge, auchGemeinmitglieder, begannen in ihrer Not zu stehlen, und viele Einheimischedr"ngten entsetzt auf ihren Abzug.223 In der ganzen SBZ war die Kriminalit"taußerordentlich hoch. Die vaterlose „Hitlerjugend“ in Herrnhut, wie diej!ngere Generation noch lange genannt wurde, stahl, schw"nzte die wieder-erçffnete Schule und gab sich einem extensiven Alkoholkonsum hin, der dieBehçrden auf den Plan rief.224 Deutsche Heimkehrer und sowjetische Soldatenverbreiteten Geschlechtskrankheiten. In Lçbau wurde eine Ehe- und Sexual-Beratungsstelle eingerichtet.225 Bald grassierten Typhus und Geschlechts-krankheiten. Das siebte Gebot gegen Diebstahl „scheint f!r viele gar nichtmehr zu existieren“, klagte der Herrnhuter Gemeinhelfer, nicht viel bessersehe esmit dem sechsten Gebot gegen Ehebruch aus.226Was das f!r die einst soabgeschotteten und mit strenger Kirchenzucht gef!hrten Ortsgemeinen be-deutete, ist schwer zu ermessen.

Die Leitung in Bad Boll und Herrnhut glaubte, die Fl!chtlinge am bestenintegrieren zu kçnnen, wenn diese sich mçglichst schnell zu einer nochexistierenden Gemeine !berschreiben ließen und missbilligte es, wenn „Ge-schwister noch z"h an ihrer Heimatgemeine“ hingen.227 Doch die Fl!chtlingewidersetzten sich den Pl"nen der Direktion, sich rasch einer neuen Gemeinezuzuordnen. An die Leitung der Br!der-Unit"t in London schrieb der Di-rektionsvorsitzende Samuel Baudert entnervt !ber die Fl!chtlinge: „Flçheh!ten ist einfacher!“228 Wo die Vertriebenen konnten, suchten sie nach Be-kanntem, nach alten Netzwerken, Vergewisserungen aus der Heimat. DerBerliner Prediger Meyer, selbst ein Fl!chtling, setzte sich bei der Direktiondaf!r ein, neben den zwei Berliner Gemeinen Wilhelmstraße und Neukçlln –beide im amerikanischen Sektor gelegen – eine dritte Fl!chtlingsgemeine der

222 S. Baudert an PEC, 21.1., wohl 1948, MAB 113EII, Western District 1946–50; Interview mit Dr.Gerhard Frey, in den Westen geflohenes Gemeinmitglied, Heidelberg, 15.4. 2006; LebenslaufSam Reichel, S. 7.

223 Jahresbericht Herrnhut 1947, S. 2, UA DEBU 803; J. Vogt an J. K. Pfohl, 7. 3. 1947, UA DEBU 526;Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 248, 279, 281, 286 u. 323, UA Nachlass Uttendçrfer ;Amtsgericht Lçbau, Anzeige F. P.s wegen Diebstahls am 10.12.1945, Stadtarchiv Herrnhut 2/51.

224 Unterlagen 1945/46, Stadtarchiv Herrnhut, 2/51; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 277 u.320, UA Nachlass Uttendçrfer; vgl. zur prek"ren Situation der Jugend in der SBZ allgemeinM!hlert, S. 16 f.

225 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 265, UA Nachlass Uttendçrfer ; Leiter des Kreisgesund-heitsamtes an $rzte und B!rgermeister Kreis Lçbau, 20.3. 1946 u. andere Unterlagen inStadtarchiv Herrnhut, Ansteckende Krankheiten; vgl. auch die anderen Unterlagen in diesemOrdner.

226 Jahresbericht Herrnhut 1947, S. 2, UADEBU 803; vgl. auchK"chler, Herrnhut – Nest –Welstadt,S. 13; vgl. auch Briefe in Archiv Br!dergemeine $bersdorf, zu $R I R 3,3a.b.

227 Sitzungsbericht der DUD, 22.1. 1946, UA DEBU 2; Sitzungsprotokoll, 4. 10.1946, UA DEBU 1.228 S. Baudert an G. H. Shawe, MAB 99GI, Moravian European Relief.

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Diasporamitglieder aus dem Warthe- und Netzebruch einzurichten, die sichvor allem in Brandenburg und Mecklenburg niedergelassen hatten.229 Dochviele Herrnhuter wandten sich gegen diese Idee. Tats"chlich schien eine iso-lierte Gruppe der Geisteshaltung der Br!dergemeine zu widersprechen.Sollten nicht vielmehr „Ausw"rtige, Ausgebombte, ehemalige Ortsgemeinler,Fl!chtlinge, kurz alle Glieder der Gemeine von neuem eine neue Gemeinschaftherausarbeiten?“, wie ein Herrnhuter Theologe meinte.230 Bemerkenswerter-weise war zumindest die Leitung dabei gewillt, auf die Unterschiede zwischenDiaspora- und Vollmitgliedern zu verzichten. Der ohnehin kleinen Freikircheging es auch darum, denMitgliederbestand zu erhalten; in derNot st"rkte sichdas inklusive Element.231

Die Vorstellung von einer raschen Integration der Fl!chtlinge entsprachdem g"ngigen Wunschdenken der Kirchen.232 Dennoch stimmte 1947 dieHerrnhuter Synode denVertriebenen umHeinrichMeyer zu: DieWarthe- undNetzebruchgeschwister durften in und um Berlin eine eigene Gemeine gr!n-den.233 In Neukçlln richteten Meyer und die Diakonisse Erika Bellack das„Fl!chtlingsamt der Br!dergemeine“ ein. Die Vertriebenen hatten f!r diesesAmt gek"mpft und Geld gesammelt.234 Damit zeigten die Fl!chtlinge dasklassische Verhaltensmuster von Migranten, die in den ersten Jahren, oftJahrzehnten der Emigration Parallelstrukturen herausbilden. Diese sind auchdeshalb bemerkenswert, weil die SED alle Landsmannschaften und Vertrie-benenorganisationen grunds"tzlich als „illegale[] und halblegale[] Organi-sationen“ einsch"tzte.235 „Umsiedler“, wie sie in der offiziellen Sprachregelunghießen, durften ihre Probleme kaum verbalisieren.236 Aufgrund dieser er-zwungenen Marginalisierung behielten die Fl!chtlinge innerhalb der Br!-dergemeine im Osten l"nger ihre eigenen Strukturen bei als im Westen, teil-weise bis in die siebziger Jahre.237 Schon zu Beginn der SED-Diktatur bot also

229 H. Meyer an W. Baudert, 9. 1. 1947, UA DEBU 693.230 H. Renkewitz an S. Bayer, 24.9.47, Archiv Neukçlln C3 If3; vgl. auch H. Meyer an W. Baudert,

23.9.47, W. Baudert an H. Meyer, 30.9.47, UA DEBU 693.231 Rundschreiben der Direktion 4/1945; Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine,

S. 126; Unity’s Conference, Montmirail, 3. 7. 1946, MAB 114 D I, General Directory, 1951-1953-1959.

232 Provinzialsynode Berlin-Brandenburg der Evangelischen Kirche, Oktober 1946, UnterlagenBayer, Betr. Geschwister aus dem ehemaligen Diasporagebiet, Archiv Br!dergemeine Berlin DVII Geschichte.

233 Synode 1947, BeschlussNr. 45, GemeinarchivNeukçlln, DVII Geschichte; vgl. dazuUASynHt 5.234 Aufruf zu Beschluss Nr. 46 der Synode Ost 1947, UA DEBU 47.235 Zitiert nach Schwartz, Vertreibung und Vergangenheitspolitik, S. 184; vgl. dazu auch Grotten-

dieck, Egalisierung ohne Differenzierung?236 Jahresbericht Herrnhut 1947, S. 2, u. 1950, S. 2, UA DEBU 803; vgl. auch Protokoll !ber Stadt-

verordnetensitzung, 28.10.1947, Stadtarchiv Herrnhut, Protokolle Stadtverordnete 1945–1955;Statistischer Jahresbericht f!r den Kreis Lçbau 1947, HStA Drd. 11377, Nr. 1641; vgl. zurSprachreglung Schwartz, Vertreibung und Vergangenheitspolitik, S. 183.

237 Hedi Buck, Versammlungspl"ne 1961, Gemeinarchiv Neukçlln BI g2; Interview mit S. , Fraueines ostdt. Gemeinhelfers, 12.2. 2007, Unterlagen H. Richter.

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die Kirche ein Dach f!r Gruppierungen, die außerhalb der kirchlichen Freiheitnicht existieren durften.238

Die Diasporaarbeit erhielt nach 1945 mit der Betreuung der Fl!chtlingeeine neue Dimension. Dank ihrer kleinen, aber gut ausgebauten Infrastrukturund der Hilfsg!ter aus den USA konnte die Br!dergemeine rasch Netzwerkeschaffen und effektive Hilfe organisieren. Lange Fl!chtlingslisten wurdenimmer wieder aktualisiert, die Vertriebenen identifiziert und kontaktiert.Fl!chtlings-Rundbriefe versorgten die verschiedenen Gruppen aus Gnaden-feld oder dem Warthe- und Netzebruch mit Informationen.239 Anders jedochals die Schreiben an die alten Gemeinmitglieder erhielten die Briefe an dieDiasporageschwister nicht nur Nachrichten !ber das Ergehen der anderen,Neuigkeiten und geistlichen Zuspruch, sondern auch detaillierte Anweisun-gen !ber die F!hrung eines christlichen Hauslebens mit Gebeten und Bibel-lesungen. Die Diasporamitglieder sollten lernen, einen echten br!derischenAlltag zu f!hren. Trotz des von der Herrnhuter Leitung respektierten Isola-tionsbed!rfnisses zielte die Betreuung der Fl!chtlinge immer auch darauf ab,Flucht und Vertreibung zu akzeptieren. Wohl erinnerten Fl!chtlingstreffenund Rundbriefe an die alte Heimat – aber nirgends finden sich revanchistischeTçne. Die Herrnhuter Vertriebenen scheinen in der Mehrheit schon Ende dervierziger Jahre gelernt zu haben, mit dem Verlust der alten Heimat zu leben.Daf!r wiederum war die theologische Interpretation der Geschichte ent-scheidend: das harte Schicksal als eine Strafe Gottes, die der Fromme mitGeduld zu tragen habe.240

Wichtig f!r den Erhalt paralleler Fl!chtlings-Strukturen waren die vonMeyer organisierten monatlichen Treffen, Gemeinschaftstage und Fl!cht-lings-R!stzeiten.241 Die Mitgliederzahl der Fl!chtlingsgemeine in Berlinwuchs. 1953 z"hlte Heinrich Meyer in und um Berlin 1200 Diasporage-schwister an 544 verschiedenen Orten mit 939 Anschriften.242 Bereits ab Endeder vierziger Jahre betreuten Meyer und Bellack in Neukçlln auch herrnhu-tische „Zonenfl!chtlinge“. Das Fl!chtlingsamt undMeyers kleineWohnung in

238 Vgl. etwa die „Gemeinde Gottes“, eine als Freikirche getarnte Landsmannschaft aus ukraini-schen Wolhynien, Bericht des Bezirks Leipzig, Bundesarchiv DO 1/100, 183/2, Blatt 165.

239 Anschriften-Verzeichnis, Stand, 1. 1.1948,MAB 99GI, Letters of Thanks; 35. Sitzungsbericht derDUD Herrnhut, 13. 9.1946, UA DEBU 1; Bericht der deutschen Unit"ts-Direktion, Distrikts-synode Ost, 1947, S. 5, MAB 103HI, Baudert; Rundbriefe „An die nach Westdeutschland ge-fl!chtetenMitglieder der Herrnhuter Diasporagemeinschaften imOsten“, UANB IX 165; Briefein UA DEBU 985; Rundbrief „An die nach Westdeutschland gefl!chteten Mitglieder derHerrnhuter Diasporagemeinschaften im Osten“, UA NB IX 165.

240 Vgl. die Rundbriefe in UA NB IX 165.241 Heimatbrief des Umsiedlerdiensts der Evang. Br!dergemeine, S. 10, UANB IX 165; H. Meyer an

K. G. Hamilton, 10.4.53 und 9.9.53, MAB 113 F I, Germany : Meyer; Arbeitsbericht der Uni-t"tsdirektion Bad Boll, 4. 4.1946, UA DEBU 1; Meyer an K. G. Hamilton, 7. 12.1954, MAB 113FI,Germany : Meyer; G"nther, Zerstreuung und Sammlung, S. 98.

242 G"nther, Zerstreuung und Sammlung, S. 98.

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Westberlin wurden f!r sie eine erste Anlaufstelle.243 Die „Zonenfl!chtlinge“aus der DDR reihten sich in die alte Fl!chtlingsgemeine ein und besuchten ihreTreffen und Gottesdienste in Neukçlln.244

Die br!derischen Fl!chtlinge konnten sich nach den Anfangsschwierig-keiten relativ problemlos in die Ortsgemeinen integrieren – anders als vieleVertriebene im l"ndlichen Gebiet. Insbesondere Fl!chtlinge aus Schlesien unddem Sudetenland fanden in derMuttergemeine Herrnhut eine neue Heimat.245

Sie arbeiteten in br!derischen Betrieben, waren in die Hilfsg!terverteilungaus demAusland und in das Sozialleben einbezogen.246 Unter den Fl!chtlingenin Herrnhut registrierten die Behçrden 1948 einen sechsj"hrigen Jungen:Klaus Biedermann – er w!rde sp"ter ein Direktionsmitglied der Br!derge-meine in der DDR werden.247 Und in Gnadau war der Teenager Theodor Gillaus Schlesien untergekommen, der sp"ter Bischof im Distrikt Ost werdensollte. In den Ortsgemeinen zeigte sich allerdings, wie der Unterschied zwi-schen Vollmitgliedern und Diasporamitgliedern trotz gegenteiliger Beteue-rungen weiter tradiert wurde, auch wenn insgesamt nur wenige Diaspora-mitglieder in Ortsgemeinen Zuflucht gefunden hatten. W"hrend die vertrie-benen Vollmitglieder aus dem gleichen Milieu wie die Bewohner der Ortsge-meine kamen und dort oft Verwandte hatten, machte der meist b"uerlicheHintergrund der Diasporamitglieder eine Eingliederung in die b!rgerlichenOrtsgemeinen fast unmçglich.248 Heinrich Meyer klagte bitter !ber das tra-ditionelle Distinktionsbed!rfnis der Unit"t gegen!ber den „Diasporage-schwistern“.249 Die Integration der Diasporamitglieder !ber das BerlinerModell einer eigenen Gemeine erwies sich als praktikabler. Noch schwierigergestaltete sich die Situation in Ortsgemeinen f!r Fl!chtlinge, die gar nicht zurBr!dergemeine gehçrten. Um ihre Isolation zu !berwinden, schlossen sichviele von ihnen der Freikirche an, teilweise gewiss auch, um von den Hilfs-g!tern aus dem Ausland etwas abzubekommen.250 Die Integration solcherVertriebenen war gerade auch im Osten Deutschlands eine Ursache f!r Ver-

243 G"nther, Zerstreuung und Sammlung, S. 98; Neue Zeit, 17.5. 1951; Mitteilungen von Motel ausdemDistrikt Herrnhut !ber Reise, 16.–25.2. 1962, UA EFUD 656; H.Meyer an F. P. Stocker, 25.3.1949,MAB104FI,Meyer, Heinrich; H.Meyer anK.G.Hamilton, 21.10.55,MAB113FI, Germany :Heinrich Meyer; G. und H. Meyer an Tante Hannel, o.A., ca. 1949, UA DEBU 659; vgl. zurSituation der DDR-Fl!chtlinge „Das ,Haus der offenen T!r’ in der Ullsteinstraße von Berlin-Tempelhof“, 1/1954, %RK 425.3.047.

244 #bersetzung der US-Gemeine, Brief von G. und H. Meyer an Central Moravian Church, 20.4.1956, MAB 114DI, Germany, West 1951-55-58-59.

245 Hickel, Geschichte der Diakonie, S. 157.246 Aktenvermerk von Vogt, 11.5. 1955, BArch, DO 4/342; vgl. zur Integration der Fl!chtlinge

Schwartz, Vertreibung und Vergangenheitspolitik, S. 179–181; Bauerk!mper, Sozialgeschichte,S. 96; Unit"t, i. A. Uellner, an Landesregierung Sachsen, 8.1.49, UA DEBU 81.

247 Umsiedlerz"hlung, 15.1. 1948, HstA Drd. 11420/601.248 Schiewe, Br!dergemeine in Polen, S. 67 f.249 H. Meyer an Th. Gill, 26.11.1957, UA DEBU 610.250 K"chler, Herrnhut –Nest –Weltstadt, S. 13; vgl. auch die Eintrittsgesuche in Ebersdorf, vierziger

Jahre, Gemeinarchiv Ebersdorf, zu $R I R 4,3.

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schiebungen innerhalb der Sozialstruktur. Ihre Aufnahme in die Ortsgemeinewog umso schwerer, als Akademiker zunehmend in den Westen flohen.251

Doch die Verachtung f!r die Diasporageschwister sollte sich abschw"chen,und der Begriff der Diaspora f!llte sich mit neuer Bedeutung. Denn dieOrtsgemeine verlor dramatisch an Bedeutung. Anfang des 20. Jahrhundertshatten noch rund 85 Prozent der Mitglieder in dieser Gemeinschaft gelebt.252

Anfang der siebziger Jahre w!rde dann die H"lfte der DDR-Herrnhuter in derDiaspora leben, also außerhalb der Ortsgemeine. Der Altersdurchschnitt wardort noch unter vierzig und damit wesentlich niedriger als in den br!deri-schen Kommunen. Junge Menschen und Familien mussten oft berufsbedingtaus den Ortsgemeinen wegziehen – wenn sie nicht gleich in den Westen flo-hen.253 Umso wichtiger wurde die Diasporaarbeit, die sich allm"hlich mit derArbeit f!r die ausw"rtig wohnenden Vollmitglieder vermischte. Bereits 1947hatte die Synode f!r diese neue Situation „Gemeinbereiche“ rund um jedeOrtsgemeine eingef!hrt, zu der die Gemeinmitglieder in der Umgegend ge-rechnet wurden.254 Zwar gehçrten diese außerhalb der Ortsgemeine Lebendenin der Regel in Doppelmitgliedschaft zur jeweiligen Landeskirche, wurden nursporadisch von br!derischenGeistlichen betreut und behielten denAnschluss!ber spezielle Feste und Rundbriefe. Dennoch blieben die Prediger in dern"chsten Ortsgemeine f!r sie zust"ndig. Diese mussten daher zus"tzlich zuihrem Pfarramt große Gebiete versorgen, wie der Ebersdorfer Pfarrer in densp"ten vierziger Jahren die Gegend um sein th!ringisches Dorf, das Vogtlandund das Erzgebirge. Bis in die f!nfziger Jahre legten die Prediger die weitenStrecken zu Fuß, mit dem Fahrrad und – falls es solche gab – mit çffentlichenVerkehrsmitteln zur!ck. Neben den Predigern in den Ortsgemeinen gab esDiasporaarbeiter bzw. Reiseprediger. Ein Diasporaarbeiter z"hlte f!r das Jahr1956 folgende Dienste auf: regelm"ßig Bibelstunden in 35 Orten, !ber 100Orte ein- oder zweimal besucht, 466 Bibelstunden, 164 landeskirchlicheGottesdienste, 35 Missionsvortr"ge, 55 Evangelisationsdienste, 1000 Haus-besuche; insgesamt habe er 25 000 Hçrer erreicht. In anderen Jahren erreichteer rund 40 000 Hçrer.255 Die Br!dergemeine arbeitete in der Diaspora und denGemeinbereichen stets mit den Landeskirchen zusammen, aber auch wie imErzgebirge mit pietistischen Kreisen, die sich selbst eng an die Landeskirchenhielten.256 H"ufig !bernahmen herrnhutische Theologen landeskirchlichePredigtdienste. Um die Gemeinschaft zwischen Diaspora und Ortsgemeinen

251 Vgl. Dazu auch Graf, Theologie und Kirchenpolitik, S. 300.252 Gill, Freikirche in der Landeskirche, S. 13; Sitzungsbericht der DUD, 22.1. 1946, UA DEBU 2.253 Rundbrief „An die Geschwister in den Gemeinbereichen“, Dezember 1971, UA EFUD 658;

Lebenslauf J. Vogt, S. 13.254 Sitzungsbericht Predigerkonferenz, 17.–20.9. 1947, S. 16, UA DEBU 1367.255 Gebetsrundbrief von E. Haupt, M"rz 1957, UA EFUD 695; Bericht Distrikt Ost, S. 11, UA EFUD

659.256 Bericht Distrikt Ost, S. 11, UA EFUD 659; Gebetsrundbrief von E. Haupt, M"rz 1957, UA EFUD

695.

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zu festigen, installierte die Br!dergemeine Feste und Riten: Diasporatage,Gemeintage, Rundbriefe und spezielle R!stzeiten. Zu den Festen kamen bis zu600Menschen. Gemeinsame Liebes- und Abendmahle st"rkten das Gef!hl derEinheit.257 Dank der Diasporaarbeit spann sich !ber die ganze DDR ein feinesNetz von br!derischen Konventikeln. Nicht nur diese çkumenische Gemein-schaft sahen die Herrnhuter dabei als Chance, auch die missionarischenMçglichkeiten der Diasporaarbeit wollten sie nutzen.258 Die Herrnhuterlernten hier ganz neu Diaspora und Landeskirche sch"tzen, die sie bishervielmals etwas absch"tzig gemustert hatten.259 Diaspora stand f!r die neueSituation: Statt als angesehene Elite mussten die meisten Herrnhuter nun oftals „heimatlose“, unbedeutende Minderheit leben.

Die Frçmmigkeitspraxis erwies sich f!r die Integration als entscheidend:Die Gottesdienst- und Konventikelformen waren f!r Fl!chtlinge die gleichenin der neuen wie in der alten Heimat, die Liturgie, die bekannten Lieder unddie Feste und die seelsorgerliche Betreuung gaben ihnenHalt. Daneben spielteauch hier die Theologie eine wesentliche Rolle bei der psychologischen Ver-arbeitung. Im br!derischen kollektiven Ged"chtnis bot sich als Erkl"rung undSinngebung der Flucht die Pilgerschaft an. Das Motiv der Wanderschaft aufGottes Ruf hin ist tief in der j!dischen und christlichen Religion verwurzelt.Mit dem Auszug aus $gypten konstituierte Israel seine Auserw"hltheit undbegann den Weg durch die W!ste zum verheißenen Land.260 Im Neuen Tes-tament wird der Akzent auf das Jenseits gelegt: Der Christ ist „Fremdling undPilger“ (1. Petrus 2, 11), fern der himmlischen Heimat, auf die er sehns!chtigzuwandert (2. Korinther 5, 1–10). Die Uminterpretation der alttestamenta-rischenHeilsgeschichte als Bild der Geschichte Gottesmit der Kirche pr"gt diechristliche Exegese insgesamt, doch die spiegelbildliche #bertragung ins ei-gene Leben ist kennzeichnend f!r den Pietismus. Bei den Herrnhutern kris-tallisierte sich dabei vieles um den Auserw"hltheitsgedanken des Volkes Is-rael.261 Unter dem Deutungsmuster der Pilgerschaft lassen sich bei der Br!-dergemeine in der Nachkriegszeit vor allem drei Schwerpunkte erkennen, diebr!derische Theologen und Laien in Ost und West gleichermaßen hervor-hoben: erstens die R!ckbindung an die Geschichte der Br!der-Unit"t, zwei-

257 Rundbriefe „An die Geschwister in den Gemeinbereichen“, z.B. UA EFUD 657; Aktennotiz vonH. Hickel !ber Oderbruch-Reise mit Br. G. Hartmann, 23.6. 1964, UA DEBU 610; E. Fçrster Th.Gill, 14.1. 1961, UA DEBU 663; Unterlagen, f!nfziger Jahre, UA DEBU 1053.

258 Unterlagen, 1957–1961, in UA DEBU 610.259 W. Erbe an Th. Gill, 26.11.1957, UA DEBU 610; vgl. zur Spannung zwischen Ortsgemeinen und

Diaspora Civitas Praesens, Nr. 3, 4 u. 11; G!nther, Zerstreuung und Sammlung, S. 99.260 Vgl. Assmann, Kulturelles Ged"chtnis, S. 196–201 et passim.261 Die Idee der Pilgerschaft ist im Protestantismus weniger wichtig als im Katholizismus, sie

gewann aber im Pietismus an Bedeutung. In den protestantisch gepr"gten Lexika „Theologi-schen Realenzyklop"die“ (1977–2004) und „Religion in Geschichte und Gegenwart“ (1998–2005) ist unter „Pilger“ oder verwandten Wçrtern kein Eintrag – im Gegensatz zum katholi-schen „Lexikon f!r Theologie und Kirche“ (1993–2001).

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tens der Verweis auf das Ziel im Jenseits, drittens schließlich Pilgerschaft alsMetapher f!r ein dynamisches, flexibles Leben im Dienst Gottes.

Zun"chst zur historischen Parallele. Die Pilgerschaft war im 18. Jahrhun-dert Bestandteil der br!derischen, auf Mission konzentrierten Identit"t.„[W]ir, die wir wieder wie unsere V"ter auf die Wanderschaft geschickt sind“,beschrieb die Direktion um 1950 die eigene Situation.262 Im Osten wie imWesten kamen die Herrnhuter wie selbstverst"ndlich auf die Zusammen-h"nge: die Flucht Israels aus $gypten, die Flucht der „V"ter“ aus M"hren, dieWanderschaft der Gemeine zu Zinzendorfs Zeiten – und nun die Flucht ausdem Osten.263 Mit dieser Genealogie der Pilgerschaft ließ sich auch die Aus-erw"hltheit neu best"tigen. Tradition band die Erfahrung in das Kontinuumaus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ein.264 Dadurch f!llte sich dasGeschehen mit Sinn.

Der Begriff der Pilgerschaft ist im Pietismus vor allem unter dem zweitenPunkt, Pilgerschaft als Jenseits-Orientierung, wichtig geworden. Zinzendorfhatte !ber seinem Schloss in Berthelsdorf die Verse anbringen lassen: „Wirsind hier unten fremde G"ste, / drum ist dies Haus nicht schçn noch feste. / Einun,wir haben noch einHaus / imHimmel, das sieht anders aus.“265 Das Lebenals „Pilgergang“ blieb in der Gemeine auch im 20. Jahrhundert ein g"ngigerTopos. Interpretierte in der NS-Zeit mancher Herrnhuter Deutschland als dasPilgerziel, so stand nun wieder das transzendente „Land der Gnade“ imZentrum.266 Die Direktion inHerrnhut erinnerte 1946 die Fl!chtlinge in einemRundbrief an diese himmlische Heimat: „Wir haben hier keine bleibendeStadt, sondern die zuk!nftige suchen wir“ (Hebr"er 13, 14). Mit Blick auf dasJenseits hieß es in dem Schreiben: „Wir haben eine Zukunft!“267 Oft wurde dieFlucht, ganz "hnlichwie das Kriegsende, als besondereGnade gesehen, weil sieneu zum Glauben f!hre.268 In einem Rundbrief schrieb Meyer an die Fl!cht-linge: „Wir sind arm geworden. Man sieht es an unserer Kleidung […]. Nochschmerzlicher f!hlen wir, wie ungern man uns sieht, wie wir !berall als Last

262 Weihnachtsgruß von der EFBU, Bad Boll, o.D., um 1950, UA NB IX 165.263 Vgl. z.B. Rundschreiben derDUDHerrnhut 4/46, „Die Pilgergemeine“, 30.4.1946, UADEBU49;

Brief H. Renkewitz an br!derische Jugend, 24.7. 1955, UA DEBU 661; Rundbrief G. Reichel anGeschwister, 3.7. 1946, UA NB IX 165; „Vom neuen Lied”, in: Br!derbote, 13. 8.1949; Heimat-brief vom Umsiedlerdienst der Evang. Br!dergemeine, S. 3, vgl. auch im gleichen Brief S. 10,wohl 1946, UA NB IX 165.

264 Vgl. dazu Giddens, S. 53.265 Vgl. Lebenslauf Magdalena K!cherer, S. 13; vgl. auch Rundbrief G. u. H. Meyer, 1/1960, Ge-

meinarchiv Neukçlln BI g2.266 Heimatbrief zur Weihnacht 1950, S. 8, UA NB IX 165; vgl. Morgenstern, S. 437; Lebensl"ufe

Dorothea Kuhnt, S. 1, Magdalena K!cherer, S. 13, Theodor Marx; vgl. auch D. Schiewe an dieGemeine Berlin II zum Erinnerungsgottesdienst, 24.9.2006, Gemeinarchiv Berlin II.

267 Heimatbrief vom Umsiedlerdienst der Evang. Br!dergemeine, S. 3, wohl 1946, UA NB IX 165.268 Vgl. Report, 25.6. 1945, S. 14, MAB 104FI, Meyer Heinrich; ganz "hnlich Brief H. Meyer, 14.5.

1947, MAB 99GI, Letters of Thanks; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 228, UA NachlassUttendçrfer.

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empfunden werden.“ Doch dann verwies Meyer auf den wahren Reichtum:„Wir sind reich geworden, liebe Geschwister, weil wir denHeiland ganz anderskennen gelernt haben.“269 Die Flucht wurde zum „Gnadenweg“. Die Neuer-findung der Tradition war auch hier auf eine neue christozentrische Frçm-migkeit gerichtet.

Drittens war die Pilger-Idee Antrieb f!r ein mobiles Leben. W"hrend im18. Jahrhundert die Pilgerschaft f!r die ganze Gemeine konkret ein heimat-loses Leben bedeutet und Zinzendorf den regelm"ßigen Wechsel der Be-wohnerschaft in den Ortsgemeinen f!r dienlich gehalten hatte, professiona-lisierte sich die Pilgerschaft im 19. Jahrhundert und wurde nunmehr !ber-wiegend von Missions- und Diasporaarbeitern ausgef!hrt.270 Nach 1945 er-wachte das Wissen um die Heimatlosigkeit im Diesseits neu, nicht nur alsMetapher, sondern als dynamische Lebensform. Die Flucht wurde als Chancegesehen, als Aufbruch und R!ckkehr zu altem Glauben. Die Direktion erin-nerte in einem Rundbrief an das Bibelwort vom Salz, das ohne Kraft wertlosund zertreten werde: „Eine Br!dergemeine aber,“ so die Direktion, „die alsaktive Pilgergemeine sich imDienst f!r ihrenHerrn und$ltesten verzehrt,mitden F!ßen auf der Erde steht, das Herz nach oben gerichtet, hat noch eineZukunft.“271 Zuletzt ermçglichte das Pilgermotiv der Gemeine, mit der vçlli-genUmstrukturierung derUnit"t umzugehen, dawegen der vielen Fl!chtlingedie Mehrheit der Mitglieder nicht mehr in der Ortsgemeine lebte, sondern inder Diaspora. Diaspora galt nunmehr als besonderer Ausdruck der Pilger-schaft, da sie die Heimatlosigkeit symbolisierte.272

Zur Inkarnation des br!derischen Pilgergedankens wurde in West-deutschland die Errichtung des Ortes Neu-Gnadenfeld mitten im Moor beiHannover : Wie die V"ter gr!ndeten hier Diasporageschwister als Fl!chtendeeine neue Siedlung. Diese Vertriebenen waren neben den Warthe- und Net-zebruchgeschwistern die einzige grçßere Diaspora-Gruppe, die geschlossender Br!dergemeine erhalten blieb. Der Name Neu-Gnadenfeld r!hrte von deralten schlesischen Siedlung Gnadenfeld, zugleich aber war der Name theolo-gisches Programm und Metapher f!r das Pilgerziel : Ort der Gnade Gottes.Hier wurde eine neue, heilige Topographie begr!ndet. Damit sie wirksamwurde, geschah die Gr!ndung in mçglichst alten Formen: Als Gr!ndungstagim Jahre 1946 w"hlte die Gemeine den 13. August. An ihm wurden 258 Dia-sporamitglieder als feste Gemein- und als Gr!ndungsmitglieder Neu-Gna-denfelds aufgenommen, die Gemeine als Ortsgemeine anerkannt.273 AlleMitglieder mussten sich vor der Aufnahme einer geistlichen Pr!fung unter-ziehen. Bischof Shawe schw"rmte in einem Brief an die Gemeinen in den USA

269 Heimatbrief vom Umsiedlerdienst der Evang. Br!dergemeine, S. 3 f. , wohl 1946, UA NB IX 165.270 Mettele, Wanderer, S. 55, 59 u. 61.271 Rundschreiben der DUD Herrnhut 4/46, „Die Pilgergemeine“, 30.4. 1946, UA DEBU 49.272 Sitzungsbericht der DUD, 22. 1.1946, UA DEBU 2.273 Rundschreiben der DUD 9/46, 23.9.1946, UA NB IX 165.

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und in Schweden vom „truly Moravian Style“, der dort herrsche.274 DieHerrnhuter Frçmmigkeitspraxis und Festkultur breitete sich hier inmitten desMoors in aller Vielfalt aus und wurde streng eingehalten: morgendliches Lo-sungslesen, Liebesmahle, Bibelstunden, Predigtversammlungen, Chorle-ben.275 Die Grunds"tze der Br!der und Schwestern von Neu-Gnadenfeldgriffen den Gedanken der Pilgerschaft auf: „Durch unsere Vertreibung aus derirdischen Heimat ist uns aufs Neue bewusst geworden, dass wir noch inschlimmerer Weise Vertriebene sind, Vertriebene aus der himmlischen Hei-mat, aus dem Paradies.“ Dadurch h"tten sie neu glauben gelernt. „Wie unsereV"ter“, hieß es in den Grunds"tzen weiter, „die auch aus der irdischen HeimatVertriebene waren, mçchten auch wir in unserer Lage heute bezeugen […],Himmelan geht unsere Bahn, wir sind G"ste nur auf Erden’.“276 Die Vertrçs-tung auf die jenseitige Heimat war Antrieb zum dynamischen Leben imDiesseits. Maßgeblich beteiligt an der Gr!ndung war Bischof HermannSteinberg, der Volkssturmmann, der bei Kriegsende Herrnhut zur Verteidi-gung vorbereitet hatte.277

Die Kolonie, die im Niemandsland in den Baracken eines ehemaligenKriegsgefangenenlagers unter schwersten Bedingungen von den Vertriebenengebaut wurde, begeisterte die Christen weltweit. Die Moraven in Amerikaspendeten großz!gig und ließen sich detailliert !ber das Projekt informie-ren.278 Auch die Hauptamtlichen im Genfer Weltkirchenrat waren fasziniert.Gemeinsam mit dem Fl!chtlingskommissariat der Vereinten Nationen fçr-derte der %RK das Projekt nach Kr"ften, wof!r unter anderem Gelder desbundesrepublikanischen Lastenausgleichs und von der US-amerikanischenFord Foundation zur Verf!gung standen.279 Der Br!dergemeine aber galt Neu-Gnadenfeld als Beweis f!r die Lebendigkeit ihrer Tradition und damit f!r ihreExistenzberechtigung. Sie hatte damit eine Strahlkraft, die auch f!r die Ge-meine im Osten wichtig und ermutigend war.280

274 C. H. Shawe an G. Adami, Kopie F. P. Stocker, 18.9. 1946, MAB 100FI, Unity General Diretory.275 Rundschreiben der DUD 9/46, 23.9.1946, UA NB IX 165.276 Grunds"tze des Br!dergemeinkreises Neu-Gnadenfrei, 17.5. 1947, UA DEBU 29.277 Rundbrief „An die nach Westdeutschland gefl!chteten Mitglieder der Herrnhuter Diaspora-

gemeinschaften im Osten“, UA NB IX 165.278 Vgl. etwa die Unterlagen in MAB 100FI, Unity General Directory.279 Akte Neugnadenfeld, Br!der-Unit"t, %RK 425.3.060; Agreement United Nations High Com-

missioner for Refugees & WCC, 5. 9.1953, %RK 425.3.060.280 Versammlungsplan Juni 1955, Neukçlln, Archiv Br!dergemeineNeukçlln BI g1; H.Meyer an Th.

Gill, 26.11.1957, UA DEBU 610.

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4 Die Obrigkeit als Feind. SBZ und f!nfziger Jahre

4.1 Neue Demut und alte Auserw"hltheit.Gesellschaftliches Engagement in den Nachkriegsjahren

In den Mitteilungsbl"ttern und Rundbriefen der Herrnhuter wird deutlich,wie sehr die Ereignisse um 1945 das Selbstverst"ndnis der Br!der-Unit"t er-sch!tterten. War Herrnhut auserw"hlt? Hatten nicht die Schuld, wenn auchnur vage empfunden, ebenso wie die Zerstçrungen des Krieges das kulturelleGed"chtnis L!gen gestraft? Was berechtigte die Gemeine noch zu der An-nahme, ein „Orden“ der Christenheit zu sein, wie sie sich selbst gerne be-zeichnete?Wenn die Unit"t der Gesellschaft keinen „Dienst“ mehr bot, konntesie ebenso gut in den Landeskirchen aufgehen; das stellte eine Option dar, dief!hrende Herrnhuter immer wieder diskutierten, zumal sich die Br!derge-meine von den Kirchen theologisch kaum absetzte.1 Diese Verpflichtung zum„Dienst“ unterschied die Unit"t von einer Glaubensgemeinschaft wie etwa denZeugen Jehovas, die sich allein durch ihre theologischen Lehren ausreichendals distinkte Kirche legitimiert sah – und die damit in der Lage war, sich wennnçtig in der Illegalit"t zu organisieren.2 Ein „Dienst“ f!r die Gesellschaft je-doch ließ sich nicht in der Illegalit"t realisieren. So konnte eine Kirche wie dieZeugen Jehovas eine Tradition des Widerstandes entwickeln, w"hrend dieUnit"t sich von ihrem b!rgerlichen Selbstverst"ndnis her dazu kaum in derLage sah. Bisher hatte sich die Sonderrolle der Unitas Fratrum in der pro-testantischen Welt auf zwei !beraus angesehene „Dienste“ begr!ndet: dieMissions- und die Erziehungsarbeit. Beide gew"hrten ein Hçchstmaß an ge-sellschaftlichem Ansehen und Einfluss. Die Frage von Diskontinuit"t oderKontinuit"t nach 1945 zeigt sich daher bei den Herrnhutern besonders in derSuche nach gesellschaftlichen Aufgaben und damit auch in ihrem Verh"ltniszur Obrigkeit.

4.1.1 Sozialistische Repressionen und fromme Loyalit"tsbem!hungen

W"hrend f!r viele Amerikaner die Kirchen ein wesentliches Mittel zumAufbau einer neuen Gesellschaft in Deutschland waren, hielten die Macht-haber in der SBZ das Ende dieser Institutionen f!r eine Voraussetzung ihresgesellschaftlichen Ideals. Gleichwohl l"sst sich bei ihnen keine klare kir-

1 Unterlagen in MAB 103 C II, 1945; Unterlagen in UA DEBU 803.2 Vgl. zu den Zeugen Jehovas Dirksen ; Besier u. Vollnhals, Repression und Selbstbehauptung.

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chenpolitische Linie ausmachen.3 Die deutschen Kommunisten zeigten hierklarere Vorstellungen. Im Mai 1945 meinte Walter Ulbricht zwar, mit derbaldigen Erçffnung der Kirchen solle Offenheit demonstriert werden. Doch!ber dieser taktischen Konzilianz stand die Vorgabe, das „gesetzm"ßige“Absterben der Religion nachKr"ften zu fçrdern.4 Jede Toleranz gegen!ber denKirchen diente bis zum Ende der DDR dem Ziel, diese zu bek"mpfen oderzumindest den Zwecken des SED-Staats dienlich zu machen. Auch bei derUnit"t sollte sich zeigen: Es gab kaum eine Reisegenehmigung, kaum einenStaatsempfang, kaum eine Erlaubnis f!r den Oberschulbesuch ohne taktischeErw"gungen.

Die Br!dergemeine, die auch nach 1945 nicht !ber ihre große Staatsn"hereflektiert hatte, versuchte, in ihre Beziehungen zu den Machthabern, Konti-nuit"t zu bringen und verbarg sich in heiklen politischen Fragen hinter denLandeskirchen. Der Verantwortliche in Herrnhut, Johannes Vogt, nunmehrmit dem Attribut „Antifaschist“ versehen, bem!hte sich, die Loyalit"t derBr!dergemeine gegen!ber der Obrigkeit zu betonen.5 Wie schizophren dasLeben in der SBZ und der DDR von Beginn an war, bezeugen die Briefe Vogtsnach Amerika und nach Bad Boll, die er unter dem humorigen Pseudonym„Ernst Frçhlich“ von West-Berlin aus verschickte. Darin klagte er !ber dieZust"nde in der Ostzone und verhehlte nicht, dass hinter der offiziellenLoyalit"t eine tiefe Abneigung gegen die Kommunisten stecke.6 Das Verhal-tensmuster autorit"tsgl"ubiger Untertanen verschaffte der Gemeine die Si-cherheit, nicht f!r illegal erkl"rt zu werden; das war der Unit"tsleitung zu-n"chst die Hauptsache. Kritik an der Obrigkeit gehçrte genauso wenig in denkulturellen Horizont wie Demokratie. Beispielhaft daf!r ist, wie ein f!hrenderHerrnhuter 1945 !bereinstimmend mit Uttendçrfer die Lage einsch"tzte:Kaiser Wilhelm I. und Hindenburg h"tten noch durch ihre FrçmmigkeitAchtung genossen, nunmehr fehle es an solchen „F!hrern“.7 Diese konser-vative Haltung war meist antiwestlich, antidemokratisch und antiliberalkonnotiert – und bot somit Ankn!pfungspunkte f!r die neuen Machthaber.8

3 Naimark, S. 9 u. 467.4 Keiderling, S. 335.5 Notiz D!rninger-Stiftung von Vogt, 10.12.1956, SAPMO-BA DY30 / IV 2/14/250; J. Vogt an

Gocht, 22.4. 1952, UA EFUD 690; Bericht !ber Unterredungmit Direktorium der Br!der-Unit"t,11.1. 1955, SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/51; Gespr"chmit Bischof Vogt, Flint, 5. 5. 1961, BA DO 4 /338.Sp"ter erkl"rte ein CDU-Funktion"r, Vogt sei mit seiner Loyalit"t f!r den gesamten Protes-tantismus vorbildlich gewesen, Gutachten G.Wirth zu C. Ordnungs „250 Jahre Herrnhut“, 6. 12.1971, BA DR 1 / 2432.

6 Briefe J. Vogt, f!nfziger Jahre, UA EFUD 690.7 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 304, UA Nachlass Uttendçrfer.8 Nolte, Vergangenheit, die nicht vergehen will, S. 46; Graf, Traditionsbewahrung; vgl. zur pie-

tistischen antiliberalen Tradition Lehmann, Neupietismus und S"kularisierung, S. 46; vgl. zurHaltung der Br!dergemeine auch Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 304, UA Nachlass Utt-

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Die SMAD zeigte gegen!ber der Direktion eine wohlwollende Haltung. Siekonnte die Gemeine in der Oberlausitz als lokale Ordnungsmacht nutzen.Schließlichwar die Unit"t mit ihren landwirtschaftlichen und handwerklichenUnternehmungen der Hauptarbeitgeber in der Umgebung.9 Gleich nachKriegsende hatte die Gemeine denWiederaufbau in die Hand genommen. Dergreise BischofMarx gr!ndete einen Versorgungsausschuss und rief t"glich dieBewohner zum „Morgensegen“, um danach gemeinsam R"umungsarbeitendurchzuf!hren.10 Ab 1946 konnte die Dampfmaschine von D!rninger Elek-trizit"t ins çffentliche Netz speisen.11 Dieses Engagement war ungewçhnlich,denn in b!rgerlichen Milieus in der SBZ, insbesondere in Unternehmerkrei-sen, !bte man sich – sehr zum Bedauern Ulbrichts – in Zur!ckhaltung undMisstrauen gegen!ber den Kommunisten und ließ die Arbeit zun"chstruhen.12 Die Br!dergemeine sorgte zudem engagiert f!r einen reibungslosen#bergang zu neuen Strukturen: So forderte die Direktion kurz nach derGr!ndung der Volkssolidarit"t 1945 die Gemeinen auf, wie bisher f!r dasnationalsozialistische Winterhilfswerk nun Kollekten f!r den neuen Wohl-fahrtsverband abzuhalten. Die Leitung der Volkssolidarit"t !bernahm inEbersdorf der Gemeinhelfer Burckhardt, in Herrnhut Bischof Marx.13 Diesowjetische Kommandantur wusste das Wirken der Unit"t zu sch"tzen, undintern berichteten die Herrnhuter !ber ein gutes Verh"ltnis zur SMAD, die vielVerst"ndnis f!r die Besonderheit der Unit"t zeige.14 Obgleich es in der Frei-kirche zu den sozialistischen Machthabern keine spontane Zustimmunggeben konnte wie einst zur NSDAP und die konservative Basis dem Staats-sozialismus mit tiefer Abneigung begegnete, "nderte sich das politische Ver-halten der Unit"tsleitung nicht grundlegend.

Die Sozialistische Einheitspartei, die den 1949 gegr!ndeten Staat domi-nierte, war gegen!ber der Br!dergemeine wesentlich feindlicher als dieSMAD. Ihre ideologische Intoleranz und ihr totalit"rer F!hrungsstil f!hrtenzu Auseinandersetzungen mit den Kirchen. Zum sichtbaren Konflikt kam es,als die SED 1952 den Aufbau des Sozialismus beschloss und dabei zum offenenAngriff auf die Kirchen und die christliche Jugendarbeit !berging.15 Grup-

endçrfer ; R!stzeit f!r br!derische Handwerker und Gewerbetreibende, 23.–26.4.1955, UADEBU 627.

9 J. Vogt an S. Baudert, 28.2. 1946, UADEBU28; Aufruf der StadtverwaltungHerrnhut,M"rz 1946,Stadtarchiv Herrnhut, Diverses 1928 bis 1988; Vgl. zur pragmatischen Haltung der SMADinsbesondere in Bezug der Entnazifizierung in Betrieben Steiner, Von Plan zu Plan, S. 43.

10 Steinberg, Das Erleben Herrnhuts seit Mai 1945, S. 2, MAWS ML 116 Davis – J. R. Davis Col-lection.

11 Wenzel, Abraham D!rninger, S. 186 f.12 Schmidt, B!rgerliches Eigentum, S. 115 f.13 Lebenslauf W. Burckhardt, S. 5; Rundschreiben der Direktion, 13.12.1945, UA DEBU 49.14 Bericht „An Account of the Present Condition“, o.A., wohl 1946, S. 6, MAB 103CII, 1946;

Minutes of the Unity Conference 1948, 5th day, MAB 101H; Liste B, betr. Ostzone, II.29, 1947,SynHt 4.

15 Pollack, Von der Mehrheits- zur Minderheitskirche, S. 58.

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pierungen wie die Zeugen Jehovas gerieten durch ihre offenherzige Kritik anden Machthabern in die Illegalit"t.16 Herrnhut konnte sich dank seinerLoyalit"tsbem!hungen in der Legalit"t erhalten, auch wenn das Misstrauender Kommunisten groß war und diesen das abgeschottete Milieu, die Inter-nationalit"t und die engen Verbindungen in den Westen suspekt erschienen.Die Unit"t habe, wie es in einem Stasi-Bericht hieß, Verbindung „mit denreaktion"ren Kreisen der ganzen Welt“.17 Ein br!derischer Predigersohn er-z"hlte !ber diese Zeit in Ebersdorf: „Ich erinnere mich, dass meine Muttermanchmal mit angstverzerrtem Gesicht ins Zimmer gelaufen ist: Ein Motor-rad! Ein Auto hat vor dem Haus gehalten! Das war die Angst, da wird einerverhaftet.“18

Die Kommunisten nutzten die tief sitzenden Ressentiments von HerrnhutsNachbarn, die in alt gewohnter Weise der elit"ren, im l"ndlichen Raum fremdwirkenden Unit"t misstrauisch gegen!ber standen. In den Zeitungen, insbe-sondere der „Lausitzer Rundschau“, erschienen hasserf!llte Artikel gegen dieUnit"t.19 So wirkte sich f!r die Herrnhuter die Stalinisierung und Machtkon-solidierung der SED um 1947/1948 dramatisch aus; sie kennzeichnen dieWende der SBZ-Politik von eher pragmatischen Gesichtspunkten der Besat-zungsmacht zu einem klaren Kurs auf die Diktatur hin. Innenpolitisch ver-lagerten sich in dieser Zeit die Machtzentren weg von den Landesregierungenzur immer m"chtiger werdenden SED, wenngleich die SMAD weiterhin dieF"den in der Hand hielt.20 Hilfreich war der SED auch die Denunziationsbe-reitschaft, die viele Deutsche w"hrend der NS-Zeit erlernt oder intensivierthatten.21 Otto Uttendçrfer notierte imOktober 1945, es liege bei den Behçrdenein „ganze[r] Stoß von Denunziationen von Herrnhut“ vor.22 Selbst die neupositionierten Funktion"re im Kreis sch"mten sich nicht, um des eigenenVorteils Willen zu verleumden.23 In einem der Volkspolizei in Dresden vor-

16 Kaiser, Wechsel von sowjetischer Besatzungspolitik zu sowjetischer Kontrolle?, S. 191; Dirksen ;vgl. zur Rechtsunsicherheit der Gemeine Unterlagen in HStA Drd. 11378, Nr. 294 u. 11394,Nr. 546; S. Baudert an Brethren, 28. 8.1947, MAB 103HI, Baudert.

17 Sachstandsbericht, Abteilung V/4, Dresden, Schulze, 4.4. 1955, BStU MfS HA XX/4–778; vgl.auch Unterlagen, f!nfziger Jahre, BStU Drd. KD Lçbau 18066 u. BStU MfS HA XX/4–778; vgl.auch Beurteilung der amtierenden Pfarrer unseres Kreises, o.A., ca. 1952, Kreisarchiv Lçbau-Zwickau, RdK Lçbau 224.

18 Interview mit Dr. Gerhard Frey, in den Westen gefl!chtetes Gemeinmitglied, Heidelberg, 15.4.2006, S. 6 f.

19 Artikel, insbesondere aus der Lausitzer Rundschau, Ende vierziger Jahre, UA DEBU 1468.20 Malycha ; Wentker, Justiz, S. 225 u. 573–575.21 Vgl. dazu Gellately ; Johnson ; Richter, Hochverratsprozesse als Herrschaftspraxis.22 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 283 u. 304, UA Nachlass Uttendçrfer ; vgl. etwa Th. Ma-

kowski an Landrat Lçbau, 29.6.1945, HStA Drd. 11420, Nr. 53.23 Kreispolizeibeamter Oberseifersdorf an Kriminalpolizei Herrnhut, 12.1. 1945, Stadtarchiv

Herrnhut, 2/51; B!rgermeister Berthelsdorf an Vizepr"sidenten der Landesverwaltung, 24.9.1945,HStADrd. 11378,Nr. 294; vgl. auchUnterlagen inHStADrd. 11378,Nr. 294; Niederschrift!ber die 2. Stizung des Gemeindeausschusses beim Kreistag zu Lçbau, 3. 8. 1951, HStADrd. 11420, Nr. 199.

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liegenden anonymen Denunziationsschreiben !ber Herrnhut hieß es im Au-gust 1948: „Es ist hçchste Zeit, dass in dieses Nest hineingestoßen wird.“24 DieMentalit"t des Spionierens und Verleumdens wurde in der SBZ nach Kr"ftengefçrdert. Schulhof-Plaudereien fanden ebenso Eingang in die Akten undbeeinflussten damit wichtige Entscheidungen wie zwielichtige Anschw"r-zungen. In der Unit"tskonferenz in Bad Boll 1948 berichteten die Mitgliederaus der Ostzone: „The most dangerous thing is local espionage.“ Man lebe ineiner „atmosphere of uncertainty.“25 Wie immer waren die Moraven in denUSA gut informiert. In der#bersetzung eines Briefs aus Berlin, die in den US-Gemeinen kursierte, heißt es 1950 !ber „the Russian Zone“: „the dangerincreases. […] In Herrnhut, too, our members are prepared for anything. […]Every sermon is censored and every letter.“26 Tats"chlich waren Gottesdiensteein beliebtes Bet"tigungsfeld der Spitzel. Den verschiedenen Behçrden lagenzahlreiche Berichte !ber Predigten vor.27

Anfang der f!nfziger Jahre meldete der Rat des Kreises: „In der gesamtenBr!dergemeine wird wie in einem kleinen Kirchenstaat gelebt. Man ver-schließt sich nach außen und orientiert sich ziemlich westlich. In Herrnhut istes sehr schwer, in diese Br!dergemeine hineinzukommen.“28 Und in einemBericht der Staatssicherheit hieß es: Die Herrnhuter „leben in ihren Ort-schaften streng abgesondert, so dass es f!r die staatlichen Organe sehrschwierig ist, dort zu arbeiten.“29 Zweifellos ein unhaltbarer Zustand f!r dieMachthaber. Sp"testens 1951 begannen die Sicherheitsdienste die telefonischeObservation in Herrnhut. Unter 41 !berwachten Verbindungen befanden sichnicht nur Unit"ts-Betriebe, die Unit"tsleitung, Schwestern- und Br!derhaus,einschl"gige Staatsfeinde wie Merian und kirchliche Mitarbeiter wie Vogt,sondern auch kommunale Einrichtungen wie das Krankenhaus und eineVielzahl privater Betriebe auch von Nicht-Herrnhutern.30 Im gleichen Jahrhoffte die Staatssicherheit mit Hellmut Winter, einem Sohn des br!derischenDruckereibesitzers Gustav Winters, einen erstklassigen Spitzel gefunden zuhaben, der !ber seinen Vater Einblick in die hçheren Kreise der Unit"t habenm!sse. Bisher hatte der Geheimdienst nur wenige zwielichtige Mitarbeiter inbr!derischen Betrieben rekrutiert, die sich zwar eifrig um Denunziationenbem!hten, jedoch keinen Zugang zu Entscheidungstr"gern hatten. Hellmut

24 Brief an Genosse Karl, 3. 8. 1948, o.A., HStA Drd. 11378, Nr. 294.25 Minutes of theUnity Conference held at BadBoll from Juni 25th, 1948, 5th day, S. 17,MAB101H–

Unity Conference 1948 – P.E.C. Pending Business.26 Translation of letter, H. Meyer an F. P. Stocker, 5. 5. 1950, MAB194FI, Meyer, Heinrich.27 Vgl. die Berichte in HStA Drd. 11430, Nr. 6286; Hauptverwaltung DVP an Ministerium des

Innern, Staatssekret"r Warnke, 27.11.1950, BA DO 4/740.28 Beurteilung der amtierenden Pfarrer unseres Kreises, o.A., ca. 1952, Kreisarchiv Lçbau-Zwi-

ckau, RdK Lçbau 224.29 MfS-Bericht, Berlin HA II, Abteilung 7.7.11.1955, BStU MfS HA XX/4–778, S. 154.30 Landesbehçrde der VP Sachsen, 6. 2.1951, HStA Drd. 11378, Nr. 294; vgl. auch die anderen

Unterlagen in der Akte; Bericht der Landesbehçrde der VP Sachsen, 27.4. 1951, MfS HA XX/4–778, S. 138.

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Winter nun, Vater dreier Kinder, kam wegen der Verwendung von Altpapiermit „milit"rischem Emblem“ in Haft – angesichts des Papiermangels einkonstruierter Vorwurf. Ohne Benachrichtigung seiner Familie verschwand erund wurde aufgefordert, die Unit"t und die CDU-Ortsgruppe, deren Mitglieder war, auszuspionieren. Winter stimmte zu, wurde freigelassen, weigerte sichaber konsequent, Informationen zu liefern, worauf die Stasi nach einem Jahrden Kontakt wieder abbrach.31 Nachdem 1955 das Zentralkomitee der SEDmitzahlreichen Maßnahmen ihre Kirchenpolitik versch"rft hatte, entwarf Endedes Jahres die Staatssicherheit einen Plan, um endlich auch „in Herrnhut Fuß[zu] fassen“ und die „ohne Zweifel begangene Feindt"tigkeit“ der Herrnhuter„zu entlarven.“32 Dennoch schlugen in den f!nfziger Jahren alle Versuche desStaates fehl, die Br!dergemeine zu unterwandern.33 Erst sp"ter sollte es derStaatssicherheit gelingen, einige hochrangige Mitarbeiter zu einer Zusam-menarbeit zu bewegen. Sie blieben aber eine Ausnahme im insgesamt Stasi-resistenten Milieu der Br!dergemeine.

Neben der Spionage hatte die Diktatur zahlreiche andere Mittel der Ein-sch!chterung wie Verbot und Auflçsung von Veranstaltungen, Entzug vonDruckerlaubnissen oder Ein- und Ausreisegenehmigungen. Als eines derwirksamsten Repressionsinstrumente, dem auch Hellmut Winter zum Opfergefallen war, erwies sich das „Verschwindenlassen“ unliebsamer B!rger, d.h.Verhaftungen ohne die Informierung der Angehçrigen und ohne Ankla-ge. 1946 war bereits in Kleinwelka ein Bruder ohne Angabe von Gr!nden vonder SMAD verhaftet und nach einigen Wochen wieder „als gebrochenerMann“ entlassen worden.34 Ger!chteweise hçrte man von den grausamenHaftbedindgungen in den „Speziallagern“ der Sowjets – meist ehemalige KZder Nationalsozialisten. Zwei F"lle von br!derischen Inhaftierten in diesenLagern sind nachgewiesen. Einer von ihnen, ein Missionarssohn, der noch als17j"hriger eingezogen worden war, saß dort als angebliches „Werwolf“-Mit-glied f!nf Jahre gefangen. Einige Jahre verbrachte er im ehemaligen KZ Bu-chenwald; bei Folterungenwurden ihmdie Z"hne ausgeschlagen.35 Doch dieseWillk!rakte zielten nicht gegen die Br!dergemeine. Systematischer ging dieSED vor. Im Zuge einer grçßeren Verhaftungswelle Ende der vierziger Jahregegen leitendes Personal der kirchlichen Landwirtschaft kamen der Verwalter

31 Minutes of Unity Conference, Bad Boll, Juni 1948, S. 7, MAB 101H, Unity Conference 1948 –P.E.C. Pending Business; Dienststelle Lçbau, 30.8. 1951, BStU BV Drd. AGI 1198/52; vgl. zu denInternationalit"tsvorw!rfen und Stasi-Spitzeln BStU MfS HA XX/4–778.

32 Plan f!r die Weiterbearbeitung der „Deutschen Br!der-Unit"t“ in Herrnhut, HAV/4/C, Her-brich, 10. 12.1955, BStU MfS HA XX/4, 778, S. 191 f. ; vgl. zu den ZK-Maßnahmen Protokoll derSitzung des Politb!ros des ZK am 4.1. 1955, BA SPMODY 30/JIV 2/2/398; vgl. zum 17. Juni auchWilke, „Zweite Staatsgr!ndung“.

33 Lebenslauf W. Merian, S. 2; Bericht Dienststelle Lçbau, 13.1.1956, S. 11, BStU BV Drd. KDLçbau 18066; Maßnahmeplan, o.A., Berlin, 10.2.1956, BStU MfS HA XX/4, 778, S. 187 ff.

34 J. Vogt an H. Renkewitz, 18. 7.1946 u. andere Briefe in der Akte, UA DEBU 28.35 Interview mit Dr. Gerhard Frey, in den Westen geflohenes Gemeinmitglied, Heidelberg, 15.4.

2006, S. 6 f. ; Lebenslauf Helene Bachmann, Gemeinarchiv Ebersdorf.

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der br!derischen G!ter, Wilfried Merian, und seine Sekret"rin ins Gef"ngnis.Der Schweizer Merian war eine wandelnde Provokation, und die Volkspolizeihatte schon lange Informationen und Denunziationen gegen ihn gesammelt.36

Noch in den f!nfziger Jahren hieß es !ber ihn, „seine Verbindungen nach demWesten und dem Ausland […] lassen vermuten, dass er eng mit den kapita-listischen Spionagezentralen zusammen arbeitet.“37 Dank des Einsatzes vonSchweizer Behçrden und der Moravian Church in den USA und England kamMerian im Mai 1949 ohne Verurteilung wieder frei – anders als der Missio-narssohn im Speziallager, der keine F!rsprecher hatte.38 1952 wurde derPrediger Erich Schumann inhaftiert, gegen den die Presse schon lange Stim-mung gesch!rt und !ber den die Hauptverwaltung der Volkspolizei in Berlin1950 dem Innenministerium berichtet hatte: Schumann betreibe mit seinenEvangelisationen „eine raffiniert versteckte Hetze gegen die DDR und die SU“und !be damit besonders „großen Einfluss auf die Jugendlichen“ aus.39 Trotzinternationaler Proteste, sogar von Karl Barth, kam er erst 1953 im Zuge des„Neuen Kurses“ und der Amnestie von rund 30 000 Gefangenen wieder inFreiheit.40 Die 1948 inhaftierte „Emmaus“-Diakonisse Margarete Ribbachmusste gar bis 1954 in Haft bleiben. Ribbach litt unter den damals in der DDR!blichen Haftbedingungen: Hunger, kaum Kontakt mit Angehçrigen, keinHofgang.41 Ein weiterer Bruder in Niesky kam wegen seiner Beteiligung amAufstand vom 17. Juni 1953 hinter Gitter. Mitte der f!nfziger Jahre, als derSED-Staat seinen Kurs erneut versch"rfte, wurden zahlreiche Mitarbeiterverschiedener Kirchen verhaftet. Im Kreis Lçbau murrten die CDU-Mitglie-der : „Jetzt beginnt also der Kirchenkampf“, wie ein CDU-Informationsberichtmeldete.42 Ein 1955 verurteilter Herrnhuter konnte noch rechzeitig mit seinerFamilie in denWesten fliehen.43 1957 berichtete Vogt vonWest-Berlin aus nachAmerika von der Verhaftung eines Bruders in Gnadau.44 Ein Jahr sp"ter, 1958,wurde ein br!derischer Theologe im landeskirchlichen Dienst in Weimar

36 Lebenslauf W. Merian, S. 16; Charakteristik !ber Wilfried Merian, o.A., wohl 1947 u. Brief anGenosse Karl, 3. 8. 1948, o.A., HStA Drd. 11378, Nr. 294; S. Baudert an Geschwister, 21.12.1948u. an Shawe, J. K. Pfohl u. Stocker, 5.1. 1949, MAB 103HI, Baudert; Unterlagen in BStU MfS HAXX/4–778.

37 Sachstandsbericht, Abteilung V/4, Dresden, Schulze, 4. 4. 1955, BStU MfS HA XX/4–778.38 Schweizerische Delegation an W. Merian, 10.7. 1950 und andere Akten in BStU MfS HA XX/4

778, S. 2.39 Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei, HA VA an Ministerium des Innern, Staatssekret"r

Warnke, 27.11.1950, BA DO 4/740; „Herr Schumann spricht !ber die Liebe“ von Kurt Benda,Zeitungsartikel, o.A., UA DEBU 973, in der Akte weitere Unterlagen zu Schumann.

40 Briefe in MAB 113FI, Germany, Heinrich Meyer ; Unterlagen in UA EFUD 693; Lebenslauf E.Schumann, S. 2; Sch!fer, Staat und Katholische Kirche, S. 80 f.

41 Neub, Ribbach, S. 305; Lebenslauf M. Ribbach.42 Informationsbericht, CDU KV Lçbau, 1. 11.1957, ACDP III-040-088/1.43 H. Reichel an H. Richter, 17.9. 2005, Unterlagen H. Richter.44 J. Vogt an K. G. Hamilton, 23.10. 1957 u. K. G. Hamilton an J. Vogt, 28.10.1957, MAB 113FI,

Germany East Zone, 45–59; J. Vogt an K. G. Hamilton, 17.12.1957, MAB 104GI, Vogt, Johannes.

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inhaftiert und zu einem Jahr und zwei Monaten Zuchthaus verurteilt.45 DasLandeskirchenamt Sachsen hatte schon Anfang der f!nfziger Jahre vom„Verschwinden“ zahlreicher Menschen berichtet.46 In den achtziger Jahrensollte es dann erneut zur Verhaftung eines Herrnhuters kommen, der denWehrersatzdienst als „Bausoldat“ mit seinem Gewissen nicht vereinbarenkonnte.47 In der Br!der-Unit"t gab es also etwa zehn politisch motivierteHaftstrafen, die nichts mit den Bestrafungenmçglicher NS-Verstrickungen zutun hatten. Doch jeder Fall war ein Einzelfall und richtete sich nicht gegen dieUnit"t als Ganzes; bei Schumanns Verhaftung etwa spielte die Unit"t ebensowenig eine Rolle wie bei der Diakonisse Ribbach. Doch konnte die diszipli-nierende Wirkung dieser Repressionen nicht ausbleiben: Jede Verhaftungsch!rte die Angst und unterdr!ckte denWillen zur freienMeinungs"ußerungoder gar zur Opposition. Es war kein Zufall, dass nur ein Theologe unter denVerhafteten war, der im Dienst der Unit"t stand; und bezeichnenderweise wardieser, Erich Schumann, der Gemeine erst in den vierziger Jahren beigetreten.Es entsprach nicht dem Stil der Gemeine, auf Konfrontationskurs mit derObrigkeit zu gehen.

Die Moraven in den USA ließen sich von West-Berlin oder der Bundesre-publik aus !ber die Verhaftungen berichten und gaben die Informationen anihre Mitglieder f!r das gemeinsame Gebet weiter. Auch die Presse infor-mierten sie mit der gebotenen Vorsicht.48 Die christlich motivierte Hilfe warbei ihnen nach wie vor mit politischem Einsatz verkn!pft. So berichtete etwaAnfang der f!nfziger Jahre das „Time Magazine“ !ber die Verhaftung einesDDR-Herrnhuters, diese diene zusammenmit anderenVerhaftungen demZiel„tightening the screws on German Protestantism“.49 Solche Berichte !btenDruck auf das SED-Regime aus. Anders reagierten viele Protestanten in Eu-ropa. Die niederl"ndische $kumenikerin Hebe Kohlbrugge schrieb, sie habe1950 in einem ostdeutschen Kreis von ehemaligen Widerstandsk"mpfernvorgeschlagen, wie einst zur NS-Zeit f!r die inhaftierten Christen in der DDRzu beten, doch habe ihr nur Unverst"ndnis und Empçrung entgegenge-schlagen.50 Schon zu stalinistischen Zeiten zeigte sich in protestantischenKreisen ein Desinteresse an Menschenrechtsverletzungen in der kommunis-tischen Hemisph"re.

In der schwierigen Zeit der f!nfziger Jahre war f!r die DDR-Herrnhuter dieVerbindung zu den Gemeinen im Ausland eine wichtige St!tze. Insbesonderein denUSA erkannten dieMoraven diese Hilfsbed!rftigkeit und schmuggelten

45 Bernhard, Direktion Bad Boll, an Gemeinhelfer, 13.2. 1958, UA EFUD 692; G. Hasting an D.Mendt, 11. 12.1958, UA DEBU 662.

46 Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsen an Kanzlei der EKD, 19.1. 1952, EVA 4/747.47 Interview mit F. Hasting, ostdt. Gemeinmitglied, Ebersdorf, 6. 12.2005, S. 9, Unterlagen H.

Richter.48 Vgl. etwa Briefe in MAB 113FI, Germany : Heinrich Meyer.49 „Against the Peace“, in: Time 11.11.1951.50 Kohlbrugge, S. 25.

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monatlich zahlreiche Briefe !ber West-Berlin in die DDR.51 Nach eigenemVerst"ndnis bewiesen sie ihre Solidarit"t f!r die DDR-Herrnhuter aber vorallem im Gebet. Dessen Bedeutung kann nicht hoch genug eingesch"tzt wer-den. Das Gebet war integraler Bestandteil des Selbstverst"ndnisses. „Ourspiritual forefathers believed firmly in the power of prayer”, schrieb derVorsitzende der Nordprovinz an die Pastoren. „This is surely one of the ex-planations for the remarkable witness they carried on in so many parts of theworld.”52 Das Gebet war f!r die Herrnhuter in der DDR und auch in #berseeein Ventil, um mit der eigenen Ohnmacht umgehen zu kçnnen: In den Augender Gl"ubigen war es ein Mittel gegen alle Herren der Welt. Einem Gemein-mitglied in Sachsen schrieb Hamilton aus den USA: „We know that God hearsthe prayers of his people. We know that God’s will cannot be defeated.”53 Undeinen Freund in Ohio mahnte der Bischof: „It is sad to think of developmentsin Eastern Germany […]. We must be faithful in prayer for our brethren andsisters and for those who lead them”.54 Die Moraven beteten nicht zuletzt f!rinhaftierte ostdeutsche Kirchenmitglieder.55 Als 1953 Schumann aus der Haftentlassen wurde, schrieb er : „Die vieltausendf"ltige F!rbitte der Christen inOst undWest war eine Schutzwehr, wenn die listigen Anl"ufe des Teufels michbedrohten.“56 Doch diese Internationalit"t heizte das Misstrauen der Staats-funktion"re an. Willi Barth, Leiter der 1954 gegr!ndeten Arbeitsgruppe Kir-chenfragen des ZK, die f!r einen versch"rften Kurs gegen die Kirchen sorgte,informierte Walter Ulbricht: „Wir wissen, dass die Herrnhuter Br!derge-meinde [sic] […] besonders durch ihre sogenannte Missionsarbeit in kolo-nialen und halbkolonialen L"ndern sich zu einem einzigen Agentenhaufenentwickelt hat.“57

Mit den Verhaftungen um 1950 war die Unit"t in den Ruch der Illegalit"tgekommen. Das musste f!r die herrnhutischen Verantwortlichen ein neues,ersch!tterndes Gef!hl gewesen sein: Seit Zinzendorfs Zeiten hatte die Ge-meine nicht mehr dermaßen im Konflikt mit der Obrigkeit gestanden. DieUnit"tsleitung im Osten interpretierte die Situation theologisch und erkl"rte1949 in einem Synodalwort „an die Br!dergemeinen der Ostzone“: „Wir lebenin einer Stunde der Finsternis. Es ist ein unerhçrter Einbruch der satanischenM"chte in die Menschenwelt geschehen. […] Unser gesamtes privates und

51 Vgl. dazu generell K. G. Hamilton an J. Vogt, 14. 11.1951,MAB 113FI, Germany : HeinrichMeyer.52 PEC, J. S. Groenfeldt, an Pastors, Northern Province, 15.9. 1975, MAB 173HII, Various Letters

and Mem.53 K. G. Hamilton an H. Lorenz, Niesky, 4. 4. 1950, MAB 99GI, Letters of Thanks.54 K. G. Hamilton an F. Spring, Dover, Oh, 9. 2.1953, MAB 113FI, Germany : Meyer; vgl. Auch Notiz

von Groenfeldt, o.D., um 1975, MAB 173HII, Various Letters and Mem.55 „Other items of business“; MAB 101H (F. P. Stocker. Boards, Box 10), Unity Conference 1948-

PEC, Pending Business; Briefe in MAB 104FI, Meyer, Heinrich; Briefe in 113FI, Germany EastZone 54–59.

56 Rundbrief von E. Schumann „An einen besonderen Freundeskreis“, 30.12. 1953, MAB 113FI,Germany : Meyer.

57 W. Barth an W. Ulbricht, 29.9. 1954, SAPMO-BA DY 30 IV 2/14/250.

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çffentliches Leben ist diesen zerstçrenden Gewalten ausgeliefert. Es gibt nureinen Damm, der diesen Fluten des Verderbens Widerstand bieten kann: DieGemeinde Jesu Christi auf Erden.“58 In einem Rundschreiben der Direktionhieß es 1954: „Dass die n"chtliche Dunkelheit nach gçttlichem Gesetz immerwieder dem Tageslicht weichen muss, ist uns gewiss. Dass aber die Finsternis[…] jene unheimlichen, furchterregenden Zust"nde und M"chte, die unsreWelt beherrschen, vergehen sollen, will uns oft zweifelhaft erscheinen.“59 EinAufruf zu politischem Engagement waren solche Statements nicht. In denersten Jahren, solange sich die Menschen noch nicht an die unrechtsstaatlicheHerrschaftspraxis gewçhnt hatten, regte sich zwar auch in Herrnhut Wider-stand, doch ging dieser nie von der Unit"tsleitung aus. So verweigerten sichetwa viele Bewohner Herrnhuts der 1947 von der SED initiierten „Volkskon-gressbewegung“, die die Gleichschaltung der Parteien forcierte.60 Die Direk-tion selbst mied – trotz Speziallager und willk!rlichen Verhaftungen –, soweites in ihrer Macht lag, die Konfrontation. Wie schon w"hrend der NS-Zeit ginges der Br!dergemeine haupts"chlich darum, ihre Existenz zu sichern undeiner gesellschaftlichen Aufgabe nachgehen zu kçnnen. Es ist interessant zusehen, wie die Herrnhuter dieses Engagement in einer Gesellschaft aus!bten,die zunehmend dem Individuum Verantwortung abnahm. Die Ambivalenzaber zwischen gesellschaftlichem Engagement und unkritischer Loyalit"tgegen!ber der Obrigkeit speiste sich aus zwei Traditionsstr"ngen: erstens dersozialpaternalistischen Vorstellung von einer Zusammenarbeit der Eliten zumWohle des (unm!ndigen) Volkes; zweitens dem Ideal des „unpolitischen“B!rgers, der sich f!r die Mitmenschen einsetzt, sich lokal engagiert, aber diehçhere Politik als unw!rdiges Gesch"ft anderen !berl"sst.61

Dank ihrer Verpflichtung zu gesellschaftlichem Engagement gelangte dieUnit"t im Osten wie im Westen schnell erneut zu Einfluss. Selbst im Sozia-lismus konnte die Gemeine privilegierte Beziehungen zur Obrigkeit aufbauen;beispielsweise zu Otto Nuschke, dem Vorsitzenden der CDU und stellvertre-tenden Ministerpr"sidenten. Zu der ihm unterstellten „Hauptabteilung Ver-bindung zu denKirchen“, die in dem 1949 gegr!ndeten Staat hauptamtlich f!rdie Religionsgemeinschaften zust"ndig war, hatten die Herrnhuter besondersgute Beziehungen. Die Staatssicherheit erkl"rte dazu: „Selbst bis in die Re-gierung hat die DBU [Deutsche Br!der-Unit"t] Verbindungen. Dabei ist be-sonders erw"hnenswert die Verbindung zu Otto Nuschke, der selbst Herrn-huter ,Bruder’ ist“.62 Die Mitgliedschaft von Nuschke war eine der zahlreichen

58 Distritssynode Ost der DBU 1949, Gemeinarchiv Ebersdorf zu %R I R 9-D.59 Rundschreiben der Direktion an Gemeindiener, 13.12.1954, UA DEBU 50.60 Abschrift aus „Der Funktion"r“, 2/1946, S. 34, HStA Drd. 11378, Nr. 294; vgl. auch Stadtver-

ordnetensitzung, 5. 8. 1949, Stadtarchiv Herrnhut, Protokolle Stadtverordnete 1945–55.61 Vgl. z.B. Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 304, UA Nachlass Uttendçrfer.62 Bericht Entstehung und Entwicklung der Br!der-Unit"t und Br!dergemeinen, Stasi-Dienststelle

Lçbau, 13.1. 1956, BStU BV Dresden KD Lçbau 18066, S. 12; vgl. dazu Vermerk von Gr!nbaum,18.11.1950 u. Gr!nbaum an Landesregierung Sachsen, 6. 6. 1950, BA DO 4/2289; vgl. zur kir-

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Fehlinformationen des 1950 gegr!ndeten Ministeriums f!r Staatssicherheit!ber die Br!dergemeine. SicherereQuellen bezeugen immerhin, dass Nuschkeaus „antifaschistischen“ Zeiten eine Freundschaft zu dem br!derischenDruckereibesitzer Gustav Winter pflegte.63 Wohl auch diesem Umstand hattedie Gemeine zu verdanken, dass Nuschkes Hauptabteilung 80 000 Markstaatlicher Gelder f!r den Wiederaufbau des Kirchensaals zuschoss.64 Auflokaler und Landes-Ebene arbeiteten die Herrnhuter sogar selbst politischmit. Zu dieser lokalen Mitwirkung hatten sich Gemeinmitglieder zu allenZeiten bereit gesehen. So stellte die Unit"t bald wieder den B!rgermeister inHerrnhut und außerdem mit Gottfried Clemens einen CDU-Kreisrat. AufLandesebene in Sachsen saßen Freunde der Br!dergemeine.65 In çkonomi-schen Belangenwandte sich die Gemeine !ber diese Beziehungenmeist direktan Dresden, das Herrnhut tats"chlich bereitwillig mit knappen G!tern wieTreibstoff oder Briketts versorgte.66

Viele Gemeinmitglieder traten in die im Juni 1945 gegr!ndete CDU ein. Siegalt in der Br!dergemeineweitgehend als die f!r Christen angemessene Partei.Gemeinmitglieder in anderen Parteien blieben die Ausnahme, und die weni-gen SED-Genossen gehçrten nicht zur Kerngemeinde.67 Ob das Engagementder Herrnhuter in der christdemokratischen Partei tats"chlich eine Lektionaus der NS-Zeit war, wie einige von ihnen sp"ter erkl"rten, ist fraglich.68 DieCDU hatte vielmehr wie in anderen protestantischenMilieus die Funktion, eingewohnt organisiertes, geordnetes Verh"ltnis zur Macht zu garantieren. F!rVogt sollte die christdemokratische Partei „ruhige und ordentliche Abwick-lung der Gesch"fte“ in Herrnhut ermçglichen.69 Parteiengagement kenn-

chenfreundlichen Rolle der Hauptabteilung Goerner, Behandlung der Kirchenpolitik, S. 139;vgl. zu Nuschke auch Schal"ck.

63 Ordnung, 250 Jahre Herrnhut, S. 38–42.64 Unterlagen 1951–1956, UA DEBU 864. Nuschke selbst war bei der Einweihung dabei, vgl. E.

Fçrster an O. Nuschke, 11.8. 1953, BA DO 4/2289; Hartwig, Persçnlicher Referent Otto Nu-schkes, an Bischof Vogt, 13.7. 1945, BA DO 4/2517; Unterlagen in UA DEBU 864.

65 Protokoll Kreiswohnungsausschuss, 14.4. 1947, KV Lçbau, CDU, HStA Drd. 11420, Nr. 37. S.Baudert an F. P. Stocker, 7. 5. 1948, MAB 113 II, Germany Western District 1946–50; vgl. zu denLandtagswahlen 1946 Hajna, S. 207.

66 Kreisrat Lçbau an Landesregierung Sachsen, Uhle, 28.5. 1948 u. weitere Unterlagen in HStADrd. 11394, Nr. 546; Unterlagen in HStA Drd. 11378, Nr. 294.

67 Unterlagen SED-Ortsgruppe Herrnhut, HStA Drd. 11378, Nr. 294; VP-Landesbehçrde Sachsen-Anhalt an Hauptverwaltung der DVP Berlin, 29.6. 1951, BA DO 1.11.0 / 864; BStU BV DresdenAOG 350/69; vgl. zur CDU auch Jessen, Partei, S. 37–40.

68 F!r manche Herrnhuter hieß die Lektion aus der ersten deutschen Diktatur gerade die Ent-haltung von jeglicher Parteimitarbeit, Bericht R!stzeit f!r br!derische Handwerker und Ge-werbetreibende, 23.–26.4. 1955, S. 31, UA DEBU 627; vgl. zur CDU und Br!dergemeine auchUnterlagen in HStA Drd. 11420, Nr. 199.

69 J. Vogt an S. Baudert, 5. 2.1946, UA DEBU 28; vgl. dazu auch Abschlussbericht !ber den Verlaufder Parteiversammlungen, 16.5. 1956, ACDP II-040-087/2; vgl. zur Rolle der CDU im katholi-schen Milieu Klenke, Eichsfeld unter den deutschen Diktaturen, S. 51–55; vgl. aber auch Sit-zungsbericht Predigerkonferenz, 25.–28.9. 1946, S. 7, UA DEBU 1367.

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zeichnete also nicht unbedingt ein neues, demokratisches Bewusstsein. ZurCDU-Ortsgruppe Herrnhut, die im Dezember 1945 gegr!ndet wurde, gehçr-ten neben Johannes Vogt und Gottfried Clemens, dem sp"teren Kreisrat undB!rgermeister, zahlreiche prominente Herrnhuter wie Bischof Theodor Marxoder der Missionsdirektor Erwin Fçrster.70 Ihre Mitgliedschaft zeugt von derAmbivalenz im Verh"ltnis zur Obrigkeit, die sie anerkannten, der sie jedochwenig Sympathie entgegen brachten: Einerseits ließen sie sich auf die neuenMachtverh"ltnisse ein; doch bis Anfang der f!nfziger Jahre konnte ein Be-kenntnis zur CDUauch eine gewisse Distanz zu denMachthabern ausdr!cken.Mit der Gleichschaltung der Christdemokratischen Union als Blockpartei, diesp"testens mit Nuschkes Tod 1957 vollendet wurde, "nderte sich auch dieCDU-Arbeit. In den f!nfziger Jahren traten etliche Herrnhuter aus der CDUaus, da diese nicht mehr die kirchlichen, sondern die staatlichen Interessenvertrete.71 1956 gehçrten nach einem Stasi-Bericht immerhin noch f!nfzigProzent der Christdemokraten in Herrnhut zur Unit"t.72 Viele Br!der undauch manche Schwestern blieben in der Partei, da eine Mitgliedschaft in derCDU vor der Aufdringlichkeit der SED sch!tzte, eine Funktion, die auch inanderen christlichen Milieus wichtig war. Die Christdemokraten engagiertensich dann ab den f!nfziger Jahren kaum noch politisch, sondern traten inHerrnhut gemeinsam mit dem Kulturbund durch „kulturelle Arbeit“ in Er-scheinung. Damit erf!llte die CDU den unpolitischen, disziplinierendenAuftrag, den ihr der sozialistische Staat zudachte.73

Im Herrnhuter Rathaus konnten sich CDU und Gemeine im ersten Nach-kriegsjahr noch nicht durchsetzen, da die SMAD wie in den umliegendenDçrfern ihre eigenen Kandidaten ausw"hlte. Uttendçrfer berichtete in seinemTagebuch von „ehemalige[n] Kommunisten aus einem Konzentrationslager“,die in der Umgegend die Rath"user besetzten. „Wenn die Sorte mit Stellenbelohnt wird, wird es nicht besser werden,“ so der nationalkonservativeHerrnhuter.74 Die Kommunisten erwiesen sich nicht immer als die bestenB!rgermeister, und dem Austausch der alten Eliten folgte auch hier eine hoheFluktuation. Der Nachbarort Ruppersdorf hatte bereits im Sommer 1945seinen sechsten Nachkriegsb!rgermeister. In Herrnhut sah es nicht besser

70 J. Vogt an G. Lauterbach, 10.12.1945, UA DEBU 86; „Bischof Theo Marx 90 Jahre”, in: NeuesDeutschland, 6. 10.1961; „Kirche hat Ruf nach Frieden gehçrt – Parteiversammlung inHerrnhutmit Bischof Vogt von der Br!dergemeine”, in: Neue Zeit, 28.2.1956.

71 Staatssicherheit, Bericht Dienststelle Lçbau, 13.1. 1956, S. 8, BStUBVDrd. KD Lçbau 18066; vgl.Fçrsters Beschwerden !ber die CDU, Bericht !ber eine Unterredung mit dem Direktorium derHerrnhuter Br!der-Unit"t, 11.1. 1955, SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/51.

72 DUD-Sitzung am 3.10.1945, UA DUD 47; Maßnahmeplan f!r die Anwendung neuer Methodenin der Bek"mpfung der Feindt"tigkeit der „Deutschen-Br!der-Unit"t“ Herrnhut, UnterleutnantHerbrich, o.D., ca. 1956, BStU MfS HA XX/4–778.

73 Vgl. Unterlagen in HStA Drd. 11430, Nr. 10901.74 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, UA Nachlass Uttendçrfer.

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aus.75 Als dort Anfang 1946 den dritten B!rgermeister seineNS-Vergangenheiteinholte, setzte die SMAD den Druckereibesitzer und „Antifaschisten“ GustavWinter ein, einen der Herrnhuter, die offen gegen die NSDAP aufgestandenwaren. Der 65j"hrigeWinter war gleich nach Einmarsch der RotenArmee vomsowjetischen Kommandanten als B!rgermeister installiert, wenige Wochensp"ter aber durch einen linientreuen Kandidaten ersetzt worden. S"mtlicheB!rgermeister in Herrnhut aber, ob Gemeinmitglieder oder nicht, akzep-tierten ohneMurrendie faktischeMacht der Br!der-Unit"t in der Kommune.76

Bei den Kommunalwahlen 1946 gehçrte Herrnhut zu den Ortschaften, dietrotz der massiven Repressionen gegen die „b!rgerlichen Parteien“ Nicht-SED-Mitglieder aufstellen konnten. Die CDU trat mit 17 Kandidaten an,darunter f!hrende Herrnhuter wie Gottfried Clemens, Erwin Fçrster und derDirektions-Finanzvorstand Karl Schmidt. Mit 68 Prozent erzielte Herrnhuteines der besten CDU-Ergebnisse in den SBZ-Kommunalwahlen (Sachsen:21,9 Prozent, SBZ: 18,7 Prozent). Das war nur in geschlossen christlichenMilieus mçglich, wie etwa in Heiligenstadt im katholischen Eichsfeld, wo dieCDU ein "hnliches Ergebnis erzielte. In Herrnhut gehçrten dann von den 16Stadtr"ten 12 der CDU und vier der SED an.77 Nach einigen Querelen !ber-nahm Gustav Winter zum dritten Mal das B!rgermeisteramt. Abgesehen vonwenigen Jahren hatte in Herrnhut bis 1968 immer ein Mitglied der Gemeineund bis zum Ende der DDR immer ein CDU-Mitglied das Amt inne. Die letzteB!rgermeisterin trat in den achtziger Jahren der Br!dergemeine bei.78 InEbersdorf sah die Situation "hnlich aus. Wie die pietistischen Dçrfer imErzgebirge gehçrten die Ortsgemeinen damit zu den Kommunen mit einemCDU-B!rgermeister.79 Auchwenn sich die CDU in der DDRpeinlich angepasst

75 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 268, UA Nachlass Uttendçrfer ; Der zweite B!rgermeisternach Gustav Winter war ab Juni 1946 Dr. Erwin Wiecher, ihm folgt Ende des Jahres G!ntherLauterbach. Im Februar 1946 besetzte nach einem kurzen Zwischenspiel Winters Georg H"hneldasAmt.Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 257 u. 268 f., UANachlassUttendçrfer ; J. Vogt anE. Wiecher, 18.6. 1945, UA DEBU 863; Brief Th. Makowski an Landrat Lçbau, 29.6.45, HStADrd. 11420, Nr. 53; J. Vogt an G. Lauterbach, 10.12.1945, UA DEBU 86; vgl. zum Austausch derEliten auch Jessen, Partei, 29.

76 J. Vogt an S. Baudert, 5. 2. 1946, UA DEBU 28; Steinberg, Das Erleben Herrnhuts seit Mai 1945,S. 2, MAWS ML 116 Davis – J. R. Davis Collection; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 257 u.268 f., UA Nachlass Uttendçrfer; J. Vogt an E. Wiecher, 18.6. 1945, UA DEBU 863; Brief Th.Makowski an Landrat Lçbau, 29.6.45, HStA Drd. 11420, Nr. 53; J. Vogt an G. Lauterbach, 10. 12.1945, UA DEBU 86.

77 Wahlvorschlag, B!rgermeister H"hnel, 15. 8.1946 u. Aufstellung der am 1.9. 1946 gew"hltenGemeindevertreter, HStA Drd. 11420, Nr. 199; Wahlunterlagen in HStA Drd. 11420, Nr. 54 u.11377, Nr. 416; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 279, UA Nachlass Uttendçrfer; vgl. zumEichsfeld Klenke, Eichsfeld unter den deutschen Diktaturen, S. 51; vgl. zu den Wahlen Weber,Die DDR, S. 18.

78 Unterlagen Stadtarchiv Herrnhut, Protokolle Stadtverordnetenversammlung von 1946.79 Aufzeichnungen!berGr!ndung undAnf"nge des Kreisverbandes, 1954, ACDP II-209-027/5;W.

Burckhardt an S. Baudert, 22.9. 1946, UA EFUD 1120; „Jetzt beten sie wieder“, in: Spiegel,17.9.1976.

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verhielt, so gehçrten doch diese christdemokratischen B!rgermeister in derProvinz zu den religiçs gepr"gten, SED-fernen Milieus.80 Freilich missfiel derSED das christdemokratische Gebaren in Sachsen.81 Doch nach den Wahlenvon 1950, in der der Stimmzettel mit der Einheitsliste bereits dasWahlergebnisvorgab, war es dann so weit, und die SED hatte die totale Machtkontrolle –auch der B!rgermeister im Herrnhuter Rathaus verlor zunehmend an Ein-fluss.82

4.1.2 Wirtschaftliche Eigenst"ndigkeit und Machtinteressen

Die Unit"t nutzte ihre Beziehungen nach Berlin und Dresden auch, um ihreBetriebe am Leben zu erhalten. Die $konomie hatte f!r die Freikirche alsBestandteil ihres kulturellen Ged"chtnisses eine bedeutende Rolle. Zudemermçglichte das Gesch"ftsleben eine gewisse Autonomie. Die Auseinander-setzung um die landwirtschaftlichen G!ter der Unit"t, die hier beispielhaftdargestellt werden soll, zeigt die Probleme, die das b!rgerschaftliche Enga-gement mit sich brachte, und spiegelt das komplexe Verh"ltnis der Gemeinezur Obrigkeit wider – zwischen Sowjets, SED, Kommunal- und Landesebene.83

Die Betriebe der Unit"t waren Teil der traditionellen Aufgaben der Br!-dergemeine – als Dienst an der Gesellschaft und damit als Nachweis ihrerExistenzberechtigung. Die Gewinne flossen schon immer auch in die Missionund die Erziehungsarbeit.84 Die drei alten G!ter der Unit"t, Berthelsdorf,Oberrennersdorf und Großhennersdorf, gingen auf Zinzendorfschen Besitzzur!ck und waren in den dreißiger Jahren von der Br!dergemeine an den NS-Staat verkauft worden. Die Herrnhuter forderten nun von der SMAD dieseG!ter mit einer Gesamtgrçße von 1116Hektar zur!ck – eine Fl"che, die sp"terin etwa der einer LPG entsprach. Da Nahrungsmittel knapp und Abhilfe undOrganisationstalent gefragt waren, gab die SMAD den Herrnhutern bereits imMai 1945 vorl"ufig die drei Zinzendorfschen L"ndereien und zus"tzlich einStaatsgut zur Pacht.85 Eine R!ckgabe von Eigentum war aber nur mçglich,

80 Vgl. zusammenfassend zur CDU und dem christlich-kulturellen Milieu Maser, Kirche in derDDR, S. 92 f.; Nowak, Religion, Kirche, S. 178.

81 Protokoll Ortsblockausschuss mit Stadtr"ten, 7.10. 1947, Stadtarchiv Herrnhut, ProtokolleStadtverordnete 1945–55.

82 „Warum ist in Herrnhut keine Blockpolitik mçglich?“, in: Lausitzer Rundschau, 17.3. 1949;Liste Mitarbeiter der Nationalen Front, Stand 1.8. 1952, Stadtarchiv Herrnhut, 022, 023, 024.

83 Vgl. zum Streit um die G!ter die Unterlagen in BADO 4 / 2289; HStA Drd. 11420, Nr. 345; HStADrd. 11430,Nr. 10817, 10873u. 10818;HStADrd. 11377,Nr. 236, 773; HStADrd. 11378,Nr. 294;BADO 4 / 342 u. 2289; BStU BVDresden KD Lçbau 18066; BStUMfSHAXX/4–778; EZV 4/812/Bd. I u. II-IV; außerdem die anderen zum Thema zitierten Akten; vgl. generell Brunner u.a.,Land – Zentrale – Besatzungsmacht; Wentker, Justiz, S. 94.

84 Beschl!sse und Erkl"rungen der Distriktssynoden Ost- und West, 1947.85 B!rgermeister von Herrnhut an Pr"sidenten f!r Ern"hrung u. Landwirtschaft, 4. 8.1945, HStA

Drd. 11378, Nr. 294; Protestschreiben an Landespr"sident Friedrichs, 24.9. 1946, HStA

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wenn die Nationalsozialisten dieses widerrechtlich enteignet hatten. Ob derVerkauf der G!ter in den dreißiger Jahren tats"chlich unter Zwang geschah,wie die Herrnhuter nach Kriegsende angaben, geht aus den Akten nicht her-vor.

Um eine R!ckgabe bei den Sowjets zu forcieren, verfasste die Gemeineverschiedene Denkschriften f!r die SMAD. Darin passte sie in bemerkens-werterweise ihre Tradition den neuen Gegebenheiten an. Neben ihrem an-geblichen „Antifaschismus“ und ihrer Bedeutung als lokale Ordnungsmachtverwiesen die Herrnhuter auf die „christlich-sozialistische“ und „kommu-nistische Basis“ ihrer Betriebe. Auch der Gottesacker musste herhalten: Dieegalit"re Legung der Toten, unabh"ngig von Stand und Besitz, sei ein Zeichenkommunistischer Strukturen.86 Diese Reformulierung der Tradition war tak-tisch bedingt, pr"gte sich aber, wie sich zeigen wird, allm"hlich in das kul-turelle Ged"chtnis der Gemeine ein. Die Eigendynamik der taktischen %u-ßerungen sollte sich immer wieder als wirkm"chtig erweisen: Die von der SEDabgeforderten Lippenbekenntnisse produzierten Wirklichkeit, indem sie –von den Akteuren oft nicht intendiert – schleichend internalisiert wurden.Zun"chst aber zeigten die Bekenntnisse der neu formulierten br!derischenTradition nach außen die erw!nschteWirkung: Am 30. August 1945 best"tigtedie SMAD die R!ckgabe der drei G!ter.87

Zu dem positiven Entscheid hatten auch die Beziehungen der Unit"t nachDresden gef!hrt, unter anderem zum CDU-Minister f!r Land- und Forst-wirtschaft Reinhard Uhle sowie zum Vizepr"sidenten der s"chsischen Lan-desverwaltung und CDU-Fraktionsvorsitzenden in der Volkskammer GerhardRohner. Letzterer war ein Freund Winfried Merians. Auch der s"chsischeInnenminister Kurt Fischer gehçrte, obwohl SED-Mitglied, zu den F!rspre-chern der Unit"t.88 Das Protokoll einer Besprechung in Dresden vom De-zember 1945 zeigt, welche Argumente Fischer f!r die R!ckgabe der L"nde-reien ins Feld f!hrte: die Internationalit"t der Gemeine, der sich daraus er-gebende weltweite propagandistische Nutzen und die Produktivit"t der G!ter.Der propagandistischeNutzenwar in der Tat nicht unerheblich, da inzwischendie anderen Provinzen, allen voran Bischof Shawe, f!r die G!ter bei ver-schiedenen Regierungsstellen vorstellig geworden waren. Innenminister Fi-scher konnte aber die Konferenzteilnehmer erst mit der rhetorischen Frage!berzeugen, ob sie denn die leistungsf"higen G!ter tats"chlich in Staatsregie

Drd. 11423, Nr. 527; vgl. zu kirchlichen G!tern Zinke, Transformation der DDR-Agrarverfas-sung, S. 173–175; vgl. zur Bodenreform Weber, Die DDR, S. 13.

86 Bericht !ber die BU erstattet an die Russische Kreiskommandantur Lçbau, #bersetzung ausdemRussischen, 13.8. 1945, HStADrd. 11378, Nr. 294; Direktion der EBUan 1. Vizepr"sidentenFischer, Landesverwaltung Sachsen, 25. 10.1945, HStA Drd. 11377, Nr. 236.

87 Abschrift Blochin, Gehilfe des Verwalters der SMAD, $konomische Angelegenheiten Sachsen,30.8. 1945, HStA Drd. 11378, Nr. 294.

88 Unterlagen in HStA Drd. 11378, Nr. 294 u. in BStU MfS HA XX/4–778; vgl. zu Gerhard Rohnerund Kurt Fischer die Artikel in M"ller-Enbergs u.a. , Wer war wer in der DDR?, S. 212 u. 710.

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!berf!hren wollten. Darauf einigte sich die Runde, der Unit"t das Gut Ber-thelsdorf zum Besitz und die zwei anderen zur Pacht zu geben.89 Die R!ckgabeerfolgte im Januar 1946.90 Die Frage schien gekl"rt. Die Regelung war f!r allevorteilhaft, da die Gemeine in Merian einen kompetenten Verwalter hatte, vielin die Landwirtschaft investierte, einen wichtigen Beitrag zur Ern"hrungssi-tuation leistete, Menschen in Lohn und Arbeit brachte und die Ertr"ge f!r ihrediakonische Arbeit nutzte.91

Doch der Neid der Nachbarn auf Orts- und Kreisebene war geweckt, zumalbei der Bodenreform in der SBZ bis 1947 unter dem Motto „Junkerland inBauernhand“ rund ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfl"che enteignetwurde. Nur bei der Unit"t, so misstrauten die Nachbarn, liefe die Zeit r!ck-w"rts. Dabei blieben die Kirchen generell, wohl auf Wunsch der SMAD, vonder Bodenreform ausgenommen.92 Die Wendung der Herrnhuter zu vorbild-lichen Teilnehmern am sozialistischen Aufbau erschien den benachbartenKommunen und der Kreisverwaltung suspekt. Die B!rgermeister der umlie-genden Orte bezeichneten in einem Protestschreiben Herrnhut als „reaktio-n"rste[s] Gebilde“, das „am [sic] Ostern 1933 Adolf Hitler als den deutschenHeilandmit Pauken und Trompeten“ begr!ßt habe und gewiss die G!ter nichtverdiene.93 Aus demMinisterium aber hieß es, die Betriebe der Unit"t seien inganz Sachsen „nicht nur in sozialer sondern vor allem in landwirtschaftlicherHinsicht“ f!hrend.94 Doch die lokale, von der SED dominierte Presse sch!rtein zahlreichen Artikeln weiter die Stimmung gegen die Br!dergemeine. In denArtikeln und in den staatlichen Unterlagen tauchten Vorw!rfe !ber deren NS-Verstrickung auf.95 Dass die Landesregierung sich zun"chst gegen die SEDdurchsetzen konnte, spricht daf!r, dass ihr durchaus ein gewisser Spielraumzustand. Der engte sich aber zusehends ein, und 1949 schließlich musste dieUnit"t ihre L"ndereien wieder abgeben. Die amtliche Begr!ndung f!r dieEnteignung warenWilfried Merians „Verstçße gegen die Wirtschaftsgesetze“,obwohlMerian sp"ter freigesprochenwurde. Die Rechtsunsicherheit aber und

89 Protokoll Sitzung bei Vizepr"sident Fischer, 28.12.1945, HStADrd. 11378, Nr. 294; Akten in UADEBU 319.

90 Verhandlungen mit der Landesverwaltung Sachsen, Oktober 1945-Februar 1946, BA Do 4 / 342;91 Arbeitsbericht, 23.1.–30.1.1946, UA DEBU 1; Unterlagen in UA DEBU 213.92 Kaiser, Landeskirchen in der SBZ; Steiner, Von Plan zu Plan, S. 38–44; Kowalczuk u. Wolle,

S. 64–67.93 Protestschreiben an Landespr"sident Friedrichs, 24.9. 1946; Landrat an Landesvorstand der

SED, 24. 9.1946 u. weitere Schreiben in der Akte HStA Drd. 11423, Nr. 527; B!rgermeister vonBerthelsdorf, Rennersdorf, Großhennersdorf an Vizepr"sident der Landesverwaltung,24.9.1945.

94 Landesforstmeister Sachsen an Minister Uhle, 14.7.48, HStA Drd. 11394, Nr. 546.95 Auszug aus Lausitzer Rundschau, 4. 1. 1948, HStA Drd. 11378, Nr. 294; „Zigarrenbr!der“, in:

T"gliche Rundschau, 29.7. 1948, UA DEBU 627; „Merkt ihr nichts, Genossen?“, in: LausitzerRundschau, 15.11.1948, BA DO 4 / 2289; „Kompensationsgesch"fte im Werte von 1,7 MillionDM“, in: Lausitzer Rundschau, 4.12. 1948, BA DO 4 / 2289; „Warum ist in Herrnhut keineBlockpolitik mçglich?“, in: Lausitzer Rundschau, 17.3. 1949 u. zahlreiche weitere Artikel UADEBU 1468; Unterlagen in BA Do 4 / 342.

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das auf Denunziationen aufbauende Verfahren sollten Weg weisend f!r dieneue Rechtslage werden.96

Da die Unit"t viel in die Landwirtschaft investiert hatte, ordneten dieLandesminister Uhle und Rohner an, als Ausgleich 100 000 Mark an die Ge-meine zu bezahlen. Doch kurz darauf wurde dieser Beschluss wohl auf Be-treiben der SED wieder zur!ckgenommen. In den n"chsten Jahren versuchtedie Freikirche, wenigstens diese Entsch"digung zu erhalten.97 1950 zogMerianf!r die Br!dergemeine einen Schweizer Staatsauftrag !ber 80 000 KilogrammHeilpflanzen an Land, den er direkt mit einem Handelsabkommen zwischender Schweiz und der DDR verkn!pfen konnte. Deswegen, so hieß es in einerVorlage f!r denDDR-Innenminister, sei die Schweiz „außerordentlich stark aneiner endg!ltigen Regelung“ der Angelegenheit mit der Unit"t interessiert.98

Auch Otto Nuschke setzte sich in dieser Sache f!r die Unit"t ein und f!hrte alsArgument ihre Internationalit"t ins Feld. Der Fall wurde in Berlin aufStaatsebene verhandelt.99 Aber Anfang der f!nfziger Jahre war im Klima zu-nehmender Repressionen gegen die Kirchen nicht mehr an eine g!nstigeLçsung zu denken.

Trotzdem blieb der Unit"t einiger Landbesitz, mit dem sie weiter erfolg-reich wirtschaften konnte. Die Entscheidung Merians, sich auf Arznei- undGew!rzpflanzen zu spezialisieren, erwies sich als weitsichtig. In den f!nfzigerJahren stammte der Großteil des Heilpflanzenbedarfs in der DDR aus derherrnhutischen Landwirtschaft.100 F!r die Freunde der Unit"t in Dresden abergab es – im Zuge der Gleichschaltung von Landesregierungen – ein bçsesNachspiel. Landwirtschaftsminister Uhle wurde wegen Veruntreuung ange-klagt. In einem staatlichen Bericht hieß es, er habe gemeinsam mit Finanz-minister Rohner die Br!der-Unit"t beg!nstigt. Die Volkspolizei meldete, dieBr!dergemeine habe es verstanden, in der Landesregierung Sachsen „eineAnzahl maßgeblicher Persçnlichkeiten f!r sich zu gewinnen“.101 Die Verbin-

96 Zinke, Transformation der DDR-Agrarverfassung, S. 175; vgl. zur R!ckgabe auch AbschriftStellvertretender Chef der SMA Dubrowski, Land Sachsen, an Stellvertretenden Ministerpr"-sidenten Fischer, Land Sachsen, 17.7.1947, BA Do 4 / 342; A. Kabanow, Verwaltung f!r Land-und Forstwirtschaft Sachsen, an Dt. Verwaltung f!r Land- und Forstwirtschaft, 1.9. 1947, HStADrd. 11378, Nr. 294; vgl. zur Rechtsstaatlichkeit der DDR Jessen, Partei, 40–43, 79 f. u. 83.

97 Grothaus, Bodenkommission, an Finanzministerium Sachsen, 4.7.50, BA DO 4 / 2289; Innen-ministerium Sachsen an W. Merian, 27.6. 1950, BStU MfS HA XX/4 778, S. 1; Unterlagen in BADO 4 / 342.

98 Vorlage f!r Innenminister Hofmann von Grothaus, 22.5. 1950; vgl. zu den Schweizer Verbin-dungen auch Bericht „The Condition of the Moravian Settlements in Germany“ von J. G.F!rstenberger, o.A., wohl 1946, S. 3, MAB 103CII, 1946; J. G. F!rstenberger an C. H. Shawe, 3. 1.1946, MAB 103CII, 1946.

99 O. Nuschke an Innenminister K. Steinhoff, 7.1. 1952 u. 10.4. 1952, DO 4 / 342; Vermerk !berBesprechung mit Ministerpr"sident Nuschke, 25.8. 1954, UA DEBU 79.

100 Zinke, Transformation der DDR-Agrarverfassung, S. 181; Denkschrift !ber die Gemein-schaftsbetriebe der BU, von Dr. Liebler, o.D. um 1950, BA DO 4 / 2289.

101 Bericht Landesbehçrde der Volkspolizei Sachsen, 27. 4.1951, BStU MfS HA XX/4–778;„Volksfeindliche T"tigkeit Dr. Uhles“, Artikel, 22.7. 1950, o.A., in: Bericht der Landeskom-

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dungen wurden nunmehr als Komplott betrachtet. Uhle und Rohner konntennoch rechtzeitig in die Bundesrepublik fliehen.102

4.1.3 Neue Aufgaben der Br!dergemeine

Die Ortsgemeinen waren nach ihrem Selbstverst"ndnis „nicht um ihrer selbstwillen da“, wie es in einem Ende der vierziger Jahre verfassten Papier hieß,sondern dienten den „Haupt-Arbeitsgebieten“ der Br!dergemeine: Heiden-mission und Jugenderziehung; daher sei die Br!dergemeine eine Art „Orden“innerhalb der Christenheit.103 Dieses Selbstverst"ndnis stieß in der Gemeineauch auf Kritik, interessanterweise von jenen Mitgliedern, die schon w"hrendder Nazi-Zeit interveniert hatten: Heinz Renkewitz und Friedrich G"rtner. Ineinem Schreiben, das 1947 den Synoden in Ost undWest vorlag, erkl"rten sie,sie lehnten es ab, „die Existenzberechtigung der Br!dergemeine auf ein sol-ches oder anderes – etwa heute neu zu findendes – Sondergut zu gr!nden.“ Sieforderten stattdessen die Konzentration auf den Kern, das Evangelium, undf!gten provozierend hinzu: „Wir streben auch nicht danach, krampfhaft dasLetzte, was uns ,noch’ erhalten geblieben ist, festzuhalten.“104 Genau darumaber waren die Direktionsmitglieder in Ost und West verzweifelt bem!ht. Sowurde das Papier der kritischen Br!der rasch zu den Akten gelegt.105 Vomtheologischen Standpunkt aus mochte die Kritik richtig gewesen sein. Tat-s"chlich aber h"tte die Unit"t ohne ein „Surplus“ zum Evangelium, ohne ein„Sondergut“, kaum als Freikirche !berleben kçnnen.

Das Ende der Missionsarbeit aber bedeutete f!r die Br!dergemeine in Ost-und West-Deutschland die schwerste Dem!tigung. Die Distriktssynode Osterkl"rte 1947, sie nehme „mit tiefer Bewegung davon Kenntnis, dass ihr diedirekte Arbeit auf den Missionsfeldern abgenommen worden ist. Sie findetsich in diese Lage nur durch dasWissen umdie waltende Gottesf!hrung, wennauch mit schwerem Herzen.“106 Alles, was die Mission bot – der glanzvolle

mission f!r Staatliche Kontrolle, BA DO 4–2289; Kreis-Kriminal-Polizei-Abteilung Bautzen anLandeskriminal-Polizei-Abteilung Dresden, 16.11.1948; Brief an Genosse Karl, 3. 8.1948, o.A.,HStA Drd. 11378, Nr. 294; Antrag an Abteilung V in Angelegenheit Merian, o.D., BStU MfS HAXX/4–778, S. 161.

102 Bericht Landesbehçrde der Volkspolizei Sachsen, 27. 4.1951, BStU MfS HA XX/4–778;„Volksfeindliche T"tigkeit Dr. Uhles“, Artikel, 22.7.1950, o.A. in: Bericht der Landeskommis-sion f!r Staatliche Kontrolle, BA DO 4–2289; Kreis-Kriminal-Polizei-Abteilung Bautzen anLandeskriminal-Polizei-Abteilung Dresden, 16.11.1948; Brief an Genosse Karl, 3. 8.1948, o.A.,HStA Drd. 11378, Nr. 294; Antrag an Abteilung V in Angelegenheit Merian, o.D., BStU MfS HAXX/4–778, S. 161.

103 Information „Die Br!dergemeine“, o.A., ca. 1947, SAPMO-BA DY 30 IV, 2/14/250.104 Restauration oder Reformation der Br!dergemeine?, von H. Renkewitz u. F. G"rtner, Synode

1947, UA EFUD Synht, 13/26.105 G"nther, Zerstreuung und Sammlung, S. 95.106 Bericht der Herrnhuter Missions-Direktion, Distriktssynode Ost, 1947, UA SynHt 4.

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weite Horizont, das Selbstverst"ndnis einer Weltzentrale, die reizvolle Mi-schung aus Dienst und Herrschaft – damit sollte es zu Ende sein. Umso mehrkonzentrierten sich die Herrnhuter auf die Erziehungsarbeit. Der bildungs-b!rgerliche Impetus mag f!r das Engagement eine Rolle gespielt haben, dochnoch viel mehr war es die Verpflichtung der Tradition zum zivilgesellschaft-lichen Engagement. Bischof Shawe aus Großbritannien schrieb den f!hrendenMoraven in den USA !ber Samuel Bauderts #berlegungen, „[the] first em-phasis is to be on restoration of the educational work of our Church. He thinksthat theMoravian traditions can perform a real service in the reconstruction ofthe life of the Church, and of the new Germany […]”.107 Dieses unbescheideneZiel und der Wille, trotz der unsicheren eigenen Existenz maßgeblich aneinem neuen Deutschland mitzuarbeiten, entsprachen ganz dem hohenSelbstverst"ndnis. Ein f!hrender US-Morave aber teilte mit seinem Freund,einem amerikanischen Oberst, der im Auftrag der Moravian Church dieBr!dergemeinen inDeutschland besuchte, dessen Pessimismus betreffend des„reestablishing the Moravian Church in Germany to its former dignity“, wiesich der Theologe nicht ohne Ironie ausdr!ckte. Angesichts der russischenBesatzungsmacht sei vor allem die Hoffnung auf einen Wiederaufbau desgroßen br!derischen Erziehungswerkes unsinnig.108

Noch nicht einmal die Herrnhuter in der SBZ mochten sich zu dieser Er-kenntnis durchringen. Bereits inmitten der Kriegswirren erçffnete Ebersdorfeine Oberschule. Personal an fl!chtigen und heimischen Akademikern hattedie Gemeine genug. Die amerikanische Besatzungsmacht gab eine m!ndlicheGenehmigung und am 5. Mai, noch vor der offiziellen Kapitulation, begannendie Herrnhuter mit f!nfzig Jugendlichen den Unterricht. Die Zahl der Sch!lerwuchs innerhalb weniger Wochen auf !ber 100.109 W"hrend der Hunger dieMenschen qu"lte, Wohnungsmangel herrschte, Verhaftungen zum Alltag ge-hçrten, ein Großteil der Mitglieder auf der Flucht oder in Kriegsgefangen-schaft waren, stellten die Herrnhuter Lehrpl"ne auf, regelten Geh"lter undrichteten Klassenzimmer ein.110 Auch in anderen ostdeutschen Ortsgemeinenwie Gnadau oder Niesky arbeitete die Br!dergemeine ehrgeizig daran,

107 C. H. Shawe an S. H. Gapp u. J. K. Pfohl, 2.11.1945, MAB 103CII 1945.108 S. H. Gapp an W. W. Preisch, 31.5. 1946, MAB 193CII, Gapp Files, Europe Travel 1946.109 Protokoll Sitzung der DUD, 29.6. 1946, UA DEBU 1; Protokoll !ber die Zeit 10.4.–21.6. 1945 von

S. Baudert, UA DEBU 27; Keßler-Lehmann, Schulen und Werke der Br!dergemeine, S. 140;Protokoll Sitzung der DUD, 14.11.1945, UA DUD 47; Interview Ehepaar E., ostdeutsche Ge-meinmitglieder, Ebersdorf, 5. 12.2005, S. 5.

110 Protokoll Sitzung der DUD, 3. 10.1945, 7. 11.1945, 14.11.1945 u. 12.12.1945, UA DUD 47; 5.Arbeitsbericht, 31.1–1.2.1946, UA DEBU 1; Zusammenfassung von Gemeinnachrichten Nr. 4,10.12.1945, MAB 103CII, 1945; E. Fçrster an S. Baudert, 2.7.46, UA DEBU 28; Protokoll Sitzungder DUD, 14.11.1945, UA DUD 47; vgl. zur wirtschaftlichen Situation der NachkriegsjahreSchwarzer, S. 170–175.

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Schulen zu erçffnen oder weiterzuf!hren.111 Als die Th!ringer Behçrden 1946vorschlugen, die Ebersdorfer Schule der Lobensteiner Oberschule zu unter-stellen, wobei die Lehrerinnen und Lehrer vom Staat !bernommen werdensollten, lehnte die Br!dergemeine ab, obwohl sie ihre erzieherischen Aufgabenweiterhin h"tte wahrnehmen kçnnen, und beendete ihre Arbeit in Ebersdorfim Juli 1946.112 Es ging der Gemeine um mehr als um die Schule – es mussteeine Schule der Unit"t, es musste ihr „Dienst“ sein. Doch noch 1947 erkl"rteErwin Fçrster : „Wir kçnnen halt trotz aller Schwierigkeiten unser Schulwerkhier noch nicht als in den letzten Z!gen liegend betrachten.“113 Zuletzt mussteaber auch das Oberschulinternat in Gnadau 1950 seine Tore schließen.114 Inden westlichen Besatzungszonen ging der Wiederaufbau zwar besser voran,viele Projekte scheiterten aber schlicht am Mangel an br!derischem Lehr-personal, das nicht NS-belastet war, so dass im Westen neben dem Schwarz-w"lder Kçnigsfeld nur noch im nieders"chsischen Tossens an der Nordseeeine Schule entstand.115

Es war ein schmerzhafter Prozess, bis sich die Herrnhuter nicht nur von derMission, sondern auch von der p"dagogischen Arbeit in den Schulen verab-schiedet und sich einemneuenAufgabenfeld, der Diakonie, zugewandt hatten.Die diakonische Arbeit, in der sich andere pietistische Gruppierungen ange-spornt durch die sozialen Probleme im 19. Jahrhundert mit großen Anstaltenengagiert hatten, spielte f!r die Unit"t mit der Diakonissen-Anstalt „Emmaus“bisher eine eher untergeordnete Rolle.116 Nun bekam die Diakonie f!r dieGemeine im Osten eine neue Bedeutung. Die sozialistischen Machthaber lie-ßen sich hier gerne aushelfen. Wegen der vielen Kriegswaisen konzentriertensich die Herrnhuter in der SBZ und DDR zunehmend auf die Arbeit in Kin-derheimen, von denen sie schließlich vier in Herrnhut, Ebersdorf und Nieskyunterhielten. Hinzu kamen drei Kinderg"rten und drei Altenheime.117 Dieseneue Hinwendung zu sozialem Engagement pr"gte tief das Selbstbild derDDR-Herrnhuter. In seinen Lebenserinnerungen erz"hlt der einstige Ost-Di-rektionsvorsitzende Helmut Hickel, wie er bei einem Besuch in der Bundes-republik befremdet !ber die elit"ren br!derischen Schulen gewesen sei, dadort nur „Kinder von reich beg!terten Eltern“ Aufnahme f"nden. Er empfahldem West-Distrikt, auf die in der DDR !bliche „Art der Kinderheimarbeit

111 Protokoll Sitzung der DUD, 27.10. 1945, UADUD47; E. Fçrster an S. Baudert, 2.7.46 u.E. Fçrsteran H. Renkewitz, 15.7.46, UA DEBU 28, UA DEBU 28; vgl. auch Keßler-Lehmann, Schulen undWerke der Br!dergemeine; Unterlagen in UA DEBU 1 u. DEBU 1978.

112 Arbeitsbericht, 20.2.–6.2.1946, Protokoll der DUD-Sitzung, 5. 6. 1946, 29.6. 1946 u. 21.8. 1946,UA DEBU 1.

113 E. Fçrster an S. Baudert, 23.1. 1947, UA DEBU 29.114 Aktennotiz von E. Fçrster, 20.7. 1950, UA DEBU 1078.115 Keßler-Lehmann, Schulen und Werke der Br!dergemeine, S. 157.116 Vgl. Hickel, Geschichte der Diakonie, S. 158.117 Vgl. die Unterlagen von 1945 u. 1946 in UA DEBU 213; Sitzungsbericht DUD, 8. 1. 1947, S. 3, UA

DEBU 2; vgl. auch E. Fçrster an Innere Mission, 30.4. 1959, UA DEBU 192.

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umzusteigen, d.h. die ganzen schulischen Angelegenheiten doch dem Staat zu!berlassen“.118 Das einstige Anliegen der br!derischen Schularbeit gerade imHinblick auf die Formung gesellschaftlicher Elite war dem Direktionsvorsit-zenden fremd geworden. In der Ausrichtung auf die Diakonie zeigten sich alsotrotz aller Kontinuit"t Verschiebungen im Selbstverst"ndnis der Unit"t undihrem Verh"ltnis zur Obrigkeit : Der elit"re „Orden“, der bisher prestige-tr"chtige Aufgaben f!r die Gesellschaft !bernommen hatte, sollte nun nachdem Willen der Machthaber marginalisiert werden und einen Dienst !ber-nehmen, der gesellschaftliche Einflussnahme ausschloss.

4.1.4 Demut und Drangsal.Das theologische Konzept f!r die neue Situation

Die Lage im Osten mit ihren ungewohnten Aufgaben bedurfte einer neuentheologischen Interpretation. In seinem Lebenslauf erkl"rte Bischof Vogt, essei ihm in der Nachkriegszeit deutlich geworden, dass „vorbehaltlose Bereit-schaft zum Dienst“ und „in Stille und Demut gebrachte Opfer“ den Erhalt derGemeine ermçglichen kçnnten.119W"hrend der Begriff desDienstes allgemeinin der protestantischen ostdeutschen Theologie an großer Bedeutung ge-winnen sollte, kn!pfte Vogt mit Demut und Stille an den pietistischen Le-bensentwurf an, dem er mit seiner w!rttembergischen Herkunft n"her standals andere Herrnhuter. Dieses Konzept ging auf die asketisch strenge Frçm-migkeitsrichtung Johann Arndts (1555–1621) zur!ck, der durch die Erinne-rung an die S!ndhaftigkeit des Menschen und die Mahnung zur Buße dieDemut ins Zentrum der Frçmmigkeitspraxis ger!ckt hatte.120 Demut hießauch „Imitatio Christi“, da sich Christus f!r das Heil der Menschen bis zumTod am Kreuz erniedrigt habe. Ein dem!tiges Leben bedeutet zudem dieF"higkeit, nicht als selbstbestimmtes Individuumden Lebensweg zu gestalten,sondern das Leben „dem!tig aus Gottes Hand zu nehmen“. Herrnhuter be-zeichneten schwere Schicksalsschl"ge in pietistischer Diktion als Wege zurDemut.121

Gegen!ber der amerikanischen Moravian Church war das Lob der Demutund Armut ein geeignetes Mittel, um die neu gefundene Frçmmigkeit zudemonstrieren undWerbung in eigener Sache zu betreiben. So sind die Briefein die USAvoll pietistischer Formeln und in ihrer Diktionwesentlich frçmmerals die Briefe der Deutschen untereinander. Außerdem eigneten sich Demutund Armut dazu, um mit der psychologisch schwierigen Situation der Emp-

118 Hickel, Lebenserinnerungen, S. 102.119 Lebenslauf Johannes Vogt, S. 12.120 Wallmann, Pietismus, S. 39.121 Vgl. etwa E. Fçrster an H. Motel, 29.9. 1962, UA DEBU 32; vgl. dazu auch Mettele, Weltb!rger,

S. 243.

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fangenden und Bittenden zurecht zu kommen, zumal die ostdeutsche Ge-meine immer kurz vor dem Konkurs stand. Bis Anfang der f!nfziger Jahreschrieb Johannes Vogt an die US-Moraven, die große Armut werde nicht mehrlange andauern. Er unterstrich die von den ostdeutschen Gemeinmitgliedergebrachten Opfer, die in der Tat bemerkenswert waren.122 Doch allm"hlichnahm die Scham !ber die eigene Hilfsbed!rftigkeit !berhand. 1954 schriebVogt: „Ich wiederhole, was ich schon mehrfach ausgesprochen habe, dass esmir bitterschwer wird, immer wieder diese Bitte auszusprechen, aber wirwissen uns tats"chlich nicht zu helfen, wenn Eure Hilfe ausbleiben w!rde.“123

Zunehmend verwies der Bischof daher auf die segensreichen Fr!chte desgçttlichen „Demutsweges“: „Es ist unsere stetige Bitte zum Herrn der Kirche,dass er uns auch weiterhin in der Schlichtheit und Einfachheit erhalten mçge,in die wir durch unsere totale Verarmung gekommen sind.“124 In einem an-deren Brief nach Bethlehem zitierte Vogt den Grafen Zinzendorf: „,[…] UnserPlan sei, Dir kindlich nachzuwandeln / und nach deinem Sinn zu handeln: /Armut, Schmach und Freude dran.’“125 Eine Herrnhuterin, ehemalige Fabri-kantengattin, die einst als Fl!chtling nach Herrnhut gekommen war, schriebals Res!mee einer Reise nach Westdeutschland: „Im Westen zu bleiben, h"ttemich nicht verlockt, ich gehçrte in den Osten, wo uns der Kampf ums Daseinund alle Unsicherheit des Lebens so ganz in der Abh"ngigkeit von Gott er-h"lt.“126

Ausdruck der Demut im Alltag war das „Dienen“. Der Begriff des Dienstesgehçrt zum zentralen Vokabular der Volkskirche und erlebte in den ost-deutschen Landeskirchen eine eigenartige Renaissance. Kurt Nowak skizziert,wie sich die volkskirchliche Sorge um das bonum commune entwickelte: vonder „sozialen Monarchie“ im Kaiserreich, der Politik „!ber den Parteien“ inderWeimarer Republik !ber den Einsatz f!r die Volksgemeinschaft imDrittenReich bis hin zum „Zeugnis- als Dienstgemeinschaft der Kirchen“ f!r diesozialistische Gesellschaft in der DDR. Nowak res!miert: „Ein antipluralis-tischer Habitus war diesem Gemeinschaftsdenken eingeboren“.127 Dieser an-tipluralistische und antiliberale Habitus der protestantischen Kirchen inOstdeutschland w!rde sich immer wieder zeigen. Die neu entdeckte pietisti-sche Tradition der Demut und des Dienens half den Herrnhutern, die

122 J. Vogt, via Berlin, an K. G. Hamilton, 26.11. 1951 u. J. Vogt, via Berlin, an J. K. Hamilton, 9. 1.1953 u. andere Briefe in MAB 113FI, Germany East Zone 54–59; MAB 104GI, Vogt, Johannes; J.Vogt an S. Baudert, 23.4.47, UA DEBU 29; vgl. zu den Opfern des Ost-Distrikts MAB 113FI,Germany East Zone 54–59; UA DEBU 522; Bericht des Distrikts Herrnhut f!r Unit"tssynode,6. 7.1967, S. 2, MAB 173HI, Unit"tssynode 1967-S420–5; Unity Newsletter, 14.2. 1975, MAB173HI, Newsletter ; Hickel, Lebenserinnerungen, S. 86 f, 122 f.

123 J. Vogt an K. G. Hamilton, 13.7.1954, MAB 113FI, Germany East Zone 54–59.124 J. Vogt anK.G.Hamilton, 26.11.1951, 9. 1. 1953 u. 2. 9. 1955,MAB113FI, Germany East Zone 45–

59.125 J. Vogt an J. K. Hamilton, 2. 9. 1955, MAB 113FI, Germany East Zone 54–59.126 Aufzeichnungen M. H., Unterlagen Familie Heinz Reichel, Koblenz.127 Nowak, Zum historischen Ort der Kirchen in der DDR, S. 22 f.

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schwierige Lage anzunehmen und sie – "hnlich wie bei der Interpretation desKriegsendes als Gottesgericht – positiv zu wenden: Der Dienst an den Be-d!rftigsten (etwa den Behinderten) sei der bessere Dienst (besser als an denreichen Internatskindern im Westen), Demut offenbare die urspr!nglicheUnw!rdigkeit menschlichen Daseins und f!hre daher n"her zu Gott. EineehemaligeMissionarsfrau, die nun imWitwenhaus inHerrnhut lebte, erkl"rte:„Vor mir habe ich die Ruinen unseres einst so schçnen Gotteshauses […], diean die Verg"nglichkeit alles Irdischen mahnen. Dadurch wird der Geist hçherhinaufgehoben ins Ewige, Unverg"ngliche.“128

Grund zur Demut bot auch die vielf"ltige Unterdr!ckung durch dieMachthaber : Zu den bereits beschriebenen Verhaftungen kamen Diskrimi-nierung in den Schulen und am Arbeitsplatz, schlechte Bildungschancen oderSchikanen gegen die br!derischen Betriebe. Die herrnhutische Jugend sahsich in ihrer schwierigen Situation auf dem Weg der neutestamentarischenUrgemeinde, von der es geheißen habe: „,Sie duldeten den Raub ihrer G!termit Freuden.’ Das heißt doch f!r uns“, so hieß es in einem Papier der Ju-gendlichen, „wir dulden es, wenn wir den ersehnten Beruf nicht erlernenkçnnen. Wir dulden es, wenn wir die Oberschule nicht besuchen oder dasgew!nschte Studium nicht beginnen kçnnen. Wir dulden es, wenn wir wirt-schaftlich nicht vorw"rts kommen. Wir dulden es mit Freuden!“129 %hnlichschrieb der br!derische Evangelist Erich Schumann: „Viel spricht das N[eue]T[estament] davon, dass Leiden um Jesuwillen Freude, Seligkeit bringt. Es warf!r die Apostel einVorrecht, in derNachfolge JesuKreuz zu tragen, Schmachu.Verfolgung zu erdulden.“130 Weniger fromm klang es in einem der scherz-haften Briefe, die Vogt vonWest-Berlin aus an Freunde in der Bundesrepublikversandte. 1952 schrieb er, sein Wahlspruch laute: „Selig sind die, denen esdreckig geht, – vorausgesetzt allerdings, dass dieser Dreck ein gewisses Niveauhat.“131 Damit spottete er !ber den alten br!derischenD!nkel, der selbst in derNot nicht ganz aufgegebenwurde – und an dem er selbst oft genug hatte leidenm!ssen.132

128 Lebenslauf Emma Fichtner, S. 7.129 Leits"tze f!r die Jugend auf einer Jugendbibelfreizeit 1950, Knothe, Jugendarbeiter Br!derge-

meine, S. 129.130 Rundbrief E. Schumann, 30.12.1953, MAB 113FI, Germany : Meyer ; vgl. auch Lebenslauf

Margarete Ribbach, S. 5; vgl. zum „Segen des Leidens“ auch Lebensl"ufe E. M. Garve, S. 2,Gretchen Meyer, S. 3.

131 J. Vogt (unter Pseudonym Ernst Frçhlich) an Freunde, o.D., ca. 1952, UA EFUD 690.132 Interview mit Samuel und Julie Reichel, ostdt. Gemeinhelferpaar, Herrnhut, 14. 2.2006, Unter-

lagen H. Richter.

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4.2 Fr!hes Arrangement mit dem SED-Staat

Trotz des massiven Misstrauens der SED und trotz der Unterdr!ckung derJugend, von der noch die Rede seinwird, besserte sich das Klima zwischen derBr!dergemeine und der SED-Diktatur. Symbolisch f!r diese Entspannungsteht das Jahr 1957, als die Unit"t weltweit ihr 500j"hriges Jubil"um feierte undan ihre vermeintlichen Wurzeln in der Alten Bçhmischen Unitas Fratrumerinnerte. Die Jubelfeiern in Herrnhut und im Heimatland der BçhmischenBr!der in der Tschechoslowakei, die nur in enger Zusammenarbeit mit denbeiden staatssozialistischen Regimes abgehalten werden konnten, sowie dieGeneralsynode im US-amerikanischen Bethlehem, zu der die Delegation derDDR-Herrnhuter nicht ohne Zustimmung der Regierung h"tte fahren kçnnen,zeugen von einer deutlichen Verbesserung des Klimas zwischen Br!derge-meine und SED-Diktatur. Zugleich markiert das Jahr 1957 auch eine Konso-lidierung des 1945 begonnenen Internationalisierungsprozesses innerhalb derUnit"t. Auch diese Internationalisierung w"re ohne das Wohlwollen derMachthaber nicht mçglich gewesen, und in der Tschechoslowakei blieb in derTat die weltweite Ausrichtung aufgrund der wesentlich strikteren Kirchen-politik viel schw"cher.

Die Frage nach der Ann"herung der Kirchen an das Regime – nicht in derplumpen Form etwa der Ost-CDU, sondern unter der Formel „Kirche f!r einenverbesserlichen Sozialismus“133 – ist Teil der grundlegenden Frage, wie es derSED-Diktatur gelang, die Mehrheit der Bevçlkerung an sich zu binden – eineMehrheit, deren Mentalit"t zun"chst protestantisch gepr"gt war.134 Dabei darfnicht !bersehen werden, dass das Verh"ltnis der Kirchen zum DDR-Staatimmer eine Gratwanderung bedeutete, und die Kirchen bis zum Untergangdes Arbeiter- und Bauernstaates letztlich als Gegner des Regimes galten.Zudem mussten die Kirchen ab den f!nfziger Jahren in einer Gesellschaftagieren, die sich in erstaunlich schnellem Tempo an die neuen Machtbedin-gungen angepasst und viele der Herrschaftspraktiken internalisiert hatte. Eswar eine Gesellschaft, die von der ostdeutschen Schriftstellerin Brigitte Rei-mann in den f!nfziger Jahren beschrieben wurde als „dieses ganze deutschePack, dieses Volk von Kriechern und Mitl"ufern, die kleinen Leute, die immernur taten, wasman ihnen von oben befahl“.135 Insbesondere Pollack hat daraufverwiesen, wie viel der Anpassungsprozess mit der gesellschaftlichenSchw"chung der Kirchen durch die allgemeine Entkirchlichung in der DDR zutun hatte.136 Manche Kirchenhistoriker wie Gerhard Besier haben diese ge-

133 Vollnhals, Antikapitalismus oder Illiberalismus, S. 231.134 Kr"ger, strukturelles R"tsel „DDR“.135 Reimann, Tageb!cher 1955–1963, Eintrag 31.12.1959, S. 130.136 Pollack, Rolle der evangelischen Kirche, S. 85–87; vgl. auch Ohse, Jugend nach dem Mauerbau,

S. 232–235.

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sellschaftlichen und kulturellen Faktoren zu wenig in ihre Analyse einbezo-gen.137 Daf!r konnte Besier in intereurop"ischen Vergleichen aufzeigen, dassdie Ann"herung der Kirchen in der DDR an das Regime nichts mit dem vielbeschworenen „B!ndnis von Thron und Altar“ zu tun hat, und damit auchnichts mit deutschem Luthertum und Luthers Zwei-Reiche-Lehre.138 DieseThese ist ohnehin problematisch, weil sie die liberale Tradition der lutheri-schenRezeption inDeutschland ignoriert.139 Außerdemhaben andereKirchenin den Ostblockstaaten sich noch wesentlich enger an ihr jeweiliges Regimegebunden als die Kirchen in der DDR.

Ein interessantes Erkl"rungsmodell f!r die Ann"herung der Kirchen an densozialistischen Staat ist der ideengeschichtliche Ansatz. Clemens Vollnhals,Friedrich Wilhelm Graf und anderen zufolge haben die protestantischenKirchen dank ihrer Staatsfixierung, ihres antiliberalen, kollektivistischen undantidemokratischen Erbes aus dem 19. Jahrhundert die starke, paternalisti-sche Staatsmacht der DDR begr!ßt.140 Detlef Pollack hingegen hat daraufverwiesen, dass es nach den Erfahrungen der NS-Zeit keine gehorsame Fi-xierung auf die Obrigkeit mehr gegeben habe, es vielmehr bis in die sechzigerJahre zu einer breiten Ablehnung des herrschenden Regimes unter den Pro-testanten gekommen sei.141 Dass es jedoch aufgrund des illiberalen Erbes inden protestantischen Kirchen 1945 keinerlei Basis f!r ein Demokratiever-st"ndnis gab, muss dem nicht widersprechen. Graf verweist insbesondere aufden !berkommenen „Glaube[n] an eine ethische Hçherwertigkeit von Ge-meinschaft, Solidarit"t und Sozialismus“.142 Diese Ressentiments trafen Mitteder sechziger Jahre auf einen in der westlichen Gesellschaft einsetzendenWertewandel, der die Qualit"ten eines westlichen Industriestaates fragw!rdigerscheinen ließ und zu einer Aufwertung des çstlichen Gesellschaftsmodellsf!hrte.143 Die Untersuchung der Br!dergemeine kann bei diesen Fragen umdie Ann"herung besonders aufschlussreich sein, weil sie als zun"chst kon-servativ-pietistische Gruppierung quasi ein nat!rlicher Gegner des atheisti-schen sozialistischen Regimes war. Das bisher geschilderte Verhalten derGemeine in der Nachkriegszeit hat gezeigt, wie die Obrigkeitstreue trotz allenMisstrauens gegen den Staatssozialismus durchaus von traditionellem Ge-horsam und Loyalit"tsbem!hungen gepr"gt war, w"hrend Werte wie Demo-kratie und Freiheit kaum eine Rolle spielten. Trotz des Bewusstseins f!r den

137 Vgl. dazu die Kritik von Pollack, Rolle der evangelischen Kirche, S. 86–88.138 Besier, Les &glises protestantes.139 Vgl. dazu Nipperdey, S. 436, vgl. auch S. 405.140 Vollnhals, Antikapitalismus oder Illiberalismus?; Vollnhals, Im Schatten der Stuttgarter

Schulderkl"rung;Graf, Ordnungsmacht;Nowak, ZumhistorischenOrt der Kirchen in derDDR,S. 22 f.

141 Pollack, Rolle der evangelischen Kirche, S. 93 f. ; Pollack, Sozialismus-Affint"t?; zuletzt Pollack,Abbrechende Kontinuit"tslinien.

142 Graf, Traditionsbewahrung, S. 258.143 Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 208 f. ; Pohlmann.

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tiefen Bruch 1945 und trotz des Willens zum Neuanfang gab es starke Kon-tinuit"tslinien. In den f!nfziger Jahren jedoch sollte das Verh"ltnis zur Ob-rigkeit eine neue Qualit"t bekommen.

4.2.1 „Propheten der DDR“? Die Obrigkeit zeigt sich endlich gn"dig

Ab Ende der f!nfziger Jahre zeigte sich ein vçllig neuer Umgang zwischen demSED-Staat und der Br!dergemeine. Der Unit"t wurde von staatlicher Seite dasAttribut „loyal“ angeheftet. Die Herrnhuter nahmen an den Wahlen teil undbereiteten von einigen unliebsamen Geistlichen abgesehen kaum noch Pro-bleme.144 1958 berichtete ein Mitarbeiter der Staatssicherheit : „W"hrend dieHerrnhuter Br!dergemeine in den Jahren nach 1945 negativ zur DDR standund in jeder Beziehung reaktion"re Bestrebungen evangelischer Kirchenlei-tungen unterst!tzte, zeigt sich in den letzten Jahren eine Wendung. Die Hal-tung der Br!dergemeine […] kann jetzt als loyal bezeichnet werden.“145 DieOst-CDU erkannte die Zeichen der Zeit, nutzte von nun an das Renommee derFreikirche f!r sich, druckte in ihren Presseorganen seitenlange Artikel !berTradition und Sozialismusn"he der Herrnhuter und durfte in ihrem Verlags-haus, dem Union-Verlag, einen kleinen Band !ber Zinzendorf publizieren.146

In den siebziger Jahren sollte dann sogar die kritische Anfangszeit vergessensein. In einem Papier des SED-Referats f!r Kirchenfragen hieß es, bei der„Leitung und der !berwiegenden Mehrheit der [herrnhutischen] Geistlichendominiert eine positive Grundhaltung zu Staat und Gesellschaft in der DDR[…] Politisch negativ zu wertende Auffassungen und Tendenzen sind bishernicht in Erscheinung getreten.“147 Das CDU-Vorstandsmitglied G!nter Wirthverstieg sich gar zu der Aussage, die Unit"t sei dank ihrer Loyalit"t in den„kirchenpolitischen Auseinandersetzungen der f!nfziger Jahre […] so etwaswie das gute Gewissen des DDR-Protestantismus“ gewesen.148 Wie konnte esdazu kommen?

Schon Anfang der f!nfziger Jahre hatten Mitarbeiter der staatlichen Be-hçrden erkannt, wie hervorragend die Br!dergemeine f!r Propagandazweckegeeignet sei. Ein Funktion"r verwies in einem Papier auf die „kleine, aberaußerordentlich einflussreiche Unit"t“: Sie erfreue sich bei „fast allen evan-

144 RdBDresden, Referat f!r Kirchenfragen, 24.1. 1959, SAPMO-BADY30/IV 2/14/64; Bericht SED-KL Lçbau an BL Dresden, 14.11.1958, HStA Drd. 11864, IV/4/09.086.

145 Arbeitsgruppe Kirchenpolitische Fragen an Hartwig, 5. 2. 1958, BA DO 4/6316.146 Vgl. etwa Pressesammlung in SAPMO-BA DY 30 / IV 2/14/250; BA DO 4 / 272; UA EFUD 657;

Hickel, Lebenserinnerungen, S. 104; Informationsbericht von Geissler, CDU-KV Lçbau, 20. 11.1956, ACDP III-040-087/2; Exner.

147 Papier !ber Religionsgemeinschaften in der DDR, 10.: Evangelische Br!der-Unit"t, Referat f!rKirchenfragen der SED, SAPMO-BA DY 30 IV, B2/14/173.

148 Gutachten G. Wirth zu C. Ordnungs „250 Jahre Herrnhut“, 6. 12.1971, ACDP Bestand G. Wirth01–531.

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gelischen Christen einer uneingeschr"nkten Hochachtung“, habe Einfluss inder $kumene, und ein Großteil der Mitglieder dieser „Welt-Organisation“lebe „im Bereich der Natom"chte.“ Die Schlussfolgerung lautete: „In Anbe-tracht der in vieler Hinsicht nicht gering einzusch"tzenden Bedeutung derBr!der-Unit"t liegt es nahe, einen Versuch der Normalisierung zu diskutieren.[…] W!rde es gelingen, Herrnhut zu befriedigen, […] w!rden [die Herrn-huter] dann unwillk!rlich zu Propheten unserer demokratischen Ordnung inder christlichenWelt.“149 Auch CDU-Mitglieder hatten bereits in den f!nfzigerJahren deutlich gemacht, wie wertvoll die Unit"t aufgrund ihrer Internatio-nalit"t f!r Propagandazwecke sein kçnne. Eigentlich lege „die Br!der-Unit"tgroßen Wert darauf, ein gutes Verh"ltnis zu unserer Regierung herzustellen“,so ein Dresdner CDU-Funktion"r, leider helfe ihr der Staat dabei nicht. Erhabe den Eindruck, dass die Herrnhuter „nachWahrheit suchen und dankbarsind, wenn ihnen der richtige Weg aufgezeigt wird.“150

Doch erst die neue staatliche Politik, die bewusst die Kirchen zu spaltensuchte, erçffnete einen solchen Weg. Diese sogenannte „Differenzierungspo-litik“ hatten die Funktion"re beschlossen, um Kirchen und Pfarrern, die po-sitiv zurDDR standen, zu unterst!tzen und sie gegen die kritischeren Christenauszuspielen.151 F!r die Durchsetzung der neuen Politik sorgte unter anderemdas 1957 gegr!ndete Amt f!r Kirchenfragen unter Staatssekret"r WernerEggerath, das Nuschkes „Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen“ ab-lçste.152 Auch die Herausgabe staatsnaher theologischer Zeitschriften sowiedie Gr!ndung des loyalen Bundes Evangelischer Pfarrer 1958 mit Hilfe desDresdner Geistlichen Wolfgang Caffier war Teil der SED-Spaltungspolitik.Caffier stand im Dienst der s"chsischen Landeskirche, war jedoch seit einigenJahren auch Mitglied der Br!dergemeine.153

Die Unit"t mit ihrer Bem!hung um Loyalit"t passte in die neue Differen-zierungstaktik. An ihr hatten die bisherigen Zerw!rfnisse mit der Obrigkeitnicht gelegen. In einem Papier, das 1956 im ZK kursierte, hieß es: „In dergegenw"rtigen kirchenpolitischen Situation zeichnet sich die Br!der-Unit"tinnerhalb der evangelischen Kirche durch eine klare und loyale Einstellunggegen!ber unserer Republik aus.“ Beim bevorstehenden 500-Jahres-Jubil"um1956 werde eine „große Anzahl ausl"ndischer und vor allem auch !bersee-

149 Auskunftsbericht !ber die Deutsche Br!der-Unit"t, o.A., ca. 1951, BA DO 4/1520.150 Bericht !ber eine Unterredung mit dem Direktorium der Herrnhuter Br!der-Unit"t, 11.1. 1955,

S. 3, SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/51.151 Unterlagen in DO 4/6374; vgl. zur Differenzierungspolitik Pollack, Kirche in der Organisati-

onsgesellschaft, S. 127 f. , 139 u. 159.152 Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 127 ff. u. 143; vgl. auch Protokoll der Sitzung

des ZK, 14.3. 1954, SAPMO-BA DY 30/ J IV 2/2/353.153 Niederschrift, Weise, Staatssekret"r f!r Kirchenfragen, !ber Besprechung bei Wendt, Ministe-

rium f!r Kultur, 24.11. 1958, BA DO 4, Nr. 2568; Besier u. Wolf, „Pfarrer, Christen und Katho-liken“, S. 246–249. Vgl. zur Haltung Caffiers Bericht, 243.1959, BL Gera, Th!ringisches StARudolstadt, Bezirksleitung der SED Gera IV / 2 / 14 / 1196.

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ischer“ G"ste Herrnhut besuchen. Es gelte zu pr!fen, ob nicht „das von un-serem Staat angestrebte gute Verh"ltnis zu den unserer Republik loyal ge-gen!berstehenden christlichen Kr"ften vor den zahlreichen Besuchern aus In-und Ausland unterstrichen w!rde.“ Kleinere Zugest"ndnisse an die Br!der-gemeine st!nden daher „in keinem Verh"ltnis zu dem zu erwartenden großenpolitischen Nutzen.“154 Diese fr!he Ver"nderung in der Beziehung der Unit"tzum SED-Staat vollzog sich im Vergleich zu den Landeskirchen ausgespro-chen fr!h. Der Proteg' des SED-Regimes, der Th!ringer LandesbischofMitzenheim, unterschrieb erst 1958 seine Loyalit"tserkl"rung, die als „Kom-muniqu' von 1958“ in die Geschichte einging und von vielen evangelischenKirchen als zu staatsnah kritisiert wurde.155 Gegen!ber den anderen Kirchenfanden sich die Partei- und Staatsfunktion"re gar erst um 1960 zu einemfreundlicheren Klima bereit.156

Generell zeigten sich Freikirchen eher anf"llig f!r die staatliche Differen-zierungstaktik als die Landeskirchen, die allein durch ihre Grçße dem Staatmehr entgegen zu setzen hatten. Die Br!dergemeine aber war geradezu pr"-destiniert f!r die neue Politik. Wenn ihnen der Staat ihre Traditionen undgenug Freiheiten ließ, wenn er nicht st"ndig gegen die Nicht-Beteiligung ander Jugendweihe agitierte – dann fanden sich die Herrnhuter zum Einlenkenbereit. Ein Staatsfunktion"r meinte, die Unit"t sei gerade aufgrund ihrerTradition geeignet, sich in die DDR einzupassen. In einer Aufz"hlung dieservermeintlichen Herrnhuter Traditionen demonstrierte er dann das kreativePotenzial der Traditionserfindung: Ablehnung jedes staatskirchlichen An-satzes, der Einsatz der Unit"t f!r den „Weltfrieden“, die kapitalismuskritischeHaltung oder die N"he zu den „Volksdemokratien“.157 Alles das stand zwar imGegensatz zu den historischen Tatsachen. Eine j!ngere Generation aber, allenvoran der sp"tere Direktionsvorsitzende Helmut Hickel, w!rde diese ausge-streckte Hand ergreifen und sich tats"chlich f!r eine solche Neuinterpretationder br!derischen Tradition einsetzen.

Gleich 1945 hatte die Br!dergemeine damit begonnen, gegen!ber den Be-hçrden die Tradition der G!tergemeinschaft, die in der Unit"tsgeschichteeigentlich eine Ausnahmeerscheinung gewesen war, und das Soziale heraus-zustreichen. Bis zum Ende der DDR blieb dieser angebliche sozialistischeTraditionsstrang eines der am h"ufigsten wiederholten Argumente der Ge-

154 Abschrift Abraham D!rninger-Stiftung, 10. 12.1956, SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/250. Als ZK-Mitarbeiter sind auf dem Papier handschriftlich aufgelistet: E[rnst] Lange, Willi [Barth], Hans[Weise].

155 Boyens, Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, S. 128 f. ; Lepp, Tabu der Einheit? 372.156 Pollack, Von der Mehrheits- zur Minderheitskirche, S. 62.; Pollack, Kirche in der Organisati-

onsgesellschaft, S. 154–159.157 Auskunftsbericht !ber die Deutsche Br!der-Unit"t, o.A., wohl 1951, 4, BA DO 4/1520. Das

Papier stammt womçglich aus Nuschkes Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen und zeigteventuell die Strategie dieser Institution, um den Herrnhutern zu helfen.

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meine.158 In einemGespr"chmit „Christen in Ebersdorf“ 1961 erkl"rten einigeHerrnhuterinnen dem Kreis-Vorsitzenden „wie gerade die Br!dergemeineimmer eine Kirche der Armen gewesen sei, f!r soziale Gerechtigkeit eintreteund gerade von dieser Seite her die Politik unseres Staates gut heißt.“159 DieserUmschwung zu sozialistischen Ideen lag in der Nachkriegszeit in der Luft.Kapitalismuskritische und sozialistische Ideen waren auch unter Konserva-tiven virulent. Im Ahlener Programm der CDU in der britischen Zone von1947 hieß es: „Inhalt und Ziel [einer] sozialen und wirtschaftlichen Neuord-nung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, son-dern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.“160 Der nationalistische Utt-endçrfer meinte 1945 gar angesichts der desastrçsen Lage in Herrnhut: „Daspraktische Ziel muss eine kommunistische Kolonie“ sein.161 Gewiss zeigensich hier auch sozialpaternalistische Traditionsstr"nge der deutschen Kon-servativen. Daher konnte sp"ter unter Protestanten in der DDR die kritikloseGleichsetzung mancher sozialistischer Ziele mit sozialen christlichen Ideenweitgehend auf Zustimmung stoßen.

Besonders wichtig war f!r die Br!dergemeine die Neudefinition der In-ternationalit"t. Galt sie den Funktion"ren bis in die f!nfziger Jahre als Makelder Unit"t, wollte der Staat nun gerade diese weltweiten Beziehungen f!r sichnutzen. Dadurch konnte die Internationalit"t f!r Herrnhut nicht mehr Teileines b!rgerlich-elit"ren Selbstverst"ndnisses sein, das in dem globalen Ho-rizont zuvor ein Distinktionsmittel zwischen ihnen und ihren Mitb!rgerngesehen hatte. Tats"chlich installierte die Gemeine peu ( peu ein neues Kon-zept und pr"sentierte gegen!ber dem Staat die Herrnhuter Mission nunmehrals humanistisches Projekt zur Vçlkerverst"ndigung. Zur Demonstrationdieser neuen Internationalit"t eignete sich niemand besser als ein schwarzerPfarrer aus einem ehemaligen Kolonialland. Und so durfte 1958 der br!de-rische Pastor Jona Mwaitebele aus Tansania unter großem offiziellem Pro-gramm die DDR bereisen. In den zahlreichen Empf"ngen und Gespr"chenwurde der Geistliche nicht m!de, die DDR zu loben und zu preisen. Es mutetmerkw!rdig an, wie die Staatsfunktion"re jedes Lob des Gastes penibel no-tierten. „PfarrerM. ist !beraus beeindruckt von dem,was er in derDDRbisherkennen gelernt hat“, vermerkte ein Stasi-Report. „Er w"re [sic] ersch!ttert,dass er von prominenten Staatsfunktion"ren der DDR empfangen wird“. Aufbesonderes Wohlgefallen stieß der Vergleich mit der Bundesrepublik, in dersich der Pastor zuvor aufgehalten hatte. Bisher habe Mwaitebele geglaubt, dieHeimat der afrikanischen Unit"t sei Westdeutschland, „aber jetzt wisse er,dass diese Heimat nur die DDR sein kçnne. Er werde in seiner Heimat be-

158 Vgl. etwa Denkschrift !ber die Gemeinschaftsbetriebe der Br!der-Unit"t, o.A., wohl 1950, BADO 4/2289; Vermerk von Gr!nbaum, S. 18.11.1950, BA DO 4 / 2289.

159 Niederschrift !ber das Gespr"ch mit Christen in Ebersdorf am 13.3. 1961, BA DO 4/2979.160 Zitiert nach Kaack, S. 77; vgl. dazu auch Kaiser, Landeskirchen in der SBZ, S. 97 f. u. 104 f.161 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 250, UA Nachlass Uttendçrfer.

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richten, dass die DDR die wahre Heimat sei und dass in der DDR der Friedewohnt.“ Zudem habe er „festgestellt, dass die guten Menschen in der DDRwohnen und die schlechten Menschen in Westdeutschland.“162 An dieses Loberinnerten sich die Funktion"re noch nach vielen Jahren.163 Der Besuch warein voller Erfolg, auch wenn einem Genossen im Rat des Bezirkes Dresden eingrober Fehler unterlief : Mwaitebele begann bei einer Veranstaltung derDresdner Jungen Pioniere, von Jesus zu erz"hlen, „so dass die Kinder von demSinn der […] Feier abgelenkt wurden.“164

Die Br!dergemeine wurde von nun an zuvorkommend behandelt. Als etwaBischof Vogt 1958 auf einer Zugfahrt von einem Volkspolizisten geh"nseltwurde, beschwerte sich der Hauptabteilungsleiter des Staatssekret"rs f!rKirchenfragen, Hans Weise, persçnlich dar!ber beim Innenministerium.165

Die Kreisbehçrden jedochwaren!ber die neuestenKurs"nderungenwie so oftnicht im Bilde, und das Volkspolizeikreisamt Lçbau verbreitete wie bisher inseinen Berichten plumpe L!gen !ber die Herrnhuter. Doch nun beschwertesich der im Bezirk f!r Kirchenfragen zust"ndige Genosse beim Rat des Be-zirkes !ber diese „vçllig aus der Luft gegriffenen“ Angaben, die in Zukunft zuunterbleiben h"tten.166 1958 konnte die Unit"t endlich ihr G"steheim erçffnen.F!r den SED-Staat, der in Reisen und der Kontrolle der Reisenden eine ho-heitliche Aufgabe sah, bedeutete das ein erstaunliches Zugest"ndnis.167 Be-merkenswerterweise konnte sich die Br!dergemeine trotz dieser Privilegienund trotz ihrer loyalen Haltung weiterhin die Achtung der Landeskirchenerhalten – selbst bei einem so strikten Staatsgegner wie dem Berliner BischofOtto Dibelius.168 Herrnhut wollte es sich mit niemandem verderben.

Die Neuinterpretation der Tradition in den f!nfziger Jahren war zun"chsttaktisch gedacht. Doch zunehmend geschah die sozialismusnahe Reformu-lierung aus ehrlicher #berzeugung. Die Kompromissbereitschaft fand aberihre Grenzen. 1958 etwa erkl"rte der Gemeinhelfer Helmut Hickel in einemGespr"chmit Funktion"ren des Bezirkes, „dass Christen sozial veranlagt seienund dass die Einrichtung der Br!der-Unit"t ein zweihundertj"hriges Vorbildf!r die VEBs darstellt. Heute sei aber der Sozialismus unlçsbar mit dem dia-lektischen und historischen Materialismus verbunden und deshalb sei erskeptisch“. Dann monierte Hickel die massive Behinderung kirchlicher Ar-

162 Referat Kleine Religionsgemeinschaften an Staatssekret"r Eggerath, Betr. Aufenthalt des afri-kanischen Pfarrers Mwaitebele, 24.4.1958, BStU MfS HA XX/4–778, S. 242.

163 Breitmann, RdB Drd., Referat f!r Kirchenfragen, an Staatssekret"r f!r Kirchenfragen, 14.5.1963, HStA Drd. 11430, Nr. 10765/66.

164 Referat Kleine Religionsgemeinschaften an Staatssekret"r Eggerath, Betr. Aufenthalt des afri-kanischen Pfarrers Mwaitebele, 24.4.1958, BStU MfS HA XX/4–778, S. 243.

165 Weise, Betr. Bischof Johannes Vogt, an Ministerium des Innern, 6.12.1958, BA DO 4/740.166 Auszug aus Lagebericht der VPKA Lçbau, 30. 11.1957 u. RdB Dresden, Breitmann, an Be-

zirksbehçrde der Deutschen VP, 17.1. 1958, HStA Drd. 11430, Nr. 6286; vgl. zu den Berichtender Volkspolizei Unterlagen in HStA Drd. 11378, Nr. 294.

167 Statistische #bersicht !ber besondere Ereignisse, o.A., UA DEBU 865.168 Vgl. etwa O. Dibelius an J. Vogt, 20.6. 1957, EZA 4/347.

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beit.169 Theodor Gill, ein junger Herrnhuter Theologe, der stets zu den kri-tischsten Geistlichen in der Unit"t gehçrte, nannte 1954 gravierende M"ngelbei der br!derischen Jugend: Zum theoretischen Materialismus fehle das„nçtige Gegengewicht einer freien geistigen Grundhaltung, weil 1. die F"-higkeit zu selbst"ndiger Urteilsbildung durch die heutige, weltanschaulichgepr"gte Lern- und Wissensschule verk!mmert ist, und 2. an den Erwachse-nen h"ufig statt solcher geistigen Freiheit entweder eine "ngstliche Zur!ck-haltung in weltanschaulichen Fragen oder eine b!rgerlich-reaktion"re Op-position beobachtet wird.“170 Gill beschrieb damit recht gut die vorherr-schende Mentalit"t in der Br!dergemeine, der viel kritisches Protestpotenzialdurch die Westflucht verloren gegangen war. Gill selbst ist aber ein Beispieldaf!r, dass es nach wie vor freiheitlich-kritische Positionen gab. Die Einstel-lung zum Staat variierte in den verschiedenen Ortsgemeinen. So hieß es etwa1960 in einem CDU-Informationsbericht !ber das th!ringische Ebersdorf,dort gebe „es immer noch Unklarheiten in der Frage der Anerkennung derf!hrenden Rolle der Partei der Arbeiterklasse, sowie in der Notwendigkeit derMitarbeit aller Christen beimAufbau des Sozialismus.“171 Diese Situation hingauch mit der l!ckenhaften, legeren Kirchenpolitik im Bezirk Gera zusammen,die erst um 1960 mit massiver Sch!tzenhilfe aus Berlin in Frontstellung ge-bracht wurde.172

4.2.2 500-Jahr-Feier 1957 in Europa.Staat und Gemeine schaffen neue Traditionen

Zinzendorfs genialste Traditionserfindung, seine R!ckkoppelung der Br!-dergemeine an die alte Bçhmische Br!der-Unit"t, wurde im 20. Jahrhundertwieder der Anstoß f!r die Neudefinition br!derischer Tradition. Die 500-Jahrfeiern, die an die Gr!ndung der alten Unitas Fratrum 1457 erinnerten,erwiesen sich als idealer Anlass f!r Staat und Gemeine, ihre Beziehungen zukl"ren. Dabei !berließ der Staat die Neudefinition der br!derischen Traditionkeineswegs der Kirche, sondern griff aktiv ein, unterbreitete Vorschl"ge, diegewiss oftmals plump waren, aber auf die Gemeine nicht ohne Einfluss blie-ben.

Zu den Feierlichkeiten 1957 kam eigens Otto Nuschke nach Herrnhut undlegte in einer offiziellen Stellungnahme zur Geschichte der Br!dergemeinedar, wie die Traditionen der alten Unit"t im Sozialismus „bahnbrechendweiterwirkten“: die soziale und humanistische Tatkraft der Herrnhuter undihr Einsatz f!r den Frieden seien wegweisend f!r den Protestantismus der

169 Dienstreisebericht, RdB Dresden, 11.11.1958, BA DO 4/48b.170 Jahresbericht Jugendarbeit Herrnhut 1954, zitiert nach Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 3.171 Informationsbericht 10/1960, CDU Lobenstein an CDU-BVGera, ACDP II-209-001/2.172 Dienstreiseberichte von Wilke, 1959, BA DO 4, 345.

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Gegenwart. Da die Wurzeln der alten Unit"t in der Tschechoslowakei lagen,eignete sich der Anlass, Verbundenheit mit den benachbarten „Volksdemo-kratien“ zu demonstrieren. Nuschke konstatierte, die Br!dergemeine in derTschechoslowakei zeige „in exemplarischerweise, wie evangelische Christen ineiner neuen gesellschaftlichen Ordnung“ lebten. Vielleicht wusste der greiseNuschke tats"chlich nichts von der brutalen Unterdr!ckung der Kirchen imNachbarland. Seine historischen Ausf!hrungen beendete er mit der Feststel-lung, stets habe „Einvernehmen die Beziehungen zwischen den staatlichenStellen der DDR und der Direktion der Br!der-Unit"t bestimmt“; die Br!-dergemeine mçge, so seine Hoffnung, in dieser Hinsicht beispielhaft auf alleKirchen in der DDR wirken.173 Die christdemokratischen Zeitungen !ber-schlugen sich mit Artikeln und historischen Exkursen ins alte Bçhmen.#berall war von „Erbe“ und „Tradition“ und ihrer Bedeutung f!r den Sozia-lismus die Rede.174 Nicht nur bei der Unit"t erkannten die Machthaber dieBedeutung der Tradition f!r die Propaganda. 1960 erkl"rte Walter Ulbricht inder Volkskammer, Christentum und Sozialismus seien keine Gegens"tze, dadas Christentum „einst als Religion der Armen und des Friedens gegr!ndet“und von der Friedenssehnsucht erf!llt gewesen sei.175

Die staatlichen Instanzen gaben sich alle M!hen, zum Gelingen des Jubi-l"ums beizutragen. Bezirksbehçrden in Dresden und Staatssekretariat inBerlin zerbrachen sich die Kçpfe dar!ber, wie die Anwesenheit hoherStaatsg"ste auf die ausl"ndischen Besucher wirkten, wann ein Westdeutschereine Ansprache halten und wer einreisen d!rfe.176 54 G"ste aus der Bundes-republik und dem Ausland erhielten schließlich die Genehmigung zur Ein-reise, darunter acht US-B!rger. Auch die Unterbringung der insgesamt 320G"ste in Herrnhut sowie die Koordination der 1700 Besucher der Festwocheim Juni 1957 mussten in dem zentralistischen Staat mit Hilfe der Behçrdenorganisiert werden.177 Selbst !ber die Volkskammerwahlen einigten sich Staatund Unit"t im Vorfeld, da sie just am Festsonntag stattfanden. Die Herrnhutererkl"rten sich zur Teilnahme bereit und druckten auf dem Programmheft die$ffnungszeiten der Wahllokale ab. In einem „Arbeitserf!llungsbericht“ ver-merkte ein Staatsfunktion"r nach den Feiern: „Es wurde u. a. erreicht, dassKirchengemeinden geschlossen mit ihren Pfarrern vor Antritt der Fahrt nach

173 „Traditionen wirken bahnbrechend f!r die Gegenwart.“, in: Neue Zeit, 28. 3.1957; der gleicheArtikel auch in: Die Union, 2. 4. 1957; „Die Erben der Alten Br!der-Unit"t in der CSR“, in: NeueZeit, 4. 6. 1957; „Im ,Land derV"ter’“, in: DieUnion, 15.6. 1957; vgl. auch dasGrußwort Entwurf,Vorsitzender des RdB Dresden, R. Jahn, an BU, o.D., HStA Drd. 11430, Nr. 6284.

174 Vgl. die Pressesammlung in BA DO 4/272 u. SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/250.175 „Beten f!r die DDR“, in: Die Zeit, 19.5.1972.176 Unterlagen in BA DO 4 / 2459 u. 83961; HStA Drd. 11430, Nr. 6285 f. u. 10873.177 Bericht von Weiss, zur Kenntnisnahme Staatssekret"r, 14.6. 1957, BA DO 4/83961; vgl. auch

Unterlagen in UA DEBU 145 u. 1458a-i.

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Herrnhut ihrer Wahlpflicht gen!gten.“178 Der westdeutsche Kirchentagspr"-sident Reinhold von Thadden durfte eine Ansprache halten, obwohl die Be-zirksbehçrden ungl!cklich waren, dass ein B!rger der Bundesrepublik aus-gerechnet am Wahlsonntag sprechen sollte. Und – ein wichtiges Detail – zumersten Mal erhielt ein Herrnhuter in der DDR die Ehrendoktorw!rde: Dietheologische Fakult"t in Rostock verlieh sie Bischof Vogt.179

Die Herrnhuter f!hlten sich sichtlich wohl als staatliches Zelebrations-Objekt, hçrten sich die Traditionsinterpretationen der Staatsvertreterfreundlich an, blieben zu den Ideen aber noch auf Distanz. Die Unit"t feierteim Jubil"um ihre Selbstfindung: Hier zeigte sie, wer sie war, wie sie sich nachder Katastrophe von 1945 selbst definierte. Dazu gehçrte es, mit der Obrigkeitin Eintracht zu leben. Der br!derische B!rgermeister Clemens hatte beimCDU-Bezirksverband im Vorfeld angedeutet, Herrnhut w!rde sich !ber dieAnwesenheit von Regierungsvertretern bei den Feiern freuen.180 Doch nebenihrem christozentrischen Glauben, an dem sie unverbr!chlich festhielten,stand f!r die Herrnhuter im Zentrum der Selbstpr"sentation die Internatio-nalit"t, die sie inzwischen als ihr wesentliches Kennzeichen akzeptiert hatten.Im offiziellen Bericht der DDR-Gemeine !ber die 100-Jahr-Feiern, hieß es anerster Stelle: „Wir haben erfahren, dass wir !berall in der Welt Br!derhaben.“181 Auch die Moraven aus den USA waren beeindruckt von dem!beraus herzlichen Gef!hl der Zusammengehçrigkeit. In einem Brief verglichein US-Amerikaner die Feiern mit denen, die zuvor in Westdeutschland inKçnigsfeld stattgefunden hatten: „The attitude of everyone here is mostfriendly and cordial, and we feel we are enjoying a very unusual privilege. Infact we feel far more at home here than at Kçnigsfeld“.182 Das Bed!rfnis nachInternationalit"t war in der DDR viel ausgepr"gter als im Westen. In einemBericht !ber die Feiern im Publikationsorgan der amerikanischen S!dprovinzhieß es: „The warmth of welcome, the manifest love, and the strong sense ofunity have been the greatest impression”.183

Das Rahmenprogramm spiegelte das neue Selbstbewusstsein und war inalter Weise ausgewogen zwischen protestantisch bildungsb!rgerlichen und

178 RdB Drd., Abgeordnetenkabinett, an Abteilung Inneres, 14.6. 1957, HStA Drd. 11430, Nr. 6285;Bericht von Weiss, zur Kenntnisnahme Staatssekret"r, 14. 6.1957, BA DO 4/83961; H!lsen,Arbeitserf!llungsbericht 1957, BA DO 4/2459.Als allerdings die Zeitungen behaupteten, Johannes Vogt habe f!r die Nationale Front offengeworben („Festwoche in Herrnhut erçffnet“, in: Neue Zeit, 18. 6.1957), wies die Gemeine dieseBehauptungen entschieden zur!ck, Unterlagen UA EFUD 693; Vogt an Dibelius, 21.6. 1957,Unterlagen Th. Gill, Herrnhut.

179 „Festwoche in Herrnhut erçffnet“, in: Neue Zeit, 18.6.1957; Lebenslauf M. K!cherer, S. 31; „DieJubil"umsfeiern in Herrnhut vom 22.–25. Juni“, in: Br!derbote 1957, Nr. 97; RdB, Abgeord-netenkabinett, an Abteilung Inneres, Kultfragen, 24. 4.1957, HStA Drd. 11430, Nr. 6285.

180 CDU-Bezirksverband Dresden an RdB, Breitmann, 5. 6. 1957, HStA Drd. 11430, Nr. 10873.181 „Die Jubil"umsfeiern in Herrnhut vom 22.–25. Juni”, in: Br!derbote 1957, Nr. 97.182 R. Haupert an Jonny (F. P. Stocker), 24. 6.1957, MAB 99HII, Quincentennial, Visitors to Europe.183 Wachovia Moravian, October 1957.

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frommen br!derischen Anspr!chen: eine Singstunde und H"ndels Messiasals Auftakt der Festwoche, hoher Staats- und Kirchenbesuch, Einbettung inden historischen Horizont mit Vortr"gen, Festspielauff!hrungen und Ex-kursionen, Liebesmahle mit Herrnhutern aus aller Welt.184 Daneben mani-festierte sich in den Feiern das enge Verh"ltnis zu den evangelischen Lan-deskirchen. Der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Otto Dibelius erkl"rte in sei-nem Grußschreiben, wie wichtig das „heilige Erbe“ und der Dienst der Br!-dergemeine in der Vergangenheit und der Gegenwart seien. Dibelius endetesein Schreiben: „Wir lesen Ihre Losungen. Wir singen viele Ihrer Lieder inunserenGottesdiensten. Lassen Sie uns auch in den kommenden Tagen so treuund freudig zusammenstehen, wie das in der Vergangenheit der Fall gewesenist!“185 Es sah ganz so aus, als ob die „Differenzierungspolitik“ zwar Herrnhut„befriedete“, wie die Funktion"re es nannten, aber keinen Keil zwischen dieKirchen treiben konnte. Mit dem Gçrlitzer Bischof Ernst Hornig war ohnehinein Kirchenmann zu Gast, den das SED-Regime zu seinen Hauptfeindenz"hlte. Die Unit"t hoffte, beide Anforderungen vereinen zu kçnnen, die An-forderung des Staates, eine loyale Kirche zu sein, und die der protestantischenChristen, die Herrnhut als Leuchtturm der Frçmmigkeit sahen.

Das Jubil"umsfest in der Tschechoslowakei, das einen Monat zuvor statt-gefunden hatte und zu dem 18 ostdeutsche Herrnhuter reisen durften, warebenfalls eine Feier der neuen internationalen Einheit. Alle Teilnehmer erin-nern sich an das Gef!hl der Zusammengehçrigkeit !ber alle Grenzen hin-weg.186 Der Hçhepunkt fandwie so oft in der Geschichte der Br!dergemeine ineinem liturgischen Rahmen statt: bei einem Abendmahl, an dem Geschwisteraus Surinam, Holland, Großbritannien, USA und Westdeutschland teilnah-men. Eine Schwester notierte in ihrem Reisebericht: „Es ging plçtzlich eineBewegung durch die ganze Kirche. […] mit einem Mal kamen die Menschengelaufen und […] fielen sich um den Hals, k!ssten sich gegenseitig, und auchwir bekamen von allen Seiten K!sse und wurden umarmt. Die Leute weinten“.Das kulturelle Ged"chtnis çffnete in aller F!lle die Erinnerungen an den13. August: „%hnlich muss es damals 1727 gewesen sein“, erinnerte dieSchwester, „bei der Abendmahlsfeier in Berthelsdorf […] an dem Tag, vondem sie sagten: ,Wir lernten lieben’.“187 Die Herrnhuter aus aller Welt emp-fanden dieses Jubil"um als eine Ankn!pfung an ihre Wurzeln, eine R!ckkehrin die Geschichte, um damit die Gegenwart zu bew"ltigen. Der tschechischeBischof Adolf Ulrich schrieb dar!ber an den Vizepr"sidenten der Moravian

184 „Festwoche in Herrnhut erçffnet”, in: Neue Zeit, 18.6. 1957; „Die Jubil"umsfeiern in Herrnhutvom 22.–25. Juni”, in: Br!derbote 1957, Nr. 97; RdB, Abgeordnetenkabinett, an Abteilung In-neres, Kultfragen, 24. 4.1957, HStA Drd. 11430, Nr. 6285; Lebenslauf M. K!cherer, S. 31.

185 Rat der EKD, Bischof O. Dibelius an Bischof J. Vogt, 20.6.1957, EZA 4/347; vgl. auch „DieJubil"umsfeiern in Herrnhut vom 22.–25. Juni”, in: Br!derbote 1957, Nr. 97.

186 Hickel, Lebenserinnerungen, S. 100; Lebenslauf M. K!cherer, S. 31; J. Vogt an R. Kalfus, 24. 12.1958, UA DEBU 515.

187 Reisebericht Hertha Wenzel, zitiert nach Hickel, Lebenserinnerungen, S. 100.

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Church, Frederick P. Stocker, „again we felt the strong ties of the Word-wide-Unity. […] Again we can see something new in our Church, a real return to thesimplicity, frankness, humbleness and real brotherhood.“188

Es war ein reziproker Anpassungsprozess, der im Jubil"um 1957 kulmi-nierte. Die Differenzierungspolitik des Staates erst hatte eine Besserung desVerh"ltnisses zu der – grunds"tzlich obrigkeitstreuen – Br!dergemeine er-mçglicht. Beide Seiten, Staat undUnit"t, bem!hten sich, daf!r die br!derischeTradition DDR-kompatibel zu interpretieren. Die Herrnhuter stellten ihreInternationalit"t ins Zentrum, was freilich nur mçglich war, weil der Staatdiese akzeptiert und als n!tzlich erkannt hatte. Diese Traditionsdefinitionwargewiss nicht taktisch, sondern zeigt, wie komplex die "ußeren Zw"nge sichmitden frommen Intentionen der Gl"ubigen verschr"nkten. Gegegen!ber denplumpen Traditionsangeboten des Staates blieb die Unit"t auf freundlicherDistanz, eignete sie sich in der Folge aber als Lippenbekenntnisse an – bis sieteilweise Eingang ins kulturelle Ged"chtnis fanden.

4.2.3 Jubil"um und Generalsynode in den USA 1957

Die Hauptfestivit"ten der Unitas Fratrum f!r das 500-Jahres-Jubil"um fandenjedoch in den USA statt, da dort im gleichen Jahr auch die Generalsynodeabgehalten wurde – die erste seit 1931. In den Vereinigten Staaten hatte dasJubil"um eine andere Bedeutung. Die Moravian Church sah seit Ende des 18.Jahrhunderts aufgrund der damaligen Emanzipationsbestrebungen von derdeutschen Zentrale den eigentlichen Ursprung in der Bçhmischen Br!der-Unit"t und nicht mehr in der deutschen Br!dergemeine. Die çffentlicheAufmerksamkeit war nicht zuletzt deshalb wesentlich grçßer als bei den Fei-ern in Herrnhut.189 Nach Bethlehem kamen allein zur Erçffnungsveranstal-tung 5000 Menschen. Pr"sident Eisenhower sagte zwar als Hauptrednerebenso ab wie Albert Schweitzer, der der Br!dergemeine sehr nahe stand.190

Doch es fand sich ein – nicht ganz so prominenter – Ersatz im Generalsekret"rder Internationalen Missionskonferenz, Charles W. Ranson.191 Zur Hauptfeierin der S!dprovinz kamen 8000 G"ste und der Gouverneur von South Carolina– mit Polizeieskorte, wie die Moraven stolz vermerkten.192 Das Rahmenpro-gramm war gewaltig: Ein großer Musikwettbewerb (zu den Sieger-Hymnengehçrten „Our Father’s God“ und „In The Tumult Of The Ages“), zahlreichekulturelle Angebote und eine breit angelegte Spendenaktion, mit der bereits

188 A. Ulrich an F. P. Stocker, 16. 12.1957, MAB 99HII, Czechoslovakia.189 F. P. Stocker an R. G. Spaugh, 5.3. 1957, MAB 104GI, R. G. Spaugh; MAB 99HII; MAB 100FI,

Quincentennial; MAB 100FI, General Synod – Biographies of Delegates.190 Briefwechsel in MAB FI, Quincentennial.191 PEC Bethlehem, 24. 1.1957, MAB 99HII, March 3, 1957; Programmheft, MAB 100FI, 1957,

Quincenti-500th Anniversary.192 R. G. Spaugh an F. P. Stocker, 15.3. 1957, MAB 104GI, R. G. Spaugh.

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1951 begonnenwordenwar. Die Aktion sollte eine Dankesgabe anGott sein f!rdie gew"hrte lange Geschichte. Ihr Verwendungszweck verdeutlichte die da-maligen Priorit"ten derMoravian Church. F!r sie stand dieMission innerhalbder USA im Zentrum: W"hrend etwa die Provinz Bethlehem f!r die Aus-landsmission rund 20 000 Dollar und f!r das Fest-Vorbereitungs-Komitee15 000 Dollar Spendengelder anvisierte (eine Summe die sp"ter wesentlicherhçht wurde), hoffte sie f!r die innere Mission (Church Extension) auf150 000 Dollar. Sp"ter strebte sie f!r das Programm „Building and Expansion“(Innere Mission, Kirchen- und Sonntagsschulbauten) 500 000 Dollar an.193

Hier zeigte sich ein wesentlicher Unterschied zu den Herrnhutern in Europa,die zu Hause nicht um Mitglieder warben und zu deren Selbstverst"ndnis esgehçrte, klein und effektiv zu sein.

W"hrend staatliche Vertreter in der DDR den Beitrag der Unit"t am Aufbaudes Sozialismus unterstrichen, sah der demokratische Kongress-AbgeordneteFrancis E. Walter aus Pennsylvania im br!derischen Erbe einen Grundpfeileramerikanischer Werte wie Freiheit und hohe Moral: „It is to them that we owethe beginnings of the passion for religious freedom that led the Pilgrims andthe Puritans to New England to lay the cornerstone of America’s heritage ofliberty […] the Nation as awholemay well acknowledge the debt it owes to thefund of moral and religious strength with which the Moravians have endowedus.”194 Walter, ein Demokrat und gl!hender Antikommunist, stand der Mo-ravian Church nahe bzw. sah in ihr als Pennsylvanischer Abgeordneter einewichtige Lobby.

Trotz aller nationalen Einbindung der Moraven spielte auch in den USA dieInternationalit"t eine große Rolle, allein wegen der dort stattfindenden Uni-t"tssynode, dem hçchsten Gremium der weltweiten Unit"t. Die rund f!nfzigDelegierten im Sommer 1957 kamen außer aus den USA aus der Tschecho-slowakei und D"nemark, Holland, BRD und DDR, Schweiz und Tansania,S!dafrika und Alaska, Nicaragua und dem damaligen Britisch-Westindien.Hinzu kamen zahlreiche weitere ausl"ndische Besucher.195 Aus der DDRdurften vier G"ste einreisen: das Ehepaar Vogt, Direktionsvorsitzender ErwinFçrster und der br!derische Theologe Werner Hauffe. Diese Genehmigung ineiner Zeit kirchenpolitischer Auseinandersetzungen war eine demonstrativeBelohnung des SED-Regimes f!r die loyale Haltung der Gemeine.196 DieHerrnhuter aber sahen in der Reise vor allem die St"rkung der internationalenZusammengehçrigkeit. Hauffe schrieb in einem Brief aus den USA: „Dasganze br!derliche Beisammensein und br!derische Gut l"sst einen immer

193 Unterlagen MAB 99HII, Anniversary Hymn Contest, January, 1957, MAB 112CI; Artikel in TheMoravian, 15.12.1951; Unterlagen 99HII, Quincentennial Comm; The Quincentennial ProgramObserving the Five Hundredth Anniversary, MAB 100FI, Quincentennial.

194 „The Moravian Church. Extension of Remarks of Hon. Francis E. Walter”, in: CongressionalRecord, 24.7. 1956; vgl. zur Diskursgeschichte Graf, Protestantismus, S. 75 f.

195 „Generalsynode der Welt-Br!der-Unit"t”, in: Neue Zeit, 20.9.1957.196 RdB, Abteilung Inneres, an Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, 24. 6.1956, BA DO 4/740;

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wieder vergessen, dass man nicht in Deutschland ist. […] #berall aber wirduns große und herzliche Verbundenheit und br!derliche Liebe geschenkt. Esist so dankbar zu erleben [sic], dass, wo man in einer Gemeine ist, man in derHeimat ist.“197 Und Fçrster schrieb r!ckblickend in seinem Lebenslauf: „DieseGeneralsynode […] hat eine ganz stark einigende Wirkung f!r die gesamteUnit"t gehabt. Das war nach dem verheerenden Kriege und der ungewçhnlichlangen Pause ein wunderbares Geschenk. Wir fuhren alle wieder nach Hausein dem Bewusstsein, dass die innere Einheit der Unit"t noch nie so stark undlebendig gewesen war.“198

Da die Unit"tskonferenz erstmals wieder seit 1931 tagte, gab es viel zuregeln. Der wichtigste Punkt war die Verabschiedung einer neuen gemeinsa-men Verfassung: „Der Grund der Unit"t“ („Ground of the Unity“). DieseKirchenordnung wurde neben der Unit"tssynode eine der einheitsstiftendenS"ulen der Unitas Fratrum. Deutlich zeigte sich die christozentrische Aus-richtung: „Der Herr Jesus Christus schafft und beruft sich seine Gemeinde,damit sie hier auf Erden ihm diene, bis er kommt”, begann die Satzung. Schonim zweiten Satz sprach die Verfassung von der Missionsaufgabe der Unit"t als„den Grund ihres Daseins und die Quelle ihres Dienstes.“199 Klar war zudemder Bezug auf die Heilige Schrift. In der Ausgabe f!r den deutschen Ost- undWest-Distrikt hieß es, man habe aus der NS-Zeit gelernt, „dass die Grunds"tzef!r Aufbau und Gestalt einer Kirche noch deutlicher als bisher an der HeiligenSchrift ausgerichtet werden m!ssen. Daf!r hatte schon vorher die theologi-sche Erneuerung der letzten Jahrzehnte die Augen geçffnet, durch die dasGeisteserbe Zinzendorfs f!r uns wieder lebendiger geworden ist.“200 Auch dieInternationalit"t und die çkumenische Ausrichtung der Gemeine unterstri-chen die Verfassungsv"ter.201 Alle Beteiligten staunten, wie raschund einm!tigdie Ordnung verabschiedet werden konnte. Nach zwei Weltkriegen war einsolches internationales Papier nicht selbstverst"ndlich.202

Zu den wesentlichen Neuerungen gehçrte neben der grunds"tzlichenMçglichkeit, Frauen zu ordinieren, die organisatorische Aufwertung derbisherigenMissionsfelder zu Provinzen.203 Damit leitete die Br!der-Unit"t diein vielen Kirchen anstehende Emanzipation der Missionsgebiete ein, die nichtzuletzt durch die Entkolonialisierung zahlreicher L"nder unumg"nglichwurde. Um die neue internationale Einheit mit Leben zu f!llen, richteten dieDelegierten ein Unit"tskomitee ein (sp"ter in abgewandelter Form die Uni-

197 USA-Briefe von Hauffe, 17.8. u. 26.9. 1957, im Rundschreiben an Gemeindiener, 2. 10.1957,DEBU 50.

198 Lebenslauf Erwin Fçrster, S. 16.199 Der Grund derUnit"t; Kommentar „Die Kirchenordnung der EvangelischenBr!der-Unit"t” von

Hans-Georg Hafa, S. 7, 9–15, UA EFUD 914.200 Die Grunds"tze der Evangelischen Br!der-Unit"t, S. 3.201 Die Grunds"tze der Evangelischen Br!der-Unit"t, S. 16 f.202 Rundschreiben an Gemeindiener, 2.10. 1957, DEBU 50.203 „Synod Meets in Bethlehem”, in: Wachovia Moravian, September 1957.

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t"tsbehçrde), um die weltweite Einheit der Unitas Fratrum auszubauen und zufestigen. Das Komitee sollte sich zwischen den Unit"tssynoden treffen,haupts"chlich aber !ber Korrespondenz funktionieren. Die ersten Mitgliederwaren Radim Kalfus aus der Tschechoslowakei (der bald allgemein als Mit-glied des tschechischen Geheimdienstes verd"chtigt wurde), Heinz Motel ausdem Distrikt West der Europ"isch-Festl"ndischen Provinz, L. J. Britton ausEngland, F. P. Stocker und R. Gordon Spaugh aus den beiden amerikanischenProvinzen.204

Eine der bedeutendsten Neuerungen war die sogenannte Gebetswacht, beider an 365 Tagen im Jahr und 24 Stunden t"glich, aufgeteilt auf die verschie-denen Gemeinen, weltweit die Glaubensgenossen f!reinander beten.205 DieserRitus best"tigte und festigte die seit 1945 gewachsene Internationalit"t derUnitas Fratrum. Bezeichnenderweise kam der Vorschlag von Herrnhuterin-nen aus der DDR.206 In dem sozialistischen Staat lebten die Mitglieder nichtnur besonders intensiv mit den Traditionen, sondern hier war auch dieSehnsucht nach internationalem Halt st"rker ausgepr"gt als in anderen L"n-dern. Die Gebetswacht, die ihre Wurzeln in einem Ritus aus dem 18. Jahr-hundert hatte, erforderte einen betr"chtlichen organisatorischen Aufwand.Die Herrnhuter mussten nicht nur einen genauen Zeitplan aufstellen, sondernauch koordinieren, welche Gemeine f!r welche betete. Daf!r mussten siedetaillierte Informationen austauschen, jede Provinz nannte Anliegen, f!r diedie anderen beten sollten.207 So beteten um 1960 etwa von drei bis vier Uhrmorgens die US-Moraven w"hrend ihrer Gebetstage f!r die „Moravians in theEastern (Communist) Zone of Germany“; in einer Brosch!re fanden sichneben einer Literaturangabe zu den DDR-Herrnhutern die folgenden „Ge-betsanliegen“: dass die Geschwister weiterhin Zeugnis f!r ihren Glaubenablegen kçnnten, dass die finanzielle Last leichter werde, dass die Jugend einchristliches Leben w"hlen mçge, dass der Dienst des Losungsbuches gesegnetsei und dass die Glaubensgenossen ihr diakonisches Werk fortsetzen kçnn-ten.208 Damit waren die wichtigsten Punkte im Leben des Ost-Distrikts auf-

204 „Synod Meets in Bethlehem”, in: Wachovia Moravian, September 1957; Synodalprotokolle inMAB 100FI, General Synode Minutes u. 101H, G. Synod Minutes.

205 C. H. Shawe an F. P. Stocker, 19.11.1953, MAB 104GI, C. H. Shawe; G. Synod Minutes, S. 124,MAB 101H (F. P. Stocker. Boards, Box 10), G. Synod Minutes (Box); Peucker, „Unit"tsgebet-wacht” u. „Stundengebet“, Herrnhuter Wçrterbuch, S. 50 u. 55.

206 Unterlagen UA DEBU 306; H. G. Steinberg an PEC, USA, 24.1. 1956, 99HII, Continental Pro-vince.

207 Sitzungsbericht der DUD Herrnhut, 6.1. 1960, UA DEBU 9; Hasting an EFUD, BB, 8.1.62, UAEFUD 656; H. Bintz an H. Hickel, 13.11.1970, UA EFUD 658; Rundbrief PEC an Pastoren derNorthern Province, 15. 9.1975, MAB 173HII, Various Letters and Mem.; Dritter Rundbrief vonder Unit"tssynode in Potstejn von D. Schiewe, 28.7. 1967, MAB 173HI, Unit"tssynode 1967-S420–5; Unity Newsletter, 20.11. 1975, MAB 173HI, Newsletter ; MAB 100GI, Hourly Interces-sion.

208 Subject: Moravians in the Eastern (Communist) Zone of Germany, MAB 100GI, Hourly Inter-cession.

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gelistet. Generell war die #bermittlung von „Gebetsgegenst"nden” (f!r einkrankes Mitglied, den Abbau politischer Spannungen oder eine gl!cklicheEhe) eine intensive Art des Informationsaustausches.209 Das Gebet bewirkteeine psychologische Stabilisierung. In einer Predigt im Januar 1957meinte einPfarrer in Niesky : „Muss es uns nicht bewegen, dass, w"hrend wir hier ver-sammelt sind, auch f!r uns gebetet wird, gegenw"rtig von Tibet !ber Jorda-nien, auf der Hochfl"che von Tanganiyka in Ostafrika!”210 – „[T]he Moraviansin the D.D.R. have a real need to feel the Unity of the Moravian Church”,erkl"rte sp"ter ein Bruder aus den USA, der die DDR bereiste. „The thoughtsand prayers of others when people are oppressed can mean the differencebetween havingmeaning and hope in life or being completely depressed aboutlife.”211

Nach der Unit"tssynode schrieb der Pr"sident der S!dprovinz R. GordonSpaugh an den Vorsitzenden der Nordprovinz Frederick P. Stocker : „I thinkthe Synodwillmark a turning point in the life of our church during this presentera.“212 Tats"chlich goss die Synode die weltweiteVerbundenheit derUnit"t f!rdas 20. Jahrhundert in Riten und in eine Verfassung und schuf f!r die Mis-sionsfelder einen Weg in die Unabh"ngigkeit.

4.3 Wirklichkeitsproduktion I:Kommunikation im SED-Staat

Die Kommunikation zwischen den B!rgern und dem Staat war eines derzentralen Herrschaftsmittel. Mangels $ffentlichkeit legte die Obrigkeit dieFormen des Austausches fest. Diese Formen, die allerdings der Mitwirkungvon unten bedurften, bestanden !berwiegend aus #berwachung, Denunzia-tion und Erpressung. Ihre Durchdringung des Alltags und ihre Absurdit"twurden von den B!rgerinnen und B!rgern schließlich als legitim, als normal,als wirklich akzeptiert. Die Kommunikationsformen hatten sich des Alltagsbem"chtigt und waren damit nicht nur f!r die Br!dergemeine eine Kompo-nente im Ann"herungsprozess an das SED-System geworden.213

Nach Kriegsende empfanden die Menschen eine starke Zunahme der Be-spitzelung und Denunziation. Mit dem 1950 gegr!ndeten Ministerium f!r

209 100GI, Hourly Intercerssion; Rundbrief F. P. Stocker, 24. 3.1947, MAB 99GI, Moravian EuropeanRelief; J. Vogt, via Berlin, an K. G. Hamilton, 21.9. 1955, MAB 113FI, Germany East Zone 54–59;K. G. Hamilton an H. Meyer, 3. 12.1951, MAB 113FI, Germany : Meyer ; K. G. Hamilton an H.Meyer u.E. Bellack, 25.3. 1955 u. G. Hasting an K. G. Hamilton, 12. 4.1957, MAB 113FI, Ger-many : Heinrich Meyer.

210 Predigt von H. Erbe, 27.1.1957, UA DEBU 623.211 Paper „The East German Moravian Church“ von J. S., 5/1974, Unterlagen A. Freeman, MAB.212 R. G. Spaugh an F. P. Stocker, 24.9. 1957, MAB 104GI, R. G. Spaugh.213 Vgl. dazu Richter, Rechtsunsicherheit als Prinzip.

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Staatssicherheit (MfS) professionalisierte sich die Observation. Der erstenumfassenden #berwachungsoffensive der Staatssicherheit gegen die Unit"tvon 1951 war jedoch kaum Erfolg beschieden. Ein Charakteristikum des MfSbestand aus der vorbeugenden Verfolgung: Jemand, der unter Verdacht stand,sollte so lange bearbeitet werden, bis sich der Verdacht erh"rtete.214 In diesemSinne und im Zuge der versch"rften Kirchenpolitik des ZK im Jahr 1955entwarf die Stasi-Hauptabteilung V/4/C in Berlin einen Plan, um endlich auch„in Herrnhut Fuß [zu] fassen […] und ihre ohne Zweifel begangene Feind-t"tigkeit zu entlarven. Es muss erreicht werden, dass die Interessen unseresArbeiter- und Bauernstaates auch in Herrnhut ihre Verwirklichung finden.“215

Die geplanten Maßnahmen zeigen, wie gering die Mçglichkeiten der Staats-sicherheit in Herrnhut waren: ein Gespr"ch mit dem B!rgermeister, Anwer-bung der wenigen SED-Genossen am Ort, Erpressung potenzieller IM mitkompromittierendem Material aus der NS-Zeit und die Einweisung einesSpitzels in Wilfried Merians Wohnung als Untermieter.216 1956 meldete dieStasi-Dienststelle Lçbau, ihre Versuche, Einfluss auf „maßgebliche[] Perso-nen“ der Direktion zu bekommen, seien „in allen F"llen fehlgeschlagen.“ Diebr!derischen Informanten „dekonspirierten“ sich kurz nach der Anwerbung:Sie gingen, wie in der Unit"t vereinbart, zu einem leitenden Mitarbeiter undberichteten von ihren Kontakten. Nach der Dekonspiration war ein Informantf!r die Stasi oft wertlos.217 Zwar blieb die Gemeine imVisier, insbesondere ihreInternationalit"t, die „ohne Zweifel eine besonders große Anziehungskraft aufdie westlichen Spionage- und Agentenzentralen“ aus!be, wie das MfS ver-mutete.218 Doch mit der Ann"herung der Unit"t an das Staatssystem Ende derf!nfziger Jahre ließen auch die #berwachungsbem!hungen nach.

1967 gelang es dem Geheimdienst f!r kurze Zeit, den Finanzdirektor Ri-chard Wunder einzuspannen. Sein Fall war typisch f!r die Br!dergemeine:Zun"chst wiesen sich die Herren als Kriminalpolizei aus, die in einem Fall von„Hetzschmierereien“ auf dem Hutberg ermittelten; entsprechend kooperativzeigte sich Wunder. Allm"hlich aber gaben sich die Geheimdienstleute zuerkennen. Aus denAktenwird deutlich, wie zur!ckhaltend der Finanzdirektorblieb, ohne doch offen seine Ablehnung zeigen zu wollen und die konspira-tiven Treffen abzulehnen (wie er es durchaus h"tte tun kçnnen): Er gab keineschriftliche IM-Erkl"rung und keine schriftlichen Berichte ab, er denunziertekeine Personen und seine Informationen waren an Banalit"t nicht zu !ber-bieten. So empfand es der zust"ndige Leutnant aus Lçbau als großen Triumph,

214 Gill u. Schrçter, Ministerium f!r Staatssicherheit, S. 131 et passim.215 Plan f!r die Weiterbearbeitung der „Deutschen Br!der-Unit"t“ in Herrnhut, HAV/4/C, Her-

brich, 10. 12.1955, BStU MfS HA XX/4, 778, S. 191 f. ; vgl. zu den ZK-Maßnahmen Protokoll derSitzung des Politb!ros des ZK, 4. 1. 1955, SAPMO-BA DY 30/J IV 2/2/398.

216 Merian musste jahrelang gegen diese Zwangseinweisung k"mpfen. Lebenslauf W. Merian, S. 2.217 Bericht Dienststelle Lçbau, 13.1. 1956, S. 11, BStU BV Drd. KD Lçbau 18066.218 Maßnahmeplan, o.A., Berlin, 10.2. 1956, BStU MfS HA XX/4, 778, S. 187 ff; vgl. zur Bahnhofs-

mission in Ostdeutschland Talkenberge.

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als Wunder eine #bersicht !ber die bei der Unit"tsdirektion Besch"ftigtenabgab. Dergleichen h"tte der Geheimdienst aus jedem Telefonbuch und jedemRundbrief erfahren kçnnen. Und bereits ein Jahr sp"ter, 1968, offenbarte sichder inzwischen von Gewissensbissen geplagte Wunder dem Direktionsvor-sitzenden Fçrster. Dieser schrieb daraufhin einen Brief an die Geheimbehçrdein außerordentlich souver"nem Duktus, in dem er die konspirativen Verbin-dungen zuWunder als eine Zumutung f!r diesen bezeichnete und erkl"rte, dieBr!der-Unit"t habe die Arbeitskraft des Finanzdirektors bitter nçtig undm!sse daher daf!r sorgen, „dass ihm derartige außergewçhnliche Belastun-gen f!r die Zukunft erspart bleiben. Ich halte es deshalb f!r meine Pflicht, Siehierdurch zu ersuchen, von weiteren Gespr"chen mit Herrn Direktor WunderAbstand zu nehmen.“219

Erst in den siebziger Jahren, als die Br!dergemeine mit ihrem Fçrde-rungsheim f!r Behinderte an Bedeutung gewonnen hatte, intensivierte sichdie Observationwieder in grçßeremUmfang. Die gesteigerte Aufmerksamkeitlag wohl auch – außer an der allgemeinen Zunahme der Stasi-Aktivit"ten indieser Zeit – am wachsenden Einfluss des Querdenkers Theodor Gill, dessp"teren Bischofs.220 1976 leitete die Staatssicherheit umfassendeMaßnahmenin Herrnhut ein zur „Nachweisf!hrung einer feindlichen T"tigkeit der reak-tion"ren Kr"fte innerhalb der Direktion“ sowie zur Aufkl"rung der „Verbin-dungen in das kapitalistische Ausland und in die Zentrale […] Bad Boll“.221

Nunwandte das MfS die hçchste Stufe der konspirativen Verfolgung an: einenOperativen Vorgang (OV) mit dem Namen „OV,Hut’“, zu dem sp"ter der „OV,%rger’“ kam.222 Auch hier ging es um vorbeugende Verfolgung. Ein OV galtEinzelpersonen oder Gruppen, die den Verdacht erregten, „Verbrechen“ miteinem „hohen Grad an Gesellschaftsgef"hrlichkeit“ begehen zu kçnnen.223 DiePhantasie der MfS-Mitarbeiter, sich G"ngelungen auszudenken, kannte beieinem OV keine Grenzen: willk!rliches Vorladen zu staatlichen Dienststellen,das Erzeugen von Misstrauen und Rivalit"ten, Sch"digung des çffentlichenRufes, Organisieren gesellschaftlicher Misserfolge oder Abbruch von Karrie-ren. Selbst wenn die Opfer wie im Fall von Theodor Gill durch eine staats-unabh"ngige Arbeitsstelle gesch!tzt waren, bedeuteten die OV-Maßnahmenf!r die Betroffenen und ihre Familien eine enorme psychische Belastung.

219 Alle Unterlagen zu diesem Fall in der schmalen Wunder-Akte BStU BV Dresden AOG 350/69.220 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 7 f.221 Operativplan von Leutnant Albinus, Staatssicherheit Dresden, Abteilung XX/4, 22.4. 1976, BStU

MfSHAXX/4, 778; Oberstleutnant Tzscheutschler, Bezirksverwaltung f!r Staatssicherheit Drd.,Abteilung XX, an Stellvertreter operativ, Genosse Oberst Bormann, 14.1. 1977, S. 2, BStU MfSHA XX/4, 778; vgl. auch Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 7 f.

222 Erg"nzung zum M-Rapport, 28.10.1979, BStU BV Drd. AIM 4977/81 II-II; BStU BV Drd. AIM1100/85; vgl. allgemein zum Operativen Vorgang Gill u. Schrçter, Ministerium f!r Staatssi-cherheit, S. 131.

223 Zitiert nach Gill u. Schrçter, Ministerium f!r Staatssicherheit, S. 134; vgl. zu OV auch Engel-mann, S. 21–23.

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Telefon!berwachung und Postkontrolle, inklusive stillschweigender Be-schlagnahmung von Briefen, gehçrten zu den Nebenwirkungen.224 Wesentli-cher Bestandteil der „Bearbeitung“ der Gemeine war es, einen „Differenzie-rungsprozess“ innerhalb der leitenden Mitglieder zu befçrdern.225 DiesemVorhaben war aber kein Erfolg beschieden. Die F!hrungskr"fte der Unit"ttraten nach außen stets geschlossen auf.226

Ab 1975 bis zumEnde derDDR standen der Stasi nach Aktenlage insgesamtdrei Herrnhuter in zentralen Positionen f!r eine enge Zusammenarbeit zurVerf!gung. Zweifelsohne war das MfS allein durch seine Existenz und dasWissen der Menschen um seine angebliche Omnipr"senz ein pr"genderFaktor. Doch davon abgesehen und trotz der prominenten Informanten in derGemeine blieb die geheimdienstliche #berwachung der Unit"t nach Aus-wertung der vorliegenden Akten erstaunlich gering. 1977 etwa gab es inHerrnhut lediglich vier „IM“ f!r die Oberservation der Br!dergemeine.227 Inaller Regel lagen der Staatssicherheit banale Informationen vor, oft war sieschlecht oder falsch informiert. F!r die relativ geringe Pr"senz des Geheim-dienstes bei der Br!dergemeine gibt es zwei Interpretationsmçglichkeiten, diesich wahrscheinlich gegenseitig erg"nzen: Einmal war die Freikirche rechtabgeschlossen und funktionierte in ihrer Subkultur so gut, dass sich nurwenige Spitzel fanden. Zum anderen w"re bei einer solch staatsloyalen Kircheeine intensivere #berwachung ein unnçtiger Verbrauch an Ressourcen ge-wesen.

Wesentlich wichtiger f!r die Unit"t und in der DDR-Forschung oft unter-beleuchtet waren die kaumwahrnehmbaren#berwachungsmechanismen. Siegehçrten zum offiziellen Verwaltungsrepertoire, wie die Zensur, die Reise-beschr"nkungen, die #berwachung jeder Vervielf"ltigung von Schriftst!cken(bis hin zu Ausleihscheinen in der Bibliothek), die zentral gelenkte Ausbil-dungsplatz- und Wohnungsvergabe oder die Meldepflicht ausl"ndischer undbundesrepublikanischer G"ste; hinzu kamen die pararechtlichen #berwa-chungsmechanismen wie die, die nicht nur jeden Brief zur potenziellen Lek-t!re von Staatsangestellten machte, sondern auch die Einfuhr von Literatur

224 Gill u. Schrçter, Ministerium f!r Staatssicherheit, S. 138 f. ; Unterlagen Th. Gill, Herrnhut, darinKopien aus Th. Gills Stasi-Akte; Th. Gill an Dr. H. Bintz, 10.1. 1975, UA EFUD 659.

225 IM-Rapport von Albinus, Treff mit IMF Hickmann, Abteilung XX/4, Dresden, 10.1.79, BStU BVDrd. AIM 4977/81, II-II, S. 54; Oberstleutnant Tzscheutschler, Bezirksverwaltung f!r Staatssi-cherheit Drd., Abteilung XX, an Stellvertreter operativ, Genosse Oberst Bormann, 14.1. 1976,S. 2, BStU MfS HA XX/4, 778.

226 Bericht IMF „Hickmann“, Abteilung XX/4, 12.2. 1980, BStU BV Drd. AIM 4977/81 II-II, S. 168;Interview mit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8.2007, Unterlagen H. Richter ; Vgl. zu„,OV,Hut’“ auchUnterlagen in BStUBVDrd. AIM4977/81 II-I, BStUMfSHAXX/4 778; BStUBVDrd. AIM 1100/85.

227 Oberstleutnant Tzscheutschler, Bezirksverwaltung f!r Staatssicherheit Drd., Abteilung XX, anStellvertreter operativ, Genosse Oberst Bormann, 14.1. 1977, S. 2, BStU MfS HA XX/4, 778; einHerrnhuter, !ber den die Stasi wohl am meisten Dokumente verfasste, wollte seine Aktenverst"ndlicher Weise nicht einsehen lassen.

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stark beschr"nkte – ein Problem f!r jede Kirche. Alle diese Mechanismenboten jeweils ein weites Feld f!r Willk!r und Bestechung.228 Grundlage deroffiziellen behçrdlichen #berwachung war ein ausgefeiltes Berichtswesen,insbesondere die Wochen-, Monats- und Jahresberichte, die auf allen Ebenen,in allen Instanzen und Einrichtungen geschrieben und nach oben weiter ge-leitet wurden.229 Ob Parteien, Massenorganisationen, VEBs, Gewerkschaftenoder Verwaltung, alle verfassten auf unterer, Kreis-, Bezirks- oder Staatsebeneeine Flut an Berichten, die zwar viele der sozialistischen Phrasen enthielten,doch oft auch Brauchbares, das dann an die n"chste Instanz und bei Bedarf anbeliebig viele andere Stellen weiter gemeldet wurde.230 Da die Observations-berichte auch von den Klagen der #berwachten erz"hlten, boten sie denMachthabernwie inDiktaturen !blich, dieMçglichkeit, sich !ber Probleme zuinformieren, !ber die sie angesichts der mangelnden $ffentlichkeit sonstnichts erfahren konnten. Dabei spielten die Pfarrer eine besondere Rolle.Berichte !ber Gespr"che mit Geistlichen zitieren h"ufig kritische Ansichten,die ansonsten unerhçrt war : Die DDR sei kein Rechtsstaat, die Wahlen seienScheinwahlen, die Wirtschaft entwickle sich katastrophal oder die Kinderw!rden zu Gewalt und Hass erzogen.231 1970 erkl"rten die Pfarrer dem Kir-chenreferenten des Bezirkes Dresden, sie hielten die Aussprachen f!r wichtig,„denn sonst w!rde der Staatsapparat ja von !berhaupt niemandem die wahreMeinung der Bevçlkerung erfahren.“232 Theodor Gill gab regelm"ßig seinenProtest gegen die Diskriminierung christlicher Jugendlicher oder seinen Spott!ber die „marxistische Wissenschaft“ zu Protokoll.233

Die Daten dieser viel umfassenderen Observation !ber die Br!dergemeinewurden bei jener Behçrde geb!ndelt, die der wichtigste obrigkeitliche An-sprechpartner der Freikirche war, beim Rat des Bezirkes in Dresden.W"hrendsich das dort angesiedelte Kirchenreferat unter dem promovierten Gesell-schaftswissenschaftler und SED-Genossen Horst Dohle eine gewisse Kom-petenz !ber die Herrnhuter und den Pietismus angeeignet hatte, standen dieKreisbehçrden dem Ph"nomen Herrnhut mit stupender Ignoranz gegen!ber.Doch auch wenn der Rat des Kreises Lçbau kaum in die Entscheidungspro-zesse um die Gemeine einbezogen war, lieferte er mit den Wochenberichtendes Kreis-Vorsitzenden und des Kreis-Kirchenreferats den Großteil der In-formationen. Der Rat des Bezirkes Dresden wusste daher !ber die Br!der-

228 Vgl. die Unterlagen in UA DEBU 87; Monatsberichte RdK Lçbau an RdB Drd., siebziger Jahre,HStA Drd. 11430, Nr. 10926; Unterlagen in HStA Drd. 11430, Nr. 10873.

229 Vgl. zum Berichtswesen, das bisher noch kaum untersucht wurde Fulbrook, Gesellschaftsge-schichte, S. 276–280; vgl. L"dtke, „… den Menschen vergessen“?, S. 189–192; Jessen, Dikta-torische Herrschaft als kommunikative Praxis, S. 57–86.

230 Vgl. etwa Unterlagen in HStA Drd. 11430, Nr. 454 u. in BA DO 4 / 48b.231 Vgl. etwa Kurzbericht !ber Dienstreise, Arbeitsgebiet Ev. Kirche, 14.9. 1963, BA DO 4 / 2979.232 Informationsbericht Februar 1970 von H. Dohle, 6. 3.1970, BA DO 4 / 2968.233 Monatsbericht RdK Lçbau an RdB Drd., 26.10.1973 u. weiteres Material in HStA Drd. 11430,

Nr. 10926 u. 10815.

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gemeine wesentlich besser Bescheid als die Staatssicherheit, zumal seineFunktion"re und die des Kreises vor dem Schutz der Privatsph"re ebensowenig Respekt hatten wie MfS-Mitarbeiter. Es gab nichts, was einem Tabuunterlegen h"tte. In den Berichten stand, welcher Pfarrer sich kritisch oderloyal ge"ußert habe, welche Spannungen es in den Kirchengemeinden gebe,welche Fortschritte die Entkirchlichung im Kreis nehme, alles !ber die Bil-dungswege der Pfarrkinder, ihr Tischgebet in der Schule, der Literaturbestandin denWohnzimmern der Christen oder das Auftreten der Pfarrfrauen.234 1955meldete ein Kreisbericht ausf!hrlich die Maßnahmen gegen einen br!deri-schen Jungpfarrer, der in einer westdeutschen Zeitschrift !ber Wohnungs-mangel in Herrnhut geschrieben habe.235 Auch die #berwachungen der Got-tesdienste und kirchlicher Veranstaltungen erforderten ein weit gef"chertesBerichtswesen auf Kreisebene.236 Hinzu kamen Jahresberichte zu Schwer-punktthemenwie die „Entwicklung desVerh"ltnisses von Staat undKirche“.237

Denunziatorische Mitteilungen der Volkspolizei komplettierten die Obser-vation. Dabei kamen selbst Schulhofpr!geleien und Teenager-Flirts ins Visier.So meldete 1956 die Polizei : „In Herrnhut schlagen sich die Kinder in derSchule wegen dem Religionsunterricht und in Cunewalde kam dies bei derSchlittenfahrt vor, da die Religionslehrer den Kindern gesagt haben, sie sollenalle Kinder dazu zwingen“.238 Und die Dresdner Volkspolizei berichtete, inHerrnhut werde ein Zettel verteilt, auf dem stehe: „Auf dem Hutberg manschçne M"dchen sieht“.239 Von Anfang der f!nfziger Jahre an lagen derDresdner Volkspolizei Telefon-Abhçrprotokolle der Gemeine vor.240 Bei denDresdner Ratsbehçrden, insbesondere dem Kirchenreferat, fand sich nebendiesen Berichten alles, was der #berwachung oder Erpressung dienlich seinkonnte: Gespr"chsnotizen, persçnliche Informationen, Anschw"rzungen derKreisbehçrde, Anweisungen an Schuldirektoren, christliche Sch!ler f!rFehlverhalten zu bestrafen, Kopien von Jahresberichten der Br!dergemeine,Briefabschriften und immer wieder Daten !ber das Verhalten der Pfarrer beiWahlen.241

Der zweite Ansprechpartner f!r die Br!dergemeine nach dem Rat desBezirkes – und nach der Schließung von Nuschkes Hauptabteilung Kirchen-

234 Vgl. etwa die Monatsberichte des RdK Lçbau an RdB Drd., HStA Drd. 11430, Nr. 903, 10866,6286, 10907–10909, 10926, 11091, 33094/1 etc.; Kreisarchiv Lçbau-Zittau, RdK Lçbau 224; vgl.dazu auch Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 8.

235 Auszug aus Bericht des RdK Lçbau an RdB Drd., 25.1. 1955, HStA Drd. 11430, Nr. 10803.236 HStA Drd. 11430, Nr. 6280, 6283 u. 6286.237 Unterlagen HStA Drd. 11430, Nr. 385, 10815 u. 10831.238 Bezirksbehçrde der Dt. Volkspolizei an RdB, Abteilung Inneres, 24.2.56, HStA Drd. 11430,

Nr. 6286; vgl. die Berichte in LArch Berlin C Rep 101/04, Nr. 66 u. 107, in BA DO 1/183/2 u. inTh!ringisches StA Rudolstadt, Volkspolizeikreisamt Lobenstein 50, BA DO 4 / 83913 (1963);Kreisarchiv Lçbau-Zittau, RdK Lçbau 230.

239 Bericht BDVP Dresden, Operativstab, 8. 11.1954, HStA Drd. 11430, Nr. 385.240 HStA Drd. 11378, Nr. 294.241 Z. B. Unterlagen in HStA Drd. 11430, Nr. 6421, 10798, 10799, 10844, 10847, 10849 u. 10873.

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fragen – war das 1957 gegr!ndete Staatssekretariat f!r Kirchenfragen. Daslangj"hrige Direktionsmitglied Erwin Fçrster res!mierte in seinem Lebens-lauf, das Verh"ltnis sowohl zum Rat des Bezirkes als auch zum Staatssekre-tariat sei gut gewesen und er habe dort „oft weitgehendes Verst"ndnis f!r diebesondere Lage der Br!der-Unit"t als einer !bernationalen Kirche gefun-den.“242 Jeder Staatssekret"r f!r Kirchenfragen machte einen Antrittsbesuchin Herrnhut.243 Seine Amtsstelle war stets gut !ber bedeutendere Fragen wieReisegenehmigungen, die Besitzst"nde der Unit"t oder Auslandskontakte derBr!dergemeine informiert. Wie die SED-Arbeitsgruppe f!r Kirchenfragen inBerlin erhielt das Sekretariat monatliche Berichte und Jahreseinsch"tzungenvon den Kirchenreferaten der Bezirksverwaltungen.244 So landeten auch indieser Behçrde vertrauliche Materialien aller Art.

Eine besondere Rolle in der Kommunikation zwischen Kirche und Staatspielte die CDU. Wie den anderen Blockparteien war ihr die Funktion zuge-dacht, einer bestimmten Klientel – n"mlich den Christen – die Vorstellungender SED nahe zu bringen. Die Beziehungen der Br!dergemeine zur CDUwaren die ganze DDR-Zeit !ber gut. Gemeinmitglieder dominierten nicht nurdie CDU in Herrnhut, die Unit"t unterhielt auch zu den Vorsitzenden OttoNuschke und seinem Nachfolger Gerald Gçtting, der einst die Schule derFranckeschen Stiftungen in Halle besucht hatte, ausgezeichnete Kontakte.Wenn die Freikirche bei ihren Aushandlungen Sch!tzenhilfe brauchte, holtesie sich diese gern bei den Christdemokraten.245 Mit ihrer Mittlerfunktionhatte auch die CDU eine wichtige Rolle im wuchernden Observations- undBerichtswesen. Sie meldete kritische %ußerungen von Christen, registriertedas Wahlverhalten der Pfarrer unter namentlicher Nennung der Nichtw"hleroder denunzierte christliche Sch!ler.246 Ihre Informationen, die oft intimereEinblicke gew"hrten, landeten, je nachdem, bei der SED-Bezirksleitung, dem

242 Lebenslauf Fçrster, S. 18; vgl. zur Bedeutung des Kirchenreferats Aktennotiz !ber Gespr"chmitK. Biedermann von C. Reiche, Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, Abteilung IV, 6.11. 1981, BADO 4 / 4814; Unterlagen in BA DO 4 / 1520, 1712 u. 448 (83717), DO 4 / 2967 u. 2968; E. Fçrster,Lebenslauf Fçrster, S. 18; vgl. zu einer generellen Einsch"tzung der Rolle des StaatssekretariatsBoysen, Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, insbes. S. 120 u. 136.

243 K. Gysi an H. Hickel, 4.2. 1980, BA DO 4 / 448 (83717); vgl. auch Ch. M!ller an Heinrich,Hauptabteilungsleiter beim Staatssekret"r f!r Kirchenfragen, 25.4. 1986, BA DO 4 / 4814.

244 Monatsberichte und Jahreseinsch"tzungen von Lewerenz, Staatspolitik in Kirchenfragen, RdBDrd., BA DO 4 / 733, 6968, 6967 u.a.; SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/101 u.a.

245 „Auf festemFundament –GeraldGçtting sprach in der JahreshauptversammlungHerrnhut“, in:Neue Zeit, 25.3. 1971; Aktenvermerk Besuch von CDU und Staatssekretariat f!r Kirchenfragen,24.3. 1971 u. weitere Unterlagen in UA DEBU 79; vgl. auch G, Gçtting an H. Richter, 1. 5. 2006,Unterlagen H. Richter.Vgl. zu Gçtting seine kuriose Reden- und Aufsatzsammlung mit zahlreichen Fotos Gçttings, dieden Honeckerschen Personenkult en minature widergibt: Gçtting, Beitrag christlicher Demo-kraten.

246 Vgl. etwa die Berichte der CDU-Kreisverb"nde ACDP II-209-044/10, II-209-017/6, II-209-032/1,II-040-125/2, II-040-087/2, II-270-AA, III-40-092/1, III-045-173/1, III-045-173/1, III-040-90/2,VII-01-498, VII-011-1556, VII–013–0177, VII-013-1808.

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Staatssekretariat f!r Kirchenfragen oder dem ZK. So schrieb etwa 1955 einCDU-Bezirksfunktion"r einen ausf!hrlichen Bericht !ber ein Gespr"ch mitder Unit"ts-Direktion. Die Informationen erreichten alle die ZK-Abteilung f!rKirchenfragen: die Kritik der Br!der an den Wahlen und der marxistischenErziehung in den Schulen, die Verlogenheit der ostdeutschen angeblichenWiedervereinigungsbestrebungen und der sowjetischen Friedensparolen. DerBericht schloss mit taktischen Vorschl"gen, wie die Unit"t „an die Aufgabenunserer Deutschen Demokratischen Republik heranzuf!hren“ sei.247 DieseForm der Kommunikation blieb die ganze Zeit der DDR !ber bestehen. DerLçbauer CDU-Kreisvorstand hinterbrachte etwa 1965 dem Vorsitzenden desRates des Kreises, dass Erwin Fçrster ihm anvertraut habe, bei den n"chstenVolkskammerwahlen die Kabine zu benutzen. Das war eine pikante Infor-mation, die der Rats-Vorsitzende jedoch bereits eine Woche zuvor erfahrenund l"ngst !ber einen Verteiler weitergeleitet hatte.248 1981 berichtete derCDU-Bezirksvorstand – um ein weiteres Beispiel zu nennen – !ber einenbr!derischen Gottesdienst und von ausl"ndischen G"sten in Herrnhut. DerReport landete auf dem Schreibtisch der SED-Bezirksleitung und gelangte vondort ins ZK.249

Der SED auf Bezirksebene lagen !ber die Br!dergemeine neben den Be-richten der SED-Kreisleitungen die monatlichen Informationsberichte desKirchenreferats vomRat des Bezirkes vor. Die f!hrende Partei selbst hingegenbesch"ftigte sich mit der Unit"t nur in wichtigen Ausnahmef"llen, wie derJubil"umsfeier 1972, w"hrend der Wahlen oder in Sachen Jugendweihe. An-sonsten !berließ sie die Bearbeitung der Freikirche dem Rat des Bezirkes –deren hçhere Funktion"re wie Horst Dohle freilich meist SED-Mitgliederwaren.250 Ein Grund f!r diese Missachtung war neben der relativen Bedeu-tungslosigkeit der Br!dergemeine auch deren enger Anschluss an die Lan-deskirchen. Wenn es um politisch brisante Fragen ging, schloss sich dieBr!dergemeine immer den Statements der großen Kirchen an.

Die Rapport-Maschinerie arbeitete von den f!nfziger Jahren bis Ende1989.251 Damit gehçrt sie zu den Konstanten der SED-Diktatur. Sie war aberkeine Einbahnstraße und forderte zur Mitarbeit von unten auf. Wer sich po-sitiv ins Bild und andere herabsetzen wollte, konnte sich an jede beliebige

247 Bericht !ber Unterredungmit DirektoriumvonCDU-BL, 11.1. 1955, SAPMO-BADY 30/IV 2/14/51.

248 CDU-KV Lçbau anH. Dreßler, 1. Stellv. des Vorsitzenden des RdK, 13.9. 1965, HStADrd. 11430,Nr. 10849; Dreßler, Amt. Vorsitzender, RdK Lçbau an Verteiler, 4.9. 1965, HStA Drd. 11430,Nr. 10872.

249 Gçpfert, SED-BL, Abteilung Staat und Recht an Bellmann, ZK der SED, Abtlg. Kirchenfragen,9. 9.1981, Anlage: Bericht !ber die Unit"ts-Synode in Herrnhut, 31.8. 1981, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/171.

250 Z. B. HStA Drd. 11864, Nr. IV/4/09.085, IV/4/09.086, IV/A.4.09.050, IV/4/09.156 u. IV/B.4.09.100; vgl. zur BL der SED 11857, Nr. IV/B.2.14.633, IVC-2/14/ 676, IVC-2/14/ 682, IVC-2/14/ 681 u. IV/A/2.9.02 437.

251 Z. B. Unterlagen in SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/70 u. 71; HStA Drd. 11430, Nr. 1123 u. 11057.

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Partei- oder Verwaltungsstelle wenden und sicher sein, dass die Informatio-nen ihren Adressaten finden w!rden.252 Diese Spitzeldienste bedurften keinesKontaktes zum MfS. Staatsnahe Theologen oder CDU-Funktion"re wie Ger-hard Bassarak, Carl Ordnung und G!nther Wirth denunzierten ihre Kollegenohne Hilfe der Stasi nach allen Regeln der Kunst.253 Ein „progressiver“ lan-deskirchlicher Pfarrer im Kreis Lçbau berichtete den Kreisbehçrden von denWestkontakten, Westgeschenken, unangemeldeten Veranstaltungen undproblematischen Aussagen seiner Kollegen.254 Und der br!derische TheologeWolfgang Caffier, einer der merkw!rdigsten Theologen in Ostdeutschland,meldete nach Dresden und Berlin Interna der s"chsischen Landeskirche undder Br!der-Unit"t.255 Diese Praktiken werfen ein anderes Licht auf die inof-fizielle Stasi-Mitarbeit.256

Eine weitere Kommunikationsform des Staates waren Aushandlungen. DieAbwesenheit von rechtsstaatlichen Verfahren und ihre Ersetzung durch „Ge-spr"che“ erçffneten dem Regime ein weites Feld der Manipulation. Es gab fastnichts, das die Machthaber nicht als Gnadenakt ins Geschacher einbringenkonnte. Die Erlaubnis, die sterbende Mutter in Westdeutschland besuchen zukçnnen, galt ebenso wie die Genehmigung, eigene Gelder f!r ein gemein-n!tziges Projekt benutzen zu d!rfen, als gn"diger Akt staatlicher F!rsorge.257

Wer sich gut verhielt hatte Chancen auf staatliches Wohlwollen, wer sichschlecht benahm wurde abgestraft. Dieser Wirklichkeit konnte sich kaumjemand entziehen. In den siebziger Jahren richtete der Staat daf!r ein um-fassendes Betreuungssystem f!r kirchliche Amtstr"ger ein, die in Gespr"chenmit CDU-, Kreis- oder Bezirksfunktion"ren bearbeitet wurden.258 Wie bei derStasi konnte auch hier denunziert und geschachert werden. Das wird an derMeldung des Kreisrates 1973 deutlich, der von einem Herrnhuter Ausk!nfte

252 Vgl. Mitteilung !ber geplante „Wahlkabinenbenutzung“ eines Direktionsmitglieds und derGang durch die Institutionen dieser Information CDU, KV Lçbau, an 1. Stellv. Vorsitzenden desRdK, 13.9.65, HStA Drd. 11430, Nr. 10849; Dreßler, RdK Lçbau, an Verteiler, 4.9.65, HStADrd. 11430, Nr. 10872.

253 So denunzierte beispielsweise Carl Ordnung den Theologie-Professor Heinrich Vogel, weildieser in Prag bei einem Gespr"ch mit Josef Hrom)dka sich kritisch zur DDR-Kirchenpolitikge"ußert hatte, Aktenvermerk von C. Ordnung, 30.1.1961, SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/94; vgl.auch Aktenvermerk von C. Ordnung, 18.2.1974, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/195; Bericht C.Ordnung, 5. 11.1975, BA DO 4 / 4746; vgl. zu G.Wirth Aktenvermerk, G. Wirth, SAPMO-BA DY30/IV B 2/14/195; vgl. zu Bassarak Unterlagen in BA DO 4 / 491; vgl. auch LArch Berlin C Rep101/04, Nr. 95, Bd. 1.

254 Monatsbericht RdK Lçbau an RdB Drd., 25.9.73, 25.7.73 u. 28.12.1973, HStA Drd. 11430,Nr. 10926.

255 Staatssekret"r Girnus, Hochschulwesen, an P. Verner, ZK der SED, 26.2. 1958, SAPMO-BA DY30/IV 2/14/187; W. Caffier an Lewerenz, RdB Drd., HStA Drd. 11430, Nr. 10948.

256 Doch soll hier keinesfalls die kriminelle Energie des MfS verharmlost werden; vgl. dazu Muhle,Mit „Blitz“ und „Donner“; vgl. auch Palmowski, Stasi als soziale Praxis.

257 Aktennotiz von H. Hickel, 23.7. 1971, UA DEBU 82; vgl. zum Handlungsstil der Kirche gegen-!ber staatlichen Stellen Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 156.

258 Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 278.

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!ber die Synode als Gegenleistung f!r einen Ferienplatz in Ungarn erwarte-te.259 Als ein Gemeinhelfer einem Familienmitglied im Westen helfen musste,nutzten die Staatsorgane gemeinsam seine Notlage aus und erpressten ihndamit. Nicht nur die Stasi profitierte davon und kn!pfte damals ihre „Kon-takte“ zu dem Gemeinhelfer, auch seine Beziehungen „zum Rat des Kreises[…] waren besonders w"hrend dieser Zeit eng“, wie das MfS meldete. AlsGegenleistung f!r diese „guten Beziehungen“ erhielt der Familienvater nebender Mçglichkeit, der verwandten Person imWesten zu helfen, f!r seine großeKinderschar in jeder Hinsicht „großz!gige Unterst!tzung“.260 Erpressung,#berwachung und Privilegienwirtschaft gingen Hand in Hand.

Das wichtigste Druckmittel der Br!dergemeine in diesen Aushandlungs-prozessen war – neben ihrer Loyalit"t – ihre Internationalit"t. So bot Merian1950 der DDR ein Handelsabkommen mit der Schweiz !ber zwei MillionenFranken an, wenn der SED-Staat bereit sei, der Unit"t im Streit um die Ei-gentumsrechte entgegen zu kommen. Als 1970 das Ministerium f!r Kultureinen regelm"ßig erscheinenden Informationsbrief der Gemeine mit Nach-richten aus der Gesamt-Unit"t untersagte, wies Fçrster in einem Gespr"chdaraufhin, dass er „im Falle eines Verbotes solcher Berichte selbstverst"ndlichalle Provinzen davon unterrichten m!sse, dass die Regierung der DDR unsjetzt verboten habe, in unserem Raum !ber ihre kirchliche Arbeit zu be-richten. Dies w!rde !berall Aufsehen erregen“. Die Behçrden lenkten ein.261

Und bei einemGespr"chmit dem Staatssekretariat im Jahr 1986, in dem es umdie Auflagenerhçhung der Losungen, die Rekonstruktion des br!derischenKrankenhauses in Niesky und immer noch um die Rechtslage der D!rninger-Stiftung ging, verwies der Direktionsvorsitzende Christian M!ller abschlie-ßend dezent aber deutlich auf die „internationale und çkumenische“ Bedeu-tung der Br!dergemeine.262

Dank der umfassenden Observation und diffizilen Manipulationsmecha-nismen sickerte der SED-Staat in alle Poren und Lebensbereiche auch derBr!dergemeine ein. Theodor Gill gehçrte zu denen, die sich mental entziehenkonnten und das Problem erkannten. Zur allgemeinen Empçrung derStaatsorgane verglich er in einer Rede auf der S"chsischen Landessynode dieSituation der Christen mit der von Fischen, die von den Aquariumsbesitzern,der DDR-Obrigkeit, genauestens beobachtet w!rden.263 Ein Beispiel daf!r, wietief der Staat auch die „Insel Herrnhut“ durchdrang, ist ein F!rbittegottes-dienst, den G!nther Hasting gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen inHerrnhut aus Anlass des DDR-Besuches von Willy Brandt 1970 veranstaltete.Als die Pl"ne daf!r bekannt wurden, fuhren die Dresdner Bezirksfunktion"re,

259 Monatsbericht von Dermateau an Riedel, RdB, 24.5.73 HStA Drd. 11430, Nr. 10926.260 Bericht !ber Treff mit IMS, 21. 10.1982, Dresden, Abteilung XX/4, BStU BVDrd. AIM 1732/91-I.261 Kurzgefasstes Ged"chtnisprotokoll von E. Fçrster, 1. 9. 1970, UA DEBU 82.262 Ch. M!ller an H. Dohle, Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, 21.7. 1986, BA DO 4 / 4816.263 Gutachten von H. Dohle, 29.12. 1971, BA DR 1 / 2539.

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allen voran Horst Dohle, umgehend nach Herrnhut, um Schlimmeres zuverhindern. In einem Gespr"ch erreichten sie die %nderung des Gebetstextes.Der urspr!nglicheWortlaut: „Und besonders Herr, bitten wir Dich, anl"sslichder bevorstehenden Verhandlungen in Erfurt, schenke den beiden HerrenMinisterpr"sident Stoph und Bundeskanzler Brandt gute Einf"lle, damit siedie Steine aus dem Weg r"umen und gute Verhandlungen f!hren“ wurdeumgewandelt in: „Und besonders Herr, bitten wir Dich, dass du deinen Segengibst, Klugheit und Besonnenheit schenkst, dass die Regierungsoberh"uptergleich berechtigt miteinander verhandeln.“264

Der Zugriff des Staates auf das Gebet, die Zwiesprache des Gl"ubigen mitGott, bewirkte nicht nur die aktuelle Text"nderung, sondern vergrçßerte inZukunft die Vorsicht, nicht den Unmut der Herrschenden zu wecken. DasWissen um die #berwachung und um die allgegenw"rtige Denunziations-mçglichkeit brachte den wichtigsten Disziplinierungsmechanismus in Gang:die Selbstzensur. Dazu gehçrte, dass die Br!der und Schwestern die Behçrdenohne Aufforderung oder rechtliche Verpflichtung !ber alle relevanten Vor-kommnisse in der Gemeine informierten.265 So teilte etwa die Direktion 1981dem Staatssekretariat mit, dass dort demn"chst ein offizieller Antrag aufEinfuhr von hundert Exemplaren zur Unit"ts-Geschichte eingehen werde,dass Hickel, wie mit allen zust"ndigen Behçrden bereits vereinbart, einPresseinterview geben und dass der $RK-Generalsekret"r Philip Potter zuBesuch kommen werde.266 Damit vermied die Unit"t im Vorfeld eventuellauftretende Probleme und Missverst"ndnisse, zugleich signalisierte sie, wieernst sie die jeweilige Dienststelle nahm. Dieser vorauseilende Gehorsam aberwar $l im Getriebe des #berwachungsstaates. Die Gemeine trug wie diemeisten anderen Einrichtungen in der DDR selbst zu ihrer umfassenden#berwachung bei.

Die Rechtsunsierheit als Herrschaftsprinzip bewirkte die Unm!ndigkeitder B!rger. #berwachung und Erpressung waren in den Augen der Funktio-n"re Erziehungsmaßnahmen, um den Menschen zur Einsicht zu verhelfen. Ineinem Arbeitsplan des Referats f!r Kirchenfragen in Dresden hieß es 1971, esgehe um „die Erziehung des Geistlichen“, nicht um eine „partnerschaftlicheZusammenarbeit“.267 Die Herrschaftsmechanismen und Kommunikations-mittel des Staates wurden f!r viele Menschen selbstverst"ndlich. Nur wenigenahmen ab den sechziger Jahren noch Anstoß daran. Diese Unsichtbarkeit derMacht, ihre Internalisierung und die Akzeptanz solcher Herrschaftspraktikenals Recht – kurz die „Hinterlist derDisziplinierung“ (Foucault) gehçren zu den

264 Aktennotiz von BL Drd., Abteilung Staat und Recht, Dresden, u. weitere Unterlagen in HStADrd. 11857, Nr. 19.3.70IV/B.2.14.633 u. IV/B.2.14.636; Aktennotiz von H. Dohle, RdB Drd.,Referat Kirchenfragen, 19.3.70, BA DO 4 / 2967 (2968); Unerlagen in BA DO 4 / 2968.

265 Vgl. etwa Aktenvermerk f!r den Staatssekret"r von H. Dohle, 8.7. 1981, DO 4 / 4814.266 Aktenvermerk f!r den Staatssekret"r vonDr. Dohle, Leiter des B!ros, 8.7. 1981, BADO 4 / 83717

(448).267 Arbeitsplan II. Halbjahr 1971 von Kirchenreferat, RdB Drd., 8.7. 1971, BA DO 4 / 2968.

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faszinierendsten Aspekten der DDR-Geschichte und sind ein Teil der Erkl"-rung daf!r, warum der Arbeiter- und Bauernstaat vierzig Jahre Bestand habenkonnte. Dabei l"sst sich die Gesellschaft wieder nicht in Herrscher und Be-herrschte aufteilen. Die Herrnhuter spielten mit. Das ganze System der#berwachung, Bespitzelung, Denunziation und Bestechung konnte nur so gutfunktionieren, weil es eine gesamtgesellschaftliche Praxis war. Die Herrnhuteraber, die auf der Klaviatur der Beziehungen, „Gespr"che“ und dezenten Be-stechungen brillant spielten, konnten sich davon zwar Vorteile verschaffen,doch !bersch"tzten sie wie andere f!hrende Kirchenm"nner ihre Mçglich-keiten. Ihnen wurde nicht bewusst, wie sehr sie die Disziplinierungsmaß-nahmen verinnerlicht hatten. Das System musste zwangsl"ufig den Macht-habern in die H"nde spielen. Jedes Nachgeben des Staates war ein Gnadenaktund kein Recht, konnte also nicht eingeklagt, daf!r jederzeit entzogenwerden.So lieferte die Privilegienwirtschaft die B!rger dem Staat rechtlos aus. Es istdaher auch nicht erstaunlich, dass die Br!dergemeine nur bis Anfang derf!nfziger Jahre einen Rechtsanwalt engagierte; danach !bernahmen Direkti-onsmitglieder die Aushandlungsprozesse selbst ; besondere Rechtskenntnissewaren !berfl!ssig geworden.268

268 Dr. R. Liebler an J. Vogt, 17.3. 1953, UA DEBU 568.

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5 Abgrenzungen. Festkultur und Lebenauf der „Insel Herrnhut“

Dennoch war die Br!dergemeine nicht schlicht eine angepasste Freikirche.Das Bild ist vielschichtiger, ambivalenter – schon weil es in der Unit"t unterden Mitgliedern weiterhin eine relativ breite Varianz an Positionen gab, auchgegen!ber der Obrigkeit. Die Tradition der Br!dergemeine war zwar hilfreich,sich den neuen Verh"ltnisse anzupassen, doch sie diente gleichzeitig dazu, dieIdentit"t und das abgeschottete Leben auf der „Insel Herrnhut“ zu erhalten.Direkten Angriffen auf diese Tradition konnte die Unit"t mit Resistenz be-gegnen. Nicht zuletzt dank dieser Tradition und der Bewahrung einer vitalenReligiosit"t gelang es der Gemeine, nach 1961 ihren Mitgliederbestand weit-gehend zu bewahren.

5.1 Hegemoniekampf um das Fest

Judentum und Christentum gelten als Religionen intensiver Zeiterfahrung,nicht statisch wie etwa die griechisch-antike Vorstellungswelt, sondern dy-namisch, eschatologisch motiviert. Friedrich Wilhelm Graf vermutet daher,„Zeit“ und die sie strukturierenden Feiern seien eine wichtige Analysedi-mension f!r die Frage nach Dechristianisierungsprozessen.1 Tats"chlich hatteetwa das Christentum in den zwanziger Jahren auch deshalb an Boden ver-loren, weil der Sonntag immer mehr der Freizeit oder politischen Großde-monstrationen gehçrte.2 Der SED-Diktatur sollte es erst !ber die Festkultur –der mit Sanktionierungsmaßnahmen und Repressionen flankierten Einf!h-rung der Jugendweihe – gelingen, die nach der NS-Zeit noch !brig gebliebeneFrçmmigkeitspraxis in der Bevçlkerung zu brechen. Dabei zeigt sich, welcheBedeutung die Inszenierung von Festen f!r die Herrschaftssicherung hat.Denn durch ihre Wiederholung sorgen Feste und Riten f!r die Vergegen-w"rtigung der Vergangenheit und damit f!r Vermittlung und Weitergabeidentit"tssichernden Wissens.3

1 Graf, Wiederkehr der Gçtter, S. 90.2 Lehmann, Neupietismus und S"kularisierung, S. 54.3 Assmann, Kulturelles Ged"chtnis, S. 53 u. 57 f.

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In ganz Deutschland lebten Gottesdienstbesuch und kirchliche Riten nach1945 neu auf.4 Im Th!ringer Eichsfeld beispielsweise kam es zu einem Boomkatholischer Mysterienspiele. Die Zeugen Jehovas gewannen mit ihren Fest-veranstaltungen zahlreiche neue Anh"nger. Und in Berlin besuchten inner-halb weniger Tage 80 000 Zuhçrer eine Evangelisation der protestantischenKirchen.5 Noch wesentlich intensiver als die landeskirchliche Frçmmigkeits-praxis war die der Br!dergemeine. Auch die Jugend wurde f!ndig im Glaubenihrer „V"ter“ und „M!tter“. Dieser bot Identit"t, Geborgenheit und Zukunft –alles seltene Angebote in der Nachkriegszeit. In den Gemeinen bildeten dieJugendlichen, aber auch Erwachsene neue Konventikel, Bibel- und Gebets-kreise. Hunderte Herrnhuter besuchten Jugendtreffen und Wochenendr!st-zeiten.6 #hnlich wie im 18. Jahrhundert ereigneten sich sowohl in Ebersdorfals auch in Herrnhut „Kindererweckungen“, eine massenweise Bekehrung derKinder, die von den Erwachsenen als besonderes Gnadenzeichen Gottes ge-wertet wurden.7 In Herrnhut mussten die sonnt"glichen Gottesdienste wegen$berf!llung zweimal gehalten werden.8 Gerade in den Nçten der Nach-kriegszeit kam der Br!dergemeine der Sinn f!r das Feierliche zugute. Feste,die das Leben gliederten, wie Taufe, Trauung oder Beerdigung hatten in derUnit"t eine eigene Pr"gung. J"hrlich begingen die Herrnhuter ihre Chorfesteund als wichtigste Feiern neben den landeskirchlichen Festtagen den 1. M"rz(Gr!ndung der alten Br!der-Unit"t 1457), 17. Juni (F"llen des ersten Baumes1722 f!r die SiedlungHerrnhut), den 13. August (br!derisches Pfingsterlebnis1727), 21. August (Beginn der Missionsarbeit 1727) und den 13. November(1741, Bekanntgabe, dass Christus „#ltester“ der Br!dergemeine sei).9 Zweider brisantesten Daten in der DDR-Geschichte fielen kurioserweise aufwichtige br!derische Festtage: der Aufstand am 17. Juni 1953 und der Mau-erbau am 13. August 1961. DieWoche in der Gemeine war gegliedert durch die

4 Vgl. zur Nachkriegsreligiosit"tGreschat, evangelische Christenheit und die deutscheGeschichtenach 1945.

5 Rundbrief H.Meyer Bericht aus Neukçlln, wohl 1947, UANB IX 165;Klenke, Eichsfeld unter dendeutschen Diktaturen, S. 49; Schmidt, Religiçse Selbstbehauptung, S. 66; Berichte in HStADrd. 11430, Nr. 6286; Herbert, Wandlungsprozesse, S. 21 u. 39; „Es geht um ein Weltproblem“,in: Rundbrief 6 der EvangelischenAkademie BadBoll,%RK425.1.091; zumWiedererstarken desKatholizismus vgl. Blaschke, Konfession; Doering-Manteuffel, Die „Frommen“.

6 Aus dem Jahresbericht der DUD f!r 1946, #R I R 2, 3a; Gill, Lausitzer Fr!hling vor f!nfzigJahren, bes. S. 12 u. Erg"nzungsbericht Gemeine Gnadau 1947, beide Unterlagen Th. Gill,Herrnhut; Lebenslauf G. Hasting, S. 8; Peucker, Zeister Br!dergemeine im Zweiten Weltkrieg,S. 143; Lebenslauf Walter Paul, S. 4; Lebenslauf M. Ribbach, S. 10 f. ; Rundbrief von L. und W.Burckhardt, 4. 9. 1946, UA EFUD 1120.

7 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 347, UA Nachlass Uttendçrfer.8 J. Vogt an J. K. Pfohl, 7.3.47, UA DEBU 526.9 Es gab innerhalb der Unit"t unterschiedliche Ansichten, welche Feiertage f!r die ganze Unit"t

die bedeutendsten br!derischen Festtage seien, die oben genannten sind aber in jeder Auf-z"hlung dabei; Aktennotiz Unity Prayer-Watch 1957 von F. P. Stocker, L. J. Britton, H. G.Steinberg, o.D., MAB 100GI, Houerly Intercession; E. Fçrster an Unit"tsdirektor H. Motel, 16.2.1960, UA EFUD 657.

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abendliche Singstunde und die Predigtversammlung am Sonntagmorgen. DerTag wiederum begann mit dem Lesen der Losung, teilweise mit einem çf-fentlichen Morgensegen. Es verging kein Abend, an dem nicht ein Fest odereine Versammlung stattfand.10

Nach 1945 hatten die Herrnhuter zuerst die Rahmenbedingungen f!r ihreFeste und Riten neu organisiert, inmitten der Tr!mmer Posaunenchçre ge-gr!ndet, trotz des Hungers Wein und Brot f!r das Abendmahl aufgetrieben,das letzte Mehl f!r das Liebesmahl beim Kinder-Chorfest hergegeben; kaumein Gottesdienst war w"hrend der April- und Maitage 1945 ausgefallen.11 Aufdie sich abzeichnende Kriegsniederlage und das Anschwellen der Fl!cht-lingsstrçme hatte die Gemeine in Herrnhut zuvor mit einer zus"tzlichenmorgendlichen Gebetsversammlung reagiert.12 Die Wiedererrichtung desHerrnhuter Kirchensaals aus Zinzendorfs Zeit 1953 war dann weit mehr alsder Triumph !ber ein achtj"hriges Ringen mit den Behçrden um Baugeneh-migungen und Materialien, mehr als ein Zeugnis internationaler Solidarit"tinsbesondere der US-Gemeinen, die mindestens ein Zehntel der Baukostentrugen.13 Der Neubau des Kirchensaals bedeutete die Re-Installation derheiligen Topographie, des rituellen Zentrums des Ortes. Die Begabung derHerrnhuter f!r festliche Performanz zeigte sich auch in ihrer kreativen Neu-interpretation der traditionellen Feste. Seit den f!nfziger Jahren beispiels-weise verbanden sie die Feier des br!derischen Pfingsterlebnisses am13. August – der in der NS-Zeit auch als „Ringen um die Volksgemeinschaft“interpretiert wordenwar –mit der Sehnsucht nachweltweiter Verbundenheit:die Kraft der %kumene !ber konfessionelle und nationale Grenzen hinweg.14

In einem Jahresbericht von 1961 bietet die Dimension des kulturellen Ge-d"chtnisses Trost, der Mauerbau wird angesichts der Tradition zweitrangig.Wie Gott einst den Br!dern am 13. August Einheit schenkte, ist ihm auch jedeandere Einheit nicht unmçglich.15

Das neu aufbl!hende Konventikelleben diente ebenfalls dazu, die interna-tionale Tradition der Unit"t zu best"tigen. Dort erfuhren die Gl"ubigen dieneuesten Informationen aus den Provinzen weltweit und h"ufig kamen Pre-

10 Vgl. zur Situation im 18. und 19. Jahrhundert Mettele, „Imagined Community“, S. 56 f. ; Gem-bicki, Zeitauffassung.

11 Rundschreiben DUD, 27.11.45, UADEBU 49; vgl. auch S. Bayer an Gemeine Bethlehem, Februar1949, MAB 99GI, Letters of Thanks; E. Fçrster, Juli 1945, Gemeinarchiv Neukçlln B Ia20; vgl.auch Jahresbericht Berlin 1946, S. 1, Gemeinarchiv Neukçlln C3 Ia1; Zusammenfassung vonGemeinnachrichten Nr. 12, Bad Boll, 10.12.1946; J. Vogt an J. K. Pfohl, 7. 3. 1947, UADEBU 526;vgl. dazu auch Lebenslauf Walter Paul, S. 4; Gill, Jugendarbeit in den ostdeutschen Br!derge-meinen nach 1945, Unterlagen Th. Gill, Herrnhut.

12 Jahresbericht Herrnhut 1945, S. 2, UA DEBU 803.13 Unterlagen 1951–1956, UA DEBU 864; Hartwig, Persçnlicher Referent Otto Nuschkes, an Bi-

schof Vogt, 13. 7.1945, BA DO 4/2517.14 Jahresbericht Herrnhut 1951, Bl. 2a, UA DEBU 804; Predigt zum 13.8. 1953 von G. Hasting, UA

DEBU 622; Rundschrieben an Gemeindiener von Direktion Herrnhut, 4. 8. 1954, UA DEBU 50.15 Jahresbericht Herrnhut 1961, S. 1, UA DEBU 805.

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diger aus anderen L"ndern zu Wort. Die Erinnerungsfeste hielten das Ge-schichtswissen der Gemeine und ihre Identit"t lebendig. Zunehmend emp-fanden dieHerrnhuter in derNachkriegszeit auchwieder, wie der gemeinsameLebensrhythmus die internationale Identit"t und Gemeinschaft konstituier-te.16 Deutlich wird in zeitgençssischen Schilderungen der Festtage der Kon-trast zum Alltag in den Ruinen. Die Lebensl"ufe und Lebenserinnerungen derHerrnhuter sind voller Beschreibungen von Feiern, Jubil"en und festlichenHçhepunkten und zeugen davon, wie diese das Selbstverst"ndnis pr"gten.17

Im Festlichen konnte sich die kollektive Identit"t selbst versichern, die nachJan Assmann des Feierlichen und Außerallt"glichen bedarf.18 In den Ortsge-meinen blieben die Feste nicht auf den religiçsen Raum beschr"nkt. Vorwichtigen Feiern wie Pfingsten oder den Chorfesten zogen fr!h morgens dieBl"ser durchs Dorf und riefen die Menschen mit Posaunenschall aus denBetten und zum Gottesdienst. Sonntags pr"gte die weiße Kirchentracht derFrauen mit Haube und Umhang das Straßenbild, bei Trauungen f!hrte derHochzeitszug durch den Ort und zu Beerdigungen der Trauerzug mit Bl"-serklang hinauf zum Gottesacker. Glocken und Posaunen erf!llten in denOrtsgemeinen den auditiven Raum, anders als in vielen ostdeutschen Ge-meinden, wo in den f!nfziger Jahren Marschmusik und Parolen aus denLautsprecheranlagen ertçnten. An hohen Feiertagenwie Osternwimmelte derOrt von fremden Menschen – f!r die Berichterstatter immer wieder Anlass zuempçrten Bemerkungen !ber so viel ordnungsstçrendes Get!mmel. Diezahlreichen Besuchergruppen aus dem Ausland waren jedes Mal eine Mani-festation kirchlicher Freiheit und Dominanz, wie etwa der seit den siebzigerJahren j"hrlich in den Ortsgemeinen aus Holland auftauchende Bus mitschwarzen Surinamern. Am historischen Erinnerungstag des 17. Juni zog dieGemeine Herrnhut in einem geschlossenen Zug hinaus zum Gedenkstein imWald, der daran erinnerte, dass hier 1722 die bçhmischen Exulanten denersten Baum gef"llt hatten. Traditionell nahmen an diesem Ritus Amtstr"gerder b!rgerlichen Gemeinde teil.19 Anders als in der NS-Zeit diente inHerrnhutder çffentliche Raum nach 1945 kaum staatlichen Inszenierungen. Zwar ver-suchte die SED-Ortsgruppe in Herrnhut weltliche Feiern wie Umz!ge und

16 Rundschreiben der Direktion Herrnhut 4/1949, zitiert nach G!nther, Zerstreuung und Samm-lung, S. 98; Jahresbericht Berlin 1946, S. 1, GemeinarchivNeukçlln C3 Ia1; vgl. zu den Festen dieUnterlagen in Gemeinarchiv Neukçlln BI g1.

17 Further contacts with the Moravian Church, o.A., wohl von C. H. Shawe, ca. 1946, MAB 100FI,Unity General Directory ; S. Bayer an Bethlehem, Februar 1949, MAB 99GI, Letters of Thanks; J.Vogt an E. Gerstenmeier, 30.4. 1947, UA DEBU 191; vgl. Sitzungsbericht der DUD Herrnhut,23.4. 1947, UA DEBU 2; Interview mit Ehepaar E., ostdt. Gemeinmitglieder, Ebersdorf, 5.12.2005, S. 25, Unterlagen H. Richter ; Morgenstern, S. 266 u. 507; zu den Lebensl"ufen vgl. etwaLebenslauf E. Frey, S. 12 f. ; Lebenslauf M. K!cherer, S. 4, 14 u. 27; Lebenslauf F. R"thling, S. 2;Lebenslauf W. Burckhardt, S. 3; Schneider, Gl!ck in der Nische, S. 99–121.

18 Assmann, Kulturelles Ged"chtnis, S. 53 u. 57.19 W. Baudert an Direktion Bad Boll, 22.8. 1946, UA DEBU 28; Morgenstern, S. 141 f.; Schneider,

Gl!ck in der Nische, S. 99–104; Bericht von Gr!nbaum, 19.11.1950, BA DO 4/2289.

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Sportveranstaltungen popul"r zu machen, doch war dem wenig Erfolg be-schieden.20 Die Topographie wurde die DDR-Zeit !ber von der Gemeine be-herrscht. Denn bei aller Kompromissbereitschaft gegen!ber der ostdeutschenDiktatur blieb die Unit"t doch auf Distanz, und es zeigte sich hier : KeinHerrnhuter mochte sich je so f!r die Kommunisten begeisternwie einst f!r dieNationalsozialisten.

Die sozialistischen Organe f!hlten sich durch die çffentlichen Pr"senta-tionen provoziert. Verbote jedoch erwiesen sich angesichts der br!derischenMeinungsf!hrerschaft als kontraproduktiv. Als etwa der Umzug in Herrnhutzum 17. Juni ein Jahr nach dem Volksaufstand 1953 verboten wurde, weil dieBehçrden gehçrt hatten, dass „die Herrnhuter am 17. Juni einen Umzug mitFanfaren halten“, war der Aufschrei der Unit"t so groß, dass zahlreiche In-stanzen von der CDU !ber die Bezirksleitung eingesch!chtert versprachen,dergleichen werde nie wieder vorkommen.21 Die staatlichen Behçrden hattennicht mit dieser Sturheit der sonst eher willigen Br!dergemeine gerechnet,wenn es um die Formen ihre Tradition ging. Und die Bezirks- ebenso wie dieStaatsbehçrden erkannten schließlich, dass sie die in den f!nfziger Jahrenimmer deutlicher zutage tretende Staatsloyalit"t der Unit"t nicht gegen,sondern nur mit ihrer Tradition erhalten konnten. Gleichwohl blieb diefromme Repr"sentation in der %ffentlichkeit ein Dorn im Auge der Macht-haber. 1973 berichtete der im Kreis Lçbau zust"ndige Genosse f!r Kirchen-fragen an den Rat des Bezirkes !ber seinen traumatischen Aufenthalt im (einstbr!derischen) Kreiskrankenhaus in Herrnhut mit Choralges"ngen, Sonn-tagsgr!ßen, frommenTraktaten und Besuchen diverser „Schwestern“. Er habezuletzt nicht mehr gewusst, ob er in einem kirchlichen oder staatlichenKrankenhaus liege.22 Diese religiçsen Umtriebe waren in der Tat wider dasDDR-Recht, das „religiçse Handlungen“ in Krankenh"usern und anderençffentlichen Anstalten nur noch auf ausdr!ckliche Nachfrage der Betroffenengenehmigte.23 1974 meldete denn auch der Rat des Kreises Lçbau stolz: „Zuden wesentlichsten Prinzipien der Partei- und Staatsorgane gegen!ber denKirchen gehçrt, den religiçsen Einfluss auf die Bevçlkerung zur!ck zu dr"n-gen. […] So ist es uns in Herrnhut z.B. gelungen, entsprechend der Trennungzwischen Staat und Kirche, nun endlich auch im Territorium diese herbei-

20 J. Schmude an H. Richter, 10.11.2006, Unterlagen H. Richter ; Protokolle RdS Herrnhut,Stadtarchiv Herrnhut, Stadtrat 1953–55 Protokolle.

21 Jahresbericht Herrnhut 1954, UA DEBU 804; Hickel, Lebenserinnerungen, S. 99.22 Richter an Dohle, 16.1. 1973, HStA Drd. 11430, Nr. 11091; vgl. dazu auch Gr!nbaum an Lan-

desregierung Sachsen, 6. 6.1950, BA DO 4/2289; Interview mit Ehepaar E., ostdt. Gemeinmit-glieder, Ebersdorf, 5. 12.2005, S. 30 u. 35, Unterlagen H. Richter ; E. Fçrster an B!rgermeister G.Clemens, 21.2. 1957, HStA Drd. 11430/10901; Gespr"ch mit Biedermann, 8. 9. 1980 u. weitereUnterlagen in der Akte, BStU BV Drd. AIM 1732/91, S. 38 et passim; Aktennotiz von Hasting,10.4. 1978, EZA 101/286; RdK Lçbau an Direktion der Br!dergemeine, 9. 5. 1957, HStADrd. 11430, Nr. 10901.

23 Staat und Kirche in der DDR, eine Dokumentation, 1959, S. 2, HStA Drd. 11430, Nr. 10831.

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zuf!hren (seit M"rz 1974 tritt der Chor der Br!dergemeinde [sic] nicht mehrim staatlichen Krankenhaus auf).“24 Drei Jahre sp"ter berichtete die Stasi-Kreisstelle Lobenstein von den frommen Aktivit"ten in Ebersdorf: St"ndigseien Bl"sergruppen unterwegs, im Krankenhaus, Altenheim und auf denStraßen. Als die Staatssicherheit deswegen den Pastor zur Rede stellte, verwiesdieser darauf, „dass sie bereits seit 251 Jahren diese Tradition wahren“.25

Der Staatssozialismus setzte dem christlichen Festkalender einen eigenenentgegen, teilweise mit bemerkenswerten Traditionserfindungen: Dazu ge-hçrten der 1. Mai, die „Feier“ der Wahlen, Gr!ndung der DDR oder derj"hrliche Kinder- und Frauentag. Allerdings entwickelte das SED-Regime,dem Historie allenfalls ein d!nnes Mittel des Machterhalts war, keinen Sinnf!r Feste. Die staatlich inszenierten Feiern mit „Winkelementen“ und ge-schlechtslosen, uniformierten Gruppen litten an nationalsozialistisch- undsowjetisch-eklektizistischer Geschmacklosigkeit. Weitgehend in Vergessen-heit geraten sind die Bem!hungen der SED-Diktatur, ganz "hnlichwie das NS-Regime atheistische „Lebensfeiern“ zu installieren: Die „Namensweihe“ stattder Taufe sowie eine besondere sozialistische Trau- und Beerdigungszere-monie. Doch stießen diese angeblich proletarischen Riten nur auf Spott.26

Einzig die Jugendweihe setzte sich aufgrund massiver Repressionsmaßnah-men durch. Bis in die siebziger Jahre gelang es dem Regime auch, Taufen undkirchliche Trauung weitgehend zu unterbinden.27 Ebenfalls relativ erfolgreichwar die Einf!hrung der Kinder- und Frauentage, deren Begehung in denKreisen und Bezirken ebenso wie die sozialistischen Lebensfeiern !berpr!ftund weitergemeldet wurde. In den unz"hligen Berichten der Behçrden undParteileitungen auf Kommunal-, Kreis-, Bezirks- und Staatsebene bilden diegenauen Teilnehmerzahlen der sozialistischen Feste und der Vergleich mitkirchlichen Festen neben den Erfolgsmeldungen zum Kirchenaustritt einbeeindruckendes Zeugnis !ber die Bedeutung der Feiern f!r die diktatorischeDurchdringung der Bevçlkerung.28

Als die Funktion"re 1989 erkannten, wie ihnen das Staatsvolk davonlief,beschlossen sie, einen Verband der Freidenker zu gr!nden, der unter ande-rem, so das Parteisekretariat des MfS, „bei der Ausrichtung w!rdiger weltli-cher Feiern, wie sozialistische Namensgebung, sozialistische Eheschließung,

24 RdK Lçbau an SED-Kreisleitung, 5. 8.1974, HStA Drd. 11857, Nr. IV-C-2/14/676; vgl. auch H.Hickel an G. Hasting, 28. 1.1974, UA DEBU 865.

25 Information von Kreisdienststelle Lobenstein, 15.6. 1977, BStU BV Dresden KD Lçbau 18066;vgl. auch die Unterlagen Volkspolizeikreisamt Lobenstein 50, Th!ringisches StA Rudolstadt.

26 Berichtsunterlagen aus den f!nfziger Jahren BA DO 4/305.27 Berichte RdK Lçbau an SED-KL Lçbau, 5. 8. 1974, HStA Drd. 11857, IV C-2/14/ 676.28 Berichte KL SED Lçbau an BL SED Dresden, 16.4. 1958 u. 4. 6. 1958, HStA Drd. 11864, IV/4/

09.086; Analyse der Arbeit mit den Religionsgemeinschaften 1963, BA DO 4/83713; Unterlagensechziger Jahre inHStADrd. 11430,Nr. 10809 u. 11857,Nr. IV/A/2.9.02 437; Berichte RdKLçbauan KL in siebziger Jahre, HStA Drd. 11857, IV C-2/14/ 676 u. IV/D.4.09. 144.

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Trauerfeiern u. a.“ behilflich sein solle.29 Wer das Fest bestimmte, herrschte!ber die Seelen.

5.2 Jugend in der Br!dergemeine

5.2.1 Der Kampf um die Jugend und die Konfirmation

Die obrigkeitstreuen Herrnhuter waren nicht zur Opposition, aber doch zurResistenz bereit, wenn es an die Substanz ihrer Gemeinschaft ging. So war dieSituation in Herrnhut Anfang der f!nfziger Jahre trotz der Zur!ckhaltung derKirchenleitung aus staatlicher Sicht ein #rgernis. Die staatliche Organisationf!r Kinder, die Jungen Pioniere, f!hrte ein j"mmerliches Dasein, und die FreieDeutsche Jugend (FDJ) f!r die Jugendlichen war quasi nicht existent. In denStasi-Akten hieß es damals: „Durch die Br!der-Unit"t werden die Menschenbereits von Kind an in ihrem Sinne erzogen, da sie !ber Kinderg"rten undSchulen aller Art verf!gt […]. Die Zirkelabende werden immer dann durch-gef!hrt, wenn irgendwelche Veranstaltungen der FDJ bzw. Jungen Pionierestattfinden.“30 In Herrnhut ließen zwei junge Theologen keinen Zweifel daran,wer bei der Jugend das Sagen habe: Helmut Hickel und Theodor Gill. Der 1949aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zur!ckgekehrte Hickel stammte auseiner internationalen, gleichwohl stark deutsch-national gepr"gten Herrn-huter Missionsfamilie und war 1914 im Rheinland mit deutscher und engli-scher Staatsb!rgerschaft geboren.31 Der elegante, nicht ganz uneitle undumtriebige Lehrerssohn !bernahm 1950 die Leitung des Unit"tskinderheimsund wurde sp"ter viele Jahre lang Direktionsvorsitzender. Gill, Jahrgang 1928,war der neue Jugendpfarrer, ein zierlicher, ruhiger, fast verschlossener,!beraus intelligenter Mann aus einer schlesischen Fl!chtlingsfamilie. DieDirektion hatte ihn „aufgrund seiner allgemeinen wie seiner besonderenwissenschaftlichen Begabung“ eigentlich als Dozenten in einem neu zu er-çffnenden Theologischen Seminar vorgesehen.32 Der %kumenische Rat inGenf gew"hrte ihm f!r 1951/52 eines der Stipendien, mit denen deutscheTheologiestudenten eine Hochschule in den USA besuchen konnten. DochBischof Vogt hatte Gill gebeten, darauf zu verzichten, da er danach mçgli-

29 Notiz des Parteisekretariates desMfS zur Bildung desVerbandes der Freidenker, Argumentationzur Pressemitteilung im ND, 13. 1.1989, in Besier u. Wolf, Pfarrer, Christen u. Katholiken,S. 614 f.

30 Landesbehçrde der Volkspolizei Sachsen, Abteilung K, 27.4. 1951, BStU MfS HA XX/4–778.31 Hickel, Lebenserinnerungen, S. 11; vgl. zur Situation der Jugend in Herrnhut Unterlagen,

f!nfziger Jahre, Kreisarchiv Lçbau-Zittau, RdK Lçb 719.32 Entwurf, Direktion Bad Boll, o.D., ca. 1953, UA EFUD 690.

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cherweise nicht mehr in die „Ostzone“ zur!ck kommen kçnne.33 Gill hçrte aufden Bischof, verzichtete auf eine gl"nzende kirchliche Karriere, wie sie man-cher seiner br!derischen Altersgenossen im Westen antrat, und wurde eineder zentralen Figuren der Unit"t in der DDR. Immerhin hatte er statt sowje-tischer Kriegsgefangenschaft bei seinem Studium in Basel und Westdeutsch-land demokratische Freiheiten erlebt. Wahrscheinlich hat ihn dieser f!r seineGeneration ungewçhnlich weite Horizont neben einem sturen Charakterdavor bewahrt, sich auf unklare Kompromisse einzulassen. W"hrend Hickelals Pragmatiker zunehmend weniger Hemmschwellen gegen!ber den sozia-listischen Institutionen kannte und stets gespr"chsbereit war, z"hlte Gill beiden Behçrden bald zu den „besonders reaktion"re[n] Pfarrern“.34

Hickel und Gill organisierten zusammen mit anderen Gemeinmitgliederndie Jugendarbeit: Zum sonnt"glichenKindergottesdienst kamen !ber hundertKinder und damit die Mehrheit des st"dtischen Nachwuchses, egal ob zurBr!dergemeine gehçrend oder nicht. Zweimal in der Woche fand die Chris-tenlehre statt, zudem eine M"dchen- und eine Jungengruppe.35 Doch auch inHerrnhut k"mpften die Kommunisten auf allen Fronten gegen die Junge Ge-meinde: nicht nur mit allt"glichen Schikanen wie der Zerstçrung desHerrnhuter Schaukastens f!r die Jugendarbeit; die br!derischen Mitarbeitermussten sich mit vielen gelungenen und misslungenen Versuchen der Be-hçrden auseinandersetzen, Jugendveranstaltungen zu verbieten.36 JungeHerrnhuter erlebten ebenso wie Tausende anderer Christen Verhçhnung inden Klassenzimmern, die Relegation von Oberschulen und berufliche Dis-kriminierungen.37 ImHerrnhuter Jahresbericht hieß es 1953: „Es warenZeitender Feuerprobe f!r die junge Gemeinde und dar!ber hinaus f!r unsere ganze

33 Vgl. zu dem Stipendium R. Tillmann an H. Renkewitz, 27. 12.1950, Archiv %RK 42.0068; Un-terlagen 1950–1951 in MAB 194FI, H. Renkewitz; $bersetzung J. Vogt an Stocker, 8. 10.1951,MAB 104GI, Vogt, Johannes.

34 HStA Drd. 11864, Nr. IV/4/09.086; Protokoll Blocksitzung, 30.7. 1951, Stadtarchiv Herrnhut,Protokolle Blocksitzungen 1950–53; Monatsbericht, RdK Lçbau, 26.10.73, HStA Drd. 11430,Nr. 10926; Aktennotiz !ber Information anl"sslich des Besuches, Pr"sidenten der ev. Kirchender USA in Herrnhut, o.A., wohl 1976, HStA Drd. 11430, Nr. 11026; vgl. auch Gill, Br!derge-meine im Sozialismus, S. 76; Interview mit Prof. Dr. Horst Dohle, Berlin, 23.5. 2006, UnterlagenH. Richter.

35 E. Fçrster an W. Reiche, 13.8. 1950 u. weitere Unterlagen in UA DEBU 30; Gill, LausitzerFr!hling, S. 12; Gill, Jugendarbeit in den ostdeutschen Br!dergemeinen nach 1945, S. 1 f.

36 G. Hasting an P. Pietzsch, 24.9. 1958, UADEBU 662 u. andere Briefe in der Akte und in UADEBU660; Jahresbericht des Br!derpflegers der Gemeine Herrnhut 1953, UADEBU 804; Bericht SED-KL, 14.11.1958, HStA Drd. 11864, Nr. IV/4/09.086; Dienstreisebericht !ber Gespr"che am 10.und 11. 11.1958, BA DO 4/48b; Briefe Gill von Anfang 1953, Unterlagen Th. Gill, Herrnhut;Voullaire an E. Fçrster, 16. 7.1952, UA DEBU 660; Interview mit Ehepaar X., ostdt. Gemein-helferpaar, 28.8. 2007, Unterlagen H. Richter ; Interview mit Ehepaar E., ostdt. Gemeinmit-glieder, Ebersdorf, 5. 12.2005, S. 19, Unterlagen H. Richter.

37 Vgl. etwa Uebersch!r, Junge Gemeinde im Konflikt; Neubert, Von der Schulbank ins Gef"ngnis;Koch, Junge Gemeinde; Dorgerloh.

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Kirche.“38 Viele junge Herrnhuter flohen in den Westen; viele, die blieben,wurden trotz guter Noten nicht zum Abitur zugelassen.39 Die CDU ergriffPosition f!r das Regime und gegen die jungen Christen.40 Doch die zentraleNeuerung im Kampf gegen die Kirchen wurde die Einf!hrung der Jugend-weihe, die 1955 erstmals mit staatlicher Unterst!tzung stattfand.41 In dieserZeit brach der Mitgliederbestand der evangelischen Kirchen dramatisch ein.Er hatte 1949, zur Gr!ndung der DDR, noch 81 Prozent betragen und sich bis1952 gehalten. Mit der Verfolgung der Jungen Gemeinde begann 1952 und1953 schlagartig der Abfall der Mitgliederzahlen, der sich bis Anfang dersechziger Jahre fortsetzen sollte. Zuletzt war nur noch jeder vierte DDR-B!rger nominell Kirchenmitglied, und die Zahl der praktizierenden Christenwar verschwindend gering.42 Trotz anf"nglicher heftiger Gegenwehr setztesich die Jugendweihe in der DDR fl"chendeckend durch.43 Da die Bevçlkerungandere „Lebensfeste“ wie die Namensweihe nicht akzeptierte, die Jugend-weihefeierlichkeiten sich jedoch nicht vom Grau der anderen sozialistischenFestivit"ten abhob, ist der Erfolg dem Zwangsinstrumentarium zuzuschrei-ben, das die Einf!hrung der Jugendweihe flankierte. Ein Besuch der Erwei-terten Oberschule f!r das Abitur war ohne Jugendweihe nur noch schwermçglich. Zahlreiche Lehrer stellten christliche Kinder vor der Klasse bloß. Oftmussten christliche Jugendliche f!r ihre Standhaftigkeit mit sozialer Isolationbezahlen.44

Anders war die Situation in Herrnhut. Der Angriff auf die Jugend und dieImplementierung der Jugendweihe stießen ins Zentrum der Glaubensge-meinschaft. Hier zeigte sich deutlich die Grenze, die sie gegen!ber demstaatlichen Zugriff zog. Die Herrnhuter fuhren zum Kreisratsvorsitzenden,schrieben Eingaben und beschwerten sich bei der CDU !ber deren positiveHaltung zur Jugendweihe. Der Oberkirchenrat und Referent f!r Erziehungs-

38 Jahresbericht Herrnhut 1953, Blatt 2, UA DEBU 804.39 Interview mit Dr. Gerhard Frey, in den Westen geflohenes Gemeinmitglied, Heidelberg, 15.4.

2006, Unterlagen H. Richter ; Unterlagen Gerhard Frey, Heidelberg; E. Fçrster an O. Nuschke,11.8. 1953 u. weitere Briefe der Akte, BA DO 4/2289; vgl. dazu Hickel, Lebenserinnerungen,S. 89; Berichte in ACDP II-209, 005/6.

40 Parteileitung anG.Neumann, 26.3. 1953, ACDP III-045-125/3; vgl. auchKreisverband Schleiz anBezirksverband CDU, 10.5. 1953, ACDP III-45-125/3.

41 Abt. Staatliche Organe, Dresden, Plan der Durchf!hrung des Beschlusses des ZK, 6. 5. 1954,HStA Drd. 11857, Nr. IV/2.3.019; Goerner, Arbeitsgruppe Kirchenfragen, S. 61–69; vgl. zurJugendweihe auch Maser, Kirche in der DDR, S. 112 f. ; Pollack, Kirche in der Organisations-gesellschaft, S. 127–138.

42 Pollack, Von der Mehrheits- zur Minderheitskirche, S. 49–53.43 Vgl. zu den Zahlen Urban u. Weinzen, Jugendweihe, S. 27 f. ; vgl. Pollack, Kirche in der Orga-

nisationsgesellschaft, S. 136.44 Frank, The Gospel and Culture, S. 6; Streit um den Oberschulbesuch von A. T., in der Korre-

spondenz von 1972 zwischen RdB Dresden und Kreisschulrat, HStA Drd. 4–1: 7, 11; Ohse,Jugend nach demMauerbau, S. 233–244; Interview mit Ehepaar E., ostdt. Gemeinmitglieder, 5.12.2005, S. 16–19, Unterlagen H. Richter ; Interview Frank, S. 7; Interview mit FriedemannHasting, ostdt. Gemeinmitglied, Ebersdorf, 6.12.2005, S. 2 f. , Unterlagen H. Richter.

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fragen des Evangelischen Konsistoriums in Berlin, Herwig Hafa, ein Herrn-huter, war wesentlich an der Entstehung kirchlicher Papiere gegen die Ju-gendweihe beteiligt.45 Doch blieb die Unit"t auchw"hrend dieses Kampfes derobrigkeitsstaatlichen Tradition treu: Ihr Protest richtete sich niemals gegendas System, den SED-Staat. Auch die Jugendlichen selbst erkannten keingrunds"tzliches Problem mit den Machthabern. In den br!derischen „Leit-s"tzen f!r die Jugend“, die auf einer Jugendbibelfreizeit Anfang der f!nfzigerJahre entwickelt wurden, hieß es: „Wir haben als Christen nicht gegen einesozialistische Staats- oder Wirtschaftsform Stellung zu nehmen. […] Wirerkennen die Obrigkeit als Gottes Dienerin […]. Wir haben in unserer F!r-bitte der Obrigkeit zu allererst zu gedenken“.46 Auch nach der Wende erkl"rteder br!derische Bischof Theodor Gill : „[W]ir meinten es ernst mit unsererVersicherung, loyale B!rger der DDR zu sein […]Wir sahen in unserem Staatin erster Linie die von Gott gesetzte Obrigkeit und nicht den Antichristen.“47

Doch es gab auch abweichende Positionen. Erwin Fçrster gehçrte zun"chstnoch zu jenen F!hrungskr"ften, die f!r mehr Widerstand pl"dierten. Aufeiner Jugendbibelwoche erkl"rte er 1953, die Jugendlichen h"tten als Christen„in besonderer Weise auch politische Verantwortung“, selbst durch passivesErtragen von Unrecht w!rden sie sich schuldig machen.48

Die Diskriminierungen blieben bestehen, und immer mehr junge Mit-glieder entschieden sich, in den Westen zu fliehen. In einem Bericht derKreisleitung Lçbau heißt es 1955, „in Gebieten, wo die Kirche einen starkenEinfluss aus!bt, wie zumBeispiel inHerrnhut […] haben die illegalenVerz!gestarke Formen angenommen.“49 Auch die Dagebliebenen zeigten sich aufdiesem Gebiet selten kompromissbereit. In einem Informationsbericht derStaatssicherheit-Kreisstelle Lçbau hieß es 1956: „Ein besonderer Kampf wirdvon Herrnhut […] gegen die Jugendweihe gef!hrt“.50 Selbst unter evangeli-schen Kirchenmitgliedern in Herrnhut, die nicht zur Br!dergemeine gehçr-ten, galt es bis zum Ende der DDR als despektierlich, zus"tzlich zur Konfir-mation noch den Segen der Jugendweihe zu empfangen, geschweige denn, auf

45 Hickel, Lebenserinnerungen, S. 89; Bericht !ber eine Unterredung mit dem Direktorium derHerrnhuter Br!der-Unit"t, 11. 1.1955, SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/51; Staatssicherheit, BerichtDienststelle Lçbau, 13.1. 1956, S. 8, BStU BV Drd. KD Lçbau 18066; Unterlagen in BStUMfS AP20710/92, S. 1, 21 u. 24.

46 Knothe, Jugendarbeit der Br!dergemeine, S. 128 f.47 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 10.48 Bericht !ber die Jungendbibelwoche in Herrnhut, Juli 1953, UA DEBU 660.49 Bericht SED-KL Lçbau, 14.11.1955, HStA Drd., 11864, Nr. IV/4/09.085; vgl. Bericht !ber eine

Unterredung mit dem Direktorium der Herrnhuter Br!der-Unit"t, 11.1. 1955, SAPMO-BA DY30/IV 2/14/51; Hickel, Lebenserinnerungen, S. 89.

50 Bericht !ber Br!dergemeine Dienststelle Lçbau, 13.1. 1956, BStU BVDrd. KD Lçbau 18066; vgl.auch den Bericht der Sch!lerin G. B. an Kirchenkanzlei der EkiD, 19. 10.1955 !ber ihren Aus-schluss aus der Medizinischen Fachschule in Gçrlitz, 19.10. 1955, ACDP III-045, 125/3.

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die Konfirmation zu verzichten.51 Das Beispiel Herrnhut strahlte aus. Zeit-zeugen erz"hlen, wie die Br!dergemeine positiv auf die Umgebung gewirkthabe.52 Herrnhut war f!r viele eine Ermutigung, sich nicht der Mehrheits-meinung zu beugen.Wohl nicht zuletzt deshalb gehçrte Lçbau republikweit zuden Kreisen mit einer besonders niedrigen Jugendweihe-Quote (s. Tabelle 1).Der Kreis Niesky mit der Herrnhuter Ortsgemeine als Zentrum – und mit dersehr staatskritischen Geistlichkeit der Gçrlitzer Landeskirche, die als die„reaktion"rste in der Republik“ verschrieen war – wies "hnliche Zahlen auf.53

Tabelle: staatliche Angaben zur Teilnahme an Jugendweihe und Konfirmation imKreis Lçbau und in der Herrnhuter Schule in Prozent54

1955 1956 1963 1965 1966 1967 1968 1977

DDR Gesamt 17,7 23,7 90,4 88,9 k. A. k. A. k. A. 96,8

Kreis Lçbau k. A. k. A. 67,9 65 62,9 65 k. A. k. A.

Herrnhut k. A. k. A. 29 29 25,7 20 8 k. A.

1965 meldete der Dresdner Bezirksausschuss f!r Jugendweihe als besondersnegatives Beispiel die Stadt Herrnhut: „Der Elternbeiratsvorsitzende schicktsein Kind nicht zur Jugendweihe. Der Vorsitzende des Freundschaftsrates derPionierfreundschaft geht nicht zur Jugendweihe. Teilnahmestand 29,0%.“55

Die meisten Teilnehmer waren ausw"rtige Kinder, die nicht zur Gemeine ge-hçrten. Bis zum Ende der sechziger Jahre nahm die Zahl der Jugendweihe-teilnehmer sogar wieder auf unter zehn Prozent ab. Innerhalb der Stadt wuchsder Konsens, nicht an der Feier teilzunehmen. Gottfried Clemens, CDU-B!rgermeister von 1956 bis 1968, ging mit schlechtem Beispiel voran und ließ

51 Bericht Helmut Reichel, Basel, vertraulich an Geschwister im Westen, 26.10.1961, UA EFUD655; Interview mit M., Bewohnerin Herrnhuts, Nicht-Gemeinmitglied, Zittau, 4. 7.2006; vgl.dazu auch Interview mit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 12 u. Auskunft vonBenigna Carstens, Kçnigsfeld, 30.11.2007, Unterlagen H. Richter.

52 Z. B. Pfarrer Lessmann, Bçhmert, Leiter der Abteilung politische Angelegenheiten, RdK, !berEntwicklung 1957, o.D., HStA Drd. 11430, Nr. 10815.

53 Informationsbericht von CDU-KV Lçbau, 19.2. 1957, ACDP III-040-088/1; Bericht zur Lage, KLLçbau, 11. 5.1963, HStA Drd. 11857, Nr. IV/A.4.09. 050; Interview mit M., BewohnerinHerrnhuts, Nicht-Gemeinmitglied, Zittau, 4. 7.2006; Informationsbericht des CDU-Kreisvor-standNiesky, 19.2. 1957, ACDP III-40, 88/1; Bericht zur Jugendweihe vonVolkspolizei, KreisamtLçbau, 20.1. 1965, Kreisarchiv Lçbau-Zittau, RdK Lçbau 230; Unterlagen in BA DO 4/602.

54 Unterlagen BA DO 4/602; Unterlagen HStA Drd. 11857, IV/A/2.9.02 437 u. IV C-2/14/ 676;Entwicklung an der Teilnahme der Jugendweihe vom 15.12. 1964, Kreisarchiv Lçbau-Zittau,RdK Lçbau 230; Jahresbericht Herrnhut 1958, UA DEBU 805. (Die Bezirks- und Kreis-Zahlenvariieren: Je hçher die Zahlen in der Hierarchie weiter gemeldet wurden, desto hçher stiegensie.) – Wobei die kirchlichen Zahlen in den f!nfziger Jahren wesentlich unter den staatlichenZahlen und n"her an der Realit"t lagen, Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 136;vgl. die Zahlen in Tenorth u.a. , Politisierung im Schulalltag, S. 205 f.

55 Bezirksausschuss f!r Jugendweihe Dresden, 15.3.65, HStA Drd. 11857, IV/A/2.9.02 437.

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keines seiner Kinder zur Jugendweihe.56 Ab den siebziger Jahren liegen keineaussagekr"ftigen Zahlen mehr f!r die Gemeine vor, da die Jugendweihezahlensich auf die Polytechnische Oberschule in Herrnhut bezogen und die br!de-rischen Jugendlichen in der neuen, großen Schule, zu der aus der ganzenUmgegend Sch!ler geschickt wurden, nur noch eine Minderheit bildeten.Doch sowohl die Berichte der Zeitzeugen als auch die Klagen der Staats- undParteifunktion"re verdeutlichen, wie die Unit"t sich erfolgreich gegen dieJugendweihe wehrte und selbst andere Jugendliche zu beeinflussen ver-mochte. 1977 etwa beschwerte sich der SED-Ortsvorsitzende !ber Herrnhut:„Was den Schuleinzugsbereich betrifft, so gibt es kaum die Teilnahmen anKonfirmation und Jugendweihe, bei den Angehçrigen der EBU schon garnicht.“57

Dabei hielt es die Br!dergemeine mit den Regelungen zur Jugendweiheganz "hnlich wie die Landeskirchen, an die sie sich in politisch wichtigenFragen orientierte: Erst lehnte sie die Jugendweihe grunds"tzlich ab, bis sieschließlich 1959 erlaubte, auch jugendgeweihte Kinder nach Ablauf einesJahres zu konfirmieren.58 Den evangelischen Landeskirchen war Ende derf!nfziger Jahre nichts anderes als ein Einlenken !brig geblieben. Sie hatten dieAuseinandersetzung mit dem Staat um die Jugend und das Fest verloren, dadie Basis nicht standgehalten hatte. Den Kirchenmitgliedern war die berufli-che Laufbahn ihrer Kinder wichtiger.59 Die Einf!hrung einer moderatenNeuregelung auch in der Br!dergemeine, die Jugendweihe und Konfirmationnicht grunds"tzlich ausschloss, verweist darauf, dass sich wie in der Landes-kirche Gemeinmitglieder in den Gemeinbereichen und manchen Ortsgemei-nen weniger resistent gegen!ber dem staatlichen Druck zeigten; allerdingsliegen hierf!r keine Zahlen vor.60 Wie im katholischen Eichsfeld oder in pie-

56 Hickel, Lebenserinnerungen, S. 94; Erg"nzungsbericht zum Jahresbericht Herrnhut 1959, UADEBU 805.

57 Sekret"r D., SED Ortsleitung Herrnhut an KL Lçbau, 5. 5. 1977, HStA Drd. 11864, Nr. IV/D.4.09.144; vgl. auch Aktennotiz „Gegenw"rtiger Sachstand der anliegenden Probleme aus Herrnhut“,Fischer, RdK, 10.5. 1977, HStA Drd. 11430, Nr. 10941; vgl. auch Helmut Schiewe, Ausz!ge ausLebenserinnerungen, S. 3, Unterlagen Schiewe, Ebersdorf; Interview mit R. Fischer, B!rger-meister in Herrnhut ab 1990, Herrnhut, 7.7. 2006; Interview mit Friedemann Hasting, ostdt.Gemeinmitglied, Ebersdorf, 6.12. 2005, S. 2, Unterlagen H. Richter ; vgl. auch RdB Drd., Stellv.Vorsitzender R. Lindner, an Abt. Wohnungswirtschaft, 2. 8. 1966, HStA Drd. 11430, Nr. 10872;Interviewmit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 12, UnterlagenH. Richter ; vgl.auch Hickel, Lebenserinnerungen, S. 94.

58 Durchf!hrungsbestimmungen zum Wort der Synode der BU in Herrnhut 1959, UA EFUD 655;Statements der Ortsgemeinen zur Jugendweihe, f!nfziger Jahre, UA DEBU 656;Maser, Kirchenin der DDR, S. 114 f. ; vgl. dazu Th. Siebçrger an die Br!der der westlichen PK, streng ver-traulich, 31.10.1959, UA EFUD 655; vgl. dazu auch Rundbrief der Direktion Herrnhut anGeschwister in Gemeinbereichen, Juni 1975, UA EFUD 659.

59 Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 135 f. , 156–158.60 Bericht Helmut Reichel, Basel, vertraulich an Geschwister im Westen, 26.10.1961, UA EFUD

655; vgl. allgemein zur Jugendweihe in der Br!dergemeine auch Hickel, Lebenserinnerungen,

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tistisch gepr"gten Ortschaften im Erzgebirge war auch in der Unit"t nur dorteine generelle Ablehnung der Jugendweihe mçglich, wo das Milieu abge-schottet von der DDR-Gesellschaft war. Die Jugendweihe blieb im$brigen f!rviele Christen auch dort, wo sie praktiziert wurde, ein Stein des Anstoßes. Daszeigte sich etwa bei der Selbstverbrennung von Oskar Br!sewitz 1976: Nachseinem Tod fanden viele Kirchenmitglieder und Pfarrer den Mut, in den„Gespr"chen“ mit Staats- und Parteifunktion"ren wieder offen ihre Problemezu nennen: An erster Stelle stand vielmals der Druck auf die Kinder, an derJugendweihe teilnehmen zu m!ssen.61

Die Konfirmationspredigten zeugen davon, wie die Unit"t den Jugendli-chen mit dem Ritus der Konfirmation einen Lebensentwurf anbot, der dia-metral entgegengesetzt zur Staatslehre stand: „Freiheit in Christus“, Orien-tierung nicht am Materiellen, sondern an der „unsichtbaren Welt“, die„christliche Freude“, die „Krone des ewigen Lebens“, Christus im Alltag – undimmer wieder die „persçnliche Konnexion zum Heiland“.62 In der Kirchen-ordnung der Br!der-Unit"t hieß es zur Konfirmation: „$ber allem bloßenLernen stehe der stete Hinweis des Gemeinhelfers auf die Notwendigkeit undFreude der persçnlichen Verbindungmit Christus“.63 Das waren keine AppellezumWiderstand oder zum zivilgesellschaftlichen Engagement, dennoch bargdiese fromme Theologie den Aufruf, sich dem totalen Anspruch des Staates zuverweigern und bot damit herrschaftskritisches Potenzial.64 Zudem schuf dieFrçmmigkeit zwei entscheidende Voraussetzungen f!r den Erhalt einer reli-giçsen Gemeinschaft und trug damit dazu bei, dass die Herrnhuter nach 1961ihren Mitgliederbestand relativ gut halten konnten: Der Sinn der Glaubens-inhalte blieb unangetastet, und die Religion bot zugleich Antwort auf dieanstehenden Lebensfragen.65

Was die Herrnhuter Jugendlichen vor anderen jungen Christen auszeich-nete und ihnen Stehvermçgen gab, war – neben einem weit gef"cherten Ju-gendprogramm – ihr enger Kontakt zu westlichen L"ndern. Fast jedes f!nfte„Mitglied der Br!der-Unit"t wurde im Ausland geboren und hat heute nochAngehçrige in Westdeutschland oder im kapitalistischen Ausland“, meldetedie Staatssicherheit 1956.66 Wie die Internationalit"t der Gemeine galten demRegime zun"chst auch die engen Verbindungen in den Westen als "ußerstsuspekt. In den staatlichen Berichten der f!nfziger Jahre wurde Bad Boll zueiner Zentrale des Imperialismus hochstilisiert, das einen verderblichen

S. 93 f. ; Interview mit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 12, Unterlagen H.Richter.

61 Informationsberichte des Kreisverbandes Lçbau, 1976, ACDP II-270-BB u. III-40-097/2; CDU-Informationsberichte ACDP II-209-030/1.

62 Predigten in UA DEBU 623.63 Kirchenordnung der Evangelischen Br!der-Unit"t, § 67.64 Herbert, Religion and Civil Society.65 Pollack, S"kularismus, S. 15 f.66 Staatssicherheit, Bericht Dienststelle Lçbau, 13.1. 1956, S. 8, BStU BV Drd. KD Lçbau 18066;

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Einfluss auf die DDR-Herrnhuter habe, ja, sogar versuche, Herrnhuts Be-deutung mit unlauteren Mitteln zu beschneiden.67 Doch gelang es denHerrnhutern Ende der vierziger und Anfang der f!nfziger Jahre immer wie-der, die Reisemçglichkeiten zwischen Ost und West zu nutzen und gesamt-deutsche sowie europ"ische Jugendtreffen und -r!stzeiten zu organisieren.Der Teilnehmer einer schweizerisch-deutschen Freizeit berichtete: „Wirhaben etwas von dem erfahren, was unsere V"ter den Geist der Gemeinenannten.“68 Die Treffen st"rkten eine Gruppenzugehçrigkeit jenseits der so-zialistischen Gesellschaft: „Ist die Br!dergemeine eine christliche Interna-tionale?“, fragten sich etwa die Jugendlichen auf einer Freizeit.69 „Die Br!der-Unit"t ist uns zu einer neuen Wirklichkeit geworden“, hieß es in einer Ein-ladung, „Wir wissen, dass wir – verschiedenen Vçlkern angehçrend – dochzusammengehçren.“70 In gesamtdeutschen Kursen f!r den theologischenNachwuchs der Br!dergemeine wurde die Zusammengehçrigkeit vertieft undzu einem Teil der br!derischen Ausbildung.71

Selbst im Vergleich mit anderen Ortsgemeinen war das Milieu in Herrnhutbesonders abgeschottet. Um 1970 waren von den 1790 Einwohnern noch rund550 Mitglieder der Br!dergemeine und 650 Mitglieder anderer Kirchen (vgl.Diagramm 3).72 Als 1968 nach langer Suche eine Frau das Amt von B!rger-meister Clemens !bernahm, war die Ablehnung der Br!dergemeine groß, weilsie keinen Gottesdienst besuchte; noch nicht einmal die Anmeldung ihrerTochter zur Christenlehre konnte die Gemeine bes"nftigen. Der alte B!rger-meister Clemens erkl"rte gegen!ber den Behçrden mit verbl!ffendemSelbstbewusstsein: „Als CDU-Mitglied und B!rgermeisterin von Herrnhutnimmt sie nicht am Gottesdienst […] teil“, das „m!sste dochwohl gerade voneinem B!rgermeister in Herrnhut zu erwarten sein.“73 Entnervt legte dieB!rgermeisterin das Amt nach kurzer Zeit wieder nieder. Eine Herrnhuterinschrieb r!ckblickend: „Die Br!dergemeine schien mir eine lebendige, kr"f-tige, weltweite, unumstçßliche, unersch!tterbare Realit"t zu sein. ,Arbeiter-und-Bauern-Staat’, Geheimdienste, marxistisch weltanschauliche Erziehungbildeten in meinen Augen eine Gegenwelt, die aber am Faktum ,Herrnhut’nicht r!tteln konnte oder wollte“.74 Doch diese Resistenz war nur innerhalbdes frommen Kosmos der Ortsgemeine mçglich. Allein die Situation in der

67 Information „Herrnhuter Br!dergemeine“, o.D., Ende f!nfziger Jahre, BA DO 4/2792.68 Bericht !ber die Jugendtagung der Br!dergemeine in Hohensolms, 29.7.–5.8.1949, UA DEBU

659, vgl. dazu auch Knothe, Jugendarbeit, S. 126 f. ; vgl. zu weiteren R!stzeiten auch UA DEBU31, 659; UA 660 u. 662.

69 Bericht !ber die Jugendtagung der Br!dergemeine in Hohensolms, 29.7.–5.8.1949, UA DEBU659;

70 H. Renkewitz an Prediger, 1949, Archiv Br!dergemeine Ebersdorf, #R I R 2,3a.71 Vgl. Unterlagen, 1946–1953, in UA DEBU 1353; Knothe, Jugendarbeit, S. 127.72 Engel, Abteilung Staat und Recht, an W. Krolikowski, Dresden, 30.10.69, HStA Drd. 11857, Nr.

IV/B.2.14.633.73 Zwischenbericht, RdB Drd., 6. 9.1971, HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633.74 Information von U. B. an H. Richter, 6/2007, Unterlagen H. Richter.

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Herrnhuter Schule war weit weniger prek"r f!r die christlichen Jugendlichenals anderswo. Lange Zeit gab es noch christliche Lehrerinnen und Lehrer. Diebr!derischen Lehrer wurden von den Kindern als „Bruder“ und „Schwester“angesprochen, die Herrnhuter dominierten die Elternvertretung, und in derSchule waren br!derische Kinder bis zum Bau der neuen Schule in densiebziger Jahren oft in der Mehrheit. Selbst die Christenlehre war noch in denVormittagsunterricht integriert.75 In einem Stasi-Bericht heißt es Mitte derf!nfziger Jahre !ber die Herrnhuter Schule: „Im Hausflur dieses Geb"udesh"ngen die Heiligenbilder und es gibt Lehrkr"fte an der Schule, die der Br!-dergemeinde [sic] angehçren […]. Es gibt Stimmen inHerrnhut, welche offendie konfessionelle Schule fordern.“76 Montags in der Fr!he hielten dieHerrnhuter einen Schulmorgensegen ab – schließlich gehçrte das Schulge-b"ude ja ihnen.77 Ab und zu organisierten die Herrnhuter Diskussionsabendemit den sozialistischen Lehrern f!r die Jugend. Ein Gemeinmitglied erinnertesich, bei den Diskussionen seien ihm die Herrnhuter „bestimmerisch undselbstgerecht“ vorgekommen, die jungen, sozialistischen Lehrer seien alleinschon durch die Umrahmung mit Gesang und Gebet in einer unterlegenenPosition gewesen.78 Die Diskurshoheit am Ort hatte zweifelsohne die Br!-dergemeine.

Herrnhut war trotz allem kein Widerstandsnest. 1956, in dem Jahr als dieBahnhofsmission geschlossen wurde, als br!derische Jugendliche tagt"glichdiskriminiert wurden oder vor dem Zugriff des Staates in den Westen flohen,schickte Johannes Vogt an den „verehrten Pr"sidenten“ Wilhelm Pieckfreundliche Gr!ße zum Geburtstag.79 Die Mitglieder der Br!dergemeine ver-suchten, gute DDR-B!rger zu sein – nur ein Frontalangriff auf ihre Traditionund damit ihre Existenz konnte sie zur Resistenz bewegen.

5.2.2 Familie, Jugendarbeit und Curriculum in der Br!dergemeine

Die kleine Freikirche konnte !berleben, wenn es ihr gelang, der Jugend einebr!derische Identit"t zu bieten, gepr"gt durch den spezifisch herrnhutischenGlauben und die br!derische Tradition. Wesentlich f!r die Traditionsver-

75 Informationsberichte SED-KL Lçbau, 17.1. 1955 u. 3. 10.1955, HStA Drd. 11864, IV/4/09.085;Erg"nzungsbericht zum Jahresbericht Herrnhut 1960, UA DEBU 805; Elternbeirat der Grund-schule Herrnhut an Ministerium f!r Volksbildung Berlin, 25.4. 1955, HStA Drd. 11430,Nr. 10840; Information U. B. an H. Richter, 6/2007, Unterlagen H. Richter.

76 Maßnahmeplan f!r die Anwendung neuer Methoden in der Bek"mpfung der Feindt"tigkeit der„Deutschen-Br!der-Unit"t“ Herrnhut, Unterleutnant Herbrich, o.D., um 1955, BStU MfS HAXX/4–778.

77 Jahresbericht Br!derpfleger Th. Gill, Gemeine Herrnhut, 1953, S. 6, UA DEBU 804.78 Information von U. B. an H. Richter, 6/2007, Unterlagen H. Richter ; vgl. die Beschreibung einer

solchen Diskussion Bericht der Dienststelle Lçbau, 13.1. 1956, BStU BV Drd. KD Lçbau 18066,S. 10.

79 J. Vogt an W. Pieck, 2. 1. 1956, UA DEBU 79.

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mittlungwardas Familienlebenmit allt"glichenRitenwie demmorgendlichenLosungslesen, dem Tisch- oder dem Abendgebet. In der Kirchen-Ordnunghieß es, die christliche Familie sei „eine Grundlage und Pflanzst"tte des Ge-meindelebens“.80 Anders als im 18. Jahrhundert, als in der Br!dergemeine dasFamilienleben dem Chor-Leben untergeordnet gewesen war, b!rgerte sich abdem 19. Jahrhundert auch bei den Herrnhutern das Familienbild mit demVater als Familienoberhaupt und der Mutter als H!terin des Hauses ein.Dennoch sahen die Herrnhuter traditionell die Familie nicht als den zentralensozialen Bezugspunkt. Durch die Internatsarbeit der Unit"t und durch dieMissionarsfamilien, die bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges ihre Kindermit Erreichen des Schulalters nach Deutschland schicken mussten, erhielt dieFamilie nie den singul"ren Status, der ihr sonst im protestantischen Milieubeigemessen wurde. Es kam daher auch zu DDR-Zeiten vor, dass Eltern ihreKinder zur Erziehung in ein br!derisches Kinderheim gaben – zur Entlastungder Mutter oder zur Fçrderung des Kindes.81 Die Kinderg"rten gehçrten alsdie letzten Rudimente der erzieherischen Arbeit zu den Projekten, denen dieUnit"t auch in den finanzschwachen Nachkriegsjahren Priorit"t einr"umte.82

Allein der Kindergarten in Herrnhut, die letzte christliche Einrichtung dieserArt im Kreis Lçbau, hatte bis zu sechzig Kinder. Dadurch ermçglichte dieUnit"t zahlreichen Frauen ein Berufsleben. Tats"chlich empfahl die Kirchen-ordnung die „berufst"tigen M!tter“ der besonderen F!rsorge der Gemeine.83

In der Nachkriegszeit war das wegen der vielen allein erziehenden M!tterumso notwendiger.

Die Behçrden beobachteten die christlichen Kinderg"rten mit Misstrauen,waren aber froh !ber die finanzielle Entlastung. Ein Bericht der Staatssi-cherheit klagte Mitte der f!nfziger Jahre, der kommunale Kindergarten inHerrnhut blute finanziell aus, hingegen kçnne der Kindergarten der Unit"t„vorbildlich arbeiten“.84 Von einzelnen kritischen Statements gegen berufs-t"tige Frauen abgesehen, hat sich die Br!dergemeine im Osten Deutschlandsmit der Funktion der Frau als berufst"tiger Mutter gut arrangiert, zumal dieRollen wie in der ganzen DDR klar aufgeteilt blieben: Der Mann war derHauptern"hrer und die Frau trug die Doppelbelastung von Hausarbeit undBeruf. Wie im kirchlichen Leben !blichwaren auch in der Unit"t die Frauen in

80 Kirchen-Ordnung der Evangelischen Br!der-Unit"t, 1959, S. 27.81 Mettele, Wanderer, S. 51; Morgenstern, S. 12 u. 74 f. ; Schneider, Gl!ck in der Nische; vgl. zur

Rolle der Familie und der Gemeine bei der Erziehung der Kinder auch Jahresbericht Herrnhut1962, S. 7, UA DEBU 805.

82 Sitzungsbericht der DUD, 28. 5.1947, UA DEBU 2.83 Kirchen-Ordnung der Evangelischen Br!der-Unit"t, 1959, S. 32 u. 40; J. Vogt an Landeskirch-

liches Amt f!r Innere Mission, 24.10.1949, UA DEBU 1130; Uttendçrfers Lebenserinnerungen,S. 309, UA Nachlass Uttendçrfer ; Hickel, Lebenserinnerungen, S. 88.

84 Maßnahmeplan f!r die Anwendung neuer Methoden in der Bek"mpfung der Feindt"tigkeit der„Deutschen-Br!der-Unit"t“ Herrnhut, Unterleutnant Herbrich, o.D., ca. 1956, BStU MfS HAXX/4–778; Bericht Entstehung und Entwicklung der Br!der-Unit"t und Br!dergemeinen, Stasi-Dienststelle Lçbau, 13.1.1956, BStU BV Dresden KD Lçbau 18066, S. 12.

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s"mtlichen Gremien unterrepr"sentiert, obwohl sie die Mehrheit der Ge-meinmitglieder stellten (vgl. Diagramm 2).85

Neben der Familie vermittelte die Jugendarbeit die br!derische Identit"tund Tradition. In den Ortsgemeinen nahmen vielfach landeskirchliche Kinderselbstverst"ndlich daran teil. Oft unterrichtete der Gemeinhelfer, der br!de-rische Pfarrer, auch die landeskirchlichenKonfirmanden und segnete sie ein.86

Herrnhut und seine florierende Junge Gemeinde war ein Anziehungspunkt f!rchristliche Jugendliche der ganzen Umgegend.87 Die Jugendarbeit zeigt ex-emplarisch, wie die Br!dergemeine einerseits çkumenisch offen war und f!ralle Mitchristen ihre Dienste anbot, zugleich aber stets ihrem Bed!rfnis nachAbgrenzung Rechnung trug. Oft gab es zus"tzlich eine gesonderte Arbeitallein f!r den br!derischen Nachwuchs. Waren R!stzeiten !berbucht, wurdenKinder aus der Unit"t bevorzugt. Eine Herrnhuterin erinnerte sich, dieKinderstunden nur f!r die Gemeinmitglieder h"tten ihr am besten gefallen,denn „da waren wir, alle Br!dergemein-Kinder, zusammen. Und das war ganzbr!dergemein-spezifisch.“88 $bereinstimmend berichten die Mitglieder derUnit"t, wie positiv sie Kindheit und Jugend in der Gemeine erlebt h"tten. Dieverschiedenen Versammlungen empfanden sie in ihrer Erinnerung nicht alsl"stig, sondern als anregend, zumal der soziale Bezugspunkt in den Ortsge-meinen auch f!r die Jugend die Kirche blieb.89 Die Jugendarbeit lehnte sich andie Zinzendorfsche P"dagogik an, die von den Kindern nicht „Bekehrung“und Buße verlangte, sondern nur Zutrauen zum „lieben Heiland“. In derKirchen-Ordnung von 1959 hieß es: „Die Br!dergemeine sucht, die ihr an-vertrauten Kinder mit demHeiland bekannt zumachen […]. Sie betet darum,dass die Kinder ihn lieben und ihm folgen lernen.“90 Und eine Instruktion f!rbr!derische Erzieherinnen erinnerte daran, „dass nach Zinzendorfs Wort

85 Vgl. Rundbrief Direktion, 19.5.1958, UA DEBU 50; Interview mit Ehepaar E., ostdt. Gemein-mitglieder, 5. 12.2005, S. 12, Unterlagen H. Richter.

86 Vgl. Kap. 2.3.2; Interview mit M., Bewohnerin Herrnhuts, Nicht-Gemeinmitglied, Zittau, 4. 7.2006, UnterlagenH. Richter ; RdB Drd., Referat f!r Kirchenfragen, 18.3. 1975, BA DO 4/733; vgl.zur Zusammenarbeit in Herrnhut mit der Landeskirche, bei der es auch Spannungen gab,Jahresberichte Herrnhut, f!nfziger bis sechziger Jahre, UA DEBU 805; Hickel, Lebenserinne-rungen, S. 94; Ergebnis der Verhandlungen auf der Lausitzer Predigerkonferenz, 9. 2.1970, UADEBU 664.

87 Vgl. dazu die Bedenken der ringsum arbeitenden landeskirchlichen Pfarrer in UA DEBU 865.88 Interview mit Erdmute Frank, Bethlehem, USA, 3.5. 2005, S. 2, Unterlagen H. Richter ; vgl. auch

Interview mit Ehepaar E., ostdt. Gemeinmitglieder, Ebersdorf, 5.12. 2005, S. 25 u. Interview mitClementine Weiss, ostdt. Gemeindienerin, Ebersdorf, 6. u. 9.12.2005, S. 11, Unterlagen H.Richter ; G. Hasting an Prediger, 11.1. 1962, UA DEBU 51.

89 Interview mit ClementineWeiss, ostdeutsche Gemeindienerin, Ebersdorf, 6. u. 9.12. 2005, 4 u. 8u. Interview mit Gudrun Meyer, von DDR in BRD gezogen, Herrnhut, 7. 2. 2007 u. Interview mitFriedemannHasting, ostdt. Gemeinmitglied, Ebersdorf, 6. 12.2005 u. Interview mit Ehepaar X.,ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 10 u. 13, Unterlagen H. Richter ; Interview mit ErdmuteFrank, ostdt. Gemeinmitglied, Bethlehem, USA, 3.5. 2005, UA; Brief U. B. an H. Richter, Juni2007, Unterlagen H. Richter.

90 Kirchen-Ordnung der Evangelischen Br!der-Unit"t, 1959, S. 39.

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Kinder ,kleine Majest"ten’ sind, deren Seelenleben behutsam !berwacht undgepflegt werden soll“.91 In einem bekannten herrnhutischen Kinderlied ausder Barockzeit heißt es auf das Gleichnis vom Guten Hirten anspielend: „Weilich Jesu Sch"flein bin, / freu ich mich nur immerhin / !ber meinen gutenHirten, / der mich wohl weiß zu bewirten“. Die Kindstaufe gehçrte zumtheologischen Programm, da die Gnade Gottes unabh"ngig von Verdienst undLeistung demMenschen geschenkt werde. Es gabwohl auch jungeHerrnhuter,die unter Disziplin, Tradition und Frçmmigkeit litten. Da sie jedoch nach derSchulzeit meist aus den Ortsgemeinen zogen, war es in der Regel nicht schwer,sich als Jugendlicher bzw. junger Erwachsener zumindest sozial dem br!de-rischen Umfeld zu entziehen. Eine Herrnhuterin erinnerte sich (in der drittenPerson), wie ihr Ablçsungsprozess auf einer R!stzeit in Herrnhut begann:„Hier war immer noch gestern. Gestern hatte man gesungen in einem solchenGr!ppchen, vorgestern, war dieselben Wege gegangen. […] Immer nochgestern, vorgestern. Sie hatte den Gedanken nicht ertragen. In ihrem Ge-d"chtnis blieb das Ersticken an stillgestandner Zeit. Sie war nicht wieder zuR!stzeiten gefahren.“92

Die Formen der Jugendarbeit blieben vielf"ltig und vor dem l"ndlichenHintergrund der Ortsgemeine bis zum Ende der DDR-Zeit attraktiv. Kern derArbeit warendieGruppen, die sich nachAlter undGeschlechtern getrennt ein-oder zweimal in der Woche trafen. H"ufig gab es zus"tzliche gemischte Ju-gendabende mit Tanz oder Vortr"gen. Hinzu kamen Jugendsonntage und diej"hrlichen Feste des Kinder- und des Jugend-Chores.93 In Berlin traf sich inden sechziger Jahren ein Studentenbibelkreis, der dann mangels br!derischerStudenten einging.94 Von besonderer Bedeutung waren wie in den großenKirchen die R!stzeiten. Die Unit"t bot j"hrlich im Distrikt Herrnhut rund einDutzend f!r insgesamt mehrere Hundert Teilnehmer an: Konfirmanden-r!stzeiten, Kinder-, Jugend- und Diakonische R!stzeiten. Daneben gab esAngebote f!r Familien, Handwerker und Gewerbetreibende oder Frauen. DieHerrnhuter aus dem Osten betonten auch nach der Wende den Unterschiedzwischen denR!stzeiten in derDDRund den Freizeiten imWesten – bei denenes zuweilen mehr um Segelfahrten als um die biblische Zur!stung gegangensei.95 Viele br!derische Jugendliche, vor allem außerhalb der Ortsgemeine

91 Instruktion f!r die Hausmutter und Helferinnen des Unit"tswaisenhauses, Direktion, Oktober1945, UA DEBU 1130; vgl. jedoch Vogts Kritik an den vernunfts- und bildungsfeindlichenTendenzen in der Zinzendorfschen P"dagogik, Vogt, „Ohne Kopf und Ungescheid“.

92 Morgenstern, S. 161; vgl. auch HStA Drd. 11430, Nr. 2869; vgl. auch Bericht, 26.6.1981, S. 14 f. ,BStU BV Drd. AIM 1732/91; Interview mit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007,S. 13, Unterlagen H. Richter.

93 Bericht !ber Jugendsonntage von Th. Gill, 1953, UA DEBU 660; Unterlagen, vierziger bisf!nfziger Jahre, UA DEBU 803; Bericht Volkspolizei, Kreisamt Lçbau, 20.1. 1965, KreisarchivLçbau-Zittau, RdK Lçbau 230.

94 Bericht Anfangsjahre der Br!dergemeine Berlin II, 24.9. 2006, Archiv Br!dergemeine Berlin II.95 Frank, S. 14; vgl. Unterlagen UA DEBU 664; RdK Lçbau an Sekretariat der SED-Kreisleitung

vom 5.8.74, HStA Drd. 11857, Nr. IV C-2/14/ 676.

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lebende, hatten hier ihre sozialen Bezugspunkte und pflegten ihre Freund-schaften mit einer Korrespondenz zwischen den R!stzeiten. Rundbriefe f!rJugendliche und f!r Kinder festigen zus"tzlich die Kontakte und die Identit"t,indem sie Nachrichten !bermittelten und Artikel !ber biblische und br!-dergeschichtliche Themen brachten.96 „Die Kinder und Jugendlichen, die oftin ihrer Schulklasse wenig R!ckhalt haben, erleben in den R!stzeiten Ge-meinschaft unter Gottes Wort“, schrieb 1976 ein Direktionsmitglied an einenholl"ndischen Glaubensbruder, „[w]ir sind dankbar, dass viele unserer Ju-gendlichen bereit sind, ihren Glauben auch im Alltag zu leben und zu be-kennen.“97 Erwin Fçrster erkl"rte bereits 1961, die tiefere Bedeutung derR!sten l"ge darin, den Gl"ubigen „eine feste innere Verbundenheit unter-einander“ zu bieten. Das sei umso wichtiger, als die Zukunft der Unit"t „dochmehr und mehr in der Zerstreuung“, also der Diaspora, liegen werde.98 1977z"hlte der Rat des Bezirkes Dresden die Br!dergemeine in Herrnhut undNiesky zu den wenigen Religionsgemeinschaften mit einer „sehr aktiven Ju-gendarbeit“.99 Und die Dresdner SED meldete, der „politische Einfluss“ derBr!dergemeine „auf die Frauen und Jugendlichen wird als umfangreich ge-wertet.“100

Den Herrnhutern boten sich mit ihren Orts- und Bereichsgemeinen !berdie ganze DDR verstreut etliche Urlaubsmçglichkeiten. Selbst die tschechi-schen Mitgl"ubigen erhielten hier Urlaubspl"tze.101 Junge Christen fandenneben den R!stzeiten auch neue Formen des Urlaubs: So beschwerte sich dieevangelisch-lutherische Kirche Polens, dass ostdeutsche Jugendliche sich als„unkontrollierbarer Besucherstrom“ !ber ihre Pfarrh"user ergçssen.102

Herrnhuter Jugendliche wussten die jeweiligen Reisemçglichkeiten in dieçstlichen Nachbarstaaten zu nutzen und trafen sich dort oft mit ihren Glau-bensgenossen aus West-Deutschland, Holland oder der Schweiz.103 Diewichtigste Form des Urlaubs blieb jedoch f!r br!derische Jugendliche dieR!stzeit. Gegen die Bedenken der "lteren, erfahrenen Direktionsmitglieder,die manche R!ste bei einer unsicheren Rechtslage absagen wollten, setzte dieJugend sich immer wieder durch und riskierte lieber eine Auflçsung derTreffen. Die staatlichen Stellen sorgten h"ufig f!r Probleme und Unsicherheitin der Rechtslage, und die ganze DDR-Zeit !ber wurden Mitarbeiter gericht-

96 Rundbrief an j!ngereMitglieder u. Herrnhuter Kinderbriefe, 60er und 70er Jahre, UADEBU 656u. 664; Harmony, Jugendbrief der Br!dergemeine, achtziger Jahre, UADEBU 670; Kinderbriefe,Unterlagen C. Weiss.

97 Th. Gill an S. O. Meeuwes, Zeist, 25.8.1976, UA DEBU 1023.98 E. Fçrster an Th. Gill, 14. 1.1961, UA DEBU 663; vgl. dazu auch die anderen Unterlagen in der

Akte.99 18.3. 1975, HStA Drd. 11857, Nr. IV C-2/14/675.100 SEK-BL, Abt. Staat und Recht, Drd., 25.5.77, HStA Drd. 11857, Nr. IV/D.4.09.144.101 H. Hickel an A. Ulrich, 19.1. 1970, UA DEBU 518.102 Rundschreiben der Direktion, 15.1. 1976, S. 2, UA DEBU 55.103 Interviewmit FriedemannHasting, ostdt. Gemeinmitglied, Ebersdorf, 6. 12.2005, UnterlagenH.

Richter.

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lich f!r angebliche Gesetztes!berschreitungenw"hrend der R!sten belangt.104

Die Treffen fanden meist in Ortsgemeinen statt, wo große R"ume zur Verf!-gung standen. Viele Jugendliche !bernachteten privat bei ans"ssigen Herrn-hutern. Die Gemeine bot auch R!stzeiten zusammen mit den Landeskirchenoder der pietistischen „Landeskirchlichen Gemeinschaft“ an.105

In den Veranstaltungen versicherten sich die Jugendlichen ihrer br!deri-schen Identit"t. Die staatlichen Behçrden unterst!tzten sie darin paradoxer-weise, da sie darauf achteten, dass die Kirchen nicht „Ferienlager“ veran-stalteten und Freizeitvergn!gen boten. Dergleichen war offiziell verboten undstaatlichen Jugendorganisationen vorbehalten.106 Ein Student aus den USA,der in den siebziger Jahren die DDR bereiste, schrieb dar!ber : „Youth groupscannot play sports or do any such activities, but the government requires thatwhen a youth group gets together it must study the Bible. I saw young peoplethat knew the Bible and they were knowledgeable about theology.“107 Christenwaren daher gezwungen, sich auf ein religiçses, oft intellektuell anspruchs-volles Programm zu konzentrieren. Ein Herrnhuter meinte dazu: „Ich denke,der Sozialismus hat uns dazu gebracht, uns mehr mit der Bibel zu besch"fti-gen.“108 Die Organisatoren bem!hten sich, den Ferienlagern einen festlichen,br!derischen Charakter zu verleihen. 1977 sangen die sechzig Kinder einerR!ste in Herrnhut zur Predigtversammlung: „Singt und tanzt und jubelt lautvor Freude, / Gott, der Herr, will uns ein Fest bereiten / […] Kommt, und lasstuns mit ihm frçhlich sein.“109 Umrahmt waren die R!stzeiten von einer festenLiturgiemit Losungslesen,Morgen- undAbendandacht, ausgesprochenvielen„Bibelarbeiten“ sowie traditionellen Formen des Feierns wie Singstunde oderLiebesmahl. Von besonderer Bedeutung waren Missionsgeschichten aus Ver-gangenheit und Gegenwart, in denen sich die Kontinuit"t der internationalenTradition manifestierte. Entsprechend dem vorherrschenden Wertesystemund teilweise im Gegensatz zu den historischen Fakten betonten die Berichteden Kampf der Br!dergemeine gegen die Sklaverei, ihren Einsatz f!r Friedenund Bildung.110

104 K. Vollprecht an Direktion, 9. 7. 1950, UA DEBU 659; H. Schiewe, S. Hertk, G. Enkelmann an G.Hasting, 21.2. 1959 u. andere Unterlagen in UA DEBU 662; Informationsvorlage f!r Sitzung desSekretariats der SED-Kreisleitung, RdK Lçbau, 22. 8.1972, HStA Drd. 11430, Nr. 10909; au-ßerdem UA DEBU 86, 660 u. 664; Hickel, Lebenserinnerungen, S. 84.

105 Vgl. etwa Burckhardt an Direktion Herrnhut, 11.1. 1949, UA DEBU 659.106 Vgl. etwa B!ttig, Leiter Ref. Allgemeinbildung an RdS Drd., 1. 9.1960 u. andere Unterlagen in,

HStA Drd. 11430, Nr. 6421; Interview mit ClementineWeiss, ostdt. Gemeindienerin, Ebersdorf,6. u. 9. 12.2005, S. 8, Unterlagen H. Richter.

107 Paper von C. S., ohne Titel, Bericht f!r Exkursion des Theological Seminary, 1973, MAB,Nachlass Freeman.

108 Interview mit Friedemann Hasting, ostdt. Gemeinmitglied, Ebersdorf, 6.12.2005, S. 14, Un-terlagen H. Richter.

109 „Die Br!dergemeine Herrnhut heute“, in: Br!derbote, September 1977, S. 16.110 Herrnhuter Kinderbrief, Februar 1970; UA DEBU 664; Morgenstern, S. 305 f.

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Dochwaren die Themen vielf"ltig: „Jan Hus bis Comenius“, der Begriff derFreiheit im Neuen Testament, Religionen in Surinam, Fl!chtlingsarbeit inTansania, Aktion S!hnezeichen, die Feste der Br!dergemeine, Taiz&, Le-bensbilder !ber Herrnhuter, „Verdr"ngt die Wissenschaft Gott?“, dasAbendmahl in der Urchristenheit, und – typisch f!r das pietistische Milieu –Israel-Vortr"ge und Themen !ber das Judentum. Mit Themenwie „Christ undGesellschaft“ oder „Der Begriff der Arbeit bei Karl Marx“ waren die R!stendurchaus auch politisch. 1968 stand auf dem Programm ein Vortrag !ber dieneue Verfassung, die damals mit viel çffentlichem Pomp in der DDR imple-mentiert wurde. Immer wieder schien der b!rgerliche Erziehungsanspruchdurch. So gab es „Knigge-Abende“, Konzerte, Theaterbesuche oder Besichti-gung von Kirchen und Museen. Zugleich waren offene und kontroverse Dis-kussionen !blich – die Br!dergemeine pflegte ihre Pluralit"t. Wenn mçglichwurden ausl"ndische G"ste eingeladen.111 Das Programm war dicht, intensivund fordernd.

Bestandteil des Bildungsprogramms f!r Kinder und Jugendliche war es,Lieder aus dem br!derischen Gesangbuch und Verse, ja, ganze Kapitel aus derBibel auswendig zu lernen. In einem Vorschlag f!r einen Kanon nannte derTheologe Hellmut Erbe 186 Lieder.112 Besondere Ausstrahlung hatten dieTheaterauff!hrungen der br!derischen Jugend. Oft waren es vonHerrnhuternverfasste St!cke, meist mit einem biblischen oder br!dergeschichtlichenThema. Aber es konnte auch Shakespeare oder Goethe geboten werden. DieJunge Gemeinde organisierte in den achtziger Jahren j"hrlich eine „Spiel-fahrt“: Zehn Tage fuhr sie mit Bus !ber Land und f!hrte in der Landeskircheund der Gemeine ein Theaterst!ck auf.113

Anders als in den f!nfziger Jahren waren gesamtdeutsche und europ"ischeR!sten ab den sechziger Jahren kaum noch mçglich – mit Ausnahme derR!stzeiten in Berlin, bei denen die westlichen Jugendlichen im Westteil derStadt !bernachteten und tags!ber die Passierscheine nutzten. Diese R!stenfanden in der Regel im evangelischen Tagungsheim Stephanusstift in Wei-ßensee statt undwurdenmit Geldern der landeskirchlichen#mter unterst!tzt.Die viert"gigen Treffen, die ab den siebziger Jahren !ber Silvester stattfanden,waren stets !berbucht. Bis zu hundert junge Erwachsene nahmen daran teil,davon etwa ein Drittel aus westlichen L"ndern wie der Bundesrepublik, Hol-

111 Bericht !ber Vorkonfirmandenr!sten und Konfirmandenr!ste 1974, UA DEBU 664; D. Schiewean H. Hickel, 28.9. 1965 u. andere Unterlagen in UA DEBU 663 u. 664; J. Findeis an Unit"tsdi-rektion, 11.1. 1989 u. andere Unterlagen in UA DEBU 670; „Gemeinde in der Welt, Studenten-bewegung in Berlin”, in: Br!derbote, 1967, Nr. 211, S. 2; Interview mit Ehepaar X., ostdt.Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 30, Unterlagen H. Richter.

112 Bericht !ber Predigerkonferenz vom 13–17.9.1955, UA DEBU 50; Interview mit Dr. GerhardFrey, westdt. Gemeinmitglied, Heidelberg, 15.4. 2006, Unterlagen H. Richter ; Morgenstern,S. 249; Vorschlag eines Lieder-Kanons von H. Erbe, um 1957, UA DEBU 662.

113 Interview mit Erdmute Frank, ostdt. Gemeinmitglied, Bethlehem, USA, 3.5. 2005, S. 12, Un-terlagen H. Richter.

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land oder der Schweiz. Bei der geringen Grçße der Br!dergemeine hatte hierjeder einmal die Gelegenheit zur Teilnahme. Daher lernten sich die jungenMenschen recht gut !ber den Eisernern Vorhang hinweg kennen. Manchmalwaren Besucher aus anderen Provinzen da, etwa aus Surinam, den USA oderder Tschechoslowakei.114 1973 nannten DDR-Teilnehmer ihre Erwartungen anden „Ost-West-Austausch“: „Suche nach tiefer gegr!ndeter Gemeinschaft beioffensichtlichen Gegens"tzen“, „Best"ndigere Gemeinschaft (auch Brief-wechsel, !ber die R!ste hinaus)“ oder Kennenlernen von einem christlichenLeben ohne Konflikte mit der Gesellschaft.115 „Sehr begr!ßt wurden die ein-zelnen Berichte aus den L"ndern“, meldete ein Mitarbeiter !ber eine Silves-terr!ste; auffallend sei der „Informationshunger gerade bei den çstlichenTeilnehmern“ gewesen.116

Auf diesen Treffenwurden die Differenzen zwischen Ost undWest deutlich.Hatten die Herrnhuter schon Ende der vierziger Jahre bemerkt, wie sie sichauseinander lebten und war diese Tatsache in den f!nfziger Jahren stets vollerBedauern genannt worden, so erwies sich die Fremdheit f!r die Jugendlichenab den sechziger Jahren als etwas Selbstverst"ndliches, weckte jedoch dieNeugier. W"hrend die Jugendlichen aus dem Westen entsprechend der ge-sellschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik begannen, sich f!r denSozialismus zu begeistern und Kapitalismuskritik zu !ben, mahnten dieostdeutschen Herrnhuter zu mehr Glaubensernst – ein Konflikt, wie er diegesamte Jugendarbeit der Kirchen in den zwei deutschen Staaten pr"gte.117

Das Befremden auf beiden Seiten !ber die „frommenOstdeutschen“ einerseitsund die „linken Westdeutschen“ andererseits konnte nicht grçßer sein. EinTeilnehmer erinnerte sich an die West-Deutschen: „Manche waren sehr pro-sozialistisch eingestellt, was wir nie verstehen konnten. Wo wir eigentlich auf,Anti-Sozialismus’ eingestellt waren!“118 Bei der Silvesterr!ste 1966/1967 hieltder umstrittene, regimenahe Theologe und Leiter der Goßner Mission, BrunoSchottst"dt, einen Vortrag !ber das Engagement der Kirche in der DDR.„Besonders die çstlichen Teilnehmer "ußerten ihr Erstaunen !ber die Unbe-k!mmertheit, mit der – nach Pfarrer Schottst"dt – Christen sich in einem

114 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 5; Interview mit S. , Frau eines ostdt. Gemeinhelfers,12. 2. 2007,18, Unterlagen H. Richter ; Unterlagen in UA EFUD 415; Unterlagen UA DEBU 663, 665 u. 670;UA EFUD 414; vgl. auch Lepp, Tabu der Einheit?, S. 517.

115 Aktennotiz !ber die gemeinsame Vorbereitung der Silvesterr!ste 1973/74, UA DEBU 664; Ge-meinarchiv Neukçlln, Ost-West-Begegnungen 1974–77 (Silvesterr!sten).

116 J. Knothe, Bericht !ber Ost-Westbegegnung in Berlin, 29.12.1965–3.1.1960, UA EFUD 414.117 Interviewmit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 33–36, UnterlagenH. Richter ;

Lepp, Tabu der Einheit, S. 789; vgl. auch Ohse, Ostdeutscher Protestantismus, S. 136 et passim.118 Interview mit Friedemann Hasting, ostdt. Gemeinmitglied, Ebersdorf, 6.12.2005, S. 12, Un-

terlagenH. Richter ; vgl. auch Interviewmit GudrunMeyer, vonDDR inBRDgezogen,Herrnhut,7. 2.2007 u. Interview mit Dr. Peter Vogt, westdt. Gemeinmitglied, 1. 2. 2006, Unterlagen H.Richter ; Bericht !ber das OstWest-Treffen der studierenden Jugend, 1968, S. 5 f. , UA DEBU 663.

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atheistischen Staat engagieren kçnnten”, hieß es im westdeutschen Bericht.119

Zu Silvester 1971/1972 hielt der staatsnahe CDU-Funktion"r Carl Ordnung einReferat, in dem er die in DDR-Kirchen weit verbreitete Geschichtskonstruk-tion vorstellte, nach der die Kirchen im 19. Jahrhundert die soziale Frageg"nzlich ignoriert und vçllig versagt h"tten; nun aber, dank des Sozialismus,so erkl"rte Ordnung, w!rden die Christen zu sozialem Engagement ange-halten. „Es versteht sich, dass nach diesem Referat eine lebhafte Diskussion inGang kam“, vermerkte der westdeutsche Protokollant der Br!dergemeine,„[e]s versteht sich aber auch, dass bei vielen Teilnehmern der DDR nurSchweigen herrschte“. Außerdem berichtete das westdeutsche Protokoll : „Einsehr wichtiges Thema, das von DDR-Teilnehmern angeschnitten wurde, wardas Problem der ungleichen Bildungschancen.“120 Diese Einladungen vonregimetreuen Theologen zeugen von der Ambivalenz der Br!dergemeine ge-gen!ber dem Staat, nochmehr aber von ihrempolitischen Geschick; dennmitdiesen Namen auf dem Programm signalisierten sie ihre Loyalit"t, wodurchdie Silvesterr!sten niemals verboten wurden. Die Differenzen aber zwischenden Jugendlichen in Ost und West f!hrten offenbar zu keiner Entfremdung,sondern zu Diskussion und Ann"herung. Dabei schien die internationaleIdentit"t zunehmend st"rker und wichtiger zu sein als die gesamtdeutsche.Viele grenz!berschreitende Ehen sind auf den Silvesterr!sten entstanden undmçgen mit zu ihrer Attraktivit"t beigetragen haben. Die Ausreise zum west-lichen Ehepartner war dann zwar m!hsam, aber durchaus mçglich.121

Es gab Zeiten, in denen jungeHerrnhuter besonders intensiv ihrenGlaubenlebten und sich „Erweckungen“ ereigneten. Das geschah etwa Ende dervierziger bis Anfang der f!nfziger Jahre, in denen besondere Zivilcouragegefordert war. Einen neuen Hçhepunkt erreichte die Jugendarbeit Anfang dersiebziger Jahre. Die Direktion berichtete von einer „Bereitschaft zum Leben inder Nachfolge Jesu“ unter den Jugendlichen, gepr"gt durch „gegenseitigeSeelsorge, Bibelarbeit in der Gruppe und Gebetsgemeinschaft, Teilnahme amLeben der Gesamtgemeinde und der Wille zum Zeugnis des Lebens f!rChristus“.122 Wesentlich verantwortlich f!r diese Erweckungsphase war derGemeinhelfer Bruder Werner Morgenstern, ein Mann mit faszinierenderAusstrahlung, der die jungen Erwachsenen begeisterte und dessen charis-matische und tief religiçse Jugendr!stzeiten großen Anklang fanden.123 1977schrieb ein Ost-Herrnhuter, trotz der allgemeinen Schrumpfung der Ortsge-

119 Sachlicher Bericht, Silvesterr!ste 1966/1967, S. 1, UA EFUD 414; vgl. auch „Gemeinde in derWelt, Studentenbewegung in Berlin”, in: Br!derbote, 1967, Nr. 211, S. 2; vgl. zur Goßner Mis-sion die unkritischen Ausf!hrungen von Weyer u.a. , S. 216–235.

120 Bericht Ost-West-Seminar vom 29.12.1971–3.1.1972, UA EFUD 415.121 Vgl. Bericht, RdB Drd., Referat f!r Kirchenfragen, 18.4. 1972, HStA Drd. 11430, Nr. 10860.122 Direktion an Geschwister in Gemeinbereichen im Distrikt Herrnhut, 4/1975, UA EFUD 659;

Interview mit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 19, Unterlagen H. Richter ;Briefe Th. Gill an S. O. Meeuwes, 1976, UA DEBU 1023.

123 Interview mit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28. 8.2007, S. 19, Unterlagen H. Richter.

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meine sei der Prozentsatz der Jugend bei den Predigtversammlungen undsonstigen Feiern erstaunlich hoch.124 Das Referat f!r Kirchenfragen in Dres-den konstatierte 1975, in manchen Kirchen wie der pietistischen „Landes-kirchlichen Gemeinschaft“ oder der Unit"t w!rden „bedeutend die Kinder-und Jugendr!stzeiten“ erweitert, wobei der Kreis Lçbau einmal mehr negativauffiel. Allein in den Februar-Ferien 1972 z"hlten die Behçrden im Bezirk 116kirchliche R!stzeiten mit 2361 Teilnehmern. Lediglich 1974 ging die Zahldurch die „zahlreich durchgef!hrten Ordnungsstrafverfahren“ zur!ck, so derRat des Bezirkes, um jedoch im n"chsten Jahr wieder um 140,4 Prozent zusteigen.125

Zwar schw"chte sich in der Br!dergemeine der b!rgerliche Habitus imVergleich zu der Zeit vor 1945 deutlich ab. Doch erhielt sich in der Jugend-arbeit eine Parallelwelt innerhalb des Sozialismus, die relativ bildungsb!r-gerlich war, christlich, engagiert und in deutlicher Distanz zur s"kularenUmwelt stand. In dieser Umwelt wurden „Angehçrige der Unterschicht“ ge-sellschaftlich tragend, wie Detlef Pollack die Entwicklung in der DDR be-schreibt, „die mit ihren "sthetischen, politischen und kulturellen Vorliebenbald auch das çffentliche Leben pr"gen sollten. Ohne kulturelles Kapital, miteinem Minimalbestand an abendl"ndischer Bildung und mit geringer beruf-licher Qualifizierung wurde nun eine Generation tonangebend, die auch derKirche entfremdet gegen!berstand.“126 Zwanzig Prozent der SED-Mitgliederin den sechziger Jahren waren unter dreißig Jahren – gegen!ber 15 Prozent inder Gesamtbevçlkerung.127 Doch in der frommen br!derischen Parallelweltf!hlte man sich stark und nicht als unterdr!ckte Minderheit. „Viele Freundesind mit uns an Bord!“ hieß 1977 das Motto des Kinderfestes in Herrnhut;angesichts der vielen Kinder und Jugendlichen in der Gemeine war das keinWunschdenken.128 Wie Ralph Jessen f!r die Hochschulprofessorenschaft ge-zeigt hat, bewies auch in der Unit"t die soziokulturelle Verfassung des Milieusein erstaunliches Resistenzpotenzial.129 Die Herrnhuter durchliefen meistnoch nicht einmal das Pflichtprogramm der sozialistischen Jugendweihe, undda das Verbot von kirchlichen Freizeitvergn!gen den intellektuellen Touch derR!stzeiten best"rkte, diente die Jugendarbeit dazu, die elit"re Identit"t und dieDistanz zur Umwelt zu festigen.

124 „Die Br!dergemeine Herrnhut heute“, in: Br!derbote, September 1977.125 RdB Drd, Ref. Kirchenfragen, 18.3.75, HStA Drd. 11857, IV C-2/14/ 675; vgl. dazu Sitzungsbe-

richt der DUD Herrnhut, 10.12.1973, UA DEBU 16; RdK Lçbau an Sekretariat der SED-Kreis-leitung, 5.8.74, HStA Drd. 11857, Nr. IVC-2/14/ 676; RdB Drd, Ref. Kirchenfragen, 5.4.74, HStADrd. 11857, Nr. IV C-2/14/ 681; vgl. Hickel an BEK, 13. 9.1972, EZA 101/1873.

126 Pollack, Von der Mehrheits- zur Minderheitskirche, S. 55.127 Weber, Die DDR, S. 75.128 „Die Br!dergemeine Herrnhut heute“, in: Br!derbote, 9/1977, S. 17.129 Vgl. Jessen, Akademische Elite, S. 437.

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5.2.3 Herrnhuter im sozialistischen Schulsystem

Bis heute halten viele Zeitzeugen die Diskriminierung christlich gepr"gterJungendlicher im Bildungssystem der DDR f!r eine Erfindung der Zeit nach1989, obwohl sie historisch detailliert nachgewiesen ist.130 Das hat drei Ur-sachen: Erstens gab es zu jeder Zeit einige christliche Jugendliche, die dasAbitur machen durften. Zweitens verschleierten die DDR-Behçrden diesediskriminierende Praxis, w"hrend im Gegenzug christliche Eltern keine %f-fentlichkeit hatten. Sie konnten sich nur an die Kirchenbehçrdenwenden oderin informellen Bittbriefen bei den Behçrden f!r ihre Kinder einsetzen. DieKirchenleitungen engagierten sich zwar f!r die Jugendlichen, doch auch sieprotestierten meist in aller Stille.131 Drittens schließlich zeugt die Leugnungdavon, wie gut hier die Differenzierungspolitik der Staatsmacht funktionierthat: Christen, die Abitur und Studium absolvieren durften, behaupteten oft,die Jugendweihe habe dabei keine Rolle gespielt und ignorierten damit dieSituation, in der sich ihre Glaubensgenossen befanden, die kein Abitur able-gen durften. Die Zur!ckgewiesenenwiederum fragten sich nach denGr!nden,warum die anderen an die Erweiterte Oberschule durften, wie die zum Abiturf!hrende Schule genannt wurde: Hatten diese Jugendlichen sich korrumpie-ren lassen, warenderenEltern bei der Stasi, waren sie besonders „loyal“, warensie „bedeutende“ Kirchenfunktion"re, die der Staat kçderte, oder umgekehrt:Durften gerade Pfarrkinder oder Kinder von Eltern in hohen kirchlichenPositionen nicht an die weiterf!hrende Schule?132

Die Bildungspolitik war eines der machtvollsten Repressionsinstrumenta-rien der DDR. Die strenge Auslese – im Verlauf der DDR durften durch-schnittlich zehn Prozent der Sch!ler einer Klasse, also zwei bis drei Klassen-kameraden, die Erweiterte Oberschule besuchen – sorgte nicht nur beiChristen f!r Unmut undMissgunst. Teilweise folgte die Zu- und Abnahme derBildungschancen f!r Christen nicht nur der politischen Situation der Kirchen,sondern auch der Zu- und Abnahme der Pl"tze an den Erweiterten Ober-schulen und den Universit"ten. Gewiss gab es auch unter Christen Jugendli-che, die unabh"ngig von ihrem religiçsen Standpunkt kein Abitur h"ttenablegen kçnnen, dies jedoch als Benachteiligung aufgrund ihres Glaubensempfanden. Doch die !berall praktizierte Diskriminierung christlicher Ju-gendlicher (etwa die soziale Ausgrenzung durch die Nicht-Mitgliedschaft inden Jugendorganisationen) legte immer den Verdacht einer systematischenBenachteiligung nahe. Insgesamt waren gute Zensuren die Voraussetzung f!r

130 Vgl. zuletzt Wappler ; vgl. auch Ohse, Jugend nach dem Mauerbau, S. 235–244.131 Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, Aufstellung, 16.7.56, SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/11.132 Vgl. zur Diskussion Briefwechsel mit U. B., April/Mai 2007, Unterlagen H. Richter ; Informati-

onsbericht CDU-KV Lçbau nach CDU-BV Dresden, ACDP II-270-BB; Interview mit R. Fischer,B!rgermeister in Herrnhut ab 1990, Herrnhut, 7. 7. 2006 u. Interview mit Gudrun Meyer, vonDDR in BRD gezogen, Herrnhut, 7.2. 2007, Unterlagen H. Richter.

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ein Abitur. Dochwer sich besonders linientreu zeigte, wer sich l"ngere Zeit f!rdie Armee verpflichtete oder sich gar bereit erkl"rte, Lehrer zu werden (dieUnbeliebtheit der Lehrerlaufbahn ist ein beredtes Zeugnis f!r das SED-Schulsystem), hatte bessere Chancen, als jemand, der nur gute Zensurenvorwies.133 Die Willk!r des Auswahlverfahrens wirkte auf Eltern und Sch!lerextrem disziplinierend.

Die Diskriminierung konfessionell gebundener Jugendlicher im Bil-dungsbereich zeigte sich von Anfang an. Im Juni 1946 wurden HerrnhuterJugendliche der Lçbauer Oberschule zur Kreisverwaltung zitiert, weil sie sichweigerten, an der kommunistischen Jugendstunde teilzunehmen.134 Ende dervierziger Jahre finden sich die ersten Klagen im Kreis !ber das undurch-sichtige, SED-lastige Auswahlverfahren f!r die Oberschule.135 1950 musstesich in Gnadau ein junger Bruder einer „gesonderten Pr!fung in Gegen-wartskunde“ unterziehen, um zum Abitur zugelassen zu werden. Im gleichenJahr verpflichteten sich br!derische Jugendliche in selbstverfassten „Leits"t-zen“, es geduldig zu ertragen, wenn sie nicht zur weiterf!hrenden Schule oderUniversit"t zugelassen wurden.136 Der Besuch von Oberschulen und Hoch-schulen wurde f!r Christen immer schwieriger. 1951 klagte ein Herrnhuter ineinem Brief an einen amerikanischen Moraven !ber die „Ostzone“: „In denSchulen stehen politische Aufs"tze an erster Stelle und selbst die Kleinstensollen schon darin geschult werden.“137 Auch das in den Anfangsjahren derDDR f"llige Schulgeld wurde von den Behçrden als Druckmittel benutzt undvon unliebsamen Zeitgenossen ungeachtet sozialer Schwierigkeiten erho-ben.138 Bis zum „Neuen Kurs“ 1953 flankierten die Behçrden die Verfolgungder Jungen Gemeinde mit zahlreichen Entlassungen christlicher Jugendlicheraus den hçheren Klassen. Teilweise waren ganze Klassen der ErweitertenOberschule wie leergefegt.139 Doch auch trotz des neuen politischen Kursesdurften bereits im Sommer 1953 wieder zahlreiche Herrnhuter nicht dasAbitur ablegen. In der Schule wurden christliche Glaubenss"tze ver"chtlichgemacht und kirchlich engagierte Kinder sozial ausgegrenzt. Die „Nichtzu-lassung zur Oberschule“, wie die Kirchen das Ph"nomen nannten, blieb ein

133 Vgl. zum Schulsystem Schulze u. Noack, DDR-Jugend, S. 78–99; D!hn, Konfirmation – Ju-gendweihe.

134 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 342, UA Nachlass Uttendçrfer.135 Anfrage 1, Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, KV Lçbau, 16.6.49, HStA Drd. 11420,

Nr. 12.136 Sitzungsbericht DUD Herrnhut, 17. 5.1950, UA DEBU 4; Knothe, Jugendarbeit, S. 129.137 Brief H. Meyer an K. G. Hamilton, 18.10.1951, MAB 113FI, Germany : Meyer ; „Die Situation der

evangelischen Kirchen in der DDR“, Stand 15.7.56, EZA 4/420.138 Unterlagen f!nfziger Jahre, HStA Drd. 11420, Nr. 1012; Interview mit Ehepaar E., ostdt. Ge-

meinmitglieder, 5. 12.2005, S. 2, UAu. Interview mit Dr. Gerhard Frey, in denWesten geflohenesGemeinmitglied, Heidelberg, 15.4. 2006, UnterlagenH. Richter ; W. Baudert an Gemeindiener inOstzone, 17.4. 1950, DEBU 47.

139 Pollack, Von der Mehrheits- zur Minderheitskirche, S. 58; vgl. auch Planbericht KVGera, April1953, ACDP III-045-173/1.

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Thema.140 Der Schweizer Wilfried Merian und seine Frau schickten ihreKinder nach der Konfirmation in die Schweiz, wo ihnen alle Bildungswegeoffen standen.141 Das Beispiel einer Herrnhuterin zeigt, welche Atmosph"rew"hrend der f!nfziger Jahre in den Schulen herrschte: Das M"dchen besuchtedie Medizinische Fachschule in Gçrlitz und erkl"rte 1955 seinen Austritt ausder FDJ, da das neue Statut der Organisation die Bindung an die materialis-tische Weltanschauung fordere. In den darauf folgenden Tagen wurde dieJugendliche immer wieder vor FDJ-Funktion"re und Lehrer zitiert. Dabeimusste sie sich abstrusen Vorw!rfen stellen, etwa, dass sie sich weigere, einerder beiden Weltanschauungen (materialistischer und idealistischer) anzuge-hçren und stattdessen eine dritte, n"mlich das Christentum fordere. DieLehrer warfen ihr vor, sie bem!he sich nicht um den Frieden und die EinheitDeutschlands. Ihre „zersetzende“ Arbeit gegen!ber der FDJ, so wurde ihr imgleichen Atemzug vorgeworfen, habe sie schon vor den Sommerferien be-wiesen, als sie sich weigerte, den Umgang mit Schusswaffen zu lernen. Als dieSch!lerin anf!hrte, Christen setzten sich sehr wohl f!r den Frieden ein, wiedas Engagement des%kumenischen Rates um einenWaffenstillstand in Koreabeweise, wurde sie der L!ge bezichtigt, denn damit habe sie „die f!hrendeRolle der Arbeiterklasse in der Weltfriedensbewegung herabgesetzt.“ Obwohldie FDJ-Mitglieder in einer çffentlichen Versammlung gegen ihre Relegationstimmten, wurde sie von der Schulleitung mit Beistand des Rates des Bezirkesin Dresden aus der Schule ausgeschlossen.142 Selbst als die Staatsbehçrden abMitte der f!nfziger Jahre die Herrnhuter Br!dergemeine als „loyal“ qualifi-zierten, blieb das Problem f!r die Jugendlichen bestehen. Alle Beteiligtenwussten darum. 1959 monierte der Zensor der Herrnhuter Losungen einGebet f!r die Schulen, da die Bildung doch eine „Frage diffizilen Charakters“sei.143 In der Zeit von 1956 bis 1963 reduzierte sich die Zahl der Sch!ler in denweiterf!hrenden Schulen um ein Viertel. Christen hatten im harten Wettbe-werb um diese Pl"tze kaum eine Chance.144

Bis Mitte der sechziger Jahre entspannte sich die Situation. Die erfolgreicheDurchsetzung der Jugendweihe gab dem SED-Staat neues Selbstbewusstseingegen!ber den Kirchen und ließen ihn in Bildungsfragen konzilianter werden.Zudem stieg die Sch!lerzahl an den Erweiterten Oberschulen seit 1964 dank

140 Bericht !ber Chçre der led. Br!der und gr. und kl. Knaben, Herrnhut 1950, S. 4, UA DEBU 803;Rundschreiben Direktion Herrnhut, 5. 10.1954, UA DEBU 50, S. 4; Bericht !ber Teilnahme anAussprache mit Geistlichen beim RdKNiesky, 8.11.58, BA DO 4 / 48b; E. Fçrster an O. Nuschke,11.8. 1953, BA DO 4 / 2289; E. Fçrster an Verbindungsstelle zu den Kirchen, 18.4.54, BA DO 4 /2289; Extract from a letter fromElisabeth Adler to Leila Giles, 29.1.55,%RK-Archiv, 213.13.155/1.

141 Lebenslauf W. Merian, S. 17.142 Unterlagen !ber G. B., 1955, ACDP II-45-125/3.143 Gutachten zu den Losungen 1960 von Arno Hausmann, 14. 3.1959, BA DR 1 / 2510; vgl. auch

Geissler, Kreisverband Lçbau, 21.11.58, HStA Drd. 11857, Nr. IV/2.14.003; Bericht SED-LeitungLçbau, 14.11.58, HStA Drd., 11864, Nr. IV/4/09.086.

144 Schulze u. Noack, DDR-Jugend, S. 80.

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des neuen Bildungssystems wieder an, und erreichte 1971 mit 57 000 Sch!-lerinnen und Sch!lern einen Hçhepunkt.145 Auch Herrnhuter hatten in dieserZeit eher die Mçglichkeit, Abitur abzulegen.146 Dennoch kam es selbst indieser Situation zu massiven Beeintr"chtigungen der Bildungschancen jungerChristen. So meldeten etwa Bezirksfunktion"re den Schulleitern die Teilnah-me ihrer Zçglinge an einer „Tarnung f!r nicht erlaubte kirchliche Ferienlager“und mahnten die Direktoren, die Jugendlichen entsprechend zu disziplinie-ren.147 F!r die Kirchen versch"rfte sich die Bildungssituation bereits ab 1966wieder. Das hing mit dem Ende der Reformphase in der DDR und der F!rs-tenwalder Synode der DDR-Kirchen zusammen, die sich gegen das Ansinnender Staatsmacht verwehrt hatte, sich von den Landeskirchen in der Bundes-republik zu lçsen.148 Bildung blieb ein Mittel der Disziplinierung. So nahmman etwa an denWahlen teil, um den Studienplatz nicht zu gef"hrden.149 Eineweitere Erschwernis f!r den Bildungsweg christlicher Jugendlicher ergab sichdurch den zunehmenden Druck, sich an milit"rischer Ausbildung zu beteili-gen. Der Zwang dazu nahm nach dem Mauerbau 1961 stark zu. Bereits in derSchule wurden die Kinder zur „vormilit"rischen Ausbildung“ gedr"ngt. DieBr!dergemeine, die sich bisher mit Friedensparolen der Zustimmung desStaates sicher sein konnte, lehnte es ab, den Positionswechsel nachzuvollzie-hen. Die Weigerung, den zun"chst offiziell als freiwillig bezeichneten Mili-t"rdienst zu absolvieren, konnte zur Exmatrikulation f!hren.150 Auch sp"ter,als 1978 die Wehrkunde in den Schulen eingef!hrt wurde, protestierten Ge-meinmitglieder. Teilweise gelang es ihnen, ihre Kinder diesem staatlichenZugriff zu entziehen.151

145 Schulze u. Noack, DDR-Jugend, S. 80; Weber, Die DDR, S. 68.146 Briefwechsel mit U. B., M"rz bis Juni.2007 u. Interview mit R. Fischer, B!rgermeister in

Herrnhut ab 1990, Herrnhut, 7. 7.2006 u. Interview mit Gudrun Meyer, von DDR in BRD ge-zogen, Herrnhut, 7. 2. 2007 u. Interviewmit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8.2007, allein Unterlagen H. Richter ; Morgenstern.

147 Berichterstattung, RdK Lçbau, 25.4. 1966, HStA Drd. 11430, Nr. 10809; vgl. auch W. N., Gçrlitzan Dr. Dohle, 16.7.64, HStA Drd. DO 4 / 2965; Unterlagen, sechziger Jahre, HStA Drd., 11430,Nr. 6421; Interview mit M., Bewohnerin Herrnhuts, Nicht-Gemeinmitglied, Zittau, 4. 7. 2006,Unterlagen H. Richter ; Rundschreiben Direktion Herrnhut, 18.3. 1964, UA DEBU 52; Nieder-schrift !ber Rundtisch-Gespr"ch mit Christen in Ebersdorf, Schwalbe, 13.3. 1961, BA DO 4 /2979.

148 Ohse, Jugend nach dem Mauerbau, S. 237 f. ; Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 213 f. Imgleichen Jahr wurde beispielsweise einer jungen Herrnhuterin aus Niesky, die zun"chst f!r denBesuch der Erweiterten Oberschule ausgew"hlt worden war, nachtr"glich die Genehmigungaberkannt, Schulze, Vorsitzender des RdK Niesky, an G. V., 17.8. 1966, UA DEBU 989; vgl. auchJahresbericht Berlin II, S. 5, UA DEBU 703.

149 Interview mit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28. 8.2007, S. 26, Unterlagen H. Richter.150 H. Reichel an Geschwister, 26.10.1961, vertraulich, UA EFUD 655; Bericht !ber Ost-West-

Treffen, 1968, UA DEBU 663, S. 6.151 Br!dergemeine Gnadau an DEBU, 30.5. 1978, UA DEBU 658; Bericht Kreisdienststelle Lçbau, 3.

11.1987, BStU MfS. BV Drd. KD Lçbau 18066; vgl. auch die Briefe in dieser Akte an dasVolksbildungsministerium und Gremien des BEK, 1978.

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In den siebziger Jahren wurde die Ablehnung christlicher Kinder f!r dieErweiterte Oberschule die Norm. Mit Honeckers Machtantritt 1971 und sei-nem neuen Wirtschaftskurs, der Wissenschaftsprogramme zugunsten eines„Konsumsozialismus“ zur!ckdr"ngte, reduzierten sich die Sch!lerzahlen anden Erweiterten Oberschulen stark und sanken bis zum Ende der DDR kon-tinuierlich.152 Obwohl sich die Beziehungen mit dem Treffen staatlicher undkirchlicher Vertreter von 1971 verbesserten, blieben die Kirchen in den Augendes SED-Regimes unver"ndert eine Institution reaktion"rer Kr"fte, derenMitglieder daher auch im Bildungsbereich benachteiligt wurden. Wenn Kin-der die Christenlehre besuchten, wurden sie nach wie vor von Lehrern zurRede gestellt und vor der Klasse verhçhnt. Die Akten der siebziger Jahre sindvoll mit stillen Beschwerden evangelischer Eltern.153 Wer sich nicht mit derDiskriminierung abfinden mochte, nahm teilweise die Schikanen des jahre-lang dauernden Ausreiseprozesses in Kauf, wie eine br!derische LeipzigerFamilie, deren drei begabte Kinder in der DDR nicht die Oberschule besuchendurften.154

Um den Schein zu wahren, legten die Behçrden großen Wert darauf, dassdie offene Benachteiligung christlicher Jugendlicher nicht publik wurde. Alsder Bischof der Evangelischen Kirche des Gçrlitzer Kirchengebiets, Hans-Joachim Fr"nkel, 1973 in einem Vortrag offen diese Diskriminierungspraxisbeklagte, reagierten die Behçrden mit Entsetzen und Empçrung.155 Nachfra-gen und Klagen unter der Hand, in „Gespr"chen“ mit Funktion"ren oder indem!tigen Bittbriefen waren gestattet, aber auf ein offenes Anprangern desUnrechts reagierte der Staat empfindlich. Die Kirchen vermieden es tats"ch-lich in den offiziellen Gespr"chen mit Staatsfunktion"ren meist, das Themaanzusprechen und setzten sich lieber in Bittbriefen f!r diese Belange ein.Dieses Engagement der Kirchen jedoch als einen „Kampf um das Grundrechtder Religionsfreiheit“ und damit um eine freiheitliche Demokratie zu be-zeichnen, erscheint fragw!rdig.156 Ein solcher Kampf h"tte eine Fundament-alkritik am Staat erfordert, dessen Strukturen die Unterdr!ckung Anders-

152 Schulze u. Noack, DDR-Jugend, S. 80.153 Monatsbericht, RdK Lçbau, an RdB Drd., Stellv. Vorsitzenden f!r Inneres, 22.12.71, u. weitere

Unterlagen in HStA Drd. 11430, Nr. 10907, s. auch Nr. 10909; Information von ArbeitsgruppeKirchenfragen, 3.9.73, SAPMO-BA DY 30 / IV 2/2.036 / 34; Bericht der Kirchenleitung, erstattetauf der 4. Tagung der VII. Synode der Kirchenprovinz Sachsen, 15.11.1974, %RK-Archiv42.4.028; Jahreseinsch"tzung 1976, RdB Drd, Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 1. 2. 1977,SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/101; Informationsbericht KL Lobenstein, IX/76, 31.9. 1976, ACDPII-209-030/1; Konfirmierendes Handeln, Facharbeitskreis Konfirmation, BEK, 1974, in: Demkeu.a. , Zwischen Anpassung und Verweigerung, S. 197, vgl. dazu auch S. 107, 176, 186, 256, 358–360, 363; Bericht f!r Unit"tssynode 1974, S. 14, UA EFUD 659; vgl. zur generellen Lage Pollack,Organisationsgesellschaft, S. 239 u. 255 f. u. 260–262.

154 Interview mit Clementine Weiss, ostdt. Gemeindienerin, Ebersdorf, 6. u. 9. 12.2005, S. 6, Un-terlagen H. Richter.

155 Vortrag von Bischof Fr"nkel, 8. 11.1973, S. 3, SAPMO-BA DY 30/IV 2/2.036/39156 Schultze, S. 163 u. 172.

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denkender unausweichlich machte. Doch darf der permanente Einsatz derKirchen gegen diese Art von Unterdr!ckung, die zunehmend als selbstver-st"ndlich hingenommen wurde, nicht untersch"tzt werden.

Die mangelnde %ffentlichkeit der protestierenden Eltern erschwerte dieSolidarit"t untereinander. Dabei w"re diese bitter nçtig gewesen. Es konntejeden treffen, den einfachen Kirchg"nger ebenso wie den Bischof. Ein re-nommierter Theologieprofessor bat in einem Brief an Willi Barth, den Leiterder Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK, um eine Zulassung f!r seinen Enkelund merkte an: „Lassen Sie mich dann in aller gebotenen Offenheit nocheinmal sagen: Es ist Tatsache, dass junge Christen, die sich der Jugendweiheaus Gewissensgr!nden nicht unterziehen zu kçnnen glauben, schwere, f!rihre ganze Lebenszukunft verh"ngnisvolle Nachteile erwarten.“157 DerHerrnhuter Andreas Tasche, Sohn eines Buchh"ndlers, wurde trotz „sehrguter schulischer Leistungen“, so der Stellvertretende Vorsitzende des Ratesdes Bezirkes Dresden, nicht zur EOS zugelassen, da seine „Gesamtpersçn-lichkeit“ das verbiete: Tasche habe nicht an der Jugendweihe teilgenommen,sei weder Pionier- noch FDJ-Mitglied gewesen und wolle gar den Dienst mitderWaffe verweigern. Die Eltern des Jugendlichen gehçrten zu denen, die sichdamit nicht abfinden mochten und alle Hebel in Bewegung setzten. Der Fallkam bis nach Berlin vor das Staatssekretariat f!r Kirchenfragen. Dieses batHorst Dohle, den Referatsleiter f!r Kirchenfragen in Dresden, sich die Sachenochmals anzuschauen und mahnte dabei, trotz Andreas Tasches „sehrgute[r] schulische[r] Leistung“ die „besonderen Verh"ltnisse in Herrnhut [zu]ber!cksichtig[en]“.158 Der Funktion"r Dohle hielt in der Tat die schulischenLeistungen f!r keinen ausreichenden Grund, und Andreas Tasche durfte nichtauf die Erweiterte Oberschule. In einem Interview nach der Wende gab Dohlean, nicht die diversen Behçrden f!r Kirchenfragen tr!gen die Verantwortungf!r die Zur!ckdr"ngung des Christentums, sondern die f!r Bildung zust"n-digen Institutionen.159 Das ist insofern richtig, als tats"chlich !ber die unge-rechte Verteilung von Bildungs- und Zukunftschancen die kirchliche Basis indie Knie gezwungen wurde, doch ohne das Mittun aller anderen Behçrden –wie nicht nur der Fall Andreas Tasche zeigt – w"re das nicht mçglich gewesen.

Bei anderen Eltern bem!hten sich die Behçrden gar nicht erst um plausibleFormulierungen f!r die Ablehnung. Vielmals nannten sie als Grund schlichtdie Verweigerung, an der Jugendweihe teilzunehmen. Christian W.s christli-chen Eltern teilte man mit, der Sohn werde trotz bester Zensuren nicht zurErweiterten Oberschule zugelassen, weil er beim Ernteeinsatz nur große

157 H. V. an W. Barth, ca. 1972, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/30.158 Persçnlicher Referent Hermann Rode, Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, anDr. H. Dohle, RdB

Drd., 21. 2.1972 u. andere Unterlagen in BA DO 4 / 429; vgl. dazu auch HStA Drd. 11430,Nr. 11149.

159 Interview mit Prof. Dr. Horst Dohle, Berlin, 23.5.2006.

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Kartoffeln aufgelesen habe.160 Mit seiner Selbstverbrennung 1976 wolltePfarrer Oskar Br!sewitz gerade auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam ma-chen. Die große Aufregung der Behçrden und ihre Verleumdungskampagneim „Neuen Deutschland“ sind nur damit zu erkl"ren, dass Br!sewitz dasSchweigegebot in dieser heiklen Frage durchbrochen hatte.

Die Schulbehçrden diskriminierten christliche Jugendliche bis zum Endeder DDR. Zahlreiche Herrnhuter konnten kein Abitur und kein Studium ab-solvieren, obwohl sie oft zu den Klassenbesten gehçrten. Manchen Gemein-mitgliedern verweigerten die zust"ndigen Stellen sogar die Vermittlung einerLehrstelle, weil sie sich nicht konform verhielten.161 „Zulassungen zur Er-weiterten Oberschule sind, auch bei besten Zeugnissen, sehr selten gewor-den“, stand 1974 in einem Bericht des Distrikts Herrnhut.162 Als 1987 dieUnit"tssynode in Herrnhut tagte, forderte diese die Konferenz der Kirchen-leitungen des BEK dazu auf, sich f!r ein Ende der Benachteiligung einzuset-zen.163 Mit dem Ende der Diktatur wurden die Klagen lauter. 1989 schrieb derDirektionsvorsitzende Christian M!ller an den Rat des Bezirkes, er werde ankeiner Festveranstaltung zur 40-Jahrfeier der DDR teilnehmen, da die Frageder Bildungspolitik und Wehrdienstverweigerung immer noch nicht gekl"rtsei.164

Die SED-Politik war erfolgreich. Sie dr"ngte nicht nur Jugendliche aus denKirchen oder vor 1961 in den Westen, sondern sie zerstçrte weitgehend dasprotestantische Bildungsb!rgertum. 1991 hatten evangelische Kirchenmit-glieder mit 12,2 Prozent Abiturienten deutlich seltener die Hochschulreife alsdie Mehrheit der Konfessionslosen mit 16,3 Prozent. Die Kirchenmitglieder,die eine Oberschule besuchten, werden meist zur angepassten kirchlichenBasis gehçrt haben, die ganz selbstverst"ndlich die Jugendweihe absolvierte.Selbst beim Abschluss nach der zehnten Klasse waren Protestanten starkunterrepr"sentiert. Weder bei den Konfessionslosen noch bei den Katholiken

160 Beurteilung Sch!ler C. W., Bezirkstag und RdB Gera, Abschrift Klassenleiter E. Hayne, Ober-schule B!rgel vom 4.2.74, Th!ringisches StA Rudolstadt, Inneres 280; D!hn, Konfirmation –Jugendweihe, S. 41 f.

161 Pollack, Organisationsgesellschaft, 262 u. 285–287; vgl. 4. Tagung, 2. Synode BEK, Vorlage 20,Oktober 1976, EZA 101/91; Unterlagen, 1976/77, BA DO 4 / 656; Br!derbote 12 (1976); Brief-wechsel A. V. mit H. Dohle, 1979, BA DO 4 / 448; Bericht, Vortrag eines Westberliner Mis-sionars, o.D., ca. 1989, MfS HA XX/4, S. 926. Bericht !ber 9. Synode der Br!der-Unit"tHerrnhut, 1983, BStUAKG PI 71/83; Einsch"tzung zur kirchenpolitischen Lage, RdK Lçbau,9. 1.1989, S. 4, HStA Drd. 11430, Nr. 11057; RdK Lçbau an 1. Sekret"r der SED-KreisleitungLçbau vom 2.5. 1977, HStA Drd. 11864, Nr. IV/D.4.09. 144; Informationsbericht CDU-KVLobenstein, 1/1978, an CDU-BV Gera, 2.1. 1978, ACDP II-209-030/1; Fuchs Staatssekret"r f!rKirchenfragen, 19.7.85, HStA Drd. 11430/11149; vgl. allgemein Pollack, Organisationsgesell-schaft, S. 262; Bericht zur kirchenpolitischen Situation in Berlin, September und Oktober1989, DO 4 / 1130.

162 Bericht (wohl Distriktsbericht Herrnhut) 1974, S. 14, beiliegend dem Brief Th. Gill an H. Bintz,10.1. 1975, UA EFUD 659.

163 Informationen zur Unit"tssynode in Herrnhut 1987, BStUMfS. BV Drd. KD Lçbau 18066, S. 26.164 C. M!ller an RdB Drd. 2. 10.1989, UA DEBU 84.

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gab es dagegen eine so große Gruppe, die lediglich den Abschluss nach der 8.Klasse (47,7 Prozent der Protestanten) oder !berhaupt keinen Abschlussvorweisen konnte (7 Prozent).165 Demgegen!ber waren die Herrnhuter, derenBildungsstand nur auf den DDR-Durchschnitt absank, noch relativ privile-giert.

Viele Herrnhuter erkl"rten r!ckblickend, sie h"tten ohnehin nicht in derungeliebten Schule bleibenwollen, und es sei doch klar gewesen, dass sie ohneJugendweihe kein Studium absolvieren durften. Erstaunlich ist bei den Ge-nerationen, die in der DDR sozialisiert worden waren, wie sie die Unterdr!-ckung internalisiert hatten und f!r wie selbstverst"ndlich sie noch nach derWende diese Benachteiligung hielten. Hier wird deutlich, wie die staatsso-zialistische Logik und Denkweise auch das br!derische Milieu pr"gte. EinGemeinhelfer jedoch bemerkte nach der friedlichen Revolution, seine Kinderund alle die anderen, denen eine hçhere Bildung verwehrt worden war, seienbis heute gravierend benachteiligt.166 Auch Bischof Gill gehçrte zu denen, diesich mit der Diskriminierung nicht abfinden mochten. Die meisten seinersieben Kinder durften allein wegen ihres unbotm"ßigen Vaters nicht zurOberschule. Gill ließ es sich nicht nehmen, die Behçrden immer wieder aufihre diskriminierende Bildungspolitik hinzuweisen und verletzte damit offenein Tabu der Diktatur.167 Die Staatssicherheit hatte ihre Gr!nde, als sie be-f!rchtete, dass Gill mit seinem Beitritt 1971 zur Direktion „die bisherigeHaltung der Direktion der EBU zu unserem Staat negativ beeinflussenkçnnte“.168

5.2.4 Ausbildungswege und Theologiestudium

Die Br!dergemeine versuchte aus der Not eine Tugend zu machen. 1953 riefsie die Jugend dazu auf, ihre Einschr"nkungen bei Berufswahl und Studium alsGottesWeg zu akzeptieren und sich der Gemeine zur Verf!gung zu stellen: imdiakonischen Bereich, als Geistlicher oder in einembr!derischenGewerbewieder Tischlerei oder Weberei.169 Tats"chlich ergriffen zahlreiche junge Herrn-huterinnen einen diakonischen Beruf, w"hrend viele M"nner, zunehmendaber auch Frauen, sich f!r ein staatlich nicht anerkanntes Abitur an einem

165 Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 395 f.; Information !ber Gespr"ch E. Honeckers mit Bi-schof Dr. W. Leich, 22.3.88, ACDP II-209-021/5.

166 Ausz!ge aus Lebenserinnerungen von H. Schiewe, S. 1; vgl. auch Wappler, S. 203.167 Oberstleutnant Tzscheutschler, Bezirksverwaltung f!r Staatssicherheit Drd., Abteilung XX, an

Stellvertreter operativ, Genosse Oberst Bormann, 14.1. 1977, S. 2, BStU MfS HA XX/4, 778; vgl.auch Oberstleutnant Tzscheutschler, Bezirksverwaltung f!r Staatssicherheit Drd., AbteilungXX, an Stellvertreter operativ, Genosse Oberst Bormann, 29.10.1979, S. 2, BStU BV Drd. AIM4977/81II-II.

168 Oberstleutnant Tzscheutschler, Bezirksverwaltung f!r Staatssicherheit Drd., Abteilung XX, anStellvertreter operativ, Genosse Oberst Bormann, 14.1. 1976, S. 2, BStU MfS HA XX/4, 778.

169 Direktion Herrnhut an Jugend der Br!dergemeine, 7/1953, UA DEBU 47.

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kirchlichen Oberseminar und f!r ein Theologiestudium an einer der kirch-lichenHochschulen entschieden.170 Knapp zwanzig Prozent der Herrnhuter abden Jahrg"ngen 1930 waren im diakonischen Bereich t"tig und gut 15 ProzentTheologen.171 In den diakonischen Einrichtungen wie dem Diakonissenmut-terhaus „Emmaus“ in Niesky konnten die M"dchen in Kombination mitstaatlichen Ausbildungsst"tten, in denen auch das Fach „Marxismus-Leni-nismus“ nicht fehlte, zur Erzieherin, Krankenschwester, Physiotherapeutin,Medizinisch-Technischen Assistentin oder Sprechstundenschwester ausge-bildet werden. Das Zinzendorfseminar in Gnadau bildete Katechetinnen aus.In allen Einrichtungen nahm die Br!dergemeine landeskirchliche Frauen undM"nner auf, weswegen sie auch Gelder von den Kirchen erhielt. Der Staatbeobachtete die kirchliche Ausbildung mit Argwohn. 1968 hieß es in einemEntwurf des Staatssekret"rs und der SED-Arbeitsgruppe f!r Kirchenfragen,die Kirchen unterhielten „ein ganzes System von Ausbildungs- und Erzie-hungsst"tten, das weitgehend der staatlichen Genehmigung und Aufsicht,sowie sozialistischen gesellschaftlichen Einfl!ssen entzogen“ sei. Die Funk-tion"re unterbreiteten Vorschl"ge zur „Ver"nderung der politisch-ideologi-schen Situation“ zur „Durchsetzung gesetzlicher Normen und zur Ein-schr"nkung des Ausbildungssystems“.172 Doch blieben die Ausbildungsmçg-lichkeiten bestehen.

Die meisten jungen Br!der in der DDR absolvierten eine Lehre, selbst die,die sich f!r ein Theologiestudium entschieden hatten, lernten zuvor einHandwerk.173 Der Handwerkerstolz hatte in der Br!dergemeine Tradition. Einbr!derischer Geistlicher, gelernter Handwerker, dessen Kinderschar in derSchule systematisch zur!ckgesetzt wurde, erkl"rte einem Kreisfunktion"rgewiss nicht ohne ironischen Unterton, er wolle keine studierten Kinder,stattdessen w!nsche er ihnen zur „f!hrenden Klasse, der Arbeiterklasse“ zugehçren. Der Kreisfunktion"r hatte ihn vorsorglich aufgesucht, da er f!rch-tete, hier bahne sich ein "hnlicher Fall wie bei Bischof Gill an, der nicht m!dewurde, die Benachteiligung christlicher Kinder anzuprangern.174

Herrnhuter, die in staatlichen Betrieben arbeiteten, waren wie !blich mehroder weniger gezwungen, in eine Partei und in Massenorganisationen, etwa

170 Interview mit Erdmute Frank, ostdt. Gemeinmitglied Bethlehem, USA, 3. 5.2005, S. 4 f. , u. 8 f. u.Interview mit Friedemann Hasting, ostdt. Gemeinmitglied, Ebersdorf, 6. 12.2005, S. 17 u. In-terview mit David Gill, ostdt. Gemeinmitglied, Berlin, 16.1.2006, UA u. Interview mit EhepaarE., ostdt. Gemeinmitglieder, 5. 12.2005, S. 18 f. , alle in UnterlagenH. Richter ; E. Fçrster anG. V.,7. 10.1966, UA DEBU 989.

171 Br!dergemein-Sample, vgl. Anhang, Quellen.172 Staatssekret"r f!r Kirchenfragen, H. Seigewasser u. Arbeitsgruppe Kirchenfragen, W. Barth,

Entwurf, Vorlage f!r Sekretariat des ZK der SED, 1968, SAPMO-BA DY 30/IV A2/14/14; vgl.Maser, Kirchen, S. 38 f. ; vgl. zu den Ausbildungsmçglichkeiten Direktion an Geschwister inGemeinbereichen, 9/1975, UA EFUD 659.

173 Interviewmit FriedemannHasting, ostdt. Gemeinmitglied, Ebersdorf, 6. 12.2005, UnterlagenH.Richter.

174 Monatsbericht vom 24.1.74, HStA Drd. 11430, Nr. 1092.

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dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB), einzutreten.175 Dochwenn die jungen M"nner und Frauen die Ausbildung in einer HerrnhuterEinrichtung oder bei einem Herrnhuter Meister absolvieren konnten, warensie dem Organisationsdruck entzogen – auch wenn viele der br!derischenHandwerker zum Schutz ihrer Kleinbetriebe in die LiberaldemokratischePartei Deutschlands (LDPD) eingetreten waren, die die SED als Transmissi-onsriemen ihrer Macht f!r die wenigen Selbst"ndigen nutzte. So boten dieBetriebe und Einrichtungen der Unit"t einen gewissen Schutzraum und tru-gen zur Abschirmung nach außen bei. Gleichzeitig sah die Br!der-Unit"t ihreInstitutionen als Ort der %ffnung und Missionierung. In einem gesamtdeut-schen Papier br!derischer Mitarbeiter hieß es 1963, die Gemeine m!sse sichf!r die vielen Mitarbeiter in ihren Betrieben verantwortlich f!hlen. Diesed!rften nicht nur als Arbeitskr"fte angesehen, sondern ihnen m!sse „dasEvangelium verk!ndigt“ werden.176 Auch ihre Ausbildungsst"tten sah dieGemeine als eine Mçglichkeit der%ffnung undMission. F!r enge Kontakte zuden Landeskirchen sorgten auch die rund 250 Herrnhuter, die im haupt- odernebenamtlichen Dienst der Landeskirche standen, in der diakonischen odergeistlichen Arbeit.177

Dennoch herrschte in der Br!dergemeine meistens Personalmangel. Vielejunge Familien zogen aus den Ortsgemeinen weg und gingen als Arbeitskr"fteverloren. Immer wieder blieben geistliche #mter oder Positionen im diako-nischen Bereich unbesetzt, weil es an Mitarbeitern fehlte. Der Exodus jungerMitglieder in denWestenwirkte sich verheerend aus. Daf!r war die Arbeitslastder Prediger und anderer Angestellten umso grçßer, was nicht eben zur At-traktivit"t eines Dienstes in der Gemeine beitrug. So blieb der Personalmangelauch nach dem Mauerbau ein Problem.178 In den sechziger Jahren immerhinentspannte sich die Situation einwenig unter den Theologen, da nunvermehrtFrauen ein Theologiestudium absolvierten.179 In dieser Zeit !berlegte dieLeitung, ob sie nicht "hnlich wie bei den Theologen auch im Wirtschaftsbe-reich mit Stipendien gezielt junge Leute f!r die Unit"t ausbilden solle. F!r die

175 Interview mit Ehepaar E., ostdt. Gemeinmitglieder, Ebersdorf, 5. 12.2005, u. Interview mit R.Fischer, B!rgermeister in Herrnhut ab 1990, Herrnhut, 7. 7. 2006, Unterlagen H. Richter.

176 Erstes Arbeitsergebnis der beiden Aussch!sse f!r Gemeinfragen, 16.11.1963, S. 2, UA EFUD656.

177 Gill, Herrnhut – Freikirche in der Landeskirche, S. 14.178 Hickel, Lebenserinnerungen, S. 84; J. Vogt an F. P. Stocker, 28.12.1952, MAB 113FI, Germany

East Zone 45–59; Lebenslauf Johannes Vogt, S. 13; Gebetsdienst, 1. 3.1959, UA DEBU 306;Anlage Rundschreiben Direktion, 29. 4.1970, UA DEBU 52; Rundschreiben Direktion, 10.12.1974, UA DEBU 54; „An die erwachsenen Glieder und die heranwachsende Jugend der Br!-dergemeine“, Anlage Rundschreiben Direktion, 20.5. 1954, UADEBU 50; Sitzungsbericht DUD,10.5. 1961, UA DEBU 10; Rundbrief Direktion an Geschwister in Gemeinbereichen, Dezember1969, UA EFUD 658; Fçrster an Direktion Bad Boll, 30.5. 1964, UA DEBU 33; Prayer Subjects,1963 u. Gebetsanliegen 1969, UA DEBU 307; Lebenslauf C. Weiss.

179 Bericht Distrikt Herrnhut an Unit"tssynode in Pottenstein, 1967, MAB 173HI, Unit"tssynode,1967-S420.

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Jahre 1988 bis 1992 sah die Finanzdirektion in ihren Betrieben die Ausbildungvon 14 Lehrlingen vor, vom Wirtschaftskaufmann bis zum Landmaschinen-schlosser.180

Die meisten Herrnhuter, die Theologen werden wollten, studierten an denkirchlichen Hochschulen oder Predigerseminaren in Naumburg (Saale), amSprachenkonvikt oder Paulinum in Berlin oder dem Theologischen Seminarin Leipzig. W"hrend der f!nfziger Jahre studierten viele auch noch an denUniversit"ten, da diese damals noch recht unabh"ngig waren. Sp"ter bevor-zugten die Herrnhuter die als unabh"ngiger und frçmmer geltenden kirchli-chen Institutionen. Tats"chlich gaben diese Einrichtungen immer wiederAnlass zu Zorn und Tadel der staatlichen Stellen: Ob sie illegale Wahlveran-staltungen abhielten, die Wahl !berproportional stark verweigerten, die Do-zenten als „politisch reaktion"re Ideologen“ galten – sie waren ein Hort desGeistes.181 Zus"tzlich zu ihrem Studium mussten die Theologiestundenten imOst-Distrikt mehrwçchige Ferienkurse der Unit"t absolvieren, in denen sieGeschichte, Tradition und Theologie der Br!dergemeine studierten.182

Bis in die f!nfziger Jahre nahmen die Direktion und die Mitglieder derGemeine, die in ihremDienst standen, die „Berufung“ sehr ernst. Das hieß, dieDirektion bestimmte inGottes Namen, wer wohin zog undwer welchenDiensttat. Das Leitungsgremium plante ganze Karrieren, es genehmigte oder ver-weigerte selbst Heiraten derMitarbeiter, die sie bis zum ZweitenWeltkrieg f!rdie Missionare noch h"ufig arrangiert hatte.183 Da die meisten Theologen miteinem Stipendium der Br!dergemeine studierten, waren sie zudem çkono-misch von der Direktion abh"ngig. Wer nicht f!r begabt erachtet wurde, er-hielt kein Geld. Die Praxis der Berufung ermçglichte noch in den f!nfzigerJahren einen Austausch !ber die innerdeutschen Grenzen hinweg. Mitgliederließen sich zwar widerwillig, aber doch „im Gehorsam“ auch in den OstenDeutschlands delegieren. Ab den sechziger Jahren wurde die Annahme einerBerufung zunehmend an den Willen der Betroffenen gekn!pft, wodurch einUmzug in den Osten immer h"ufiger abgelehnt wurde. Teilweise "ußerten

180 Aktennotiz, o.A., 4. 3. 1964, UA DEBU 581; Unterlagen 1987/88, Finanzdirektion Br!der-Unit"tu. RdB Drd., HStA Drd. 11430, Nr. 11100.

181 Maser, Kirchen, S. 77 f. ; Staatssekret"r f!r Kirchenfragen, H. Seigewasser u. ArbeitsgruppeKirchenfragen,W. Barth, Entwurf, Vorlage f!r Sekretariat des ZK der SED, 1968, SAPMO-BADY30/IV A2/14/14; Interview mit David Gill, Berlin, 16.1.2006, u. Interview mit FriedemannHasting, ostdt. Gemeinmitglied, Ebersdorf, 6. 12.2005, u. Interview mit Gudrun Meyer, vonDDR in BRD gezogen, Herrnhut, 7.2. 2007, u. Interview mit Ehepaar Schiewe, Niesky, 2. 2. 2006,u. Interview mit Th. Gill, Bischof, Herrnhut, 8.2. 2006, u. Interview mit Ehepaar X., ostdt.Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 15, alle in Unterlagen H. Richter.

182 Bericht des Distrikts Herrnhut der Europ"isch-Festl"ndischen Provinz in der DDR an dieUnit"tssynode der Unitas Fratrum, 1967 in Pottenstein, S. 5, MAB 173HI, Unit"tssynode, 1967-S420.

183 Lebenslauf Margarete Ribbach, S. 1; W. Baudert an H. Renkewitz, 12.4.1952 u. H. Renkewitz anW. Baudert, 21.4.192 u. Direktion Bad Boll an Direktion Herrnhut, 19.3. 1949, UA DEBU 30; J.Vogt an Direktion Bad Boll, 15.6. 1956 u. J. Vogt an H. Motel, 20.10.1956, UA DEBU 31.

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Mitglieder ihren Unmut gegen die Machtaus!bung der Direktion, die nurvorgebe, im Namen Gottes zu sprechen. Angesichts der $berbelastung derMitarbeiter f!hlten sich viele !berfordert und ungerecht behandelt.184 Die„Berufung“ wurde aber offiziell beibehalten. Nur ber!cksichtigte sie nun auchdie Vorstellungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In einem „Beru-fungsgespr"ch“ lotete die Direktion mit dem Kandidaten die Mçglichkeitenaus. Allerdings blieb immer ein letzter Rest des „Rufes von oben“ !brig.Entscheidend wurde letztlich, ob der Kandidat auch die „innere Berufung“f!hle.185 Die Berufungspraxis zeigt, wie die Gemeine von einem streng hier-archisch gegliederten „Orden“ zunehmend zu einer auf das Individuumausgerichteten Gemeinschaft wurde.

5.3 Die Einheit in der Trennung. Internationale Provinzialit"t

5.3.1 Westflucht und Mauerbau

Die Flucht in den Westen, die auch in der Br!dergemeine !berwiegend gutausgebildete junge Menschen antraten, sorgte zwar einerseits f!r noch engereFamilienbande, erzeugte andererseits aber auch massive Probleme undMissstimmungen im Osten: Zus"tzlich zur Verschiebung der Sozialstrukturdurch die Abwanderung der Bildungselite f!hrte die Flucht zur $beralterungin den Ortsgemeinen.186 Schon fr!h reduzierten die Zur!ckgebliebenen denWesten auf „Konsum“ und „Kapitalismus“ und warfen den Fl!chtenden vor,allein aus materiellen Gr!nden die DDR zu verlassen. Dieses Bild vomWestensollte sich im Laufe der Jahre verfestigen und wesentlich zu einer partiellenIntegration in die staatssozialistische Ideenwelt beitragen. Auch Bad Boll hatteein Problemmit der Flucht: Pension"re, die ihren Lebensabend imWesten beiihren (h"ufig gefl!chteten) Kindern verbringen wollten, belasteten den West-Distrikt finanziell, da er dann f!r ihre Ruhegeh"lter aufkommen musste.

In einem Erg"nzungsbericht 1960 !ber die Gemeine Herrnhut sprachHelmut Hickel das Problem an: „Republikflucht: Den Weggang der vierkçp-figen Familie […] nahm ich als Anlass zu einer geschlossenen Gebetsver-

184 Sitzung DUD, 10.4. 1961, S. 24 u. Sitzung DUD, 15.11.1962, UA DEBU 10; H. Motel an J. Vogt,2. 2.1957, u. andere Unterlagen in UA DEBU 31; Unterlagen in UA DEBU 32; Interview mit S.,ehem. ostdt. Frau eines Gemeinhelfers, 12.2. 2007, Unterlagen H. Richter ; vgl. zum Verst"ndnisvon Berufung und Dienst Aktennotiz z.B., E. Fçrster, 26.8. 1966, UA DEBU 33; Lebenslauf E.Fçrster, S. 12 f.; Lebenslauf M. K!cherer, S. 21; Lebenslauf D. Kuhnt, S. 2; Lebenslauf SamReichel, S. 3; Lebenslauf M. Ribbach;

185 Interview mit Erdmute Frank, ostdt. Gemeinmitglied, Bethlehem, USA, 3. 5. 2005, S. 11 u. In-terview mit FriedemannHasting, ostdt. Gemeinmitglied, Ebersdorf, 6. 12.2005, S. 5, UnterlagenH. Richter.

186 Vgl. zum Protestantismus Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 396 f.

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sammlung der erwachsenen Mitglieder, in der ich versuchte mit allemNachdruck die Geschwister auf ihre Verantwortung unserer Gemeine gegen-!ber hinzuweisen.“ Von sechs jungen Paaren, die im vergangenen Jahr getrautworden seien, wohne nur noch ein Paar inHerrnhut.187 Ein Direktionsmitgliednotierte neben Hickels Wort „Republikflucht“: „Dies Wort sollte in einemGemeinbericht nicht gebraucht werden, gehçrt nicht in unser Vokabular“,worauf Hickel trotzig daneben schrieb: „Aber wohl in meinen Erg"nzungs-bericht. Die Republikflucht bedroht die Existenz der Br!dergemeine in un-serem Raum!“ Hickel war bereit, sich in der Terminologie auf das Regimeeinzulassen.188

Der Gemeinhelfer aus Neudietendorf diagnostizierte im Fr!hjahr 1961 eineallgemeine Erosion: Die Ortsgemeinen schrumpften, die Traditionen verlçrenan Bedeutung, etliche Schwestern tr!gen keine Hauben mehr, und die Chçres"ßen in den Versammlungen nicht immer streng getrennt. Mit seltener Of-fenheit fragte der Theologe: „Ist es nicht mçglich, dass schon das Lavieren inder Zeit des Nationalsozialismus ein Zeichen innerer Unsicherheit, ja Un-wahrhaftigkeit gewesen ist […]?“189 Als 1964 ein Gemeinhelferpaar, das inSurinam im Missionsdienst gewesen war, nicht wie von der Direktion vorge-sehen in die DDR kommen wollte, schrieb Fçrster bitter nach Bad Boll : „Wirm!ssen nun ganz neu anfangen, ernstlich zu !berlegen, wie wir mit unsrenKr"ften hier weiter durchkommen kçnnen.“ Fçrster – der selbst leidvolleErfahrungen mit der Diskriminierung seiner Kinder in der DDR gesammelthatte – fragte, ob es grunds"tzlich zumutbar sei, mit einer Familie in die DDRzu ziehen. Der Umzug nach Ostdeutschland sei offenbar wesentlich schwerer,als „,auf die Mission’ zu gehen. […] Man muss doch die Frage auch einmal sostellen, ob man unsere Arbeit hier so zum Einschrumpfen kommen lassendarf, dass der Distrikt nicht mehr recht lebensf"hig ist“. Er regte an, die Unit"tsolle Mitarbeiter aus der Schweiz oder anderen Nicht-NATO-Staaten schicken,die eine Chance auf Aufenthaltsgenehmigung in der DDR h"tten.190 Doch bliebf!r die Mitglieder der weltweiten Unit"t tats"chlich jedes Missionsland at-traktiver als die DDR.

Der Mauerbau am 13. August 1961 war ein tiefer Einschnitt in die Ge-schichte der Br!dergemeine. Ein Bruder aus der Bundesrepublik, der in dieserZeit den Osten bereiste, schrieb dar!ber streng vertraulich an die MitarbeiterimWest-Distrikt, die Abriegelung in Berlin habe „auf die Geschwister vielfachwie ein Schock gewirkt […]. Mehrfach hçrte ich den Ausdruck ,KZ’.“191 Als

187 Erg"nzungsbericht Herrnhut 1960, UA DEBU 805.188 Vgl. E. Fçrster anH.Motel, 29.9.62, UADEBU 32; E. Fçrster an O. Nuschke, 11.8. 1953, BADO 4/

2289.189 Gedanken zur gegenw"rtigen Lage der Gemeinen in der DDR, Distriktssynode Ost, M"rz 1961,

Gemeinarchiv Ebersdorf, Synoden.190 E. Fçrster an Direktion Bad Boll, 30.5.1964, UADEBU 33; vgl. zurWestflucht auchH. Reichel an

Geschwister, 26.10.1961, vertraulich, UA EFUD 655.191 H. Reichel an Geschwister, 26.10.1961, vertraulich, UA EFUD 655.

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kirchliche Stellen vor der Weihnachtszeit 1961 anfragten, ob denn nicht eineBesucherregelung f!r die Feiertage mçglich sei, kommentierte intern derLeiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen im ZK, Willi Barth: „Wie lange solldenn noch das Theatermit derMenschlichkeit gemacht werden?“192 InHickelsGemeinbericht 1961 heißt es: „Der 13. August, den wir in der gesamten Br!-der-Unit"t als den Tag feiern, an dem Gott unseren V"tern in Herrnhut […]das Band der Bruderliebe kn!pfte, wurde zu dem Tag, an dem nun in Berlineine sichtbareMauer unser Volk endg!ltig trennt und es uns unmçglichmachtzuVerwandten imWesten unseres Vaterlandes zu fahren.“193 Dochwer sich aufden Staat eingelassen hatte, konnte dem Mauerbau auch eine andere Seiteabgewinnen. So notierte Hickel im Erg"nzungsbericht f!r 1961, der geringeR!ckgang der Mitgliederzahl liege auch daran, „dass im letzten Vierteljahrniemand mehr die DDR illegal verlassen konnte. So kann sich in der Zukunftdie endg!ltige Trennung unseres Vaterlandes f!r die Stabilit"t unserer Ge-meine vorteilhaft auswirken“. Worauf ein Direktionsmitglied erneut Anstoßnahm und neben demWort „illegal“ anmerkte: „Ein Ausdruck, wie wir ihn indiesem Zusammenhang in unserer kirchlichen Sprache niemals gebrauchensollten“.194 Der Sprachgebrauch eines Herrnhuters, der in den kommendenJahren die Br!dergemeine in der DDR pr"gen sollte, war zukunftsweisend.Hickel gestand dem Regime die Legitimit"t zu, !ber die Bewegungsfreiheitinnerhalb Deutschlands bestimmen zu d!rfen. Wie Millionen seiner Mit-b!rger in der DDR verlor er dank der schleichenden Internalisierung derMachtanspr!che Schritt um Schritt das Unrechtsempfinden daf!r, grundle-gender Rechte und rechtsstaatlicher Verfahren beraubt zu werden.

5.3.2 Leben mit der Mauer.Theologen neuen Typs in den sechziger Jahren

Die Empçrung !ber den Mauerbau war allenfalls kurzfristig, l"ngerfristig!berwogen die integrative Wirkung.195 Unter den Theologen çffneten sich wiein den Landeskirchen Angehçrige der um 1940 geborenen und grçßtenteils inder DDR sozialisierten Generation dem Sozialismus und suchten nach ein-vernehmlichen Lçsungen mit dem Staat.196 R!ckblickend schrieb ein Ge-meinhelferpaar dieser Generation: „Wir dachten, durch den Mauerbau w!r-den die Einfl!sse einged"mmt, die den Aufbau der neuen Welt stçren undbeeintr"chtigen kçnnten, außerdem Frieden einkehren. Unsere Kirchen ver-

192 Hinweise des Genossen W. Barth, 16.12.1961, BA DO 4/83704.193 Jahresbericht Herrnhut 1961, S. 1, UA DEBU 805.194 Erg"nzungsbericht zum Jahresbericht Herrnhut 1961, UA DEBU 805.195 Pollack, Von der Mehrheits- zur Minderheitskirche, S. 65.196 Vgl. zu den Landeskirchen Ohse, Ostdeutscher Protestantismus, S. 133; vgl. zu den Genera-

tionen in der DDR Ahbe u. Gries; Sch"le ; Leonhard.

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suchten, sich in dieser Welt des Sozialismus neu einzurichten.“197 War einegewisse Identifikation mit der DDR in der Unit"t noch anr!chig und dieBerufung auf kommunistische „Traditionen“ bisher !berwiegend Taktik ge-wesen, nahm die n"chste Generation dergleichen vielmals ernst. Wobei es hierzweifellos ein Ineinandergehen von extrinsischen und intrinsischen Motivengab: Die extremen Bedingungen f!hrten bei vielen zu einer Transformationder Ziele und Normen, damit es zu einer $berseinstimmung zwischen den"ußeren Anspr!chen und dem eigenen Leben kommen konnte. Ein jungerGemeinhelfer schrieb 1969 im Jahresbericht nicht ohne Stolz vom „zwanzig-j"hrigen Bestehen unseres Staates“, der von sieben Nationen anerkannt seiund „den zehnten Platz in der industriellen Weltproduktion“ einnehme; manm!sse einsehen, „dass es in absehbarer Zeit kein einheitliches Deutschlandgeben“ werde.198 Und als der erste Stellvertretende Vorsitzende im Rat desBezirkes Dresden 1966 „progressive Geistliche“ zu einem Gespr"ch bat, warenunter den 18 Anwesenden die Herrnhuter Werner Hauffe und Wolfgang Caf-fier, die sich beide mit linientreuen Aussagen hervor taten.199

Insgesamt zeigte sich in der Unit"t eine Anpassung an das System, die abernur in Ausnahmen bis zu kompromittierendem Opportunismus ging. Stetsblieb der Gemeine die Diskrepanz zwischen sozialistischem Materialismusund ihrem christlichen Glauben bewusst, und generell stand sie der Minder-heit der „progressiven“ Pfarrer, die sich im Pfarrerbund oder demWeißenseerArbeitskreis sammelte, kritisch gegen!ber. Der Gemeindiener Hauffe bei-spielsweise erhielt, wie er gegen!ber den staatlichen Behçrden erkl"rte, nacheiner Krankheit von der Unit"t keine Arbeit mehr, weil er sich einem Be-kenntnis fortschrittlicher Geistlicher f!r den sozialistischen Staat ange-schlossen habe.200 Dochvertrat die Unit"t diese Linie nicht klar. Der staatsnaheWolfgang Caffier erhielt in den siebziger Jahren eines der wichtigsten Eh-ren"mter der Unit"t : das des Losungsbearbeiters. Caffier, der im Dienst derS"chsischen Landeskirche stand und erst in der Nachkriegszeit zus"tzlich derBr!dergemeine beigetreten war, hatte den anr!chigen Pfarrerbund mitbe-gr!ndet. Sp"ter meinten die Herrnhuter, sie h"tten Caffier f!r das Ehrenamtdes Losungsbearbeiters nur nominiert, nachdem er aus diesem Bund wiederausgetreten sei. Doch gegen!ber Willi Barth vom ZK der SED erkl"rte Caffier,der Bruch mit dem Pfarrerbund sei durch Streitereien innerhalb der Verei-nigung erfolgt, keineswegs, weil sich sein positives Verh"ltnis zum Staat ge-"ndert habe.201 Der Theologe war eine der skurrilsten Gestalten in der ost-deutschen Kirchen-Szene. In der NS-Zeit aufgrund seiner j!dischen Vorfah-

197 Gruß der Br!dergemeine Berlin II, August 1989, UA EFUD 746.198 Jahresbericht 1969, Berlin II, S. 2, UA DEBU 703.199 RdBDrd., Peter, Stellv. Vorsitzender, an Staatssekret"r f!r Kirchenfragen, 20.11.1966, BADO 4 /

2965.200 Abschrift Aktennotiz von Schild, Dresden, 5.11.68, HStA Drd. 11430, Nr. 10873.201 Interview mit Th. Gill, Bischof, Herrnhut, 8.2. 2006; W. Caffier an W. Barth, ZK der SED, 31.1.

1973, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/30.

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ren verfolgt und der Bekennenden Kirche nahe stehend, erwies er sich nach1945 als gl!hender Sozialist und gehçrte zu jenen, die ohne Stasi-Mitarbeit amBerichts- und Spitzelwesen der DDR mitwirkten.202

Neben den Extremen der Anpassung und offenen Ablehnung vertrat derDirektionsvorsitzende Fçrster in den sechziger Jahren den in der Unit"t amweitesten verbreiteten Kurs: Recht wohlwollend vermerkte ein $berwa-chungsbericht der CDU 1966: „Fçrster bringt immer wieder zum Ausdruck,dass er ein loyales Verh"ltnis zur DDRw!nscht und auch begr!ßt.“ Allerdingsverlange Fçrster, man m!sse ihm „eine kritische Loyalit"t gestatten.“203 Diesekritische Loyalit"t dr!ckte sich oft in Schweigen und Wegschauen aus, wieetwa bei der inzwischen selbstverst"ndlich gewordenen Teilnahme an staat-lichen Empf"ngen, zu denen loyale Kirchenvertreter geladen wurden.204 Zu-weilen aber "ußerte sich die „kritische Loyalit"t“ auch als Kritik. Bei derAbstimmung !ber die neue Staatsverfassung 1968 verweigerten sich dieHerrnhuter : Die „christliche[n] B!rger“, hieß es in einem $berwachungsbe-richt der Stadt Herrnhut, h"tten sich „bei der Abstimmung […] negativ ent-schieden“, darunter einige „Amtstr"ger“ der Br!dergemeine, weil sie dieReligions- und Gewissensfreiheit nicht gen!gend ber!cksichtigt fanden.205

Insgesamt f!gten sich die Herrnhuter in das gesamtgesellschaftliche Bild:von Mitte der sechziger bis Mitte der siebziger Jahre erlebte das SED-Regimeden Hçhepunkt seiner Anerkennung. In dieser Zeit, 1968, erkl"rten die siebenKirchenf!hrer der DDR gegen!ber Walter Ulbricht: „Als Staatsb!rger einessozialistischen Staates sehenwir uns vor die Aufgabe gestellt, den Sozialismusals eine Gestalt gerechteren Zusammenlebens zu verwirklichen.“206 Auchwenndarin die leise Kritik steckte, dass die Gerechtigkeit noch verwirklicht werdenm!sse, war diese Sozialismus-affine Aussage erstaunlich – angesichts derBeschr"nkung geistlicher Literatur, der anhaltenden Angriffe von Schulleiternund Lehrern gegen die Religion, des Drucks, an der Jugendweihe teilzuneh-men und angesichts der sozialen Marginalisierung von Christen.207 Diewachsende Anerkennung des Staates war wesentlich dem steigenden Le-bensstandard zu verdanken. In der DDR entstand eine der st"rksten Indu-strien des Warschauer Paktes. Bestimmten bis 1961 vor allem ideologische

202 Staatssekret"r Girnus, Hochschulwesen, an P. Verner, ZK der SED, 26.2. 1958, DY 30/IV 2/14/187; vgl. zur Anwerbung der Stasi auch Maser, Kirchen in der DDR, S. 124 f.

203 CDU, KV Lçbau, an H. Dreßler, 1. Stellv. Vorsitzenden des RdK, 13.9.65, HStA Drd. 11430,Nr. 10849.

204 Papier „Die Kirchen und der 8. Mai“, 1965, Anlage A, o.A., SAPMO-BA DY 30 / IVA 2/14/5.205 Ausz!ge aus den Analysen zur neuen sozialistischen Verfassung, 6. 4. 1968, HStA Drd. 11430,

Nr. 10936.206 Landesbischçfe Noth u. Beste, Bischçfe Fr"nkel, Krummacher, J"nicke, Kirchenpr"sident

M!ller und Verwalter des Bischofsamtes Schçnherr an Vorsitzenden des Staatsrates, W. Ul-bricht, 15.2. 1968 u. Begleitbrief von H. Hickel an Pfarrer der Br!dergemeine, 23.2. 1968, UADEBU 52.

207 Vgl. zu den Problemen Schapper an Pr"sident D. Hildebrandt, 16.12.1965 u. weitere Akten inEZA 102/417.

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Zielsetzungen die Politik des Regimes, konnte die SED nunmehr, gesichertdurch die Mauer, sich auch çkonomischen und gesellschaftlichen Problemenwidmen.208 Walter Ulbricht erkl"rte 1968, das „System des Sozialismus in derDDR“ sei einer „hochindustriellen Gesellschaft“ angemessen. Selbstbewusstdr"ngte er darauf, die Anpassung an die Sowjetunion zu verringern und be-tonte denModell- undVorbildcharakter der DDR.209 Dass das Regime nunvondirekter Gewalt absah und daf!r zu subtileren Machtmitteln griff, wurde denMenschen selten klar. So bauten die Machthaber das Ministerium f!r Staats-sicherheit aus und f!hrten 1962 die allgemeine Wehrpflicht ein.210

In derDirektionder Br!dergemeine vollzog sich in den sechziger Jahren einGenerationenwechsel : Johannes Vogt trat 1961 mit 77 Jahren als Vorsitzenderzur!ck. Mit seiner Kompromissbereitschaft gegen!ber dem neuen Regimeeinerseits und seiner tiefen Frçmmigkeit andererseits hatte er wesentlich zum$berleben der Br!dergemeine im Osten beigetragen. Zwar gehçrte seinNachfolger Erwin Fçrster, 1901 geboren, noch zu einer gesamtdeutsch ori-entierten Generation. Doch mehr und mehr lernten die verantwortlichenBr!der Helmut Hickels Organisationstalent und anpackende Art sch"tzen, biser 1963 !berraschend statt des skrupulçsen, harschen und kompromisslosenG!nther Hasting in das Direktionsgremium gew"hlt wurde. 1969 schließlichsollte der 68j"hrige Erwin Fçrster nach 46 Jahren Unit"ts-Dienst ausscheiden.Damit war der letzte jener Generation abgetreten, die noch vor dem ErstenWeltkrieg geboren war. Hickel !bernahm dann den Vorsitz, w"hrend Gill undder junge, erst 31j"hrige Christian M!ller als nebenamtliche Mitglieder in dieDirektion gew"hlt wurden. Damit lastete ein enormes Arbeitspensum auf denDreien. Hickel war nunmehr der einzig Hauptamtliche in der Direktion,w"hrend Gill und M!ller zus"tzlich ihre Pfarrstellen in Gnadau und Nieskyversehen mussten.211 Anders als vor 1945, wo die Leitungsposten meist An-gehçrige des „br!derischen Adels“ aus „alten Familien“ besetzten und dieUnit"t Wert auf einen bildungsb!rgerlichen Hintergrund legte, war es in derDDR anderen Schichten mçglich, in der Gemeine Karriere zu machen. Jo-hannes Vogt war der erste Direktionsvorsitzende dieser Art. Und ChristianM!ller, ein gelernter Weber, der an der kirchlichen Hochschule Paulinum inBerlin zum Prediger ausgebildet worden war, stammte aus nicht-br!deri-schem, einfachem Elternhaus. Der unpr"tentiçse, unb!rgerliche Habitusdieser F!hrungskr"fte hat die Eingewçhnung in den sozialistischen Staatgewiss erleichtert, auch wenn die Br!dergemeine insgesamt im Vergleich zuder sie umgebenden Gesellschaft in vieler Hinsicht b!rgerlichen Vorstellun-gen verhaftet blieb.

208 Bauerk"mper, Sozialgeschichte, S. 102; Weber, Die DDR, S. 60–65.209 Weber, Die DDR, S. 77–79.210 Weber, Die DDR, S. 61 u. 65.211 Anlage zum Predigerrundschreiben, 11.12.70, EFUD 658; Hickel, Lebenserinnerungen, S. 119–

122 u. 127; vgl. zu den Generationen Fußnote 1016.

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Auch Hickel kam aus keiner der f!hrenden Familien der Unit"t. SeineSympathien f!r den Sozialismus kçnnen anders als bei Vogt kaum als reinesLippenbekenntnis gewertet werden. Er war der ideale Direktionsvorsitzendef!r die neue Kirchenpolitik der SED, die in den sechziger Jahren versuchte, dieReligionsgemeinschaften einzubinden und angebliche Parallelit"ten zwischenSozialismus und Christentum zu betonen. Der Theologe war flexibel genug,sich darauf einzulassen und damit den Handlungsspielraum der Unit"t aus-zuweiten.212 Hickel war der Geistliche neuen Typs. Ohne sich vçllig zu kom-promittieren akzeptierte er das System. Er zeigte keine Scheu, etwa in einemGremium wie dem christlichen Arbeitskreis des Kreis-Friedensrats mitzuar-beiten, der dem Zweck diente, die SED-Propaganda in christlichen Milieus zuverbreiten. Die staatlichen Behçrden z"hlten Hickel mit vier anderen Geist-lichen zu den zuverl"ssigsten Kirchenleuten im Kreis.213 Mit der AbwahlHastings aber, der 1913 im holl"ndischen Zeist geboren worden war, mussteeiner der letzten im F!hrungsgremium mit internationaler Biographie ab-treten. Hasting wurde daf!r 1970 zum Bischof gew"hlt, ein Amt, das in derUnit"t seelsorgerliche Funktion hatte, auf Lebenszeit galt und nicht mit einemLeistungsposten verbunden war. Es f"llt auf, dass mit ihm ebenso wie sp"termit Theodor Gill ein Mann diese Funktion innehatte, der recht staatskritischwar. Damit hat die Br!dergemeine die Aufgaben klug verteilt: Nach innensorgten die Bischçfe f!r Frçmmigkeit und Distanz zum Staat, nach außen warHickel als Direktionsvorsitzender f!r die Ann"herung zust"ndig.

Auch im Rathaus Herrnhut gab es eine Ablçsung: Der 68j"hrige GottfriedClemens, zur gleichen Generation wie Fçrster gehçrend, trat zur!ck undhinterließ eine L!cke, die schwer zu f!llen war. In S!dafrika zur Welt ge-kommen, gehçrte er ebenfalls wie seine im Himalaja geborene Frau noch zueiner internationalen Generation. Das B!rgermeisteramt wollte keiner in derGemeine !bernehmen, auch nicht der Sohn, Martin Clemens, dem es ange-tragen wurde. Der #rger, den dieses Amt eintrug, lag in keinem Verh"ltnis zuden Gestaltungsmçglichkeiten. Clemens war nicht nur vom Staat, sondernimmer wieder auch von Gemeinmitgliedern angegriffen worden; den einenwar er zu kritisch, den anderen zu konziliant gegen!ber der Staatsmacht. Bis1973 fand sich niemand, der den Posten f!r l"ngere Zeit !bernahm.214 DemRat der Stadt gehçrten freilich immer einige Gemeinmitglieder an.

212 Goerner, Behandlung der Kirchenpolitik, S. 150; Weber, Die DDR, S. 60–70.213 RdK Lçbau, 1. Stellvertreter, an RdB Drd., Kirchenfragen, 27.1.1961, HStA Drd. 11430,

Nr. 10815; Protokoll der Kreiskollektivsitzung Lçbau, HStA Drd.11430, Nr. 10775.214 Zwischenbericht, RdBDrd., 6.9. 1971,HStADrd. 11857,Nr. IV/B.2.14.633; InterviewmitMartin

Clemens, ostdt. Gemeinmitglied, Herrnhut, 7.2. 2006, Unterlagen H. Richter ; Liste der Herrn-huter B!rgermeister, Rathaus Herrnhut.

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5.3.3 Isolation und Gemeinschaft nach dem Mauerbau

Der Mauerbau beschr"nkte massiv den gesamtdeutschen und internationalenHandlungsspielraum der Herrnhuter, w"hrend die Konsolidierung der Ge-meine in Folge der Grenzschließung und die fortschreitende Ann"herung andas System den Aktionsraum innerhalb der DDR ausweiten sollte. Doch nachdem 13. August 1961 erkl"rten die Herrnhuter in Ost und West zun"chst, die„echte und tiefe br!derliche Verbundenheit“ kçnne durch keine Grenze ge-stçrt werden. „Das Wissen um solche Einheit im Geist, die ihren lebendigenAusdruck in gegenseitiger F!rbitte findet, ist gerade f!r uns hier ein großesGeschenk.“215 Zwar kriminalisierte das Regime oftmals die Kontakte in dieBundesrepublik und versuchte, eine Spaltung der Kirchen in Ost und West zuforcieren. Die bundesrepublikanischen Herrnhuter aber nutzten bereits 1962wieder jede Reisemçglichkeit in die DDR und berichteten dort von denwestdeutschen Gemeinden, von Fahrten in die Missionsgebiete und von derçkumenischen Arbeit. Die Rentner der ostdeutschen Br!dergemeine konntenbald relativ ungehindert in die BRD reisen.216 Auch f!r den innerdeutschenZusammenhalt hatten die Riten, darunter das Losungsbuch und die Gebets-wacht, nach wie vor eine wichtige Funktion; das Gebet empfanden dieHerrnhuter als das engste Band. Bei den Besuchen oder auch bei $bersied-lungen in den anderen Teil Deutschlands f!hlten sie sich aufgrund der Liturgieund Gottesdienstform gleich zuhause.217 Doch die Gemeine besaß ganzpraktische Wege, um ihre Einheit aufrecht zu erhalten. Dazu gehçrten nebenregelm"ßigen Artikeln im westdeutschen Br!derboten !ber die Gemeine imOsten und den Silvesterfreizeiten die Besuchsreisen.218 J"hrlich fanden Be-sprechungen der beiden Direktionen in West-Berlin statt.219 In der kleinen,famili"r eng verflochtenen Gemeine konnten viele Personen am Austauschpartizipieren. Die meistenMitarbeiter waren im Laufe ihres Dienstes mehrereMale im Westen, da zu den Synoden und Konferenzen stets ein Gemeinhelferaus dem Osten eingeladen war. Umgekehrt kamen h"ufig Mitarbeiter aus dem

215 Direktion Ost-Distrikt an Direktion West-Distrikt, 21.12.1961, UA DEBU 32.216 Jahresbericht Herrnhut 1962, S. 3 f. , UA DEBU 805; Unterlagen, sechziger Jahre, UA DEBU 32 u.

UA EFUD 656; E. Bernhard an Gemeinhelfer und Kirchenrechner in der BRD, 18.12.1964, UADEBU 974.

217 Interview mit Gudrun Meyer, von DDR in BRD gezogen, Herrnhut, 7.2. 2007, Unterlagen H.Richter ; Brief DirektionWest and Direktion Ost, 14.12.1961 u. Brief Direktion Ost an DirektionWest, 21.12.1961, UA DEBU 32; vgl. zur Bedeutung des Gebets schon vor dem MauerbauJahresbericht Herrnhut 1959, S. 3, UA DEBU 805.

218 Z. B. Information, VP Neubrandenburg, 25.11.1966, BA DO 1/100/183/2.219 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 4; Unterlagen, UA DEBU 28–32; Direktion West an DUD

Herrnhut u. Ausschuss f!r Liturgische Fragen, 22.8. 1949, UA DEBU 631; „Aus den Gemeinen –Berlin”, in: Br!derbote 3/1955, Nr. 68; weitere zahlreiche Artikel !ber Ost-Gemeinen imBr!derboten, 1950er Jahre.

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Westen in die DDR.220 Das fand auch zu jenen Zeiten statt, in denen landes-kirchlichen Mitarbeitern Dienstreisen in die Bundesrepublik grunds"tzlichverboten waren.221

Wichtig waren die Patenschaften f!r Gemeinden (wie etwa Hamburg f!rEbersdorf), dank derer viele Begegnungen und Hilfsaktionen mçglich wur-den. Ein $berblick der Transferleistungen des Distrikts Bad Boll in den Dis-trikt Herrnhut listete auf: Patenspenden f!r kirchliche Mitarbeiter, Paket-versand, Textilaktion, Jugend hilft Jugend, B!cherhilfe, Medikamentenhilfe,Vermittlung von Industriewaren, Erholungsbeihilfe, Instandsetzungsbeihilfef!r Anstalten und Heime.222 Die Br!dergemeine finanzierte das teilweise mitden Transferleistungen der EKD an die Gliedkirchen im Osten, dem soge-nannten „Kirchengesch"ft A“. 1957 beschlossen, hatte es bis 1990 einenUmfang von mehreren Milliarden Mark, nicht mitgerechnet das „Kirchenge-sch"ft B“ f!r den Gefangenenfreikauf und andere humanit"re Aktionen. Allediese Gesch"fte wurden stets mit Mitteln der Bundesregierung unterst!tzt.223

Außerdemgab es zahlreiche private Initiativen. So hatte etwa das Altenheim inEbersdorf einen Helferkreis in der Bundesrepublik, der das Heim mit Hy-gieneartikeln, Werkzeug oder K!chenmaschinen ausstattete.224 Eine großeBedeutung hatten auch in der Br!dergemeine die Paketsendungen.225

Wie schon bei den Geldern aus Amerika war die Hilfe eine zweischneidigeAngelegenheit. Ohne Frage brauchte der Distrikt Herrnhut die Transferleis-tungen. Allein sein diakonisches Werk war auf Hilfe von außen angewiesen.Andererseits brachten dieHilfen eine Schieflage in die Partnerschaft. Nach derWende erkl"rte einOst-Herrnhuter – kein f!hrendesMitglied, aber eine St!tzeseiner Ortsgemeine – bei den Westpaketen sei es darum gegangen „die DDRkaputt zu machen, um die Menschen unzufrieden zumachen.“226 Er hatte sichdie SED-Sicht auf die Westpakete angeeignet. Vor allem aber sch!rten dieHilfen eine ungute Stimmung in der Bevçlkerung, die den kirchlichen Mit-arbeitern vielmals jegliche Unterst!tzung aus dem Westen neidete. Einebr!derische Pfarrtochter erz"hlte, ihre Eltern seien aufgrund der vielenKinder und des geringen Gehalts auf die Westpakete angewiesen gewesen.Daher habe sie immer Westkleidung getragen, was ihr die Mitsch!ler !bel

220 Bericht Distrikt Herrnhut f!r Unit"tssynode Potstejn, 1967, MAB 173HI, Unit"tssynode, 1967-S420.

221 Goeckel, Evangelische Kirche, S. 149.222 Vgl. zu den Patenschaften und Transferleistungen den Bericht von Hettasch-Haarmann; Un-

terlagen, sechziger u. siebziger Jahre, Br!dergemeinarchiv Neukçlln, Gemeine Ost.223 Boyens, „Den Gegner irgendwo festhalten“; Graf, Theologie und Kirchenpolitik, S. 297 f.224 Interview mit Clementine Weiss, Ebersdorf, 6. u. 9.12. 2005, S. 9, Unterlagen H. Richter ; vgl.

Besprechung DUD-EFUD in Berlin, 12.–15.1. 1965, UA DEBU 33.225 Vgl. Unterlagen UA EFUD 690; Lebenslauf C. Weiss, S. 9.226 Interview mit Ehepaar E., ostdt. Gemeinmitglieder, Ebersdorf, 5. 12.2005, S. 10, Unterlagen H.

Richter.

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genommen h"tten.227 Die Mentalit"t des Neidens und Anschw"rzens, !ber dieUttendçrfer schon 1945 geklagt hatte, war dem SED-Regime n!tzlich, um dieStimmung gegen die Kirchen zu sch!ren. In der Gleichheitsgesellschaftscheint die Anf"lligkeit f!r Neid undMissgunst besonders ausgepr"gt gewesenzu sein.228 Der Neid war so massiv, dass Herrnhuter in Ostdeutschland nochnach der Wende die Transferleistungen bagatellisierten, anstatt die Vorw!rfeals absurd zur!ck zu weisen. Denn schließlich dienten die Spendengelder demAllgemeinwohl, und von den diakonischen Einrichtungen profitierten auchdie Neider.229

Trotz aller Bem!hungen schritt die internationale Isolierung nach demMauerbau unaufhaltsam fort. Besonders f!r die Beziehungen zwischen derostdeutschen und der US-amerikanischen Gemeine war der Mauerbau einschwerer Einschnitt, da der Hauptumschlagsplatz West-Berlin wegfiel. An dieUS-Gemeine schrieben die westdeutschen Herrnhuter wenige Tage nach dem13. August 1961: „Besonders f!r unsere Geschwister jenseits des EisernenVorhangs ist es sehr schwer, jetzt so vçllig von uns abgeschnitten zu sein. […]Wir sind !berzeugt, dass auch Ihr f!rbittend dieser Nçte gedenkt.“230 Tat-s"chlich nannte dieMoravian Church – derenRegierung zur Entt"uschung derDeutschen erleichtert war, dass mit dem Mauerbau die massiven internatio-nalen Spannungen zun"chst nachließen – f!r die Gebetswacht 1962 als einesihrer Anliegen die Bitte um eine Lçsung des deutschen Problems.231 Doch dief!hrenden Moraven in den verschiedenen L"ndern kannten sich immer we-niger, sahen sich hçchstens auf Unit"tskonferenzen, den seltenen Unit"ts-synoden oder auf çkumenischen Treffen, ab und zu bei Besuchen der US-F!hrungskr"fte in Herrnhut. Nach dem Mauerbau 1961 wurde der von dersozialistischen Postzensur beobachtete Briefwechsel zwischen den Herrnhu-tern und den Moraven fade: Organisatorisches, Weihnachtsgr!ße, Erinne-rungen an die Synode 1957 in Bethlehem.232 Als 1966 F. P. Stocker seinenLeitungsposten in Bethlehem abgab – auch hier fand ein Generationenwechselstatt – und eine Reise nach Europa unternahm, wollte er partout nicht beieinem Gemeinhelferpaar wohnen, lehnte die zahlreichen, warmen Einladun-gen bis zur Unhçflichkeit ab und !bernachtete im G"steheim.233 Die Herrn-huter aus den verschiedenen Gesellschaftssystemen waren sich fremd ge-

227 Interview mit M., vgl. auch Interview mit Friedemann Hasting, ostdt. Gemeinmitglied,Ebersdorf, 6.12. 2005, Unterlagen H. Richter. Vgl. auch Graf, Theologie und Kirchenpolitik,S. 297.

228 Vgl. Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 9; Interview mit M., Bewohnerin Herrnhuts, Nicht-Ge-meinmitglied, Zittau, 4.7.2006.

229 Vgl. Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 9.230 K. Wunderling an K. G. Hamilton, 23.8. 1961, MAB 113EII, Germany, Western District.231 Gebetsgegenst"nde von der PEC, 2.2. 1962, UA DEBU 307; Prowe, S. 266 f.232 Vgl. den Briefwechsel in UA DEBU 523 u. 526.233 Briefwechsel zwischen E. Fçrster und F. P. Stocker, 1966, UA DEBU 523.

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worden. Fçrster undGill gehçrten zu denwenigen imOsten, die noch Englischsprachen.

Doch blieb das Bewusstsein, einer weltweiten Gemeinschaft anzugehçren,lebendig. Es gab geradezu einen Gegentrend, um w"hrend des Kalten Kriegesdie Einheit zu bewahren. Das Unity Board, die internationale Unit"tsbehçrde,war unter dem US-Amerikaner John Groenfeldt bem!ht, die Zusammenge-hçrigkeit zu festigen und verçffentlichte beispielsweise seit den siebzigerJahren regelm"ßig den „Unity Newsletter“ mit Nachrichten aus der ganzenUnit"t.234 Auch die Besuche von insgesamt mehreren hundert US-Moravennach dem Mauerbau in Herrnhut trugen zur internationalen Zusammenge-hçrigkeit bei. Nach einer Reise 1966 schrieb Spaugh aus Winston-Salem nachHerrnhut: „Each morning as my wife and I read from the Daily Text Book wefind it much more meaningful since we have been where it had it’s beginningand where the selection of the text continues even today.“235

W"hrend die US-amerikanischen Gemeinden expandierten, k"mpfte dieGemeine in der DDR mit stagnierenden, in geringem Umfang auch mit sin-kenden Mitgliederzahlen. Und w"hrend die DDR-Gemeine systematisch ausdem çffentlichen Leben gedr"ngt wurde, entdeckten die Moraven neueHandlungsfelder und bezogen in den Rassenunruhen Stellung f!r die Afro-amerikaner, die in den sechziger Jahren Opfer brutaler Anschl"ge wurden.236

In den Jahresberichten der US-Amerikaner spiegelt sich der Wertewandel dersechziger Jahre und der Aufbruch eines S"kularçkumenismus, der zuneh-mend auch den %RK pr"gte. Die Jugend der Moravian Church beteiligte sichvielmals an den Unruhen unter den Studenten.237 Zwar erhielt der S"kular-çkumenismus gerade f!r Christen in den Ostblockstaaten eine große Be-deutung, doch die zivilgesellschaftlichen Strçmungen der sechziger undsiebziger Jahre spielten f!r die DDR-Herrnhuter kaum eine Rolle. Auch aus derBundesrepublik oder Amerika drang nur wenig davon in die geschlossenesozialistische Gesellschaft.

Die Internationalit"t in Herrnhut blieb dennoch stets stark genug, um dieStaatsbehçrden in Alarmbereitschaft zu halten. Da man die weltweite Ver-netzung der Unit"t nutzen wollte, musste man !ber sie Bescheid wissen undsie !berwachen. Der f!r Inneres imBezirk Dresden zust"ndige Genosse Riedelordnete 1969 an, die Informationst"tigkeit !ber das Besuchsleben inHerrnhutzu intensivieren; j!ngst sei eine Delegation von sowjetischen Spezialisten ausEisenh!ttenstadt nach Herrnhut gekommen, anstatt sich mit staatlichenVertretern zu treffen. Die Kreisfunktion"re befolgten die Anordnung undmeldeten jeden Besucher. Wieder funktionierte die l!ckenlose $berwachung

234 Bericht des Unity Board, Unit"ts-Synode 1981, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/171.235 R. G. Spaugh an E. Fçrster, 23. 2.1966, UA DEBU 526.236 Waldschmidt-Nelson, S. 122237 Berichte Nord- und S!dprovinz, sechziger Jahre, MAB 173FI, Unity Board 1966; Report to the

Unity Board, Moravian Church in America, Northern Province, 1969, S. 4, MAB 173FI, UnityBoard 1966.

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ganz ohne dasMfS.238 In einem Bericht des Rates des Bezirkes wurdeHerrnhutim Sommer 1966 als stark von der Unit"t und ihren internationalen Kontaktenbeeinflusst beschrieben. Zu den f!hrenden M"nnern gehçrten der „Unit"ts-direktor Fçrster (sehr zugeknçpft)“ und „der Schweizer B!rger Merian, einWirtschaftsfunktion"r“: der „Mann mit den meisten Verbindungen“, vordessen Haus „laufend PKW aus der ganzen Republik und dem Ausland“st!nden. T"glich, so der Bericht weiter, k"men in Herrnhut zwei Busse mitTouristen an, und aus den USA stehe eine „Millionen-Dollar-Spende“ bevor,umHerrnhut wiederaufzubauen.239 Auchwenn die Dollar-Millionen ins Reichder Phantasie gehçrten, konnte das noch immer in Tr!mmern liegendeHerrnhut in der Tat nur mit ausl"ndischer Hilfe aufgebaut werden; dieStaatsorgane selbst taten sich vor allem mit der Ablehnung von Baugeneh-migungen hervor. Der Kirchensaal stand zwar wieder, doch auf den Ruinenringsum wucherte Geb!sch und wuchsen B"ume, die zum Verdruss derstolzen Herrnhuter eines der beliebtesten Fotomotive der West-Touristendarstellten.240

Als Helmut Hickel 1969 Direktionsvorsitzender und erster Ansprechpart-ner der Behçrden wurde, betonte er die besondere Loyalit"t, die in der fr!henTrennung der Ost- von der Westgemeine deutlich geworden sei. Damit habedie Unit"t „schon nach 1945 bewusst die politischen Realit"ten anerkannt,indem auf deutschem Boden zwei vçllig getrennt voneinander funktionie-rende Direktionen und Synoden eingerichtet worden seien.“241 Hickel be-nutzte diese Aussage gewiss taktisch. Und tats"chlich schrieb der imBezirk f!rKirchenfragen zust"ndige Horst Dohle 1971: Trotz entgegen gesetzter Erkl"-rungen Hickels sei „die besondere N"he zu denwestdeutschen Gemeinden“ inder Br!dergemeine noch nicht !berwunden.242 Dennoch war auch die Ent-fremdung zwischen den Geschwistern in Ost und West unaufhaltsam. Schonin den f!nfziger Jahren etwa hatte der intensive briefliche Austausch zwischenOst und West nachgelassen.243 Als der Distrikt Bad Boll eine neue Gemeinegr!ndete und die Direktion in Herrnhut erst nachtr"glich informierte, warHelmut Hickel tief ersch!ttert. Noch nie hatte er die Isolation so stark emp-

238 Riedel, Inneres, RdB Drd., an RdK Lçbau, 7.4. 1970, HStA Drd. 11430, Nr. 10860; vgl. die Mo-natsberichte des RdK Lçbau, HStA Drd. 11430, Nr. 10926.

239 RdB Drd., Stellv. Vorsitzender R. Lindner, an amt. Vorsitzenden R. Opitz, 2.8. 1966, HStADrd. 11430, Nr. 10872; vgl. zur Situation in Ebersdorf und Kreis Lobenstein BerichterstattungKreissekret"r Greis an BV Gera CDU, sechziger Jahre, ACDP II-209-001/2.

240 Engel, SED-BL, Staat und Recht, an Krolikowski, 30. 10.1969, HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633; An die Geschwister in den Gemeinbereichen, Herbst 1971, UA DEBU 658.

241 Dohle, RdB, Betr. Gespr"ch mit der Direktion der EBU, 18.4.1972, BA DO 4/1554; "hnlichRuttlof, RdK Lçbau, an Scheler, RdB Dresden, 24.1. 1974, HStA Drd. 11430, Nr. 11026; vgl. auchGespr"ch mit der EBU, RdB, 18.4. 1972, HStA Drd. 11430, Nr. 10860; Vorlage SED-KL an SED-BL, 19.9. 1973, HStA Drd. 11857, Nr. IV C-2/14/ 676; Gutachten H. Dohle !ber C. Ordnung,250 Jahre Herrnhut, 10.1. 1972, BA DR 1/2432.

242 Gutachten H. Dohle !ber Herrnhut – Ursprung und Auftrag, 29.12.1971, BA DR 1/2539.243 Vgl. die Korrespondenzen UA DEBU 28–31.

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funden.244 Die Trennung der Evangelischen Kirche in Deutschlaned 1969 ineine EKD f!r die westlichen Gliedkirchen und einen Bund EvangelischerKirchen in der DDR (BEK) f!r die çstlichen Gliedkirchen – die schwer um-stritten war und f!r viele landeskirchliche Theologen als Einknicken gegen-!ber dem SED-Regime galt – vollzogen die Herrnhuter ohne Einw"nde mitund gliederten sich im Ost-Distrikt dem neuen Kirchenbund als assoziiertesMitglied an.245 Nie h"tten sie in einer solchen Frage mehr gefordert als dieLandeskirchen. Dennoch glaubte die Br!dergemeine, in einer besseren Posi-tion zu sein: „Was f!r die EKD schließlich doch zur lange hinausgezçgertenorganisatorischen Trennung f!hrte, hat uns in der Br!dergemeine nicht ganzso getroffen. Auf der Unit"tssynode in Potstejn [1967] saßen wir mit denBr!dern […] als ungeteilte Europ"isch-Festl"ndische Delegation und f!hltenuns auch so,“ erkl"rte Gill r!ckblickend.246 Wenn man Hickels Lippenbe-kenntnisse gegen!ber staatlichen Stellen bedenkt, die Br!dergemeine habeihre Loyalit"t durch ihre konsequente Trennung in Ost- und West-Distriktbewiesen, wird einmal mehr der taktierende Kurs der Gemeine deutlich.Gegen die Trennung der EKDhatte sie wenig einzuwenden, ihre eigene Teilungproklamierte sie nach außen als Loyalit"tsbekenntnis f!r den Staat, aber in-tern empfanden sie sich im Vergleich mit den Landeskirchen doch als besserund konsequenter.

Im Osten stellte man sich auf die Isolation und die Strukturver"nderungenein. Die Ortsgemeinen schrumpften, die Diaspora, aufgeteilt in „Bereichsge-meinen“, wurde immer wichtiger. Neue Formen des Festes gewannen an Be-deutung, wie die j"hrlichen „Gemeintage“, in der rund hundert Mitgliedereiner Bereichsgemeine zusammen kamen und ihre Gemeinschaft feierten,Vortr"ge hçrten, gemeinsam die Bibel lasen und sich austauschten. „DieseTreffen sind sehr beliebt und auch wichtig f!r die Erhaltung der ,Einigkeit imGeist’ (Eph. 4,3), unter den besonderen Bedingungen, die unser kirchlichesLeben hier erschweren“, erkl"rte 1967 die Distriktssynode Ost.247 DenHerrnhutern war es damit wieder einmal gelungen, als Antwort auf einemissliche Lage Formen zu schaffen, die die Probleme linderten.248 Eine Sorgeblieb dennoch die Regression der Mitglieder in den Ortsgemeinen. 1968 heißtes im Bericht der Distriktssynode Herrnhut: Statt des „ewigen Klagens !berdas Schrumpfen der Ortsgemeinen“ gelte es „einmal ein frçhliches, dankbares

244 Br!derboten sechziger und siebziger Jahre; Interview mit Gudrun Meyer, von DDR in BRDgezogen, Herrnhut, 7. 2. 2007, Unterlagen H. Richter.

245 Lepp, Tabu der Einheit?; vgl. Unterlagen 1970, UA DEBU 34; Kirchner, Evangelische Landes-kirchen und die Freikirchen, S. 38 f.

246 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 6.247 Bericht des Distrikts Herrnhut an die Unit"tssynode 1967, S. 3 f. , MAB 173HI Unit"tssynode,

1967-S420.248 Bericht des Distrikts Herrnhut an die Unit"tssynode 1967, S. 5, MAB 173HI Unit"tssynode,

1967-S420; Protokoll !ber gemeinsame Sitzung von EFUD und DUD in Berlin, 19./20.1. 1961,UA DEBU 32.

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,Ja’“ auszusprechen. Die Kirche sei dazu da, um zerstreut zu werden. „Wissenwir das, sehenwir unsereAufgabe in der Zerstreuung und nehmen sie wahr, ob,ortsans"ssig’ oder ,ausw"rtig’? Unser Weg geht in die W!ste – die Zerstreu-ung. Unsere V"ter wussten davon: Herrnhut soll nicht l"nger stehen, als dieWerke deiner Hand ungehindert drinnen gehen, und die Liebe sei sein Band,bis wir fertig und gew"rtig, als ein gutes Salz der Erden, n!tzlich ausgestreutzu werden.“249 Die Tradition des Pilgerwegs wurde wie schon in der Nach-kriegszeit reformuliert, um mit der Situation fertig zu werden.

Auch in den Großst"dten hatte die Br!dergemeine zu k"mpfen. DietrichSchiewe versorgte zusammenmit seiner Frau unter widrigstenUmst"nden dieOstberliner Gemeine, und dennoch nahm der Versammlungsbesuch stetigab. 1968 fragte er sich: „Hat es einen inneren Sinn, eine Br!dergemeine in derGroßstadt weiterzuf!hren?“250 Dabei hatte die Gemeine allein durch ihre Lagein Berlin eine wichtige Funktion: Die Pfarrwohnung wurde Anlaufstelle f!rzahlreiche G"ste aus Westdeutschland und aus $bersee. Zudem çffneten sichgerade der Großstadtgemeinde Bevçlkerungsschichten, die den Herrnhuternvielfach verloren gegangen waren. In kleinen Zirkeln sammelte das Gemein-helferpaar junge Akademiker, die zum Teil in der Akademie der Wissen-schaften t"tig waren und nur teilweise zur Br!dergemeine gehçrten. Bei die-sen Treffen wurden gesellschaftliche Fragen behandelt und verbotene Litera-tur gelesen. Zum Bedauern des Gemeinhelfers gingen die jungen Paare kaumin die sonnt"glichenPredigtversammlungen (dieKerngemeinde bildeten nachwie vor die Fl!chtlinge aus demWarthebruch) und hielten sich auch sonst vonder Gemeine fern.251 So verst"rkte sich in der DDR-Gemeine in den sechzigerJahren zwar der Trend weg von einem Bildungsb!rgertum hin zu Mitgliedernin handwerklichen oder diakonischen Berufen.252 Gleichzeitig gelang es Ge-meinen in der Großstadt neue Kreise zu binden. Interessanterweise beschriebdie Pfarrfrau in Ost-Berlin die treuen Warthebruchgeschwister, die ja ur-spr!nglich nur zur Diaspora gehçrten, als un-herrnhutisch, als „Landleute,einfache Bildung, einfache T"tigkeit, kein B!rgertum der Br!dergemeine“.253

Das war nicht despektierlich gemeint, denn die Herrnhuterin schw"rmte zu-gleich von der tiefen Frçmmigkeit dieser Menschen. Den Kreis der Jungaka-demiker hingegen empfand sie als „Herrnhuter Frçmmigkeit“, obwohl sie

249 „Bericht !ber die Distriktssynode Herrnhut, 22.–27. April 11968, in: Der Br!derbote, Bad Boll,Juni 1968.

250 Erg"nzungsbericht 1968 Berlin II u. die anderen Berichte der sechziger Jahre, UA DEBU 703.251 Bericht Anfangsjahre der Br!dergemeine Berlin II, S. 5, 24.9. 2006, Archiv Br!dergemeine

Berlin II.252 Evangelische Br!der-Unit"t, DistriktHerrnhut vonK. E. Langerfeld, o.D., u. weitere Akten inUA

DEBU 518; „Bericht !ber die Distriktssynode Herrnhut“, 22.–27.4. 1968, in: Der Br!derbote,Bad Boll, 6/1968.

253 Interview mit S., ostdt. Frau eines Gemeinhelfers, 12.2. 2007; Interview mit Ehepaar X., ostdt.Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 38, UA; Erg"nzungsbericht zum Jahresbericht Berlin II 1968 u.andere Berichte Berlin II, UA DEBU 703; Briefwechsel U. B. mit H. Richter, Mai-Juli 2007,Unterlagen H. Richter.

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zugleich erkl"rte, es sei in diesemKreis nicht um den Glauben gegangen. Ganz"hnlich "ußerten sich auch andere Herrnhuter. So lebte in den Großstadtge-meinden das s"kulare, bildungsb!rgerliche Herrnhutertum neu auf.

5.3.4 Die Tschechische Provinz im Vergleich unddie Unit"tssynode in der CSSR 1967

Bei den internationalen Beziehungen der Gemeine in der DDR spielte dietschechische Provinz eine besondere Rolle. Die Br!dergemeine in demNachbarland, die seit 1946 eine selbst"ndige Provinz war, z"hlte 19486759 Mitglieder, 1992 hatte sie noch rund 5000. Damit war auch hier dieMitgliederzahl erstaunlich konstant geblieben,254 obwohl die Unterdr!ckungder Christen in der Tschechoslowakei wesentlich brutaler war als in der DDR.Empfindlich trafen die Machthaber die Kirchen mit dem Verbot von Bibel-verk"ufen und -drucken, so dass Bibeln bis zur Wende eine absolute Man-gelware blieben.255 Pfarrer brauchten seit 1949 eine staatliche Lizenz zumPredigen und bezogen ein Staatsgehalt – das zu den niedrigsten Einkommenin der Gesellschaft gehçrte. Jede Personalfrage, egal ob Bischof oder Laien-mitarbeiter, !berpr!ften die staatlichen Behçrden. Anders als in der DDR, inder Pfarrer nicht zuletzt wegen ihrer finanziellen Unabh"ngigkeit einen ge-wissenHandlungsspielraumhatten, waren tschechoslowakische Pfarrer damithochgradig vom Wohlwollen des Regimes abh"ngig.256 Br!derische Lehrerund Dozenten mussten sich wie das ganze Lehrpersonal an Schulen undUniversit"ten – abgesehen von den theologischen Fakult"ten – vom Chris-tentum distanzieren oder verloren ihre Arbeit.257 Da f!r ein Theologiestudiumanders als in der DDR das Abitur einer staatlichen Oberschule notwendig war,christliche Jugendliche aber nur selten eine solche besuchen durften, blutetenviele Kirchen allein wegen des Mitarbeitermangels aus.258

Heinz Renkewitz in Bad Boll, der zu den Gegnern des NS-Regimes gehçrthatte, sorgte sich, ob die Unit"t nunmehr in der Tschechoslowakei denMachthabern mehr gehorche als Gott. Nachdem er durch die Presse erfahrenhatte, dass die tschechische Br!dergemeine offiziell die religionsfeindlichenGesetze von 1949 gut geheißen habe, schrieb er besorgt an Stocker nach

254 Statistics of the Czech District, 1935, MAB 99HII, CZECHOSLOVAKIA; K. Reichel an SchwesterMerian, 14.5. 1949, UADEBU 514; Reformed Churches, L. Vischer, 1992,%RK-Archiv 475.2.016.

255 H. Motel an %RK, 19.3. 1965, %RK-Archiv 42.4.029.256 Vgl. Briefwechselmit Hansel, f!nfziger Jahre; K. Reichel anW. Baudert, 14. 11.1949 u. K. Reichel

an J. Vogt, 9. 3.1953, alle Dokumente in UA DEBU 514; Church and State in Czechoslovakia, P.Bock, 1974, MAB Unterlagen Freeman; vgl. auch „Zu den Ereignissen in der CSSR“, in: DerBr!derbote, 3/1990.

257 R. Kalfus an F. P. Stocker, 23.5. 1958,MAB 99HII, CZECHOSLOVAKIA; E.Wilson an F. P. Stocker,21.5. 1959, MAB 113EII, Czechoslovakia.

258 Information for the Unity Prayer Watch 1975, MAB 166HI, Prayer Watch 1966–1977.

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Bethlehem: „Wir sind ebenso wie Ihr in großer Sorge um die Stellungnahmeunserer Br!der. Gerade, wenn wir daran denken, wie furchtbar schwer solcheEntscheidungen sind und was wir in dieser Beziehung in den Jahren desKirchenkampfes in Deutschland erlebt haben, auch an eigenem Versagen.“Renkewitz bat die Br!der in den USA, an die tschechischen Herrnhuter zuschreiben und ihnen „geistliche Hilfe zu geben“.259 Der massive Einfluss, dender Staat auf das kirchliche Leben hatte, durchtr"nkte vielmals die interna-tionalen Kontakte mit Misstrauen.260 Bad Boll, London und Bethlehemtauschten sich oft !ber die Situation in der Tschechoslowakei aus und dis-kutierten, wie am besten damit umzugehen sei.261

Ein schwieriger Fall war der tschechische Bruder Radim Kalfus, der we-sentlich f!r die Kontakte der Br!dergemeine ins Ausland verantwortlich war.Anfang der sechziger Jahre zwang das staatsozialistische Regime die Herrn-huter, Kalfus in ihr Direktorium, den „Engen Rat“, zu w"hlen, nachdem dieGemeine ihn f!r dieses Amt abgelehnt hatte.262 Kalfus’ zwielichtige Rolle warweithin bekannt, auchwenn dieUnit"t sich bem!hte,!ber diese unangenehmeSache die viel beschworene Liebe walten zu lassen und Kalfus !berallfreundlich aufgenommen wurde. 1968 schließlich duldete es der tschecho-slowakische Staat, dass der verd"chtige Bruder abgew"hlt wurde. Im inter-nationalen Informationsbrief der Unitas Fratrum hieß es dann, Kalfus „has tohave a larger space for his abilities“.263 Auch wenn der Distrikt Herrnhut stetsmit der „Gratwanderung“ zwischen Anpassung und Verweigerung zu k"mp-fen hatte, so war seine Positionierung gegen!ber dem sozialistischen Staatdoch ungleich deutlicher und distanzierter als die der Unit"t in der Tsche-choslowakei. Schließlich hatten die Kirchen in der DDR verglichen mit allenanderen Kirchen der Ostblockstaaten die grçßten Handlungsspielr"ume.

Bis Mitte der sechziger Jahre setzte der tschechoslowakische Staat ihmunliebsame Prediger der Br!der-Unit"t ab. Groenfeldt schrieb 1967 nacheinem Besuch in der CSSR: „Several of our ministers have had their ,license topreach’ withdrawn and several others have had this threatened unless theyshow a more cooperative attitude.“264 Anders als die Br!dergemeine der DDRwar die Tschechische Provinz Mitglied in der Sozialismus-konformen PragerChristlichen Friedenskonferenz (CFK) auch noch nach 1968, als das Regime

259 H. Renkewitz an F. P. Stocker, 4. 11.1949, MAB 104FI, H. Renkewitz.260 Vgl. etwa H. Renkewitz an F. P. Stocker, 22.3. 1951 u. andere Briefe in 104FI, H. Renkewitz; J. S.

Groenfeldt an B. Hruby, 11. 8.1967, MAB 173FI, Unity Synod, 1967.261 Z. B. F. P. Stocker an H. Renkewitz, 2.3. 1951 u. weitere Unterlagen in 104FI, H. Renkewitz;

Unterlagen in 173FI, Unity Board 1966.262 H. Reichel an Geschwister, 26.10.1961, vertraulich, UA EFUD 655.263 Letter to the Provinces andUndertakings of theUnity, No. 2, 15.1. 1969,MAB173FI,Unity Board

1966; vgl. zur Abwahl Kalfus’ P. W. Schaberg an Provinces of the Unity, 25. 5.1968, MAB 173FI,Unity Board 1966; vgl. auch Interview mit GudrunMeyer, von DDR in BRD gezogen, Herrnhut,7. 2.2007, Unterlagen H. Richter.

264 J. S. Groenfeldt an B. Hruby, 11.8. 1967,MAB 173FI, Unity Synod, 1967; „Churches andReligiousSocieties in Czechoslovakia“, A. Ulrich, 1973, S. 9, MAB Unterlagen Freeman.

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die letzten Mçglichkeiten freien Meinungsaustausches ausgemerzt hatte.265

Westliche Besucher registrierten den enormen Unterschied zwischen demertr"glichen kirchlichen Leben in der DDRund demmassiven Druck, dem dieChristen in der Tschechoslowakei ausgesetzt waren. Die Reisenden f!hltensich in der Tschechoslowakei oft verunsichert, auf Schritt und Tritt !berwacht.„In East Germany we found a very vital and alive Church, but in Czechosl-ovakia we found the Church people to be almost defeated. There was an air ofpessimism about the work and the people in the Czech Church“, schrieb einUS-Amerikaner !ber eine Reise zur Br!dergemeine in beiden L"ndern.266

Daf!r bemerkten die westlichen Besucher aber etwas anderes. Pr"sidentStocker aus Bethlehem schrieb !ber seine Reiseeindr!cke: „One thing whichwas always evident in Czechoslovakia was the pride our ministers and peoplefelt in the noble and heroic history of the ancient Unitas Fratrum.“267

Die bereits erw"hnte Geste der tschechischen Herrnhuter 1945, durch daskriegszerstçrte Land nach Herrnhut zu kommen, um dort bei den Sowjets f!rdie deutsche Gemeine zu bitten, lud sich im Laufe der folgenden Jahre sym-bolisch auf und wurde zum Inbegriff des versçhnlichen Geistes und derbr!derlichen Verbundenheit. Seit Kriegsende verstanden die Herrnhuter,insbesondere Johannes Vogt und der von den Nationalsozialisten schwermisshandelte Karel Reichel, den Kontakt zwischen Deutschen und Tschechenals ein Zeichen der Versçhnung. Die beiden Gemeinen unterhielten bis zuletztenge Beziehungen, auch wenn die Kontakte wegen der Grenzpolitik zeitweisenur schwer aufrecht zu erhalten waren.268 So oft wie mçglich besuchten siesich, schickten G"ste zu den Predigerkonferenzen und sobald der DistriktHerrnhut dazu in der Lage war, half er den tschechischen Geschwistern ma-teriell aus. Wichtig war die Hilfe der Deutschen f!r die Beschaffung christli-cher Literatur, insbesondere vonBibeln. Dabei half auch derWest-Distrikt, dersich ebenfalls diesen Kontakten verpflichtet f!hlte und h"ufig im Br!derbotenvon der Gemeine in der Tschechoslowakei berichtete.269

Die Beziehungen zwischen der Br!dergemeine in der DDR und in derTschechoslowakei passten ins Konzept der SED. Schon Anfang der f!nfzigerJahre hatte ein DDR-Staatsfunktion"r empfohlen, „der Deutschen Br!der-Unit"t den Weg zu den Bruderschaften in den Volksrepubliken besonders zu

265 „Churches and Religious Societies in Czechoslovakia“, A. Ulrich, 1973, S. 9, MAB UnterlagenFreeman.

266 Paper von C. S., ohne Titel, 1973, vgl. auch weitere Unterlagen in MAB Unterlagen A. Freeman;Interview mit Ehepaar Doris und David Schattschneider, US-Gemeinmitglieder u. (David)Theologieprofessor am Theological Seminary Bethlehem, Bethlehem, USA, 16.5. 2005, S. 9 f. ,UnterlagenH. Richter ; vgl. E.Wilson an F. P. Stocker, 21.5. 1959,MAB 113EII, Czechoslovakia; J.S. Groenfeldt an B. Hruby, 11.8.1967, MAB FI, Unity Synod, 1967.

267 Travel Lettery, F. P. Stocker, 15.8. 1948, S. 7, MAB 104GI, Amsterdam + Europe Stocker.268 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 7; vgl. Briefwechsel in UA DEBU 514; J. Vogt an K. Reichel, 24.3.

1953, UA DEBU 514; E. Fçrster an Schw. Reichel, 3. 11.1970, UA DEBU 518; UA DEBU 515.269 Z. B. „Lasset uns laufen durch Geduld“, in: Der Br!derbote, Juli 1959; H. Motel an %RK, 19.3.

1965, %RK-Archiv 42.4.029; Clemens, Von Hus bis Heute, S. 20.

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erleichtern und so in Herrnhut ein Gegengewicht zu Bad Boll, dem Sitz derUnit"t f!r den Westen, zu schaffen.“270 Die mit Kirchenfragen befasstenStaatsfunktion"re in den sozialistischen L"ndern tauschten sich regelm"ßig!ber ihre „Auseinandersetzung mit den Kirchenleitungen“ aus.271 Wesentli-cher Bestandteil der Taktik war es, die Kontakte der Kirchen in sozialistischenL"ndern zu st"rken und dabei die Westkontakte zu schw"chen. Eine wichtigeRolle spielte hierbei die von sozialistischen L"ndern gefçrderte çkumenischePrager Christliche Friedenskonferenz. Wohl nicht zuletzt aufgrund diesertaktischen Erw"gungen durften die Herrnhuter Mitte der f!nfziger Jahrewieder persçnlichen Kontakt zur tschechischen Br!der-Unit"t aufnehmen.Den Auftakt machte 1955 Bischof Vogt. Er reiste zehn Tage durch die Tsche-choslowakei mit einer gesamtdeutschen kirchlichen Delegation, an der auchGustav Heinemann und Bischof Dibelius beteiligt waren. Die Herren wurdenvom Botschafter der DDR in Prag und gleich zweimal vom Staatlichen Kir-chenamt empfangen. Angesichts der bedr!ckenden Situation der Kirchen imLand klangen die Beteuerungen des Funktion"rs im Staatskirchenamt zy-nisch, seine Regierung wolle nicht mit Gewalt dem Volk seine Religion neh-men.272 Sp"testens ab den siebziger Jahren trafen sich der Enge Rat und dieDirektion Herrnhut j"hrlich zu einer Aussprache.273 1957 durfte der TheologeWolfgang Caffier in die Tschechoslowakei reisen. Dort lernte er, wie er ineinem anschließenden Bericht an das Staatssekretariat f!r Kirchenfragenschrieb, dass ein „Bekenntnis zur gesellschaftlichen Neuordnung nicht zumVerrat an der Kirche f!hrt, sondern vielmehr zur Befreiung der Kirche zuihrem eigentlichenAuftrag“; worauf ihn das Staatssekretariat aufforderte, eineArbeit !ber die gesellschaftliche Neuordnung und die Freiheit der Kirche zuschreiben.274 F!r die Br!dergemeine nutzte das SED-Regime vor allemdie 500-Jahrfeier 1957, um die Verbindungen innerhalb der sozialistischen Staaten zuforcieren. In der CDU-Presse fehlte in den zahlreichen Artikeln !ber dasJubil"um nie der Hinweis auf die Wurzeln in der Tschechoslowakei.275

Die Br!dergemeine entdeckte nach 1945 ganz neu das Erbe derAltenUnitasFratrummit ihren tschechischen V"tern Jan Hus und Johann Amos Comenius– ein Erbe, das w"hrend der nationalistischen und nationalsozialistischenVergangenheit wenig ins Selbstverst"ndnis gepasst hatte.276 Als Anfang der

270 Auskunftsbericht !ber die Deutsche Br!der-Unit"t, o.A., wohl 1951, BA DO 4/1520.271 Kurzer Bericht !ber die Beratungen in Prag, 8. 12.1957 u. andere Unterlagen in SAPMO-BA DY

30 / IV 2/14/93; Unterlagen in SAPMO-BA DY 30 / IVA 2/14/15.272 Bericht einer Reise in die Tschechoslowakei vom 19.–29.3.1955, J. Vogt, S. 3 u. 7, MAB 113FI,

Germany East Zone 45–59.273 Th. Gill an H. Bintz, 10.1. 1975, S. 3, UA EFUD 659.274 Briefwechsel W. Caffier und Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, Juni 1957, BA DO 4 / 48b.275 500 Jahre Br!der-Unit"t”, in: Union, 25.6. 1957; „Das Erbe der Br!der-Unit"t“, in: Neue Zeit,

5. 6.1957 und andere Artikel 1957 in SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/250.276 Beispielhaft daf!r ist der Name „Comenius“ f!r das in den siebziger Jahren erçffnete Behin-

dertenheim in Herrnhut; vgl. Wirth, Nachwort, S. 368; Blaufuß skizziert die Rezeptionsge-

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siebziger Jahre der Staatsfunktion"r Horst Dohle behauptete, die Neuentde-ckung des Erbes von Hus und Comenius in der Br!dergemeine sei der DDRund ihrem freundschaftlichen Verh"ltnis zur CSSR zu danken, hatte er inso-fern recht, als der politische Kontext stets Einfluss auf die br!derische Tra-dition und ihre Reformulierung nahm.277 Die tschechischen Herrnhuter hin-gegen lçsten sich nach 1945 vielfach von ihren deutschen Wurzeln. In ihremneuen Gesangbuch von 1955 waren nur noch dreißig Prozent der Lieder ausdem Deutschen; bisher waren es siebzig Prozent gewesen. Die Traditionser-findungen stellten die historischen Kausalit"ten immer wieder auf den Kopf,denn die nach 1945weltweit beschworenen „tschechischenWurzeln“, waren jaeine Traditions-Usurpation Zinzendorfs gewesen; und das Revival schließlichim 19. Jahrhundert im „Land der V"ter“, ohne das es im 20. Jahrhundert keineGemeine in Bçhmen und M"hren gegeben h"tte, war ein deutsch-amerika-nisches Projekt der Unit"t gewesen und hatte nichts mit irgendwelchen bçh-mischen Wurzeln zu tun.278

F!r die Br!dergemeine in Tschechien wie in der DDR blieb die weltweiteVerbundenheit wesentlicher Bestandteil ihres Selbstverst"ndnisses. Aller-dings hatten sie wegen der extrem repressiven Kirchenpolitik der CSSR l"ngstnicht die gleichen Mçglichkeiten wie die Br!dergemeine in der DDR. Dochnutzten die Tschechoslowaken alle Mçglichkeiten, um die internationaleIsolation zu lockern. Ein Morave aus den USA berichtete Mitte der sechzigerJahre nach einer Reise, dass die Glaubensgenossen in der CSSR oft den Sender„Voice of America“ hçrten und daher recht gut !ber die Weltereignisse in-formiert seien.279 Auch f!r die Gemeine in der Tschechoslowakei waren dieinternationalen Riten einwichtiges Band und die Gebetswacht einMedium f!rden Informationsaustausch. 1975 etwa nannte sie als Gebetsanliegen die Bitteum neue Mitarbeiter und den richtigen Umgang damit, dass eins ihrer Kir-chengeb"ude zwangsweise abgerissen werde.280 Die US-Amerikaner, die derTraditionserfindung !ber die M"hrischen Br!der besonderes Gewicht bei-maßen, unterhielten, so gut es ging, Kontakte zu den Tschechen.281 V'clavVancura, eine F!hrungsfigur der tschechoslowakischen Gemeine der Nach-kriegszeit, hatte in den Vorkriegsjahren am Moravian College in den USAstudiert.282 Und dieMoraven in denUSAund England hatten seit den dreißigerJahren dieHilfe f!r die tschechoslowakische Gemeine !bernommen, nachdem

schichte Hus’ im Pietismus bis zu Zinzendorf: Blaufuß, Korrespondierender Pietismus, S. 195–210.

277 Gutachten von H. Dohle !ber C. Ordnung „250 Jahre Herrnhut“, 10.1. 1972, BA DR 1 / 2432.278 „Neues Gesangbuch in CSSR“, Br!derbote, Mai 1955.279 J. S. Groenfeldt an B. Hruby, 11. 8.1967, MAB 173FI, Unity Synod, 1967.280 Information fot the Unity Prayer Watch 1975, MAB 116HI, Prayer Watch 1966–1977.281 Vgl. Unterlagen MAB 99HII, CZECHOSLOVAKIA.282 Travel Lettery, F. P. Stocker, 15.8. 1948, S. 2, MAB 104GI, Amsterdam + Europe Stocker.

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sich die deutschen Herrnhuter dort separiert hatten.283 Nach demKrieg halfendie Amerikaner der Tschechischen Provinz in großem Ausmaß, wenngleichdie Spenden nicht den Umfang wie den f!r die ostdeutschen Herrnhuter er-reichten. Die ganze Zeit des Sozialismus !ber ersannen sieWege, um den stetsmit Armut k"mpfenden Tschechoslowaken zu helfen.284 Der Pr"sident desMoravian College in Bethlehem, Raymond Haupert, engagierte sich f!r einenKulturaustausch. Dank seines Einsatzes und Kalfus’ guten Beziehungen zurBotschaft der CSSR in Washington durften ab und zu tschechoslowakischeHerrnhuter in die USA reisen. Manche Moraven, darunter Emigranten, dienach 1968 in die USA ausgewandert waren, warfen Haupert Blindgl"ubigkeitgegen!ber Kalfus vor.285 Die große Comenius-Statue vor dem neogotischenHauptgeb"ude des Moravian College zeugt nicht nur von dem Bed!rfnis derUS-Moraven, sich !ber die M"hrischen Br!der zu definieren, sondern auchvom internationalen Austausch zu Zeiten des Kalten Krieges: Nicht zuletztdank Kalfus’ Einsatz bekamen die tschechoslowakischen Herrnhuter ge-meinsam mit der Karlsuniversit"t in Prag die Erlaubnis, der amerikanischenMoravian Church 1960 diese Statue zu schenken. $berhaupt verdankten dieTschechen ihre Mçglichkeiten zu internationalem Austausch wohl diesemungeliebten Bruder Kalfus – und auch ihrer politischen Loyalit"t und Ange-passtheit.286

Gewiss gehçrte es zu Kalfus’ inoffiziellen staatlichen Aufgaben, die Uni-t"tssynode in die Tschechoslowakei zu holen.287 Gem"ß der Taktik der so-zialistischen Kirchenfunktion"re versuchte er zudem vor br!derischen in-ternationalen Konferenzen zusammen mit den DDR-Herrnhutern separateOst-Treffen abzuhalten, doch die Ostdeutschen lehnten entschieden ab. Daswar nicht ihr Verst"ndnis von weltweiter Verbundenheit.288 Die Provinzen inNordamerikaund Europaweigerten sich auch lange Zeit eineUnit"tssynode in

283 The Renewed Unitas Fratrum in Bohemia and Moravia, J. Halama, S. 9, MAB Unterlagen Fre-eman; Unterlagen in MAB 99HII, CZECHOSLOVAKIA; Zusammenfassung GemeinnachrichtenNr. 10, Bad Boll, 7. 9.1946 u. weitere Unterlagen in MAB 99GI, Moravian European Relief.

284 F. P. Stocker an C. H. Shawe, 29.10.1946 u. weitere Unterlagen in MAB 100FI, Unity GeneralDirectory ; F. P. Stocker an R. Kalfus, 4.11. 1958 u. weitere Unterlagen in MAB 99HII,CZECHOSLOVAKIA; J. S. Groenfeldt an R. Doth, 4.9. 1970, MAB 173FI, Unity Board 1966; F. P.Stocker an R. W. Barstow, Church World Service, 8. 2. 1949, MAB 112AI, World Council ofChurches; F. P. Stocker an J. K. Pfohl, 12.9. 1947,MAB 104FI, Bishop J. K. Pfohl; UnterlagenMAB115DII, Swiss Money 37; Unterlagen 103HI, F!rstenberger, J. G; Unterlagen MAB 104FI, BishopJ. K. Pfohl; Unterlagen MAB 295EI, Minutes Moravian Church Foundation; Unity newsletter,14.2. 1975, MAB 173HI, Newsletter.

285 F. P. Stocker an R. Kalfus, 4.11. 1958, MAB 99HII, CZECHOSLOVAKIA; J. S. Groenfeldt an R.Doth, 4. 9. 1970, MAB 173FI, Unity Board 1966; „Churches and Religious Societies inCzechoslovakia “, A. Ulrich, 1973, S. 7, MAB Unterlagen Freeman; Auskunft von US-Moraven,Bethlehem, USA, 2005.

286 F. P. Stocker, 30.6.1960, MAB 101H, Unity Committee.287 G. Hasting an H. Motel, 20.9. 1962, UA EFUD 656.288 J. Vogt an R. Kalfus, 16.3. 1963, UA DEBU 517; vgl. zur Strategie sozialistischer L"nder I. Mikl(s

an H. Seigewasser, 14.2. 1976, BA DO 4/4732; vgl. Unterlagen in BA DO 4 / 4746.

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einem Land durchzuf!hren, in dem die Kirche solch massiver Unterdr!ckungausgesetzt war.289 Schließlich aber gab die Unit"t dem Dr"ngen Kalfus’nach. 1967 trafen sich im tschechoslowakischen Potstejn 52 Delegierte zurUnit"tssynode. Erstmals waren afrikanische und s!damerikanische Br!der-kirchen als selbst"ndige Mitglieder dabei. Den 28 Vertretern der alten Pro-vinzen standen 24 Vertreter junger Provinzen gegen!ber, darunter ein Tibe-taner und 14 schwarze Br!der. Das war zwar angesichts ihres Mitgliedpro-porzes wenig, aber wesentlich mehr als in der Unit"tssynode 1957. Unter denDelegierten fand sich mit Cora Ives aus Großbritannien die erste Frau.290 Dertschechoslowakische Staat organisierte einen aufw"ndigen Rahmen, w"hrender gleichzeitig die G"ste streng von den Einheimischen isolierte. Der tsche-choslowakische Zweig des %RK lud ebenso zu einem Empfang wie Vertreterdes tschechoslowakischen Staates.291 Ganz ließ sich jedoch der Zusammenstoßder Kulturen nicht vermeiden. Als tschechoslowakische Schulkinder die G"stemit Liedern begr!ßten, hielt ein Bischof aus der Karibik eine Rede: Er freuesich, im Land der V"ter sein zu kçnnen, erkl"rte er dem sozialistischenNachwuchs, „auch in meinem Land, auf der Insel Jamaika, gilt heute dasWortder Bibel“.292

Auf der Synode konnten die !berseeischen Provinzen anders als die eu-rop"ischen von einem Wachstum ihrer Gemeine berichten. Surinam hatte1967 die grçßte Br!derkirche.293 In ihren Schulen unterrichteten 772 br!de-rische Lehrer rund 24 600 Sch!ler.294 So lebte die br!derische p"dagogischeTradition in einem anderen Weltteil fort. Eine wichtige Neuerung war eineRevision der Verfassung, die den ge"nderten internationalen Rahmenbedin-gungen gerecht wurde. Sie st"rkte die jungen Kirchen Afrikas und S!dame-rikas, indem sie denmeisten den Provinzialstatus einr"umte. Damit hatten siein den kommenden Unit"tssynoden wesentlich mehr Einfluss. Außerdembekr"ftigte die Verfassung erneut die internationale Einheit, indem eineUnit"tsbehçrde (Unity Board) eingerichtet wurde, die f!r mehr Effizienzsorgen und die bisherigen schwerf"lligen Kontrollgremien ersetzen sollte (vgl.Organigramm 1).295 Zudem wurde ein Unit"tsgebetstag installiert: An einem

289 H. Renkewitz an F. P. Stocker, 22. 3.1951 u. andere Briefe in 104FI, H. Renkewitz; F. P. Stocker anE. Fçrster, 4.3. 1965 u. E. Fçrsters an F. P. Stocker, 19.3. 1965, UA DEBU 523.

290 Zweiter Brief von Unit"tssynode, Th. Gill, 15.7. 1967, MAB 173HI, Unit"tssynode, 1967-S420.291 J. S. Groenfeldt an B. Hruby, 11.8. 1967, MAB 173FI, Unity Synod, 1967; Auszug aus D. Schiewe

von Unit"tssynode, 10.7. 1967 u. Th. Gill von Unit"tssynode, 3. 8.1967, MAB 173HI, Unit"ts-synode, 1967-S420.

292 Rundbriefe „An die Geschwister in den Gemeinbereichen“, September 1967, UA EFUD 657.293 Rundbriefe „An die Geschwister in den Gemeinbereichen“, September 1967 u. „Gruß aus der

weltweiten Arbeit der Herrnhuter Br!dergemeine, Herbst 1967 u. Jahreswechsel 1967/68, UAEFUD 657.

294 Zweiter Brief von Unit"tssynode, Th. Gill, 15.7. 1967, MAB 173HI, Unit"tssynode, 1967-S420.295 Dritter Brief von Unit"tssynode, D. Schiewe, 28.7. 1967, MAB 173HI, Unit"tssynode, 1967-S420;

vgl. dazu die Kritik von P. W. Schaberg, Some unofficial thoughts about Unity Synod, o.A., UADEBU 291.

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Sonntag um den 1. M"rz, dem Gr!ndungstag der alten Br!der-Unit"t 1417,sollte !berall f!r die Unit"t gebetet werden. Damit verbunden war das Uni-t"tsopfer, das j"hrlich f!r eine bestimmte Aufgabe erhoben werden sollte. Alsdie Frage aufkam, ob sich einzelne Provinzen von der Unit"t lçsen kçnnten,stand der greise US-amerikanische Bischof Hamilton auf und erkl"rte, dieGemeinschaft der Unit"t habe sich gerade auch nach den Wirren des letztenKrieges bew"hrt. Hamilton erinnerte die neue Generation daran, wie sehr dieKriegsgeneration die Einheit als Geschenk gesch"tzt habe.296 Einer aus dieserneuen Generation, Dietrich Schiewe, berichtete !ber die Synode: „Das, wasuns alle so reich und gl!cklichmachte, die Bruderschaft untereinander, wuchsim Stillen, und wir empfanden sie als ein unverdientes Gnadengeschenk.“297

Weitere Themen auf der Synode waren das Neuverst"ndnis von Mission unddie Forderung nach besserem Informationenaustausch unter den Provin-zen.298

Einig war sich die Synode in der Betonung sozialethischer Aufgaben, die inden sechziger Jahren allgemein und besonders in der çkumenischen Bewe-gung an Bedeutung gewannen. Die Unit"tssynode 1967 erließ ein Memoran-dum !ber „Kirche und die Gesellschaft“, das nicht frei von Einfl!ssen desGastgeberlandes gewesen zu sein scheint. Zinzendorfs Missionsidee wurdehier neu interpretiert: Das Evangeliumwar nicht Ausgangspunkt, von demherdieWelt geheilt werden sollte – vielmehr war seineWirkkraft gebunden an dieBedingungen menschlichen Seins. Dieser marxistisch !berformte Gedan-kengang fand sich in vielfachen Varianten in dem Papier. Damit erwies sichdas Memorandum einer Kirche, die in den westlichen L"ndern allenfalls alsliberal, aber keineswegs als dezidiert links galt, als ein bemerkenswertesZeugnis des Diskurses der sechziger Jahre. Eine gewisse Rolle maß das Papierparadoxerweise dennoch auch der Freiheit zu. Sie gelte demWort Gottes, dasvon jeder Ideologie frei gehalten werden m!sse, und dem Individuum: „Gotthat den Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen, darum betonen wir auchdie Freiheit des Menschen.“ In einem Kapitel mit der $berschrift „Weltfrie-den“ hieß es: „Wir erkennen, dass unter den Ursachen f!r Spannungen undStreit in der heutigen Welt auch die Missachtung der W!rde und Freiheit desMenschen eine Rolle spielt, ebenso wirtschaftliches und soziales Unrecht undFurcht“. Die Resolutionwandte sich an die Regierungen aller L"nder, in denensich die Unitas Fratrum befand, und bat sie, sich f!r den Frieden einzuset-zen.299 Inwiefern sich in dem Memorandum der regierungsnahe tschecho-

296 Dritter Brief von Unit"tssynode, D. Schiewe, 28.7. 1967, MAB 173HI, Unit"tssynode, 1967-S420;Gill, Unit"tssynode in Potstejn, S. 425, vgl. auch Dritter Brief von Unit"tssynode, Th. Gill, 3. 8.1967, MAB 173HI, Unit"tssynode, 1967-S420.

297 Rundbrief „Gruß aus der weltweitenArbeit derHerrnhuter Br!dergemeine, Jahreswechsel 1967/68, UA EFUD 657.

298 Unterlagen in UA S 420–5 (Unit"tssynode).299 Unit"tssynode 1967 in Pottenstein, Ausschuss f!r Kirche und Gesellschaft u. engl. Original in

MAB 173FI Unit"tssynode, 1967-S420.

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slowakische Kalfus oder der im %RK engagierte US-Amerikaner Groenfeldteingebracht haben, ist aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Jedenfalls erhieltdas Papier mit der Betonung der individuellen Freiheit und dem Recht einesjeden Menschen, den Kriegsdienst zu verweigern, auch Forderungen, die densozialistischen Regimen missfallen mussten. Ganz im Sinne Karl Barths aberwurde von jeder Positionierung f!r oder gegen ein Gesellschaftssystem ab-gesehen.

Da die Formulierungen allgemein gehalten waren und der Bezug zuChristus nicht fehlte, konnten auch die pietistisch orientierten Mitglieder mitder Resolution leben. Die Br!dergemeine in der DDR verwies in der Folgegerne auf den Abschnitt !ber den Weltfrieden, um gegen!ber den staatlichenBehçrden ihre friedensfçrdernde Rolle zu unterstreichen.300 In der Bericht-erstattung der ostdeutschen Delegierten f!r ihre Gemeine bildete das Me-morandum „Kirche und Gesellschaft“ nur einen untergeordneten Punkt. F!rGill jedenfalls war auch in dieser Synode die „großeHauptaufgabe, wo undwieam besten dasWort Gottes derWelt zu verk!ndigen sei“.301 In den USA jedochließ die Moravian Church f!r die Mitglieder und f!r die Selbstpr"sentationeigens ein Faltblatt mit dem Text des Memorandums drucken.302 Die Ann"-herung der amerikanischen und anderenwestlichen Gl"ubigen an Positionen,die sich mit dem Marxismus in Einklang bringen ließen, kann in ihrer Be-deutung f!r die Christen in derDDRnicht !bersch"tzt werden. AuchwennGillsich !ber die Problematik im Klaren war, wie #ußerungen von seiner Seitezeigen, so erleichterten solche Memoranden vielen anderen Gemeinhelfern,sich mit dem sozialistischen Regime zu arrangieren. Dabei blieb die Gemeinein der DDR insgesamt theologisch konservativ. Zwar gab es einige Geistlicheund eine Minderheit der Gemeinmitglieder in Großst"dten, die sich neuerentheologischen Strçmungen çffneten. Doch die Mehrheit der Gemeinhelferund Mitglieder blieb pietistisch-christozentrisch orientiert. In der Prediger-konferenz 1967 wurde von der „modernen Theologie“ als einer „Not“ ge-sprochen. Die Unit"tsleitung lehnte aber das von den Predigern geforderte„kl"rende Wort“ gegen die „moderne Theologie“ ab.303 Daf!r war ihr deroffene Diskurs zu wertvoll. Außerdem waren klare Worte in die eine oderandere Richtung nicht die St"rke der Unit"t. Dabei drohte allm"hlich vonanderer Seite Gefahr : Um den Prediger Werner Morgenstern scharten sichmehr und mehr charismatisch orientierte Herrnhuter.304

Wie immer bei br!derischen internationalen Treffen wurden die Gemein-mitglieder in der DDR auch !ber die Unit"tssynode in Potstejn detailliertinformiert. Theodor Gill und Dietrich Schiewe, der Prediger der Ost-Berliner

300 DEBU an CDU-Vorsitzenden G, Gçtting, 22.3. 1971, UA EFUD 658; Unterlagen 1967, ACDPVII–013–2122.

301 Zweiter Brief von Unit"tssynode, Th. Gill, 15.7. 1967, MAB 173HI, Unit"tssynode, 1967-S420.302 Faltblatt „The Church and Society“, MAB 173FI Unit"tssynode, 1967-S420.303 Bericht !ber Predigerkonferenz in Gnadau, 24.–27.10.1967, UA EFUD 657.304 Vgl. zu Morgenstern den Roman Morgenstern, Nest im Kopf.

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Gemeine, berichteten in langen und lebendigen Briefen von ihren Erlebnissen.Nachbereitet wurde die Synode dann in den verschiedenen Rundbriefen derDirektion und durch Diavortr"ge in allen Gemeinen.305

Der Einmarsch in Prag 1968 war f!r die Herrnhuter in der DDR ein Jahrnach der Unit"tssynode ein Schock. Die Empçrung war allgemein, und auchdie DDR-Landeskirchen und der %RK kritisierten die Niederschlagung desPrager Fr!hlings.306 Der Direktionsvorsitzende Erwin Fçrster schwieg zwarwie die meisten Pfarrer im Kreis gegen!ber den Behçrden, die bei solchenGelegenheiten um „loyale“ Stellungnahmen baten.307 Doch trat Fçrster aus derCDU aus, nachdem diese die Okkupation Prags lautstark begr!ßt hatte. InHerrnhut beriefen kommunale Vertreter eilends eine Einwohnerversammlungein, in der sie den Anwesenden den „Friedenscharakter“ des Einmarscheserkl"rten. Dabei kam es zu einem regelrechten Aufruhr : Drei junge Br!der,Guntram Clemens (Sohn des ehemaligen B!rgermeisters), Gerhard Winter(Enkel des „antifaschistischen“ Buchdruckers), G!nther Kreusel und einFreund aus der Landeskirche, die w"hrend des Einmarsches zuf"llig in Praggewesenwaren, standen auf und erkl"rten, keinWort der Friedenspropagandasei wahr. Zwar kam es auf Einwohnerversammlungen in Herrnhut immerwieder zu ungeplanten Protesten – doch diesmal ging es den verantwortlichenBehçrden zu weit. Die jungen M"nner wurden observiert, verhaftet und ver-hçrt; einer bekameine Bew"hrungsstrafe und verlor seinen Studienplatz; zweiandere erhielten zwei Jahre auf Bew"hrung.308 Trotz dieser Ereignisse nutzteder Staat das Renommee der Freikirche und erfand ein Zitat eines br!deri-schen Pfarrers, das in verschiedenen Zeitungen gedruckt wurde: „Ich halte diegetroffenen Maßnahmen gegen die konterrevolution"ren Kr"fte f!r richtig“.Der Gemeinhelfer dementierte, doch das Zitat zirkulierte bereits imWesten.309

Das Unrecht, das den Tschechen durch die Invasion widerfahren war, emp-fanden die Herrnhuter so tief, dass einer ihrer ersten Schritte w"hrend der

305 Unterlagen Juli und August 1967, UA DEBU 51; E. Fçrster an Prediger und Gemeindiener, 21.8.1967, UA DEBU 51; Rundbriefe „An die Geschwister in den Gemeinbereichen“ und „Gruß ausder weltweiten Arbeit der Herrnhuter Br!dergemeine, Herbst 1967 u.Winter 1967/68, UA EFUD657.

306 Vgl. Unterlagen Nr. 228, 3. 10.1968, HStA Drd. 11430, Nr. 10896; WCC Officers’ Statement onCzechoslovakia, 27.8. 1968, MAB 112AI, W.C.C. Reports; vgl. zu evangelischen Kirchen in derDDR und Prager Fr!hling Ohse, Ostdeutscher Protestantismus; vgl. zu den Reaktionen in derDDRWolle, Traum von der Revolte.

307 RdK Lçbau, Kirchenfragen, 23.9.68, HStA Drd. 11430, Nr. 10868.308 Interviewmit R. Fischer, B!rgermeister inHerrnhut ab 1990, Herrnhut, 7. 7. 2006, UnterlagenH.

Richter ; Interview mit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 8, Unterlagen H.Richter.

309 Aufkl"rende Mitteilung, W. Hildener, 30.8. 1960 u. J. Knothe an Bad Boll, 11.9. 1068, UA EFUD932.

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friedlichen Revolution 1989 war, Hans Modrow aufzufordern, sich nachtr"g-lich bei der CSSR daf!r zu entschuldigen.310

5.4 Wirklichkeitsproduktion II:Sehnsucht nach Ferne und Reisegenehmigungen

Die Internationalit"t der Br!dergemeine im Ost-Distrikt lebte von den Reisenin die Bundesrepublik und ins Auslandund nochmehr vondenReisenden, diein die DDR kamen. Die Besucher verschafften den Herrnhutern einen Blick inWelten, die zumindest der j!ngeren Generation fremd waren. US-Methodis-ten, Herrnhuter ausWestdeutschland und denMissionsgebieten in Afrika undS!damerika, Holl"nder oder Schweizer kamen in die ostdeutschen Ortsge-meinen.311 Eine Herrnhuterin erinnert sich an die j"hrlichen Besucheschwarzer Gemeinmitglieder aus Holland bzw. Surinam in ihrer HeimatEbersdorf: „Alle haben geguckt: Oh, das sind Schwarze! […] Du hast vonAnfang an das Gef!hl gehabt: Wir sind hier eine weltweite Kirche. Oder dannwar jemand aus Tansania da. Und die saßen dann einfach mit am Tisch.“312

Neben den Westdeutschen ergriffen insbesondere die Moraven aus den USAdie Mçglichkeit einer Reise nach Ostdeutschland.313 In den Erz"hlungen derAmerikaner waren diese vom SED-Staat !berwachten und regulierten Grup-penreisen immer einAbenteuer. In ihren Erinnerungen tauchen die Schikanenan den Grenzen auf, die W"rme und Herzlichkeit der Glaubensgenossen unddie graue Kulisse des Arbeiter- und Bauernstaates.314 Ein moravischer Studentaus den USA, der 1974 Herrnhut besuchte, schrieb: „The Moravians in theD.D.R. are depending on us for prayers, for visits […] for feelings of brot-herhood.“315

310 Brief Direktion, Ch.M!ller undTh. Gill, anMinisterpr"sident der DDR,H.Modrow, 28.11.1989,UADEBU 77; vgl. auch Schiewe, Ausz!ge aus Lebenserinnerungen, S. 1; Information durch IMS„Klaus“, Dienststelle Lçbau, 2. 6.1989, BStU BV Drd. AIM 1732/92-II.

311 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 6 f. ; Hickel, Lebenserinnerungen, S. 103 f. ; 17. Arbeitsberichtvon H. Hickel von 1970, 11, UA DEBU 14; UA DEBU 526; BStU, BV Drd. AIM 4977/81, Band 1,S. 34; PEC Minutes Southern Province, 18.2. 1951, MAWS 2100C.

312 Interview mit Erdmute Frank, ostdt. Gemeinmitglied, Bethlehem, USA, 3.5. 2005, S. 16 f. , Un-terlagen H. Richter.

313 Vgl. etwa UADEBU 79, 524 u. 522; Unterlagen A. Freeman, MAB;MAB 99HII, Quincentennial –Visitors to Europe.

314 Briefwechsel, 1965, UA DEBU 256; H. Hickel an RdK, 2. 9. 1966, UA DEBU 86; Interviews mitMoraven in Bethlehem, 2005, Unterlagen H. Richter ; J. S. Groenfeldt an K. Wunderling, 14. 11.1967, MAB 173FI, Unity Synod, 1967; Monatsbericht, RdK Lçbau, 26.5. 1970, HStA Drd. 11430,Nr. 10907; Statistische $bersicht !ber besondere Ereignisse, UA DEBU 865.

315 Paper „The East German Moravian Church“ von J. S., 5/1974, Theolog. Seminary, Bethlehem,Unterlagen A. Freeman, MAB, S. 10; vgl. auch UA DEBU 524.

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Kaum ein Ostblockstaat war so isoliert wie die DDR.316 Je grçßer die Isolationwurde, desto grçßere Bedeutung erhielten die Reisen. Schon fr!h erkanntendie Machthaber, welches Herrschaftspotenzial in den Reisen steckte, und seitden f!nfziger Jahren nutzten sie deren Regulierung als Komponente in ihremBestrafungs- und Belohnungssystem.317 Zwar war vor dem Mauerbau derAustausch mit der Bundesrepublik, den auch die Herrnhuter intensiv be-trieben, noch relativ leicht mçglich. Doch Auslands- oder gar $berseereisenwaren bereits stark reguliert.318 1957 beschrieben die f!r Kirchenfragen zu-st"ndigen Staatsfunktion"re nach einem Treffen mit tschechoslowakischenKollegen zustimmend derenReisepolitik: Die Regierung in Prag lasse „bei denEvangelischen […] lediglich fortschrittliche Persçnlichkeiten ins Auslandreisen“.319 In dieser Zeit durften von der DDR und auch von der Tschecho-slowakei aus Herrnhuter zum 500-Jahr-Jubil"um nach Pennsylvania reisen –und umgekehrt zahlreicheMoraven aus$bersee hinter den EisernenVorhang.Die Reise der ostdeutschen Herrnhuter in die USA 1957 wurde ausdr!cklichmit der staatskonformen Haltung der Unit"t begr!ndet.320 Ebenso warenEinreiseerlaubnisse ein Mittel der Belohnung.321 Dadurch hatte die loyaleUnit"t wie die anderen meist staatsnahen Freikirchen bessere Chancen aufAuslandsfahrten und Besuche als die Landeskirchen.

Nach dem Mauerbau 1961 waren Kontakte in den Westen ohne Zustim-mung oder Duldung der Obrigkeit kaum noch mçglich,322 und Reisegeneh-migungen entwickelten sich zu einem wichtigen Instrument der kirchenpo-litischen Differenzierungstaktik. In einem System, in dem Aushandlungs-prozesse vielfach die rechtsstaatlichen Verfahren ersetzten, waren Reisen eineW"hrung im Geschacher : F!r eine Reise verlangte der Staat Konformit"t. DieUnit"t erhielt relativ fr!h nach dem Mauerbau wieder zahlreiche Reise- undBesuchsgenehmigungen. Die Landeskirchen hingegen durften grunds"tzlichkeine kirchlichen Dienstreisen in die Bundesrepublik unternehmen.323 Als1965 eine Gruppe Moraven aus North Carolina einreisen wollte, hieß es in

316 Niederhut, Reisekader, S. 138.317 Vgl. zu den Reisen als Herrschaftsinstrument die Arbeit von Niederhut, Wissenschaftsaus-

tausch.318 Vgl. zu den Reisebeschr"nkungen in den f!nfziger Jahren Niederhut, Wissenschaftsaustausch,

S. 26–37319 Kurzer Bericht !ber die Beratungen in Prag, wohl von Eggerath, 8. 12.1957, SAPMO-BA DY 30/

IV 2/14/93; vgl. auch Unterlagen in BA DO 4 /83961 (2363) u. 83968 (2437).320 Breitmann, Referatsleiter RdB Drd., Innere Angelegenheiten, an Staatssekretariat f!r Kir-

chenfragen, 24.6. 1957, BADO 4 / 740; vgl. auchWeise, Hauptabteilungsleiter, Staatssekret"r f!rKirchenfragen an Zentralkomitee der SED, Arbeitsgruppe Kirchenfragen, W. Barth, 10.6. 1968,BA DY 30 / IVA 2/14/40.

321 Stellungnahme Hastlinger, 18.3. 1964, BA DO 4 / 1520; Lepp, Wege des Protestantismus, S. 181;Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 6 u. 8; Arbeitsgruppe Kirchenfragen, Vorlage, 1968, S. 8,SAPMO-BA DY 30/IVA2/14/14.

322 Vgl. zu den Reisebeschr"nkungen nach dem Mauerbau Niederhut, Wissenschaftsaustausch,S. 192–195

323 Goeckel, Evangelische Kirche, S. 149.

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einer staatlichen Stellungnahme: „Vorbehaltlich dessen, dass sich die positiveHaltung der Leitung der Herrnhuter Br!dergemeine in der DDR zu denZeitpunkten nicht in negativer Richtung ver"ndert hat […], sollte das Vor-haben gestattet werden.“324

Seit den fr!hen siebziger Jahren und verst"rkt mit dem Abkommen vonHelsinki 1975, in dem die DDR das Recht auf Reisefreiheit best"tigte, nahmendie Auslandsfahrten zu, wenngleich nach wie vor jede Reise m!hsam bean-tragt werden musste.325 Gegen!ber den Kirchen war das Regime zunehmendbereit, Reisen zu gew"hren, weil die Religionsgemeinschaften dank ihrerçkumenischen Arbeit zu einem potenten außenpolitischen Faktor gewordenwaren.326 In dem Bem!hen, ihr Schmuddel-Image als repressiv-atheistischeDiktatur abzusch!tteln, nutzten die Machthaber die kirchlichen Reisekaderals Beweis ihrer Toleranz – ein Plan, der dank der Blau"ugigkeit westlicherKirchenleute oft genug aufging.327 In den siebziger Jahren best"tigten dieBehçrden ausdr!cklich, dass die Br!dergemeine in ihren internationalenBeziehungen gefçrdert werden solle, um f!r die DDR zu werben.328 Im per-sçnlichen G"stebuch Theodor Gills fanden sich allein f!r das Jahr 1976 125Eintragungen Reisender von außerhalb der DDR, f!nfzig davon aus West-deutschland, weitere f!nfzig aus dem westlichen Ausland. Die Herrnhutererreichten dadurch seit den siebziger Jahren einen Status, der dem der sla-wischen Minderheit der Sorben in ihrer Nachbarschaft "hnlich war : Siewurden als exotisches Vorzeigeprojekt genutzt, an dem die Freiz!gigkeit desRegimes demonstriert werden sollte.329 Bis zum Ende der DDR erlaubte dieObrigkeit ihren B!rgern in wachsendem Ausmaß, den Arbeiter- und Bau-ernstaat zeitweilig zu verlassen, wobei der Großteil der Reisen in die Bun-desrepublik ging. 1972 etwa gab es in der DDR insgesamt 9500 genehmigteKader-Fahrten, 1988 45 100.330 Die Dienstreisen der Gemeine gingen ebenfalls!berwiegend nachWestdeutschland zu Konferenzen, Synoden oder Freizeitender Br!dergemeine. Daneben nutzten die Mitglieder der Br!dergemeine auchprivat in großem Umfang die neuen Reisemçglichkeiten. Als das DiakonischeWerk anfing, Kuren f!r DDR-Rentner im Westen durchzuf!hren, fuhren

324 StellungnahmeHastlinger, 18.3. 1964, BADO4 / 1520; vgl. auchGill, Ost-West-Erfahrungen, S. 6u. 8; Arbeitsgruppe Kirchenfragen, Vorlage, 1968, S. 8, SAPMO-BA DY 30/IVA2/14/14.

325 Informationsbericht RdB Drd., 4.1. 1973, BA DY 30/IV B 2/14/64; vgl. auch Niederhut, Reise-kader, S. 11.

326 Pollack, Kirchliche Eigenst"ndigkeit, S. 192 f.327 Vgl. die Gespr"chsprotokolle mit westlichen Kirchenvertretern in SAPMO-BADY 30 IV B 2 /14/

195; vgl. auch Goeckel, Evangelische Kirche, S. 143 f.328 „Der unterschiedliche Entwicklungsstand“, Grundsatzpapier zu kleinen Religionsgemein-

schaften, o.A., um 1978, wohl vom Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, SAPMO-BA DY 30 IV B2/14/173.

329 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 8.330 Niederhut, Reisekader, S. 41.

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j"hrlich f!nfzig ostdeutsche Herrnhuter in die westdeutschen OrtsgemeinenBad Boll und Kçnigsfeld zum Erholungsurlaub.331

W"hrend es f!r die Industrie sowie f!r den akademischen und den Kul-turbetrieb ein ausgefeiltes Reisekadersystem mit einer handverlesenenGruppe potenziell Reisender gab, hatten Kirchen grçßere Handlungsspiel-r"ume.332 Grunds"tzlich durften zwar unliebsame Kirchenvertreter wie derGçrlitzer Bischof Werner Krusche sehr selten und staatskonforme Kirchen-m"nner wie der Berlin-Brandenburgische Bischof Albrecht Schçnherr h"ufigreisen. Dochwar es ab und zu auch staatskritischen Kirchenvertretern erlaubt,in denWesten zu reisen. So konnten etwa dank des loyalen Gesamteindruckesder Br!dergemeine auch weniger konforme Herrnhuter eine Reiseerlaubniserlangen.333 Dennoch sprachen die Staatsfunktion"re in den siebziger Jahrenvon „kirchlichen Reisekadern“.334 Tats"chlich stellte das Regime an die rei-senden Kirchenvertreter die gleichen Erwartungen wie an die anderen Rei-sekader : Sie sollten die DDR repr"sentieren und ein positives Bild vom Ar-beiter- und Bauernstaat vermitteln. In einem Grundsatzpapier hieß es Endeder siebziger Jahre !ber die Strategie gegen!ber kleinen Kirchen „mit großerpolitischer und kirchenpolitischer Bedeutung“, zu denen neben neun anderenFreikirchen auch die Br!der-Unit"t gerechnet wurde: „In einer kontinuierli-chen Arbeit mit ihren Reisekadern ist zu erreichen, dass diese in internatio-nalen politischen und kirchlichen Gremien engagiert f!r die Friedenspolitikder sozialistischen Staaten Partei ergreifen und ein reales Bild vom Sozialis-mus in der DDR“ entwerfen.335 Bemerkenswerterweise erschien in den sieb-ziger Jahren dieses Ansinnen – als Christ den atheistischen Staat zu repr"-sentieren – den meisten „kirchlichen Reisekadern“ keineswegs als abwegig.Davon zeugen die Reise-Gespr"che mit Staatsfunktion"ren, die wie bei an-deren Reisekadern auch den Kirchenvertretern abverlangt wurden.336

331 Hettasch-Haarmann, S. 38.332 Vgl. Niederhut, Wissenschaftsaustausch, S. 231–238333 „Der unterschiedliche Entwicklungsstand“, Grundsatzpapier zu kleinen Religionsgemein-

schaften, o.A., um 1978, wohl vom Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, SAPMO-BA DY 30 IV B2/14/173; vgl. grunds"tzlich zur Reisepolitik gegen!ber den Kirchen Goeckel, EvangelischeKirche, S. 143–145 u. 149.

334 „Der unterschiedliche Entwicklungsstand“, Grundsatzpapier zu kleinen Religionsgemein-schaften, o.A., um 1978, wohl vom Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, SAPMO-BA DY 30 IV B2/14/173.

335 „Der unterschiedliche Entwicklungsstand“, Grundsatzpapier zu kleinen Religionsgemein-schaften, o.A., um 1978, wohl vom Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, SAPMO-BA DY 30 IV B2/14/173; vgl. allgemein zu den Anspr!chen an die Reisekader Niederhut, Wissenschaftsaus-tausch, S. 233 f.

336 Vgl. Niederhut, Unpolitische Beziehungen, S. 139; Bericht !ber die Kontaktaufnahme zu PfarrerWeber, Ltn. Albinus,MajorMoschke, 3. 5.1976 u. weitere Unterlagen in BStUBVDrd. AIM 1100/85; „Der unterschiedliche Entwicklungsstand“, Grundsatzpapier zu kleinen Religionsgemein-schaften, o.A., um 1978, wohl vom Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, SAPMO-BA DY 30 IV B2/14/173.

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Die Herrnhuter trafen sich f!r diese Gespr"che mit Funktion"ren ausDresden oder dem Staatssekretariat f!r Kirchenfragen in Berlin, manchmalauch mit der Kreisverwaltung in Lçbau.337 Dabei betonten sie gern ihr loyalesVerhalten w"hrend der Reise. Ein Protokoll des Staatssekretariats f!r Kir-chenfragen vermerkte nach einem Gespr"ch mit Erwin Fçrster !ber dessenSurinam-Reise: Der Unit"tsdirektor habe in „Bezug auf die DDR […] des%fteren vçllig irrigen Meinungen gegen!bertreten m!ssen und sie richtig-gestellt“.338 Helmut Hickel erkl"rte bei Gelegenheit, er habe im Ausland„Christen getroffen, die meinten, Mitleid mit dem Schicksal der Europ"ischenBr!der-Unit"t in der DDR "ußern zu m!ssen. Diese Christen habe er, Hickel,mit seinem Optimismus und mit seinen Informationen !ber die Arbeits-mçglichkeiten der Br!der-Unit"t in der DDR besch"mt.“339 Ganz "hnlich"ußerte sich Christian Weber, ein br!derischer Nachwuchstheologe, derw"hrend einer D"nemark-Reise die Bevçlkerung !ber „die wahre Situation inder DDR“ aufgekl"rt und die außerordentlichen Mçglichkeiten der Kirchendargelegt habe, die anders als in D"nemark bei ihrer diakonischen Arbeitstaatliche Unterst!tzung erhielten.340 Bei diesen und anderen Gespr"chen si-gnalisierten die Herrnhuter, dass sie das Recht des Regimes anerkannten, !berReise und Nicht-Reise frei zu verf!gen. So berichtete Fçrster nach seinerSurinam-Reise, er habe unterwegs eine spontane Einladung nach Bethlehemabgelehnt, „da er nicht ohne die Einwilligung und ohne Kenntnis der Regie-rung der DDR einer solchen Einladung Folge leisten wollte.“341 Auch die DDR-Besucher hielten staatstreue Lippenbekenntnisse f!r opportun, um f!r weitereReiseantr"ge einen g!nstigen Eindruck zu hinterlassen. So erkl"rten ameri-kanische Professoren des Moravian College nach einer Studienfahrt in dieDDR gegen!ber dem Staatssekretariat f!r Kirchenfragen: „Wewere impressedwith the industrial advances in the DDR, the rebuilding of Dresden, and thefine new school in Herrnhut. We are happy that the United Nations votedmembership for the DDR and hope for the development of relations betweenour countries and peoples.“342 Die Staatsfunktion"re verließen sich freilichkeineswegs allein auf diese Selbstdarstellungen der Betroffenen. Die Obrigkeitwar in aller Regel gut !ber die Reisen informiert. Staatsnahe Theologen undCDU-Mitglieder wachten (mit und ohne Hilfe der Staatssicherheit) bei çku-

337 Unterlagen in BStU BV Drd. AIM 1732/91.338 Vermerk von Schulze, 28. 11.1963, SAPMO-BADO 4 / 2792; vgl. zuweiteren Gespr"chen z.B. BA

DO 4 / 4814; Monatsbericht Kreis Lçbau, 23.4. 1975, HStA Drd. 11430, Nr. 10926; Gespr"chs-notiz von Lewerenz, RdB Drd., 21.11. 1975, HStA Drd. 11857, Nr. IVC-2/14/ 681; Aktenvermerkf!r M!nchow von Dohle, 30.10.1978, DO 4 / 4900.

339 Gespr"ch mit Direktion der EBU, RdB Drd, Referat Kirchenfragen, 18.4.72, HStA Drd. 11430,Nr. 10860.

340 Bericht !ber ein weiteres Gespr"ch mit Pfarrer Weber von Albinus, Dresden, Abteilung XX/4,24.6.76, BStU BV Drd. AIM 1100/85.

341 Vermerk von Schulze, 28.11.1963, SAPMO-BADO4 / 2792; vgl. auchUnterlagenBADO 4 / 4900.342 Brief A. Freeman u. D. Schattschneider an Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, 5.11.1973, UA

DEBU 524.

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menischen Treffen und schrieben Berichte !ber ihre Mitreisenden.343 Um anInformationen !ber die Reisen zu gelangen, nutzte das Regime auch unor-thodoxe Methoden und setzte etwa nach der R!ckkehr einen Spitzel unter dieFenster der Heimkehrenden, der die Reiseberichte im ehelichen Bett be-lauschte.344

Der Staatsfunktion"r Horst Dohle erkl"rte r!ckblickend in einem Inter-view: Die „DDR-Kirchen w"ren zu Provinzkirchen verkommen, wenn sie dieçkumenische%ffnung nicht gehabt h"tten und“ – das f!gte er mit R!hrung inder Stimme hinzu: „wenn wir sie ihnen nicht erlaubt h"tten“.345 Tats"chlich,Reisen war ein staatlicher Gnadenakt und damit ein veritables Herrschafts-instrument. Das Recht auf Reisefreiheit, das nicht nur in den Genfer Men-schenrechtskonventionen stand, sondern von der DDR 1975 im HelsinkierAbkommen best"tigt wurde, war wie so viele andere Rechte von der Mehrheitder DDR-Bevçlkerung aufgegeben worden. Doch anders als etwa der Entzugdes Rechts auf Meinungsfreiheit oder Privatsph"re blieb das Reiseverbot eineoffene Wunde.346 Insbesondere nach dem Mauerbau wurde das Fernwehm"chtig, und Reisen erhielten eine geradezu magische Qualit"t. Die Berichteder Reisenden zeugen davon, sprechen von „Wunder“, „Sensation“ und be-tonen das ganz Außerordentliche des Ereignisses.347 In den Lebensl"ufenostdeutscher Herrnhuter nehmen Reisen eine zentrale Stellung ein. Typischdaf!r ist der Lebenslauf von Erwin Fçrster. Seit 1937 war er in der Direktionf!r die Mission zust"ndig – ein Posten, der vor dem Zweiten Weltkrieg zuzahlreichen Reisen auf alle Kontinente gef!hrt h"tte. Doch der inzwischen!ber sechzigj"hrige Missionsdirektor durfte erst 1963, nach etlichen miss-lungenen Anl"ufen, eine Reise in ein Missionsgebiet antreten. „Es bedeutetef!r mich die Erf!llung meines wohl grçßten Wunsches“, erkl"rte er im Le-benslauf. Das ganze sei wie ein Wunder gewesen. Hinter dem „Wunder“steckten Aktenberge von Formalit"ten, Bittgesuchen an alle nur denkbarenStellen, eine Flut an bef!rwortenden Briefen von Herrnhutern aus dem In-

343 Vgl. etwaACDPVII–013–3057; Aktenvermerk vonG.Wirth, 4. 4. 1972, BADY 30/IV B 2/14/195;Einsch"tzung der kirchenpolitischen Lage, RdK Lçbau, 9.1. 1989, HStA Drd. 11430, Nr. 11057;Kopie Brief H. Motel an Dietrich Schiewe, 6. 9. 1963, mit Anlage !ber Protokoll des %kumeni-schen Arbeitsausschusses, S. 218, BStU MfS HA XX/4 778; vgl. zur Lage der LandeskirchenMaser, Kirchen, S. 81 f. u. die unz"hligen Akten !ber die çkumenischen Treffen, etwa BA DO 4 /2800, 4814, 4731, 4746; SAPMO-BA DY 30 / IVA 2/14/40; HStA Drd. 11430, Nr. 10860; BStU BVDresden AIM 4977/81, S. 30; Tagung des %kumenischen Rates f!r Information in Europa, 4. 4.1972, Aktenvermerk, G.Wirth, vgl. auchweitere Unterlagen in SAPMO-BADY 30/IV B 2/14/195.

344 Interview mit R. Fischer, B!rgermeister in Herrnhut ab 1990, Unterlagen H. Richter.345 Interview mit Prof. Dr. Horst Dohle, Berlin, 23. 5.2006, S. 5, Unterlagen H. Richter ; vgl. zur

Internationalit"t des BEK auch Jansen de-Graf, Aufbau der offiziellen Gemeindekontakte, S. 31.346 Vgl. etwa Information !ber Gespr"ch zwischen Kirchenf!hrern und Dresdner Oberb!rger-

meister, 9. 10.1989, SAPMO-BA DY 30 IV B 2/14/71; Unterlagen in HStA Drd. 11430, Nr. 33094/1; vgl. dazu auch Goeckel, Die evangelische Kirche, S. 244.

347 Vgl. etwa S!dafrika-Reise von H. Schiewe, Unterlagen Schiewe; Lebenserinnerungen von M.Haugk, Unterlagen H. Reichel, Koblenz.

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undAusland, Staatsbehçrden und CDU-Stellen. Auch bei diesen Antr"genwardie Intransparenz groß und die Zust"ndigkeit mangels rechtsstaatlicher Ver-fahren unklar.348

B!rger und Institutionen, die Aussicht auf Reisen hatten, vermieden Kritikundwaren eher bereit, mit der Staatssicherheit zusammen zu arbeiten.349 Dassdie potenziell Reisenden !berproportional oft zur wissenschaftlichen, kirch-lichen oder k!nstlerischen Elite gehçrten, war f!r das Regime daher beson-ders g!nstig. Die schmerzlichen Erfahrungen des Unit"tsdirektors Fçrster, beizahlreichen Reiseantr"gen immer wieder abgewiesen worden zu sein, mçgenein Faktor unter vielen gewesen sein, dass seineKritiklust erlahmte und er sichin Gespr"chenmit Staatsfunktion"ren zunehmend angepasst zeigte.350 Geradein der oft monatelangen Zeit, in der die Reiseantr"ge bearbeitet wurden, galt esf!r den Antragsteller und seine Institution, sich konform zu verhalten. DieHerrnhuter hatten fast immer Antr"ge laufen. 1968 etwa ließ der Staatsse-kret"r f!r Kirchenfragen die Direktion wissen, sie solle sich wegen einesReiseersuchens beim Rat des Bezirkes einfinden, da „unter den gegebenenpolitischen Verh"ltnissen die Behandlung einer Reihe grunds"tzlicher Pro-bleme“ erforderlich sei.351 Die Direktionsmitglieder !berlegten es sich gewissgr!ndlich, ob sie in einem Gespr"ch die Reise eines Glaubensgenossen miteinem offenen Wort riskieren wollten. Noch in den achtziger verlangte derStaatssekret"r f!r Kirchenfragen bei der Beurteilung kirchlicher Dienstreisen,das Verh"ltnis des Reisekaders „zu den çrtlichen Organen – B!rgermeister,Rat des Kreises, Rat des Bezirkes“ zu !berpr!fen sowie das „Gesamtverhaltenzum sozialistischen Staat“ und die „gesellschaftliche T"tigkeit“; außerdembed!rfe eine Reiseerlaubnis die „kollektive Zustimmungen des Kreises undBezirkes“.352

Auch das Pendant der Reisesehnsucht nutzte der Staat: der Neid, den diewenigen Fahrten unter den Zur!ckgebliebenen sch!rte. Das war ein Grundmehr f!r den Staat, den Kirchen Reisen zu genehmigen. Manche Herrnhuterverzichteten deswegen ganz darauf.353Wer sich aber auf denWegmachte, hatteimmer Bedenken. „Kann ich denn ein gutes Gewissen haben bei solchenAusfl!gen“, fragte sich ein leitender Herrnhuter, „wenn ich weiß, dass 90%meiner Geschwister auf viele Jahre hinaus diese Mçglichkeit nicht haben?“354

348 Lebenslauf E. Fçrster ; vgl. dazu die Unterlagen in UA DEBU 145, 146 u. EFUD 656 u. 687; HStADrd. 11430, Nr. 10765 u. 10766; vgl. auch Th. Gill an H. Erbe, 12.10.1960, Unterlagen Th. Gill,Herrnhut.

349 Niederhut, Reisekader, S. 138 et passim; Garton Ash, S. 126–131.350 Vgl. etwa Unterlagen in BStU, BV Drd. AIM 1732/91.351 Weise, Hauptabteilungsleiter, Staatssekret"r f!r Kirchenfragen, 5. 2.1968, UA DEBU 79.352 Formular „Beurteilung f!r kirchliche Dienstreisen“, Staatssekret"r f!r Kirchenfragen, Reise-

fragen, o.A., achtziger, Th!ringisches StA Rudolstadt, Bezirkstag und RdB Gera, Inneres 292.353 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 7 f. ; Interview mit Ehepaar Helmut und Gudrun Schiewe, ostdt.

Gemeinhelferpaar, Niesky, 2. 2. 2006, Unterlagen H. Richter ; H. Motel an J. Vogt, 1.12.1955, UADEBU 30; vgl. Hettasch-Haarmann, S. 38.

354 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 7.

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So spiegelten Reisegenehmigungen grunds"tzlich den Grad der Ann"he-rung zwischen Staat und Kirchen wider. Dabei ließ der Staat keinen Zweifelaufkommen, dass eine Reise immer ein Gnadenakt war, und ebenso regel-m"ßig wie willk!rlich lehnte er Antr"ge ab, auch solche der Br!dergemeine.355

Selbst unter den vielgereisten Herrnhutern konnte der Einzelne in F!h-rungsposition insgesamt nur wenige Auslandsreisen antreten. Indem dieKirchenleute in der DDR kaum Devisen f!r ihren Auslandsaufenthalt ein-tauschen durften und die Reisen meist von den Partnern im Ausland mitfi-nanziert wurden, sorgte die SED-Obrigkeit außerdem daf!r, dass die DDRkaum Devisen einb!ßte. Geldmangel und die damit verbundenen stillen De-m!tigungen waren ein st"ndiger Begleiter der Reisenden.356

Die Br!dergemeine war f!r ihr Glaubensleben auf die Reisen angewiesen,w"hrend der Staat sie zu seinen eigenen Zwecken nutzte: Reisen halfen dieKonformit"t zu internalisieren. Die Selbstverst"ndlichkeit aber, mit der die„Staatsinsassen“ (Joachim Gauck) nicht nur die massive Beschneidung ihrerFreiheit, die Reiseregulierungen und die Intransparenz der Genehmigungs-verfahren hinnahmen, zeigt, wie die Mauer und alle mit ihr verbundenenSchikanen eine unhinterfragbare Wirklichkeit geworden waren.

355 Vgl. etwa die Protokolle in UA DEBU 9.356 Mitteilung von EKD, Kirchenkanzlei, Berliner Stelle, 26.6. 1952 u. weitere Unterlagen in UA

DEBU 145; Bericht !ber Reaktion der EBU Herrnhut zur gegenw"rtigen Lage, DienststelleLçbau, Information durch IMS „Klaus“, 24.10.1989, BStU BV Drd. KD Lçbau 18066; Vogt anDirektion Bad Boll, 21.7. 1950, UA DEBU 30.

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6 „Playing the System“. Einreihung indie sozialistische Gesellschaft

6.1 Theologie als Tranquilizer. Die Rolle internationaler Diskursebei der Ann!herung an das Regime

Seit den sechziger Jahren war die Reformulierung der herrnhutischen Tradi-tion in einem sozialismuskonformen Sinn zunehmend weniger durch Taktikgepr!gt. Dazu trugen externe Faktoren bei. Insbesondere Diskurse der west-lichen Kirchen und der weltweiten"kumene, die f#r eine starke Relativierungin der Bewertung der Gesellschaftssysteme in Ost undWest sorgten und damiteiner fundamentalen Kritik am Staatssozialismus entgegenwirkten, warenwirkm!chtig. Diese Diskurse sollen hier untersucht werden, da ohne sie einVerst!ndnis der br#derischen Adaption an die sozialistische Gesellschaftnicht nachvollziehbar ist. Herrnhut erwies sich dabei in vielerlei Hinsicht alsein Spiegel des Protestantismus.

6.1.1 „Kein echter Gegensatz“. Die theologische Positionierung zumOst-West-Konflikt

Der Relativierungsprozess zwischen Ost und West war wesentlich durch KarlBarth (1886–1968) gepr!gt. Auf ihn soll deswegen zun!chst das Augenmerkgerichtet sein. Zudem war der reformierte Schweizer neben Dietrich Bon-hoeffer einer der meist rezipierten Theologen der DDR und beeinflusste we-sentlich die Theologie der br#derischen Pfarrer. Barth „galt als Bef#rworterder Demokratie“, so Anselm Doering-Manteuffel #ber die politische Einord-nung des reformierten Theologen, „aber seine Vorstellungen davon warenhçchst defizit!r. […] Barths theologisches Denken war politisch illiberal.“1

Und Friedrich Wilhelm Graf sprach vom „bez#glich der DDR fatalen EinflussKarl Barths“,2 dessen Demokratieverst!ndnis durch eine „antipluralistischeSozialromantik“ bestimmt gewesen sei.3 Unter diesem Aspekt ist der Einflussdes Schweizers auf die Kirchen der DDR bisher kaum untersucht worden.Nach 1945 vermittelte Karl Barth den jungen Theologen – darunter auchbr#derischen Nachwuchstheologen – das Gef#hl einer reformatorischen

1 Doering-Manteuffel, Ideologische Blockbildung, S. 38 f.2 Graf, Blick vom Westen, S. 53.3 Graf, Kçnigsherrschaft in der Demokratie, S. 737.

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Aufbruchszeit, indem er auf Christus als das Zentrum des Glaubens und dieBibel als die alleinige Quelle der Offenbarung hinwies. Dieser Christozent-rismus f#hrte zu einer optimistischen Weltsicht: Christus habe die Welt be-siegt, also gebe es keine Macht, die zu f#rchten und keine atheistische Ideo-logie, die ernst zu nehmen sei. Das zeigte sich auch in der Haltung zum Ost-West-Konflikt: Bereits bei der Gr#ndung des "kumenischen Rates der Kir-chen 1948 in Amsterdam hatte Karl Barth erkl!rt, ein Christ habe sich imKalten Krieg auf keine der beiden Seiten zu stellen. Er bezog damit Stellunggegen die beiden herausragenden Redner, den Pfarrsohn und sp!teren Au-ßenminister John Foster Dulles und den tschechischen Theologen JosefHrom$dka. Der Tscheche unterstrich die besondere Heimat des Christentumsim Sozialismus, Dulles hingegen die Verbindung von Christentum und west-licher Staatsform.4 1949 wiederholte Barth in einem viel beachteten Vortrag:„Nicht Mittun bei diesemGegensatz! Er geht uns als Christen gar nichts an. Erist kein echter, kein notwendiger, kein interessanter Gegensatz.“5 Zunehmendgenervt durch die schrillen Tçne der Kalten Krieger imWesten, warnte Barthvor einem Antikommunismus in der Kirche. Wie viele Intellektuelle nach ihmwurde er ein scharfer Kritiker des Westens, verstummte jedoch in der "f-fentlichkeit gegen#berMachtmissbrauch undMenschenrechtsverletzungen inden Ostblockstaaten.6 Der Antikommunismus, eifrig betrieben von Organenwie der Bild-Zeitung und oft durch engstirnige %ngste angeheizt, entsprachnicht b#rgerlichem Habitus – das wurde f#r viele Intellektuelle zu einemHaupthindernisgrund, Verbrechen im Namen des Kommunismus offen an-zugehen. Allerdings unterlag Karl Barth niemals der intellektuellen Versu-chung, sich auf die Seite des Sozialismus zu schlagen, wie es auch inwestlichenprotestantisch-bildungsb#rgerlichen Kreisen schick wurde.7

Mit seinemoffenen „Brief an einen Pfarrer in derDDR“ von 1958wies Barthden Weg f#r eine Deutung der kirchlichen Situation in der DDR, der sichsp!ter die Mehrheit der ostdeutschen Theologen anschloss: Durch ihreMinderheitensituation habe die Kirche dort eine geradezu prophetischeAufgabe. Die Berufung der Christen in der DDR kçnne es sein, „uns Anderendas Leben einer den neuen Weg einer Kirche f#r das Volk (statt des Volkes)

4 Vischer, "RK und die Kirchen in Osteuropa, S. 39 f. ; Herwig, Karl Barth und die "kumenischeBewegung, S. 179–182.

5 Vortrag in Stadtkirche Thun, 1949, zitiert nach Vischer, Der çkumenische Rat der Kirchen unddie Kirchen in Osteuropa, S. 40; vgl. dazu Busch, Karl Barth, S. 368–372.Der"kumeniker Lukas Vischer gehçrt zu den Kritikern dieser Relativierung, da sie „eine tiefereAuseinandersetzung mit den ideologischenWurzeln“ des Sozialismus und die Frage verhinderthabe, inwiefern die Kirchen in Osteuropa mit den Regimen verfilzt waren, Vischer, Der çku-menische Rat der Kirchen und die Kirchen in Osteuropa, S. 46.

6 Boyens, "kumenischer Rat der Kirchen, S. 317; vgl. Pollack, Kirche in der Organisationsge-sellschaft, S. 211; Lepp, Tabu der Einheit?, S. 783.

7 Vgl. den Brief an seinen Freund Hrom$dka, in dem Barth nicht mit Kritik spart, K. Barth an J.Hrom$dka, 18.12. 1962, EZA 89/41; vgl. dazu Herwig, Karl Barth und die "kumenische Bewe-gung, S. 204–206.

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suchenden und vielleicht schon antretenden christlichen Gemeinde als ,Gottes(allen Ernstes besonders) geliebte Ostzone’ exemplarisch vorzuleben“.8 DieKirche in der DDR als Vorbild und als Prototyp der wahren ecclesia militanswurde zu einem beliebten Deutungsmuster.9 Pollack kritisiert, das habevielmals zu einer „!rgerlichen Anmaßung der Kirchenbund-F#hrer“ gef#hrt,„die sich dem Westen oft weit voraus w!hnten“. Allerdings waren es dieProtestanten im Westen, die den DDR-Kirchen diese Anmaßung von außengeradezu aufdr!ngten. In einer US-Zeitschrift aus den siebziger Jahren hieß es#ber den Beitrag der Christen zum gesellschaftlichen Leben in der DDRwohlwollend: „The support of the church and Christians generally has beensought to help forster a new collective consciousness.”10 Doch Barth ging nochweiter : Es gelte dem Atheismus „mit dem frçhlichen Unglauben an dieMçglichkeit dieses seines Unternehmens zu begegnen. Denn was der Atheis-mus leugnet, kann doch nur die Existenz eines ihm bekannten Begriffsgçtzensein, nicht das Sein und das Wirken des lebendigen Gottes, den sie nichtkennen.“11 Hans Asmussen, zusammen mit Karl Barth einer der V!ter derBarmer Erkl!rung, warf Barth eine „grandiose Rechtfertigung“ des Atheismusvor.12 Der konservative Theologe Helmut Thielicke, ebenfalls einst f#hrendesMitglied der Bekennenden Kirche, kritisierte Barth in der „Zeit“: Das „Un-fassliche“ sei die „vçllige Einebnung von Ost und West“. Angesichts vonBarths „theologisch begr#ndete[r] allgemeine[r] Weltnacht, die sich #berOrient und Okzident gleichermaßen gelegt hat und in der […] jede Ent-scheidung zwischen den Systemen theologisch gegenstandslos wird“, mahnteThielicke zu einer differenzierten Selbstkritik innerhalb des Westens (statteines Gleichsetzens mit dem Unrecht im Osten) und erinnerte an einen Wert,den Karl Barth keiner Erw!hnung wert fand: Freiheit.13 Auch ostdeutschePfarrer widersprachen Barths Brief an die Geistlichkeit in der DDRund seinerEinsch!tzung der Lage. In einem offenen Schreiben erkl!rten sie, Barth ver-kenne mit seiner „frçhlichen Unbek#mmertheit“ die Gefahr eines „General-angriffs“ auf den christlichen Glauben.14 Barth hat auf den Brief nie geant-wortet. In freundschaftlichem Austausch hingegen stand er mit dem Staats-sekret!r f#r Kirchenfragen, Hans Seigewasser. In einem Brief von 1967 nannte

8 Barth, Brief an einen Pfarrer in der DDR; vgl. auch die Barth nahen Positionen in den f#nfzigerJahren von Johannes Hamel, Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 163 f.

9 Rendtorff, S. 21 f.10 „Church and State in East Germany”, von Caroline Ward, in: Liberty Nov/Dec 1978.11 Barth, Brief an einen Pfarrer in der DDR; vgl. dazu Busch, Karl Barth, S. 449 f. ; Bartsch.12 Asmussen, Karl Barth und sein Zonenbrief, in: Christ und Welt, 27.11.1958.13 Thielicke, „Ist die Ulbricht-Regierung Obrigkeit?“, in: Die Zeit, 23.1. 1959; vgl. dazu auch

Friedrich, Helmut Thielicke; vgl. dazu auch Thielicke, Theologische Ethik. 2/2: Ethik des Poli-tischen; vgl. auch Inacker.

14 Pfarrkonvent Finsterwalde an K. Barth, 11.3. 1959, zitiert nach Steinlein, Die gottlosen Jahre,S. 30.

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Barth ihn eine anima candida, eine edle, reine Seele und lud ihn zu sich in dieSchweiz ein.15

Doch vielen Theologen in der DDR wurde Barths theologisches Angebotzur willkommenen Rechtfertigung einer schwierigen Situation, die scheinbarzahlreicher Kompromisse mit dem Regime bedurfte. Anfang der sechzigerJahre allerdings verlief die offizielle Linie der protestantischen Kirchen nochanders. Die „Zehn Artikel #ber Freiheit und Dienst der Kirche“ von 1963 etwa,verfasst von der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR,zeigten eine liberale Grundhaltung und forderten einerseits die Ablehnung,sich der Welt anzupassen, andererseits aber eine verantwortliche Mitarbeit inder Gesellschaft. Barth kritisierte dieses Papier undmahnte die Christen in derDDR zu mehr Gottvertrauen und Gelassenheit. Der regimenahe WeißenseerArbeitskreis, darunter Albrecht Schçnherr, reagierte mit den „Sieben S!tzenvon der Freiheit der Kirche zum Dienen“, die eine positive Positionierung zursozialistischen Gesellschaft forderten. In den „Sieben S!tzen“ ist das Ver-h!ltnis der Kirche zurWelt nur noch durch den Begriff des Dienstes und nichtmehr durch den der Freiheit definiert.16 Deutlich ist darin Barths Einflusserkennbar : Kirche m#sse das Wort Gottes nicht verteidigen; dank Gottesumfassender Liebe kçnne die Kirche sich ganz in der Welt verlieren, anstattihren Besitzstand zu wahren.17 In manchen westlich-protestantischen Kreisenwurde Barth noch radikaler interpretiert: Seine Theologie dr!nge auf eine„sozialistische Praxis“, erkl!rte etwa der renommierte Theologe und Barth-Sch#ler Helmut Gollwitzer, sie ziele „auch auf die &berwindung der Verb#r-gerlichung des Christentums“.18 Diese sozialismusnahe Theologie im Westenbedeutet eine Ermutigung f#r die ostdeutschen Kirchen in ihrem Ann!he-rungsprozess an die SED-Diktatur.19

Barths theologisches Angebot trug dazu bei, die DDRunter den Geistlichenals akzeptabel erscheinen zu lassen. Ende der sechziger Jahre setzte sich dieseHaltung durch. Sie unterschied sich wesentlich von den „Zehn S!tzen“ undf#hrte zu einer Vereinheitlichung der theologischen Standpunkte in derDDR.20 Die Basis in den Landeskirchen und in der Unit!t, deren Weltbildmehrheitlich antiliberal gepr!gt und daher teilweise kompatibel mit denneuen Ideenwar, machte den Anpassungs-Prozess mit. Der Mauerbau, der dieGesellschaft zwang, sich mit der Teilung abzufinden, und die Konsolidierungder DDR taten das Ihre. So wussten sich die Kirchenleitungen ab Ende dersechziger Jahre mit ihren Mitgliedern eins, wenn sie immer wieder diese

15 K. Barth an H. Seigewasser, 14.11.1967, BA DO 4/487; vgl. zum Besuch Seigewassers bei BarthBusch, Karl Barth, S. 497.

16 Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 202–204; vgl. auch Dibelius, Obrigkeit, S. 18; vgl. dazuLepp, Tabu der Einheit?, S. 265 f. ; Doering-Manteuffel, Ideologische Blockbildung, S. 38.

17 Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 204.18 Gollwitzer, S. 9.19 Vgl. auch Marquardt.20 Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 211.

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theologischen Formeln beschworen: Christen st#nden #ber den politischenMachtr!nken, Gottes „gute Zukunft“ gelte allen Menschen, die DDR sei keinweißer Fleck auf der Landkarte Gottes, Christus sei auch f#r die Atheistengestorben, die Welt als Raum der Verheißung. „Frommen Kitsch“ nannte derregimekritische Theologe Ulrich Woronowicz solche Aussagen.21 Theologiewirkte hier wie ein Tranquilizer, der die Christen der harten Realit!t enthob.

Flankiert wurde diese Theologie durch die Lehre vom „Ende des konstan-tinischen Zeitalters“, die an Karl Barth anschloss: Das durch Kaiser Kon-stantin im 4. Jahrhundert eingeleitete Zeitalter der Zusammenarbeit vonKirche und Staat sei nun zu Ende. Doch die Schw!chung der Kirche sei eineChance, weil man in der Ohnmacht den christlichen Idealen n!her sei. Auchder Westen durchlaufe den gleichen, gesetzm!ßigen S!kularisierungspro-zess.22 Diese Position, die sp!ter die offizielle Linie des ostdeutschen Kir-chenbundes pr!gte, nahm dem Staat jede Verantwortung f#r die S!kulari-sierung, was das Verh!ltnis zu ihm entspannte – und eine fundamentale Kritikan ihm torpedierte.23 Der Staatsfunktion!r Dohle kommentierte folgerichtigdiesen Positionswechsel als wichtigen Punkt im Ann!herungsprozess: DieKirchen h!tten ihren Schrumpfungsprozess „nicht mehr einer atheistisch-kirchenfeindlichen Politik der SED angelastet“, sondern ihn positiv gesehen.24

Die Ideen vom „konstantinischen Zeitalter“ verkn#pften viele Theologenmit der Friedenstheologie: Im Urchristentum seien die Christen pazifistischgewesen, mit der Verformung des Christentums zur Staatsreligion habe sichjedoch eine Kriegstheologie entwickelt. In einem Brief an die br#derischeJugend hieß es, immer wieder seien Christen gegen den Krieg aufgestanden.„Zeugen solchen Friedens“ seien unter anderem die alte Unit!t oder dieWaldenser gewesen, „also kleine, immer Unterdr#ckung leidende“ Kirchen.25

Ehrhart Neubert nannte die Lehre vom Ende des Konstantinischen Zeitalterseine „Verinnerlichung der Unterdr#ckung mit theologischen Mitteln“.26 DerSED-Staat seinerseits empfahl als den nunmehr angemessenen Dienst derKirche die F#rsorge f#r alte und behinderte Menschen – eine wichtige Arbeit,doch ohne gesellschaftlichen Einfluss. Nicht nur die Br#dergemeine akzep-

21 U. Woronowicz an M. Stolpe, 28.9. 1978, EZA 101/280; vgl. auch Pollack, Kirche in der Orga-nisationsgesellschaft, S. 163–165; U. Woronowicz an Sekretariat der BEK, 19.9. 1978, EZA 101/208.

22 Der Generalsuperintendent G#nter Jacobs erl!uterte diese Lehre schon in einer Rede auf derSondersynode der EKD von 1956, Pollack, Von der Mehrheits- zur Minderheitskirche, S. 63 f.

23 Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 165; vgl. auch die Position von A. Molna(Theologieprofessor an der Comenius-Fakult!t Prag), Vorlesung, Theology of the AncientUnity, 1972, S. 5 f. , u. Vorlesung von Jindrich Halama (br#derischer-tschechischer Theologe),The Renewed Unitas Fratrum in Bohemia and Moravia, 1972, S. 11, Unterlagen Freeman, MAB;vgl. zum Religionsbegriff Schçnherr, Religionskritik Dietrich Bonhoeffers.

24 Dohle, Grundz#ge der Kirchenpolitik der SED, S. 182.25 Rundbrief an die j#ngerenMitglieder vonTh. Gill undD. Schiewe,M!rz 1962,UAEFUD656; vgl.

zur Friedensrhetorik auch Gçtting, S. 574–588 et passim.26 Neubert, „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, S. 229.

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tierte diese Zuweisung und damit die konsequente Zur#ckdr!ngung desChristlichen aus der "ffentlichkeit.27 Die von Kirchenf#hrern viel geprieseneOhnmacht der „Kirche im Sozialismus“ und ihr neues „Dienst-Zeugnis“ botenf#r viele einen Vorwand, staatliches Unrecht klaglos hinzunehmen und wieetwa Heino Falcke von einer „engagierten Hoffnung eines verbesserlichenSozialismus“ zu tr!umen.28

Die Gemeine konnte den Positionswechsel im Sinne Karl Barths umso ehernachvollziehen, als diese Theologie ihrem traditionellen Christozentrismusentgegenkam. 1950 hieß es in den Leits!tzen der Unit!ts-Jugend: „Wir habenals Christen nicht gegen eine sozialistische Staats- oder WirtschaftsformStellung zu nehmen,“ und 1957 legte der Barth-Sch#ler Theodor Gill auf einergesamtdeutschen Jungtheologen-Freizeit die These vor: „Wir sind im Ostenwie imWesten im Grunde in der gleichen Lage: als Diener Christi in der Welt,die ohne Gott lebenwill.“ Die Glaubensfreiheit sei „im Osten wie imWesten ingenau gleichemMaße gegeben.“29 Die Freiheit des Individuums kam in dieserRechnung nicht vor.

Nachdem Karl Barth Zinzendorf und der Br#dergemeine – freilich aus derFerne – lange kritisch gegen#ber gestanden hatte, n!herte er sich seit seinerRçmerbrief-Exegese (1922) Zinzendorfs Positionen an. Barth rechtfertigte dieSonderexistenz der Gemeine, an deren Berechtigung die Herrnhuter nie auf-hçrten zu zweifeln, idealisierendmit ihremAuftrag als „Ekklesia proEkklesia“bzw. „"kumene f#r die "kumene“, gewissermaßen als Sinnbild f#r Kircheund "kumene.30 1959 baten die europ!ischen Herrnhuter Barth um ein Ge-spr!ch, in dem sie Fragen insbesondere zu Zinzendorfs Christologie undEkklesiologie diskutieren wollten. Im Oktober 1960 trafen sich 12 Gemein-mitglieder aus Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden in Basel mitdem reformierten Theologen. Darunter befand sich ein Bruder aus der DDR,w!hrend Theodor Gill die Ausreise verweigert wurde.31 In dieser Situation lagden Gespr!chsteilnehmern das Thema Obrigkeit am Herzen. Doch Barthantwortete auf die Frage nach dem Glauben im Sozialismus lediglich, es seiwohl in der DDR „das Predigen geistlich leichter“.32 Als ein Herrnhuter erneutdie Obrigkeit ansprach, erkl!rte Barth, aus dem Gebet f#r die Obrigkeit folgedie politische Mitarbeit. Auf die Nachfrage, ob das besonders f#r den Ostengelte, antwortete Barth lediglich: „Aber nicht so wie Dibelius!“33 Das Problem

27 Schçnherr, Religionskritik Dietrich Bonhoeffers, S. 321.28 Auf der Dresdner Bundessynode 1972, zitiert nachOhse, Ostdeutscher Protestantismus, S. 142 f.29 Thesen f#r Hohensolms, 1957, UA EFUD 626; Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 4; vgl. zu Karl

Barth und der Br#dergemeine auch Ordnung, 250 Jahre Herrnhut, S. 36.30 Zitiert nach Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br#dergemeine, S. 155; vgl. generell zu

Barths Verh!ltnis zur Br#dergemeine Busch, Karl Barth und Zinzendorf.31 Vgl. zu dem Gespr!ch Unterlagen in UA EFUD 913; Unterlagen Th. Gill, Herrnhut.32 Barth, Gespr!ch, S. 8 f.33 Barth, Gespr!ch, S. 14, vgl. auch S. 13; vgl. zur Br#dergemeine auch „Dank f#r Karl Barth“, von

H. Schmidt, in: Der Br#derbote, Februar 1969, S. 5–7.

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war f#r ihn weniger der atheistische Staat als der konservative Bischof. Dieostdeutschen Staatsfunktion!re fçrderten das Verh!ltnis der Unit!t zu Barth;Barths Sympathie f#r die Br#dergemeine war f#r sie ein Zeugnis der Loyali-t!t,34 und seine Schriften waren auf den von merkw#rdiger Inkompetenzzeugenden theologischen Indizes der Zollorgane ausdr#cklich als „einfuhr-f!hige Literatur“ ausgezeichnet.35

Wie die Unit!t in der Nachkriegszeit nach einer Theologie suchte, die einInterpretationsangebot f#r die „Katastrophe“ des Kriegsendes aufwies, fandsie nun gemeinsam mit den Landeskirchen eine Theologie, die ihr half, dieSituation im Sozialismus zu bejahen. Theologische Formeln aus der Vergan-genheit gaben den neuen Ideen den Geschmack der Tradition und damit derLegitimit!t. Diese Theologie, die sich auch als kompatibel mit der Friedens-politik der DDR erwies, erlaubte zugleich nach innen eine fast pietistischeTheologie und strenge Frçmmigkeitspraxis.36 So ergab sich in der Br#derge-meine eine „progressive“ Theologie nach außen und in ihrem Windschatteneine pietistisch gepr!gte Theologie nach innen, die den Staat nicht interes-sierte. Zwar blieb der Mehrheit der Br#dergemeine die Diskrepanz zwischensozialistischem Materialismus und br#derischer Frçmmigkeit bewusst. Dochdie theologisch gedeckte Relativierung der Systeme hatte eine bemerkens-werte Tiefenwirkung. Ein br#derischer Ingenieur, 1933 geboren, ein frommerund in vielerlei Hinsicht typischer DDR-Herrnhuter, war auch viele Jahre nachder Wende von der Vereinbarkeit des Sozialismus mit dem Christentum#berzeugt.37 Und als sich die Gemeindiener imHerbst 1989 trafen und #ber dieZukunft ihrer Betriebe diskutierten, erkl!rten einige: „Die Br#dergemeine hatgute Erfahrungen mit dem, was sozialistische Marktwirtschaft heißt“ – womitsie ihre eigene, irgendwie am Sozialismus orientierte"konomie meinten.38 Soforcierte die Theologie in der DDR nicht nur das Arrangement mit dem SED-System. Sie ermçglichte auch, dass sich die Christen in die sozialistischeIdeenwelt einreihten und von grunds!tzlicher Kritik absahen.

34 Vgl. etwa Gutachten zu Losungen und Lehrtexte 1973 von H. Dohle, 6.11.1971, BA DR 1 / 2540;Ordnung, 250 Jahre Herrnhut, S. 36.

35 Unterlagen in BA DL 294-04-07-05, z.B. Information der Zollverwaltung, 7.8. 1980, S. 13;Richter, „Literatur sachweise abverf#gt“; vgl. zur Einfuhr theologischer Schriften Richter, Kraftdes Wortes.

36 Vgl. etwa Bericht des Distrikts Herrnhut an die Unit!tssynode 1967, S. 6 f. u. Th. Gill anGeschwister aus Potstejn, 5.8. 1967, S. 3, MAB 173HI Unit!tssynode, 1967-S420; Bericht #berPredigerkonferenz, 24.–27.10.1967, S. 5 f. , UA EFUD 657; H. Renkewitz an J. Vogt, 11.5. 1951,UA DEBU 30.

37 Interview mit Ehepaar E., ostdt. Gemeinmitglieder, Ebersdorf, 5. 12.2005, S. 36, Unterlagen H.Richter.

38 Protokoll #ber Sondertagung der Gemeindiener, 15. 11.1989, UA DEBU 74.

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6.1.2 Der Weltkirchenrat als internationaler Transferwegantiwestlicher Ideen

F#r ein Verst!ndnis der stark in der "kumene engagierten ostdeutschenBr#dergemeine sind auch die Diskurse wichtig, die die çkumenische Ge-meinschaft und mit ihr die weltweite Unit!t pr!gten. Der 1948 gegr#ndete"kumenische Rat der Kirchen in Genf ("RK), in dem in den sechziger Jahrenfast alle evangelischen und orthodoxen Kirchen der Welt organisiert waren,wurde zumwichtigsten Kanal des intellektuellen internationalen Austauschesin den Kirchen und trug zur Ann!herung des Protestantismus an denStaatssozialismus bei. Die internationale Br#der-Unit!t kann f#r die Unter-suchung dieses Transfers beispielhaft und aufschlussreich sein, zumal diebisherige Forschung die "kumene und ihre transnationalen Implikationen inder Nachkriegszeit, insbesondere ihre Rolle im Kalten Krieg, weitgehendignoriert hat. Die Literatur dazu, die oft aus den Federn von "kumenikernstammt, ist h!ufig apologetisch, unkritisch und gen#gt selten wissenschaft-lichen Standards.39

Die Europ!isch-Festl!ndische Br#dergemeine gehçrte allen bedeutendençkumenischen Gremien an, darunter der im 19. Jahrhundert gegr#ndetenEvangelischen Allianz, den nationalen Kirchenr!ten, der Konferenz Euro-p!ischer Kirchen, der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutsch-land und demWeltkirchenrat, wie der "RK auch genannt wurde.40 Besonderspflegte die Unit!t auch in anderen L!ndern die allt!gliche "kumene auf Ge-meindeebene mit anderen Denominationen.41 Die "kumene auf internatio-naler Ebene gewann vor allem f#r den theologischen Diskurs in der Br#der-gemeine ihre Bedeutung.Dabei war dasKirchenvolk in derUnit!t anders als inden Landeskirchen durch die engen internationalen Kontakte, die zahlreichen

39 Vgl. z.B. McCullum ; Stçhr ; Held ; Fuchs ; Garstecki ; vgl. auch den Forschungs#berblick vonKunter, Kirchen und "kumene im Kalten Krieg.Besier, Boyens und Lindemann haben die Verstrickung des "RK in die sozialistischen Regimekritisch beleuchtet, jedoch die Komplexit!t der Thematik zu wenig ber#cksichtig (Besier u.a. ,Nationaler Protestantismus und "kumenische Bewegung). Martin Greschat weist die An-schuldigung von Besier, Boyens und Lindemann gegen die Kirchen zur#ck, indem er auf dasMisstrauen des sowjetischen Regimes gegen#ber den "kumenikern verweist, auf die Grat-wanderung der Kirchen und darauf, dass die westlichen "kumeniker um die Gefahr ihrerInstrumentalisierung wussten – doch hat Greschat damit die problematischen Verwicklungenund die Zielsetzungen der "kumene weder dargestellt noch analysiert, Greschat, Protestantis-mus im Ost-West-Konflikt; vgl. auch den Forschungs#berblick von Bremer.

40 Aktennotiz, „Central Committee of WCC“, J. S. Groenfeldt, o.A., um 1976, MAB 173HII.41 Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, DirektionHerrnhut, Herbst 1973, EFUD 659; „Wort der

Generalsynode der Br#der-Unit!t zur "kumene“, 1957, in Rundschreiben Direktion an Ge-meindiener, 19.5. 1958, UA DEBU 50; Interview mit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8.2007, S. 16, Unterlagen H. Richter.

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Besucher und die Missionstradition stets in die Internationalit!t involviert.42

Zu den wesentlichen Aufgaben des "RK gehçrte nach Ansicht von HeinzRenkewitz, der in der Nachkriegszeit f#r Ost- und West-Herrnhuter sprach,die „Einheit von Mission und Fçrderung der Einheit der Kirche Christi. […]der WCC [engl. f#r "RK] wird recht daran tun, sich mehr auf diese Seite zurichten als zuviel sich in die internationale Politik hineinzubegeben“.43 Dasstellte keine Sonderposition dar. Die ganze moderne çkumenische Bewegungwar urspr#nglich missionarisch motiviert: Den Gr#ndern ging es darum, daschristliche Zeugnis durch die konfessionelle Einigkeit zu st!rken.44

Bis um 1960 lehnten die kommunistischen Regime den "RK als „NATO-"kumene“ ab.45 In Nordamerika und Europa hingegen genoss die Bewegung,die ein Kind der erstarkenden Zivilgesellschaft war, hohes Ansehen. Wie vielHoffnungen sich darauf richteten, zeigt sich allein an der Liste der deutschenTeilnehmer bei der Gr#ndung in Amsterdam 1948. Neben Theologen wieTheophil Wurm, Otto Dibelius oder Martin Niemçller, fanden sich hier Po-litiker wie Gustav Heinemann und Hermann Ehlers und Intellektuelle wieReinhold von Thadden oder Gerhard Ritter.46 Prominente US-Amerikaner wieJohn D. Rockefeller Jr. spendeten Millionensummen. Sein Renommee ver-dankte der Rat nicht zuletzt dem ersten Generalsekret!rWillemAdolf Visser ’tHooft, den das „Time Magazine“ 1961 unter der &berschrift „World Chur-chman Visser ’t Hooft – The Second Reformation“ auf die Titelseite setzte.47

Unter ihm sparte der "RK nicht mit Kritik an sozialistischen Regimen.48

Die Ostblockstaaten fçrderten eine alternative "kumene in Prag, die 1958unter Federf#hrung des tschechischen Theologen Josef Hrom$dka initiiertwurde: die „Prager Christliche Friedenskonferenz“ (CFK). Eine christlicheInitiative aus der Tschechoslowakei mit massiver Unterst#tzung der sozia-listischen Regime erschien vielen Zeitgenossen als zynisch.49 F#r die sozia-listischen Staaten aber galt dieMitarbeit in diesem Gremium als Ausdruck der

42 Jansen-de Graaf, Aufbau, S. 40, vgl. zur Basis S. 33–40; vgl. zur Unit!t Unterlagen in UA DEBU50 u. 1362.

43 Reisebericht von H. Renkewitz, S. 3 f. , 18.12.1950, UA DEBU 522.44 Feldtkeller, S. 38.45 Vgl. etwaHartwig an Staatssekret!r u. a., 22.3. 1967, BADO4 / 83710; Auskunftsbericht #ber die

Deutsche Br#der-Unit!t, o.A., wohl 1951, BA DO 4/1520; vgl. Greschat, Protestanten in der Zeit,S. 206–208.

46 Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br#dergemeine, S. 138; Unterlagen von F. P. Stocker,MAB 104GI, Amsterdam + Europe Stocker; WCC Assembly, list of participants, o.A., Archiv"RK 31.019/1; Unterlagen, Ende vierziger Jahre, UA DEBU 94.

47 Time Magazine, 8. 12.1961; vgl. zur Person auch Kunze, Die ganze Kirche f#r die ganze Welt.48 Bericht von W. Barth, Arbeitsgruppe Kirchenfragen, Auswirkungen der letzten internatio-

nalen Tagungen der evangelischen Kirchen in den USA, 2. 12.1957, SAPMO-BA DY 30/VI 2/14/3; Besier, Haltung des !RK zur Deutschen Frage, S. 157.

49 Kohlbrugge, S. 199; H. Motel an "RK, 19.3. 1965, "RK-Archiv 42.4.029; vgl. zur Rolle der CFKauch Dohle, Grundz#ge der Kirchenpolitik, S. 180.

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Loyalit!t.50 Auch wenn die Initiatoren der CFK ihr Konkurrenzverh!ltnis zuGenf bestritten, war eben dies f#r die finanzielle und ideelle Unterst#tzung derosteurop!ischen Staaten ausschlaggebend.51 Allein die Kirchen in der DDRkonnten sich dem Druck ihrer sozialistischen Regierung entziehen, Mitglieddes Prager Gremiums zu werden. Das hielt freilich linientreue Theologen undLaien wie Gerhard Bassarak oder Carl Ordnung nicht davon ab, sich bei derCFK zu engagieren.52 Die Gemeine hielt sich auch hier an die Landeskirchenund blieb auf Distanz. Der ostdeutsche Distrikt wurde keine Mitgliedskirche,schickte aber regelm!ßig Beobachter zu den Konferenzen und nahm an re-gionalen Gremien teil.53 Als in der br#derischen Jugend-Silvesterr#ste 1966die Sprache auf die CFK kam, beurteilten die westlichen Teilnehmer dasGremium wesentlich unkritischer als die ostdeutschen.54 Nach dem Ein-marsch der sowjetischen Truppen 1968 jedoch wurde die Friedenskonferenzvon den letzten kritischen Mitgliedern „ges!ubert“ und Hrom$dka, der dieReformbem#hungen um Alexander Dubcek unterst#tzt hatte, abgesetzt.55 DieGemeine in der DDR hielt weiterhin Kontakt.56 Doch verlor die CFK an Be-deutung, da die meisten "kumeniker aus westlichen L!ndern sie nunmehrmieden. Daf#r entwickelte sich der "RK aus der Perspektive der Ostblock-staaten in erfreulicherweise – auch wenn freilich das alte Misstrauen und dieelementare Ablehnung gegen#ber allem Religiçsen g#ltig blieben.57

Das Jahr 1961 mit der Vollversammlung des Weltkirchenrates in Neu Delhiund der Aufnahme von 18 Mitgliedskirchen aus Afrika, Asien und Latein-

50 Langfristige Konzeption der politischen Einflussnahme, Staatssekret!r f#r Kirchenfragen, 7. 12.1978, S. 8, u. weitere Dokumente in BADO 4 / 450; Dokumente in BADO 4 / 448 u. DO 4 / 83710;Goerner, Behandlung der Kirchenpolitik, S. 157 f.

51 Information #ber Aufbau und gegenw!rtige Lage der Prager CFK, 29.2. 1960, S. 3, SAPMO-BADY30 / IV 2/14/93; R. Bellmann anArbeitsgruppeKirchenfragen, 11.9. 1972, SAPMO-BADY30/IV B 2/14/181; vgl. zum CFK Lindemann, „Sauerteig“.

52 Information zur Vorbereitung der bevorstehenden Regionalkonferenz, 29.–30.11.1968 u. wei-tere Unterlagen in BADO4 / 494; Dibelius an Br#der, 11.9. 1961, SAPMO-BADY 30/IV 2/14/124.

53 Vgl. etwa Unterlagen 1961, UA DEBU 117; Aktennotiz von Hickel, 24.10.1963, UA DEBU 117;vgl. zur Beteiligung anderer Provinzen H. Motel an R. Kalfus, 22. 1.1964, UA DEBU 304; E.Wilson, Moravian Church in Great Britain, an K. G. Hamilton, 1. 9.1960, MAB 113EII, BritishProvince, Boards; Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 7; Sitzungsberichte DUD, Herrnhut, 28.4.1960, UA DEBU 9; Sitzungsbericht DUD, Herrnhut, 31.5. u. 25.9. 1961, UA DEBU 10; Interviewmit S. , ostdt. Frau eines Gemeinhelfers, 12. 2.2007; Interview mit Gudrun Meyer, von DDR inBRD gezogen, Herrnhut, 7. 2. 2007, Unterlagen H. Richter ; Vorschl!ge f#r die Delegierten, ab-gesprochen mit Generalsekret!r Ondra, 16.3. 1961, SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/124.Die angeblicheWertsch!tzung der CFK-Arbeit, von der Hasting undVogt schreiben, war gewisstaktische Hçflichkeit, Briefwechsel G. Hasting und J. Vogt mit Vertretern der CFK, 1961, UADEBU 117.

54 Sachlicher Bericht #ber die Silvesterr#ste, 1966, UA EFUD 414.55 Ohse, Ostdeutscher Protestantismus, S. 140 f. ; Information zur Vorbereitung der bevorstehen-

den Regionalkonferenz, 29.–30.11.1968, BA DO 4 / 494.56 Unterlagen UA DEBU 119.57 Vgl. etwa Unterlagen in SAPMO-BA DY 30 / IVA 2/14 / 39, 40 oder in SAPMO-BA DY 30/IV B 2/

14 / 155 u. 195; vgl. auch Greschat, Protestantismus im Ost-West-Konflikt, S. 209 f.

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amerika bildete eine tiefe Z!sur. Der "RK erlebte einen Paradigmenwechsel,und Aspekte christlicher Ethik erhielten neue Aufmerksamkeit. In dieser Zeit,f#r die Ronald Inglehart einen generellen Wertewandel konstatierte, expan-dierten internationale Nicht-Regierungs-Organisationen oder wurden wieAmnesty International neu gegr#ndet.58 Im internationalen protestantischenDiskurs breitete sich ein „S!kularçkumenismus“ aus, in dem sich der welt-weite Befreiungskampf der kolonisierten Vçlker, die politische Euphorie derStudentenbewegung und Proteste gegen die Ungerechtigkeiten einer kapita-listischen Ordnung artikulierten. Unter den westlichen Mitarbeitern im "RKgewannen marxistische Theorien an Einfluss.59 1961 stießen auf Druck ihrerRegierungen auch die orthodoxen Kirchen zum "RK. Ihre Kirchenf#hrerarbeiteten teilweise mit dem KGB zusammen und ließen keinen Zweifel anihrer Bef#rwortung des Sozialismus.60

Das SED-Regime erkannte die Chancen, die ihr die "kumene bei ihremRingen um internationale Anerkennung bot. Es ließ in den sechziger Jahrenunter konzeptioneller Mitarbeit des MfS an den Theologischen Fakult!ten derUniversit!ten Lehrst#hle f#r "kumenik einrichten, deren Dozenten meistauch im Dienst der Stasi standen, zumal die Kirche kein Mitspracherecht beider Besetzung hatte.61 In dem Fach ging es um „die Weckung internationa-listischer Solidarit!t mit den ,jungen’ Kirchen […] und den noch in kolonialenFesseln gehaltenen Gebieten“.62 Die DDR-Behçrden arbeiteten strategischePl!ne f#r die internationalen Kirchentreffen aus, und seit den sechziger Jahrenblieb in çkumenischen Verlautbarungen die Kritik am SED-Staat zumeistaus.63 Beide Seiten profitierten von der Situation. Denn die "kumene verhalfden protestantischen Kirchen in der DDR zu einer internationalen Profilie-rung, zudem st!rkte sie die kirchliche Position gegen#ber der Staatsmacht.64

Die ostdeutsche Br#dergemeine definierte ihre Internationalit!t zuneh-mend #ber den Begriff "kumene. Seit den sechziger Jahren war "kumene f#r

58 Iriye, Internationalizing International History, S. 8; Inglehart, Wertewandel in den westlichenGesellschaften.

59 Greschat, "kumenisches Handeln, S. 21; Herwig, Karl Barth und die "kumenische Bewegung,S. 239; vgl. auch S. 12 f. ; Besier, Haltung des "RK zur Deutschen Frage, S. 157 f. ; Frieling,Aufbr#che von Uppsala, S. 177.

60 Besier, Haltung des "RK zur Deutschen Frage, S. 157 f.; Schulze Wessel, Deutsche Christen undLebendige Kirche, S. 153; Greschat, Protestantismus im Ost-West-Konflikt, S. 209.

61 Maser, S. 83; vgl. dazu auch Goeckel, Evangelische Kirche, S. 143–150; vgl. auch BA DO 4 / 650.62 Zitiert nach Maser, S. 83.63 „Der unterschiedliche Entwicklungsstand […], Grunds!tze f#r die Politik gegen#ber den

kleinen Kirchen und Religionsgemeinschaften“, Staatssekretariat f#r Kirchenfragen, o.D., Endesiebziger Jahre, SAPMO-BA DY 30 IV B 2/14/173; Papier #ber die kleinen Religionsgemein-schaften, o.A., Abt. 1, 26.9.77, DO 4 / 83717 (450); SED-Arbeitsgruppe Kirchenfragen an Mit-glieder des Politb#ros und des Sekretariats, 13.12.61, BA DO 4 / 83704 (385); Unterlagen in BADO 4 / 4731 u. 4732; Thomas, Nairobi 1975 – von der DDR aus gesehen.

64 Maser, S. 80; Nowak, Zum historischen Ort der Kirchen, S. 22; Jansen-de Graaf, Aufbau, S. 33;Kunter, Kirchen im KSZE-Prozess, S. 117.

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DDR-Herrnhuter ein zentraler Pfeiler ihres Selbstverst!ndnisses.65 Das warnicht selbstverst!ndlich. Nicht nur, weil sich das in diesem Ausmaß f#r dieUnit!t in anderen L!ndern nicht feststellen l!sst, sondern auch, weil zuvor dieInternationalit!t gerade die elit!re Sonderstellung der Herrnhuter unterstri-chen hatte. Dabei erwies sich die Gemeine erneut als Meisterin in der Refor-mulierung ihrer Tradition. Denn Zinzendorfs Lehre wich stark vom Konzeptdes Weltkirchenrates ab, dem es um die Vereinheitlichung der verschiedenenRichtungen ging: Der Graf sah nicht nur die diversen Konfessionen als be-gr#ßenswerten Reichtumund sprach „von ihrerMannigfaltigkeit als von ihrerSchçnheit“.66 Ihm war es um die wenigen wahrhaften „Kinder Gottes“ ge-gangen, die sich in jeder Kirche f!nden, womit er dem Spenerschen „ecclesiolain ecclesia“ nahe gekommen war. Der "RK hingegen, dem dieses pietistischeKonzept fern lag, suchte nach der Einheit der Kirchen. Die çkumenischeBewegung ermçglichte der Br#dergemeine die Reformulierung der Interna-tionalit!t als egalit!res Konzept der christlichen Einheit – ein Konzept, daswesentlich besser in die DDR passte. Zugleich bot die "kumene einen neuenBegriff von Mission, die stark in Misskredit geraten war.67

Nach der Trennung der evangelischen Kirchen in der DDR von den West-Kirchen 1969 und ihrer Organisation im Bund Evangelischer Kirchen in derDDR (BEK) wurde auch die ostdeutsche Br#dergemeine in Genf als selb-st!ndige Kirche registriert. Das war bei der nur noch rund 3000 Mitgliederumfassenden Freikirche einigermaßen erstaunlich. Die Methodisten in derDDR mit ihren 30 000 Mitgliedern waren in Genf lediglich Teil der interna-tionalenDachorganisation derUnitedMethodist Church. Doch hatte das SED-Regime die Sonderstellung der Ost-Unit!t gefordert, da sie von der Gemeinewohl ein besonders positives Verhalten erwartete.68 Tats!chlich verzeichnete

65 Vgl. etwa DirektionHerrnhut anGeschwister in Gemeinbereichen, 3/1964, UA EFUD656; Paper„The East German Moravian Church“ von J. S., S. 4, MAB Unterlagen Freeman; „Was mir dieZugehçrigkeit zur Br#dergemeine bedeutet“, o.A., ca. 1983, UA DEBU 1380.

66 Sitzungsbericht Predigerkonferenz, 20.9.–24.9. 1949, UA DEBU 1367.67 Papier „What we understand by Oekumene an The Ecumenical movement“ von H. Motel, o.A.,

um 1950, S. 5 f. , MAB 114GI, Switzerland; „Wort der Generalsynode der Br#der-Unit!t zur"kumene“, 1957, in Rundschreiben Direktion an Gemeindiener, 19.5. 1958, UA DEBU 50; Mi-nutes of Unity Conference, Plumstead, 28.8.–7.9.1962, S. 19, MAB, Unity Conference, S. 2MAB173HI,Unit!tssynode, 1967-S420;DirektionHerrnhut anGeschwister inGemeinbereichen, Juni1970, EFUD 658; Unity Newsletter, 4.8. 1977, MAB 173HI, Newsletter. Ein Dokument des br#-derischen westdeutschen "kumenischen Ausschusses betonte jedoch 1965 die Differenzen im"kumene-Verst!ndnis, Memorandum von"kumeneausschuss, Distriktssynode Bad Boll, 15.9.1965, "RK-Archiv 42.4.029.Es gab auch andere Auffassungen von "kumene, die sich jedoch nicht in der ostdeutschenGemeine fanden: Memorandum, "kumeneausschuss, Distriktssynode Bad Boll, 15.9. 1965,"RK-Archiv 42.4.029.

68 Unterlagen von 1971, "RK-Archiv 42.4.029; E. Fçrster an Direktion Bad Boll, 23.2. 1970, UAEFUD 658; Rundbrief an Geschwister in Gemeinbereichen, Herbst 1971, EFUD 658; Interviewmit Gudrun Meyer, ostdt. Gemeinmitglied, Herrnhut, 7. 2.2007, Unterlagen H. Richter.

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der Direktionsvorsitzende Helmut Hickel die çkumenische Abspaltung vonBad Boll gegen#ber der Dresdner Verwaltung als Beleg br#derischer Loyali-t!t.69 So unterst#tzten die Staatsorgane die Br#dergemeine in ihren çkume-nischen Aktivit!ten mit Reise- und Besuchsgenehmigungen – ein unsch!tz-bares Privileg in der abgeschlossenenDDR. 1975 notierte derRat des Bezirkes,Hickel habe erkl!rt, „dass seit 1945 erst "kumene mçglich sei durch dieExistenz der sozialistischen Staaten, denn wer habe sich denn fr#her daf#rinteressiert“.70 Die Staatsmacht war mit solchen Lippenbekenntnissen zu-frieden. Umso erboster war sie, als sie erfuhr, dass die Br#der w!hrend desBesuchs eines US-amerikanischen "kumenikers in einem vertraulichen Ge-spr!ch Probleme andeuteten, unter denen sie in der DDR zu leiden h!tten.Gl#cklicherweise habe aber der Amerikaner, wie ein Spitzel berichtete, ge-kontert: Es stimme nicht, „was in den Zeitungenwestlicher L!nder stehe, dassdie Christen in der DDR in ihrer Glaubensaus#bung eingeengt w#rden. DerSozialismus ist eine ganz ersprießliche Sache“.71

Solche Belehrungen aus der westlichen Welt kçnnen bei dem Ann!he-rungsprozess an den Sozialismus nicht hoch genug eingesch!tzt werden. Anzwei Beispielen wird dieser internationale, #ber die "kumene transferierteEinfluss westlicher L!nder auf die Kirchen in der DDR besonders deutlich: ander Menschenrechtsfrage und am Antirassismusprogramm.

6.1.3 Der Ost-West-Konflikt, die Menschenrechte unddas Antirassismusprogramm

Nicht nur die orthodoxen Kirchen orientierten sich an sozialistischen Lehren,sondern auch Christen in Afrika und Lateinamerika, bei denen die marxis-tisch konnotierte Befreiungstheologie einen wichtigen Platz einnahm. Selbstunter vielen westlichen Kirchenleuten im "RKwar die Stimmung antiliberal,antiwestlich, antiamerikanisch.72 Der br#derische Pr!sident aus BethlehemJohn S. Groenfeldt berichtete, in der "RK-Generalversammlung 1975 sei einabsurdes Zerrbild des Kapitalismus pr!sentiert worden; da habe ihn ein

Hickel erkl!rt in seinen Lebenserinnerungen, sie h!tten den Status als eigenst!ndige Kirchebekommen, weil Zinzendorf der erste "kumeniker war. In den Unterlagen des "RK findet sichdarauf keinHinweis; außer LucasVischer undVisser ’t Hooft hatte inGenf kaum jemandWissen#ber die Unit!t ;Hickel, Lebenserinnerungen, S. 130; vgl. Unterlagen in"RK-Archiv 994.1.05; L.Vischer an H. Richter, 26. 11.2006, Unterlagen H. Richter.

69 Gespr!ch mit Direktion der EBU, RdB Drd., Ref. Kirchenfragen, 18.4. 1972, HStA Drd. 11430,Nr. 10860.

70 RdB Drd., Staatspolitik Kirchenfragen, 21. 11.1975, BStU BV Dresden AIM 4977/81, S. 30.71 Aktennotiz #ber Information anl!sslich des Besuches vomPr!sidenten der ev. Kirchen derUSA,

Tomsen [eigentlich Thompson], in Herrnhut, o.A., wohl 1976, HStA Drd. 11430, Nr. 11026.72 Vgl. dazu die Kritik an Ph. Potter in „Menschenrechtsverletzungen in Osteuropa nicht mehr

l!nger verschweigen!“, in: Neue Z#rcher Zeitung, 8./9. 8. 1976; Jansen-de Graaf, Aufbau, S. 25;Lefever, S. 99 f. ; Report WCC Nairobi, J. S. Groenfeldt, Dez./Nov. 1975, MAB 173HII.

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ostdeutscher Herrnhuter mit dem Kalauer getrçstet : „Under capitalism manexploits man; under socialism it is just the reverse!”73 "kumeniker bewegtensich in einem Konstrukt, in dem es im Westen zwar „andere Arbeitsmçg-lichkeiten, aber auch andere Versuchungen“ gab als im Osten, wie BischofSchçnherr die Lage beschrieb.74 So trug der Wandel der westlichen Gesell-schaft dazu bei, dass in den Kirchen der DDRWerte wie Freiheit, Recht undDemokratie gegen#ber Werten wie Frieden, Gerechtigkeit und Solidarit!tzur#cktraten; das st!rkte die Kritik amwestlichenModell und die Aufwertungdes çstlichen Gesellschaftssystems.75 Die Menschenrechte gerieten in diesemProzess ins Abseits, und Manfred Stolpe lobte das „ver!nderte Menschen-rechtsverst!ndnis“ der Sowjetverfassung.76

Die Politik f#r verfolgte Christen in sozialistischen Regimen fand imWeltkirchenrat seit Mitte der sechziger Jahre allenfalls auf verschlungenendiplomatischenWegen statt. Dabei taucht h!ufig der Name Lukas Vischer auf,ein Kenner der Ostkirchen und mit seiner kritischen Haltung eine Ausnah-meerscheinung im Stab des "RK.77 Der Schweizer wusste Bescheid undmachte bekannt, wor#ber sonst geschwiegenwurde: ein Pogrom in der UdSSRgegen Pfingstler, Abriss von Kathedralen, Haftstrafen und Arbeitslager f#rChristen oder das Verbot von Bibeln.78 Vischer meinte sp!ter, mit demAmtsantritt des Methodisten Philip Potters 1972 als Generalsekret!r habedieses Engagement nachgelassen.79 Der Methodist war der çkumenischeLiebling des SED-Regimes, und die ostdeutschen Medien wurden nicht m#de,ihn zu loben.80 Dennoch kamen die Menschenrechtsverletzungen in denOstblockstaaten 1975 bei der "RK-Vollversammlung in Nairobi auf die Ta-

73 „African Safari, Nov. 11 – Dec. 18, 1975“, J. S. Groenfeldt, MAB 173HII; vgl. dazu Pollack, Kirchein der Organisationsgesellschaft, S. 245; Jansen-de Graaf, Aufbau, S. 23; Besier, Pfarrer, Christenund Katholiken, S. 89; Besier, die Haltung des "RK; Erkl!rung zur Folter, Zentralausschuss des"RK, 6.8. 1977, UA DEBU 95.

74 Wort des Vorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR an dieGemeinden, Bischof Schçnherr, 21.1. 1974, UA DEBU 53.

75 Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 208 f. ; Graf, Traditionsbewahrung, S. 258.76 Zitiert nachGraf, Theologie und Kirchenpolitik, S. 314; Ausschuss Kirche und Gesellschaft, Zur

theologischen Relevanz der Menschenrechte; vgl. dazu auch Nickel u. Reidy ; vgl. dazu auchScheuner.

77 Vgl. etwa L. Vischer an Visser ’t Hooft, 27.11.1969, u. L. Vischer anM. Klingenberg, 5. 6.1972 u.weitere Unterlagen in"RK-Archiv 994.3.50.8; vgl. Jansen-de Graaf, Aufbau, S. 20; Boyens, "RKund EKD, S. 199.

78 Unterlagen in "RK-Archiv 994.3.50.8.79 L. Vischer an H. Richter, 26.11.2006, Unterlagen H. Richter ; vgl. zur Einsch!tzung von Potters

Rolle im Kalten Krieg auch den &berblick von Kunter, Kirchen und "kumene, S. 199.80 „Toleranz“, in: Neue Zeit, 6. 6. 1973 u. weitere Unterlagen in SAPMO-BA DY 30 IV B 2/14/195;

vgl. auch Aktennotiz von Potter an Bouman u.a. 4. 8. 1975, "RK-Archiv 42.3.039; InternberichtKlages, 12.1. 1976, BA DO 4 / 85774 (4732); Protokoll des Gespr!chs mit Generalsekret!r Ph.Potter, 22. 4.1975, SAPMO-BADY30 IVB 2/14/195; Vischer,"RKund die Kirchen inOsteuropa,S. 42; vgl. zu Potter undDDR auch Ph. Potter an A. Schçnherr, 10. 8.1973,"RK-Archiv 42.3.039;Ergebnisse der Tagung des Exekutivausschusses des "RK, 15.–23.2.1974, o.A., SAPMO-BA DY30 IV B 2/14/195; Boyens, "kumenischer Rat der Kirchen, S. 220–223.

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gesordnung.81 Zwei Russen, ein Priester und ein Laie, reichten einen Brief ein,in dem sie die Christenverfolgung in der Sowjetunion unter Nennung kon-kreter Fakten anklagten: Die Schließung von zehntausend Kirchen innerhalbvon sechs Jahren etwa oder die psychiatrische Zwangsbehandlung von Dis-sidenten. Die russisch-orthodoxen Delegierten waren empçrt, und der Stabdes "RKwar voll damit besch!ftigt, sie zu bes!nftigen. Das Protestschreibender Dissidenten fand keinen Eingang in den Abschlussbericht von Nairobi.82

Die verschiedenen Kirchen der Unitas Fratrum zeigen beispielhaft, warumtrotz des Eklats in Nairobi 1975 die Menschenrechtsverletzungen verschwie-gen wurden: Die amerikanischen Moraven diskutierten im F#hrungsgremi-um, ob die Publizit!t, die die Angelegenheit gewonnen habe, den verfolgtenChristen dienlich sei und schwiegen.83 Womçglich scheuten sie eine intel-lektuelle Auseinandersetzung mit dem Marxismus. In einer Stellungnahmevon 1971 war der nordamerikanische Pr!sident Groenfeldt dem Vorwurf derKommunismusn!he des "RK mit einer bezeichnenden Parallelsetzung be-gegnet: Man kçnne den Vertretern der osteurop!ischen Kirchen nicht vor-werfen, sie seien zu staatsnah, schließlich seien auch US-amerikanische Kir-chenvertreter gute Patrioten.84 Die westeurop!ischen Herrnhuter schienen andem ganzen Thema wenig interessiert.85 Dabei waren sowohl die amerikani-schen als auch die europ!ischen Herrnhuter #ber Menschenrechtsverletzun-gen in denOstblockstaaten informiert.86 Die ostdeutsche Gemeine zeigte nichtmehr Mut als der ostdeutsche Kirchenbund und schwieg in ihren Berichten#ber den Skandal, den die beiden Russen ausgelçst hatten.87 In den Gespr!-chen mit Staatsvertretern und in ihren Verçffentlichungen demonstrierteHerrnhut seine&bereinstimmungmit dem Regime inMenschenrechtsfragen;wie bei f#hrenden Vertretern des ostdeutschen Kirchenbundes hieß das, die„kollektiven Menschenrechte“ in sowjetischer Interpretation gegen die „b#r-gerlichen, individuellen Menschenrechte“ auszuspielen – und damit den Be-griff der Menschenrechte ad absurdum zu f#hren. Allenfalls f#r die Mitgl!u-bigen in S#dafrika forderte die ostdeutsche Gemeine lautstark das Recht aufMenschenw#rde.88 Der "RK hatte weitgehend den Begriff von „kollektiven

81 Vgl. dazu auch die kritische Stellungnahme von S. u. R. Hettasch, Cape Town, UA DEBU 95.82 Tonbandabschrift, gez. IM, o.A., 16.3.1976, BStU BV Drd. AIM 4977/81 II-I; Boyens, "kume-

nischer Rat der Kirchen, S. 215–217; Vischer, "RK und die Kirchen in Osteuropa, S. 45.83 Aktennotizen, offizielle Stellungnahme „Questions Concerning theWorld Council of Churches”

von J. S. Groenfeldt, o.D. u. Unterlagen 1976 in MAB 173HII; Pollack, Kirche in der Organisa-tionsgesellschaft, S. 273.

84 „Can we Trust the WCC?“ von J. S. Groenfeldt, 19.11.1971, MAB 112AF, W.C.C. 1971–73.85 Bintz, Nairobi aus freikirchlicher Sicht, S. 287 f.86 J. S. Groenfeldt an H. Bintz, Bad Boll, 20.8.1979, MAB 173HI; Unterlagen in UA EFUD 692.87 Bericht der Direktion der Evangelischen Br#der-Unit!t an die Distriktssynode Herrnhut, 1. 2.

1977, BStU BV Dresden AIM 4977/81 II-I.88 Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t von der Direktion, 18.4. 1972, UA DEBU 658; Infor-

mation von Lewerenz, RdBDrd., Staatspolitik in Kirchenfragen, 21.11.1975, BStU BVDrd. AIM

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Menschenrechten“ #bernommen. Es gab keinen triftigen Grund, warumausgerechnet die osteurop!ischen Kirchen hier Widerstand h!tten leistensollen.89 Noch in Nairobi befragte Groenfeldt aus Bethlehem G#nther Hastingaus Herrnhut, wie er zu dem Anliegen der beiden sowjetischen Dissidentenstehe. Hasting dr#ckte seineHoffnung aus, „thematter would not be pushed tothe point where no one from East Europe could participate in such gatheringsany longer”.90 Daf#r hatten die Amerikaner Verst!ndnis. 1976 forderte die„Neue Z#rcher Zeitung“ den Weltkirchenrat auf, endlich das Tabu #ber dieMenschenrechtsverletzungen in den Ostblockstaaten zu brechen; wenn dieçstlichen Kirchenvertreter nicht den Mut und die Mçglichkeit h!tten, dasUnrecht beim Namen zu nennen, so m#ssten dies eben die Vertreter ausWesteuropa und Nordamerika tun.91 Daran hatten angesichts der linksintel-lektuellen kulturellen Hegemonie und Diskurshoheit im protestantischenMilieu freilich nur wenige im Westen ein Interesse.

%hnlich bezeichnend wie die Stellung zu den Menschenrechten war das1969 vom "RK ins Leben gerufene Antirassismusprogramm. In Genf hattesich eine „Theologie der Revolution“ entwickelt. Alles dr!ngte zur „Aktion“ –endlich mit dem Reden aufzuhçren und zu handeln.92 Ein lateinamerikani-scher Freiheitsk!mpfer erkl!rte in einer von den Moraven bezogenen US-amerikanischen çkumenischen Zeitschrift : „I’m very tired of talk becauseevery time people bullshit the repression happens to fall predominantly onmypeople’s shoulders.“93 Weniger radikale Positionen betonten gçttliches Han-deln #ber die Grenzen der Kirche hinaus. „Kirche f#r andere“, so die vonDietrich Bonhoeffer #bernommene Formel, lçse sich im Dienst an der Weltauf. Diese Ideen, die sich seit den sechziger Jahren in unz!hligen Varianten inden çkumenischen Papieren wiederfinden, haben die Theologie in der DDRgepr!gt und ihre Ann!herung an das sozialistische System erleichtert.94 Ob-

4977/81; Rundschreiben der Direktion 8/73, 6. 12.1973, UA DEBU 54; vgl. auch Maser, Kirchenin der DDR, S. 82.Ein West-Herrnhuter wies diese absurde Definition jedoch zur#ck: Kootz, Christentum undSozialismus, S. 95 f.

89 Aktenvermerk von C. Ordnung, 18.2. 1974, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/195; Unterlagen UADEBU 95.

90 So erkl!rte Bischof Hasting gegen#ber J. S. Groenfeldt, „African Safari, Nov. 11 – Dec. 18, 1975“,J. S. Groenfeldt, MAB 173HII.

91 „Menschenrechtsverletzungen in Osteuropa nicht mehr l!nger verschweigen!”, in: Neue Z#r-cher Zeitung, 8./9. August 1976; vgl. zur heutigen Reflexion beispielhaft Siegele-Wenschkewitz,S. 115.

92 Greschat, "kumenisches Handeln, S. 21; Herwig, Karl Barth und die "kumenische Bewegung,S. 239; vgl. auch S. 12 f. ; Besier, Haltung des "RK zur Deutschen Frage, S. 157 f. ; Frieling,Aufbr#che von Uppsala, S. 177; Friedrich Pohlmann hat gezeigt, wie im linksextremen Diskursaus demDrang nachAktion „Militanz“ und schließlichGewalt wurde, Pohlmann, S. 1033–1035.

93 „1source“, Communication Center NCC, 27.4. 1970, MAB 112AI, W.C.C. Reports; vgl. zur Be-freiungstheologie Frieling, Aufbr#che von Uppsala, S. 184–186.

94 Herwig, Karl Barth und die "kumenische Bewegung, S. 240.

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wohl das Antirassismusprogramm im Budget des Weltkirchenrates nur einrelativ kleiner Postenwar – von 1970 bis 1978 betrug es dreiMillionenDollar –,sorgte wohl kaum eine kirchliche Aktion im Kontext des Ost-West-Konfliktesf#r so viel Z#ndstoff.95 Das „Program to Combat Racism“, wie es weltweitgenannt wurde, unterst#tzte h!ufig marxistische Gruppen und zuweilen ter-roristische Guerillas, wie die „Patriotische Front“ in Rhodesien, auf derenKonto unz!hlige schwarze undweiße zivile Opfer gingen.96 Zwar stritt Genf dieMilitanz der Gruppen nicht ab, erkl!rte jedoch, s!mtliche Bewegungen h!ttengarantiert, die Gelder f#r humanit!re Projekte zu nutzen – eine Zusage, dieniemand kontrollieren konnte.97 Die Haltung der "kumeniker l!sst sich nurmit der damals weit verbreiteten Akzeptanz der Gewalt als politisches Mittelerkl!ren. Rudi Dutschke, einer der deutschen Akteure im "RK, forderte dievolle „Identifikation mit dem Terrorismus in der Dritten Welt“.98

W!hrend sich der ostdeutsche BEK (teils unter heftigem Widerstand derBasis) ebenso wie die meisten westeurop!ischen Kirchen f#r das Antirasiss-musprogramm aussprach, lehnte die Hauptgeldgeberin des "RK, die west-deutsche EKD, wegen der einseitigen politischen Richtung, des intranspa-renten Geldflusses und der Gewaltfrage das Programm ab.99 Wobei von we-nigen Ausnahmen abgesehen – zu denen weiße Denominationen in S#dafrikagehçrten – die Kirchen einhellig Apartheidsregime und Rassismus als S#ndeablehnten. F#r die SED aber erf#llte das Antirassismusprogramm zahlreicheAufgaben: Es fçrderte die innere Spaltung der ost- und westdeutschen Kir-chen, st!rkte „progressive Tendenzen“ im "RK, richtete den Fokus auf Pro-bleme der westlichen Welt und lenkte zugleich von den Problemen der Ost-blockstaaten ab. Eine Unterst#tzung des Programms galt der SED in Zukunftals Zeichen der Loyalit!t.100 „Antirassismus heißt Antiimperialismus“, er-kl!rte Oberkirchenrat und CDU-Funktion!r Gerhard Lotz 1971 in der „Neuen

95 Lefever, Weltkirchenrat und Dritte Welt, S. 79; http://www.ekd.de/aktuell/45527.html, 5.9.2007.96 Lefever, Weltkirchenrat und Dritte Welt, S. 29–32.97 Vgl. etwa Ecumenical Courier, US conference for the WCC, Ocotober-December 1971.98 Zitiert nach Pohlmann, S. 1032; sehr aussagekr!ftig auch die Aussagen von demMitarbeiter im

"RK-Stab, Paul Verghese in Programme to Combat Racism, Meetings of PCR Commission andExecutive Committee, Commission meeting Zeist. 5/1974, "RK-Archiv 4223.2.02/4; vgl. auchCh. H. Long, Exec. Secr. WCC, an J. Groenfeldt, 19. 2.1976, MAB 173FII, W.W.C. Varia.

99 Vgl. dazu die EKD-Dokumente in Kirchliches Außenamt der EKD, Kirchen im Kampf gegenRassismus, S. 24–41; vgl. auch Goeckel, Evangelische Kirche, S. 146 f. Goeckels Interpretationdes ostdeutschen Engagements f#r das Programm als christlich motivierte, gegen den Staatabgegrenzte Aktion ist fraglich, zumal er nicht die enge Zusammenarbeit mit dem SED-Staaterw!hnt, die f#r das Engagement notwendig war.

100 Vgl. etwa „Gespr"ch mit Evangelischer Br#der-Unit"t”, in: Die Union, 15./16.11. 1975; Hin-weise f#r Gespr"ch des Staatssekret"rs, 31.8. 1979, BA DO 4 / 83717; Information #ber Ge-spr"ch mit OKR Mitzenheim, Weise, 15.1.1976, BA DO 4 / 4732; Information von ZK, SED,Arbeitsgruppe Kirchenfragen, 4. 12.1972, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/11; Gespr"ch mit derDirektion der EBU, RdB Drd., Ref. Kirchenfragen, 18.4.1972, HStA Drd. 11430, Nr. 10860;Lewerenz, Sektorenleiter, RdB Drd., Staatspolitik in Kirchenfragen, 21.11.1975, HStADrd. 11857, Nr. IV C-2/14/ 681.

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Zeit“.101 Der Vordenker der DDR-Kirchenpolitik, Horst Dohle, erkl!rte, in densiebziger Jahren habe sich die SED bem#ht, „ein mçglichst hohes Maß ankirchlicher Unterst#tzung f#r die Friedens- und Außenpolitik des sozialisti-schen Staates zu erreichen“; die Kirche sollte „aus eigenem Interesse zurStabilit!t der DDR“ beitragen.102 Das war der DDR gelungen, und die Unit!ttrug das Ihre dazu bei.

Das Antirasissmusprogramm war zudem umstritten, weil s#dafrikanischeMitgliedskirchen des "RK dagegen opponierten, darunter Kirchen, wie dieMethodisten oder Presbyterianer, die zu einem Großteil schwarz oder farbigwaren.103 Die Moraven in S#dafrika, die stark unter dem Apartheidsregimelitten, warnten auf einer Synode ebenfalls davor, terroristische Gruppen zuunterst#tzen und stornierten deswegen ihre Beitr!ge f#r den "RK.104 Siewaren empçrt, dass Generalsekret!r Eugene C. Blake, der Nachfolger Visser’tHoofts, auf seiner Afrikareise vor Beschluss des Antirassismusprogrammsnicht die dortigen Kirchen konsultiert hatte. Der in Princeton ausgebildeteBlake aber ließ gegen#ber der Presse vermelden – in Anspielung auf die ag-gressiven Reaktionen des s#dafrikanischen Regimes und den Druck, dendieses auf die einheimischen Kirchen aus#bte: „Neither I nor the WCC willcompromise the clear position of our council on race in order tomake it easieror more comfortable for South African churches”.105 Ein br#derischer Bischofaus S#dafrika schrieb darauf an den Generalsekret!r : „These words do noteven show awillingness to communicate with the Non-Whites in South Africa.[…] our Church with its predominantly coloured membership has sufferedunder apartheid materially and spiritually and fought for justice for all andagainst racism”. Der"RKhabe sie in diesemKampf nicht unterst#tzt, sonderndie Bef#rworter der Apartheid mit neuen Waffen ausger#stet.106 %hnlichempçrt war die br#derische Provinzialbehçrde in S#dafrika: „The decision oftheWCChas come to us a surprise and a shock.We have not been consulted.107

Die Antwort des "RK, man kçnne nicht auf jede Kirche R#cksicht nehmen

101 „Antirassismus heißt Antiimperialismus”, in: Neue Zeit, 10.6.1971.102 Dohle, Grundz#ge derKirchenpolitik der SED, S. 95 f. ; vgl. van derHeyden, Zwischen Solidarit!t

und Wirtschaftsinteressen, S. 45–52.103 Stanley B. Sudbury, Methodist Church of South Africa an E. Blake, 16.9.1970 u. Len Smuts,

Presbyterian Church of South Africa an B. Sjollema, 5.10.1970 u. weitere Briefe in "RK-Archiv4223.3.03; vgl. dazu auch Weiße, S#dafrika und das Anti-Rassismus-Programm.

104 Statement, Synod of the Moravian Church of South Africa, 1. 10.1970, "RK-Archiv 4223.3.03;die deutsche &bersetzung in UA EFUD 938; vgl. dazu Dr. S. Nielsen, Griqualand, MoravianMission Mvenyane, an E. Blake, "RK-Archiv 4223.3.03; vgl. zur Ablehnung durch s#dafrika-nische Kirchen Boyens, "RK und EKD, S. 163 f.

105 EPS-Meldung, 1970, Nr. 25, zitiert in P. W. Schaberg an E. C. Blake, 2.10. 1970, "RK-Archiv4223.3.03.

106 P. W. Schaberg an Dr. Blake, 2.10. 1970, "RK-Archiv 4223.3.03.107 A. W. Habelgaarn an E. C. Blake, 31.10.1970, "RK-Archiv 4223.3.03; dt. &bersetzung in UA

EFUD 938.

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und d#rfe dem Druck der s#dafrikanischen Regierung nicht nachgeben,108

verdeutlichte den doppelten Standard in Genf: Das Verschweigen der Men-schenrechtssituation in der UdSSR wurde auch damit begr#ndet, dass diedortigen Kirchen keinen Handlungsbedarf sahen – von dem Einfluss derkommunistischen Regime auf die osteurop!ischen Kirchen ganz zu schwei-gen. Dabei bekamen die Moraven noch recht freundliche Schreiben aus Genf.Die s#dafrikanische Methodistenkirche wurde von Blake harsch zurecht ge-wiesen: „it appears to me that your position reveals a complete lack of un-derstanding of the ecumenical situation.”109

Die Moraven in S#dafrika engagierten sich dennoch auch in den folgendenJahren gegen die Apartheid. Der "kumeniker Vischer besuchte 1974 einbr#derisches Seminar in Kapstadt und berichtete: „Die Stimmung war hierfast revolution!r. Die (coloured) Studenten sprachenmit großer Offenheit vonihrem Engagement gegen die Apartheid.”110 Der ostdeutsche GemeinhelferHelmut Schiewe erhielt von seiner S#dafrika-Reise 1987 !hnliche Eindr#ckevon einer couragierten br#derischen Jugend. Schiewe, der stets eine geistigeDistanz zum Sozialismus gewahrt hatte, erz!hlte den s#dafrikanischen Mo-raven von den Problemen in der DDR – und musste sich die Frage gefallenlassen, warum sie sich nicht wehrten. Sp!ter schrieb er, angesichts des Mutesder S#dafrikaner habe er sich „oft gefragt, warumwir uns in der DDR so langeund so relativ geduldig mit unseren Verh!ltnissen abgefunden haben.”111

Diese Analogie w!re in Genf als reine Provokation empfunden worden.Wieder ist die Haltung der Herrnhuter Kirchen im Streit um das Antiras-

sismusprogramm in den verschiedenen L!ndern beispielhaft f#r den trans-nationalen Diskurs w!hrend des Kalten Krieges. Der Pr!sident der US-Nordprovinz, John S. Groenfeldt, war entsetzt, als er die Protestnoten ders#dafrikanischen Moraven erhielt und wandte sich mit deren Beschwerdendirekt an Genf.112 Blake antwortete ihm mit einem Standartbrief : „It is inte-resting to me that on the whole our action has been better understood andreceived in South Africa itself than in some quarters in Germany, Great Britainand the United States.”113 Groenfeldt beharrte gegen#ber Genf auf dem Protestder S#dafrikaner, erhielt erneut keine befriedigende Antwort und gabschließlich unter dem Eindruck der allgemeinen Zustimmung der anderenKirchen zu dem Programm nach, wie er selbst eingestand.114 Die Unterlagen

108 E. C. Blake an S. Nielsen, Moravian Church SA, 22.10.1970; vgl. auch Brief-Entwurf von B.Sjollema f#r E. C. Blake an P. W. Schaberg, 12.10.1970, "RK-Archiv 4223.3.03.

109 E. C. Blake an Methodist Church of South Africa, 24.9. 1970, "RK-Archiv 4223.3.03.110 L. Vischer an H. Richter, 26.11.2006, Unterlagen H. Richter.111 Aufzeichnungen zur S#dafrika-Reise 1987 von Helmut Schiewe, Unterlagen H. Schiewe, Niesky.112 J. S. Groenfeldt an E. C. Blake, 2. 11.1970, "RK-Archiv 4223.3.03.113 E. C. Blake an J. S. Groenfeldt, 12. 11.1970, "RK-Archiv 4223.3.03.114 Briefe J. S. Groenfeldt, 1970, "RK-Archiv 4223.3.03; „Can we Trust the WCC?“ von J. S. Gro-

enfeldt, 19.11.1971, MAB 112AF,W.C.C. 1971–73; vgl. auch Unterlagen in MAB 173FII, W.W.C.Varia.

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Groenfeldts zeigen jedoch, dass er auch in den kommenden Jahren nicht freivon Zweifeln blieb.115 Ein weiterer Grund f#r seine Zur#ckhaltung war wohlauch das Bem#hen, angesichts des massiven Rassismus in den USA keinmissverst!ndliches Zeichen zu setzen.116 1970 erhielt die Gemeine in der DDRaus Winston-Salem das Gebetsanliegen: „Betet, dass unsere Kirche einenversçhnenden Einfluss auf die starken Spannungen in den Beziehungen derRassen untereinander aus#ben kann. Es herrscht in manchen Gebieten un-serer kirchlichen Arbeit große Unruhe.“117

Die Herrnhuter in der DDR erkannten – wie die Gemeine in der Tsche-choslowakischen Provinz – im Antirassismusprogramm eine Chance derProfilierung. Das Engagement f#r die Genfer Initiative brachte ihnen nicht nurviel Lob und Beg#nstigungen des Staates ein.118 Das Anliegen des Programmesschien unmittelbar das Ihre zu sein, denn dank der s#dafrikanischenMoravenwaren sie seit langem #ber die Grausamkeit des Apartheidsystems informiert;etliche Herrnhuter waren in S#dafrika geboren oder hatten dort ihre Wur-zeln.119 Dank des internationalen çkumenischenDiskurses gelang es der DDR-Gemeine zudem ihre Tradition in wesentlichen Punkten zu aktualisieren. Ausder Motivation der Missionare, die %rmsten f#r das Evangelium zu gewinnen,wurde eine Befreiungstat im antikolonialistischen Geist: Die Br#der-Unit!t seivon Anfang an gegen „jede Diskriminierung vonMenschen und f#r die vçlligeGleichheit aller Menschen, Rassen und Hautfarben [gewesen] […] Deshalbstehe die EBU auch voll zum Genfer Antirassismusprogramm.“120 Das Kon-strukt von der antikolonialen Unit!t pr!gte bald das Außenbild der Br#der-gemeine.121 Auch intern gehçrte seit den sechziger Jahren der „Kampf gegenRassismus“ zum Lehrplan und zum Selbstverst!ndnis: Er findet sich in derJugendarbeit, in Jahresberichten, Predigten und Selbstbeschreibungen.122

Anerkennend notierte das Staatssekretariat f#r Kirchenfragen 1981, zwarseien zu den politischen Fragen der Gegenwart kaum Positionsbestimmungen

115 Unterlagen MAB 173FII, W.W.C. Varia.116 Waldschmidt-Nelson, S. 122; Report to theUnity Board,MoravianChurch inAmerica, Southern

Province, 1968, S. 1, MAB 173FI, Unity Board 1966; Auskunft C. Atwood, 4. 3.2008, UnterlagenH. Richter.

117 Hickel an Prediger, 10.3. 1970, UA DEBU 53.118 Vgl. dazu Notiz Dwain, M!rz/April 1974, "RK-Archiv 4223.13.12/1.119 Vgl. etwa Sachlicher Bericht #ber die Silvesterr#ste, 1966, UA EFUD 414.120 Gespr!ch mit Direktion der EBU, RdB Drd., 18.4.72, HStA Drd. 11430, Nr. 10860; vgl. zur CSSR

„Churches and Religious Societies in Czechoslovakia“, A. Ulrich, 1973, S. 5, MAB UnterlagenFreeman.

121 Ordnung, 250 JahreHerrnhut, S. 25–31; Petras, EVA, anMinisterium f#r Kultur, 1.2.72, BADR1 / 2539; „Herrnhuter Br#dergemeinen in Europa verurteilen Rassismus”, in: Neue Zeit,26.4.1973.

122 Vgl. Jahresbericht Berlin II 1971, S. 4, UA DEBU 703; Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t,Herbst 1972, HStA Drd. 11430 / 10870; Br#dergemeine in der Mission heute, DirektionHerrnhut, 11/1986, BA DO 4 / 4814; Interview mit Gudrun Meyer, ostdt. Gemeinmitglied,Herrnhut, 7. 2. 2007, Unterlagen H. Richter.

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der Unit!t bekannt, doch: „Konsequent wird das Antirassismusprogrammdes"RK unterst#tzt.“123

&ber die politischen Kontroversen um den "RKwar die Br#dergemeine inder DDR anscheinend kaum informiert.124 Es ist allerdings fraglich, inwieweithier die Selbstzensur griff, zumal zumindest der f#r "kumene zust!ndigeTheologe #ber den s#dafrikanischen Einspruch gegen das Antirasissmus-programmBescheid wusste und sich auch in anderenUnterlagen der Gemeinekritische Informationen #ber den Weltkirchenrat finden.125 1977 zeigte sichdie Direktion in Herrnhut in ihrem Bericht dankbar, dass der Konflikt in der"kumene zwischen persçnlichem Glauben und gesellschaftlichem Engage-ment gebannt worden und „in einer gesunden biblischen Weise ausbalanciertworden“ sei.126 Das blieb freilich Wunschdenken, denn der durch den Ost-West-Konflikt gepr!gte Lagerkampf ging weiter. Das Vertrauen der ostdeut-schen Herrnhuter in Genf blieb gleichwohl ungebrochen, Statements undAnsichten der "RK-Generalsekret!re zitierten sie als Aussagen einer un-zweifelhaften Autorit!t.127 Die Gemeine in der DDRwar gl#cklich, als 1981 derumstrittene Generalsekret!r Philip Potter zur Unit!tssynode nach Herrnhutkam. In seiner Ansprache relativierte er Unterschiede zwischen çstlichemundwestlichem Gesellschaftssystem und kritisierte den Kapitalismus. Das Zen-tralorgan der SED, das „Neue Deutschland“, w#rdigte den Auftritt.128

Wenig #berraschend war die Abwendung konservativer, evangelikalerKreise von der "kumene in der Bundesrepublik.129 Der Streit, der im Anti-rassismusprogramm kulminierte, jedoch um das Verst!ndnis von Missionund "kumene #berhaupt ging, wurde auf beiden Seiten mit großer Verbitte-rung ausgetragen.130 Der SED-Staat beobachtete die „militanten Evangelika-len“ mit Sorge und erkl!rte 1976 sie seien „offen antikommunistisch“, be-trieben „antisowjetische Hetze und versuchten […] vor allem das Antiras-sismusprogramm zu torpedieren.“131 W!hrend in der DDR solche Kontro-versen nicht gef#hrt werden konnten und die Protestanten angesichts der

123 Staatssekretariat f#r Kirchenfragen, 13.8. 1981, BA DO 4 / 1520.124 Predigt von Theodor Gill, „The Moravian Church on its Pilgrimage“, S. 7, o.D., Unterlagen Th.

Gill, Herrnhut; Bad Boll an E. Fçrster, 18.2. 1969, UA EFUD 658.125 Jahresbericht Berlin II 1971, S. 4, UUADEBU703,Unterlagen inUADEBU95; InterviewTh. Gill.126 Bericht der Direktion an die Distriktssynode Herrnhut, 1. 2. 1977, BStU BV Dresden AIM 4977/

81 II-I.127 Vgl. etwa Hickel an Prediger, 19.5.1969, UA DEBU 53; Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t,

Herbst 1973, UA EFUD 659.128 Ansprache Ph. Potter bei Unit!tssynode Herrnhut, Gruß an Mitglieder der Br#dergemeine

Distrikt Herrnhut, 12/1981, EFUD 600; „Synode der Evangelischen Br#der-Unit!t begann”, in:Neues Deutschland, 31.8.1981.

129 Busch, Der Pietismus, S. 546.130 Vgl. dazu beispielhaft „Nairobi – kein Wendepunkt“, Idea Nr. 13/76, 29.3.1976; die interne

Reaktion des "RK in Memorandum, J. Hilke an Ph. Potter, 1. 4.1976, "RK-Archiv 35.24/4.9.131 Papier, Zu den evangelikalen Bewegungen, November 1983, o.A., S. 16, BA DO 4 / 1505; Papier

#ber Ev. Allianz, o.A., wohl 1976, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/155.

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atheistischen Staatsmacht selbstverst!ndlich zusammen arbeiteten, gerietendie Herrnhuter im Westen mit ihren pietistischen Wurzeln und ihrem evan-gelikalen Freundeskreis mitten in die Fronten. Als der Distrikt Herrnhut 1969anfragte, ob man nicht ins Losungsbuch einen Zusatz #ber die "kumeneaufnehmen kçnne, erkl!rte die Direktion in Bad Boll, „der Begriff der "ku-mene“ wirke „in gewissen Kreisen wie ein rotes Tuch“.132 Schließlich gehçrtendie Evangelikalen zu den treuesten Losungslesern und Spendern. Bad Boll lagdie Stellungnahme eines westdeutschen Theologen vor, der gerade in S#daf-rika bei den Moraven arbeitete, sich unzufrieden #ber die Ablehnung desProgramms durch die s#dafrikanische Synode zeigte und zur Frage der Mi-litanz vermerkte: „Shocking is that a church body supports revolutionarymovements. It is shocking for those who were used through centuries tochurches being conservative, supporting the established ‘God given’ govern-ments, the privileged and those in power etc. Now, theWCC takes a stand withthe underprivileged, voiceless, racially oppressed, even revolutionary ele-ments!”133 Er stand mit dieser Position nicht allein. Allerdings hielten sich diewestdeutschen Herrnhuter offiziell wie so oft in heiklen Fragen aus der Dis-kussion heraus, obgleich auch ihnen die Stellungnahmen der s#dafrikani-schen Glaubensgenossen vorlagen.134

1965 noch hatte die Distriktssynode in Bad Boll im Blick auf die "kumeneerkl!rt: „Wir lehnen #berhaupt alle Einigungsbestrebungen ab, die in ihrenMotiven und Zielen nicht christozentrisch sind“.135 Ende der siebziger Jahrebat die Direktion den Theologen Walther G#nther um eine Stellungnahme.Diese signalisierte eine Tendenz weg von der traditionellen ZinzendorfschenFrçmmigkeit im West-Distrikt.136 G#nther versuchte, zwischen den „"ku-menikern“ und „Evangelikalen“, wie die Fronten in diesem kuriosen KaltenKrieg genannt wurden, zu vermitteln. Gleichwohl war seine Sympathie f#r den"RK mit der „prophetischen“ Aufgabe (wie besonders umstrittene Aussagenund Aktionen genannt wurden) und seine Distanz zu den Evangelikalen mitihrer „herkçmmlichen Durchschnittsdogmatik und ein[em] an Jesus orien-tierte[n] Biblizismus“ un#berhçrbar. Unausweichlich schien damals dieEhrbezeugung f#r Karl Marx und Siegmund Freud, denen G#nther in seinemBeitrag eine große Bedeutung f#r das Christentum einr!umte.137 In Debattender br#derischen Zeitschrift „Unitas Fratrum“ wiederum erwiesen sich die

132 Bad Boll, o.A., an E. Fçrster, 18. 2.1969, UA EFUD 658.133 „A Plea for Understanding“, K. Schmidt, 9. 9. 1970, "RK-Archiv 4223.3.03; K. Schmidt an E. C.

Blake, 31. 10.1970, "RK-Archiv 4223.3.03.134 Unterlagen UA EFUD 938.135 Memorandum,"kumeneausschuss, DistriktssynodeBadBoll, 15.9.1965,"RK-Archiv 42.4.029;

vgl. auch „Moravian Church’s Relation to the Ecumenical Movement“, H. Motel, 9. 6. 1962, UADEBU 304.

136 Vgl. etwa „King, Dutschke und die Folgen“, von H. Bintz, in: Der Br#derbote, Mai 1968.137 G#nther, Richtungsk!mpfe im Protestantismus, vgl. auch Bintz, Nairobi aus freikirchlicher

Sicht.

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westdeutschen Herrnhuter zwar als kapitalismuskritisch, doch waren sie sicheinig, dass Christentum und Marxismus nicht kompatibel seien.138 So nahmdie Br#dergemeine in der Bundesrepublik im Großen und Ganzen eine ver-mittelnde Position ein und ließ erneut ein weites Meinungsspektrum zu.

Die Nivellierung zwischen Ost und West hinderte Kirchen in den Ost-blockstaaten an einer kritischen Analyse ihrer Gesellschaft und einer coura-gierten Auseinandersetzung mit ihrer Obrigkeit. Im schrillen Diskurs desKalten Krieges war eine faire Abw!gung ohnehin schwer.139 Wenige hieltenDistanz zur çkumenischen Euphorie. Theodor Gill etwa warnte davor, dieKirche nur „nach ihren Anstrengungen im sozialen, çkonomischen und po-litischen Einsatz“ zu werten. Wer die Kirche als „Tr!gerin des großenKreuzzuges f#r weltlichen Fortschritt“ sehe, dem gelte das „geistliche und denMenschen ver!ndernde Anliegen des Evangeliums“ wenig.140 %hnlich sah dieSituation im ostdeutschen Kirchenbund aus, wo Bischof Werner Krusche zuden wenigen gehçrte, die den BEK zu mehr Distanz gegen#ber der Politik desWeltkirchenrates mahnten. Der regimekritische Theologe Heino Falcke#berlegte im R#ckblick auf die çkumenische Arbeit : „Warum haben wir da-mals nicht die Systemfrage gestellt?“ Er fragte sich, ob die westeurop!ischenPartner „wie manche Linke im Westen von einer anti-antikommunistischenKritikhemmung befallen“ gewesen seien.141 Damit traf er einenwunden Punkt.Der westliche „Anti-Antikommunismus“ aber hatte wahrscheinlich einigesmit b#rgerlichem Habitus und Distinktionsbed#rfnis zu tun. Den westlichintellektuellen"kumenikern jedenfalls schien der schrille Antikommunismuszutiefst zuwider zu sein.

6.2 Soziale und evangelikale Positionen.Die Unit!tssynode in Jamaika 1974

Auch auf der Unit!tssynode in Jamaika zeigten sich die weltweiten Konflikt-linien innerhalb der Christenheit. 1974 trafen sich vom 23. Juni bis 12. Juli1974 dieMoraven in der Hauptstadt Kingston, in einem Landmit einer jungenKirche. Aus den vier Unit!tsprovinzen der Vorkriegszeit in Europa undNordamerika waren 17 in der ganzen Welt geworden. Nur noch zehn dervierzig offiziellen Teilnehmer kamen aus Europa, darunter als Delegierter derEurop!isch Festl!ndischen Unit!t Theodor Gill.142 Er behandelte die Synode

138 Kootz, Kapitalismus und Christentum; Kootz, Christentum und Sozialismus; Theile.139 Vgl. dazu den Brief von L. Vischer an M. Klingenberg, 5. 6. 1972, "RK-Archiv 994.3.50.8.140 Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, Februar 1975, UA EFUD 659.141 Falcke, S. 93.142 Sitzungsbericht der DUD, 19.9. 1973, UA DEBU 16; Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, 2/

1975, UA EFUD 659; Beck, S. 316.

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als interne Angelegenheit, so dass dieses Ereignis in der DDR vom Staat nichtpublizistisch ausgenutzt werden konnte.

Die drei offiziellen Erkl!rungen der Unit!tssynode bezogen sich aus-schließlich auf politische und soziale Probleme: auf die Armut in den Ent-wicklungsl!ndern, auf den Konflikt in Nord-Irland, wo es eine kleine Gemeinegab, und auf denRassismus. Die Erkl!rungen betonten diesesMal jedoch starkdie individuelle Verantwortung des Einzelnen: „[I]t has to be borne in mindthat countries are made up of individual people. In this respect, each man andwoman bears a personal responsibility fort the actions of their govern-ment.“143 Damit hatte die Unit!t sich von Positionen entfernt, die die Ursachevon Ungerechtigkeit vor allem in Strukturen suchte, eine Position, die dasbr#derische Memorandum „Kirche und die Gesellschaft“ von 1967 dominierthatte. Da die Unit!tssynode damals in der CSSR stattgefunden hatte, zeigtesich hier mçglicherweise der Einfluss des gastgebenden Landes. Allerdingswird dabei auch deutlich, dass es in der Unit!t eine weite Bandbreite anpolitischen &berzeugungen gab. Doch bei aller Unterschiedlichkeit bezogendie Moraven in fast allen L!ndern Positionen, die mit den jeweiligen Regie-rungen oder mit der Haltung der intellektuellen Elite #bereinstimmte.144 Zuden Ausnahmen gehçrten die s#dafrikanischen Moraven, die weiterhin gegendas Apartheid-Regime k!mpften. Im „Statement on Racism“ einigten sich dieDelegierten, die Problematik des Antirassismusprogramms anzusprechen,dabei jedoch den guten Willen, der dahinter stecke, zu betonen.145

Insgesamt zeigte sich in der Betonung sozialer und politischer Aspekte dieDiskurshoheit der westlichen Delegierten, da die afrikanischen und s#d-amerikanischen Kirchen st!rker an evangelikalen und missionarischen Fra-gen interessiert waren.146 Theodor Gill, der stets an die christozentrischenWurzeln der Br#dergemeine erinnerte, schrieb in seinem Bericht abw!gend:„Manche interpretieren die Botschaft der Bibel allein in der Sprache ihrersozialen und çkonomischen Dimensionen.“ Auf der anderen Seite gebe esMenschen, die die Kirche „als rein geistliche Bewegung“ ans!hen. Gill mahnte,beides einzubeziehen.147 Mit dieser Haltung gelang es dem Theologen, in denGemeinen der DDR von Armut und Rassismus zu berichten, ohne einen po-litischen Kotau vor dem Geist des DDR-Regimes zu machen.

143 Statement of the Distribution of the Word’s Resources, MAB 173FI, 1974 Unity Synod.144 Vgl. dazu auch die Kritik von H.-W. Erbe, Zur Musik in der Br#dergemeine, S. 64 f.145 Statement on Racism, No 3, Unity Synod 1974, MAB 173FI, 1974 Unity Synod.146 Dr. S. Nielsen, S#dafrika, an E. D. Blake, 5. 10.1970, "RK-Archiv 4223.3.03; Erçffnungspredigt

des jamaikanischen Bischofs S. U. Hastings, in: „An die Geschwister in den Gemeinbereichender Evang. Br#der-Unit!t im Distrikt Herrnhut“, 9/1974, S. 2, UA EFUD 659; vgl. die Kritik destansanianischen Geistlichen Musomba (auch r#ckblickend) an der Dominanz liberaler Posi-tionen in der Unit!ts-F#hrung, die die Haltung der afrikanischen Basis zu sehr ausblende:Musomba.

147 Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, 2/1975c, UA EFUD 659; vgl. auch Berichte Th. Gills inUA DEBU 54; Bericht von Th. Gill in North American Moravian, September 1974.

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Einmal mehr best!rkte die Synode die weltweite Einheit. Die Europ!isch-Festl!ndische Provinz hatte vorgeschlagen, eine hauptamtliche Stelle f#r dielaufenden internationalen Gesch!fte der Unit!t einzurichten.148 Anders als inden großen weltweiten christlichen Organisationen wie der lutherischen oderdie reformierten Kirche gab es in der Unitas Fratrum keine einzige Perso-nalstelle, die sich hauptamtlich um die eigenen internationalen Belangek#mmerte. Doch lehnte die Synode den Vorschlag eines Postens daf#r ab, undes blieb bei einer Unit!tsbehçrde als leitendem Gremium zwischen den Uni-t!tssynoden. Allerdings sollte deren Vorsitzender, der alle zwei Jahre neugew!hlt wurde, j!hrlich 2000 US-Dollar f#r Sekret!rsdienstleistungen erhal-ten.149 Diese Sparsamkeit verdeutlicht, wie knapp es um die finanziellenMittelder kleinen Kirche bestellt war, obwohl sie die jungen Gliedkirchen in großemUmfang unterst#tzte. Doch die Br#der-Unit!t hatte nicht nur den organisa-torischenWeg, um ihre Einheit zu praktizieren. So best!rkten die Delegiertendie internationalen Riten. Die Gebetswacht, deren 24-Stundenprogrammmanche Gemeine #berfordert hatte, sollte weitergef#hrt werden, wobei dieeinzelnen Provinzen frei entscheiden konnten, wie dieWacht ausge#bt wurde.Allerdings sollte der Austausch der Gebetsanliegen intensiviert werden.150

&ber das Losungsbuch hieß es in einemBeschluss: „Es ist bedeutsam, dass wirin einer Zeit wachsender Polarisierung t!glich unter den gleichen Bibeltextenzusammenkommen.“ Die Provinzen sollten das Andachtsbuch weiter in derChristenheit als einigendes Band verbreiten.151 Zudem beschlossen die Dele-gierten systematischer und intensiver Informationen zwischen den Provinzenauszutauschen.152

6.3 Der Kontrakt zwischen Br#dergemeine und Staat.Die siebziger Jahre

Die Br#dergemeine hatte sich eingerichtet. Sie stellte nicht die Systemfrage.153

Damit unterschied sie sich in den siebziger Jahren nicht von den Landeskir-chen. %hnlich wie die anderen Freikirchen, die allgemein als besonders loyalgalten, war sie den Landeskirchen in ihrer Ann!herung an den Staat jedoch

148 News Release, Moravian Church in America, 6.6. 1974, MAB 173FI, Unity Board 1966.149 Minutes of the Unity Synod, 1974, S. 57, MAB 173FI, 1974 Unity Synod.150 Vgl. R. F. Amos an Pastors of Moravian Churches, Southern Province, 6. 10.1976, MAB 116HI,

Prayer Watch 1966+1977; Bericht Distrikt Ost, 1974, S. 2, UA EFUD 659; Bericht Th. Gill #berUnit!tssynode in: An die Geschwister in den Gemeinbereichen, 9/1974, S. 2, UA EFUD 659.

151 Beschl#sse der Unit!ssynode 1974, UA DEBU 54.152 Th. Gill an Dr. H. Bintz, 10.10.1974, UA EFUD 659.153 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 10.

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um einige Jahre voraus.154 DerDresdner CDU-Bezirksverband berichtete 1970,Freikirchen wie die Br#der-Unit!t betrieben „auf Grund ihres st!rkeren ge-sellschaftlichen Engagements in der sozialistischen Entwicklung eine selb-st!ndige, von westdeutschen Einfl#ssen unabh!ngige Religionsaus#bung“.155

Dennoch gab es aus Sicht der Behçrden rund um die Unit!t Handlungsbedarf:Anfang der siebziger Jahre gehçrten im Kreis Lçbau noch immer rund siebzigProzent der Bewohner einer Kirche an, im Kreis Niesky sogar noch 75 Prozentund in Herrnhut selbst 83 Prozent. DDR-weit war sch!tzungsweise nochmehrals jeder zweite Kirchenmitglied – freilich nur nominell, die praktizierendenChristen waren zu einer verschwindenden Minderheit geworden.156 Diestaatliche Devise im Bezirk Dresden hieß f#r 1972: Es gelte, die „realistischenKr!fte“ zu fçrdern, die „Kirche im Sozialismus“ sein wollten, doch zugleichm#ssten die Organe daf#r sorgen, dass der „Einfluss der Kirche auf die Be-vçlkerung bzw. Versuche der Ausweitung dieses Einflusses zur#ckgedr!ngtwerden.“157 In einer zunehmend defensiven Position erkauften sich die Kir-chen geradezu durch Wohlverhalten ihre Wirkungsmçglichkeiten. Die Ge-genleistungen des Staates wurden meist in Gespr!chen ausgehandelt.158 DieUnit!t beherrschte die Aushandlungstaktik virtuos. Das verschleierte man-chem f#hrenden Herrnhuter seine Abh!ngigkeit, verringerte diese gleichwohlnicht. Jede Zusage war ein Gnadenakt, den der Bittsteller mit Loyalit!t undDank zu bezahlen hatte. Beispielhaft f#r einen Aushandlungsprozess warendie Verhandlungen, die die Gemeine f#r ihre Feierlichkeiten um den 16. Juni1972 f#hrte, dem 250. Gr#ndungstag Herrnhuts. Im Kontext dieses Jubil!umsmanifestierten sich das gewandelte Selbstverst!ndnis der Gemeine und dieRolle, die ihr der Staat zudachte.

6.3.1 Im staatlichen Kirchen-Gehege.Das Fçrderungsheim f#r behinderte Jugendliche

Die Herrnhuter wollten mit der Jubil!umsfeier ihren Glauben und ihre Mis-sionstradition feiern und festigen. Doch zugleich galt es, den internationalenFokus, den die Feier mit sich brachte, als Chance zu ergreifen. So nutzte die

154 Silomon, Anspruch und Wirklichkeit, S. 660; vgl. zur vorbildhaften Rolle der Unit!t die Ein-sch!tzung von G, Gçtting in seiner Ansprache zum 250-Jahre-Jubil!um, 16.6.1972, HStADrd. 11430, Nr. 10870.

155 Informationsbericht an Parteileitung der CDU, 13. 7.1970, ACDP VI-011.156 Stand der Kirchenzugehçrigkeit der Wohnbevçlkerung, 31.12.1973, HStA Drd. 11430,

Nr. 11028; Betr. 250-Jahrfeier der Herrnhuter Br#dergemeine, o.A., HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633; die Zahlen f#r die DDR orientieren sich an Pollack, Organisationsgesellschaft,S. 373–381.

157 Entwurf Arbeitsplan II. Halbjahr 1972, Referat Kirchenfragen Drd., 15. 6.1972, HStADrd. 11430, Nr. 10884.

158 Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 268–273.

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Br#dergemeine das Jubil!um, sich in ihren Aufgaben neu zu orientieren. Denndie kleine Freikirche qu!lte sich weiterhin mit der Frage ihrer Existenzbe-rechtigung.159 Hickel und die anderen F#hrungskr!fte erkannten, dass ihnenin der DDR die diakonische Arbeit mit der Betreuung von Behinderten offenstand. Damit hatten zugleich die br#derischen Betriebe eine bessere &berle-benschance, da die Behinderten dort zu therapeutischen Zwecken arbeitenkçnnten. Zu diesem Zukunftsplan, der 1969 entstand, gehçrte in Herrnhutauch, mit der R!umung der Tr#mmer und einem traditionsverpflichteten,denkmalschutzgerechten Wiederaufbau zu beginnen.160 Zuerst sollte amZinzendorfplatz f#r die Behindertenarbeit das alte Herrschaftshaus wieder-erstehen, wof#r es der Genehmigung bedurfte. Es war kennzeichnend f#r diestaatliche Allgegenwart, dass die Unit!t kein Recht hatte, #ber ihren Immo-bilienbesitz und deren Nutzung frei zu entscheiden.

Ziel des Staates hingegen war es mit Hilfe des Jubil!ums die Br#der-Unit!tin das Gehege zu f#hren, das er f#r die Kirchen in der sozialistischen Ge-sellschaft abgesteckt hatte: Zum einen galt es, die Br#dergemeine weiterhin indie Differenzierungspolitik einzubinden. Zum andern sollte die Freikirche angesellschaftlichen Aufgaben nur noch solche erf#llen, die einen gesellschaft-lichen Einfluss weitgehend ausschlossen, also die Alten- und Behindertenar-beit, ein Ziel, das die Herrnhuter bereits weitgehend akzeptiert hatten.Schließlich durfte die Internationalit!t der Br#dergemeine allenfalls als anti-imperialistischer Kampf gegen Kolonialismus undUnterdr#ckung auftauchenund sollte vorrangig dem Ansehen der DDR nutzen. Die Planung des Jubil!-ums war also eine hochkomplexe Angelegenheit. Wie wichtig f#r das Regimedas herrnhutische Jubil!um war, zeigt sich an der Einbindung der Behçrdenbis hin zum ZK der SED. Die Hauptverantwortung trug der Erste Stellver-tretende Vorsitzende f#r Inneres imRat des Bezirkes Dresden, Genosse Riedel,der bereits 1966 mit der Planung begonnen hatte. 1970 bildete er daf#r eineArbeitsgruppe, die sich mit den Parteiinstanzen absprach und die Kompe-tenzen des Kreises einschr!nkte. Bei den Verhandlungenmit der Gemeine warHorst Dohle tonangebend, der Leiter des Kirchenreferats beim Rat des Be-zirkes.161

Im Aushandlungsprozess folgte der Staat dem Prinzip der Erpressung. Aufden Vorschlag der Unit!t, im ehemaligen Herrschaftshaus ein Heim f#r be-

159 Vgl. etwa Erstes Arbeitsergebnis der beiden Aussch#sse f#r Gemeinfragen, 10/1963, UA EFUD656.

160 Vgl. H. Hickel an OKR Dr. Bosinski, Innere Mission und Hilfswerk, 28.10.1970, UA DEBU 864;Dokument Br#der-Unit!t (Fotografie) im Grundstein des Fçrderungsheims, H. Hickel,18.10.1974.

161 Riedel, BL Drd., Inneres, an Vorsitzenden des RdK Lçbau, 21.3. 1972, HStA Drd., 11857, Nr. IVC-2/14/ 678; H. Dohle, RdB, Ref. f#r Kirchenfragen anGen.Dr. H#ttner, ZK der SED, 19. 11.1969,HStA Drd. 11430, Nr. 10872; Abschlussbericht RdB Drd., Ref. Kirchenfragen, 7. 7. 1972, HStADrd. 11430, Nr. 10870.

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hinderte Jugendliche einzurichten, gingen die Staatsfunktion!re sofort ein.162

Die Gesamtkosten der Anstalt betrugen 5,1 Millionen, davon 3,8 MillionenMark in Devisen, was f#r den Staat, der die Devisen abschçpfte, besondersattraktiv war. Das Projekt gehçrte zu einem Programm der Inneren Missionund des Hilfswerks, mit dem – zum Großteil von westdeutschen Kirchenfinanziert – seit 1966 in der DDR 100 Heime mit #ber 6000 Betten insbeson-dere f#r Behinderte erbaut wurden. In Herrnhut entstanden 465 Bettpl!tze.163

F#r den Staat, der sich finanziell kaum an der Behindertenarbeit beteiligte,war das Vorhaben in jeder Hinsicht ein Gewinn. Dennoch kn#pfte er dieGenehmigung des Behindertenheims an Gegenleistungen. So musste die Ge-meine ihreKinderheime schließen; nur in Ebersdorf durfte das S!uglingsheim„Gottesschutz“, von dem die Machthaber keinen Einfluss auf die Jugend be-f#rchteten, erhalten bleiben.164

Bezeichnenderweise lehnte der Rat des Bezirkes die Einladung eines Ver-treters der westdeutschen EKD zum Jubil!um strikt ab, „im Interesse desweiteren loyalen Gespr!chs #ber das Jubil!um“.165 All zu deutlich w!re sonstwohl das bundesrepublikanische finanzielle Engagement geworden. Esm#sse,wie es beim Rat des Bezirkes hieß, „Klarheit dar#ber geschaffen werden, dasseine Stadt in der sozialistischen DDR Jubil!um feiert und im Grunde keinekirchliche Berechtigung besteht, Feiern abzuhalten“, um damit „die großz#-gige staatliche Entscheidung bei kirchlichenW#nschen“ zu demonstrieren.166

Der Aushandlungsprozess, der #berwiegend von Hickel gef#hrt wurde, gerietmangels rechtlicher Regeln oft zu einem kurios anmutenden Geschacher. Daetwa die Probleme der Br#dergemeine wie die Entsch!digung f#r enteignetenLandbesitz oder die Besteuerung D#rningers immer noch nicht gelçst waren,wurden sie in die anstehende Verhandlungsmasse eingebracht.167 HickelsTaktieren und seine Lippenbekenntnise gingen recht weit. In einem Vorbe-reitungsgespr!ch etwa erkl!rte er, die Unit!t sei „durch ihre Geschichte undTradition von 1945 an offener gewesen f#r die neue gesellschaftliche Ent-wicklung als vielleicht andere Landeskirchen.“168 Nicht nur angesichts dernationalkonservativen br#derischen Vergangenheit war diese Aussage be-merkenswert, sondern auch weil sich Hickel sich hier auf Kosten der anderen

162 Aktennotiz #ber Besuch von Dr. Dohle und Hammer von E. Fçrster, 25.2. 1970, UA DEBU 843.163 Dokumente (Kopien) im Grundstein des Fçrderungsheims, 18.10.1974.164 Hickel schrieb 1975, dass das Unit!tskinderheim „im Zusammenhang mit dem Beginn des

Fçrderungsheimes“ im Sommer 1976 geschlossen werde sollte; durch das Fehlverhalten desHeimleiters schloss das Unit!tskinderheim dann bereits 1975 seine Pforten, H. Hickel an Di-rektion der EFBU Bad Boll, 25.2. 1975, UA DEBU 34; vgl. auch Meyer, Zinzendorf und dieHerrnhuter Br#dergemeine, S. 152.

165 Riedel, RdB Drd., Inneres, an Staatssekret!r f#r Kirchenfragen, 18.10.1971, HStA Drd. 11430,Nr. 10870.

166 Abschlussbericht RdB Drd., Ref. Kirchenfragen, 7. 7.1972, HstA Drd. 11430, Nr. 10870.167 Vgl. etwa die Unterlagen in HStA Drd. 11430, Nr. 10871; vgl. auch Unterlagen in HStA

Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633 u. IV C-2/14/ 678.168 Protokoll Gespr!ch mit Direktion der EBU, 18.4.1972, HStA Drd. 11430, Nr. 10860.

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Kirchen profilierte. Zudemwar der Direktionsvorsitzende imMai 1972 bereit,auf die Forderung der Behçrden einzugehen und anerkannte in einem Ge-spr!ch die „f#hrenden Rolle der Arbeiterklasse“ – eines der Lippenbekennt-nisse, auf die das SED-Regime so vielWert legte.169 In einem anderenGespr!ch#ber das Jubil!um erwirkte der Theologe die „wohlwollende“ Erw!gung derBehçrden, einen Ausreiseantrag zu genehmigen, sowie Informationsmaterialaus den anderen Provinzen und 2000 Gesangb#cher #ber die Grenze zu lassen.Im Gegenzug betonte Hickel die Selbst!ndigkeit des Distrikts Herrnhut ge-gen#ber den westdeutschen Geschwistern, ein wichtiger Punkt f#r dieMachthaber bei den Jubil!umsfeierlichkeiten. Dohle wollte außerdem dieUni!t darauf verpflichten, den ungeliebten Gçrlitzer Bischof Fr!nkel nichteinzuladen, was Hickel allerdings nicht zusagen mochte. Doch erkl!rte derDirektionsvorsitzende, die Beziehungen zu Fr!nkel seien ohnehin nicht engund die Unit!t werde bei Gelegenheit dem Bischof nahe legen, „seine gesell-schaftlichen Positionen zu #berpr#fen.“170 F#r Hickel bedeutete dergleichengewiss reines Taktieren, und tats!chlich war Fr!nkel dann bei den Feierlich-keiten dabei. Aber war die Distanzierung von einem Glaubensbruder – zu dersich auch andere Kirchenf#hrer wie Albrecht Schçnherr bereitfanden, indemsie gleichfalls in Gespr!chenmit den Behçrden Fr!nkel herabsetzten – legitim,auch wenn es um die „gute Sache“ ging?171

Den Hçhepunkt dieser vorbereitenden Gespr!che bildete ein Treffen derStaatsfunktion!re 1971 in Herrnhut mit der Direktion. Mit dabei waren derVorsitzende der CDUGerald Gçtting und der Staatssekret!r f#r KirchenfragenHans Seigewasser ; in der Verhandlungsmasse enthalten war neben dem Ju-bil!um die Zukunft der br#derischen Betriebe.172 Bei diesem Termin punkteteder Staat klar gegen#ber der Freikirche: Er nutzte das Treffen als propagan-distischen Coup, w!hrend die Unit!t keine positive Zusage #ber Steuerent-lastungen erhielt, die das &berleben der Firma D#rninger gesichert h!tten.173

Den staatlichen Erpressungsversuchen hielt die Br#dergemeine ihre In-ternationalit!t entgegen. Sie war f#r die Behçrden ein zentrales Argument, dieD#rninger-Betriebe nicht anzutasten, weil sie den Imageverlust f#rchteten,wenn die internationalen Besucher eine Enteignung mitbekommen h!tten.Auch der Aufbau Herrnhuts konnte nicht mehr l!nger verhindert werden,wollte die DDR den G!sten im Jahr 1972 nicht eine Stadt in Tr#mmern pr!-sentieren. Der gute Eindruck bei denG!sten bedeutete den Staatsfunktion!renviel. Bisher war Herrnhut, das zu den am st!rksten zerstçrten Ortschaften derOberlausitz gehçrte, systematisch benachteiligt worden. 1969 noch hatte die

169 RdK Lçbau, Kirchenfragen, an RdB Drd., Stellv. des Vorsitzenden, 22. 8.1972, HStA Drd. 11430,Nr. 10907.

170 Notiz #ber Gespr!ch H. Dohle mit H. Hickel u. G. Hasting, 12.1. 1971, HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633.

171 Vgl. zu Schçnherr und Fr!nkel Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 271.172 Aktennotiz RdB Drd., Ref. Kirchenfragen, 2. 4. 1971, HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633.173 Pressesammlung HStA Drd. 11430, Nr. 11057.

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SED-Bezirksleitung befohlen, der Br#dergemeine keine Baumaterialien zugenehmigen.174 1970 hieß es dann jedoch in einem zentralen Planungspapierdes Bezirkes #ber Herrnhut: „Der starke religiçse Einfluss und die nichtvorhandene Industrie bewirken, dass sozialistische Arbeits- und Lebensfor-men in Herrnhut noch schwach ausgepr!gt sind. […] Die Konzeption f#r denTeilwiederaufbau des Stadtkernsmuss davon ausgehen, dass der sozialistischeCharakter unsererGesellschaft st!dtebaulich zu gestalten ist und dass dadurchsozialistische Lebens- und Verhaltensweisen gefçrdert werden“.175 Die Ver-antwortlichen des Bezirkes entwarfen nun einen Masterplan f#r ein Herrnhutmit sozialistischem Antlitz. Er sah eine teilweise Enttr#mmerung der Stadtund den Bau grçßerer Geb!ude vor.176 Kernst#ck des Plans war der Neubau f#reine zwanzigklassige Polytechnische Oberschule, wie die sozialistische Schulebis zur zehnten Klasse hieß. Der Bau sollte „sichtbares Symbol f#r Leistungendes werkt!tigen Volkes“ sein.177 Ein Schulneubau wurde seit Kriegsende vonallen Beteiligten gefordert, da die Schule seither provisorisch bei der Unit!t imeinstigen Schwesternhaus untergebracht war, wo es weder sanit!re Anlagennoch Zentralheizung gab. Die Br#dergemeine hielt f#r die neue Schule einideales Grundst#ck in ruhiger Lage bereit, das auch die Kinder der Nach-bargemeinden gut erreichen konnten. Doch die Behçrden beschlossen 1970im Rahmen der Installierung „sozialistischer Arbeits- und Lebensformen“,die neue Schule im Herzen der Stadt, am Zinzendorfplatz, vis ' vis des Kir-chengeb!udes zu bauen, und zwar als gewaltigen Plattenbau.178

Hier widersprachen sich die Interessen von Gemeine und Behçrden dia-metral. Zudem hatte der neue Standort ein nicht zu leugnendes Problem:Nicht nur herrschte Platzmangel f#r weitere Anbauten wie eine Schulk#che(worauf die Unit!t wiederholt aufmerksam machte), nicht nur war er weitentfernt von der Turnhalle, er lag auch an einer stark frequentierten Fern-verkehrsstraße. Freikirche und Einwohner Herrnhuts waren erbost #ber dasVorgehen der Staatsfunktion!re, die ohne jede R#cksprache das noch erhaltengebliebene barocke Ambiente des Stadtkerns zu zerstçren drohten. Dabei kames zu einem geradezu zivilgesellschaftlichen Engagement – ein Hinweis auf einimmer noch relativ intaktes, b#rgerlich-unabh!ngiges Milieu in Herrnhut.Die Eltern beschwerten sich, bei B#rgertreffen kam es zu Tumulten, in derStadtverordnetenversammlung, in der noch immer einige Br#dergemein-

174 RdB Drd., Abteilung Staat und Recht an W. Krolikowski #ber Aussprache, 30.10.69, HStADrd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633.

175 Vorlage zur Sitzung des RdB Drd., 23.3. 1970, HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633.176 RdB. Drd., Abteilung Staat und Recht an W. Krolikowski #ber Aussprache, 30.10.69, HStA

Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633.177 Konzeption f#r die zeitweilige Arbeitsgruppe 250-Jahre EBU, RdB Drd., 3.3. 1971, HStA

Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633.178 Vorlage zur Sitzung des RdB Drd., 23.3. 1970, HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633; SPO

Herrnhut an KL Lçbau, 7. 11.1970, HStADrd. 11857, Nr. IV/B.4.09. 091; Unterlagen in BStUMfSHA XX/4, 778; Vertraulicher Vermerk, H. Hickel, Bad Boll, 14.11. 1972, UA EFUD 659.

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mitglieder saßen, wurde offen diskutiert, Herrnhuter beschwerten sich, nichtvorher in einer Einwohnerversammlung informiert worden zu sein; einigebr#derische B#rger, darunter Martin Clemens und Andreas Verbeek, gr#n-deten ein „Kollektiv“, das durch Treffen mit den Funktion!ren und Eingabenversuchte, die Behçrden umzustimmen.179

Freilich beeindruckte ein solches b#rgerschaftliches Engagement dieMachthaber nicht. Die Schule wurde gebaut. Eigentlich h!tte sie 1972p#nktlich zum Jubil!um eingeweiht werden sollen, um den G!sten den so-zialistischen Fortschritt zu pr!sentieren, doch wurde sie erst ein Jahr sp!terfertig. Und kaum stand der Bau, erkl!rten die Behçrden, die Notwendigkeitweiterer Bauten wie eine Schulk#che „vergessen“ zu haben und forderten dieUnit!t auf, daf#r Geb!ude zur Verf#gung zu stellen.180 Die Funktion!re erle-digten mit dem Schulneubau gleich eine zweite Aufgabe: Mit ihm, so diePlanungskommission, „wird eine wesentliche politisch-ideologische und so-ziale Verbesserung der Zusammensetzung der Sch#lerschaft an dieser Schule,verglichen mit dem bisherigen Zustand in Herrnhut, erreicht.“181 Indem dieKinder aus der ganzen Umgegend zusammen kamen, blieben br#derischeSch#ler in der Minderheit, zumal das Lehrerkollegium sie sorgf!ltig auf dieverschiedenen Parallelklassen aufteilte. Dem Staat gen#gte das noch nicht:Neben der Schule, ebenfalls im Stadtzentrum, entstanden Plattenbauten mitvierzig Wohnungen, in die staatstreue Bewohner oder Ortsfremde einzogen,h!ufigMitglieder derOffiziershochschule Lçbau.Mit diesen Zugezogenen, dierund zehn Prozent der BewohnerHerrnhuts ausmachten, griffen die Behçrdenbewusst das br#derische Milieu an. Die Unit!t bildete daraufhin nur noch einViertel der Einwohner. Dabei brauchte die Unit!t selbst dringend f#r ihreMitglieder und Mitarbeiter Wohnungen.182

Das barocke Flair der kleinen Stadt stand nach den Aufbauarbeiten imSchatten der sozialistischen Architektur, und der Vergleich des neuenHerrnhut mit dem Stadtbild vor der Zerstçrung blieb dann trotz aller Auf-bauarbeiten schmerzlich: Auf alten Photographien zeigt sich der Zinzen-

179 Bericht Stadtverordneten-Versammlung, 2. 10.1970, Stadtarchiv Herrnhut, Ordner Ratsproto-kolle 1969–70; SPO Herrnhut an KL Lçbau, 7.11. 1970, HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.4.09. 091;Bericht Stadtverordneten-Versammlung, 2. 10.1970, Stadtarchiv Herrnhut, Ordner Ratsproto-kolle 1969–70; Vertraulicher Vermerk von Hickel, 14.11.1972, UA EFUD 659.

180 Vertraulicher Vermerk, H. Hickel, Bad Boll, 14.11.1972, UA EFUD 659; Bericht Stadtverord-neten-Versammlung, 2. 10.1970, Stadtarchiv Herrnhut, Ordner Ratsprotokolle 1969–70; Ein-gabe Finanzdirektion Herrnhut, 19.11.1975, HStA Drd. 11430, Nr. 10948; Niederschrift #berTreffen der Kreisplankommission und Neuererkollektiv, 1. 12.1971 u. Einspruch Neuererkol-lektiv an RdK Lçbau, 22.12.1971, beide Akten u. weitere Unterlagen dazu in HStA Drd. 11430,Nr. 10872.

181 Vorlage zur Sitzung des RdB Drd., 23.3. 1970, HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633.182 Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, 24.7. 1973, UA EFUD 659; „Br#dergemeine Herrnhut

heute“, in: Br#derbote, September 1977; Interviewmit R. Fischer, B#rgermeister inHerrnhut ab1990, Herrnhut, 7. 7.2006, UA; Interview mit Prof. Dr. Horst Dohle, Berlin, 23.5. 2006, Unter-lagen H. Richter ; Vertraulicher Vermerk, H. Hickel, Bad Boll, 14. 11.1972, UA EFUD 659.

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dorfplatz als ein st!dtisches Zentrum mit Wasserspielen und elegantenGr#nanlagen, eingerahmt von den hohen Bauten im Herrnhuter Stil. Nundominierten die Betonbauten den Stadtkern, die dem Platz keinen Abschlussgaben und die f#r sozialistische Stadtarchitektur typische Leere bewirkten.Partei und Staat hatten der frommen Topographie einen sozialistischenStempel aufgedr#ckt und die Wunden von 1945 vertieft.

Dennoch waren auch die Verantwortlichen der Br#dergemeine mit demVerhandlungsergebnis um das Jubil!um nicht unzufrieden. Trotz aller Nie-derlagen schienen sie einmal mehr bewiesen zu haben, was ihnen moravischeMitgl!ubige aus den USA attestierten: „Playing the system“, darin waren sieMeister.183 Der Kontrakt mit dem Staat hatte sie zwar in die Grenzen gebannt,die das SED-Regime den Kirchen zog, sie hatten den Anspruch auf gesell-schaftlichen Einfluss weitgehend aufgegeben, doch fand die Br#dergemeinemit der Behindertenarbeit einen neuen „Dienst“, der ihre Existenz rechtfer-tigte. Und auch wenn die Steuer- und Besitzangelegenheiten von D#rningernoch immer nicht gekl!rt waren, hatten sie doch den VerstaatlichungsschubAnfang der 1972 Jahre #berstanden, in dessen Verlauf die letzten 11 000 Klein-und Mittelbetriebe sozialisiert wurden. Hinzu kamen einige kleinere Zuge-st!ndnisse der Obrigkeit, wie die Erlaubnis, ein Tagungsheim einzurichten.184

Zudem verbuchte die Br#dergemeine die Genehmigung als Erfolg, das Herr-schaftshaus f#r die diakonische Arbeit in der alten barocken Architekturaufbauen zu d#rfen. Selbstverst!ndlich ohne staatliche Gelder und erst nachVollendung des Schulbaus.W!hrend des Jubil!ums 1972 stand die Ruine nochda. Als zus!tzlichen Sieg empfand die Gemeine, wieHickel einer Aktennotiz inBad Boll w!hrend einer Westreise anvertraute, das Bettenhaus neben demHerrschaftsgeb!ude nicht mit Flachdach, sondern im Herrnhuter Stil bauenzu kçnnen.185

Da das Projekt Herrschaftshaus vielen bed#rftigen Jugendlichen einenHeimplatz und hervorragende medizinische Betreuung und Fçrderung bot,stand seinWert #ber allen staatlichen R!nkespielen. Diese Aufgaben machtender Br#dergemeine zweifellos alle Ehre. Und die kleine Freikirche brachtedaf#r außerordentliche Opfer. Allein der personelle und organisatorischeAufwand war enorm. Davon abgesehen aber konnte der ganze Vorgang anAbsurdit!t kaum #berboten werden. Obwohl in der DDR selbst nach staatli-chen Angaben 20 000 Heimpl!tze f#r Behinderte fehlten, ließ der sozialisti-sche Staat nicht nur diese Arbeit weitgehend von den Kirchen finanzieren, er

183 Interview mit Ehepaar Doris und David Schattschneider, US-Gemeinmitglieder und (David)Theologieprofessor am Theological Seminary Bethlehem, Bethlehem, USA, 16.5. 2005, Unter-lagen H. Richter.

184 Aktennotiz Schulungszentrum der EBU Herrnhut, EZA 101/5591; vgl. zu dem Verstaatli-chungsschub 1972 Kaiser, Knockout f#r den Mittelstand.

185 Vorlage zur Sitzung des RdB Drd., 23.3. 1970, HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633; Gruß aus derweltweiten Br#der-Unit!t, 24.7. 1973, UA EFUD 659; Vertraulicher Vermerk, H. Hickel, 14.11.1972, UA EFUD 659.

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behinderte sie auch, indem er die Bauarbeiten verzçgerte, den Mitarbeiternkeine Wohnungen zur Verf#gung stellte, die Spenden aus dem Westen anBedingungen kn#pfte (sie durften beispielsweise nicht aus Bonn kommen,sondern mussten als kirchliche Spenden verbucht sein) und das Projekt alsVerhandlungsmasse gegen die Herrnhuter nutzte.186 Schließlich verbuchtendie Machthaber die Erlaubnis zu diesem Heim als eine Art Gnadenerweis undnutzten das Projekt zu Zwecken der Propaganda: „Die sozialistische Gesell-schaft bietet erstmalig auch den Herrnhutern die Chance, nicht nur denMenschen zu helfen, die von der Ausbeutergesellschaft physisch oder psy-chisch gesch!digt wurden“, erkl!rte der Rat des BezirkesDresden, „sondern ingemeinsamer humanistischer Verantwortung mit allen B#rgern an einer so-zialistischen Gesellschaft mitzubauen, die solche unmenschlichen Sch!di-gungen gar nicht erst zul!sst.“187 Als dasHeim 1977 seine barocken Pforten f#rrund sechzig Jugendliche çffnete, dr!ngten sich viele Staatsg!ste ins Ram-penlicht, darunter der Gesundheitsminister Ludwig Mecklinger.188 Die DDR-Presse jubelte und erkl!rte mit deutlicher Spitze gegen das Christentum:„Unsere Gesellschaft nimmt ihn [den Aufwand f#r Behinderte] auf sich, nichtaus Samaritergeist, sondern aus selbstverst!ndlicher Anerkennung der vollenMenschenrechte ihrer behinderten Mitb#rger“.189 Der Leiter des Heims,Christian Weber, ein viel versprechender Nachwuchstheologe der Br#derge-meine, arbeitete zugleich konspirativ mit der Staatssicherheit.190 Es lag imTrend der Zeit, bei der Benennung des Hauses tschechische Traditionen auf-leben zu lassen: „Fçrderungszentrum Johann Amos Comenius“.

Die Staatsfunktion!re hatten ihre Ziele auf ganzer Linie durchgesetzt. Selbstdie Gefahr, dass das Prestige der Unit!t sich durch die diakonische Arbeit allzusehr verbessere, war dank der verbreiteten Mentalit!t der Missgunst und desNeids gebannt. F#r bçses Blut sorgten die 400Westmark f#r dieMitarbeiter imFçrderungszentrum, die diese j!hrlich wie andere kirchliche Mitarbeiter vonden westdeutschen Landeskirchen erhielten. Die Nachbarn Herrnhuts nei-deten der Freikirche #berdies die Westgelder, mit denen sie den BehindertenHilfe zukommen ließ.191

186 Geistig Behinderte leben unter uns, Information der Direktion der EBU, 7/1971, UA DEBU 54;Vertraulicher Vermerk, H. Hickel, Bad Boll, 14.11.1972, UA EFUD 659; Aktennotiz #ber Besuchvon Dr. Dohle und Hammer von E. Fçrster, 25.2. 1970, UA DEBU 843.

187 Konzeption f#r die zeitweilige Arbeitsgruppe 250-Jahre EBU, RdB Drd., 3.3. 1971, HStADrd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633.

188 Interview mit Unit!tsdirektor H. Hickel, Radio DDR, Eichhorn, 15.7. 1977, UA DEBU 842;Gl#ckwunschdokumente von CDU (G, Gçtting), RdB Dresden, RdK Lçbau, Staatssekretariat f#rKirchenfragen (H. Seigewasser), UA DEBU 75 u. 76.

189 „Mitleid oder Menschenrecht“, in: Die Union, 11.8.1977; Brosch#re Fçrderungszentrum „Jo-hann Amos Comenius“, HStA Drd. 11430, Nr. 11091.

190 Unterlagen, siebziger u. achtziger Jahre, BStU BV Drd. AIM 1100/85; vgl. auch Kap. II.4.3.3.191 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 9; Lewerenz vom 3.8.79, HStA Drd. 11430, Nr. 11026; Interview

mit M., Bewohnerin Herrnhuts, Nicht-Gemeinmitglied, Zittau, 4.7.2006.

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6.3.2 Das Unit!tsjubil!um 1972.„Progressiv“ und fromm im Sozialismus

Die Jubelfeiern wurden – das mussten die Behçrden in Kauf nehmen – eineDemonstration kirchlicher Freiheit. Doch zeigten sich die Bezirksfunktion!reauch beim „Problemkomplex 250-Jahrfeier Herrnhut“192 !ußerst wachsam. Inder entdifferenzierten Gesellschaft der DDR war der Staat f#r alles zust!ndig,egal ob Ein- und Ausreise, Versorgung und Unterk#nfte der G!ste oderFlaggenschmuck auf den Straßen. Besonderen wert aber legten die Funktio-n!re auf die ideologische Korrektheit der Feiern. Die DDR musste als selb-st!ndiger Staat herausgehoben und die Trennung vom Westen, also von BadBoll, deutlich werden.193 Wie schon beim Jubil!um 1957 wollten die Behçrdenauch die Tradition nicht dem Zufall oder gar den Betroffenen #berlassen. Dertheologisch gebildete Horst Dohle verfasste ein Papier, in dem er eine Neu-interpretation Zinzendorfs vorschlug. Bisher sei der Graf nur theologisch-religiçs analysiert worden, man m#sse ihn nunmehr „marxistisch-philoso-phisch-historisch“ beleuchten: die Progressivit!t Zinzendorfs gegen#berAugust Hermann Francke, Zinzendorf als Vorbereiter der Bauernbefreiung inSachsen, „Wahrung progressiver Traditionen der deutschen Mystik“ und„progressive Funktion der Herrnhuter Kirchenlieder“.194 Doch damit #ber-forderte Dohle seine Genossen. Kirche und Religion blieben f#r die meistenKader fremdund anstçßig. Als der Plan laut wurde, f#r das Jubil!um SchriftenZinzendorfs zu edieren, erkl!rte die Kultur-Behçrde beim Rat des Bezirkesrasch: Daran seien die staatlichen Organe „keinesfalls interessiert”, „ab sofort[sollen] keine Druckerzeugnisse #ber und von Graf von Zinzendorf erschei-nen“.195

Die Stoßrichtung sollte eine andere sein. 1971 beschlossen die Bezirks-funktion!re: „Die ideologische Vorbereitung soll so geschehen, dass deutlichwird, dass die große sozial-karitativen Traditionen der Herrnhuter gew#rdigtwerden. […] Die christliche Missionsarbeit der EBU sollte dem gegen#bernicht betont werden.“196 Immerhin erlaubten die Behçrden der Br#derge-meine, einen Bildband #ber die weltweite Unitas Fratrum herauszugeben:„Herrnhut – Ursprung und Auftrag“, in dessen Vorwort freilich ein Lippen-

192 H. Dohle, RdB, Ref. Kirchenfragen an Gen. H#ttner, ZK der SED, 19.11.1969, HStA Drd. 11430,Nr. 10872.

193 Unterlagen in MfS HA XX/4 778; HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633 u. IV C-2/14/ 678; Ak-tennotiz, RdB Drd, Ref. Kirchenfragen, Dohle, 15. 7.1971, HStA Drd. 11430, Nr. 10870.

194 Aktennotiz, Dr. Dohle, RdB Drd, Referat Kirchenfragen, 24.6.70, HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633.

195 Scheibner, Abteilungsleiter Kultur, an Ministerium f#r Kultur, 7.4. 1971, HStA Drd. 11430,Nr. 1072.

196 Konzeption f#r die zeitweilige Arbeitsgruppe 250-Jahre EBU, RdB Drd., 3.3. 1971, HStADrd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633.

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bekenntnis nicht fehlen durfte: „Wir leben heute in Herrnhut in der Deut-schen Demokratischen Republik und nehmen teil am sozialistischen Auf-bau.“197 Zugleich sorgte die Obrigkeit daf#r, dass der loyale CDU-Funktion!rund Methodistenprediger Carl Ordnung ein Buch schrieb („250 JahreHerrnhut – Grçße und Grenzen eines christlichen Experiments“), in dem dieBr#dergemeine dialektisch in die sozialistische Weltordnung eingegliedertwurde. W!hrend die Zensoren die kurzen Texte in der Schrift der Br#derge-meine kritisierten, lobten sie Carl Ordnungs Arbeit: „Wenn sich der Kennerder Herrnhuter Kirchenmentalit!t und ihrer Geschichte die viele Kleinlichkeitund Enge vergegenw!rtigt […], dann ist die Leistung des Verfassers nach-gerade bewundernswert, alle nur denkbaren progressiven Ans!tze aus dieserGeschichte herausgeholt zu haben.“198 Die Zensoren hoben besonders diegelungene Reformulierung br#derischer Tradition in Ordnungs Schrift her-vor: Herrnhuts „starker sozialer Moment“, das Erbe der tschechischen Br#-der-Unit!t, die br#derische Mission als antiimperialistischer Fels in derBrandung des Kolonialismus und der daraus resultierende Einsatz f#r dasAntirassismusprogramm und die "kumene, schließlich Herrnhut als jehervom Staat geistig und finanziell unabh!ngige Freikirche. Das war nicht nurangesichts des Verhaltens der Gemeine in der Synode 1935 eine bemerkens-werte Traditionserfindung.199 Diese Traditionskonstruktion hing keineswegsin der Luft, sondern wurde in vielen Aspekten von der Br#dergemeine auf-genommen, wie etwa die Betonung der Diakonie oder der antirassistischeImpetus.

Beim Jubil!umsfest im Juni 1972 erstrahlte Herrnhut in neuem Glanz. DieSchaufenster waren nach einheitlichen Vorgaben geschm#ckt, am ersten Tagkamen mehr Besucher ins St!dtchen als es Einwohner gab, 2500 Essensmar-ken wurden ausgegeben.200 Die Stadt f#hrte zwar eigene Festveranstaltungendurch, die jedoch nicht sonderlich gut besucht wurden; auch der staatlicheFestschmuck an den H!usern (kirchlicher Schmuck blieb verboten) ließ inden Augen der Funktion!re zu w#nschen #brig.201 Vieles erinnerte an dasJubil!um von 1957: der typisch br#derisch-b#rgerliche Rahmen aus Gottes-diensten, Kulturprogramm mit Konzerten und Theaterauff#hrungen und in-ternationalen G!sten.202 F#r die Gemeine diente das Jubil!um der Selbstver-

197 Direktion der Evangelischen Br#der-Unit!t, Herrnhut – Ursprung und Auftrag, S. 5.198 Gutachten, H. Dohle #ber C. Ordnung „250 Jahre Herrnhut“, 10.1. 1972 u. weitere Unterlagen in

BA DR 1 / 2432; Aktennotiz Festschrift, RdB Drd., Ref. Kirchenfragen, Dohle, 15.7. 1971, HStADrd. 11430, Nr. 10870; zu den Zensurgutachten des br#derischen Bandes vgl. DR 1 / 2539.

199 Ordnung, 250 Jahre Herrnhut.200 Korrespondenz Hickel mit RdS Herrnhut, Mai 1972, UADEBU 87; Hickel, Lebenserinnerungen,

S. 134.201 Bezirksverwaltung f#r Stasi Drd., Abtlg. XX, 23.6. 1972 u. Plan der geistig-kulturellen Vorbe-

reitung u. Durchf#hrung der 250-Jahrfeier der StadtHerrnhut, Lçbau, 6. 12.1971, beide Akten inBStUMfSHAXX/4–778; Bericht #ber 250-Jahrfeier der Stadt Herrnhut, o.A., HStADrd. 11857,Nr. IV/C.4.09. 141.

202 Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, Herbst 1972, UA EFUD 659.

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gewisserung mit Hilfe der Tradition; es demonstrierte den in der DDR auf-gewachsenen Jugendlichen die Internationalit!t ihrer Kirche; das Fest bot, wieAssmann es nennt, „Heilung vom Alltag“ und Identit!tssicherung.203 Aus 13Unit!tsprovinzen waren Kirchenmitglieder angereist. Dabei fand das Jubil!-um international nicht ann!hernd das gleiche Echowie das 500-Jahr-Jubil!umzum Gedenken der bçhmischen Wurzeln, da die Moravian Church vor allemdie Tradition der „Alten Unitas Fratrum“ betonte.204 Immerhin trug das Ju-bil!um dazu bei, dass Zinzendorf und das herrnhutische Erbe auch in denanderen Provinzen wieder mehr bekannt wurde.205 Als G!ste kamen Vertreterdes Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR, der katholischen Kirche, des"RK, der staatlichen Organe, allen voran Volkskammerpr!sident und CDU-Chef Gerald Gçtting und #ber die Festwoche verteilt Tausende von Besu-cher.206 Die Br#dergemeine in der DDR pr!sentierte sich selbstbewusst. Siehatte ihren Platz im Sozialismus gefunden, mit ihrer Tradition, ihrem chris-tozentrischen Glauben, ihrer Internationalit!t und mit neuen Aufgaben.

Den Auftakt der Feierlichkeiten bildete ein staatlicher Empfang – eindeutigein Sieg der staatlichen Verhandlungsf#hrer. Er fand im benachbartenEbersbach statt und war bis ins Detail von den Bezirksstellen, der CDU unddem Staatssekretariat f#r Kirchenfragen geplant worden. In den Grußwortenstaatlicher Vertreter war ein neuer, warmer Ton zu hçren, Gçtting lobte dieHerrnhuter f#r ihr Wirken in der "kumene, ihren Einsatz f#r „Frieden undsoziale Gerechtigkeit“ und ihre Mitarbeit „beim Prozess der geistigen Neu-orientierung in den evangelischen Kirchen in der DDR.“207 Der Rat des Be-zirkes hob das „in den 250 Jahren bew!hrte Eintreten der Br#der-Unit!t gegenRassismus und Kolonialismus, ihr Wirken im sozialkaritativen Dienst“ undihre Unterst#tzung des Genfer Antirassismusprogramms hervor.208 Die Br#-dergemeine konnte sich offenbar mit dieser staatlichen Zuschreibung iden-tifizieren, denn sie zitierten diese stolz in ihren Informationsbl!ttern.209 DerStaatssekret!r f#r Kirchenfragen, Hans Seigewasser, erkl!rte gar : „Was un-

203 Assmann, Kulturelles Ged!chtnis, S. 57; Clemens, Von Hus bis Heute, S. 19.204 Notiz „Herrnhut Anniversary“, 18.2. 1971, MAWS, 2100C. Die weltweite Unitas Fratrum stellte

seit Ende der sechziger Jahre Betr!ge von mehreren Tausend Dollar f#r die Feierlichkeiten zurVerf#gung, Meeting of the Board of Directors of Moravian Church Foundation, 25.6.–27.6.1968u. weitere Sitzungen, MAB 295EI, Minutes Moravian Church Foundation.

205 Erbe, Zur Musik in der Br#dergemeine, S. 64 f. ; Freeman.206 Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, Herbst 1972, UA EFUD 659.207 Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, Herbst 1972, UA EFUD 659.208 Direktion der Evangelischen Br#der-Unit!t Distrikt Herrnhut, 250 Jahre Herrnhut; Gruß aus

der weltweiten Br#der-Unit!t, Herbst 1972, UA EFUD 659.209 Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, Herbst 1972, UA EFUD 659; Direktion der Evangeli-

schen Br#der-Unit!t Distrikt Herrnhut, 250 Jahre Herrnhut; vgl. aus staatlicher Sicht Infor-mation 250-Jahrfeier, Lçbau, o.A., 17.6.1972 u. weitere Unterlagen in BStU MfS HA XX/4, 778;Unterlagen in HStA Drd. 11430, Nr. 10870; „Zusammenarbeit zum Wohle des Menschen –Grußstunde bei der 250-Jahr-Feier in Herrnhut“, in: Neue Zeit, 24.6. 1972; Unterlagen in HStADrd. 11430, Nr. 10870. Die ganze Ansprache Gçttings findet sich in HStA Drd. 11430, Nr. 10870.

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klarer Traum der V!ter dieser Stadt war, ist in der großen menschheitsbe-freienden Mission der Ideen von Marx, Engels und Lenin mit klarer Sach-lichkeit in die Realit!t umgesetzt worden.“210 Auch Bischof Schçnherr betontediese Traditionslinien: Die Unit!t habe mit ihrem Einsatz in der Diakonie und„mit ihrer Beteiligung am Antirassismusprogramm […] nichts f#r sie Neuesgetan.“211 Zudem waren seit 1945 genug Jahre ins Land gegangen, um die„antifaschistische“ Traditionserfindung fort zu spinnen, die von Gerald Gçt-ting wortreich beschworen wurde.212 Auch die sozialistische Presse war mitzahlreichen Artikeln an der Traditionsdeutung beteiligt. Der Ende der f#nf-ziger Jahre in die DDR #bergesiedelte Theologe Dieter Frielinghaus spieltebeispielsweise die Bedeutung der Mission herunter und erkl!rte in einemArtikel, eigentlich h!tten die Herrnhuter keine !ußere Mission betrieben, dasie „Christen und Heiden gleichermaßen als Ungl!ubige wie auch als Erbendes Reiches Gottes“ angesehen h!tten.213 Diese Reden und Presseartikel warenumso wichtiger, als sie das Geschehen offiziell deuteten und in die staatsso-zialistische Gedankenwelt einordneten. Diese Ideen aber zeigtenWirkung; dieGemeine hatte l!ngst wesentliche Positionen der sozialistischen Uminter-pretation #bernommen. Gill gehçrte zu den wenigen, die sich dieser Gefahrbewusst waren.214

Wesentlicher Punkt der festlichen Performanz war die neu interpretierteInternationalit!t. Beliebtestes Fotomotiv bildeten die dunkelh!utigen G!steaus S#damerika und Afrika.215 In Grußworten betontenMoraven aus Tansaniaoder Jamaika neben der Bedeutung des Evangeliums, wie viel die Br#der-Unit!t gegen Rassendiskriminierung, f#r Bildung und f#r soziale Gerechtig-keit geleistet habe.216 Die schwarze S!ngerin Etta Cameron verdeutlichte ineinem Konzert, wie ein br#derischer Rundbrief berichtete, „die Erlçsung desMenschen durch Gott und seine politische Befreiung in der Welt gehçrenzusammen.“ Der Ertrag des Konzertes ging dem Antirassismusprogrammzu.217 F#r die Herrnhuter stand gleichwohl der geistliche Aspekt im Zentrum.Im Festgottesdienst am Sonntag mahnte Bischof Hasting, die Geschichte alsGewissenssch!rfung f#r die Gegenwart zu verstehen und „den Glaubensweg“unverzagt weiterzugehen. Insgesamt 2500 Menschen hçrten die Predigt inzwei Gottesdiensten, im Kirchensaal und in einem Zelt per &bertragungsan-

210 Grußadresse Seigewasser, 16.6.1972, HStA Drd. 11430, Nr. 10870.211 Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, Herbst 1972, UA EFUD 659.212 Ansprache Gçtting, 16.6. 1972, HStA Drd. 11430, Nr. 10870.213 „Das Senfkorn von Herrnhut“, von D. Frielinghaus, in: „Weg und Zeit“, 17.7.1972; ADN-

Meldungen, 17./18.6. 1972 u. Pressesammlung in HStA Drd. 11430, Nr. 10870 u. BA DO 4 /246.214 Gill in Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, 2/1975, UA EFUD 659.215 Vgl. etwa Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, Jahreswechsel 1972/73, UA EFUD 659; vgl.

auch Protokoll #ber die Besprechung von EFUD und DEBU, 12./12.11.1969, UA DEBU 34.216 Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, Jahreswechsel 1972/73, UA EFUD 659; An die Ge-

schwister in den Gemeinbereichen, August 1972, UA EFUD 659.217 Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, Herbst 1972, UA EFUD 659.

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lage. Selbst Radio DDR feierte mit; die Rundfunkpredigt, die am Festsonntagausgestrahlt wurde, hatte zwei Wochen zuvor Helmut Hickel gehalten.218 DasJubil!ums-Festspiel mit Szenen aus der Geschichte der Unit!t fragte an derStelle, als die M!hren ins Exil aufbrachen, zum Publikum gewandt: „Gibt essolchen Glauben heute noch bei euch? Seid ihr bereit, Opfer zu bringen, wo siegefordert werden?“219 Der alte christozentrische Glaubenwar ebenso lebendigwie die neu formulierte Tradition. Die Religiosit!t der Herrnhuter zeichnetesich durch hohe Vitalit!t aus. Einerseits hielten sie unverbr#chlich an derHeilsbotschaft fest, andererseits diente ihnen ihre Orientierung an der Tran-szendenz auch dazu, aktuelle und immanente Fragen zu beantworten – nachPollack eine wichtige Voraussetzung f#r die „Reproduktionsf!higkeit“ einerReligionsgemeinschaft.220

Die&berwachung der Feierlichkeitenwar genau geplant. 1970 hatte der Ratdes Bezirkes den Kreis aufgefordert, hinsichtich des Jubil!ums monatlichjeden ausl!ndischen und westdeutschen Gast in Herrnhut namentlich zunennen – einer der zahlreichen &berwachungsmechanismen, die unabh!ngigvon der Staatssicherheit funktionierten.221 Die Stasi war freilich mit im Boot.Beim Fest selbst kamen alle „IM“ zum Einsatz, t!glich wurde bis 12 Uhr einBericht #ber die Veranstaltungen verfasst, und die Volkspolizei richtete zur&berwachung eigens ein Telefon ein, das bis 22 Uhr besetzt blieb.222 Die In-formations- und &berwachungsberichte hielten jedes Lob der „sehr beein-druckten“ ausl!ndischen G!ste #ber den Arbeiter- und Bauernstaat fest.223

&ber Hickel urteilte das MfS: „Besonders deutlich zeigte sich seine politischreale Haltung in der Vorbereitung und Durchf#hrung der 250. Jahresfeier derGr#ndung Herrnhuts 1972. Seine Haltung und seine Darlegungen zum Ver-h!ltnis Staat-Kirche gegen#ber den 140 ausl!ndischen G!sten waren ein guteraußenpolitischer Beitrag zur St!rkung des Ansehens der DDR.“224

Die w!hrend der Jubil!ums- und Aufbauplanungen angewandte Verhand-lungstaktik des Staates wurde seit Mitte der siebziger Jahre auch auf die an-deren Kirchen angewandt. Dabei war die kirchenpolitische Weichenstellungum 1975 von einem Personalwechsel im Staatssekretariat f#r Kirchenfragenbegleitet: Horst Dohle, der von staatlicher Seite die Verhandlungen mit der

218 Gruß aus der weltweiten Br#der-Unit!t, Herbst 1972, UA EFUD 659; Gruß aus der weltweitenBr#der-Unit!t, Herbst 1972, UA EFUD 659.

219 An die Geschwister in den Gemeinbereichen, August 1972, UA EFUD 659; vgl. auch Hickel,Lebenserinnerungen, S. 135.

220 Pollack, S!kularisierung, S. 51 f. u. 266; vgl. dazu auch Taylor, S. 1–20.221 Riedel, RdB Inneres, an RdK Lçbau, 7. 4. 1970, HStA Drd. 11430, Nr. 10860; vgl. auch Infor-

mationsbericht, RdB Drd., Ref. Kirchenfragen, 6 / 1970, HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.634.222 Unterlagen in MfS HA XX/4 778; HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633, IV/C.2.14.678 u. IV/

C.4.09.14; HA XX, Berlin, Information, 1. 6. 1972; Bericht, BDVP Drd., 18.6. 1972 u. Ab-schlussbericht RdB Drd., Ref. Kirchenfragen, 7. 7. 1972, HStA Drd. 11430, Nr. 10870.

223 Information, Gespr!che w!hrend des Festempfangs am 16.6. 1972; Abschlussbericht, RdBDrd.,Ref. Kirchenfragen, 7. 7.1972, beide Akten in HStA Drd. 11430, Nr. 10870.

224 Einsch!tzung Direktor Helmut Hickel, o.D., um 1974, BStU BV Drd. AIM 4977/81, Bd. I, S. 31.

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Gemeine gef#hrt hatte und mit dem Kirchenreferat des Bezirkes Dresden dieeinflussreichste Behçrde ihrer Art geleitet hatte, kam 1975 nach Berlin undpr!gte dort als persçnlicher Referent des Staatssekret!rs die Kirchenpolitik.Seine positiven Erfahrungen mit der Unit!t sind dabei gewiss mit eingeflos-sen. Seit den siebziger Jahren sollten die Kirchen nicht mehr mit Bestrafungund Ablehnung zum Gehorsam gezwungen werden, sondern mit einem feinaustarierten System an Belohnungen, in das die Erfahrungen mit der Diffe-renzierungspolitik einflossen. „Die beste Kirchenpolitik war nun nicht mehrdie, die ablehnt, zur#ckdr!ngt, einschr!nkt,“ konstatierte Dohle #ber diedamalige Strategie, sondern eine Politik, in der die Kirchen eingebundenseien.225 Das Regime zeigte Entgegenkommen: bei der çkumenischen Arbeitoder bei der Erlaubnis f#r kirchliche Neubautenmit westlichen Geldern. Dochwar diese Entspannung nicht etwa einer milderen ideologischen Position derSED zu verdanken, sondern dem politischen Tagesgesch!ft geschuldet. Zumeinen war die DDR zunehmend wirtschaftlich vom Westen abh!ngig, hatte1975 die Schlussakte der Konferenz #ber Sicherheit und Zusammenarbeit inEuropa (KSZE) unterschrieben und musste auf westliche EmpfindsamkeitenR#cksicht nehmen. Zum anderen nutzte das Regime die Kirche seit densiebziger Jahren nicht nur in der "kumene zu Legitimationszwecken und alsAusweis seiner Toleranz. Die Staatsfunktion!re erkannten, wie hilfreich einedomestizierte gegen#ber einer kritischen Kirche war.226 So konnte es 1978 zudem Gespr!ch der f#hrenden kirchlichen Vertreter mit Erich Honeckerkommen, mit dem die Kirchen erstmals eine offizielle Anerkennung erhielten.Das war 33 Jahre nach Kriegsende und elf Jahre vor dem Zusammenbruch desSystems recht sp!t.

Bei alledem hatte sich an der ideologisch feindlichen Haltung gegen#berden Kirchen nichts ge!ndert. Nach der Macht#bernahme Honeckers 1971nutzten Staat und Partei vor allem indirekte, repressive Methoden, um denEinfluss der Kirchen zur#ckzudr!ngen: Die Veranstaltungsverordnung wurderigider, die Postzensur konfiszierte immer çfter Sendungen aus westlichenL!ndern, Christenlehrekinder mussten sichweiterhin vor der Klasse und demLehrer rechtfertigen und verspotten lassen, ihre Situation im Bildungswesenverschlechterte sich. Das Regime hatte aus den vergangenen Jahren gelernt:Die Marginalisierung der Kirchen sollte mçglichst lautlos geschehen. WernerKrusche, Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, erkl!rte damals, die Kirchewerde „handbreitweise ein[ge]engt“, ihr werde lediglich die Pflege des reli-giçsen Lebens ihrer Mitglieder und die Diakonie zugestanden.227 1978 plantendie Behçrden, die Differenzierungspolitik weiter zu treiben und die kleinen,

225 Dohle, Grundz#ge der Kirchenpolitik der SED, S. 103.226 Dohle, Grundz#ge derKirchenpolitik der SED, S. 95 f. ; Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 257

u. 270–277; Pollack, Von der Mehrheits- zur Minderheitskirche, S. 54 u. 69 f.227 Krusche, Weg in die Diaspora, S. 168; Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 255–259 u. 272; vgl.

zur Veranstaltungsverordnung auch Unterlagen in UA DEBU 664.

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loyalen und çkumenisch aktiven Religionsgemeinschaften noch enger an denStaat zu binden und vom BEK fernzuhalten. Die Br#der-Unit!t, die Metho-disten, Baptisten, Adventisten und Qu!ker wurden dabei „hinsichtlich ihrerT!tigkeit in der DDR als auch im internationalen kirchlichen Raum als diewichtigsten“ eingesch!tzt. Besonders lobten die Funktion!re in diesem Zu-sammenhang die „pietistisch ausgerichteten Kirchen und Religionsgemein-schaften“, bei denen „heute weithin Bereitschaft zumpolitischen Gespr!ch bishin zu offiziellen kirchlichen Erkl!rungen politischen Charakters und ande-ren Formen bewussten staatsb#rgerlichen Handelns“ best#nden.228

6.3.3 Das Idyll Herrnhut in den siebziger Jahren.Leben zwischen &berwachung, Kulturbund, Touristen und Ruinen

Die siebziger Jahre waren das Jahrzehnt Helmut Hickels. In seiner Dienstzeitals Direktionsvorsitzender von 1969 bis 1981 sicherte er der Br#dergemeine inder DDR neue Aufgaben und vertiefte die engen Beziehungen zur Obrigkeit,die Johannes Vogt in den f#nfziger Jahren begr#ndet hatte. Das ganze Projektdes Fçrderungszentrums w!re ohne den Einsatz, den Elan, das Durchset-zungsvermçgen und Verhandlungsgeschick des Direktionsvorsitzendenschwerlich mçglich gewesen. Die Schattenseite war die enge Bindung desDirektionsvorsitzenden an die Staatsmacht.

Nachdem die Staatssicherheit in Herrnhut von dem Intermezzo mit Fi-nanzdirektor Wunder abgesehen bisher noch keinen herausragenden Mitar-beiter gefunden hatte, ließ sich 1975 Helmut Hickel f#r eine Zusammenarbeitgewinnen. In der Funktion des Direktionsvorsitzenden hatte er zuvor schonKontakte zur Stasi gehabt. Doch als Mitte der siebziger Jahre ihm nahe ste-hende Menschen in Schwierigkeit gerieten, erpressten Herren vom MfS denGeistlichen zu einer konspirativen Mitarbeit. Hickels Loyalit!t galt der Ge-meine, dar#ber waren sich auch die Stasi-Mitarbeiter im Klaren. Gleichwohlhielten sie ihn f#r einen ihrer wichtigsten konspirativen Mitarbeiter bei der&berwachung der Gemeine und sch!tzten seine Informationen als sehrwertvoll ein.229 Er lieferte f#r das MfS bis 1981 zahlreiche Unterlagen #ber dieFreikirche, den BEK und den "RK, meist allgemeine Informationen undniemals Anschw!rzungen oder kompromittierendes Material #ber Personen.Und trotz des permanenten Versuchs der Stasi, Zwietracht zwischen Hickelund Gill zu s!en, berichtete Hickel #ber seinen j#ngeren Kollegen nur Posi-tives.230 Die Stasi-Mitarbeit war ein Geben und Nehmen: Mit seinen guten

228 Langfristige Konzeption der politischen Einflussnahme, o.A., 7. 12.1978, BADO 4 / 450 (83717).229 BStU BV Drd. AIM, 4977/81, S. 115 f. et passim.230 Unterlagen, siebziger Jahre und achtziger Jahre, BStU BV Drd. AIM, 4977/81 u. MfS HA XX/4,

5013; UnterlagenBStUMfSHAXX/4/778; Bericht IMF „Hickmann“,AbteilungXX/4, 12.2. 1980,BStU BV Drd. AIM 4977/81 II-II, S. 168.

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Kontakten zu staatlichen Stellen hielt der Direktionsvorsitzende anderenHerrnhutern den R#cken frei. Aus seiner starken Position in der Gemeinekonnte er Selbstbewusstsein f#r sein Spiel mit dem Feuer schçpfen: Er warbeliebt in der Unit!t, ein guter Seelsorger, die Jugendlichen holten seinen Rat,wenn sie Probleme in der Schule hatten, und die %lteren sch!tzten seinePredigten und sein Verhandlungsgeschick gegen#ber der Staatsmacht.231 DerRespekt,mit dem staatliche Stellen ihn behandelten, war f#r den nicht uneitlenMann gewiss wichtiger als die kleinen Geschenke, die er zuweilen von derStaatssicherheit annahm.232

Als Hickel Anfang der achtziger Jahre sein Amt als Direktionsvorsitzenderniederlegte, gab er mit Einverst!ndnis der Staatssicherheit seine Dienste f#rdas MfS auf. Daf#r nçtigte die Stasi den Gemeinhelfer Klaus Biedermann, derin die Direktion gew!hlt worden war, zu einer konspirativen Zusammenar-beit.233 Biedermann jedoch informierte ein Jahr nach seiner Werbung denneuen Direktionsvorsitzenden Christian M#ller und vier Jahre sp!ter auchBischofGill#ber seineKontakte zumMfS, hielt diese aber trotz desMissfallensder beiden aufrecht, weil er „darin nichts Unsauberes“ sah.234 Diese Dekon-spiration spricht f#r Klaus Biedermann. In Herrnhut wussten schließlich vielevon seiner Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst. Zudem gab er kaumkompromittierendesMaterial #ber andere weiter. Biedermanns letzter Berichtf#r den Geheimdienst vom Oktober 1989 ist eine lange Auflistung !tzenderKritik am Verhalten des Staates. Der Informant war in der Wendezeit wenigerSpitzel als vielmehr Bote des br#derischen Unmuts.235

Anders sah die Situation bei Christian Weber aus, dem Leiter des in densiebziger Jahren erbauten Fçrderungsheims f#r behinderte Jugendliche.236 Ergalt sowohl der Unit!t als auch der Staatssicherheit als besonders begabt undvielverspechend. Nach einer Facharbeiterausbildung hatte er Theologie stu-diert, sich in Psychotherapie weitergebildet, war Pfarrer der Br#dergemeineund Krankenhausseelsorger von „Emmaus“ in Niesky geworden und wurdemit nur 34 Jahren Leiter des Behinderten-Fçrderungsheims „Comenius“ undalsbald Informant der Staatssicherheit.237 Mit seinen negativen Berichten #berMitarbeiter undmit seinerKritik an derDirektion ging er #ber das hinaus, was

231 Informationvon I. B., 7. 2. 2007; Bericht IM/KW„Birke“, 26. 1.1976, BStUBVDrd. AIM, 4977/81.232 BStU BV Drd. AIM, 4977/81, S. 117 f. u. 234 f.233 Bericht #ber Treff mit IMS „Klaus“, 21.10.1982, Dresden, Abteilung XX/4, BStU BV Drd. AIM

1732/91-I; BStU BV Drd. AIM 1732/91.234 Bericht #ber Treff mit IMS „Klaus“, Abteilung XX/4, 10.10.1982 u. Best!tigung einer Reise des

IMS „Klaus“, 20.4. 1988, BStU BV Drd. AIM 1732/91 I/I; Bericht #ber Treff mit IMS „Klaus“, 21.10.1982, BStU BV Drd. KD Lçbau 18066.

235 Reaktion der EBU Herrnhut zur gegenw!rtigen Lage, Dienststelle Lçbau, 24.10.1989, BStU BVDrd. AIM 1732/91-II; weitere Berichte des IM „Klaus“ in BStU MfS HA XX/4 926; BStU MfS BVDrd. KD Lçbau 18066; BStU XX/AKG / 4035 / 82.

236 BStU BV Drd. AIM 1100/85.237 BStU BV Drd. AIM 4977/81, S. 77; BStU, BV Drd. AIM 1100/85, S. 35; Bericht IMS „Werner“

16.11.78, BStU, BV Drd. AIM 1100/85.

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ein Leiter einer solchen Einrichtung von Amts wegen mit der Staatssicherheitzu verhandeln hatte. Als er 1985 Herrnhut verließ, bat er die Stasi-Mitarbeiter,die Kontakte zu ihm abzubrechen.238

Weder Wunder noch Hickel, Biedermann oder Weber hatten eine schrift-liche Erkl!rung f#r das MfS abgegeben. Da die psychologisch geschicktagierende Staatssicherheit jedoch gerade bei Kirchenleuten darauf verzichtete,besagt das wenig. Weber immerhin suchte gemeinsam mit den MfS-Mitar-beitern seinen Decknamen aus. Alle waren jedoch ausdr#cklich zur Zusam-menarbeit, auch zu einer konspirativen bereit. Wunder und Biedermannhatten nach #ber einem Jahr ihre Vorsitzenden informiert.239 Wie der Fall Gillund M#ller zeigen, war eine solche Zusammenarbeit mit demMfS keineswegsvon Amts wegen unvermeidbar – weder in der Position eines Direktions-mitglieds noch des Direktionsvorsitzenden noch des Leiters einer großendiakonischen Einrichtung; M#ller hatte zuvor „Emmaus“ in Niesky geleitet.

Doch die Privilegien der Unit!t waren gewiss auch der Kooperationsbe-reitschaft dieser f#hrenden Herrnhuter geschuldet. Zu den Beg#nstigungengehçrten neben dem Ausbau eines Tagungs- und G!steheims und der Er-richtung des Fçrderungszentrums zahlreiche Ein- und Ausreisegenehmi-gungen. Zudem erhielt das Unit!tsarchiv eine der begehrten „Sondergeneh-migungen“ f#r die Einfuhr von Literatur aus dem Ausland.240 Bemerkenswertwar auch die Erlaubnis der DDR-Zensur, 1979 den br#derischen Jahrhun-dertwende-Roman „Gottfried K!mpfer“ von Herman Anders Kr#ger in derEvangelischen Verlagsanstalt neu aufzulegen. ImVorwort desWerkes aus dem19. Jahrhundert verwies der regimetreue Theologe G#nter Wirth auf die„Zusammenarbeit und Gemeinsamkeit von Marxisten und Christen“ inHerrnhut.241 In dieser Zeit, in den siebziger Jahren, wagte die ostdeutscheGemeine auch den k#hnen Gedanken, die anstehende Unit!tssynode 1981nach Herrnhut einzuladen.242

Das st!dtische Leben in Herrnhut war weiterhin durch Gemeinmitgliedergepr!gt. Sie dominierten die CDU, den agilen Kulturbund, und stets saßen

238 Bericht #ber die am 21.7. 1977 durchgef#hrte Verpflichtung des IM Kandidaten Weber, 25.7.1977, BStUBVDrd. AIM1100/85; Treffberichtmit KPWeber, 4. 2. 1977, BStUBVDrd. AIM1100/85, S. 65; Bericht IM „Walter“, 29. 4.1981, BStU BV Drd. AIM 1100/85, S. 10; Aktenvermerk vonPolpitz, Dienststelle Lçbau, 5.3.85, u. Abschlussbericht zum IMB-Vorgang Werner vonDienststelle Lçbau, 11.4.1985, BStU BV Drd. AIM 1100/85.

239 Bericht #ber durchgef#hrte Werbung des IM „Hickmann“ Reg. Nr. 0/130/75, 18.3. 1975, BStUBV Drd. AIM 4977/81, Bd. I; Bericht #ber Kontaktaufnahme zu Direktionsmitgliedern EBU,Pfarrer Biedermann. In dessen Arbeitszimmer in Ebersdorf, von Hauptmann Albinus, Abtei-lung XX/4, Dresden, 21.7.81; Bericht #ber die am 21.7. 1977 durchgef#hrte Verpflichtung des IMKandidaten Weber, 25.7.77, BStU BV Drd. AIM 1100/85.

240 Sondergenehmigung Nr. 2027, Ministerium f#r Kultur, 31. 12.1975, UA DEBU 79.241 Wirth, Nachwort zu Gottfried K!mpfer, S. 360 u. 363 et passim.242 H. Hickel an H. Seigewasser, Staatssekretariat f#r Kirchenfragen, 8. 5.1974, UA DEBU 79.

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einige von ihnen im Rat der Stadt.243 Die Kreis-CDU lobte in ihren &berwa-chungsberichten die Gemeine: „Die Kirchenleitung der evangelischen Br#-dergemeine bezieht einen positiven Standpunkt zur Politik unseres Staatesund bringt zumAusdruck, dass sie ihreMçglichkeiten innerhalb der DDR vollnutzen kann.“244 Zum25. Jahrestag derDDR1974#berbrachtenHelmutHickelals Vertreter der Direktion und der 64j!hrigeWilfriedMerian als Vertreter derbr#derischen Land- und Forstwirtschaft dem „Rat der Stadt Herrnhut bzw.dem Ortsausschuss der Nationalen Front“ Gl#ckw#nsche.245 In den anderenOrtsgemeinen hing die Beziehung zu lokalen Stellen stark vom jeweiligenGemeinhelfer ab. In Ebersdorf etwa sorgte der Missionarssohn Kurt K#chlerf#r eine unterk#hlte Atmosph!re. Ein &berwachungsbericht der Volkspolizeimeldete, einige Ebersdorfer Herrnhuter gehçrten der CDU an und n!hmendadurch „am gesellschaftlichen Leben Anteil“, dennoch kçnne von „einerpolitischen Bet!tigung […] bisher nicht die Rede sein. […] Im Großen undGanzen orientierte Pfarrer K#chler auf Zur#ckhaltung von der Politik, bis zurletzten Volkswahl gab es stets eine Tendenz der Nichtwahlbeteiligung.“246

Durchg!ngig aber beklagten sich lokale Funktionstr!ger #ber enge Bezie-hungen der Br#dergemeine zum kapitalistischen Ausland und #ber diezahlreichen Ein- und Ausreisen.247

Der CDU-Funktion!r Carl Ordnung schrieb in der staatlich lanciertenFestschrift f#r das Jubil!um 1972, in der Gemeine sei ein „kleinb#rgerlich-mittelst!ndischer Lebenszuschnitt zur Norm“ geworden. „Die Distanz ge-gen#ber ihrer gesellschaftlichen Umwelt […] kann vollst!ndig nur #ber-wunden werden, wenn die Br#dergemeine noch intensiver sich hineinstellt inden Prozess der gesellschaftlichenNeuorientierung“. Vor allemm#sse sich dieBr#dergemeine „der Einsicht çffnen, dass die entscheidenden Gestaltungs-kr!fte beim Aufbau der sozialistischen Gesellschaft von der Arbeiterklasseund ihrer Partei ausgehen.“248 Freilich war die von Ordnung diagnostizierteDistanz nicht in einer kleinb#rgerlichen Lebensweise zu suchen – damit h!ttesich die Unit!t nicht von der Mehrheitsgesellschaft unterschieden. Doch hatteOrdnung das alte Problem der Unit!t von Exklusion und Inklusion richtigerkannt. Mit dem Fçrderungszentrum versuchte die Br#dergemeine, sich zuçffnen, zumal sie zunehmend auf Mitarbeiter angewiesen war, die nicht zur

243 Informationsbericht von CDU-KV Lçbau, 5. 12.1975, ACDP II-270-AA; Sekret!r Damzog, SEDOrtsleitung Herrnhut, an KL Lçbau vom 5.5.77, HStA Drd. 11864, Nr. IV/D.4.09.144; Interviewmit Martin Clemens, ostdt. Gemeinmitglied, Herrnhut, 7. 2. 2006, Unterlagen H. Richter.

244 Informationsbericht von CDU-KV Lçbau, 29.4.74, vgl. auch Informationsbericht von CDU-KVLçbau, 5. 4. 1971 u. 5.12.1975, alle in ACDP II-270-AA.

245 Informationsbericht SED-BL f#r 10/1974, 4. 11.1974, HStA Drd. 11857, Nr. IV C-2/14/ 682.246 Horn, VP-Kreisamt Lobenstein, Schutzpolizei, an Leiter des VPKA im Hause, 11. 12.1973,

Th#ringisches StA Rudolstadt, Volkspolizeikreisamt Lobenstein 50.247 Horn, Volkspolizei Kreisamt Lobenstein, Schutzpolizei an Leiter des VPKA im Hause, 11.12.73,

Th#ringisches StA Rudolstadt, Volkspolizeikreisamt Lobenstein 50.248 Ordnung, 250 Jahre Herrnhut, S. 69 f.

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Gemeine gehçrten. Gleichzeitig aber empfanden die Nachbarn das große,neue, mitWestgeld finanzierte Heim als etwas so Außerordentliches, dass sichdamit auch die alten Distanzgef#hle verst!rkten. In einer kritischen Selbst-beschreibung der Direktion hieß es um 1975 zur Neubebauung des Stadt-zentrums: „Nach wie vor hat Herrnhut eine Bedeutung nicht nur als histori-sches Denkmal, sondern als Gemeinde in unserer Zeit. Je l!nger je mehrwerden auch hier die notwendigen Spannungen sichtbar zwischen Abschir-mung des Eigenen und "ffnung f#r Fremdes.“249 Einige Jahre nach derfriedlichen Revolution res#mierte Bischof Gill : „Wir haben uns gewissmanchmal die Frage gestellt, ob wir uns zu viel oder zu wenig von der unsumgebendenWelt abgrenzen. Zu viel, indemwir uns in ein freiwilliges Ghettobegeben und damit auch nicht mehr in die Welt hineinwirken kçnnen. Zuwenig, indem wir Dinge hinnehmen, die unrecht sind, ohne laut zu protes-tieren. Eine Pauschalantwort gab es nicht; wir mussten lernen, immer neu zuentscheiden.“250

Bei der Br#dergemeine in der DDR verloren alte Distinktionszeichen nachund nach an Bedeutung: Viele der seit 1945 beigetretenenMitglieder sprachenden çrtlichen Dialekt und verdr!ngten an der Basis das mit so viel Stolzpraktizierte Herrnhuter Hochdeutsch. Auch die br#derische Weltl!ufigkeitverfl#chtigte sich allm!hlich. Dennoch nutzten erstaunlich viele Herrnhuterdie Mçglichkeiten, die Christen f#r eine b#rgerliche Laufbahn hatten: Siewurden Theologen oder ergriffen als Frauen soziale Berufe und holten auftheologischen Seminaren das (staatlich nicht anerkannte) Abitur nach.251

Wenn mçglich hatten Gemeinmitglieder auch die Jahre genutzt, in denenChristen eher zur Oberschule und Universit!t zugelassen wordenwaren.&berdie Br#dergemeine Ebersdorf schrieb die Volkspolizei 1973: „Die Mitglied-schaft umfasst alle Berufsgruppen, darunter auch %rzte, Angestellte aus demGesundheitswesen, Handwerker und Personen, welche in der Landwirtschaftt!tig sind.“252 Auch der Generationswechsel in der F#hrung, der 1970 be-gonnen hatte, f#hrte den Wandel im Habitus der Br#dergemeinefort. 1974 lçste das Direktionsmitglied Christian M#ller den 69j!hrigen PaulFabricius als Leiter des br#derischen diakonischen Werks „Emmaus“ inNiesky ab.253 M#ller, der noch nicht einmal von Geburt an zur Br#dergemeinegehçrt hatte, war kein Volltheologe, sondern hatte auf dem zweiten Bil-dungsweg eine Predigerausbildung absolviert. Ein Jahr zuvor war mit neunzigJahren Johannes Vogt gestorben. 1978 starb #berraschend G#nther Hastingmit 65 Jahren. 1979 schließlich trat Wilfried Merian mit siebzig Jahren ab.

249 Bericht der Direktion, 1974, UA EFUD 659.250 Gill, Br#dergemeine im Sozialismus, S. 79.251 Bericht Familienr#ste, Juli 1976, UA DEBU 665; vgl. auch Vortrag von G. Kreusel, 22. 10.2006,

Saal der Br#dergemeine Berlin Mitte.252 Horn, Volkspolizei Kreisamt Lobenstein, Schutzpolizei an Leiter des VPKA im Hause, 11.12.73,

Th#ringisches StA Rudolstadt, Volkspolizeikreisamt Lobenstein 50.253 „An die Geschwister in den Gemeinbereichen der Evang. Br#der-Unit!t“, 9/1974, UA EFUD 659.

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Katholische und protestantische Kirchen hatten ihn f#r seine Verdienste umdie kirchlichen L!ndereien mit allen Ehren versehen, unter anderem mit demEhrendoktor des „Doms zu Brandenburg“.254 Mit diesen M!nnern waren dieletzten Vertreter der alten international orientierten Generation abgetreten,wobei Vogt mit seiner unbr#derischen Herkunft in vielerlei Hinsicht weg-weisend geworden war.

Ausl!ndischen Besuchern, die nicht einen direkten Zugang zu den br#de-rischen Familien hatten, konnte Herrnhut mit seinen 2000 Einwohnern rechtverschlossen erscheinen. Ein frommer Reisender aus Westdeutschland, der1974 den Ursprung der Herrnhuter Mission in Augenschein nehmen wollte,fasste nach Hause zur#ckgekehrt sein Entsetzen in lyrische Worte: „[…] Woist der Geist, der aus dem toten Lande sich Leben schuf in aller Welt? / Leerliegt der Ort […] Verschlossen ist die Stadt, die einst so hoch gebl#ht; / derWind geht dr#ber hin. / Wo ist der Geist? […]“255 Ein weiterer Reisender ausdem Westen bekam einige Jahre sp!ter einen anderen Eindruck: „Herrnhutmit dem Zentralgeb!ude der Unit!t, der Kirche und dem Friedhof erweckte inuns den Eindruck eines besonders friedlichen Ortes mit starker çffentlicherchristlicher Pr!senz.“256 Ein Theologe schrieb retrospektiv dar#ber : „Wirwaren nah beieinander, aber es war auch eng.“257 Die Stadt Herrnhut blieb eineigenartiges Idyll innerhalb der DDR: Die #brig gebliebenen barocken Ge-b!ude, der merkw#rdig schçne Gottesacker, die Gr#nanlagen und weißenGartenh!uschen, das Vçlkerkundemuseum mit seiner Missionsgeschichte,die behinderten Jugendlichen, die nun die engen Straßen des Ortes belebten.Doch f#r den oberfl!chlichen Blick der Besucher aus westlichen L!nderndominierten oft das Grau und der bauf!llige Zustand der H!user. 1975 be-richtete ein Bruder aus dem Westen: „Da f!llt der Putz seit 30 Jahren ab. Wiesollen Hauseigent#mer bei Mieten von 20–40 Mark H!user in Ordnung hal-ten? Ferner […] die Kleidung der Bewohner auff!llig schlecht und !rmlich“.258

In einem Reisebericht von 1979 beschrieb ein Gast aus Westdeutschland dasschçne neue Herrschaftshausmit der Behindertenarbeit, doch auch L#cken inder H!userfront, Ruinen, Unkraut; in den Schaufenstern d#rftige Auslagenund Mangelwirtschaft: „Der #berf#llte Laden bietet leider nur kleinste Men-gen an notwendigsten Lebensmitteln. An anderer Stelle stand eine Tafel mitder Aufschrift : Eis, Gem#se, Getr!nke ausverkauft. Vor einem Fleischerladenstanden bei unserer Abfahrt Einwohner Schlange.“ Mitbringsel war West-kaffee. „In Herrnhut kosten 500 g Bohnenkaffee Ost-Mark 60,–!“259

254 Reichel an H. u. R., 21.6. 1979, Unterlagen H. Reichel, Koblenz.255 „Besuch in Herrnhut 1974“, von Klaus Steinweg, Oldenburger Sonntagsblatt, o.D., UA EFUD

659.256 J. Schmude an H. Richter, 10.11.2006, Unterlagen H. Richter.257 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 10.258 Reichel an Freunde, 5. 2.1975, Unterlagen H. Reichel, Koblenz; P. Peucker an H. Richter, 23. 10.

2007, Unterlagen H. Richter.259 Reichel an H. u. R., 21.6. 1979, Unterlagen H. Reichel, Koblenz.

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Die Br#dergemeine bem#hte sich, der Einengung entgegen zu wirken. Siekn#pfte Kontakte mit polnischen Christen, die sich auf die bçhmische Br#-derkirche beriefen.260 Die Zahl der Sprachen, in die das Losungsbuch #bersetztwurde, wuchs kontinuierlich. 1975 kamen zu den zwanzig &bersetzungs-sprachen Polnisch und Indonesisch hinzu.261 Immer mehr G!ste besuchtenHerrnhut. H!ufig nahmen sie an Veranstaltungen im 1976 erçffneten Ta-gungsheim teil, dessen Kosten und Kapazit!ten die Unit!t sich mit den Lan-deskirchen teilten.Dankder gelockertenReisebedingungen nahmdie Zahl derBesucher aus &bersee, insbesondere den USA, weiter zu. Der "RK nutzte dieStadt f#r Konferenzen. 1977 hielt der BEK seine Synode in Herrnhut ab.262 Ineinem Bericht der Gemeine von 1977 heißt es #ber den „WallfahrtsortHerrnhut“: „Sicher warenwir einmal eine ,Geh-Gemeinde’, jetzt sindwirmehreine ,Komm-Gemeinde’.“263 Unter dem ironischen Ton zeigte sich die Trauer,von der Missionsarbeit g!nzlich abgeschnitten zu sein.

Trotz aller Br#che und Zw!nge gelang es Herrnhut, sein Milieu zu bewah-ren.264 Als 1979 derW#rttembergische Landesbischof Helmut Class zu Besuchkam, berichtete Hickel der Stasi : „&ber die hohe Beteiligung am Gemeinde-leben in Herrnhut war er sehr erstaunt, und er wollte gar nicht glauben, dass,auch wenn kein Feiertag ist, die Gottesdienste in Herrnhut so gut besuchtsind.“265 Die SED-Ortsleitung Herrnhut hatte 1977 eine lange Liste an Klagen:Noch immer bestehe die Gemeine darauf, im Altersheim mit dem Bl!serchoraufzutreten; die wenigsten Konfirmanden seien bereit, an der Jugendweiheteilzunehmen; in der Jugendarbeit dominiere die Unit!t auf der ganzen Linie,nicht zuletzt dank einer „jahrhundertelangen Erfahrung und Tradition in derJugendarbeit“; hingegen gebe es FDJ-Arbeit nur an der Schule; „durch dievielen neuen und vor allem jungen Kr!fte, die im Zusammenhang mit demFçrderungsheim nach Herrnhut kommen“, sei „ein weiterer Aufschwung“ inder kirchlichen Jugendarbeit zu erwarten.266 Konnte die pietistisch gepr!gteFrçmmigkeit im Windschatten einer „loyalen“ Unit!t gedeihen oder zeigtesich im anhaltend vitalen Geistesleben auch der Aufbruch einer neuen Ge-neration, die sich mit ihrem Glauben vom Staat distanzieren wollte? Wahr-scheinlichwar es eineMischung aus beidem. Als in den siebziger Jahren Lukas

260 „An die Geschwister in den Gemeinbereichen“, Jahreswechsel 1975/76, UA EFUD 659.261 „An die Geschwister in den Gemeinbereichen“, Jahreswechsel 1975/76, UA EFUD 659.262 Aktennotiz Schulungszentrum der EBU Herrnhut, EZA 101/5591; Bericht der Direktion, 1974,

UA EFUD 659; Monatsberichte RdK Lçbau an RdB Drd., siebziger Jahre, HStA Drd. 11430,Nr. 10926; Vermerk vonW. Pabst #ber Telefongespr!chmit K. Raiser,"RK, Genf, 7.4. 1976, EVA101/1137; Aktennotiz"kumenische Jugenddelegiertentagung in Herrnhut, 20. 7.1977, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/195; W. Pabst an H. Hickel, 23.7.1976, EZA 101/1137; Unity Newsletter, 9.12.1977, MAB 173HI, Newsletter.

263 „Die Br#dergemeine Herrnhut heute“, in: Br#derbote, 9/1977, S. 16.264 Bericht der Direktion, 1974, UA EFUD 659.265 Bericht IMF „Hickmann“, 25.5. 1979, BStU BV Drd. AIM 4977/81 II-II.266 Sekret!r Damzog, SED Ortsleitung Hh, an KL Lçbau vom 5.5.77, HStA Drd. 11864, Nr. IV/

D.4.09.144.

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Vischer, einer der profiliertesten Kritiker der osteurop!ischen Regime im"RK, Herrnhut besuchte, war sein Eindruck gespalten. Die Frage des Ver-h!ltnisses zum Staat sei innerhalb der Gemeine unterschiedlich bewertetworden. Durch eine besondere Loyalit!t sei Herrnhut zwar „weitgehend intaktgeblieben“, habe damit aber vielleicht „doch ein St#ck Glaubw#rdigkeit ver-loren“.267 Wichtig sei f#r ihn ein inoffizielles Treffen mit jungen Mitgliedernder Gemeine gewesen: „Und hier ging es um die Frage, was eigentlich echteschristliches Zeugnis sei. Der Gegensatz zwischen der offiziellen Linie und demEmpfinden junger Christen war mit H!nden zu greifen.“268 Diese Jungenwaren die Generation der um 1960 Geborenen, die sich anders als die vor-hergehende Generation kaum mit dem Staatssozialismus identifizierenmochten und denen die DDR vielfach als Anachronismus erschien.269 Be-zeichnenderweise hatte die Stasi von diesem spontanen Treffen nichts mit-bekommen, denn in dieser kritischen Generation war es kaum mçglich,Spitzel zu rekrutieren.

Die jungen Gemeinmitglieder waren bereit, f#r ihren Glauben Opfer zubringen. Zwar gab es auch – vor allem außerhalb Herrnhuts – br#derischeJugendliche, die in die staatlichen Organisationen eintraten und die Jugend-weihe empfingen, dochmeist bezahlten sie dasmit einem schlechtenGewissenund erhielten im Gegenzug selten den anvisierten Studienplatz.270 So ver-wehrten Lehrer und Bezirksfunktion!re weiterhin jungen Gemeinmitgliedernden Zugang zur Oberschule. Darunter war bemerkenswerterweise auch einKind von Hickel selbst ; seine Loyalit!t !nderte nichts daran, dass er alsGeistlicher den Behçrden grunds!tzlich als Negativ-Faktor galt. Theodor Gillblieb einer der wenigen, die immer wieder gegen ungerechte Strukturen in derDDR protestierten. So forderte er 1973 im Namen der Direktion vom Minis-terrat und dem Zentralrat der FDJ den Schutz der Glaubens- und Gewis-sensfreiheit und eine Garantie fairer Bildungschancen f#r alle Kinder.271

Das Bild bleibt ambivalent. Ein SED-Funktion!r meinte 1977, es gebe in derBr#dergemeine „positive Kr!fte, die in Weiterverfolgung der schon zur 250-Jahrfeier angedeuteten Linie auch der richtigen Einordnung der Br#derge-meine in den Staat suchen [sic], es gibt aber auch eine Reihe neuer Kr!fte, diesich reserviert verhalten. Dazu gehçrt z.B. Unit!tsdirektor [sic] Gill, aber auchBischof Hasting“.272 Theodor Gill war 1973 wieder zur#ck nach Herrnhutgezogen, nachdem er jahrelang in Gnadau den Gemeinhelferdienst versehenhatte. Seine Erinnerungen an die siebziger Jahre sind zwiesp!ltig: Einerseitshabe die Br#dergemeine manche "ffnung erlebt, mehr Reisemçglichkeiten,

267 L. Vischer an H. Richter, 26.11.2006, Unterlagen H. Richter.268 L. Vischer an H. Richter, 26.11.2006, Unterlagen H. Richter.269 Vgl. Ahbe u. Gries, S. 101.270 Tasche, Barfuß, S. 94–97; Auskunft Erika Schulz, Herrnhut, 9. 7.2007, Unterlagen H. Richter ;

vgl. zur charismatischen Bewegung McLeod, European Religion, S. 47.271 Th. Gill anKommission desMinisterrates unddes Zentralrates der FDJ, 7. 11.1973, UADEBU79.272 Sekret!r D., SED-Ortsleitung an KL Lçbau, 5.5. 1977, HStA Drd. 11864, Nr. IV/D.4.09. 144.

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den Bau des Fçrderungszentrums, viele junge Menschen h!tten sich zumDienst in der Gemeine bereit erkl!rt, die Kinder- und Jugendr#sten h!ttenweiter zugenommen – andererseits habe sich die&berwachung intensiviert.273

Ein schwerer Schlag f#r die staatliche „Differenzierungspolitik“ in der Br#-dergemeine, in der die „Progressiven“ um Hickel gegen die „Reaktion!ren“um Gill auseinanderdividiert werden sollten, war die Bischofswahl von 1979.Die Personaldecke auf Leitungsebene war d#nn, und l!ngere Zeit fand dieGemeine nach Hastings Tod keinen Nachfolger. Vçllig #berraschend f#r dieStaatssicherheit entschied sich die Synode schließlich f#r Theodor Gill.274

Stasi-Oberstleutnant Tzscheutschler aus Dresden bemerkte dazu: „BischofGill z!hlt zum reaktion!ren Kreis in Herrnhut.“275

Kennzeichnend f#r die siebziger Jahre waren die Ereignisse um dieSelbstverbrennung des Pfarrers Oskar Br#sewitz. Sie zeigen nicht nur dieextremen Spannungen, in denen Christen weiterhin leben mussten, sondernauch die Angepasstheit und Kirchenfeindlichkeit der Bevçlkerung. Die DDRhatte den Hçhepunkt ihrer Anerkennung bei den B#rgern und den hçchstenLebensstandard aller kommunistisch regierten Staaten erreicht, die sozialenAbsicherungen waren unter Honecker ausgebaut worden. Die industrielleProduktion hatte sich von 1950 bis 1974 versiebenfacht.276 Die Probleme derAnfangszeit und der stalinistischen f#nfziger Jahre wurden nach WalterUlbrichts unschçner Absetzung diesem zugeschrieben und mit ihm aus demkollektiven Ged!chtnis verbannt.277 In diese Zeit brach das Ereignis derSelbstverbrennung von Br#sewitz. Am 18. August 1976 #bergoss sich derPfarrer auf demMarktplatz in Zeitz, im heutigen Sachsen-Anhalt, mit Benzin.Zuvor hatte er ein Plakat entrollt mit der Aufschrift : „Die Kirche in der DDRklagt den Kommunismus an! Wegen Unterdr#ckung in Schulen an Kindernund Jugendlichen“.278 Das Leben und Sterben dieses sp!tberufenen Pfarrers,der kein einfacher Charakter und psychisch labil war, ist h!ufig beschriebenworden,279 jedoch nicht die Reaktionen der Bevçlkerung, die das Ereignis zueinem Spiegelbild der DDR-Gesellschaft werden lassen. Br#sewitz protestiertemit seiner Tat nicht nur gegen die Ann!herung der Kirchen an den SED-Staat,sondern auch, wie sein Plakat verdeutlichte, gegen die Diskriminierungchristlicher Kinder im Bildungssystem. Dabei spielten die persçnlichen Er-

273 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 7 f. ; vgl. zum Tagungsheim Hickel, Geschichte der Diakonie,S. 161.

274 Unterlagen 1979 der Staatssicherheit Dresden, Abteilung XX/4, BStU BVDrd. AIM 4977/81 II-II,S. 157.

275 Oberstleutnant Tzscheutschler, Bezirksverwaltung f#r Staatssicherheit Drd., XX an Stellver-treter operativ, Genosse Oberst Bormann, 29.10.1979, S. 2, BStU BV Drd. AIM 4977/81II-II.

276 Steiner, Von Plan zu Plan, S. 165–186; Bauerk!mper, Sozialgeschichte, S. 102; Weber, DDR,S. 80–90.

277 Weber, DDR, S. 81.278 Vgl. zu den Vorg!ngen Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 284–290; Klier, Oskar Br#sewitz.279 Vgl. zusammenfassend Maser, S. 116–118.

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fahrungen des Pfarrers mit: Seine Tochter hatte zwar den besten Schulab-schluss imKreis, doch statt an die Oberschule wurde das zierlicheM!dchen zueiner Ausbildung als Gleisbauarbeiterin delegiert.280 Nach der Selbstver-brennung war das erste Bem#hen nicht nur der Staatsmacht, sondern auch derKirchenleitungen, mçglichen Schaden abzuwenden und die Tat vor der "f-fentlichkeit geheim zu halten.281 Keiner hatte ein Interesse, das Verh!ltniszwischen Staat und Kirche zu tr#ben. Doch die Tat wurde imWesten bekanntund sorgte dort f#r Empçrung,282 w!hrend die DDR-Bevçlkerung zwischenGleichg#ltigkeit und Spott #ber Br#sewitz schwankte. Der Rat des BezirkesDresden konstatierte knapp zwei Monate sp!ter : „Unter den Arbeitern undAngestellten, die nicht kirchlich gebunden sind, spielt diese Angelegenheitentweder keine Rolle oder sie wirdmit ironischen Bemerkungen kommentiert(so etwas Verr#cktes kann nur ein Pfarrer machen, die sind sowieso nicht ganznormal).“283 Da kurz vor den Wahlen jedes unerw#nschte Verhalten penibelweitergemeldet wurde, handelte es sich bei diesen Aussagen kaum umWishfull-Thinking der Funktion!re. Auch die SED registrierte die vorbildlicheHaltung der nicht-kirchlichen Bevçlkerung, die folgende Anfragen h!tten:„Woraus resultiert, dass die staatlichen Organe soviel Entgegenkommen undLangmut zeigten?“ –„Die Sprache [in einem verleumderischen Artikel im„Neuen Deutschland“] war notwendig gegen#ber den Antikommunisten.“284

Dieser Zynismus, dieser latente Hass gegen Kirchen, gegen alle, die irgendwievon der Norm abwichen, kennzeichnete die ostdeutsche Gesellschaft.

F#r Kirchenf#hrer und Staatsfunktion!re gleichermaßen erstaunlich wardie Reaktion der Pfarrer und der kirchlichen Basis. Sie nutzten die Chance undprotestierten gegen die Diskriminierung insbesondere christlicher Kinder inden DDR-Schulen; es wurde deutlich, wie tief die Frustration #ber diese Be-nachteiligung saß. Auch die kompromissbereite Kirchenleitung geriet in dieKritik. Ein Pfarrer erkl!rte dem BEK-Sekretariat in Berlin: „Ich empfinde esals beschwerlich, gef!hrlich und besch!mend, dass in kirchlichen Verlautba-rungen viele Worte bei Verletzung von elementaren Menschenrechten inS#dafrika […] gefunden werden, aber keine oder nur wenige Worte […] bei

280 Vgl. Klier, Oskar Br#sewitz.281 Unterlagen in BADY 30 IVB2/14/81, DY 30 IVB 2/14/60, DY 30 IVB 2/14/61 u. DY 30 IV 2/2.036/

47; BA DO 4/656; Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 285; vgl. das ganz !hnliche Verhal-tensmuster in der "ffentlichkeitsarbeit bei Sch"tterle, tote Helden der Arbeit.

282 Sogar der "RK-Generalsekret!r Potter sandte einen offenen Brief an die Kirchenleitung derKirchenprovinz Sachsen, in dem er seine „tiefe Betroffenheit“ zum Ausdruck brachte und seineHoffnung, dass „offene Fragen zwischen Staat und Kirche“ gekl!rt werden kçnnten, Ph. Potter,Generalsekret!r des "RK an Kirchenleitung der Evang. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen,24.8.76, BA DO 4 / 593; vgl. dazu Brief. W. Krusche an Ph. Potter, 13. 12.1976, u. MemorandumWCC, Lukas Vischer, an M. van Vredenburch, 30.8.76, Archiv "RK 42.4.028.

283 Lewerenz, RdB Drd, Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, Dresden, 30.9.76, HStA Drd. 11430/11029; vgl. auch Information #ber Beisetzung des Pfarrers Br#sewitz, BA DY 30 IV 2/2.036/47.

284 SED-BL Drd., Abteilung Staat und Recht, 3.9.76, HStA Drd. 11857, Nr. IV C-2/14/ 675.

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Vorkommnissen (besser : unhaltbaren Zust!nden) in unserem Land.“285 ImJahresabschlussbericht 1976 des Bezirksrates Gera hieß es #ber die Kirchen-mitglieder : „Der Selbstmord von Br#sewitz wurde vielfach zun!chst nicht alssolcher eingesch!tzt, sondern als ein Fanal, eine Form des Protestes gegen denSozialismus, besonders gegen unsere sozialistische Bildungspolitik betrachtetund auf dieser Grundlage ein gezielter und einheitlicher Angriff gegen unsrenStaat vorgetragen.“286 Bei denWahlen imOktober 1976 nahmdie Beteilung derkirchlichen Amtstr!ger im Bezirk Dresden gegen#ber 1971 um 4 Prozent abund lag damit bei knapp 65 Prozent.287 Im Monatsbericht der Lçbauer CDUhatte es im Vorfeld geheißen: „Sogar die kirchlichen Amtstr!ger der Herrn-huter Br#dergemeinde [sic] brachten in einer Aussprache zumAusdruck, dasssie ihre Teilnahme an derWahl“ abh!ngig von der staatlichen Reaktion auf dieSelbstverbrennung machten, und das, obwohl die Br#dergemeine sonst alsprogressiv gelte.288 Gills staatliches S#ndenregister erweitere sich ebenso wiedas des Gemeinhelfers Helmut Schiewe in Niesky um seine Parteinahme f#rBr#sewitz.289 So zeigen die Reaktionen auf Br#sewitz zwar eine angepassteMehrheitsgesellschaft, doch darunter brodelte das Protestpotenzial einerMinderheit.

Auch der DDR-Historiker HermannWeber beurteilt die SelbstverbrennungBr#sewitz’ als „Fanal“. Ende der siebziger Jahre wuchsen oppositionelleStrçmungen. Unter dem Dach der Kirchen, der einzigen staatsunabh!ngigenGroßorganisation, sammelten sich kritische Stimmen. Das Regime reagiertemit Repressionenund einemAbbruch seiner offeneren Politik.Wolf Biermannwurde Ende 1976 ausgeb#rgert, der Protest gegen diese Aktion auch mitVerhaftungen gekontert; viele Schriftsteller und K#nstler verließen bis 1981die DDR. Die Zahl der Unzufriedenen und die Ausreiseantr!ge stiegen. Auchin der Bevçlkerung breitete sich Missmut aus, da sich Honeckers Wohl-standsversprechen nicht erf#llten.290 Zudem ließen sich die freiheitlichen

285 A. Richter an KKL, 24.8.76 u. weitere Unterlagen in EZA 101/271; Briefe in SAPMO-BADY 30/IVB 2/14/60 u. 61; Briefe in HStA Drd. 11430, Nr. 11029.

286 Jahresabschlussbericht, RdB Gera, 24.12. 1976, BA DO 4 / 656; vgl. auch Dienstreisebericht, H.Dohle, 22.10. 1976, BA DO 4 / 1122; Leitungsinformation 5/1976, 19.10.1976, BA DO 4 / 83711(418).

287 Statistische Auswertung der Wahlbeteilung kirchlicher Amtstr!ger, 17.10.1976, BA DO 4 / 555.288 Informationsbericht CDU-KV Lçbau nach CDU-BV Dresden, ACDP II-270-BB.289 Oberstleutnant Tzscheutschler, BV Drd. f#r Staatssicherheit an Stellvertreter operativ, Genosse

Oberst Bormann, 29.10.1979, S. 2, BStU BV Drd. AIM 4977/81II-II; CDU-Abschlussbericht zurVorbereitung und Durchf#hrung der Wahlen, 18.10.1976, ACDP II-209-030/1; Informations-bericht, CDU-Kreis Lçbau an CDU-BV Drd.,25.11.76 u. weitere Unterlagen in ACDP II-270-BB;4. Information #ber Meinungen und zu Verhaltensweisen zum Selbstmord von Pfarrer Br#se-witz, RdB Drd, 13.9. 1976, BA DO 4 / 555; vgl. auch Oberstleutnant Tzscheutschler, Bezirks-verwaltung f#r Staatssicherheit Drd., Abteilung XX, an Stellvertreter operativ, Genosse OberstBormann, 14.1. 1977, S. 2, BStU MfS HA XX/4, 778.

290 Weber, DDR, S. 92–95.

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Ideen und die Unruhe aus dem Nachbarland Polen nicht immer abschirmen,wo 1980 die unabh!ngige Gewerkschaft „Solidarnosc“ entstanden war.

6.4 Wirklichkeitsproduktion III:Die Komplexit!t sozialistischer Wahlen

Die Ann!herungen der Unit!t, die zugleich immer ihr distinktes Milieu bei-behalten konnte, waren vielschichtig und widerspr#chlich. Mit dazu beige-tragen hat die Konstruktion von „Wirklichkeitsritualen“ (Foucault). Ein sol-ches waren die Wahlen im Sozialismus, die von außen zwar treffend als„Scheinwahlen“ bezeichnet wurden, jedoch innerhalb des Systems ihren ei-genen Sinn entwickelten. Wahlen repr!sentierten das sozialistische Gesell-schaftsverst!ndnis: die Wertsch!tzung von Konsens, Kollektiv, Gleichheit,Uniformit!t, Unterwerfungsbereitschaft und die Geringsch!tzung von Frei-heit und Individualit!t. Wahlen waren ein umfassendes Disziplinierungsin-strument, ein Ritus der Selbsterniedrigung des B#rgers unter die Staatsgewalt,eine Performanz des Konsenses. Wahlen in der SED-Diktatur geben Auf-schluss #ber die Interaktion zwischen Herrschern und Beherrschten: DerRitus der Unterwerfung schuf durch das demonstrative Einverst!ndnis desW!hlers und sein manifestes „Gehorchenwollen“ (Max Weber) tats!chlichMacht und Legitimation. Die DDR-Wahlen waren aber auch ein neuralgischerPunkt, an dem das Regime in Kontakt mit der Bevçlkerung trat. Interessantsind Wahlen nicht zuletzt deswegen, weil im Vorfeld gerade die kritischenB#rgerinnen und B#rger, die potentiellen Nichtw!hler, Gehçr findenmussten.So zeigt sich hier, inwiefern auch sie zu Kompromissen bereit waren und wassie sich diese Kompromisse kosten ließen. Die gesellschaftliche Akzeptanz derWahlen wandelte sich in Korrelation mit der Akzeptanz des Regimes. Dabeiwaren wohl f#r die Akzeptanz der Wahlen Vorstellungen von Ordnung undNormalit!t wichtiger als die Ideologie. Seit den f#nfziger Jahren bis 1989funktionierten die Wahlen wie eine geçlte Maschine. Abweichungen von derNorm wurden registriert und h!ufig sanktioniert.

Dennoch hat die Forschung die Wahlen im Staatssozialismus bisher wenigbeachtet. Zwar wurdenWahlen in Transformationszeiten vonDiktaturen rechtgut untersucht.291 Doch ansonsten gelten Abstimmungen in Diktaturen alseine uninteressante Farce, weil sie keinen Ansatzpunkt f#r die #blicherweisean Wahlen angelegten Untersuchungskriterien bieten.292 Selbst Politologen

291 Vgl. etwa beispielhaft Bischof ; Kloth ; Fricke, Die DDR-Kommunalwahlen 1989.292 So kommendieDDR-Wahlen inKarl RohesUntersuchung derWahlen inDeutschland nicht vor :

Rohe. Schultze macht darauf aufmerksam, dass die Wahlen in der DDR ein „lohnendes Thema“w!ren, Schultze, S. 164 f.Eine bemerkenswerte Ausnahme bilden die Aufs!tz von Laufer und von Bienert.

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und Historiker, die sich damit befassen, sehen sie meist nur im Licht ihresfreiheitlichen Demokratieverst!ndnisses. Doch kçnnen die hermeneutischenKategorien eines westlich-demokratischen Wahlverst!ndnisses und der reinpolitologische Zugriff den Blick auf die kulturelle Bedeutung sozialistischerWahlen verstellen.293

Das Urbild staatssozialistischer Abstimmungen war das zaristischeDumawahlsystem. Die Bolschewiken #bernahmen mangels anderer Erfah-rungen deren Prinzipien mit grunds!tzlich unfreien Wahlen, mit einer Ak-klamation zur Festigung bestehender Herrschaft, mit der Eliminierung vonRegimegegnern und mit rechtlichen und administrativen Vorkehrungen f#rWahlmanipulationen.294 In Deutschland, wo die Bevçlkerung in der Kaiserzeitf#r M!nner und in der Weimarer Republik ein allgemeines, gleiches undgeheimes Wahlrecht gekannt hatte, war die Ein#bung sowjetisch gepr!gterWahlen schwierig und von Repressionen begleitet. So erwies sich die Imple-mentierung der Wahlen sozialistischer Pr!gung in Ostdeutschland als rechtm#hsam, zumal selbst die Wahlen in der NS-Diktatur anders funktionierthatten, wenn es auch frappierende %hnlichkeiten gab.295 Die Kommunal-,Kreistags- und Landtagswahlen 1946 waren zwar flankiert von Verhaftungen,Einsch#chterungen und Verboten, zeitigten aber doch f#r die Machthaber miteiner relativ starken Opposition ein unerw#nschtes Ergebnis. Knapp f#nfzigProzent aller CDU-Ortsgruppen in der SBZ waren zu den Wahlen verbotenworden. Doch die von der Br#dergemeine dominierten Herrnhuter Christ-demokraten hatten antreten und mit 68 Prozent (Sachsen: 21,9 Prozent, SBZ:18,7 Prozent) eines der besten CDU-Ergebnisse erringen kçnnen.296 Aller-dings zeigte sich schon 1946 deutlich die kommende Demokratie-Misere unddie willige Mitarbeit der Christen. Beim Volksentscheid in Sachsen #ber die„Enteignung von Kriegsverbrechern“ im Juni 1946 rief die S!chsische Lan-deskirche ebenso wie die Unit!tsleitung ihre Mitglieder auf, mit Ja zu stim-men. Vogt erkl!rte, „ein Nein kçnne nichts bessern. Außerdem sei die Ent-eignung schon geschehen.“297 Otto Uttendçrfer kommentierte Vogts Anwei-sung: „Jedenfalls soll diese Abstimmung Freiheit heucheln, denn in Wirk-lichkeit sind wir in der tiefsten Knechtschaft.“298 In Herrnhut stimmten – beieiner Wahlbeteiligung von 95 Prozent – 93 Prozent f#r die Enteignung; in der

293 Vgl. etwa H"bner, Strafrechtliche Beurteilung von DDR-Wahlf!lschungen nach der Wieder-vereinigung; Jesse u. Lçw, Wahlen in Deutschland.; vgl. auch Sternberger u. Vogel, Die Wahl derParlamente und anderer Staatsorgane; Leng, Wahl im bolschewistischen Staat; Schedler.

294 Leng, Sowjetunion, 1180 f.295 Vgl. dazu Falter, Hitlers W!hler.296 Wahlunterlagen in HStA Drd. 11420, Nr. 54 u. 11377, Nr. 416; Uttendçrfers Lebenserinnerun-

gen, S. 279, UA Nachlass Uttendçrfer ; vgl. zu den Wahlen auch Kapitel III.4.4.297 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 340–342, UA Nachlass Uttendçrfer; vgl. zur Haltung der

S!chsischen Landeskirche, The Churches in the Soviet Zone, R.D.F.O., 1. 10.1946, Archiv "RK301.1.10.

298 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 340, UA Nachlass Uttendçrfer.

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ganzen SBZ waren es rund 78 Prozent.299 Damit stimmte Herrnhut #brigensselbst der Enteignung Harry Verbeeks zu, der einen Anteil an der Sternfabrikhatte und schwer NS-belastet war.300

In den ersten DDR-Wahlen f#r die Volkskammer, Land-, Kreis- und Ge-meindevertretungen vom Oktober 1950 sorgte die SED f#r die sogenannteEinheitsliste der Nationalen Front, die denW!hlern faktisch keineWahl mehrließ.301 Viele Menschen empfanden das Prozedere und die angeblichen99,7 Prozent Zustimmung als Hohn und tiefe Dem#tigung.302 „Eine solcheschamlose Erniedrigung wie am 15.10. hat nicht einmal Adolf Hitler zuwegegebracht“, hieß es in einem anonymen Brief an einen Lçbauer Landrat, undweiter : „Es gab bereits einmal ein Ergebnis 99%! Entsinnen Sie sich? So etwasist nur in totalit!ren Staaten mçglich.“303 Bischof Ludolf M#ller von der Kir-chenprovinz Sachsen klagte, die Wahlen seien f#r die Geistlichen „eine derschwersten und bedr#ckendsten Gewissensentscheidungen“.304 Auch dieParteien zeigten vereinzelt noch Widerstand. So versuchten etwa die Ein-wohner Herrnhuts mit Hilfe der Blockparteien, den Einfluss der SED im Ortzur#ckzudr!ngen.305 In einer Th#ringer Gemeinde erkl!rte gar der CDU-Ortsverband çffentlich die ersten DDR-Wahlen 1950 f#r verfassungswidrig,da es kein Wahlgeheimnis gegeben habe.306

Thomas Lindenberger konstatiert, etwa in den ersten anderthalb Jahr-zehnten der DDR ließe sich die „gewaltsame Auflçsung im weitesten Sinnestaats-b#rgerlicher (oder neudeutsch: zivilgesellschaftlicher) Sozialbezie-hungen und der soziale wie politische Widerstand dagegen als konstitutivesMerkmal der Herrschaftspraxis abgrenzen.“307 Diese Auflçsung, die wohlnicht immer gewaltsam war, zeichnete sich bei den Wahlen schon in denf#nfziger Jahren ab. Ein s!chsischer Studentenpfarrer beschrieb in einemsechsseitigen Bericht f#r die internationale çkumenische „World StudentChristian Federation“ die mentale Entwicklung von der ersten Wahl 1950 biszu der Volksbefragung vom 3. Juni 1951: „Obviously, the majority of the po-pulation did not recognize as strongly as they did in October [1950] the shameof such a caricature of political decision for which it was being used. Thenthere had been reserved and bitter faces, now there was resigned light-hear-

299 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 342, UA Nachlass Uttendçrfer ; Steiner, Von Plan zu Plan,S. 41 f. ; Lçw, Wahlen und Abstimmungen, S. 108.

300 Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 342, UA Nachlass Uttendçrfer.301 Die Einheitslisten kamen erstmals 1949 bei den Wahlen zum 3. Volkskongress zum Einsatz,

Ritter u. Niehuss, S. 182.302 Die Akten des MfS zeigen, dass es massive Wahlf!lschungen gegeben hatte, Weber, Die DDR,

S. 32.303 Brief anonym, o.D., HStA Drd. 11420, Nr. 54.304 Ev. Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, D. M#ller, an Br#der im Amt, Reformationstag 1950,

SAPMO-BA DY 30/ IV 2/14/16.305 SED-Informationsbericht Kreis Lçbau, 13.5.57, HStA Drd. 11864, Nr. IV/4/09.086.306 Leidholdt, CDU-Vorsitzender, OV Lobenstein an KV Schleiz, 5. 8. 1950, ACDP II-209, 004/6.307 Lindenberger, Diktatur der Grenzen, S. 38.

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tedness. One had got used to it […].”308 Angewidert notiert der Pfarrer dieAnpassungsf!higkeit seiner Landsleute und die theologischen Ausfl#chte derGl!ubigen, in einer Diktatur trage nur die Machtelite Verantwortung vor Gott.Der Geistliche f#gte hinzu: „I notice the progress because since last Octoberthere are obviously more people who have given up altogether to put thequestion of right, truth and freedom.”309 Ein Herrnhuter, Sohn eines Missi-onspredigers, beschrieb sp!ter, wie er als Jugendlicher dieWahlen erlebt hatte:„Mama kammir ins Ged!chtnis, wie sie sich damals weigerte, zur Zwangswahlzu gehen. Papa verzweifelt: ,Mein Amt! Es gibt nur Schwierigkeiten, wenn wirnicht zur Wahl gehen!’ Und ich dazwischen, ganz zerrissen innerlich, eineMordswut im Leibe, Ohnmacht.“310 Der Teenager mit der „Mordswut“ flohwenig sp!ter in den Westen. Viele Menschen, die sich nicht in solch dem#ti-gende Prozeduren f#gen mochten, verließen die DDR. Das Widerspruchpo-tenzial sank.311

Bei zahlreichen Christen, auch in der Br#dergemeine, dauerte die Ge-wçhnung an die offene Wahll#ge etwas l!nger.312 Zun!chst organisierten ei-nige Herrnhuter noch Widerstand. Zur Volkskammerwahl im Herbst 1954stellten sie Klebestreifenmit der Aufschrift „ung#ltig“ her und hefteten sie aufdie Stimmzettel.313 Nach den Wahlen von 1954 zitierte die Direktion einenverantwortlichen CDU-Bezirksfunktion!r herbei und erkl!rte ihm, „dass dieWahlen am 17. Oktober 1954 keine Wahlen gewesen seien, sondern […] Be-trug am deutschen Volk“.314 Der damalige Jugendpfarrer Theodor Gill ließ denBehçrdenmitteilen, dieWahlwerde noch „lange negativeAuswirkungen unterden Menschen haben, weil sie nicht demokratisch war“.315 Ein nicht #berlie-ferter Leserbrief des br#derischen Reisepredigers Emil Haupt an die „S!ch-sische Zeitung“ drang bis ins ZK zu Walter Ulbricht und sorgte dort f#rEntr#stung.316 Bei der Volksbefragung von 1954, die den Willen der DDR zurEinheit und zum Frieden demonstrieren sollten, fasste ein SED-Berichter-

308 Bericht „After the Plebiscite of June 3rd, 1951, in the Eastern zone of Germany” Strictly confi-dential, o.A., Archiv "RK 213.13. 155/1.

309 Bericht „After the Plebiscite of June 3rd, 1951, in the Eastern zone of Germany” Strictly confi-dential, o.A., Archiv "RK 213.13. 155/1.

310 Gerhard Frey an Familie, 14. 5.1990, Unterlagen G. Frey, Heidelberg.311 Vgl. dazu Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 137.312 Notiz Einfluss der Kirchen auf die Massen, 22.9. 1955, LArch Berlin C Rep 101/04, Nr. 91, Bd. 1,

Bl. 114 f. ; Generalinspekteur der Volkspolizei, Ministerium des Innern an ZK der SED, 11.10.1954, SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/16; SED-Bericht, Kreis Lçbau, 14.11.1968, HStA Drd. 11864,Nr. IV/4/09.086; Informationsbericht, 23.4. 1957, ACDP III-40-088/1; H. Meyer, Fl#chtlingsamtNeukçlln, an F. P. Stocker, Bethlehem, 26.10. 1950, MAB 104GI, Vogt, Johannes; Pollack, Kirchein der Organisationsgesellschaft, S. 148.

313 SED-Informationsbericht, Kreis Lçbau, 18.10.1954, HStA Drd. 11864, Nr. IV/4/09.085; vgl. zudem Problem, einen Stimmzettel als „ung#ltig“ zu kennzeichnen Jessen, Partei, S. 67.

314 Bericht #ber Unterredungmit DirektoriumvonCDU-BL, 11.1. 1955, SAPMO-BADY 30/IV 2/14/51.

315 Auszug aus dem Bericht des RdK Lçbau, 25.1.1955, HStA Drd. 11430, Nr. 10803.316 W. Bart an W. Ulbricht, 29.9.1954, SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/150.

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statter aus dem Kreis im Vorfeld die theologischen Bedenken eines br#deri-schen Handwerkers zusammen: „[D]ie Menschen [w#rden sich] kaum einig,da sie vçllig von Gott verlassen dastehen. […] Nur in der ev. Br#dergemeinde[sic] w!ren noch einiger Maßen [sic] vern#nftige Menschen zu finden“.317

1956 hieß es in einem SED-Informationsbericht: „Verschiedentlich, in letzterZeit besonders in Herrnhut, versucht der Gegner wieder sein Argument #ber,freieWahlen’ in die Bevçlkerung hineinzutragen. InHerrnhut wird von Teilender Bevçlkerung die Meinung vertreten: ,In aller Welt w!hlt man, nur in derDDR nicht’.“318 Ein Jahr sp!ter hieß es in einem anderen &berwachungsbe-richt: In Herrnhut w#rden die „falschen Anschauungen von einem Teil derIntelligenz vertreten, die dahingehend sind, indem sie sagen: ,Die Arbeiterwollen nicht kandidieren, sie sprechen nicht, sie kçnnen diese Funktionennicht #bernehmen’.“319

Mitte bis Ende der f#nfziger Jahre l!sst sich in der Br#dergemeine einWandel feststellen. Er fand etwas fr#her statt als bei den Landeskirchen, derenLeitungen ab 1958 darauf verzichteten, die Scheinwahlen offen zu kritisie-ren.320 Die loyale Haltung der Br#dergemeine gegen#ber dem SED-Staat, diesich damals herausbildete, brachte ein Bericht in direkten Zusammenhangmitden Wahlen: „Die Wandlung innerhalb der Leitung der Br#dergemeine derDDR fand besonders darin ihren Ausdruck, dass Bischof Vogt vor denWahlenzu den çrtlichen Volksvertretungen im Jahre 1957 seine Gemeine aufrief, dieKandidaten der Nationalen Front zu w!hlen und selbst in denMorgenstundenoffen seine Stimme abgab.“321 Den angeblichen çffentlichen Aufruf, der auchin der Presse publiziert wurde, stritt Vogt ab. Doch war nicht seine fr#h-morgendliche Stimmenabgabe Loyalit!tsbekundung genug? 1966 hieß es beider Kreisverwaltung, die einst die Unit!t so bitter bek!mpft hatte: „Als pro-gressivste Kirche bzw. Gemeinde kçnnen wir die Deutsche Br#der-Unit!therausstellen, das zeigt sich schon dadurch allein, dass sich die gesamteUnit!tsleitung 1965 an denWahlen beteiligt hat.“322 1976 erkl!rten „christlicheJungw!hler“ in Herrnhut #ber ihr Motiv, sich an derWahl zu beteiligen, „dassja Gott auch unsere Regierung lenke und sie deshalb #berzeugt von derrichtigen Lenkung seien und Zustimmung g!ben“, wie es in einem SED-

317 SED-Informationsbericht, Kreis Lçbau, 27.9. 1954, HStA Drd. 11864, Nr. IV/4/09.085.318 SED-Informationsbericht, Kreis Lçbau, 12.6.56, HStA Drd. 11864, Nr. IV/4/09.086.319 Bericht SED-KL an SED-BL, 13.5.57, HStA Drd. 11864, Nr. IV/4/09.086.320 Notiz Einfluss der Kirchen auf die Massen, 22.9. 1955, LArch Berlin C Rep 101/04, Nr. 91, Bd. 1,

Bl. 114 f. ; Generalinspekteur der Volkspolizei, Ministerium des Innern an ZK der SED, 11.10.1954, SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/16; SED-Bericht, Kreis Lçbau, 14.11.1968, HStA Drd. 11864,Nr. IV/4/09.086; Informationsbericht, 23.4. 1957, ACDP III-40-088/1; H. Meyer an F. P. Stocker,26.10.1950, MAB 104GI, Vogt, Johannes; vgl. zum Verhalten des Evangelischen LandeskirchenPollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 148.

321 Information „Herrnhuter Br#dergemeine“, o.A., um 1958, BA DO 4 / 2792.322 Brief Stellv. des Vorsitzenden, RdK Lçbau, an Stellv. des Vorsitzenden, RdB Dresden, 25.4. 1966,

HStA Drd. 11430, Nr. 10809, S. 5.

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&berwachungsbericht hieß.323 Es gab jedoch auch R#ckschl!ge. Als etwa 1968per Volksentscheid eine neue Verfassung installiert wurde, registriertenstaatliche Berichterstatter in Herrnhut das negative Abstimmungsverhaltender christlichen B#rger.324

Wie aber liefen die Wahlen konkret ab? Eine „real-sozialistische“ deutscheWahlf!lschung war hoch komplex, ein organisatorisches Meisterwerk, daseiner Vorlaufzeit von vielen Monaten bedurfte – und deren genau registrierteEreignisse sich f#r einen Betroffenen bis ans Ende seiner Tage auswirkenkonnten. Bereits f#r die Wahlen im Herbst 1946 startete die SED ein großangelegtes Agitationsprogramm.325 Im Laufe der Jahre professionalisierten diezust!ndigen Funktion!re diese Vorbereitungen. Dabei verstrickten sie sichimmer mehr in ihre hermetische Eigenlogik und verloren jede Scheu vorAbsurdit!ten, wie ein SED-Bericht von 1967 #ber eine achtzigj!hrigeW!hlerinzeigte, die schon um vier Uhr morgens vor demWahllokal gewartet habe, umihre Begeisterung #ber die Wahlen und ihren Drang zur Stimmenabgabe zudemonstrieren.326 Die Geistlichkeit, bei der die Obrigkeit grunds!tzlich Wi-derstand bef#rchtete, erhielt die besondere Aufmerksamkeit der Wahlorga-nisatoren. Spitzenkandidaten wurden eigens dazu abkommandiert, um sichmit den Theologen zu treffen.327 Schon fr#h nutzte die SED-Diktatur linien-treue Pfarrer und Synodalen, oft aus dem Umfeld des Pfarrerbundes, die inWahlaufrufen und Veranstaltungen f#r die SED oder die Einheitsliste warben.Dabei handelte es sich h!ufig um gescheiterte Existenzen, die hochgradig vonder SED abh!ngig waren, teilweise von ihr finanziert wurden.328 Die Parteien,die Verwaltungsinstanzen, die Nationale Front, der Friedensrat und teilweiseauch die Arbeitsgruppen Christliche Kreise luden ab den f#nfziger JahrenPfarrer, Pfarrfrauen, Kirchengemeinder!te und andere aktive Christen einzelnoder in Gruppen zu „Wahlgespr!chen“.329 Diese Gespr!che erhielten einewichtige Funktion, die freilich nicht offen genannt werden durfte: Hier

323 Sekret!r Damzog, SED-Ortsleitung Hh, an KL Lçbau vom 5.5.77, HStA Drd. 11864, Nr. IV/D.4.09.144.

324 Ausz#ge aus Analysen zur neuen sozialistischen Verfassung, 6. 4. 1968, HStA Drd. 11430,Nr. 10936; vgl. auch RdK Lçbau, 1. Stellv. Vorsitzender, an RdB Dresden, 1. Stellv. Vorsitzenden,29.10.1962, HStA Drd. 11430, Nr. 10847; RdK Lçbau an RdB Drd., 12.10.65, HStA Drd. 11430,Nr. 10849.

325 Wahlaufruf von E. Mathow, W. Geißler, J. Pietsch f#r Wahlen am 16.11.1958, HStA Drd. 11430,Nr. 10792; Zentralsekretariat der SED an Landes-Provinzial- und Bezirksorganisationen, 7/1946, HStA Drd. 11377, Nr. 236.

326 AbteilungOrg./Kader, Sektor Parteiinformation: 1. Information #ber denVerlauf desWahltagesim Bezirk Gera vom 2.7. 1967, Th#ringisches StA Rudolstadt, BL der SED Gera IVA-2 / 13 / 691.

327 Brief Stellv. des Vorsitzenden, RdK Lçbau, an Stellv. des Vorsitzenden, RdB Dresden, 25.4. 1966,HStA Drd. 11430, Nr. 10809, S. 5.

328 Bericht „After the Plebiscite of June 3rd, 1951, in the Eastern zone of Germany” Strictly confi-dential, o.A.; Unterlagen in HStA Drd. 11430, Nr. 10792 u. in SAPMO DY 30/ IV 2/14/16.

329 Goerner, Behandlung der Kirchenpolitik, S. 155 f. ; Wahlanalyse, o.A., wohl 1958, HStADrd. 11430, Nr. 10701; Nationale Front an Kreisrat von Lçbau, 19.9.1950, HStA Drd. 11420,Nr. 57.

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konnten die Christen (in der Regel die f#hrenden Kirchenleute), die generellzur gef!hrlichen Gruppe der potentiellen Nichtw!hler gehçrten, f#r ihreWahlstimme einen Preis aushandeln. Fast alles konnte in den Gespr!chen –informell aber hçchst konkret –verhandelt werden: von Kirchenchorauftrit-ten im Krankenhaus bis zur Einreisegenehmigung eines Bekannten, vonBaugenehmigungen bis zum Oberschulbesuch des Kindes.330 Nicht nurChristen profitierten von diesen Gespr!chen. So konnte etwa der HerrnhuterB#rgermeister 1954 mit einem Verweis auf die besonderen Wahl-Schwierig-keiten am Ort den Staatssekret!r im Innenministerium, Josef Hegen, per-sçnlich davon #berzeugen, dass die Stadtmaterielle Unterst#tzung brauche.331

Die Gespr!che waren eine feine Art der Korrumpierung.Beispielhaft ist ein solches Gespr!ch vor den Kommunalwahlen 1965 zwi-

schen dem Kreisratsvorsitzenden und der Unit!tsleitung, das der staatlicheVertreter protokollierte: Zuerst verwiesen die Herrnhuter auf ihre Probleme(Baugenehmigungen, W#nsche f#r das anstehende Jubil!um 1972, Brikett-mangel), f#r die der Staatsfunktion!r „volles Verst!ndnis“ zeigte. Danachplauderten dieHerren#ber die anstehendenWahlen. Der Kreisratmeldete, dieHerrnhuter h!tten ihm versichert, „dass sie ihre Stimme abgeben und dass sieden Persçnlichkeiten, die zur Wahl aufgestellt werden, auch ihr Vertrauengeben.“332 Fçrster sprach offen einen wunden Punkt an: seine notorischeWahlkabinenbenutzung. Er suche, so erkl!rte der Theologe, die Kabine nichtdeshalb auf, „um Streichungen vorzunehmen, sondern um zu dokumentieren,dass er das geheime Wahlrecht aus#bt, das gesetzlich gesichert ist.“ Auch beieinem Wahlgespr!ch mit dem CDU-Kreisvorsitzenden erkl!rte Fçrster, erbeharre auf einer Kabine – eine Information, die von der CDU sogleich wei-tergemeldet wurde. Zuletzt mokierten sich nach den Aussagen des Kreisratesnoch alle gemeinsam #ber die angebliche demokratische Wahlpraxis imWesten, #ber die Fçrster „freim#tig“ erkl!rte, er sch!tze „solche Methodennicht“.333 Um ihre Kirchenarbeit in einem guten Licht erscheinen zu lassen,stellten die Berichterstatter gewiss zuweilen ihre Gespr!chspartner nochloyaler dar, als sie tats!chlich waren. Doch da die Berichte auch nicht mit

330 Vgl. etwa Abschlussbericht #ber Mitarbeit bei Volkskammerwahlen, 18.10.1976, ACDP II-209-030/1; Monatsbericht RdK Lçbau, 25.4. 1974, HStA Drd. 11430, Nr. 10926; Zentralsekretariatder SED an Landes-Provinzial- und Bezirksorganisationen, 7/1946, HStA Drd. 11377, Nr. 236;RdB an alle Stellvertretenden Vorsitzenden in den RdK, 5. 11.1971, HStA Drd. 11430, Nr. 10994;Telegramm Probst Gr#ber an Staatssekret!r J. Hegen, 25.9. 1954, BA DO 4/342.

331 Staatssekret!r J. Hegen an Vorsitzenden des RdB Dresden, 5. 10.1954, BA DO 4/342; als eine vonwenigen Autoren hat Andrea Herz auf diesen Stimmen-Kuhhandel in der Bevçlkerung ver-wiesen, Herz, S. 46–51.

332 Dreßler, amtierender Vorsitzender des RdK Lçbau an Verteiler, 4.9.65, HStA Drd. 11430,Nr. 10872.

333 CDU, KV Lçbau, an 1. Stellv. Vorsitzenden des RdK, 13.9.1965, HStA Drd. 11430, Nr. 10849;Dreßler, amtierender Vorsitzender des RdK Lçbau, an Verteiler, 4. 9. 1965, HStA Drd. 11430,Nr. 10872.

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Anklagen und Denunziationen sparen, wenn die Observierten eindeutig„negativ“ auftraten, geben sie eine deutliche Tendenz wider.

Tats!chlich zeugten die Wahlgespr!che nicht nur von Korrumpierbarkeit,sondern auch von Zivilcourage. Es gab immer wieder Pfarrer, die bei dieserGelegenheit freie Wahlen und eine faire Bildungspolitik einforderten. Meistgehçrten diese kritischen Geistlichen zur Landeskirche.334 Besonders schwerhatte es etwa Kirchenreferent Dohle im Rat des Bezirkes Dresden bei denKommunalwahlen 1970. Im Vorfeld hatte er nicht nur eine Hiobsbotschaft#ber den s!chsischen Bischof zu vermelden: „Es ist amtlich, dass Landesbi-schof Noth nach eigener Aussage nicht zur Wahl gehen wird.“ Zahlreicheandere Pfarrer im Bezirk, darunter die Geistlichen in Niesky (unter denen diebr#derischen Pfarrer teilweise besonders renitent waren), erwiesen sich alswiderspenstig und verk#ndeten offen, es gebe in der DDR keine demokrati-schen Wahlen, keine richtige Opposition, keine Meinungsfreiheit. „In diesemZusammenhang wird auch erkl!rt, dass man Gespr!che mit den staatlichenOrganen nach wie vor f#r notwendig halte, denn sonst w#rde der Staatsap-parat ja von #berhaupt niemandem die wahre Meinung der Bevçlkerung er-fahren“, meldete Dohle.335 Jeder dieser Pfarrer konnte sich denken, dass seine%ußerungen von Dohle und anderen Funktion!ren weiter gemeldet und bein!chster Gelegenheit gegen ihn verwendet werden konnten.

Bis zum Ende der DDR waren die Wahlen vom Stimmen-Kuhhandel be-gleitet. Eine br#derische Pfarrfamilie in Ost-Berlin erhielt jahrelang keineWohnung. Vor anstehenden Wahlen in den sechziger Jahren erkl!rten dieBehçrden, es ließe sich etwasmachen, wenn die Pfarrleute sich bei denWahlenwohl verhielten. Der Gemeinhelfer und seine Frau gingen zur Wahl – underhielten darauf eine ger!umige Vierzimmerwohnung.336 Im Vorfeld derWahlen 1963, die ersten Volkskammerwahlen nach dem Mauerbau, fordertendie Pfarrer im Kreis Lçbau die Aufhebung der Reisebeschr!nkungen.337 Wo-mçglich handelte es sich hier um eine abgesprochene çkumenische Aktion,um die Stimmen der Theologen gegen erleichterte Reisebedingungen zuverkaufen. Doch jeden Preis bezahlten die Behçrden nicht. Und tats!chlichwurden diese Wahlen ein Debakel f#r den Kreis Lçbau: Selbst acht der 14Unit!ts-Geistlichen verweigerten nicht ihre Loyalit!tsbekundung.338 Auch in

334 Informationsbericht Februar, RdB Drd., Referat Kirchenfragen, 6.3. 1970, BA DO 4/2967/68;Unterlagen SED, Kreis Lçbau, HStA Drd. 11864, Nr. IV/4/09.085; Informationsbericht von H.Dohle, RdB Drd., 6. 3.1970, BA DO 4 / 2968.

335 Informationsbericht von H. Dohle, RdB Drd., 6. 3. 1970, BA DO 4 / 2968; vgl. Interview mitEhepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 24, Unterlagen H. Richter.

336 Brief D. Schiewe an Br#dergemeine Berlin II zum 24.9. 2006, S. 5, Unterlagen H. Richter ; vgl.auch Jessen, Partei, S. 73.

337 Abschrift, 26 Pfarrer (namentlich nicht erw!hnt) an Staatsrat der DDR, 1. 10.1963, HStADrd. 11430, Nr. 10847.

338 RdK Lçbau, 1. Stellv. Vorsitzender, an RdB Dresden, 1. Stellv. Vorsitzenden, 29.10.1962, HStADrd. 11430, Nr. 10847; RdK Lçbau an RdB Drd., 12.10.65, HStA Drd. 11430, Nr. 10849.

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sp!teren Wahlen kamen die Unit!ts-Geistlichen und andere Pfarrer immerwieder auf die „Reisebeschr!nkungen“ zu sprechen; hier aber signalisiertendie Behçrden kein „Verst!ndnis“.339 Die oben erw!hnten zahlreichen Stimmenin Herrnhut, die sich 1968 gegen die Verfassung wandten, waren besondersmutig, denn denHerrnhutern standen ihre Jubil!umsfeiern insHaus, die ohnedas Wohlwollen des Staates nicht angemessen gefeiert werden konnten. Jen!her das Jubil!um 1972 r#ckte, desto mehr wurde es Gegenstand derWahlgespr!che: Zugest!ndnisse des Staates bei Ein- und Ausreise, &ber-nachtungsmçglichkeiten undVersorgung derG!ste und immermehr auch dasgeplante Zentrum f#r geistig behinderte Jungendliche wurden von der Unit!tindirekt als Preis f#r ihre Wahlstimmen angeboten.340 Der Aushandlungs-prozess gehçrte so eng zu den Wahlen, dass der Rat der Stadt Herrnhut 1989forderte, es solle „ab sofort mit den B#rgern gesprochen werden, wenn be-kannt ist, dass es Anliegen oder Probleme gibt, nicht erst am Wahltag oderkurz davor.“341

AmWahltag selbst stand f#r die Staatsfunktion!re die m#hsame Arbeit des&berwachens an. Als &berwachungsinstanz gab es zahlreiche Institutionen,die Berichte verfassten: die staatlichen und die SED-Behçrden, die Staatssi-cherheit oder die Wahlaussch#sse.342 Sie waren amWahltag aufgerufen, unteranderem Informationen #ber die Geistlichen an die jeweils n!chst hçhereInstanz weiter zu leiten. Auch die CDU-F#hrung forderte ihre Kreisorgani-sationen auf zu melden, welche Geistlichen und Kirchenr!te gew!hlt und wiesie sich verhalten hatten.343 Bei den Angaben zum Wahlverhalten der Pfarrergilt es dabei grunds!tzlich zu unterscheiden zwischen den offiziellen Be-hauptungen und den internenWahlberichten f#r die&berwachung.W!hrendin den offiziellen Stellungnahmen, wie etwa in den Zeitungen, oft f!lschli-cherweise von Pfarrern behauptet wurde, sie seien w!hlen gegangen oderh!tten sich f#r die Einheitsliste ausgesprochen, kçnnen die &berwachungs-berichte als relativ zuverl!ssig gelten, da die Behçrden hier nicht an ge-schçnten Statistiken Interesse hatten, sondern am tats!chlichen Wahlverhal-ten, das sie dann entsprechend sanktionierten oder belohnten.344 Auch die

339 CDU, KV Lçbau, an 1. Stellv. Vorsitzenden des RdK, 13.9.65, HStA Drd. 11430, Nr. 10849.340 Z. B. Dreßler, amtierender Vorsitzender des RdK Lçbau an Verteiler, 4.9.65, HStA Drd. 11430,

Nr. 10872; Monatsbericht, RdK Lçbau, an RdB Drd., Vorsitzenden des Inneres, 22. 12.1971,HStA Drd. 11430, Nr. 10907.

341 Protokoll #ber Stadtverordnetenversammlung Herrnhut, 16.2. 1989, Stadtarchiv Herrnhut,Stadtverordneten und Ratssitzungen 1969–72, 1974.

342 Vgl. etwa Wahlberichte in ACDP III-50-002/1 u. II-209-030/1; Unterlagen Th#ringisches StARudolstadt, Bezirksleitung der SED Gera IV / A-2 / 14 / 696 u. IV 2 / 14 / 1195.

343 Dienstanweisung „Bis 21 Uhr ist Folgendes zu melden“, an Kreisvorst!nde, o.D., ACDP II-209,044/10.

344 So wurde w!hrend der Jubil!umsfeiern 1957 in Herrnhut f!lschlicherweise von Bischof Vogtbehauptet, er habe offen zur Wahl der Einheitsliste aufgerufen, „Festwoche in Herrnhut erçff-net”, in: Neue Zeit, 18.6. 1957; !hnlich ein Fall #ber den Pfarrer in Niesky 1961, H. Reichel an

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Predigten wurden scharf #berwacht und auf mçgliche „politische“ Aussagen#berpr#ft. Tats!chlich ließen es sich Herrnhuter Pfarrer nicht nehmen, hierzuweilen indirekte Kritik zu !ußern. Am Wahlsonntag im Oktober 1954 etwabegann der Gemeinhelfer Hickel in Herrnhut von der „Kainsschuld unseresVolkes in der letzten Zeit durch Judenverfolgung, Konzentrationslager undden zweitenWeltkrieg“ zu reden – eines der wenigen Schuldeingest!ndnisse –,anstatt bei der großen Jubelstimmung und Selbstbeweihr!ucherung mitzu-tun.345 Bereits in den fr#hen Morgenstunden liefen dann in Berlin erste Tele-grammemitWahlinformationen ein. Ein fr#herWahlgang galt als Zeichen derLoyalit!t. Im Laufe des Tages wurden die Informationen auf den neuestenStand gebracht und jeweils an die n!chste Ebene weiter gemeldet. AmWahltagselbst mussten die Ergebnisse noch auf dem Tisch der zust!ndigen Behçrdenliegen.346 Dabei berichteten die Beobachter meist nicht nur #ber Teilnahmeoder Nichtteilnahme der Geistlichen, sondern auch #ber die genauen Ver-haltensweisen:Wahlkabine, Anmerkungen auf demZettel oderWahlverhaltender Familienmitgliedern.347 Dem MfS-Abteilungsleiter f#r KirchenfragenbeimBezirk Dresden lagen beispielsweise durch die Berichte des IM „Wagner“zur Wahl am 17. Oktober 1976 gleichen Tags das genaue Verhalten eines lei-tenden Herrnhuters w!hrend der Wahlen vor. Dieser habe wie immer „offen“seine Stimme f#r die Nationale Front abgegeben, aber seine Frau habe dieWahlkabine benutzt.348 Selbst im Nachhinein sammelten die &berwachungs-instanzen noch Informationen #ber das Wahlverhalten der Geistlichen undleiteten sie weiter.349 Die &berwachungswut trieb merkw#rdige Bl#ten:W!hrend der Kommunalwahlen vom 17. September 1961 etwa berichtete dieStasi-Kreisstelle Lçbau, wer in Herrnhut die Wahlkabine benutzt habe, undnannte an Br#dergemeinmitgliedern den Reiseprediger, zwei Damen, diebisher Nichtw!hlerinnen gewesen seien, und Gustav Winter. Bei letzteremwurden alle seine schlechten Taten aufgez!hlt: nicht einverstandenmit Politik,Regierung und Partei, Tochter „illegal“ in Westen verreist usw. Abschließendstellte der Bericht fest: „Am heutigen Wahltag war er mit dem Gesangbuchw!hlen.“ &ber einen anderen Kabinenbenutzter hieß es: „Es wird einge-

Geschwister, 26.10.1961, vertraulich, UA EFUD 655; Interview mit Ehepaar X., ostdt. Ge-meinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 24–26, Unterlagen H. Richter.

345 Predigt zum Wahlsonntag 17.10.1954 in Herrnhut, UA DEBU 622.346 Vgl. etwa Bericht Beteiligung der Pfarrer an den Wahlen, RdK Lçbau an RdB Drd., Kollegen

Opitz sofort auf den Tisch, 12.10.65, HStA Drd. 11430, Nr. 10849; SED-InformationsberichtKreis Lçbau, 18.10.1954, HStA Drd. 11864, Nr. IV/4/09.085; Protokoll Sitzung des RdSHerrnhut, 21.10. 1954, Stadtarchiv Herrnhut, Ordner Stadtrat; Unterlagen Th#ringisches StARudolstadt, Bezirksleitung der SED Gera IV / A-2 / 14 / 696.

347 Vgl. etwa die Akten in SAPMO DY 30/ IV 2/14/16–17 u. 21; Unterlagen Kreisarchiv Lçbau-Zittau, RdK Lçbau 230.

348 Aktenvermerk von Albinus, Abteilung XX/4, Dresden, 17.10.1976, BStU BVDrd. AIM 4977–81,S. 103.

349 Aktenvermerk „Situation der Br#dergemeine Herrnhut, o.A., SAPMO-BA DY 30/IV 2/14/250.

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sch!tzt, dass er 2 M!ntel tr!gt“.350 Besonders penibel #berpr#fte die Stasi dasWahlverhalten ihrer Spitzel.351 Im Nachhinein mussten die verschiedenenPartei- und Staatsinstitutionen und Instanzen nochmals eine genaue Analysemit exakten Statistiken f#r die n!chst hçhere Ebene verfassen. Dazu gehçrteh!ufig die namentliche Nennung des Delinquenten, der eine Wahl verweigertoder ungeb#hrliches Wahlverhalten an den Tag gelegt hatte (Kabinenbenut-zung, Streichungen auf dem Wahlzettel u.!.). Auch das Wahlverhalten vonFamilienmitgliedern und die mçglichen Motive f#r die Nichtwahl konnten inden Berichten aufgelistet sein. Zuletzt fassten Funktion!re die Informationennochmals auf allen Ebenen zusammen und werteten sie aus.352

Die meisten Herrnhuter gingenw!hlen.353 Der psychische Druck, der Normzu entsprechen, war groß. Am Wahlabend liefen Wahlhelfer mit der Urne zuallen Nichtw!hlern. Bei den Volkskammerwahlen vom 20. Oktober 1963 etwameldete die Kreiswahlkommission Lçbau gegen Abend: „Pfarrer Hastinglehnt die Wahl ab. Agitatoren sind unterwegs.“354 Dabei trafen oft zwei Ge-meinmitglieder aufeinander – ein peinlicher und dem#tigender Vorgang, anden sich beide Seiten nur voller Widerwillen erinnern. Auch hier zeigt sich,wie ausgezeichnet das System funktionierte. Selbst die br#derisch dominierteCDU in Herrnhut konnte sich der Disziplinierung ihrer Mitgl!ubigen nichtentziehen. Um denWahlschikanen zu entgehen, verließen manche fluchtartignach dem Gottesdienst den Ort zu einem „Familienausflug“ oder legten Rei-setermine auf den Wahltag.355 Ein skurriler Fall zwischen Dissidenz und An-passung waren die Wahlen im Altenheim in Ebersdorf, wo ein eigenesWahllokal eingerichtet worden war. Da die Wahlhelfer keine Wahlkabineaufstellten, zimmerte das Personal des Hauses selber eine. Die ehemalige

350 Dienststelle Lçbau, Seifert, 17.9.1961, BStU BV Drd. AOP 2163/62, S. 27; Aktenvermerk vonLeutnant Albinus, 18.10.1976, BSTU BV Drd. AIM 1100–85, S. 50.

351 Aktenvermerk von Lt. Albinus, Abteilung XX/4 Dresden, 18.10. 1976, BStU BV Drd. AIM 1100/85, S. 42; Aktenvermerk von Albinus, Abteilung XX/4, Dresden, 17.10.1976, BStU BV Drd. AIM4977–81, S. 103.

352 Vgl. etwa 1. Stellv. des Vorsitzenden, RdK Lçbau, an 1. Stellv., Gen. Opitz, RdBDrd., 12. 10.1965,HStADrd. 11430, Nr. 10849; RdK Lçbau, Stellv. des Vorsitzenden f#r Innere Angelegenheiten anRdB Drd., Stellv. des Vorsitzenden f#r Innere Angelegenheiten, 25.4. 1966, Anhang, u. AkteWahlbeteiligung evangelischer Pfarrer [f#r Volkswahlen 1958], HStA Drd. 11430, Nr. 10809;Unterlagen in HStA Drd. 11430, Nr. 10701, HStA Drd. 11430, Nr. 10994; Unterlagen in HStADrd. 11430, Nr. 10847, 10849 u. 10994; SED-Unterlagen in HStA Drd. 11857, Nr. IVC-2/14/ 675;Unterlagen in SAPMO DY 30/ IV 2/14/17; CDU-BV Magdeburg an Carl Ordnung, 13.4. 1959,ACDP VII–013–0177.

353 Vgl. die Angaben in den Interviews. Wahlstatistik, HStA Drd. 11430, Nr. 10844; RdB Dresden,Vorl!ufiges Endergebnis der Teilnahme der Geistlichen am Volksentscheid, 6. 4.1968, HStADrd. 11857, Nr. IV/B.2.14.636.

354 Th!tner, Gruppe Information, 20.10. 1963, Kreisarchiv Lçbau-Zittau, RdK Lçbau 230.355 Sekret!r D., SED-OL Herrnhut, an KL Lçbau, 5. 5.1977, HStA Drd. 11864, Nr. IV/D.4.09. 144;

Interview Friedmann Hasting, S. 8 u. Interview mit Martin Clemens, ostdt. Gemeinmitglied,Herrnhut, 7. 2. 2006, beide in Unterlagen H. Richter.

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Heimleiterin erz!hlte, aus Solidarit!t mit den „Wahlkabinenbenutzern“ h!ttedas gesamte Personal „geheim“ gew!hlt.356

Es gab neben dem suggestiven Zwang der Masse auch ganz praktischeGr#nde, der Wahl nicht fernzubleiben. Zwar existierte offiziell keine Wahl-pflicht, doch ob Ausbildung der Kinder, Dienstreisen ins Ausland, Urlaubs-fahrten oder Einfuhrgenehmigung – die Nichtteilnahme konnte bei allen sichbietenden Gelegenheiten sanktioniert werden.357 Gegen das Gesuch GustavWinters zur Erçffnung seiner Druckerei Anfang der f#nfziger Jahre lag unteranderem als gewichtiger Einwand sein renitentes Verhalten bei Wahlen vor.358

Die Stasi hatte #ber relevante Personen oft Informationen #ber deren Wahl-verhalten.359

Wer sich dem Druck von oben, dem psychischen Druck der anderen, wersich dem wie von selbst laufenden Getriebe entziehen konnte, musste außer-ordentliche Zivilcourage besitzen. Auchwenn die #berwiegende Mehrheit derGemeinmitglieder zur Wahl ging, nahmen doch im Vergleich zu anderenBevçlkerungsgruppen relativ viele Herrnhuter nicht an Wahlen teil oder be-nutzten die Wahlkabine.360 Die Unterlagen f#r Herrnhut und die Befragungender Mitglieder lassen vermuten, dass der Widerstand gegen die Wahlen in derRegel von Herrnhuter Laien ausging, und dass in der Stadt Herrnhut gele-gentliche Nichtw!hler unter den Theologen wie G#nther Hasting die Aus-nahme blieben. Verglichen mit den großen Kirchen war die durchschnittlicheWahlbeteiligung der Geistlichen in Herrnhut mit fast hundert Prozent be-sonders deutlich: In den siebziger Jahren lag wie in den zwei Jahrzehntenzuvor in den Kreisen des Bezirkes Dresden die Wahlbeteiligung aller Pfarrerteilweise sogar bei unter 15 Prozent. Durchschnittlich betrug sie bei katholi-schen und protestantischen Geistlichen in den f#nfziger und sechziger Jahrenum die f#nfzig Prozent, stieg in den siebziger und achtziger Jahren auf etwaachtzig Prozent an und lag damit weit unter dem Durchschnitt der Gesamt-bevçlkerung, die dank ihrer Konformit!t tats!chlich auf ein Ergebnis von

356 Interview mit Clementine Weiss, ostdt. Gemeindienerin, Ebersdorf, 6. u. 9. 12.2005, S. 5, Un-terlagen H. Richter.

357 Begr#ndungen zu Ausreiseantr!gen in Brief Weise, Staatssekretariat f#r Kirchenfragen, an W.Barth, Arbeitsgruppe Kirchenfragen, 10.6. 1968, SAPMO-BA DY 30 / IV A 2/14/40; Informa-tionen zu Pfarrern in DO 1/100 / 183/2; Information, Staatssekretariat f#r Kirchenfragen, 12. 12.1977, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/80.

358 Volkspolizei Kreisamt Lçbau an Landesbehçrde der Volkspolizei Sachsen, 26.9. 1951, BStU BVDresdenAGI 1198/52, S. 37; vgl. zur Stasi-&berwachung derWahlen auch dieAkte BStUBVDrd.AOP 2163/62.

359 Vgl. etwa Ermittlungsbericht, 27.9. 1962, Dienststelle Lçbau, BStU BV Drd. AIM 4977/81 I-I,S. 90; Beurteilung des IM Hickmann, Abteilung XX/4, Dresden, 17.10.1976, BStU BV Drd. AIM4977–81, S. 143.

360 Wahlunterlagen 1950, HStA Drd. 11430, Nr. 2869; vgl. auch Bericht zu K. Biedermann, 26.6.1981, S. 14 f. , BStU BV Drd. AIM 1732/91; VP-Landesbehçrde Sachsen-Anhalt an Hauptver-waltung der DVP Berlin, 29.6. 1951, BA DO 1.11.0 / 864; Interview mit Ehepaar X., ostdt.Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 6 u. 24–27, UA; Auskunft von Benigna Carstens, Kçnigsfeld,30.11.2007, Unterlagen H. Richter.

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knapp unter hundert Prozent gekommen sein mag.361 Allerdings unterschie-den sich die Geistlichen in Herrnhut mit der oft hundertprozentigen Wahl-beteiligung nicht von den Pastoren anderen Freikirchen, die generell in derDDR als loyal galten. Freikirchen waren dem Staat direkter ausgeliefert undmehr auf sein Wohlwollen angewiesen als die großen Landeskirchen.Gleichwohl scheinen br#derische Pfarrer in anderen Ortsgemeinen oder inder Diaspora eher bereit gewesen zu sein, dieWahl zu verweigern. Sie standennicht unter dem massiven Druck und der strengen Beobachtung wie die Di-rektion und die Geistlichen in Herrnhut.362

Erst als die Legitimit!t des Regimes br#chig wurde, begann die Gesellschafterneut, die Wahlen in Frage zu stellen. Die Kommunalwahlen im Mai 1989wurden der Auftakt zum Untergang der DDR. Die von außen merkw#rdiganmutende Empçrung der Bevçlkerung #ber die aufgedeckten F!lschungendieser Wahlen (hatte tats!chlich jemand an die Echtheit der Wahlergebnissegeglaubt?) demonstrieren, wie der Akzeptanzraum sich ver!ndert hatte. DieUnit!tsleitung aber griff im Revolutionsjahr 1989 nicht die Proteste der B#r-gerrechtler gegen das Wahlverfahren in der DDR auf, sondern traf sich wiegewohnt vor den Wahlen mit Staatsvertretern, um Vorteile f#r die Unit!tauszuhandeln.363 Auch hier war die j#ngere Generation der um 1960 Gebo-renen kritischer. Von einem br#derischen Bausoldaten berichtete ein Stasi-Spitzel: „Er geht nicht w!hlen! Er ist der Meinung, dass diese Wahl, so wie sieist, keine Wahl ist“.364 Eine Gemeinhelferin dieser Generation meinte sp!terlakonisch: „Wir sind nicht hingegangen, weil es keine Wahlen waren“.365

361 &bersicht Wahlbeteiligung von Pfarrern, 7. 7. 1967, ACDP III-045-125/3; vorl!ufige Zusam-menfassung der Wahlbeteiligung kirchlicher Amtstr!ger, RdB Drd., Sektor Staatspolitik undKirchenfragen, 17.10. 1976, HStA Drd. 11857, Nr. IV C-2/14/ 675; vgl. auch die Unterlagen inHStADrd. 11430,Nr. 10994; vgl. zuDaten #ber sechziger Jahre: Bericht Entwicklung desAnteilsder konfessionell gebundenen B#rger, RdB Drd, 7.9. 1970, S. 3; Gesamtergebnis der Wahlbe-teiligung, Kirchenbereich, Bundesarchiv DY 30 IV B 2/14/70; Unterlagen in 11430, Nr. 11028 u.10994; Unterlagen in Bundesarchiv DY 30 IVA2/14/4 u. DY 30 IV 2/14/21; Wahlbeteiligung derAmtstr!ger, 14. 11.1971, HStADrd. 11430, Nr. 10994; Unterlagen in SAPMODY 30 / IVA 2/14/4;Auskunft von Heidrun K#chler, Dresden, 12.7. 2007, Unterlagen H. Richter ; vgl. zur Wahlbe-teiligung Lçw, Wahlen und Abstimmungen, S. 109.

362 Vgl. Interview mit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, Unterlagen H. Richter.363 Information, Staatssekret!r f#r Kirchenfragen, 10.4. 1989, Bundesarchiv DY 30 IV B 2/14/44;

vgl. auch Rundschreiben Nr. 6/89, 15.6. 1989, UA DEBU 58.364 M#ndlicher Bericht, Quelle: Bernd Schulze, 25.4. 1989, BStU BV Drd. KD Lçbau-18204.365 Auskunft von Benigna Carstens, Kçnigsfeld, 30.11.2007, Unterlagen H. Richter.

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7 Das b!rgerschaftliche Engagement der Herrnhuter

In einem Interview 2006 erkl"rte der Staatsfunktion"r Horst Dohle r!ckbli-ckend: „Die Herrnhuter sind eine fromme Gemeinde, deren St"rke nun nichtunbedingt die çffentliche Gesellschaftsgestaltung ist. […] Mit den Herrnhu-tern gab es selten Konflikte. Und da gab es eine ganz starke Orientierung aufdie Dritte Welt. Einfach durch die Missionsgeschichte. Und dadurch gab eseine nat!rliche N"he“ zum Staat.1 Dohles Statement l"sst vermuten, dass daszivilgesellschaftliche Engagement keineswegs im Gegensatz zur Staatsmachtstehen musste, sondern in einer „Interessenparallelit"t“, wie Staatsfunktio-n"re es nannten, die Gemeinsamkeiten verst"rken konnte. Offensichtlich trugder „Dienst“ der Br!dergemeine an der Gesellschaft nicht nur dazu bei, dieExistenz der Unit"t zu sichern und zu rechtfertigen.

7.1 Arbeit in der Unit"t und in der sozialistischen Gesellschaft

7.1.1 Diakonie

Das çffentliche Engagement der Br!dergemeine, wie es sich in den achtzigerJahren darstellte, war beeindruckend. Bei 3000 Mitgliedern bot sie 1000 dia-konische Betreuungs- und Arbeitspl"tze. Die Unit"t betrieb ein Krankenhaus,sieben Seniorenheime, ein Pflegeheim, Kinderg"rten, ein Kleinkinderheim,ein Fçrderungszentrum, drei Tagungs- bzw. G"steheime. Rund 300 Mitar-beiter waren im diakonischen Bereich besch"ftigt, davon 250 in den Ein-richtungen von „Emmaus“.2 Freilich kam ein Großteil der Gelder von denLandeskirchen, denen die diakonischen Einrichtungen !ber das DiakonischeWerk angeschlossenwaren.3 DennochwarenHerrnhuter und der sie finanziellunterst!tzende Freundeskreis verglichen mit Mitgliedern der Landeskirchen!berproportional stark finanziell engagiert.4 Vor allem aber trug die Unit"t dieVerantwortung f!r ihre diakonischen Einrichtungen und musste die Organi-sation mit ihrem stark strapazierten Mitarbeiterstab schultern. Der TheologeEberhard Busch hat darauf hingewiesen, wie stark sich gerade der Pietismusim 19. Jahrhundert, aber auch erneut nach 1945 der Diakonie zugewandt und

1 Interview mit Prof. Dr. Horst Dohle, Berlin, 23. 5.2006, S. 3, Unterlagen H. Richter.2 Hickel, Geschichte der Diakonie, S. 163 f.3 Hickel, Geschichte der Diakonie, S. 165.4 Vgl. zum Engagement des Freundeskreises Hickel, Lebenserinnerungen, S. 122.

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dort Bedeutendes geleistet hat.5 Innerhalb der Br!dergemeine war es dabeiunumstritten, dass die diakonische Arbeit als Ersatz f!r die einstige Erzie-hungsarbeit diente.6

Eine gewisse Doppelbçdigkeit gewann das Engagement durch die staatlicheVereinnahmung. Dohle notierte 1979 zu einer Auflistung loyaler Freikirchen,unter denen auch die Unit"t zu findenwar, sie wiesen allesamt „eine sehr hoheArbeitsauffassung auf, die – glaubensm"ßig motiviert – bewusst als Beitragzur St"rkung unserer Republik aufgefasst wird.Mit ihremdiakonisch-sozialenEinsatz unterst!tzten sie die Sozialpolitik.“7 Es waren wohl nicht zuf"llig dieauf demonstrative Loyalit"t bedachten Freikirchen, die sich besonders starkim karitativen Bereich engagierten. Diesen Einsatz sahen die Staatsfunktio-n"re zunehmend – ganz "hnlich wie das Engagement f!r Antirassismus – alsAusdruck der Loyalit"t.8 Doch die Kirchen wollten ihr Engagement nichteinfach als Folge staatlicher Politik sehen, sondern sie suchten nach Legiti-mationsgr!nden. Wieder diente das Konstrukt von einer Kirche des 19.Jahrhunderts, die vollkommen die soziale Frage ignoriert habe, als Rechtfer-tigung. So schrieb etwa Albrecht Schçnherr 1987: „Marx konnte 1847 for-mulieren: ,Die sozialen Prinzipien des Christentums setzen die … Ausglei-chung aller Infamien in den Himmel und rechtfertigen dadurch die Fortdauerdieser Infamien auf Erden’. Das kannman heute nicht mehr so sagen, und dasgeschieht auch nicht. Die Diakonie ist einverstanden damit, dass ihr vor-nehmlich die Alten und die geistig und kçrperlich Behinderten zur Pflegezugewiesen werden. Sie kann daran deutlich machen, welches Bild vomMenschen sie durch den leidenden Gott gewonnen hat.“9 Die Br!dergemeinewurde konkreter und sah „die Diakonie als eine Art der Verk!ndigung desEvangeliums“, sowohl an den Pfleglingen als auch den Mitarbeitern. Dermissionarische Aspekt blieb f!r sie substanziell.10

Die diakonische Arbeit zeigt beispielhaft, was f!r eine Gratwanderung die„Interessenparallelit"t“ zwischen Staat und Kirchen war. Die Kirchen griffenmit der Diakonie dem klammen SED-Staat unter die Arme und ließen sogarihre Arbeit bereitwillig f!r propagandistische Zwecke missbrauchen, wie dieErçffnung des Fçrderungszentrums in Herrnhut beispielhaft gezeigt hatte.Das b!rgerschaftliche bzw. zivilgesellschaftliche Engagement st!tzte die

5 Busch, Pietismus in Deutschland nach 1945, S. 549–552.6 Vgl. etwa Bericht Distrikt Herrnhut f!r Unit"tssynode 1967, S. 5, MAB 173HI, Unit"tssynode,1967-S420; Informationsheft „Evangelische Br!der-Unit"t, Distrikt Herrnhut“, S. 2 f., UA EFUD746; Gruß an den Freundeskreis, 6.7. 1965, S. 1 f. , UA EFUD 657.

7 Hinweise f!r das Gespr"ch des Staatssekret"rs von Dr. Dohle, 31.8. 1979, BA DO 4 / 83717 (448).8 Str!bind, S. 233; Assmann, Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, S. 31–33; Informa-tion, MfS-Kreisdienststelle Lçbau, 13. 4.1989, BStU BV Drd. AIM 1732/91; Hinweise f!r dasGespr"ch des Staatssekret"rs von Dr. Dohle, 31.8. 1979, BA DO 4 / 83717 (448).

9 Schçnherr, Religionskritik Dietrich Bonhoeffers, S. 321 f. ; vgl. „Wort zur Diakonie“, 1970, UADEBU 52.

10 Hickel, Diakonie, S. 165 f. ; Th. Schmidt an K. G. Hamilton, 8. 6. 1952, MAB 114DI, Germany,1952-1953-54-55-58.

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Diktatur. Dennoch waren die kirchlichen Leistungen in der Diakonie jenseitsaller Taktik und staatlichen Vereinnahmungen wichtig. Insgesamt hatten dieKirchen in der DDR nach einer staatlichen Auflistung von 1988 15 634 Mit-arbeiter und 42 307 diakonische Pl"tze. Fast jeder zehnte Bewohner einesAltenheims lebte in einer kirchlichen Einrichtung.11 Dochwenn derHistorikerChristoph Kleßmann die „politische Anerkennung des diakonischen Auftra-ges der Kirchen durch SMADund SED“ als eines der Privilegien derKirchen inder DDR bezeichnet, erliegt er damit dem Zynismus des SED-Regimes, dastats"chlich die Genehmigung zur Diakonie als besonderen Gnadenerweispropagierte.12 Dass die Kirchen, mit ihnen die Br!dergemeine, selbst zuneh-mend stolz und dankbar auf die staatliche „W!rdigung“ waren, schm"lertnicht die Absurdit"t des Ganzen, sondern zeigt, wie stark Kirchen in dieskurrile autistische Eigenlogik des Systems involviert waren. Denn Dank ge-b!hrte f!r die diakonische Arbeit den Kirchen und nicht dem Staat, der sie„erlaubte“.13

7.1.2 Die Unternehmungen der Br!dergemeine

Eines der erstaunlichsten Privilegien, das die Br!dergemeine w"hrend derDDR-Zeit genoss, war der Erhalt ihrer Wirtschaftsbetriebe. Andere Kirchendurften keine Produktionsmittel besitzen, und ihre nicht produzierendenBetriebe hatten allein diakonischen Zwecken zu dienen.14 In den br!derischenUnternehmungen und ihrem m!hsamen #berleben im Arbeiter- und Bau-ernstaat zeigt sich beispielhaft dreierlei: Erstens wie gut auch hier die Tradi-tionserfindung funktionierte; zweitens das Aushandlungsprinzip als Kom-munikationsmittel zwischen Staat und B!rger, das im Bereich der Wirt-schaftspolitik von Recht und Gesetz abgelçst und allein dem Nutzen des SED-Staates verpflichtet war ; drittens bieten die Betriebe der Unit"t einen Zugangzu dem Problem der DDR-Wirtschaftsgeschichte, wie weit die „Sowjetisie-rung“ der Wirtschaft reichte und inwieweit sich ein „Quasi-Mittelstand“ er-halten konnte.15 Dabei kçnnen die Betriebe der Br!dergemeine in den Kom-plex des zivilgesellschaftlichen Engagements eingebettet werden, weil sie inder DDR-Zeit nicht dem Gewinnstreben dienten, sondern allein im Dienst derDiakonie und Mission standen.

Zu den br!derischen Unternehmungen gehçrten ein Gaswerk, eine G"rt-nerei, ein 700 Hektar großer Forst, das Kohlengesch"ft des Br!derhauses unddie Landwirtschaft. In anderen Ortsgemeinen gab es weitere kleine land-

11 Umfang und Struktur der diakonischen Einrichtungen in der DDR, Stand 1.1. 1988, BA DO 4 /83801 (967).

12 Kleßmann, Sozialgeschichte des protestantischen Milieus, S. 42.13 G. Gçtting an H. Richter, 1. 5. 2006, Unterlagen H. Richter ; vgl. dazu auch Beeson, Dicretion,

S. 193 ff.14 Vgl. dazu Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 256.15 Großbçlting, S. 168; Berghoff, S. 278 f. ; Ebbinghaus, S. 324–346.

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wirtschaftliche und gewerbliche Betriebe wie die Lackfabrik Hçpner & Co. inNiesky. Außerdem besaß die Br!dergemeine in Herrnhut und Niesky, Gnadauund Gçrlitz Buchhandlungen und ein Antiquariat.16 Am bekanntesten war dietraditionsreiche Firma Abraham D!rninger & Co., die zu Zinzendorfs Leb-zeiten von dem Kaufmann Abraham D!rninger gegr!ndet worden war. Zudem mittelst"ndischen Unternehmen gehçrten neben der 1924 gegr!ndeten„Sternelei“, in der die bekannten Herrnhuter Weihnachtssterne produziertwurden, eine Weberei, eine Handstoffdruckerei, ein Einzelhandelsgesch"ft,eine Tischlerei und ein Zigarrengesch"ft ; Merian produzierte Heilkr"uter imVerbund mit D!rninger, und die D!rningersche Kohlendampfmaschine ver-sorgte Stadt und Umgebung mit Strom.17 F!r das Zigarrengesch"ft erhielt dieUnit"t unter anderem von denMoraven ausWinston-Salem in North CarolinaTabak.18 Insgesamt hatte die Br!dergemeine mehrere hundert Besch"ftigte inihren Betrieben. Ende der vierziger Jahre arbeiteten allein auf ihren G!tern280 Mitarbeiter, deren Zahl jedoch nach den Enteignungen absank. W"hrenddie Unit"t im diakonischen und geistlichen Bereich knapp 400 Mitarbeiterbesch"ftigte, waren es in den Betrieben in den siebziger Jahren insgesamtnoch 150 Arbeitskr"fte, davon allein bei D!rninger 120. Das war verglichenmit den 749 Mitarbeitern D!rningers vor Kriegsende bescheiden.19 Auch imwirtschaftlichen Bereich arbeitete die Unit"t eng mit den Landeskirchen zu-sammen und erhielt Spenden und g!nstige Kredite vom Hilfswerk.20

Die t!chtigen Kaufleute der Br!dergemeine passten nach 1945 nicht mehrin die Landschaft. Das erkannten die Herrnhuter schnell. Vor Kriegsende,bekannte ein Verantwortlicher im br!derischen Wirtschaftswesen, sei „derkommerzielle Aspekt zu sehr betont worden“.21 In der Tat hatten Anfang dervierziger Jahre die Betriebe in der boomenden Kriegswirtschaft floriert undgroße Gewinne abgeworfen; aufgrund s"kularer Tendenzen war die geistlicheGrundlage der Gesch"fte in den Hintergrund getreten. Die erste Nachkriegs-synode bestimmte die Gewinne allein f!r die „Ausbreitung von Gottes Wort“,wozu Diakonie und Erziehungswerk gerechnet wurden.22 Die Br!dergemeine

16 Hickel, Geschichte der Diakonie, S. 163;Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine,S. 153; Wenzel, Wirtschaft und Finanzen, S. 168.

17 Wenzel, D!rninger, S. 190; Festschrift Abraham D!rninger Stiftung, 1953, BA DO 4 / 83810(1070).

18 Wenzel, D!rninger, S. 190; Protokoll, Blocksitzung Herrnhut, 29.1. 1952, HStA Drd. 11420,Nr. 126; Referent Beck an D!rninger, 17. 1.1957 u. andere Unterlagen in BA DO 4 / 2289.

19 Stellenplan Br!der-Unit"t, o.D., Ende vierziger Jahre, HStA Drd. 11378, Nr. 294; AktenvermerkD!rninger-Stiftung, Abt. Kirchenfragen, 5. 2.1973, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/168.

20 Vgl. etwa Unterlagen in EZA 102/95; M. Stolpe anW. Merian, 22.1. 1975 u. andere Unterlagen inEZA 101/285.

21 H. Uellner, Unabdingbarer Bestandteil der Br!dergemeine?, 27.7. 1957, UA EFUD 689.22 Beschl!sse und Erkl"rungen der Distriktssynoden Ost- und West, 1947; vgl. Aussagen !ber

ihrenVater vor 1945 im Interviewmit ClementineWeiss, ostdt. Gemeindienerin, Ebersdorf, 6. u.9. 12.2005, Unterlagen H. Richter ; vgl. auch Finanzdirektion an Direktion der EBU, 13. 12.1951,UA DEBU 570.

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versuchte, eine kommunistische Tradition zu konstruieren und betonte ge-gen!ber den Behçrden, dass ihre Betriebe dem Allgemeinwohl dienten undeine „christlich-sozialistische“, „kommunistische“ Geschichte aufzuweisenh"tten. Das hielt die kommunistisch dominierte Presse nicht davon ab, anD!rningers braune Vergangenheit im NS-Staat zu erinnern.23

War die SMAD der Br!dergemeine wohl gewogen gewesen, regierten dieEinheitssozialisten seit Ende der vierziger Jahre mit Willk!rakten in das Fi-nanz- und Wirtschaftswesen der Unit"t hinein. 1945 war ein Großteil desbr!derischen Vermçgens in Schlesien verloren gegangen; dennoch rechnetedie Deutsche Notenbank in Leipzig der Br!dergemeine jede Mark vor, die sieals Hypothek oder Kredit vor 1945 aufgenommen hatte, insgesamt 2 370 000Mark. So sollte die Unit"t f!r Schulden der Gnadenfelder Betriebe aufkom-men, die ihr unendgeldlich enteignet wordenwaren.Oder ihr wurde einKreditin Rechnung gestellt, den die Gemeine in ihrem eigenen Bank-Institut C. F.Goerlitz vor 1945 aufgenommen hatte. Die Bank war enteignet worden, dieSchulden blieben erhalten.24 Die Finanzlage der Unit"t in der Nachkriegszeitwar desastrçs. Barguthaben auf den Banken wurden immer wieder gesperrt.Die Pensionsverpflichtungen f!r Pfarrer, Missionare und andere Mitarbeiterdr!ckten.25

R!diger Schmidt zeigt f!r die Wirtschaftspolitik in der SBZ, wie Rechts-kategorien „formal diskreditiert und de facto entleert“ wurden.26 Das gleichegalt f!r die Zeit bis 1989. Mit der Machtkonsolidierung der SED und mit derEtablierung der Planwirtschaft ab 194827 gerieten die br!derischen Betriebezunehmend unter Beschuss. Die Presse denunzierte die br!derischen Ein-richtungen, die Behçrden verurteilten die Betriebe zu Ordnungsstrafen,hçrten die Telefonanschl!sse ab, ermittelten immer wieder gegen den ExotenMerian und seine Arbeit, f!hrten unangemeldete Kontrollen durch undsorgten mit der Staatssicherheit f!r ein Klima der Unsicherheit und Angst,indem sie Mitarbeiter willk!rlich zu Verhçren abholten. Die Funktion"re inDresden suchten nach Mçglichkeiten einer legal erscheinenden „Liquidie-rung“.28 Produktionszweige der Gemeine wurden staatlichen Volkseigenen

23 Bericht !ber die BU erstattet an die Russische Kreiskommandantur Lçbau, #bersetzung ausdemRussischen, 13.8. 1945, HStADrd. 11378, Nr. 294; Direktion der EBUan 1. Vizepr"sidentenFischer, Landesverwaltung Sachsen, 25. 10.1945, HStA Drd. 11377, Nr. 236.

24 Vermerk von Gr!nbaum, 1. 9. 1950, BA DO 4 / 2289; Vereinbarung zw. Finanzdirektion derBr!der-Unit"t und staatlichen Vertretern (Notenbank, Staatssekretariat u. a., 25.11.1958, BADO 4 / 342; vgl. zu dem Problem weitere Unterlagen in der Akte und in BA DO 4 / 2289.

25 Zusammenfassung vonGemeinnachrichten, 10.12.1945,MAB 103CII, 1945;Wenzel,Wirtschaftund Finanzen, S. 166; Rundschreiben der DUD, 27.5. 1946, S. 6, UA DEBU 49.

26 Schmidt, B!rgerliches Eigentum, S. 135.27 Steiner, Von Plan zu Plan, S. 51–57.28 Protokoll Besprechung in Sachen Br!der-Unit"t im Ministerium der Finanzen, 7. 3. 1951, BStU

MfS HA XX/4–778, S. 54; Unterlagen in UA DEBU 1470; Landesbehçrde der VP Sachsen vom6.2.1951, HStA Drd. 11378, Nr. 294; VP-Kreisamt Lçbau an HDVP Dresden, 30.10.1954 u.weitere Unterlagen in BA DO 4 / 342; D!rninger-Stiftung an H. Uellner, 11.2. 1955, UA DEBU

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Betrieben (VEB) zugeordnet.29 1951 meldeten die Behçrden unerwartet dievçllige Enteignung der „Sternelei“ und ihre Eingliederung in einen „VEBLampenschirm- und Sternfabrik“. Dabei beriefen sie sich auf die EnteignungHarry Verbeeks von 1946. Tats"chlich hatte der NS-belastete Verbeek damalsseinen „Sternelei“-Anteil von einem Drittel abgeben m!ssen, doch D!rningerund die Unit"t hatten auch nach neuem Recht nach wie vor je ein weiteresDrittel besessen.30 Eine Rechtsgrundlage gab es f!r die Enteignung damitnicht.

Bezeichnend f!r die Rechtsunsicherheit war auch die kurze Geschichte der„Erwerbshilfe“, die das landeskirchliche Hilfswerk 1950 unter dem Dach vonD!rninger erçffnete: Rund 120 Arbeiterinnen sortierten und wuschen diemeist aus Amerika stammenden Textilspenden.31 Die Volkspolizei vermerktein einem Bericht: Diese Einrichtung sei „eine sehr gute Schule in Bezug aufAntisowjethetze“.32 Jeden Tag versammelte sich die Belegschaft zu einerMorgenandacht.33 Nach massiven Attacken musste die Erwerbshilfe 1955 ihreTore schließen.34 Anfang der f!nfziger Jahre forderte zudem – zus"tzlich zuden bereits bestehenden Kreditforderungen – die Notenbank von der Unit"teine neue R!ckzahlung von rund 200 000 Mark. Es handelte sich um einenKredit, den die Gemeine nach der W"hrungsreform 1948 aufgenommen hatteund den sie nun zur!ckzahlen musste. Solange ein unzensierter Postweg !berWestberlin mçglich war, teilten die Herrnhuter in Ostdeutschland solcheSorgen mit den US-Moraven und baten um Hilfe. Vogts Erkl"rungen gegen-!ber Bethlehem sind aufschlussreich f!r die wirtschaftliche Situation derGemeine: „Der Kredit wurde aufgenommen in der Meinung, dass wir durchfleißige Arbeit in unserer Landwirtschaft und den noch bestehenden Ge-

580; „Es rosten die starken Maschinen…“, 3. 2. 1949, o.A., wohl in: Lausitzer Rundschau, UADEBU579; Unterlagen f!nfziger Jahre, BStUMfSHAXX/4, z.B. S. 148 u. 165; BriefHerta S. anR.Wunder, 31. 5.1956, UA EFUD 689; J. Hemmpel an Vereinigung Volkseigener Betriebe inSachsen, 22.1. 1949, HStADrd. 11420, Nr. 439;W.Merian, Landwirtschaft, Forst undGartenbauder EBU, an Landwirtschaftlichen Sachverst"ndigen, EKD, 12.1. 1956 u. andere Unterlagen inBA DO 4 / 2289.

29 Hauptverwaltungsleiter Kaisler, Ministerium f!r Lebensmittelindustrie an Stellv. Ministerpr"-sidenten O. Nuschke, 17.2. 1955, BA DO 4 / 2289; Aktenvermerk von Abteilung Kirchenfragen,Dresden, 5. 2.1973, SAPMO-BA DY 30/IVB 2/14/168.

30 Unterlagen 1951, Staatsfilialarchiv Bautzen, Amtsgericht Herrnhut 2388; vgl. Abraham-D!r-ninger-Stiftung an Regierung der DDR, 22.1. 1990, UA DEBU 583; Abschrift Direktion Br!der-Unit"t an Ministerium der Finanzen, 15.5. 1956, MfS HA XX/4–778, S. 236 f. ; Schriftei an Chr.Voss, 1.12.1972, UA DEBU 614; vgl. auch den Briefwechsel in UA DEBU 570.

31 Festschrift Abraham D!rninger Stiftung, 1953, BA DO 4 / 83810 (1070); Aktenvermerk von J.Vogt, 11.5. 1955, BA DO 4 / 342; vgl. auch Unterlagen in UA DEBU 580; Hickel, Lebenserinne-rungen, S. 87; Finanzdirektion an Direktion der EBU, 13.12.1951, UA DEBU 570.

32 Bericht Volkspolizeikreisamt Lçbau, Abt. K, 2. 2. 1951, HStA Drd. 11378, Nr. 294.33 Festschrift Abraham D!rninger Stiftung, 1953, BA DO 4 / 83810 (1070); Aktenvermerk von J.

Vogt, 11.5. 1955, BA DO 4 / 342; vgl. auch Unterlagen in UA DEBU 580; Hickel, Lebenserinne-rungen, S. 87; Finanzdirektion an Direktion der EBU, 13.12.1951, UA DEBU 570.

34 Unterlagen 1955, RdB Dresden u. Innenministerium, BA DO 4/432.

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sch"ften etwas er!brigen kçnnten f!r den Haushalt der Kirche. Durch diewirtschaftlichen Verh"ltnisse ist dies aber unmçglich geworden“.35 Herrn-hutischer Fleiß, Kaufmannsgeist und Qualit"tsbewusstsein zahlten sich nichtmehr aus. Die Moraven schickten 10 000 Dollar in Raten zur Tilgung desKredites.36 Dennoch kam die Entspannung zwischen Gemeine und Staat um1957 gerade rechtzeitig: Dieser milderen Politik gegen!ber loyalen Kirchenwar es zu verdanken, dass nicht weitere Betriebe enteignet wurden. OttoNuschkes zahlreiche Interventionen zugunsten der Unit"t spielten demge-gen!ber eine kleine Rolle; auch die Reforumlierung der br!derischen Kauf-mannstradition hatte f!r das SED-Regime in den f!nfziger Jahren kaum eineBedeutung.37

Von nun an wehte auch in der br!derischen Wirtschaft ein anderer Wind.Hielten die Funktion"re bis 1957 eine Liquidierung br!derischen Eigentumsf!r die beste Lçsung aus staatlicher Sicht, ging es nun darum, die Unit"tsdi-rektion freundlich zu stimmen und vor den Karren der Differenzierungspo-litik zu spannen. Als das Jubil"um von 1972 n"her r!ckte, kam es 1968 zueinem f!r DDR-Verh"ltnisse einmaligen Vorgang: Volkseigentum wurde inkirchlichen Besitz umgewandelt, die „Sternelei“ wieder aus dem VEB ausge-gliedert und zum „Installationsgesch"ft der Br!der-Unit"t Herrnhut“ trans-formiert.38 Es war kein Zufall, dass dieser Gesch"ftszweig, der weltweit be-kannt war, vor dem internationalen Rummel des Jubil"umsjahres wieder derUnit"t zur!ckgegeben wurde. In den folgenden Jahren entwickelte sich derStern, von rund 25 Mitarbeitern gefertigt und vertrieben, zu einem Export-schlager, und es wurde immer schwieriger, ihn in der DDR zu erwerben.39

Trotzdem konnten herrnhutische Betriebe keineswegs ungestçrt wirt-schaften. Die Unternehmungen wurden bewusst in Abh"ngigkeit von denBehçrden und in Rechtsunsicherheit gehalten. Gegen D!rninger hatten die

35 J. Vogt an K. G. Hamilton, 16.11.1953, vgl. 9. 1.1953, MAB 113FI, Germany East Zone 45–59; J.Vogt an F. P. Stocker, 16.11.1950, MAB 104GI, Vogt, Johannes.

36 #bersetzung von J. Vogt an K. G. Hamilton, 6. 2.1954, MAB 113FI, Germany East Zone 45–59;vgl. auch J. Vogt an Finanzministerium der DDR, 1. 12.1958, BA DO 4 / 740; O. Nuschke, Stellv.des Ministerpr"sidenten, an K. Steinhoff, Minister des Innern, 10. 4.1952 u. weitere SchreibenNuschkes in BA DO 4 / 342; Vereinbarung zwi. Finanzdirektion der Br!der-Unit"t und staat-lichen Vertretern (Notenbank, Staatssekretariat u. a.), 25.11. 1958, BA DO 4 / 342; vgl. zu denbr!derischen Forderungen DEBU an Ministerium des Innern der DDR, 12.7. 1950, BA DO 4 /342.

37 H. Uellner, D!rninger-Stiftung, an Stellv.Ministerpr"sidentenO.Nuschke, 24.11.1953 u. andereAkten in BA DO 4 /2289.

38 Aktennotiz !ber Besprechung der Direktion Herrnhut und Bad Boll, 7. u. 8. 11.1967, UA DEBU34.

39 Abraham D!rninger & Co. an DEBU, 18.12.1979, UA DEBU 581; Aktenvermerk D!rninger-Stiftung Herrnhut von Abt. Kirchenfragen, 5.2. 1973, S. 2, SAPMO-BA DY 30 / IV B 2/14/168; H.Hickel an M. Stolpe, 11.1. 1980, EZA 101/5593; vgl. zur Sternelei auch Abraham-D!rninger-Stiftung an Direktion Herrnhut, 28.1.59, UA DEBU 579, 581; Abraham-D!rninger-Stiftung anRegierung der DDR, 22. 1.1990, UA DEBU 583; Unterlagen in DO 4 / 2289; H. Hickel an H.Rapparli$, 16.10.1973, UA DEBU 1022.

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Funktion"re einen besonders effektivenHebel:Weil das Unternehmen 1925 ineine Stiftung !berf!hrt worden war, erkannten die Behçrden es nicht alskirchliches Eigentum an, sondern deklarierten die Firma als Privatbetrieb.40

W"hrend kirchliche Betriebe 35 Prozent des Nettogewinns einbehaltendurften, blieben D!rninger als „privatkapitalistischem“ Unternehmen nurf!nf Prozent; die restlichen 95 Prozent mussten als Steuern abgef!hrt wer-den.41 1972 beispielsweise bedeutete das bei einem Gesamtumsatz von dreiMillionenMark und einem erwirtschafteten Gewinn von knapp 160 000Mark,dass dem Unternehmen nicht einmal 8000 Nettogewinn verblieben.42 Aufdieser Basis waren Investitionen in neue Betriebsanlagen nicht mçglich. DerCDU-Vorsitzende Gerald Gçtting bezeichnete deswegen in den siebzigerJahren D!rninger spçttisch als ein „polytechnisches Museum mit primitiverTechnologie“.43

Als der SED-Staat 1972 unter Honecker in der letzten großen Kollektivie-rungswelle rund 11 000 und damit die meisten der noch erhaltenen Privat-betriebe in der DDR in Staatseigentum umwandelte, schienen auch dieStunden von D!rninger & Co. gez"hlt. Den „Knockout f!r den Mittelstand“(Monika Kaiser) !berlebten in der Regel nur Kleinstbetriebe, wie etwa dieDruckerei Winter in Herrnhut. Mit weit !ber hundert Mitarbeitern hatteD!rninger eigentlich keine Chance.44 Dass D!rninger dennoch !berlebte, lagan der Rolle, die der Staat der Br!dergemeine seit Ende der f!nfziger Jahrezugedacht hatte und f!r die das Jubil"um von 1972 entscheidend war :Herrnhut als Vorzeigekirche, die das gute Verh"ltnis des Staates zur Kirche imAusland demonstrierte. Im Rat des Bezirkes Dresden hieß es 1971, „vomGrundsatz her [w"re] es die politisch beste Lçsung, die Stiftung zu liquidie-ren“, aber „die Folgen eines solchen Schrittes kçnnten sich negativ auf dieinnen- und außenpolitische Wirkungen der 250-Jahrfeier 1972 niederschla-gen.“45 Das Staatssekretariat f!r Kirchenfragen in Berlin mahnte, falls der Ratdes Bezirkes Dresden eineWeiterf!hrung D!rningers nicht f!r sinnvoll hielte,„m!sste die Initiative zur Ver"nderung der Eigentumsverh"ltnisse von der

40 Aktennotiz D!rninger-Stiftung, o.A., 4.3. 1975, EZA 101/285.41 Bezirksverwaltung f!r Stasi Dresden, Abtlg. XX, an Stellv. Operativ Oberst Bormann, 21.1. 1977,

BStU MfS HA XX/4–788, S. 442; Aktennotiz RdB Drd., Ref. Kirchenfragen, 2.4. 1971, HStADrd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633.

42 Aktenvermerk D!rninger-Stiftung, Abt. Kirchenfragen, 5. 2. 1973, SAPMO-BADY 30/IV B 2/14/168.

43 Aktennotiz RdB Drd., Ref. Kirchenfragen vom 2.4. 1971, HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633.44 Vgl. Kaiser, Knockout f!r den Mittelstand; Kopstein, S. 77–70; Ebbinghaus, S. 208–296;

Schwarzer, Sozialistische Zentralplanwirtschaft, S. 191 f.45 Aktennotiz RdB Drd., Ref. Kirchenfragen vom 2.4. 1971, HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633;

vgl. auch Aktenvermerk !ber Beratung des Vorgangs „Abraham-D!rninger-Stiftung“ mit Fi-nanzministerium, Staatssekretariat Kirchenfragen, Berlin, 15.12.1971, HStA Drd. 11430,Nr. 11100.

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D!rninger-Stiftung ausgehen!“46 Und im April 1972, als die Verstaatli-chungswelle anlief, erkl"rte der Erste Stellvertretende Vorsitzende des Bezir-kes Dresden: Zum Herrnhuter Jubil"um w!rden „in Wahrnehmung außen-und kirchenpolitischer Interessen der DDR zahlreiche offizielle G"ste aus derganzen Welt anreisen. […] Die Umstrukturierung [der Betriebe] zum ge-genw"rtigen Zeitpunkt w!rde eine gegnerische Propaganda fçrdern, wonachkurz vor dem Jubil"um die ,Sozialisierung’ kirchlichen Eigentums erfolgt.Dieser Effekt st!nde im Gegensatz zu unseren außenpolitischen W!nschenund Mçglichkeiten.“47 So blieb D!rninger erhalten. Es verdankte sein #ber-leben der staatssozialistischen Symbolpolitik, die 1972 Bestandteil desKampfes um außenpolitische Anerkennung war.

Dieses außerordentliche Privileg musste ideologisch mit einer opportunenTraditionskonstruktion abgesichert werden. Carl Ordnung vermerkte in sei-nem Buch zum Jubil"um 1972: „Mit dem, was es in Herrnhut an çkonomi-schen Kapazit"ten gibt, weiß sich dieser Ort voll integriert in die sozialistischeWirtschaft unseres Staates, die auch ihm eine sichere Perspektive erçffnet.“48

Als Erweis der sozialistischen Treue erw"hnte Ordnung, dass es die FirmaD!rninger gewesen sei, die erstmals Havanna-Zigarren nach Deutschlandimportiert habe. Der Kirchenreferent Horst Dohle kam 1972 zu der #ber-zeugung, es habe nur zwei Hindernisse f!r eine herrnhutische G!terge-meinschaft gegeben: der Kaufmann D!rninger – „Prototyp des Handelska-pitalismus in der Oberlausitz“ – und Zinzendorf, der „viel zu sehr selbstBesitzer von Produktionsmitteln war“; ohne die beiden h"tte sich ein br!-derischer Kommunismus entwickelt.49 Die Unit"t, die sich selbst schon eineg!tergemeinschaftliche Tradition gesponnen hatte, ließ sich darauf ein. Zuihrem neuen Wirtschaftsverst"ndnis gehçrte es, in ihren Betrieben Therapie-undArbeitspl"tze f!r die behinderten Jugendlichen einzurichten, die seit 1976im br!derischen „Fçrderungszentrum“ in Herrnhut lebten.50 Diese Thera-piepl"tze erleichterten es den Funktion"ren, den privaten Charakter desherrnhutischen Wirtschaftslebens zu akzeptieren.

Bemerkenswerterweise hatte der Staat dennochweiterhin kein Interesse aneiner geordneten Regelung f!r die br!derischen Betriebe, da er mit allenrechtlichen Unklarheiten Jahr um Jahr die immer um ihre Existenz bangendenUnternehmungen an der Kandare f!hren konnte. So blieben die finanziellenProbleme bestehen. Ende der siebziger Jahre hieß es in einemBericht der SED-

46 Abteilungsleiterin Fitzner, Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, an Riedel, Stellv. des Vorsit-zenden RdB Drd., 1.6. 1971, HStA Drd. 11430, Nr. 10871.

47 Aktennotiz „Umstrukturierung von BSB und Privatbetrieben“ von Stellv. Vorsitzender des RdBDrd., 7. 4. 1972, HStA Drd. 11430, Nr. 10871, "hnlich weitere Bezirksunterlagen in der Akte.

48 Ordnung, 250 Jahre Herrnhut, S. 49.49 Angesichts von Zinzendorfs Inkompetenz in Finanzdingen eine bemerkenswerte Aussage,

Gutachten von H. Dohle !ber C. Ordnung „250 Jahre Herrnhut“, 10.1. 1972, BA DR 1 / 2432.50 Auskunft IM „Walter“, 12.10.1976, BStU BV Drd. AIM 1100/85, S. 42; D!rninger, The Main

Important Events in the Firmhistory, MAB Unterlagen Schwarz.

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Bezirksleitung Dresden, D!rninger werde das Jahr 1979 mit einemMinus vonknapp 3000 Mark beenden; wegen der Arbeitspl"tze f!r geistig Behindertekçnne der Staat an diesem Minus jedoch kein Interesse haben.51 Statt mitRecht argumentieren die Funktion"re in internen Papieren nach wie vor nurmit dem Argument der N!tzlichkeit f!r den Staat.52 Um sich zu sch!tzen,f!llten die Herrnhuter Seite um Seite mit devoten Eingaben, leisen Drohungenund Bitten an die staatlichen Stellen; ihre Mitarbeit „am Aufbau unserer so-zialistischen Gesellschaftsordnung“ habe eine Anerkennung verdient.53 Dochdie Br!dergemeine musste die D!rninger-Stiftung weiter bezuschussen. Soschuldete D!rninger 1977 der Unit"t !ber 320 000Mark, ein großer Betrag f!rdie kleine Freikirche.54 Die Zahl der Angestellten sank bis zurWendezeit auf 75Mitarbeiter.55 Die Unit"t hatte mit ihren vielf"ltigen Aufgaben weiterhin eineangespannte Finanzlage und war auf Gelder der Landeskirchen bzw. aus derBundesrepublik angewiesen: Von den j"hrlich 369 000Mark laufender Kostenin den siebziger Jahren kamen nur 75 000 !ber die Mitgliedsbeitr"ge herein.Einen bedeutenden Anteil der Gelder brachte die Gemeine !ber ihrenFreundeskreis auf, der pro Jahr bis zu 30 000 Ost-Mark spendete.56

Erst Ende der achtziger Jahre kam Bewegung in die Angelegenheit D!r-ninger. Nach einer Eingabe der Unit"t an den Vorsitzenden des Ministerratesder DDR, Willi Stoph, beriet sich dieser in den achtziger Jahren mit demStaatssekret"r f!r Kirchenfragen und beauftragte seine Rechtsabteilung undden Finanzminister Ernst Hçfner mit der Lçsung des Problems. Hçfnerkonnte dergleichen nicht ohne die eigentliche Machtinstanz, die SED, ent-scheiden, und wandte sich an den Leiter der Wirtschaftskommission beimSED-Politb!ro, G!nter Mittag. Hçfner bat Mittag um Zustimmung, dieSteuerlast von D!rninger von 95 auf 65 Prozent zu senken, womit von rundeiner Million Gewinn 350 000 Mark bei der Unit"t verbleiben kçnnten. Hçf-

51 BL Dresden, Abteilung Recht und Staat, 25.5.1977, HStA Drd. 11864, Nr. IV/D.4.09.144; vgl.Abraham D!rninger-Stiftung, #bersicht !ber Nettogewinn 1976–1979, o.D., wohl 1977, HStADrd. 11430, Nr. 10941.

52 Vermerk f!r Staatssekret"r von H. Dohle, 4.7. 1986, BA DO 4 / 4814; KirchenpolitischerStandpunkt zur Steuerproblematik der Abraham D!rninger-Stiftung Herrnhut von Staatsse-kret"r f!r Kirchenfragen, 24.10.1988 u. weitere Unterlagen in BA DO 4 / 1712; Unterlagen zuEingaben siebziger Jahre, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/169; Aktenvermerk !ber Beratung desVorgangs „Abraham-D!rninger-Stiftung“ mit Finanzministerium, Staatssekretariat Kirchen-fragen, 15.12.1971, HStA Drd. 11430, Nr. 11100; Unterlagen in HStA Drd. 11430, Nr. 10871 u.10941; vgl. auch die anderen in diesem Kapitel genannten staatlichen Unterlagen zum Thema.

53 H. Hickel an W. Barth, Arbeitsgruppe f!r Kirchenfragen, ZK der SED, 22. 5.1973 u. weitereUnterlagen zu Eingaben, siebziger Jahre, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/169.

54 Aktennotiz D!rninger-Stiftung, o.A., 4. 3.1975, EZA 101/285; Aktennotiz „Lçsung von Fragenbez!glich der Abraham D!rninger“ von RdB Drd., Ullmann, Stellv. des Vorsitzenden f!r In-neres, 12.7.1977, BA DO 4 / 1713.

55 Pr!fungsbericht Abraham D!rninger & Co. GmbH, 31.12.1990, UA DEBU 586.56 Gruß an den Freundeskreis der Herrnhuter Br!dergemeine, 7/1965; Bericht der Direktion der

EBU an Distriktssynode Herrnhut, 5.2. 1973, S. 26 f. , UA SynHt 61; Vertrauliche Aktennotiz f!rDEBU und Br. Kittler, H. Hickel, 22.1. 1973, UA DEBU 200.

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ners Begr!ndung: Die Gewinne dienten allein karitativen Einrichtungen derBr!dergemeine. Auch sei das „loyale Verhalten dieser Kirche zum sozialisti-schen Staat“ positiv einzusch"tzen. Außerdem verwies er auf die Exporte undden damit verbundenen Devisenfluss. Rechtsfragen spielten wieder keineRolle.57 Das ZK stimmte mit Hinweis auf die Loyalit"t der Unit"t zu; dieBeg!nstigung diene zudem der „Festigung des Vertrauens der Kirche zumsozialistischen Staat“.58 Anfang 1989 senkte sich die Steuerlast von 95 Prozentauf 65 Prozent.59 Nach derWiedervereinigungwurdeD!rninger in eine GmbHtransformiert. Heute besitzt die Firma eine Webfabrik, eine Textildruck-werkstatt, zwei Einzelhandelsgesch"fte und einen Vertrieb f!r Kirchenbedarf,zu denen die Adventssterne oder Sakralmçbel gehçren.60

Interessant an der br!derischen %konomie ist nicht nur die Frage, warumder Staat sie erlaubte. Bemerkenswert ist auch, warum die Unit"t sie auf-rechterhielt. Denn die Betriebe brachten viele Scherereien und keinen Gewinn.Wenn man die Gelder bedenkt, die bis in die f!nfziger Jahre von der nord-amerikanischen und sp"ter von der westdeutschen Unit"t und den Landes-kirchen als Spenden in die Betriebe einflossen, wird der çkonomische Aspektnoch fraglicher. Bereits Ende der f!nfziger Jahre diskutierten die verant-wortlichen Br!der, welchen Sinn eigentlich die aufreibende Arbeit habe.61 Alsgewichtiges Argument f!r die Unit"tsbetriebe blieb auch die Mission, da dieBetriebe eine der wenigen Schnittfl"chen mit der „Welt“ und damit eine derwenigen Chancen zur Mission boten.62 Zudem spielten die Betriebe einewichtige Rolle f!r die Selbst"ndigkeit der Ortsgemeine: Die Arbeits- undAusbildungspl"tze in einer christlichen Umgebung sch!tzten den Einzelnenvor dem Zugriff des Staates und den Werbungen der Massenorganisationenund Parteien.63 Auch waren eine Tischlerei oder ein Installationsgesch"ft inder Mangelwirtschaft, in der man zum Teil Monate auf einen Handwerkerwarten musste, unsch"tzbar. Von Bedeutung war schließlich die Liebe zurTradition. Die Gemeine wollte die Tradition der br!derischen Betriebsamkeitund Handwerksehre nicht wegen irgendeines politischen Systems aufgeben.Ein Herrnhuter erinnerte in den f!nfziger Jahren in einem Pl"doyer f!r dieBetriebe an das „Gesamtkunstwerk“ Ortsgemeine, in dem die Gl"ubigen wie

57 E. Hçfner an G. Mittag, ZK der SED, 12. 12.1988, SAPMO-BA DY 30 / 6554.58 Ehrensperger an G.Mittag, Planung und Finanzen, ZK der SED, 19.12.1988, SAPMO-BADY 30 /

6554.59 Information von Staatssekret"r f!r Kirchenfragen, 10. 4.1989, SAPMO-BA DY 30 IV B 2/14/44;60 D!rninger, The Main Important Events in the Firmhistory, MAB Unterlagen Schwarz.61 K. Schmidt, Zur Frage der Gesch"ftsbetriebe, 22.11.1957 u. Stellungnahmen von Verbeek,

Menzel u. Uellner, UA EFUD 689; vgl. auch Zusammenstellung des Geldbedarfs der EBU,Herrnhut, 1957, UA EFUD 688.

62 Informationsheft „Evangelische Br!der-Unit"t Distrikt Herrnhut“, 1981, UA EFUD 746.63 Vgl. etwa Unterlagen 1987/88, Finanzdirektion Br!der-Unit"t u. RdB Drd., HStA Drd. 11430,

Nr. 11100; vgl. auch Finanzdirektion an Direktion der EBU, 13.12. 1951, UA DEBU 570.

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seit dem 18. Jahrhundert Arbeit und Feier gemeinsam vor Gott gestalteten.64

Dabei verwies er auf das Erscheinungsbild und das Ansehen, das die Br!-dergemeine in der christlichen Welt genoss. F!r die Unit"t blieb diese Au-ßenperspektive stets ein Anliegen. Alles in allem war wohl der demonstrativeDienst an der Gesellschaft, den die Betriebe manifestierten, der Hauptgrund,warum die Unit"t so sehr f!r sie k"mpfte. Hier zeigte sich der zivilgesell-schaftliche Anspruch, den die Br!dergemeine niemals aufgab. Die Betriebe,zusammen mit dem b!rgerschaftlichen Postulat, bildeten ein wesentlichesElement des distinkten Selbstverst"ndnisses, das der Gemeine half, ihr Milieuzu erhalten.

Als beachtlich erwies sich der Sachverstand, den die Betriebe hervor-brachten. Nach der Wende von 1989/1990 zeigte dieser in vielerlei HinsichtFr!chte. So konnten Betriebsleiter die wirtschaftliche Lage in Ostdeutschlandrelativ gut einsch"tzen und f!hrten 1989 aus, dass bei allen Reformdebattendie Wirtschaftsfragen der große Schwachpunkt seien. „Die DDR ist materiellviel "rmer, als dies nach außen hin aussieht. Sie hat ein Scheinniveau durchstaatliche St!tzung […] Aus eigenen Kr"ften ist diese Wirtschaft nicht mehrzu retten“, hieß es im Protokoll einer Gemeindiener-Tagung.Wie schon in derUmbruchzeit um 1945 legte die Br!dergemeine auch jetzt nicht die H"nde inden Schoß, sondern fragte: „In SED-Kreisen gibt es bereits ein Wirtschafts-reformkonzept. Welches […] hat die Br!dergemeine?“ Auch dabei zeigten dieVerantwortlichen einen Realit"tssinn, der damals außergewçhnlich war: Diebr!derischen Betriebe seien nur deshalb „’gesund’ […], weil Millionen Va-lutamittel eingeflossen sind. Wie s"he es aber ohne diese Mittel in unserenBetrieben und diakonischen Einrichtungen aus? Damit haben wir uns amWohlstand gelabt, den andere erarbeitet haben.“ Zwar gab es auch Gegen-stimmen, doch erkl"rte der Direktionsvorsitzende Christian M!ller mit sei-nem n!chternen Pragmatismus, alle Kirchen h"tten „mit der DDR weit !berihre Verh"ltnisse gelebt“.65

Der Freistaat Sachsen, die Stadt Herrnhut und die Br!der-Unit"t profi-tierten nach der friedlichen Revolution von den br!derischen Wirtschafts-leuten. Martin Clemens, ein Sohn des einstigen Kreisrates und B!rgermeistersGottfried Clemens, wurde Vorsitzender im Finanzausschuss des S"chsischenLandesparlaments und Bruder Rainer Fischer B!rgermeister von Herrnhut.Beide hatten in der br!derischen Wirtschaft gearbeitet. Dank des wirt-schaftlichen Einsatzes von D!rninger und anderer Unit"ts-Betriebe, dieschnell !ber die neuen Fçrderungsmçglichkeiten und Fçrdertçpfe informiertwaren, dank des Sachverstandes des neuen B!rgermeisters und schließlich

64 Vgl. die Argumentation von H. Uellner, Unabdingbarer Bestandteil der Gemeine?, UA EFUD689.

65 Protokoll !ber Sondertagung der Gemeindiener, 15. 11.1989, UADEBU 74; vgl. zu D!rninger inder Wendezeit: „Noch l"uft die Produktion ohne Einschr"nkungen“, in: Der Br!derbote, 5/1990.

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dank des Rates, den sich die Herrnhuter Kommune bei ihrer neuen Partner-gemeinde Bad Boll einholten, ist die Arbeitslosigkeit in Herrnhut heuteweitaus niedriger als in der Oberlausitzer Umgebung.66 Die Betriebe wareneiner der deutlichsten Traditionsstr"nge, in denen das zivilgesellschaftlicheErbe des Pietismus fortlebte.

Damit scheint sich die These zu best"tigen, dass die „Sowjetisierung“ nichttief gegriffen hatte und in Ostdeutschland durchaus ein „Quasi-Mittelstand“!berleben konnte.67 Doch das Bild ist komplexer. Denn die Traditionskon-struktionen des Staates f!r die Unit"t hatten keineswegs nur dazu gef!hrt, dieGenossen zu beruhigen und die Privilegien f!r die Freikirche nach außen zurechtfertigen. Auch bei den Herrnhutern, die ja selbst seit 1945 an einer so-zialistischen Tradition ihrer Wirtschaft gearbeitet hatten, zeigten die Kon-struktionen eine bemerkenswerte Tiefenwirkung. Unter vielen Gemeinmit-gliedern setzte sich die #berzeugung durch, dass die Betriebe irgendwie eineArt sozialistische Wirtschaftsform seien, und antiliberale Absagen an jeden„kapitalistischen Geist“ gehçrten sp"testens seit den siebziger Jahren zumbr!derischen Konsens.68 Wieder hatten Traditionsangebote des Staates mitden (zun"chst taktisch gemeinten) Lippenbekenntnissen der Gemeine eineSynthese gebildet, an die letztlich beide glaubten. So scheint zumindest an derBasis wie in der ganzenDDR-Bevçlkerung „symbolischesKapital des liberalenSelbst"ndigkeitsideals“ (Thomas Großbçlting) verloren gegangen zu sein,w"hrend sich „kollektive Pr"gungen“ (Frank Ebbinghaus) festschrieben.69 Eswar auf dem Feld der Wirtschaft ganz "hnlich wie im Bereich des bildungs-b!rgerlichen Anspruches: Im Vergleich zur sozialistischen Gesellschaft ins-gesamt war in der Unit"t davon bis zur Wende noch relativ viel erhaltengeblieben, im Vergleich zu der Zeit vor 1945 hatte die Br!dergemeine jedocherheblich an kulturellem Kapital eingeb!ßt.

7.2 Mission im Sozialismus

Missionsgeschichte diente nicht nur dann der Best"tigung des eigenen Welt-bildes, wenn sie von kirchennahen Autoren unkritisch positiv geschriebenwurde, sondern sie war es auch in den negativ-kritischen Analysen, die der

66 Vgl. etwa Abraham D!rninger & Co. an Ministerpr"sident J. Rau, 1. 12.1989, UA DEBU 583;Pr!fungsbericht Abraham D!rninger & Co. GmbH, 31.12.1990, UA DEBU 586.

67 Berghoff, S. 278.68 An die Geschwister in den Gemeinbereichen, Herbst 1971, UA EFUD 658; Gruß aus der welt-

weiten Br!der-Unit"t, Fr!hjahr 1974, UA EFUD 659; Protokoll !ber Sondertagung der Ge-meindiener, 15. 11.1989, UA DEBU 74; vgl. auch Interview mit Ehepaar E., ostdt. Gemeinmit-glieder, 5.12.2005, S. 36 et passim, Unterlagen H. Richter.

69 Großbçlting, S. 167; Ebbinghaus, S. 345.

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Delegitimierung von Kirche und Religion dienten.70 Neuere Forschungen vorallem im angels"chsischen Raum haben gezeigt, dass die eindimensionalenZuschreibungen falsch sind.71 Doch aufgrund des bis unl"ngst vorherr-schenden negativen Bildes ist Missionsgeschichte als Teil zivilgesellschaftli-cher Strçmungen kaum auf dem Radar von S"kularhistorikern aufgetaucht.Dabei hatte Mission durch den universalen Verk!ndigungsanspruch inklu-sorischen und zivilgesellschaftlichen Charakter, wie gerade j!ngere Studiengezeigt haben.72

Missionsarbeit hatte einst die Sonderexistenz der Br!dergemeine begr!n-det, sie konstituierte ihre weltweite Verbundenheit und best"tigte ihr Auser-w"hltheitsgef!hl. St"rker als andere Kirchen in Ostdeutschland hatte dieUnit"t daher damit zu k"mpfen, denMissionsauftrag in der Isolation der DDRangemessen zu interpretieren. &hnlich wie bei der Erziehungsarbeit war esnach 1945 peinvoll f!r die deutschen Herrnhuter, ihre Macht- und Bedeu-tungslosigkeit in der Mission einzusehen. Kein einziges Missionsfeld unterlagmehr ihrer Kontrolle. Die Vermçgensverwaltung f!r die Mission der Br!der-Unit"t, die Missionsanstalt, wurde durch die in Holland ans"ssige „Zen-dingsstichting“ ersetzt.73 Wie schon nach dem Ersten Weltkrieg war das Ver-bot f!r deutsche Missionare, im Ausland wieder t"tig zu werden, auch einepolitische Machtfrage.74 Bischof Samuel Baudert versuchte vergebens, von deramerikanischen Besatzungszone aus mit Grundsatzpapieren und Gedanken!ber die Missionsarbeit verlorenes Terrain zur!ck zu gewinnen und Kom-petenz zu demonstrieren.75 Im Osten Deutschlands resignierten die Verant-wortlichen schneller. 1947 hieß es im Bericht der Distriktssynode: „Wir be-finden uns […] in dem Zustand, dass von Herrnhut aus kein Missionsfeldmehr betreut und kein Missionar mehr ausgesandt werden kann.“ Auf-schlussreich f"hrt der Bericht fort: „Es muss sich nun zeigen, ob unser Mis-sionssinn sich bew"hrt oder nicht, obwirMission umunserer Berufung willenund imGehorsam getrieben haben, oder weil wir als Deutsche ,auchmit dabei

70 Rzepkowski, S. 267 f. ; Ustorf, S. 17.71 Porter ; Etherington.72 Vgl. dazu etwa Hiepel u. Ruff ; Hitzer.

Wenn Kirchen Mission abgelehnt haben, geschah dies in deutlicher Ausgrenzung, indem etwa„Juden, Moslems und Heiden“ als per se missionsunf"hig und -unw!rdig angesehen wurden,Ustorf, S. 12–15.

73 Resolutions of theUnity Conference, Nyasa, 3.–12.7. 1946,MAB110FI, Unity General Directory ;vgl. auchK. G. Hamilton an J. Vogt, 31.7. 1950,MAB 113FI, Germany East Zone 45–59; H.Meyeran M. E. Grosh, 17.1. 1956, MAB 113FI, Germany : Heinrich Meyer; Unterlagen in MAB 113FI,Germany, mission board; Ch. M!ller an Franke, BEK, 20.1. 1982, UA DEBU 494c; Unterlagen inMAB 100GII, Missionsanstalt.

74 Denkschrift vom zweiten Vorsitzenden des Dt. Evang. Missionsrates e.V. T!bingen, 15.8. 1945,%RK-Archiv 425.3.047; C. H. Shawe an C. Clements, Edinburgh House, 19.7. 1945, %RK-Archiv26.11.20.

75 Unterlagen in MAB 100GII, Missionsanstalt; Chaplain E. S. Bullins, 17.12.1945, MAB 103CII,1945.

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seinwolltenundwollen.’“76 1965 zog die Gemeine in derDDRorganisatorischeKonsequenzen aus ihrer Isolation und aus der wachsenden Bedeutung der„Inneren Mission“ und gliederte die bis dahin getrennte Missionsdirektion indie Direktion ein.77

F!r die Machthaber in der DDR gehçrte Mission zu den Urs!nden derKirche und galt grunds"tzlich als Handlangerin des Kolonialismus.78 Bis Endeder f!nfziger Jahre machte das SED-Regime der Br!dergemeine ihre Missi-onsarbeit zumVorwurf. 1956 etwameinte die Staatssicherheit : „DiewichtigsteFunktion von allen, welche die Br!dergemeinen seit ihrem Bestehen bis heutehatten, war das Erziehen der sogenannten Heiden und Negersklaven vonMittelamerika und aus #bersee zu gehorsamen und untert"nigsten Chris-ten.“79 Doch noch st"rker als die Sorge um die unterjochten Vçlker war dieFurcht vor unabh"ngigen, staatsb!rgerlichen Elementen und grenz!ber-schreitenden Aktivit"ten, die sich der Kontrolle der SED entzogen. So erkl"rte1972 Horst Dohle: Jede Missionst"tigkeit von DDR-B!rgern in anderen L"n-dern stelle „einen Eingriff in die staatliche Außenpolitik dar“.80 Allein dieMissions-Berichterstattung, so Dohle bei anderer Gelegenheit, ermçgliche derBr!dergemeine „in die politischen Verbindungen zwischen der DDR undanderen Staaten ein[zu]greifen“.81 Informationen !ber die Missionsarbeiterregten w"hrend der ganzen DDR-Zeit das besondere Misstrauen der Ob-rigkeit und gelangten h"ufig in die Akten der Staatssicherheit.82

Die Herrnhuter mussten also bei den Machthabern das Misstrauen gegendie Mission zerstreuen. Als sich Ende der f!nfziger Jahre das Verh"ltnis zumStaat besserte, zeigte sich in der Unit"t die Bereitschaft, die Missionstraditionentsprechend neu zu definieren. Daf!r griff sie auf Missionserz"hlungen zu-r!ck, die den humanit"ren Aspekt der #berseearbeit bezeugten. Dank derHerrnhuter Mission unter den Sklaven im 18. Jahrhundert bot sich „Kampfgegen Rassismus“ als ideale Kategorie der Neuinterpretation an. Tats"chlich

76 Distriktssynode Ost, Bericht der HerrnhuterMissions-Direktion, S. 3, UA SynHat 4; vgl. auch J.Vogt an C. H. Shawe, 15.1.1947, UA DEUB 319.

77 Memorandum von J. S. Groenfeldt an Mitglieder PEC North u. South, 24.6. 1971, MAB 171HII,Moravian Church Foundation, 1966–72; Zweiter Brief von Unit"tssynode, S. 4, u. Vierter Briefvon Unit"tssynode in Potstejn von Th. Gill, 5. 8. 1967, MAB 173HI, Unit"tssynode, 1967-S420;„Unit"tssynode in Potstejn“, in: Zeichen der Zeit 11 (1967), S. 422–426.

78 Vgl. etwa Einsch"tzung der T"tigkeit und politisch-ideologischen Zielsetzungen der „&ußerenMission“, Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, o.D., um 1965, BA DO 4 / 2800.

79 Deutsche Br!der-Unit"t in Herrnhut von Ltn. Kretschmar, MfS-Dienststelle Lçbau, 25.1. 1956,BStU BV Drd. KD Lçbau 18066; vgl. auch „Br!dergemeinde“ [sic], in: Lausitzer Rundschau,13.8. 1946, UA DEBU 1468; W. Barth anW. Ulbricht, 29.9. 1954, SAPMO-BA DY 30 IV 2/14/250;Protokoll Politb!rositzung, Nr. 95, 20.6. 1950, SAPMO-BA DY 30/ IV 2/2/95; Goerner, Ar-beitsgruppe Kirchenfragen im ZK-Apparat, S. 72.

80 Papier von H. Dohle, Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, 4.12. 1967, BA DO 4 / 487.81 Kurzgefasstes Ged"chtnisprotokoll von E. Fçrster, 1. 9. 1970, UA DEBU 82.82 Vgl. etwaUnterlagen inMfSHAXX/4, Nr. 2601 S. 678–683, u. Nr. 778, S. 83–134; Unterlagen in

SAPMO-BA DY 30/ IV 2/14/197; BA DO 4 / 4814; Niederschrift vonWeise !ber Besprechung beiMinister Wendt zu Fragen christlicher Literatur, 24.11. 1958, BA DO 4, 2568.

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hatten ja beispielsweise ehemalige Sklaven im amerikanischen Bethlehemundin Europa gleichberechtigt mit den weißen Herrnhutern gelebt. Als g!nstigerwies sich dabei, dass der Posten des Missionsdirektors mit einem rechtstaatsnahen Bruder besetzt war,WernerHauffe. Er erkl"rte 1959 çffentlich, dieMission der Br!dergemeine sei „Zeugnis praktischer #berwindung des Ras-senhasses“.83 Ins Zentrum r!ckte nun das Antirassismusprogramm des %RK.Hier ließen sich Statements formulieren, die auf staatliches Wohlgefallenstießen, ohne dass sie die Kirche zu kompromittieren schienen. Die unkriti-sche Unterst!tzung des Antirassismusprogramms hing auch damit zusam-men, dass es als Sinnbild f!r die „Modernit"t“ der Missionsarbeit dienenkonnte. „Der Geist der Solidarit"t […], in dem die Herrnhuter Missionsarbeitgetriebenwurde, ist tief im Selbstverst"ndnis der Br!dergemeine verwurzelt“,erkl"rte ein hohes CDU-Mitglied.84 Und ein verbl!ffter CDU-Kreisfunktion"rberichtete aus Ebersdorf: Zwei Herrnhuterinnen h"tten hartn"ckig daraufbeharrt, ihre Missionsarbeit habe „weiter keine Absicht gehabt, wie denVçlkern in Afrika und S!damerika zu helfen, ihnen Lesen und Schreiben zulernen und ihnen ein besseres Leben zu schaffen“.85 Unterst!tzt wurden dieseTendenzen ab den sechziger Jahren durch die DDR-Außenpolitik, die auchmiteiner regen „antikolonialen“ Afrikapolitik ihre politische Isolation durch-brechen wollte.86

Die zweite wichtige Kategorie neben „Antirassismus“ war der Begriff„Friede“, der zunehmend Eingang ins Missionsvokabular der Herrnhuterfand. Nachdem die DDR sich zum Friedensstaat deklariert hatte, verlangte sievon den Kirchen den „Friedensauftrag“ mit çffentlichen Bekenntnissen zuflankieren.87 Das war "hnlich wie das Antirasissmusprogramm ein vergiftetesAngebot, denn schließlich war die Ablehnung des Rassismus ebenso ehren-wert wie der Einsatz f!r Frieden. Doch der staatliche Missbrauch solcherBekundungen war unverkennbar, und an vorderster Front der christlichenFriedenpropaganda stand die Allchristliche Friedenskonferenz in Prag. DieHerrnhuter setzten gleichwohl auf die Friedenskarte. Der Militarismus im19. Jahrhundert und in der ersten H"lfte des 20. Jahrhunderts wurde ver-dr"ngt. Stattdessen entdeckten die Herrnhuter friedfertige Texte von Come-nius und konstruierten ein dezidiert pazifistischesNarrativ, das allerdings den

83 „Kirche und Mission”, in: „Der Neue Weg“, 3. 2. 1959, S. 4, BA DO 4 / 740; vgl. zur HaltungHauffes gegen!ber dem SED-Staat: Bericht !ber Gespr"ch mit progressiven Geistlichen vonPeter, RdB Drd, Stellv. des Vorsitzenden, an Staatssekret"r f!r Kirchenfragen, 20.7. 1966, BA DO4 / 2965; Abschrift Aktennotiz von Schild, Dresden, 5. 11.1968, HStA Drd. 11430, Nr. 10873.

84 Ordnung, Grçße und Grenzen, S. 34; vgl. auch Pressemeldung von M!ller, „250 Jahre Br!der-gemeine in S!dafrika“, 22.7. 1987, UA DEBU 1471.

85 Niederschrift !ber das Rundtisch-Gespr"ch mit Christen in Ebersdorf, 13.3. 1961, BA DO 4 /2979.

86 van der Heyden, Zwischen Solidarit"t und Wirtschaftsinteressen, S. 17–21.87 Vgl. etwa Sitzung des Politb!ros des Zentralkomitees, 22.8. 1950, Protokoll Nr. 5, SAPMO-BA

DY 30/ IV 2/2/105; R. Bellmann, Arbeitsgruppe Kirchenfragen an Genossen W. Ulbricht u. P.Verner, 25.6. 1963, SAPMO-BA DY 30 IV 2/14/208.

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Weg zum Milit"rdienst in der DDR offen ließ.88 Die Direktion erkl"rte beiGelegenheit gegen!ber dem MfS, die Unit"t sei „fr!her sehr stark vom Pazi-fismus gepr"gt gewesen“ und sehe sich „als eine traditionelle Friedenskir-che.”89 Die anf"ngliche Gegenwehr an der br!derischen Basis in der Nach-kriegszeit gegen diesen unerwarteten Sinnungswandel hin zum Antimilita-rismus konnte die Direktion wohl nicht zuletzt dank der Neuerfindung ihrerTradition bald !berwinden.90 Der Feiertag am 13. August, den mancheHerrnhuter in der NS-Zeit als Symbol f!r das Ringen „um eine neue Volks-gemeinschaft“ interpretiert hatten, galt einigen nun als Friedenstag.91 #ber-haupt: Herrnhut sei stets „eine Insel des Friedens“ geblieben.92 Immer wiederwurde Mission als Friedensarbeit interpretiert.93 Staats- und Parteifunktio-n"re anerkannten diese Bem!hungen. Die CDU schm!ckte sich mit Frie-densbekundungen br!derischer Parteimitglieder.94 1977 vermerkte dasStaatssekretariat f!r Kirchenfragen, die „pietistisch ausgerichteten Religi-onsgemeinschaften“ identifizierten sich „heute weitgehendmit der Politik desFriedens.“95 Die Friedensresolutionen der br!derischen Synoden stießen aufstaatliches Wohlwollen. 1983 rief die Gemeine in der DDR, nach Ausk!nfteneines staatlichen Informationsberichts, zum Frieden auf, erkl"rte sich mit derSandinistischen Front in Nicaragua solidarisch und bat die Unit"t in denUSA,gegen die amerikanische Politik in Nicaragua zu protestieren.96 Klaus Bie-dermann meldete der Staatssicherheit, wie die europ"ische Unit"t auf ihrer

88 Vgl. etwa Jahresbericht Herrnhut, 1951, UA DEBU 804; J. Vogt an O. Nuschke, 1.4. 1957, ACDPVII-013-1784; „Bericht !ber die Distrikt-Synode-Ost“, in: Br!derbote, 7/1959; JahresberichtHerrnhut, 1960, S. 8, UADEBU805; E. Fçrster anR. Kalfus, 13.1. 1962, UADEBU 517; Rundbriefan j!ngere Mitglieder, Th. Gill u. D. Schiewe, 3/1962, UA EFUD 656; Direktion Herrnhut anGeschwister in Gemeinbereichen, 3/1964, UA EFUD 656; Direktion Herrnhut an G, Gçtting,22.3. 1972, UA EFUD 658; Anlage zur Empfehlung „Zeichenhafte Friedensdienste“ der Dis-triktssynode Herrnhut, 5/1985, BA DO 4 / 1520; Interview mit Ehepaar Helmut und GudrunSchiewe, ostdt. Gemeinhelferpaar, Niesky, 2. 2. 2006, Unterlagen H. Richter.

89 Information, Ergebnis der durchgef!hrten Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Drucknichtgenehmigter Embleme, 24.2. 1982, BStU MfS HA XX/4, Nr. 3298.

90 S. Bayer an Garve, 18.2. 1954, Gemeinarchiv Neukçlln C 3II d1; Uttendçrfers Lebenserinne-rungen, S. 249, UA Nachlass Uttendçrfer.

91 Jahresbericht Gemeine Herrnhut, 1951, H. Siebçrger, UA DEBU 804.92 Jahresbericht Gemeine Herrnhut, 1951, H. Siebçrger, UA DEBU 804.93 Z. B. Jahresbericht Herrnhut, 1951, H. Siebçrger, UA DEBU 804; Bericht !ber eine Unterredung

mit demDirektoriumderHerrnhuter Br!der-Unit"t, CDU, BezirkDrd., 11.1. 1955, BADY 30/IV2/14/51.

94 Enke, Persçnlicher Referent von O. Nuschke, an Leiter der Rechtsabteilung des Staatssekreta-riats f!r Innere Angelegenheiten, 31.8. 1954, BADO4/2289; „Kirche hat Ruf nach Frieden gehçrt– Parteiversammlung in Herrnhut mit Bischof Vogt von der Br!dergemeine“, in: Neue Zeit,28.2. 1956; „Br!dergeschichtliche Woche in Herrnhut“, in: Neue Zeit, 9. 3.1957; vgl. auch E.Fçrster an G, Gçtting, 27.12.1967, ACDP VII–013–2122; G. Hasting an G, Gçtting ,13.11.1970,UA DEBU 79.

95 Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, 26.9. 1977, BA DO 4 / 83717 (450); vgl. zur Friedensthe-matik in der DDR auch Overmeyer.

96 Information !ber Herrnhuter Distriktssynode von Janott, 22.3.1983, BA DO 4 / 1520.

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Synode in Zeist, zu der er als Teilnehmer reisen durfte, die NATO verurteiltund wie er die DDR und andere Warschauer-Pakt-Staaten verteidigt habe.97

Mission als solidarische Aktion und Beitrag zumWeltfrieden – das war dieNeuinterpretation, die die Gemeine anbot, und sie zeigte Erfolg. In den Reden,die Staatsfunktion"re zu offiziellen Anl"ssen hielten, betonten sie stets dasWirken der Gemeine „gegen Rassismus und Kolonialismus“.98 Der Methodistund CDU-Funktion"r Carl Ordnung erkl"rte 1972, Herrnhut sei „zum Aus-gangspunkt f!r die moderne protestantische Missionsarbeit !berhaupt“ ge-worden und habe sich dagegen gewendet, Mission in die Interessen impe-rialistischer Kr"fte zu stellen.99 Als die Br!dergemeine 1982 den Beginn ihrerMission vor 250 Jahren feierte, f!hrte die CDU-Presse die Wurzeln diesesEngagements auf einen Kampf der Unit"t gegen die Sklaverei zur!ck.100 Ineinem Grundsatzpapier der DDR-Herrnhuter zur Mission hieß es 1986: „Indem wachsenden Gef"lle zwischen Arm und Reich […] m!ssen wir einschuldhaftes Versagen der Christenheit erkennen. Trotz aller christlichenMission konnte diese negative Entwicklung nicht aufgehalten werden. Es istvor allem der çkumenischen Bewegung zu danken, dass sie uns diese Tatsa-chen“ verdeutlicht habe. Die %kumene habe ermçglicht, „den an sich zeitlo-sen“ Missionsauftrag unter den „neuen Bedingungen zu durchdenken.“101

Dank der staatlichen Akzeptanz konnte die Br!dergemeine gewisse mis-sionarische Aktivit"ten aufrechterhalten. Die Obrigkeit erlaubte den Herrn-hutern ab und zu, Hilfsprogramme f!r "rmere Provinzen auf die Beine zustellen. Dabei bot sich Tansania an, weil es hier eine starke br!derische Arbeitgab und der ostafrikanische Staat zu den ersten L"ndern gehçrte, die Ost-deutschland anerkannten. Gegen!ber dem SED-Regime war bei solchenHilfsaktionen selbstverst"ndlich nie von „Mission“ die Rede. Als Anfang derachtziger Jahre der Kirchenbund mit dem Staatssekretariat in Erw"gung zog,kirchliche Mitarbeiter zu Entwicklungsprojekten in die Dritte Welt zu schi-cken, standen die Herrnhuter fertig in den Startlçchern und stellten einenjungen Arzt. Er konnte im Fr!hjahr 1986 nach Tansania ausreisen und wurdezum Modellfall f!r die Entsendung kirchlicher Entwicklungshelfer.102 VonMission war freilich auch hier nicht die Rede. Die Entsendung eines Geistli-

97 Information von Oberst Bormann, 30.5. 1983, BStU XX/4 926, S. 22–24.98 So Horst Dohle in seiner Rede zur 250-Jahrfeier, Gruß aus der weltweiten Br!der-Unit"t, Herbst

1972, HStA Drd. 11430, Nr. 10870.99 Ordnung, Grçße und Grenzen, S. 25.100 „Die Frage des Gekreuzigten“, in: Neue Zeit, 2.9.1982.101 Br!dergemeine in der Mission heute von Direktion Herrnhut, November 1986, BA DO 4 / 4814;

vgl. auch Herrnhuter Br!dergemeine, Gasthaus und Werkstatt des Herrn, S. 118; HerrnhuterBr!dergemeine, Die Br!der-Unit"t, S. 26 f.

102 Information !ber Provinzialsynode der Europ"isch-Festl"ndischen Br!der-Unit"t, Stasi-Dienststelle Lçbau, 6. 4. 1986, BStU MfS HA XX/4, Nr. 926; Aktenvermerk von Abt. IV, 9.10.1986, BStU MfS HA XX/4, Nr. 926, S. 233; Unterlagen in UA DEBU 494c; Information von MfS-Dienststelle Lçbau, 6. 4. 1986 u. Operativinformation zum geplanten Einsatz vonMissionaren inTansania, 30.10.1986, MfS Abteilung XX/4, S. 156 u. 235.

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chen etwa w"re ausgeschlossen gewesen. Einen Mediziner jedoch konnte dersozialistische Staat als Entwicklungshilfe verbuchen. Dennoch blieben dieMçglichkeiten extrem eingeschr"nkt. Es gab ein Verbot f!r Spendenaufrufe,und internationaler Geldtransfer bedurfte immer der Zustimmung der Ob-rigkeit.103 Mission blieb dank ihres universalen, inklusorischen Anspruchesdem SED-Staat bis zuletzt suspekt.104

Allerdings war die Reformulierung der Missionstradition komplex: Sounterschied sich die Pr"sentation von Mission gegen!ber dem Staat von deminternen Verst"ndnis innerhalb der Gemeine. Denn die Br!dergemeine in derDDR blieb nach innen st"rker als im Westen dem konventionellen Zinzen-dorfschen Missionsverst"ndnis treu, auch wenn sie dieses nun – in aufrich-tiger #berzeugung – mit Antirassismus und Frieden verkn!pfte. Immer ginges den Herrnhutern auch darum, Menschen f!r das Evangelium zu gewinnen.Sie hofften, mit ihrer diakonischen Arbeit, mit ihrem Losungsbuch, ihrenH"usern f!r G"ste und Tagungen, mit Vortragsreihen, Diasporaarbeit, Kon-zerten sowie mit R!stzeiten Menschen zu gewinnen. Dabei empfanden dieostdeutschen Herrnhuter ihren exklusorischen, oft wenig missionarisch wir-kenden Charakter ihrer exotisch erscheinenden Gemeine in der sozialisti-schen Gesellschaft oft als belastend.105 Doch die Gemeine nutzte ihr ganzesKommunikationsrepertoire, um ihre traditionelle Missionsverpflichtung le-bendig zu erhalten: Austausch von „Gebetsgegenst"nden“, das Gebet selbst,Besuche und Riten wie das Missionsfest oder die Missionsliturgie. In regel-m"ßig erscheinenden Briefen mit dem Namen „Herrnhuter Arbeit daheimund draußen“ bzw. „Gruß aus der weltweiten Arbeit der Herrnhuter Br!der-gemeine“ (wobei der Begriff Mission vermieden wurde) informierte die Di-rektion die Ortsgemeinen, die Diaspora und den großen Freundeskreis, derdie Arbeit der Unit"t wesentlich mit finanzierte und aus dem einstigen Kreisder Missionsfreunde hervorgegangen war.106 Missionare, die ins Land kamen,

103 Aktenvermerk von Abt. IV, 9. 10.1986, BStU MfS HA XX/4, Nr. 926, S. 233; Sitzungsbericht derDEBU, 15.1. 1970 u. 2.4. 1970, UA DEBU 14; J. Vogt an W. Hauffe, 15.1. 1957, UA DEBU 1458a;vgl. auch Aktenvermerk vonHaslinger, Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, 24.6. 1965, BADO 4/ 1520.

104 Konzeption f!r die zeitweilige Arbeitsgruppe 250-Jahre EBU, RdB Drd, Referat Kirchenfragen,3. 3.1971, HStA Drd. 11857, Nr. IV/B.2.14.633; Kurzgefasstes Ged"chtnisprotokoll, E. Fçrster,1. 9.1970, UA DEBU 82.

105 Hickel, Diakonie, S. 165 f. ; Th. Schmidt an K. G. Hamilton, 8. 6.1952, MAB 114DI, Germany,1952-1953-54-55-58; Beschl!sse und Erkl"rungen der Distriktssynoden Ost- und West, 1947;Jahresbericht Gemeine Herrnhut, 1954, S. 2, UA DEBU 804; Jahresbericht Gemeine Herrnhut,1960, S. 53 f. , UA DEBU 805; E. Fçrster an Pfr. Bachmann, 22.10.1951, UA DEBU 651; G. Arlt anH. Hickel, 28.9. 1976, UADEBU 665; E. Fçrster an V. M!ller, 21.4. 1964, UADEBU 442; vgl. auchZweiter Brief vonUnit"tssynode, S. 4, u. Vierter Brief vonUnit"tssynode in Potstejn vonTh. Gill,5. 8.1967, MAB 173HI, Unit"tssynode, 1967-S420; „Unit"tssynode in Potstejn“, in: Zeichen derZeit 11 (1967), S. 422–426.

106 Br!dergemeine in der Mission heute von Direktion Herrnhut, 11/1986, BA DO 4 / 4814; Un-terlagen in UA DEBU 47; Unterlagen in Gemeinarchiv Ebersdorf &R I R 2,3a u. UA NB UX 165;Resolutions of he Unity Conference, 3.–12.7. 1946, MAB 110FI, Unity General Directory.

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wurden durch alle Gemeinen gereicht und mussten Vortr"ge halten – wennmçglich mit Lichtbildern.107 Die Erziehung zu internationalem Bewusstseinwar eng mit Mission verbunden: Kinderstunden oder Konfirmationsunter-richt waren voller Missionsgeschichten in denen von der geistlichen und so-zialen Seite der Mission berichtet wurde; es gab sogar „Jugendmissionsr!st-zeiten“.108 Besonders gerne opferten die allgemein spendenfreudigen Herrn-huter f!r die &ußere Mission. Die ostdeutsche Gemeine begann so fr!h wiemçglich damit, an "rmere Br!derkirchen in Afrika oder S!damerika abzu-geben. 1967 hieß es in einem Bericht !ber den Distrikt Herrnhut: „Die Opfer,die unsere Gemeinen […] f!r Zwecke der Mission bringen, sind erfreulichgroß. Im Laufe der letzten Jahre konnten wir zweimal große Sendungen(medizinische Instrumente, Verbandsmaterial, Kleidung f!r &rzte, Schwes-tern, Helfer und Patienten, Decken u. a.) auf den Weg bringen“.109 Spendenwiederum fçrderten den Informationsaustausch und die emotionale Bindungzwischen Spender und Empf"nger.

Die gesamte DDR-Zeit hindurch f!hlten junge Gemeinmitglieder den „Ruf“f!r den Missionsdienst, die Sehnsucht nach anderen L"ndern mochte hiernachgeholfen haben. In den f!nfziger Jahren, als die Reisebeschr"nkungennoch lockerer waren, gingen – ohne Wissen des Staates – mindestens f!nfHerrnhuter aus der DDR in die Mission.110 1961 berichtete die Direktion in-tern: „Wir habenmehrereMissionskandidaten ausgebildet und haben zur Zeitauch einen. Ob undwann ihrWeg sp"ter einmal hinausf!hrt, wissenwir nicht.Wir haben aber die Pflicht, junge Menschen, die sich gerufen wissen, auszu-bilden.“111 In den siebziger Jahren beobachteten US-amerikanische Studentenauf einer DDR-Reise bei ihren Altersgenossen einen starken missionarischen

107 Vgl. etwa Ausz!ge aus Protokollen der Herrnhuter Missionsdirektion, 13.7. 1950, MAB 113FI,Germany, mission board.

108 Z. B. Unterlagen UA DEBU 306; Morgenstern, S. 143; Herrnhuter Kinder-Brief, UA DEBU 664;Unterlagen UA EFUD 656; Auskunft von Benigna Carstens, Kçnigsfeld, 30.11.2007, UnterlagenH. Richter.

109 Bericht des Distrikts Herrnhut der Europ"isch-Festl"ndischen Provinz in der DDR an dieUnit"tssynode der Unitas Fratrum, 1967 in Pottenstein, S. 17,MAB 173HI, Unit"tssynode, 1967-S420; vgl. auch Sonderblatt zum Rundbrief Nr. 1/1961, Verwendung der Missionsgelder, UADEBU 50.

110 Es gibt dar!ber nur wenigQuellen, da der Staat offizielleMissions-Aussendungen nicht duldete;1950 ging Bruder Hettasch aus Herrnhut nach S!dafrika, 1951 die Lehrschwester BenignaBurger aus dem Nieskyer „Emmaus“-Krankenhaus nach Labrador (Alaska); Bruder NormannReichel, Gemeinhelfer in Neudietendorf, nutzte mit seiner Frau die g!nstige politische Stim-mung im Sommer 1953 f!r die Ausreise in die Mission. Einige Jahre sp"ter ging SchwesterFriedel Fischer in die missionarische Arbeit nach S!dafrika, Lebenserinnerungen M. Haugk,S. 72, Unterlagen H. Reichel, Koblenz; Gemeinnachrichten, 12/Dezember 1951, GemeinarchivBerlin II, BI 91; Lebenslauf D. Baudert, S. 6; J. Vogt, Berlin Neukçlln, an Schaberg, 3. 5.1955 u. H.Motel an J. Vogt, 6.9. 1958, UA EFUD 693; Betr. Deutsche Br!der-Unit"t in Herrnhut, MfS-Dienststelle Lçbau, 25. 1.1956, BStUBVDrd. KDLçbau 18066, S. 13; UnterlagenBADO 4 / 338 u.1520.

111 Sonderblatt zum Rundbrief Nr. 1/1961, UA DEBU 50.

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Impetus; so w!rden diese beispielsweise geistliche Literatur in andere kom-munistische L"nder schmuggeln. Wie der Schweizerische %kumeniker Vi-scher 1972machten auch die Amerikaner einen Generationenunterschied aus:„[T]he youth speaks loudly to the older members of the Moravian congre-gations as they take their stand for Christianity and suffer educationally andeconomically for their faith“.112 Als die Herrnhuter Jugend in den achtzigerJahren einen eigenen Rundbrief herausgab, nannte sie ihn nach einem Schiff,das einst die Missionsstationen der Gemeine in #bersee versorgt hatte,„Harmony“.113

Es gelang den Herrnhutern zwar, die Missionstradition gegen!ber demStaat anzupassen, doch zugleich dem Kern des Zinzendorfschen Missions-konzeptes, der Verk!ndigung des Evangeliums, treu zu bleiben. Wenn manetwa die große Kompromissf"higkeit gegen!ber allen Transformationen despolitischen Systems bedenkt, ist diese Beharrungskraft bemerkenswert.114

Indem Kernelemente der Religiosit"t lebendig blieben und als unantastbargalten, zugleich jedoch auch an aktuelle gesellschaftliche Bed!rfnisse ange-kn!pft werden konnte, zeigte die Br!dergemeine ihre „vitale Religiosit"t“.Ohne diese w"re der Erhalt der Gemeine und des Mitgliederbestandes kaummçglich gewesen.115 Daneben hatte die Unit"t mindestens vier weitere Gr!ndef!r ihre Treue zur konventionellen Mission: Erstens war Mission – anders alsetwa die Erziehungsarbeit – unabdingbar f!r das Selbstverst"ndnis, da dieInternationalit"t direkt mit Mission verkn!pft war und zum Kernbestand derbr!derischen Glaubenspraxis gehçrte. In der NS-Zeit hatte die Gemeine eherdarauf verzichten kçnnen, da Internationalit"t dort eine geringere Rolle ge-spielt hatte und die Br!dergemeine inweiten Kreisen s"kularisiert gewesen zusein scheint. In der (gegen!ber dem Westen besonders frommen) DDR-Ge-meine aber war ein #berleben ohne das transnationale Selbstverst"ndnisnicht mçglich – materiell ebenso wenig wie ideell. Eine auf 3000 Mitgliedergeschrumpfte Gemeine h"tte ohne das internationale Ger!st wenig Sinn er-geben. Das zweiteMotiv hing damit zusammen, dassMission in der DDR aucheine Kompensation f!r die Isolierung bot. So erkl"rte der Distrikt Herrnhut1967: „Man verlangt umso mehr nach Berichten aus dem Leben der JungenKirchen, als uns weitgehend die Mçglichkeit persçnlicher Begegnung mitMenschen anderer Kontinente versagt ist.“116 Interessant ist dabei die Ver-

112 Paper „The East German Moravian Church“ von J. S., S. 2, 1974, MAB Unterlagen Freeman.113 Unterlagen UA DEBU 670. Ende der achtziger Jahre wollten junge Mitglieder der Gemeine als

Helfer nach Nicaragua, das von einer Naturkatastrophe heimgesucht wordenwar. Das erlaubtendie Behçrden jedoch nicht, Informationsbericht, Stasi-Kreisdienststelle Lçbau, 13.4. 1989,S. 249 f. , BStU BV Drd. AIM 1732/91.

114 Vgl. etwa „Was mir die Zugehçrigkeit zur Br!dergemeine bedeutet“ von Direktion Herrnhut,1983, u. andere Unterlagen in UA DEBU 1380.

115 Vgl. Pollack, S"kularisierung, S. 51 f.116 Bericht des Distrikts Herrnhut an die Unit"tssynode 1967, S. 3, MAB 173HI, Unit"tssynode,

1967-S420.

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schiebung der Perspektiven:War der Blick auf die fremden L"nder noch langevon einem eurozentrischen Blick gegen!ber den „Buschnegern“ und „Heiden“gepr"gt, informierten die Missionsnachrichten ab den sechziger Jahren zu-nehmend !ber die politische und soziale Situation. Im einen wie im anderenFall erçffnete sich den Lesern ein außergewçhnlich weiter Horizont. DieHerrnhuter erfuhren, dass ein Viertel der arbeitenden Bevçlkerung von 1970bis 1973 aus Surinam nach Holland ausgewandert sei, sie hçrten von Eman-zipationsbestrebungen in S!dafrika, von der sozialen Situation in der Do-minikanischen Republik oder von der Landflucht in Lateinamerika.117 Damitverkn!pft ist der dritte Faktor : Die vom Staat akzeptierte Mission als Ent-wicklungsarbeit ermçglichte der Gemeine eine außergewçhnliche Reisefrei-heit – wenngleich die Aussendung von Missionaren grunds"tzlich verbotenblieb. Regelm"ßig flogen Herrnhuter in L"nder, die normalen DDR-B!rgern,sogar vielen f!hrenden Kirchenleuten verschlossen blieben. Der Afrikaex-perte Ulrich van der Heyden etwa erkl"rt, der br!derische Pfarrer HelmutSchiewe sei seit den sechziger Jahren neben einer Journalistin der „JungenWelt“ der einzige legale DDR-Reisende in S!dafrika gewesen.118 Viertensschließlich stellte Mission einen wesentlichen „Dienst“ dar, den die Unit"t f!rihr Selbstverst"ndnis und f!r die Pr"sentation nach außen brauchte.

Die Reformulierung der Missionstradition in der ostdeutschen Br!derge-meine muss innerhalb des çkumenischen und landeskirchlichen Kontextssowie der Entwicklung in der Unitas Fratrum gesehen werden. So waren etwadie Friedensbekenntnisse der ostdeutschen Gemeine in die zahlreichen in-ternationalen Friedensstatements der Unitas Fratrum und der %kumeneeingebettet. Der NATO-Doppelbeschluss von 1979, der zu einer massivenAufr!stung in Westeuropa f!hrte, st"rkte in vielen L"ndern die Protest- undFriedensbewegung. Ihr f!hlten sich auch viele westliche Gemeinmitgliederverpflichtet.119 Zudem wurden in der Br!der-Unit"t mit der Entkolonialisie-rung aus den einstigen „Missionsfeldern“ selbst"ndige Kirchen bzw. Unit"ts-Provinzen. Die alten Provinzen begannen, ihr Missionsverst"ndnis und ihreMissionsterminologie zu reflektieren.120 Parallel dazu entwickelte sich in der%kumene ein neuer Missionsbegriff. Die Diskussion um das Verst"ndnis vonMission stand im Zentrum des oben beschriebenen Kalten Krieges im %ku-

117 Vgl. Informationen UA DEBU 458; Rundbriefe „Gruß aus der weltweiten Br!der-Unit"t“, UADEBU 561.

118 Van der Heyden, Zwischen Solidarit"t und Wirtschaftsinteressen, S. 70–72; vgl. dazu auchSchiewe, Reise nach S!dafrika 1987.

119 Kurzbericht !ber die Unit"ts-Synode Herrnhut, 3.9. 1981, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/171;Information !ber Distriktssynode von Janott, 22. 3.1983, BA DO 4 / 1520; Unterlagen in BStUMfS HAXX/4 / 926; G, Gçtting an H. Richter, 1. 5. 2006, Unterlagen H. Richter ; Aussage !ber dieachtziger Jahre in Motel, Die Evangelische Br!der-Unit"t, S. 39.

120 „The Ultimate Aim of a Mission Field“ von C. H. Shawe, MAB 99GII, Pre-Synod-Meetings;Resolutions of Unity Conference, Plumstead, Capetown, South Africa, 27.8.–29.9. 1962, MAB104GI, Gordon Spaugh; „Missionsanstalt“, in: Peucker, Herrnhuter Wçrterbuch, S. 40; Grundder Unit"t, S. 9.

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menischen Rat der Kirchen: Inwieweit betraf Mission das materielle Wohloder das geistliche Heil? Oder vielmehr : Inwieweit ging es bei der %kumeneum s"kulare oder um geistliche Aspekte? Die DDR-Funktion"re interpre-tierten dabei die Position der Evangelikalen (die sie als Ph"nomen desWestensbegriffen) mit ihrem „theologischen Anliegen in Sachen Mission“ als Stçr-faktor im çkumenischen Aktionskonzept aus „Antirassismusprogramm,Einsatz f!r friedenssichernde Maßnahmen, f!r Verwirklichung der Men-schenrechte, f!r die Gleichberechtigung der Frau, Kapitalismus-Kritik.“121 DieS"kularçkumeniker standen den Funktion"ren n"her und interpretiertenMission als „Erneuerung der ganzen Menschheit“, vor allem in politischerHinsicht.122 In marxistischer Terminologie sprachen Teilnehmer der Welt-kirchenkonferenz 1968 in Uppsala von der Notwendigkeit, ungerechte Ord-nungen durch revolution"re Bewegungen einzureißen; vor der Bekehrung vonMenschen st!nde „Bekehrung der Strukturen“.123 In der weltweiten UnitasFratrum gab es große Sympathien f!r diese Ideen, auch wenn die Herrnhutergegen!ber dem %RK eine eigene Positionierung vermieden.124 Die Unit"tsuchte nach einer vermittelnden Haltung. Doch bekr"ftigte die Unit"tssynode1967 den traditionellenMissionsbefehl (gem"ßMatth"us 28: „Gehet hin in alleWelt“): Nur „wenn die Br!der-Unit"t auch in Zukunft die Botschaft vomKreuzanderen Menschen weitergibt, wird sie eine lebendige Kirche bleiben.“125

Eine wichtige Ver"nderung in der weltweitenUnit"t war dieMissionsarbeit,die junge Provinzen, insbesondere Tansania, nun innerhalb ihrer Gesell-schaften selbst aufnahmen.126 Die afrikanischen Gemeinen, die am Ende desJahrhunderts rund 600 000 Mitglieder z"hlten, w"hrend die alten Provinzen inEuropa und Amerika nur noch knapp 80 000 Mitglieder stellten, warenselbstbewusst geworden. Auf der Unit"tssynode in Herrnhut 1981 zeigten sichSpannungen innerhalb der Unit"t, die bis heute die Kirche besch"ftigen. Sodr"ngte die europ"ische Provinz darauf, eine Verurteilung der Atomwaffenund eine Friedensresolution zu verabschieden. Doch die jungen Kirchen

121 Internbericht von Klages, Berlin, 12.1.1976, BA DO 4 / 85774 (4732); vgl. auch Zu den evan-gelikalen Bewegungen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter (wohl H. Dohle), Staatssekretariat f!rKirchenfragen, S. 2, November 1983, BA DO 4 / 1505.

122 Zweite Alternative zum Entwurf f!r Sektion II, 7/1968, WCC Assembly Uppsala, %RK-Archiv34.008/05.4.

123 „Aus der %kumene“, in: Br!derbote, 10/1968, S. 1; G!nther, Richtungsk"mpfe, S. 64; vgl. auchFrieling, Aufbr!che von Uppsala, S. 186 f.; Hermle, Evangelikale als Gegenbewegung, S. 342.

124 Direktion Bad Boll an E. Fçrster, 7. 9. 1970, UA EFUD 658; G!nther Richtungsk"mpfe, S. 66; vgl.zu den Sympathien f!r den çkumenischenMissionsbegriff „Aus der%kumene“, in: Br!derbote,10/1968, S. 1.

125 Gill, Unit"tssynode in Potstejn, S. 422–426, vgl. auch Memorandum von %kumeneausschuss,Distriktssynode Bad Boll, 15.9. 1965, %RK-Archiv 42.4.029; Bintz, Nairobi aus freikirchlicherSicht, S. 282–289.

126 Bericht der Direktion der EBU an Distriktssynode Herrnhut, Tagung 1977, S. 2, BStU BV Drd.AIM 4977, Nr. 81;Musomba, S. 44–47; „Von derHerrnhuterMission“, in: Die Kirche, 9.3. 1952;Gebetsanliegen f!r Eastern West Indies, MAB 100GI, Hourly Intercession; R. G. Spaugh an alleProvinzen der Unitas Fratrum, 30.11.1961, UA DEBU 307.

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wollten sich f!r diese Problematik nicht erw"rmen.127 Sie forderten eine ver-st"rkte Missionsarbeit im konventionellen Sinn und f!hlten sich darin teil-weise von den alten Provinzen im Stich gelassen.128 Die Zur!ckhaltung derBr!dergemeine in Europa und Nordamerika gegen!ber großen Evangelisa-tionen war auch eine Stil- und Distinktionsfrage. Als Heinrich Meyer vonBerlin aus !ber die Evangelisation Billy Grahams berichtet hatte, antworteteihm Kenneth Hamilton aus Bethlehem: Graham sei gewiss f!r viele ein Segen,„in spite of the fact that the way inwhich he brings themessage,may not be themanner to which we are accustomed.“129 Der ostdeutsche VolksmissionarErich Schumann, der Anfang der f!nfziger Jahre in Haft gewesen war, bliebeine Ausnahmeerscheinung. Und nicht zuf"llig war er kein in der Wolle ge-f"rbter Herrnhuter, sondern erst im Erwachsenenalter der Gemeine beige-treten.

Die Herrnhuter passten sichmit ihrem altenVerst"ndnis von Religion nichtdemMainstream in den evangelischen Landeskirchen an, wenngleich sie auchf!r die &ußere und Innere Mission die Zusammenarbeit mit den großenKirchen suchten.130 Die Landeskirchen in der DDR orientierten sich in SachenMission st"rker an den Entwicklungen des %kumenischen Rates: nicht#berzeugung der anderen, sondern „Kirche f!r andere“. Das Konzept der„missionarischen Gemeinde“ forderte die Kirchen auf, ihre Grenzen zur Weltganz durchl"ssig zu gestalten. Es gelte, offen f!r jeden zu sein. Dabei ver-mischte sich der auf den Kopf gestellte Missionsbegriff mit BarthscherTheologie: Kirche habe es nicht nçtig, Mitglieder zu gewinnen, da es ihr nieum sich selbst gehe. Ihr Auftrag sei der Dienst an der Gesellschaft, einerlei inwelcher Staatsform.131 Dergleichen kam der sozialistischen Obrigkeit entge-gen. Um die auf DDR-Boden verbliebenen Missionsgesellschaften weiter zuschw"chen, verst"rkten staatliche Funktion"re in den sechziger Jahren denDifferenzierungsprozess zur Bindung „loyaler“ und Abstrafung staatskriti-scher Kr"fte. Die Goßner Mission wurde so zu einer recht staatsnahen Insti-tution.132

127 W. Caffier an Lewerenz, RdB., 19.5. 1981, HStA Drd. 11430, Nr. 10948: Meyer, Zinzendorf unddie Herrnhuter Br!dergemeine, S. 175; Unit"tssynode in Herrnhut, o.A., BStU MfS HA XX/4,Nr. 3177.

128 Musomba, S. 44–47 et passim; Bericht der Direktion der EBU an Distriktssynode Herrnhut,Tagung 1977, S. 2, BStU BV Drd. AIM 4977, Nr. 81.

129 K. G. Hamilton an H. Meyer, 26.7. 1954, MAB 113FI, Germany : Meyer ; Unterlagen UA 307; vgl.zu den Evangelisationen Schumanns UA DEBU 973.

130 Bericht Distrikt Ost, 1974, UA EFUD 659; An die Geschwister in den Gemeinbereichen“, 3/1966,BA EFUD 657; Hickel, Diakonie, S. 165.

131 Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, 244 f. ; 323 f. ; Schçnherr, ReligionskritikDietrich Bonhoeffers, S. 325; Demke u.a. , Zwischen Anpassung und Verweigerung, S. 178; vgl.dazu auch Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 206 u. 241 f.

132 Einsch"tzung der T"tigkeit und politisch-ideologischen Zielsetzungen der „&ußeren Mission“,Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, o.D., um 1965, BA DO 4 / 2800; vgl. zur GoßnerMission dieunkritischen Ausf!hrungen von Weyer u.a. , S. 216–235.

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Die Herrnhuter Br!dergemeine zeigte sich in ihrer Geschichte zivilgesell-schaftlich aktiver, vitaler und eher um Inklusion bem!ht, wenn sie missio-nierte – etwa im 18. Jahrhundert mit ihrer #bersee-Mission oder im19. Jahrhundert, als sie in Diasporagebieten protestantische Christen be-treute; und sie war dann in ihren Ortsgemeinen verschlossen und wirkteexklusiv, wenn der missionarische Impetus schwach war.

7.3 Gestçrte Ordnung und unverhoffte Wende.Die achtziger Jahre

Auf einer br!derischen Synode Mitte der achtziger Jahre in Herrnhut be-schworen die Anwesenden ihr Verh"ltnis gegen!ber der Staatsmacht, wie es inder Kirchenordnung der weltweiten Unit"t geregelt war : „Es gehçrt zu denPflichten und Vorrechten des einzelnen Christen, f!r die Regierenden F!rbittezu leisten und vollen, aktiven Anteil am çffentlichen Leben seines Landes zunehmen. […] Daher wollen wir die Anordnungen des Staates befolgen, so-lange sie nicht von uns verlangen, den Willen Gottes zu verleugnen.“133 Dasentsprach protestantischer Tradition. Freilich konnte man die Gehorsams-pflicht recht weit interpretieren. Klaus Biedermann, Mitglied der DirektionundGemeinhelfer in Ebersdorf, lobte 1981 in den „Gedanken zumX. Parteitagder SED“ die sozialen Errungenschaften der DDR und f!hrte aus: „Der Vor-sitzende des Staatsrates, Erich Honecker, hat das in seinem Bericht an den X.Parteitag der SEDmit vielen Zahlen belegt. […] Es ist daher zu begr!ßen, dassder Erhaltung des Friedens auf dem X. Parteitag besondere Aufmerksamkeitgewidmet wurde. […] Weiter erscheint es wichtig, dass das Zusammenlebenvon Marxisten und Christen auch weiterhin auf der gleichen vertrauensvollenBasis wie bisher gestaltet wird“.134 Solche Statements liebten die DDR-Oberen,und immer wieder forderten sie die Kirchen dazu auf. Die Br!dergemeine hieltsich wie die Landeskirchen mit dergleichen in der Regel zur!ck. Durch Bie-dermanns Einfluss, so 1983 die Einsch"tzung der Staatssicherheit, habe sichjedoch das Verh"ltnis zwischen Unit"t und Staat weiter verbessert, auch habees „seitens der Direktion der Evangelischen Br!der-Unit"t keine Angriffegegen die staatliche Kirchenpolitik“ mehr gegeben.135 Sie n"herte sich damitder Position der anderen Freikirchen an, die sich auch in den achtziger Jahren

133 Information Provinzialsynode der Europ"isch-Festl"ndischen Br!der-Unit"t vom 31.3. bis 5. 4.1986 in Herrnhut, 7.4. 1986, BStU MfS HA XX/AKG, 5906.

134 Statement von K. Biedermann, Ebersdorf vom 27. 4.1981, Th!ringisches StA Rudolstadt, Be-zirkstag und RdB Gera, Inneres 275.

135 MfSDresden, Abt. XX/4, Jahreseinsch"tzung des IMSKlaus, 8. 12.1983, BStUBVDrd. AIM1732/91, S. 101.

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als besonders staatstreu erwiesen.136 Doch das Bild der Gemeine bleibt viel-schichtig.

Die Staatsmacht zeigte sich in den achtziger Jahren sehr um die Unit"tbem!ht.137 Das hing auch mit Horst Dohles Einfluss im Staatssekretariat f!rKirchenfragen zusammen. Gegen!ber seinem neuen Dienstherrn, Klaus Gysi,der seit 1979 Staatssekret"r f!r Kirchenfragenwar, betonte Dohle die positivenSeiten der Herrnhuter : Sie verf!gten !ber eine „starke Position in den Ent-wicklungsl"ndern“, mit nur 3000 Mitgliedern und einem Freundeskreis vonetwa 10 000 Personen unterhalte die Br!dergemeine in der DDR dank ihrer„materiellen Opferfreudigkeit“ eine recht große diakonische Arbeit.138 Ineinem ausf!hrlichen Vermerk !ber die Br!dergemeine, schrieb Dohle in denachtziger Jahren von „#berlegungen, wie man die Herrnhuter mit ihrer Spe-zifik st"rker in die kirchenpolitische Profilbildung in der DDR einbeziehenkann“, und empfahl, sich mçglichst entgegen kommend zu zeigen.139 Die In-ternationalit"t der Br!dergemeine spielte dabei zwar eine Rolle, doch wich-tiger war nach wie vor ihre Vorbildfunktion gegen!ber den anderen Religi-onsgemeinschaften. Auch der Rat des Bezirkes mahnte, die Unit"t pfleglich zubehandelnund dringend anstehende Baumaßnahmen endlich zu genehmigen,woraus jedoch trotz allen guten Willens angesichts der verheerenden Wirt-schaftsbilanz imKreis Lçbau bis zumEnde derDDRnichtswurde.140 Nicht nurdas Staatssekretariat f!r Kirchenfragen und der Bezirk verfolgten die wohl-wollende Strategie. Als Mitte der achtziger Jahre das „Neue Deutschland“ denDirektionsvorsitzenden M!ller falsch zitierte, ihm ein antiamerikanischesStatement in den Mund legte und M!ller sich gegen diese Unterstellungwehrte, mahnte umgehend das MfS, diese Differenzen zu kl"ren, um „dasVerh"ltnis weiterhin konstruktiv und vertrauensvoll zu entwickeln“.141 Un-beschadet aller Freundschaftsbekundungen aber !berwachte die Obrigkeitweiterhin dieUnit"t. Informationsberichte des Kreises oder der CDUgehçrtenebenso dazuwie die Observation durch dasMfS und die Postkontrolle. Kopienvon Klaus Biedermanns Korrespondenz liegen in den Unterlagen der Staats-sicherheit neben seinen Berichten als Informant.142 Auch hier verwischen sichdie Grenzen zwischen Opfer und T"ter.

Die DDR-Obrigkeit begr!ßte es, als die Br!der-Unit"t 1981 ihre Unit"ts-synode in Herrnhut abhalten wollte. Der Staat, der !berwachte, zensierte,Dissidenten einsperrte und Christen diskriminierte, konnte hier einmal mehrmit Hilfe der Br!dergemeine seine Toleranz demonstrieren. In der ZK-Ab-

136 Unterlagen in BA DO 4 / 1123.137 Vgl. Unterlagen BA DO 4 / 4814.138 Auszug aus Dienstreisebericht von H. Dohle, 21.10.1980, BA DO 4 / 1520.139 Vermerk f!r Staatssekret"r von H. Dohle, Leiter des B!ros, 4.7. 1986, BA DO 4 / 1712.140 Jahres-Analyse 1988, RdB Drd., SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/70.141 Information Provinzialsynode der Europ"isch-Festl"ndischen Br!der-Unit"t vom 31.3. bis 5. 4.

1986 in Herrnhut, 7.4. 1986, BStU MfS HA XX/AKG, 5906.142 BStU, BV Drd. AIM 1732/91.

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teilung f!r Kirchenfragen wurde die Unit"tssynode abgesegnet, da sie „ineinigen westeurop"ischen Staaten Beachtung finden“ werde.143 Das MfS hattef!r internationale Synoden der Unitas Fratrum das erkl"rte Ziel, „den Dele-gierten die erfolgreiche Entwicklung der DDR, die soziale Sicherheit ihrerB!rger, die geordneten Beziehungen von Staat und Kirche sowie die Ge-w"hrleistung der Religionsaus!bung“ zu veranschaulichen.144 Die Staatsor-gane waren zufriedenmit demVerlauf, zumal ein Schwerpunkt der Synode aufdem Thema „Frieden“ lag. Im „Wort zum Frieden“, das die Synode verab-schiedete, waren „keine Angriffe gegen die Verteidigungspolitik unsererPartei undRegierung und der Sowjetunion enthalten“, wie die Staatssicherheitfeststellte.145 In einem abschließenden Bericht res!mierte das MfS, das nichtzuletzt dank der Observationsberichte der CDU !ber alles im Bilde blieb, dass„die bekannten negativen Kr"fte innerhalb der Direktion der Europ"ischenBr!der-Unit"t Herrnhut nicht wirksam werden“ konnten.146 Wie nicht anderszu erwarten, lobte beim obligatorischen staatlichen Empfang Staatssekret"rGysi in seiner Ansprache „den Einsatz aller 17 Unit"tsprovinzen f!r FriedenundVçlkerverst"ndigung in derWelt sowie ihr Auftreten gegenKolonialismusund Rassismus“.147 Die Friedens-Antirassismus-Gebetsm!hle kennzeichnetedas Gehege, in dem eine loyale Kirche im SED-Staat aktiv sein durfte. Einebesondere Gunst erwies das Regime den Herrnhutern damit, dass diesmalnicht nur die CDU-Medien !ber die Synode berichteten, sondern auch dasSED-Zentralorgan „Neues Deutschland“. #ber die Erçffnung der Unit"ts-synode 1981meldete die Zeitung von den FriedensbekundungenderGemeine,vom Aufruf des Gastredners %RK-Generalsekret"r Philipp Potter zu Friedenund Antirassismus und vom diakonischen und çkumenischen Engagementder Herrnhuter.148

Angesichts der reibungslosen Zusammenarbeit von Freikirche und Staatkonnte die Gemeine w"hrend der achtziger Jahre in Herrnhut weitere inter-nationale Versammlungen abhalten: so etwa 1984 das Jugendtreffen „Mora-vial“ oder 1986 die Synode der kontinentaleurop"ischen Provinz.149 ZumMoravial kamen rund 250 Jugendliche aus der Bundesrepublik, Großbritan-

143 R. Bellmann, ZK-ArbeitsgruppeKirchenfragen, an P. Verner, 23.7.1981, SAPMO-BADY 30/IV B2/14/171.

144 Seltmann, HA XX/4, Berlin, 5. 3. 1986, BStU MfS HA XX/4 926.145 Information von Oberstleutnant Tzscheutschler, Bezirksverwaltung f!r Staatssicherheit Drd.,

HA XX, 14.9. 1981, BStU MfS XX/4, Nr. 3473.146 Information von Oberstleutnant Tzscheutschler, Bezirksverwaltung f!r Staatssicherheit Drd.,

HA XX, 14.9.1981, BStU MfS XX/4, Nr. 3473; Gçpfert, SED-BL, ZK der SED, Abt. Staat undRecht, an R. Bellmann, ZK der SED, Abt. Kirchenfragen, 9. 9. 1981, Anlage: Bericht !ber dieUnit"ts-Synode in Herrnhut, 31.8. 1981, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/171.

147 Information von Oberstleutnant Tzscheutschler, Bezirksverwaltung f!r Staatssicherheit Drd.,HA XX, 14.9. 1981, BStU MfS XX/4, Nr. 3473.

148 „Synode der Evangelischen Br!der-Unit"t begann“, in: NeuesDeutschland, 31.8. 1981; vgl. auchPressesammlung in HStA Drd. 11430, Nr. 10948.

149 Notiz, o.A., 19. 3.1986, BStU MfS HA XX/4, Nr. 926.

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nien, Niederlanden, Surinam, der Schweiz, Kanada, den USA, Jamaika, derTschechoslowakei und der DDR nach Herrnhut. Die t"glichen Predigten be-suchten 800 junge Gl"ubige. Sie bummelten durch die Stadt, sangen, zogenzum Hutberg hinauf und veranstalteten Singspiele im Park. Die Stasi kon-statierte zufrieden: „Die Teilnehmer verhielten sich diszipliniert und geord-net. Plakate, Spruchb"nder u. a. mehr wurden nicht mitgef!hrt. Politische&ußerungen erfolgen in der %ffentlichkeit nicht.“150 Eine junge Herrnhuterinerinnerte sich, damals die Bedeutung von Propaganda erfahren zu haben, undzwar der westlichen Spielart: Die britischen Jugendlichen h"tten sich sehrunwohl und !berwacht gef!hlt.151 Sie selbst undwohl viele ihreAltersgenossenhatten die allt"gliche #berwachung und Einschr"nkung internalisiert. Aller-dings verdeutlichte das Moravial die Stasi-Resistenz der letzten br!derischenDDR-Generation. In einem MfS-Bericht hieß es, die Gespr"che auf dem Ju-gendtreffen konnten „nicht unter operative Kontrolle genommen werden, dasich unter den Delegierten kein IM befand.“152

Anfang der achtziger Jahre vollzog sich dieser letzte Generationenwech-sel. 1980 war Erwin Fçrster verstorben. Der 67j"hrige Helmut Hickel wurde1981 verabschiedet. Christian M!ller folgte ihm im Amt des Direktionsvor-sitzenden nach. M!ller suchte zwar nicht wie Gill die Konfrontation mit demStaat, doch wahrte er gegen!ber dem Regime stets deutliche Distanz.153 DieAchtziger waren in der Provinz – trotz Ausreisewellen und wachsendemProtestpotenzial in den Kirchen – eine bleierne Zeit. Timothy Garton Ashschrieb !ber seine DDR-Erfahrungen in dieser Zeit : „Das Misstrauen herrscht!berall. Es schwelt in der Kneipe, es lauert im Telefon, es reist mit in der Bahn.Wo immer zwei oder drei Menschen beisammen sind, wird Misstrauen unterihnen sein.“154 F!r Unruhe sorgte in Herrnhut nicht die Politik, sondern diecharismatische Bewegung, die nicht zuletzt dank des Gemeinhelfers Mor-genstern expandierte. Zwar hatte sich die Gemeinleitung nicht grunds"tzlichgegen sie aussprechen wollen. Als sie jedoch erfuhr, dass Morgenstern sichzum zweiten Mal hatte taufen lassen, wurde er aus seinem Amt als Gemein-helfer entlassen.155

In dieser Zeit gewannen einige junge Mitglieder an Einfluss, die wenigerkompromissbereit waren als viele der&lteren. Sie gehçrten zur Generation der

150 Tzscheutschler, MfS-BV Drd. An MfS Berlin, HA XX/4, o.A., ca. 1. 8. 1984, BStU MfS HA XX/4,Nr. 926; Frank, Freedom in the Cage, S. 3.

151 Frank, Freedom in the Cage, S. 3; vgl. Tzscheutschler, MfS-BV Drd. An MfS Berlin, HA XX/4,o.A., ca. 1. 8.1984, BStU MfS HA XX/4, Nr. 926.

152 Tzscheutschler, BV Drd., an MfS Berlin, o.A., 1984, BStU XX/4 / 4280 / 84.153 Unterlagen UA EFUD 600; Information von Oberstleutnant Tzscheutschler, Bezirksverwaltung

f!r Staatssicherheit Drd., HA XX, 14.9. 1981, BStU MfS XX/4, Nr. 3473.154 Garton Ash, S. 93.155 Briefwechsel mit Th. Gill, 1980, UA DEBU 870; vgl. auch Erg"nzungsbericht Ebersdorf 1979,

Gemeinarchiv Ebersdorf, Jahresberichte 1973–1990; Ch. M!ller an Teilnehmer der Lobpreis-r!ste, 20.5. 1980, UA DEBU 870.

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um 1960 Geborenen, denen sich die sozialistische Gesellschaft als geschlos-senes System pr"sentierte, verkrustet und in den Schaltstellen mit alten Ka-dern besetzt. Doch selbst innerhalb ihrer Generation waren diese jungenWilden, die es "hnlich auch in den anderen Kirchen gab, eine Minderheit. Siebildeten allerdings eine Elite und sollten k!nftig die Gemeine pr"gen.156 Alleinihr Habitus musste in der DDR befremdlich wirken: unabh"ngig, wider-spenstig, fromm, selbstbewusst. Anders als die unangepassten jungenHerrnhuter der f!nfziger Jahre konnten sie nicht in den Westen fliehen undbildeten so ein kritisches Potenzial. Oft waren sie Kinder staatskritischer,bildungsb!rgerlicher Eltern (etwa der Bischçfe Hasting und Gill). Angst warihnen fremd, die Brutalit"t des Regimes in den f!nfziger Jahren gehçrte f!r sieeiner fernen Vergangenheit an. Aus ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzungzogen sie Unabh"ngigkeit, und sie pflegten enge Kontakte zu jungen Herrn-hutern im Ausland. Die meisten von ihnen durften kein Abitur ablegen; eineTatsache, die sie mit Trotz und Leidenschaft f!r das Theologie-Studiumquittierten. Zu diesen jungen Wilden z"hlte Andreas Tasche, dessen VaterLeiter der br!derischen Comenius-Buchhandlung in Herrnhut war. Mit HilfeHorst Dohles, damals noch Bezirksfunktion"r in Dresden, hatte der Staat inden siebziger Jahren verhindert, dass der Klassenprimus Tasche das Abiturablegen konnte. Im Pfarrberuf entlarvte die Staatssicherheit ihn schnell als„Pfarrer mit negativ-feindlicher Grundeinstellung“ und leitete #berwa-chungsmaßnahmen gegen ihn ein. Seine Gottesdienste seien auch von Ju-gendlichen gut besucht, musste das MfS feststellen, er fordere die jungenMenschen auf, ihrem Glauben treu zu bleiben, die Umwelt zu sch!tzen undden Wehrdienst zu verweigern.157

Auch der Bischofssohn David Gill durfte nicht auf die Oberschule undbegann, Theologie zu studieren. Er hatte gute Kontakte ins Ausland; seineSchwester war mit einem Schweizerischen Herrnhuter verheiratet, der in dieDDR gezogen war. Kennzeichnend f!r die Generation war David Gills Unab-h"ngigkeit gegen!ber herrschenden Ordnungsvorstellungen. Als Student ander Potsdamer kirchlichen Hochschule marschierte er vor den Augen derverbl!fften DDR-Posten in die Ostberliner US-Botschaft. Das Direktions-mitglied Klaus Biedermann versuchte bei einem Informationstreffen mit demMfS, den f!r ostdeutsche Maßst"be ungeheuerlichen Vorgang herunterzu-spielen und David in Schutz zu nehmen: Der Student habe nur „die Verhal-tensweisen der Polizei der DDR !berpr!fen wollen, aus reiner persçnlicherNeugier und zum Gaudium seiner Mitstudenten. Das erste Mal habe er dieBotschaft aufgesucht und wurde nach dem Verlassen dieser kontrolliert und

156 Vgl. Pollack, Organisationsgesellschaft, S. 334; vgl. dazu auch Ahbe u. Gries, S. 100 f.157 Zur Information Pfarrer mit negativ-feindlicher Grundeinstellung, ca. 1984 u. MfS-Kreis-

dienststelle Niesky, Erçffnungsbericht zur OPK „Zinzendorf“, MfS HA XX/4 926, MfS, Dresden,Niesky, X/AI/069/85, S. 60 f. vgl. zu der Generation auch Auskunft von Paul Peucker, Bethlehem,USA, 23.10.2007, Unterlagen H. Richter.

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seine Personalien festgestellt. Beim 2. Mal ist er auch wieder in den Lesesaalder Botschaft und nach demVerlassen der Botschaft habe er sich der Kontrolledurch die Volkspolizei entziehen wollen, um zu sehen was losgeht. Dabei habeman ihn verfolgt und dann die Personalien festgestellt.“158 W"hrend die "ltereGeneration der Gemeindiener Herrschaftsmechanismen wie die Wahlen oderdie #berwachung als selbstverst"ndlich und „ordnungsgem"ß“ akzeptierten,gelang es dieser jungen Elite, sich mental von solchen Unterwerfungs-Ritenfrei zu halten. F!r sie warendie DDR-Wahlen eine Farce, und daher dachten siegar nicht daran, an ihnen teilzunehmen. Angesichts der !berw"ltigendenMehrheit in der DDR, die seit Jahrzehnten die Scheinwelt der Diktatur un-hinterfragt hinnahm, war eine solche Entwicklung bemerkenswert. Sie musswohl auch mit dem internationalen Horizont der jungen Menschen erkl"rtwerden.159

Nicht zuletzt diesen aufstrebenden neuen Gemeindienern war es zu ver-danken, dass – wie in den Landeskirchen – das Friedensengagement sich ausder Instrumentalisierung durch die DDR-Regierung befreite, teilweise einegewisse Resistenz signalisierte und zivilgesellschaftliche, staatsunabh"ngigeZ!ge erhielt. Auch hier generierten Lippenbekenntnisse eine Eigendynamik,nur diesmal zu Ungunsten des Staates: Junge Christen verweigerten denWehrdienst, zahlreiche Herrnhuter setzten sich massiv gegen die Wehrerzie-hung im Schulunterricht ein, einzelne Ortsgemeinen und einzelne Mitgliederorganisierten Protestbriefe und Beschwerden.160 Die Distriktssynode Herrn-hut 1985 betonte gar, „dass das Niederlegen von Waffen den Friedenswillendeutlicher bezeugt als dasWaffentragen“, auchwenn sowohl die Verweigerungdes Wehrdienstes als auch seine Ableistung gangbare Wege f!r Christenseien.161 Ein junger Herrnhuter, der sich total verweigerte und daf!r inhaftiertwurde, blieb die Ausnahme.162 In den St"dten formierte sich Protest. DerBerliner Pfarrer Rainer Eppelmann rief in seinem „Berliner Appell“ zu mehrFrieden und Freiheit auf, in Dresden fand ein Friedensforum statt, in Berlineine „Friedenswerkstatt“, der „Konziliare Prozess“ des %RK f!r Frieden, Ge-rechtigkeit undWahrung der Schçpfung stieß unter ostdeutschen Christen aufWiderhall.163 Es brodelte. Die Br!dergemeine engagierte sich in den Frie-

158 Bericht IMS „Klaus“, Dienststelle Lçbau, 17.2.1987, BV Drd. AIM 1732/91.159 Vgl. etwa Auskunft von Benigna Carstens, Kçnigsfeld, 30. 11.2007, Unterlagen H. Richter ;

M!ndlicher Bericht, Quelle: Bernd Schulze, 25.4. 1989, BStU BV Drd. KD Lçbau-18204.160 Vgl. Unterlagen UA DEBU 658; Empfehlung „Zeichenhafte Friedensdienste“ von Distrikts-

synode Herrnhut, Mai 1985, BA DO 4 / 1520; Interview mit Friedemann Hasting, ostdt. Ge-meinmitglied, Ebersdorf, 6.12. 2005, UA, S. 6.

161 Empfehlung „Zeichenhafte Friedensdienste“ der Distriktssynode Herrnhut, 5/1985, BA DO 4 /1520.

162 Interview mit Friedemann Hasting, ostdt. Gemeinmitglied, Ebersdorf, 6. 12.2005, UA; vgl. auchInformation, Ergebnis der durchgef!hrten Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Drucknichtgenehmigter Embleme, 24.2. 1982, BStU MfS HA XX/4, Nr. 3298.

163 Neubert, Geschichte der Opposition, S. 335–904; Pollack u. Rink, Zwischen Verweigerung undOpposition.

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densdekaden, die seit 1980 von den protestantischen Kirchen veranstaltetwurden: zehn Tage im November, die durch Aktionen und Gebete an denFrieden mahnten.

Brisant wurde das Engagement f!r die Gemeine, als die Kirchen in derD!rninger Textildruckerei Materialien f!r die Friedensdekaden drucken lie-ßen. Da alle Druckerzeugnisse auf Papier der staatlichen Zensur unterlagenund einer Druckgenehmigung bedurften, druckten manche Landeskirchenihre Friedensbotschaft auf Textilien und verteilten sie beispielsweise als Auf-n"her. F!r die Friedensdekade 1981 w"hlten die Kirchen ein sowjetischesGeschenk an die UNO als Motiv : die Skulptur eines st"hlernen, nacktenMannes in sowjetisch-realistischer Pose, der ein Schwert zu einer Pflugscharumarbeitet. Das Motiv stammte aus dem Alten Testament und die Kirchenwiesen dezent mit der Angabe der Bibelstelle, „Micha 4“, darauf hin: „Siewerden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen”(Micha 4,3). 110 000 St!ck hatten die Kirchen in Auftrag gegeben. Als sichzahlreiche alternativ orientierte Jugendliche den dynamischen Sowjetmannmit Bibelspruch an die Kleider hefteten, schrillten im SED-Staat die Alarm-glocken. Solche Aktionen durften nicht außerhalb der staatlichen Aufsichtstattfinden. Die Br!dergemeine stand zu ihrer eigenen #berraschung mit-tendrin. Da der Aufn"her zuvor schon in Karl-Marx-Stadt zum Einsatz ge-kommen war, ohne f!r Aufregung gesorgt zu haben, hatte niemand mit dem&rger rechnen kçnnen. Polizei und Lehrer verlangten von Jugendlichenlandauf, landab, die Aufn"her zu entfernen, Sch!ler wurden vor Parteisekre-t"re gef!hrt und abgemahnt.164 Am 23. M"rz 1982, als die Sicherheitsorganeauf die Produktionsst"tte des Emblems aufmerksam geworden war, rief dieBezirksverwaltung am fr!hen Morgen in Herrnhut an und zitierte f!r denMittag Bischof Gill und den Direktionsvorsitzenden M!ller nach Dresden,w"hrend getrennt davon, der Gesch"ftsf!hrer der D!rninger-Stiftung nachLçbau zum Rat des Kreises bestellt wurde.165 M!ller und Gill erkl"rten in der„Aussprache” ihr Verst"ndnis f!r den staatlichen Standpunkt, und der Ge-sch"ftsf!hrer der D!rninger-Stiftung zeigte sich in Lçbau „sehr best!rzt”.166

Die Kreisoberen fuhren daraufhin nach Herrnhut und konfiszierten beiD!rninger die Klischees des Friedenszeichens. Sie nutzten die Gelegenheit

164 Interview mit Friedemann Hasting, ostdt. Gemeinmitglied, Ebersdorf, 6. 12.2005, S. 17, UA;Information, Ergebnis der durchgef!hrten Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Drucknichtgenehmigter Embleme, 24. 3.1982, BStU MfS HA XX/4, Nr. 3298; vgl. dazu auch BStU MfSHA XX/4, Nr. 3470, Information, 27.11. 1981; vgl. Silomon, „Schwerter zu Pflugscharen“.

165 Aktennotiz von Ch.M!ller, 23.3. 1982, UADEBU83; Aktennotiz von Ch.M!ller, 23.3. 1982, EZA101/286; vgl. auch Bericht IMS ,Klaus’ vom 14. 9.1982, Abteilung XX/4, Dresden, 1. 10.1982,BStU BVDresden KD Lçbau 18066; Zur persçnlichen Information, MfS, Drd., 10.12.1981, AKGPI XIV/81.

166 Information, Ergebnis der durchgef!hrten Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Drucknichtgenehmigter Embleme, 24.3. 1982, BStU MfS HA XX/4, Nr. 3298.

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und !berpr!ften sogleich die anstehenden Druckauftr"ge.167 Der Staat verziehden Br!dern schnell die Produktion der Aufn"her. Er wollte die Freikirchenicht unnçtig ver"rgern. Als Andreas Tasche 1985 erneut negativ auffiel, weiler am Ende des Gottesdienstes Empfehlungen gegen die Wehrpflicht verteilteund der Nieskyer MfS-Oberstleutnant daraufhin Maßnahmen gegen dieBr!dergemeine empfahl, erhielt seine Kreisstelle die Anweisung, „gegen!berBr!der-Unit"t etwas toleranter” zu sein als gegen!ber der „normalen evan-gelischenKirche“, denn: „Da gehen andere kirchlicheKreise noch ganz andersvor“.168

Die meisten Friedenskreise lehnten f!r sich ein eigenes politisches Enga-gement ausdr!cklich ab.169 Dennoch waren sie f!r die Machthaber eine„Sammlung der verschiedenartigsten feindlich-negativen Kr"fte“, wie ErichMielke sich ausdr!ckte.170 Es war bemerkenswert, dass im Gegensatz zu„Frieden“ die „Freiheit“ auf der Agenda der Friedensaktivisten in der Regelnicht auftauchte. Eine grunds"tzliche Kritik am SED-Staat blieb aus, und eineLobby f!r die Freiheit hatte in Deutschland traditionell wenig N"hrboden. Biszum Sommer 1989 nannten die Kirchen in ihren Verlautbarungen das all-t"gliche Unrecht nicht beim Namen. Auch als Michail Gorbatschow seit sei-nem Amtsantritt 1985 mit Glasnost und Perestroika eine neue Zeit einl"utete,konnte das nichts an der grunds"tzlich staatstreuen Haltung der Kirchen undFriedensgruppen "ndern.171 Pollack res!mierte, die Friedensbewegung seistark modernit"tskritisch und antiwestlich gepr"gt gewesen. Ihr habe „einallgemeines Gef!hl des Unbehagens an der Moderne, an Leistung, Rationa-lit"t“ zugrunde gelegen.172 Auch in der Br!dergemeine stellte man das SystemDDR nicht in Frage. Der Herrnhuter Christian Garve, Leiter der „Emmaus“-Anstalten in Niesky und im Konziliaren Prozess engagiert, schrieb 1988, wiesehr er es bedauere, f!r seinen Friedenseinsatz vom Staat kritisiert zu werden.Das geschehe „in vollkommener Verkennung der Ziele der %kumenischenVersammlung“ und beschwçre die „schon l"ngst !berwunden geglaubteKonfrontation zwischen Staat und Kirche neu herauf“. Es sei bedauerlich,wenn die „verantwortungsvolle Mitarbeit vieler Christen unseres Landes alsvon außen gesteuerte Provokation diffamiert wird. Dass die Vollversammlung[des Konziliaren Prozesses] auch von DDR-Verdrossenen missbraucht wurde,

167 Aktennotiz von Ch. M!ller, 23.3. 1982 u. Aktennotiz von M!ller !ber Gespr"ch beim RdKLçbau, 23.3.82, EZA 101/286; Information, Ergebnis der durchgef!hrten Maßnahmen im Zu-sammenhang mit dem Druck nichtgenehmigter Embleme, 24. 3.1982, BStU MfS HA XX/4,Nr. 3298; vgl. auch Gill, Br!dergemeine im Sozialismus, S. 77; vgl. auch Th. Gill an Prediger derBr!dergemeine, 30.3. 1982, UA DEBU 53.

168 Handschriftlicher Vermerk auf Brief von Oberstleutnant Liebsch, MfS-Kreisstelle Niesky, anGeneralmajor Bçhm, Bezirksverwaltung f!r Staatssicherheit, 8.8. 1985, BStUMfS HA XX/4 926.

169 Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 304.170 Rede E. Mielke, 19.2. 1982, Besier u. Wolf, „Pfarrer, Christen und Katholiken“, S. 328.171 Pollack, Von der Mehrheits- zur Minderheitskirche, S. 76 f.172 Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 304; vgl. dazu auch Pollack, Politischer

Protest.

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steht ja auf einem anderen Blatt“.173 Im christlichen, staatsloyalen CDU-Mi-lieu, zu dem viele Herrnhuter gehçrten, blickte man skeptisch auf MichailGorbatschows Reformtempo.174 Auch in der Berliner Gemeine, in der sich f!rbr!derische Verh"ltnisse viel politisches Engagement regte, hieß es noch imAugust 1989 im Rundbrief des Gemeinhelfers: „Die letzten 40 Jahre waren einVersuch. Wir alle haben mehr oder weniger mitgemacht […] Es war derlegitime Versuch, nach der Nazizeit und dem Krieg eine bessere Alternative inDeutschland aufzubauen […] Wir glaubten, dass mit dem Sozialismus dieHerrschaft des Geldes, genauer : des Profits, abgeschafft w!rde. Wir dachten,dass eine vollkommene Neuordnung der Eigentumsverh"ltnisse an Produk-tionsmitteln mehr Gerechtigkeit und gleichzeitig Chancengleichheit f!r jedenbr"chte […] Wir dachten, durch den Mauerbau w!rden die Einfl!sse einge-d"mmt, die den Aufbau der neuen Welt stçren und beeintr"chtigen kçnnten.[…] Und nun zerf"llt alles in gegeneinander widerstrebende und auseinan-derklaffende Kr"fte. Es gibt kaum noch Gemeinsamkeit.“175

Wie die Mehrheit in der Gesellschaft verfolgten die meisten Gemeinhelferund Gemeinmitglieder die zunehmenden Proteste aus der Distanz und dieKritik an der Obrigkeit mit großen Bedenken.176 Die Menschen verließen zuZehntausenden das Land, darunter auch sechzig Herrnhuter ; Gemeinmit-glieder brachten in der Regel kein Verst"ndnis f!r die Fliehenden auf. DieOrdnung war gestçrt, und vielen Herrnhutern erschien das alles irgendwie„unheimlich“.177 Im Januar 1989meldete der Rat desKreises nachDresden, diekirchlichen „Leitungen und die Mehrheit der Amtstr"ger“ bem!hten sich umein gutes Verh"ltnis zum Staat, was jedoch „das Auftreten einzelner negativerKr"fte und Aktivit"ten in den Kirchen“ nicht ausschließe; immer noch„spielen die Probleme ,Krieg und Frieden, %kologie und Umweltschutz,Umweltlehre und Christen in der sozialistischen Umwelt’ eine dominierendeRolle“.178 Herrnhut gehçrte nicht zu den „negativen Kr"ften“. Es blieb in

173 Ch. Garve an Ch. Ziemer, 01. 02.1988, EZA 117/100.174 Informationsbericht von CDU-KV Berlin Mitte, 10.10.1988, ACDP III-050-017/2.175 Gruß der Br!dergemeine Berlin II von H. und H. K!chler, August 1989, UA EFUD 746.176 Interview mit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 39, Unterlagen H. Richter ;

Major Gnauck, Leiter MfS Lçbau, an Bezirksverwaltung f!r Staatssicherheit, GeneralmajorBçhm, 21.1. 1988, BStU BV Drd. KD Lçbau 18066; Jahresbericht Ebersdorf 1989, GemeinarchivEbersdorf, Jahresberichte 1973–1990; Interview mit Ehepaar E., ostdt. Gemeinmitglieder, 5. 12.2005, S. 38,UnterlagenH. Richter ; Protokoll Sonderkonferenz derGemeindiener(innen), 14./15.11.1989, UA DEBU 1373; vgl. zu den protestantischen Kirchen Kr!ger, Das strukturelle R"tsel„DDR“, S. 275 f., zur Br!dergemeine auch die folgenden Ausf!hrungen.

177 Interview mit Ehepaar E., ostdt. Gemeinmitglieder, 5. 12.2005, S. 38, Unterlagen H. Richter ;Protokoll !ber Sondertagung der Gemeindiener, 15.11.1989, UADEBU 1373; vgl. auchWentker,&ußerer Prestigegewinn, S. 1006. Der Br!derbote zitierte zumThemader Ausreise eine Pastorinaus der DDR, „bitte nennen Sie die Umsiedler aus der DDR nicht Fl!chtlinge, denn ihr Lebenbedroht niemandund keiner verhungert hier“, in: „Sie fliehenvor ihrer eigenenBiographie“, in:Br!derbote, M"rz 1990.

178 Einsch"tzung zur kirchenpolitischen Lage von Stellv. des Vorsitzenden, RdK Lçbau, an RdBDrd., 11.1. 1989, HStA Drd. 11430, Nr. 11057.

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Deckung. Noch im April 1989, als der neue Staatssekret"r f!r KirchenfragenKurt Lçffler den Antrittsbesuch in Herrnhut absolvierte, schien alles in besterOrdnung. Das Gespr"ch verlief nach Lçfflers Auskunft „durchweg in eineraufgeschlossenen, herzlichen und offenen Atmosph"re“. Der Direktionsvor-sitzende Christian M!ller dankte „der Regierung der DDR f!r die vielf"ltigeUnterst!tzung“: Nach jahrzehntelangen K"mpfen, die "lter als die Arbeiter-republik waren, zeigten sich die Staatsfunktion"re bereit, D!rninger einenSteuersatz zu gew"hren, der dem Betrieb das #berleben ermçglichte.179 Aufder Distriktssynode im Juni 1989, der letzten staatlich !berwachten, forderteneinige Herrnhuterinnen und Herrnhuter, politische Eingaben zu organisierenund Kommissionen einzurichten, die Menschenrechtsverletzungen in derDDR untersuchen sollten. Die Synode lehnte dergleichen ab.180 ChristianWeber erkl"rte im November 1989 die Forderungen der Demonstranten nachfreien Wahlen und ihren Protest gegen den F!hrungsanspruch der SED f!r„!berhitzt“.181 Aus demWesten kam keine Ermutigung: Auf der Silvesterr!stein Ost-Berlin 1989/1990 bef!rchteten die West-Teilnehmer, „dass der Westendie wirtschaftliche Not des Ostens ausnutzen wird, um mit rein kapitalisti-schem Interesse an der DDR zu profitieren.“182

Es gabGemeinmitglieder, die sich f!r die friedliche Revolution engagierten,doch sie blieben die Ausnahme.183 Als sich das Jahr 1989 zu Ende neigte, pr"gteimmerhin ein neuer Ton die Kommunikation der Direktion gegen!berstaatlichen Stellen: Statt der alten Dankbarkeits-Diktion herrschte nun einfordernder, fast herrischer Stil vor.184 In die l"ndlichen Ortsgemeinen drangdie Umbruchstimmung erst sehr sp"t. Dann aber ergriff die Unit"t die Ver-antwortung. Am 11. Oktober lud die Direktion in Herrnhut zu einem Infor-mationsabend ein, an dem „120 Gl"ubige“ im Alter von zwanzig bis sechzigteilnahmen, wie die Stasi meldete. Der Direktionsvorsitzende M!ller kriti-sierte „die st"ndigen Bevormundungen durch die DDR-Organe gegen!ber denB!rgern, die st"ndigenVorschriften in allen Lebensfragen, die Unterdr!ckungder offenen Meinungs"ußerung“ und die „unseriçse Berichterstattung“. Wiedie Landeskirchen beklagte sich M!ller nun auch !ber den Staatssekret"r f!rKirchenfragen Lçffler, dem es an Glaubw!rdigkeit ebenso fehle wie an Ni-veau.185 Einen Monat sp"ter organisierte die kommunale Behçrde eine Dis-

179 Information vonK. Lçffler, Staatssekret"r f!r Kirchenfragen, 10.4. 1989, SAPMO-BADY 30 IV B2/14/44.

180 Bericht Kreisdienststelle Lçbau, 22.6.1989, BStU MfS. BV Drd. KD Lçbau 18066.181 Protokoll !ber Sondertagung der Gemeindiener, 15. 11.1989, UA DEBU 1373.182 „Ohne Mauer noch mehr Power!“, in: Der Br!derbote 3/1990.183 Rundbrief von Diakonissenanstalt „Emmaus“ von Oberin Schw. Rosemarie, Januar 1990, UA

DEBU 589; Beitr"ge in Br!derbote 5/1990.184 Unterlagen in BA DO 4 / 4814 u. UA DEBU 77 u. 84.185 Bericht !ber Reaktion der EBU Herrnhut zur gegenw"rtigen Lage, Dienststelle Lçbau, Infor-

mation durch IMS „Klaus“, 24.10.1989, BStU BV Drd. KD Lçbau 18066; Protokoll Sonder-konferenz der Gemeindiener(innen), 14./15.11.1989, UADEBU 1373; vgl. auch die Berichte vonA. Tasche im Br!derboten 5/1990.

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kussionsrunde. Als der Rathaussaal die andr"ngenden Menschen nicht fassenkonnte, wollten die çrtlichen Vertreter nicht auf das Angebot der Br!derge-meine eingehen und den Kirchensaal nutzen. Also liefen die 200 anwesendenHerrnhuterinnen und Herrnhuter mit ihren St!hlen in der Hand durch dieStadt zum großen Feuerwehrsaal.186 Auch in den anderen ostdeutschenOrtsgemeinen fanden Informationstreffen statt. In Gnadau lud die Br!der-gemeine am 6. November privat zu „Gebet und Information“. Ein Drittel derEinwohnerschaft kam in den eiskalten Kirchensaal. Die Gemeine informierte!ber das „Neue Forum“, !ber „Demokratie jetzt“ und den „DemokratischenAufbruch“. Der B!rgermeister wurde hinter den Liturgietisch gesetzt undmusste den B!rgern Rede und Antwort stehen.187 Der Abend schloss, wie erbegann, mit einem Gebet und einem Lied.188 In Niesky bat der B!rgermeisterselbst die %ffentlichkeit zu einem Gespr"ch. Da der Raum im Rathaus f!r die150 Besucher nicht ausreichte, gingen auch die Nieskyer in den br!derischenKirchensaal.189 In Ost-Berlin befand sich die Gemeinemit ihren akademischenMitgliedern und diversen Lese- und Diskussionsgruppen n"her am Puls desGeschehens. Der Gemeinhelfer Heinz K!chler engagierte sich politisch in derB!rgerbewegung „Demokratie jetzt“. Im Saal der Berliner Gemeine im Diet-rich-Bonhoeffer-Haus tagte ab dem 7. Dezember der „Zentrale Runde Tisch“unter dem Herrnhuter Adventsstern, bis der Raum nach drei Sitzungen zuklein wurde. Am Tisch saßen parit"tisch oppositionelle und alte Kr"fte derMassenorganisationen und verhandelten !ber eine Neuordnung der DDR.190

Als dann am 9. November die Mauer fiel, war die Freude auch in der zu-r!ckhaltenden Br!dergemeine groß, in Ost wie in West.191

Die Moravian Community weltweit freute sich mit. In den achtziger Jahrenwaren viele Mitglieder aus den USA, aber auch aus anderen Provinzen in dieDDR gereist. Das Archiv hatte immer wieder Besucher und Wissenschaftleraus der Unit"t teilweise zu mehrmonatigen Aufenthalten angezogen.192 DieDDR war f!r sie kein ferner Stern.193 Ein Morave aus England schrieb an

186 Protokoll Sonderkonferenz der Gemeindiener(innen), 14./15.11.1989, UA DEBU 1373; Inter-view mit R. Fischer, B!rgermeister in Herrnhut ab 1990, Herrnhut, 7. 7. 2006, S. 12, UnterlagenH. Richter.

187 Protokoll Sonderkonferenz der Gemeindiener(innen), 14./15.11. 1989, UA DEBU 1373.188 Protokoll Sonderkonferenz der Gemeindiener(innen), 14./15.11. 1989, UA DEBU 1373.189 Protokoll Sonderkonferenz der Gemeindiener(innen), 14./15.11. 1989, UA DEBU 1373.190 Aktenordner 5, Gemeinarchiv Berlin II; Auskunft von Heidrun K!chler, Dresden, 12.7. 2007,

UnterlagenH. Richter ; Information, 7. 10.1989, wohl RdBDrd., SAPMO-BADY 30 IV B 2/14/71.„’Runder Tisch’ unter dem Herrnhuter Adventsstern“, in: Der Br!derbote, 3/1990; vgl. zumRunden Tisch Maier, S. 274–296.

191 Vgl. die Beitr"ge im Br!derboten 3 u. 5/1990.192 Vgl. Unterlagen UA DEBU 150; Ch. M!ller an Staatssekret"r K. Lçffler, 30.10.1989, BA DO 4 /

1712; G. Will, Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, an Reiseb!ro der DDR, 17.6.1987 u. weitereUnterlagen in BA DO 4 / 4814; Interview mit Prof. Kohls, Bethlehem, USA, 23.5. 2005, Unter-lagen H. Richter ; vgl. zu den Reisemçglichkeiten in den achtziger Jahren Ostermann, BonnsSchatten, S. 162.

193 Vgl. dazu Hamilton, Ferne Sterne.

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ChristianM!ller nach demFall derMauer : „I have just beenwatching the earlymorning news on television with pictures showing what has been happeningin Berlin […] You have been often in our thoughts and prayers during recentweeks and we continue to pray that the promise of these days may find ful-filment.We are thankful that our own fellowship asMoravians has been able tocontinue throughout the years of political division”.194

Doch wie in der ganzen DDR-Gesellschaft gab es auch in der Br!derge-meine eine verst"ndliche Fremdheit gegen!ber der Bundesrepublik und tiefsitzende Ressentiments gegen!ber Werten wie Freiheit oder Pluralit"t. Einef!hrende Mitarbeiterin meinte r!ckblickend, die Jugend sei zwar in der FDJorganisiert gewesen, aber es habe „weniger Versuchungen“ gegeben.195 DasBild vom Westen entsprach vielmals dem sozialistischen Klischee; West-deutschland wurde mit Kriminalit"t, Unbarmherzigkeit, Gier und Drogenidentifiziert.196 Dagegen erschien die DDR in mildem Licht. Die kirchlicheHilfe aus dem Westen, die Pakete – alles habe nur dazu gedient, „die DDRkaputt“ und „die Menschen unzufrieden zu machen“, meinte ein treues Kir-chenmitglied.197 Der Sozialismus wurde von manchen Herrnhutern rehabili-tiert: Irgendwie sei die Idee gut gewesen, auch wenn man sie falsch umgesetzthabe. In der DDR habe es freilich manche Probleme gegeben – ganz so wie inder BRD.198 Wie !berall f!hrte die Wiedervereinigung, die der DistriktHerrnhut und der Distrikt Bad Boll 1991 vollzogen, zu Problemen, Kr"n-kungen, Verletzungen, wobei die Direktion parit"tisch auf Herrnhut, Bad Bollund das niederl"ndische Zeist aufgeteilt wurde.199 F!r die Herrnhuter galt, wasdie Forschung insgesamt f!r die evangelischen Christen festgestellt hat: ImGegensatz zu den Katholiken, die sich weitgehend in einem Ghetto eingeigelthatten, fiel den Protestanten der Abschied von der DDR und die Akzeptanzeiner westlichen Demokratie recht schwer ; sie hatten zu viel in das alte Systeminvestiert, und auch ihr „unausgesçhntes Arrangement“ (Pollack) hatte einGef!hl der Heimat geschaffen.200

Dezidiert anders als die unzufriedene Basis beurteilte die br!derischeF!hrungsschicht – neben Mitgliedern wie Schiewe oder Gill auch die jungen,unabh"ngigen Herrnhuter – die friedliche Revolution: „[D]das war wirklichdas grçßteWunder, das ich bisher erlebt habe“, erkl"rte etwa der Sohn Bischof

194 F. Linyard an Ch. M!ller, 10.11.1989, UA DEBU 320.195 Interview mit Clementine Weiss, ostdt. Gemeindienerin, Ebersdorf, 6. u. 9. 12.2005, S. 8, Un-

terlagen H. Richter.196 Protokoll der Gemeindienerkonferenz vom 14.–18.5.1990, UA DEBU 1373; Ausk!nfte in In-

terviews und Briefwechseln, Unterlagen H. Richter ; „Das Geld – die treibende Kraft“, in: DerBr!derbote, 5/1990.

197 Interview mit Ehepaar E., ostdt. Gemeinmitglieder, 5.12.2005, S. 39, Unterlagen H. Richter.198 Interviewmit Ehepaar X., ostdt. Gemeinhelferpaar, 28.8. 2007, S. 29–31, UnterlagenH. Richter ;

Interview mit Erdmute Frank, ostdt. Gemeinmitglied, Bethlehem, USA, 3.5. 2005, S. 14, Un-terlagen H. Richter.

199 Vgl. zur Vereinigung UA DEBU 74.200 Pollack, S"kularisierung, S. 261.

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Hastings, Friedemann Hasting, der 1989 noch als Bausoldat gedient hatte, „esgibt !berhaupt nichts, wonach ich mich zur!ck sehne.“201 David Gill gehçrtezu den B!rgern, die den Stasi-Hauptsitz in der Normannenstraße in Berlinbesetzten und die „Gauck-Behçrde“ f!r die Aufarbeitung der MfS-Unterlagenaufbauten.202 Die Direktion hatte noch in der Wendezeit versucht, mit Aus-z!gen aus Predigten Theodor Gills, die sie an die Gemeinen schickten, denMitgliedern Demokratie zu erkl"ren. „Wir alle werden erst lernenm!ssen, wieman das macht“, hieß es etwa in einer Predigt, „offen reden, Gegens"tzeaustragen und dabei gegenseitig Achtung bewahren. Hoffentlich lernen wir esund warten nicht darauf, dass man uns die Demokratie von oben beschert.“203

Gill, der zwar 1989 aus dem Direktorium ausgeschieden war, jedoch als Bi-schof weiterhin Autorit"t genoss, sah eines der Hauptprobleme in der Schi-zophrenie, die das System den Menschen eingeflçßt habe; er warnte vor einerneuen „Heuchelei“: „Ich hab doch schon immer meine Meinung gesagt, odergar : ichwar doch schon immer dagegen.Wogegen denn konkret? Undwo hastdu dieMeinung gesagt?“ Einweiteres Problem der DDR-Gesellschaft erkannteer in der Angst: „Es ist hçchste Zeit, dass auch hier!ber çffentlich geredetwird. […] weil man selbst eingespannt wurde in das System der gegenseitigenKontrolle aller gegen alle.“204

Zu den Gemeinmitgliedern, die verstehen konnten, was die Transformationin eine Demokratie bedeutete, z"hlte der Gemeinhelfer Helmut Schiewe. Ererkl"rte gegen!ber seinenKollegen imHerbst 1989, er „empfindet Scham !berdie mangelnden eigenen Aktivit"ten“ und die Zur!ckhaltung der Unit"tw"hrend der friedlichen Revolution; die passive Haltung der Br!dergemeinew"hrend der DDR-Zeit sei ein Vers"umnis gewesen.205 Er gehçrte zu jenen, dieRechtsstaat und Demokratie nach NS- und SED-Diktatur als ein !berw"lti-gendes Geschenk empfanden.206 „Es ist kaum in Worte zu fassen“, schrieb ersp"ter, „mit welchen Gef!hlen ich zur ersten freienWahl ging, die am 18. M"rz1990 stattfand.“207 Als nach der Wiedervereinigung auch unter den Mitglie-dern der Br!dergemeine in den neuen Bundesl"ndern die Klagen laut und diealten Zeiten sehns!chtig beschworen wurden, erkl"rte Gill 1994, er sei „be-sonders dankbar f!r das ruhmlose, schnelle Ende der DDR. Alle M"ngel desbundesdeutschen Rechts […] erscheinen mir gering gegen!ber der prinzi-

201 Interview mit Friedemann Hasting, ostdt. Gemeinmitglied, Ebersdorf, 6.12.2005, S. 15, Un-terlagen H. Richter ; Unterlagen UA EFUD 369, 670 u. 746; Meyer, Zinzendorf und die Herrn-huter Br!dergemeine, S. 156.

202 „Ein Geheimdienst wird aufgelçst“, in: Der Br!derbote 5/1990.203 Auszug aus PredigtenvonBr. Th. Gill, 15.10.1989,UADEBU58; GemeindebriefNovember 1989,

Br!dergemeine Forst, UA EFUD 746.204 Ausz!ge aus Predigten von Th. Gill, Herbst 1989, UA DEBU 58.205 Protokoll Sonderkonferenz der Gemeindiener(innen), 14./15.11. 1989, UA DEBU 1373.206 Interviewmit EhepaarHelmut undGudrun Schiewe, ostdt. Gemeinhelferpaar, Niesky, 2. 2. 2006,

Unterlagen H. Richter.207 Lebenserinnerungen H. Schiewe, S. 4.

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piellen Rechtsunsicherheit, in der wir uns befanden. […] Wir waren nahbeieinander, aber es war auch eng. Es wurde hçchste Zeit, dass die Stangen desK"figs, rostig wie sie waren, zerbrachen.“208 Hickel mahnte sp"ter ebenfalls,angesichts der Probleme nicht die Dankbarkeit f!r den gewaltlosen Umbruchund die Wiedervereinigung zu vergessen.209

Die leitenden Mitarbeiter der Unit"t nahmen die gewonnene Eigenverant-wortung wahr. Andreas Tasche schlug vor, den neuen Reichtum f!r mehrEntwicklungshilfe zu nutzen. „Trotz unserer Armut hier gehçren wir doch zuden Reichen“, erkl"rten andere Mitarbeiter.210 Auf einer rasch einberufenenSitzung der Unit"ts-Mitarbeiter im November waren sich die Anwesendeneinig, dass „ein politisches Engagement der Gemeindiener in dieser Situationgeboten, ja sogar gefordert ist“. Der Blick ging in die Tschechoslowakei, nachTansania und nach Nicaragua – !berall suchten die Herrnhuter nach Aufga-ben.211 Die Unit"t nahm Anteil an den Untersuchungen !ber die Rechtsver-letzungen im DDR-Strafvollzug, da sie sich in den letzten Jahren verst"rkt umdie Gefangenenseelsorge gek!mmert hatte; sie forderte die Regierung Mod-row auf, sich bei der Tschechoslowakei f!r das Verhalten der DDR 1968 zuentschuldigen; sie engagierte sich in der %ffentlichkeit gegen Abtreibung,versuchte, die Diakonie neu zu positionieren, und imHerbst 1990 forderte dieDirektion den S"chsischen Landtag auf, gegen die neu aufflammende Dis-kriminierung von Juden in der Sowjetunion zu protestieren und sich f!r dieIntegration von Ausl"ndern in Sachsen einzusetzen. Traditionsbewusstdr"ngten leitende Herrnhuterinnen und Herrnhuter bereits im Fr!hjahr 1990darauf, br!derische Schulen zu erçffnen.212 Herrnhuter ließen sich zu denM"rzwahlen 1990 aufstellen und errangen Mandate in verschiedenen Kom-munal- und Landesparlamenten.213 In Herrnhut selbst gewann unter demunparteiischen Bruder Rainer Fischer eine „Unabh"ngige W"hlergemein-schaft Herrnhuter Liste“ haupts"chlich aus Br!dergemeinmitgliedern dieabsolute Mehrheit. Da die Kommune von Anfang an die Expertise ihrerwestdeutschen Partnergemeinde Bad Boll einholte, vermied sie die !blichenFehler, die ostdeutschen Kleinst"dten unterliefen und baute weder ein Ver-gn!gungsbad noch eine !berdimensionierte Kl"ranlage.

Die Leitungskr"fte der D!rninger-Stiftung und die Mitglieder der Direk-tion nutzten f!r die diakonischen und çkonomischen Einrichtungen ihre

208 Gill, Ost-West-Erfahrungen, S. 10.209 Hickel, Lebenserinnerungen, S. 80.210 Protokoll !ber Sondertagung der Gemeindiener, 15. 11.1989, UA DEBU 1373.211 Protokoll !ber Sondertagung der Gemeindiener, 15.11.1989, UA DEBU 1373; vgl. auch Aufruf

an Mitb!rgerinnen und Mitb!rger von Evang. Kirchengemeinden im Gebiet Forst/L., 15.11.1989, UA EFUD 746.

212 EBU an Landtag des Freistaates Sachsen, 12.11.1990, UA DEBU 84; Ch. M!ller an Minister-pr"sident H. Modrow, 28.11.1989, UA DEBU 77; Unterlagen in UA DEBU 59; Protokoll derGemeindienerkonferenz, 14.–18.5. 1990, UA DEBU 1373.

213 G. Frey an Familie, 14.5. 1990, Unterlagen G. Frey, Heidelberg.

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prominenten Beziehungen, von Ministerpr"sident Johannes Rau bis Bun-desminister Klaus Tçpfer. Finanzkr"ftige Westdeutsche spendeten f!r dieBr!dergemeine in Ostdeutschland.214 Da eine Tochter Hans Modrows geradeihre Doktorarbeit !ber die Herrnhuter Br!dergemeine abgeschlossen hatte,bat die Finanzdirektion auch die Nachfolgepartei der SED in einem Brief anden PDS-Bezirksvorstand Dresden, Hans Modrow, um Gelder f!r die Re-konstruktion Herrnhuts.215 Bundespr"sident Richard von Weizs"cker be-suchte Herrnhut ebenso wie der Pr"sident des BundesverfassungsgerichtsRoman Herzog und der neue S"chsische Ministerpr"sident Kurt Bieden-kopf.216

Das Engagement f!r die Gesellschaft, gleich, ob sie sozialistisch, national-sozialistisch oder kaisertreu war, blieb immer bestehen. In der DDR leistetedie Br!dergemeine viel auf diakonischem Gebiet, aber die Mitglieder zeigtenbis zuletzt in ihrerMehrheit kaum kritisches politisches Engagement. Doch sonah die Br!dergemeine oft den Herrschenden auch war, so gab es doch gra-vierende Unterschiede. In der Bundesrepublik war diese N"he zur Machtgrunds"tzlich verschieden zu der in der DDR: Im Sozialismus waren KirchenAusgegrenzte, und die Br!dergemeine konnte allenfalls mit der dritten undvierten Garde des SED-Regimes zusammenarbeiten. Mit der Wiedervereini-gung aber kehrte auch die Gemeine im Osten zur!ck zu altem Ansehen.

7.4 Wirklichkeitsproduktion IV:„Ideologisch problematisch: Freiheit, Frieden, Recht“.

Die m!hsame Produktion des Losungsbuchs im Sozialismus

In der zweiten H"lfte des 20. Jahrhunderts verwiesen die Herrnhuter und ihreFreunde bei der Suche nach einer Existenzberechtigung auch auf die„Herrnhuter Losungen“.217 Die Gemeine sah dieses weltweit verbreitete An-dachtsbuch, dessen Manuskript in der DDR hergestellt wurde und das dort

214 Unterlagen in UA DEBU 78 u. 538 u. UA EFUD 976.215 Finanzdirektion EBU an Dr. H. Modrow, PDS Bezirksvorstand, 11.4. 1991, UA DEBU 84; die

Doktorarbeit von Irina Modrow erschien 1994 unter dem Titel „Dienstgemeine des Herrn“.216 R. v. Weizs"cker an Chr. M!ller, EBU, 230.12. 1990, UA DEBU 78; K. Biedenkopf, Ministerpr"-

sident, an Br!der-Unit"t, 11.4. 1991 u. weiter Unterlagen in UA DEBU 84; Interview mit R.Fischer, B!rgermeister in Herrnhut ab 1990, Herrnhut, 7. 7. 2006, Unterlagen H. Richter.

217 O.Dibelius, Ratsvorsitzenderder EKiD, an J. Vogt, 20.6. 1957, EZA 4/347; H. Renkewitz anVisser’t Hooft vom 29.1.51,%RK-Archiv 42.0068; vgl. zur SinnsucheTh. Gill anW. G!nther, 10.7. 1959,Unterlagen Th. Gill; vgl. außerdem Briefwechsel DEBU mit H. Renkewitz, EFUD, 12/1948, UADEBU 29; Erstes Arbeitsergebnis der Aussch!sse f!r Gemeinfragen, Herrnhut, 1963, UA EFUD656; Direktion Herrnhut an Geschwister in Gemeinbereichen, 3/1964, UA EFUD 656; Memo-randum von %kumeneausschuss, Distriktssynode Bad Boll, 15.9. 1965, %RK-Archiv 42.4.029;vgl. zu den Losungen allgemein Vogt, Aktuelles Reden Gottes.

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j"hrlich in einer Auflage von 350 000 erscheinen konnte, "hnlich wie dieMission und die Diakonie als einen „Dienst“ an der Gesellschaft. InDeutschland war das Buch seit dem 19. Jahrhundert Bestandteil protestanti-scher Frçmmigkeitspraxis von unz"hligen Gl"ubigen in allen Gesellschafts-schichten: von Bismarck !ber Bonhoeffer bis hin zu Soldaten und Eisen-bahnfahrern.218 Ein Zensor in der DDR erkl"rte, die Lekt!re des Andachts-buches gehçre „zur t"glichen Gewohnheit fast aller praktizierenden Evange-lischen“.219 Bis heute zieht die Br!dergemeine drei Jahre im Voraus imVogtshof in Herrnhut aus einer silbernen Schale mit rund 1800 alttestamen-tarischen Bibelstellen f!r jeden Tag einen Losungsvers. Ein „Losungsbear-beiter“ sucht dazu je einen passenden Vers aus dem neuen Testament (denLehrtext) und einen entsprechenden Gebets- oder Liedtext (den dritten Text).Nur die alttestamentarische Losung ist also durch Los bestimmt. Dabei wardas Losungsbuch sowohl Bestandteil çffentlicher Liturgie in Gottesdienstenals auch privater Erbauung. Gl"ubige f!hlten sich durch das Losungswortdirekt von Gott angesprochen; in Krisen spendeten ihnen die BibelworteTrost. Herrnhuter berichten in ihren Lebensl"ufen von der großen persçnli-chen Bedeutung der Losungen.220 Die Losung als ein Orakel – wie es vielmalsinnerhalb und außerhalb der Gemeine von den Gl"ubigen praktiziert wurde –das wies die F!hrung der Unit"t stets zur!ck. Doch blieb immer die reizvolleSpannung bestehen zwischen der offiziellen Behauptung der Unit"t, mit derLosung nur Gottes Wort verbreiten zu wollen, und der Lospraxis, die eineInterpretation der Losungen als orakelnden Fingerzeig Gottes geradezu auf-dr"ngte.221

Seit der Barockzeit, seit 1731, erscheint das Losungsbuch j"hrlichmit einemausgelosten Spruch f!r jeden Tag. Das Ganze war eine der genialen IdeenZinzendorfs, der sich dabei wie so oft auf die milit"rische Tradition berief : Dieverschworene Gemeinschaft sollte sich t"glich mit einer neuen „Losung“ f!rden Glaubens-Kampf st"rken.222 Einer der Gr!ndungsv"ter Herrnhuts, derZimmermann Christan David, sah in den Losungen ein geistliches R!stzeug:„So suchenwir den Tag !ber gegen die Feinde als den Hochmut, Geiz,Wollust,Sicherheit, Faulheit, Tr"gheit und dergleichen regelm"ßig zu k"mpfen“.223 Mitder missionarischen Ausbreitung der Gemeine wandelten sich Tradition undFunktion. Bereits im 18. Jahrhundert erhielt das Losungsbuch neben dem

218 Dr. Siegel, Kanzlei der EKiD, an Quellverlag Stuttgart, 29.7. 1946 u. 14.3. 1947, EZA 2/153; S.Baudert an Herrnhut, 25.3. 1947, UA DEBU 29; E. Natho, ACK in der DDR, an DirektionHerrnhut, 13.1. 1987, BA DO 4/1712; Gr!nbaum, Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen,an J. Vogt, 27.12.1951, BA DO 4/2289; Jahresbericht Herrnhut, S. 7, UA DEBU 805.

219 Gutachten von G. Bambowsky !ber Losungen 1967, 28.3.1966, BA DR 1 / 2525.220 Jahresbericht Herrnhut 1954, S. 6; Lebenslauf E. Naschke, S. 1; Lebenslauf H. Hickel, S. 4; Le-

benslauf Gertrud Hasting, S. 5; Lebenslauf Hedi Baudert, S. 5; Lebenslauf Margarete Bayer, S. 5.221 Direktion der Evang. Br!der-Unit"t, LosungsMagazin, S. 17; Wallmann, Pietismus, S. 230.222 Beyreuther, Allhier beisammen, S. 208.223 Zitiert nach Geschichte und Verbreitung der Losungen, o.A., %RK-Archiv 42.0068.

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erbaulichen auch einen weltweit verbindenden Sinn.224 Um 1900 wurde dasAndachtsbuch in acht Sprachen !bersetzt. Die rasante Ausbreitung begannw"hrend des Ersten Weltkriegs, als die Losungen an die Soldaten verteiltwurden.225 Im ZweitenWeltkrieg stieg die Popularit"t des Buches weiter durchseinen Einsatz im Feld. Es fand sich aber nicht nur in den Tornistern derWehrmacht, sondern auch bei vielen KZ-Insassen. 1944 hatten die Losungeneine Auflage von 539 480 Exemplaren in 26 Sprachen.226

Die wiedererwachte Religiosit"t nach 1945 st"rkte die Nachfrage nach demLosungsbuch. Heinz Renkewitz begr!ndete in Genf seine Bitten um Unter-st!tzung der Losungen mit dem çkumenischen Charakter des Buches, aberauch mit seiner erzieherischen Bedeutung: „Die Losungen haben zumkirchlichen Wiederaufbau beitragen kçnnen. Denn sie sind das einfachsteMittel zur Abhaltung einer Hausandacht“.227 1946 erschienen allein f!rDeutschland in sechs verschiedenen Auflagen 720 000 Exemplare, davon145 000 in der Ostzone. 1947 verlegte die Gemeine eine Auflage von rund1 100 000 (320 000 davon in der SBZ), ebenso 1948. Zus"tzlich dazu gab es eineKriegsgefangenen-Auflage von 205 000.228 H"ufig kamen Anfragen andererVerlage, die Losungen f!r Kalender und &hnliches nutzen zu d!rfen, undimmer wieder klagte die Unit"t !ber Raubdrucke des Losungsbuchs.229 Be-grenzt wurden die Auflagen, die inmitten der Katastrophenzeit bemerkens-wert waren, nicht durch die Nachfrage, sondern durch Mangel an Papier.230

224 Mettele, Wanderer zwischen denWelten, S. 111;Mettele, „Imagined Community“, S. 56 f. u. 62 f.225 Meyer, Zinzendorfs Gegenwartsbedeutung, S. 272.226 W"hrend der NS-Zeit nutzte angeblich Sven Hedin seine guten Kontakte zur NS-Elite, um den

Druck der Losungen zu ermçglichen; um den Papierbedarf im Kriegsdeutschland zu decken,schenkten die schwedischen Herrnhutern der deutschen Gemeine f!r 1943, 1944 und 1946 30Tonnen Papier. Minutes of the Unity Conference, 25.6. 1948, Bad Boll, S. 2, MAB 101H;Meyer,Zinzendorf und die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 127; Direktion der Evang. Br!der-Unit"t,LosungsMagazin, S. 9; Geschichte und Verbreitung der Losungen, o.A.,%RK-Archiv 42.0068; F.P. Stocker an J. K. Pfohl, 29.7. 1947,MAB104FI, Bishop J. K. Pfohl; LebenslaufK. Schmidt, S. 3; S.H. Gapp an W. Meyer, 31.12.1943, MAB 103CI, Prisoners of War.

227 H. Renkewitz an Weltrat der Kirchen, 17.9. 1948, %RK-Archiv 42.0068.228 Distriktssynode Ost, 1947, Gesamtbericht der Unit"ts-Direktion, S. 11, MAB 103HI, Baudert;

Losungsauflage, o.A., %RK-Archiv 42.0068; Translation of Letter from S. Baudert, 7. 1. 1948,MAB 113EII, GermanyWestern District 1946–50; Travel Letters von F. P. Stocker, 2.7. 1948, S. 5,MAB 104GI, Amsterdam+Europe Stocker ; Report on Rehabilitation and plans for the futurevon S. Baudert, 9. 6. 1948, MAB 101H; vgl. zu den Nachkriegsausgaben auch Reichel, Losungen.In vielen Briefen ist von kleineren Auflagen die Rede; es handelt sich dabei um die Einzelauf-lagen f!r die Zonen oder verschiedenen L"nder (Unterlagen %RK-Archiv 42.0006). Wenn vonallen deutschsprachigen Losungen die Rede ist, spricht man von einer Million oder mehr,Direktion an Vizepr"sident Fischer, Landesverwaltung Sachsen, 25.10.1945, UA DEBU 81; H.Renkewitz an Weltrat der Kirchen, Genf, 17.9. 1948, %RK-Archiv 42.0068; S. Baudert an K. G.Hamilton, 18.8. 1948, MAB 113EII, Germany Western District 1946–50.

229 7. Arbeitsbericht, 7.–13.2. 1946, 15. Arbeitsbericht. 6.–10.4. 1946 u. 23. Sitzung 14.6. 1946, UADEBU 1; S. Baudert an J. Vogt, 26.6.1946, UA DEBU 28.

230 S. Baudert an Hilfswerk, Stadtpfarrer Berg, 4. 4. 1946, %RK-Archiv 42.0006; Rundschreiben derDirektion Herrnhut an Prediger etc., 20. 6.1946, UA DEBU 49; J. Vogt an Tillmann, Hilfswerk,

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Doch w"hrend im Westen bereits 1949 der Losungsmarkt ges"ttigt war undviele Exemplare unverkauft blieben, Bad Boll 1970 erneut einen R!ckgang derLosungsnachfragemeldete, konnte imOsten die Nachfrage nie gestillt werden,obwohl es seit Anfang der f!nfziger Jahre in einer Auflage von j"hrlich 350 000St!ck erscheinen konnte.231 Damit gehçrt das Andachtsbuch zu den heimli-chen Bestsellern des Arbeiter- und Bauernstaates.232

Herrnhut und Bad Boll organisierten das Papier in der Nachkriegszeit mitHilfe der Br!dergemeine in denUSA, der Schweiz und Schweden sowiemit derHilfe Genfs, des Hilfswerks und Persçnlichkeiten wie des Politikers EugenGerstenmeier.233 Das Geld etwa f!r das Losungspapier 1948 kam grçßtenteilsaus den USA und das Papier aus Schweden.234 Ohne das Netzwerk der inter-nationalen Unitas Fratrum w"re das Andachtsbuch nicht mçglich gewesen,aber auch nicht ohne die zahlreichen Spender und Losungsfreunde andererKirchen. Franzçsische Feldgeistliche, Offiziere aus den USA engagierten sichebenso f!r das Nachkriegs-Losungsbuch wie die amerikanischen Baptistenund Presbyterianer.235 Von Anfang an standen auch die protestantischenLandeskirchen der Br!dergemeine zur Seite.236 Die Kriegsgefangenen-Aus-gaben bedurften wegen der Zensurstellen der Besatzungsm"chte besonderenorganisatorischen Geschicks. Ein deutsches Druckerzeugnis w"re in den Ge-fangenenlagern nicht erlaubt worden. So wurden die Kriegsgefangenen-Lo-sungen in der Schweiz, Frankreich und Großbritannien gedruckt.237

Die Kommunisten in der DDR nutzten bis zuletzt neben einer direktenZensur (die es freilich offiziell nicht gab) das Papierkontingent, um kirchliche

5.9.1946, UA DEBU 191; H. Meyer an G. Adami, Stockholm, 17.6. 1947, MAB 104FI, Meyer,Heinrich; F. P. Stocker an J. K. Pfohl, 16.4. 1948, MAB 104FI, Bishop J. K. Pfohl; S. Baudert an K.G. Hamilton, 18. 8.1948, MAB 113EII, Germany Western District 1946–50.

231 W. Baudert an H. Renkewitz, 14.6. 1949, UA DEBU 30; Bintz an E. Fçrster, 7. 9.1970, UA DEBU658; Gill, Losungsbuch im geteilten Deutschland, S. 1, Unterlagen Th. Gill, Herrnhut; Unterla-gen f!r „Losungen und Lehrtexte“ (wobei f!r Sonderdrucke extra Antr"ge gestellt werdenmussten) in BA DR 1/2501a-2576.

232 Richter, Losungen.233 Unterlagen %RK-Archiv 42.0006 u. 42.0068; Unterlagen UA DEBU 1408; C. H. Shawe an S.

Baudert, 27.12.1945, UADEBU 289; F. P. Stocker an J. K. Pfohl, 29.7.1947, MAB 104FI, Bishop J.K. Pfohl; H. Meyer an G. Adami, Stockholm, 17.6. 1947 u. weitere Briefe in MAB 104FI, Meyer,Heinrich; G. Adami, Stockholm, an J. G. F!rstenberger, Z!rich, 20.4. 1948, MAB 114GI, Swit-zerland; Unterlagen UA DEBU 29; vgl. auch Reichel, Die Losungen.

234 S. Baudert an %kumene in Genf, 29.5. 1947, %RK-Archiv 42.0006.235 Bericht S. Baudert, 11/1945, UADEBU 27; H. Renkewitz an Pastor Hedenquist,WCC, 11.4. 1949,

%RK-Archiv 42.0068; G. Adami, Stockholm, an J. G. F!rstenberger, Z!rich, 20.4. 1948, MAB114GI, Switzerland; Unterlagen in MAB 113EII, Germany Western District 1946–50; B. Michelan S. H. Gapp, 25.2. 1946, MAB 103CII, 1946.

236 Unterlagen in UA DEBU 237.237 H. Renkewitz an O. B$guin, Genf, 18.9.1947 %RK-Archiv 42.0068; O. B$guin an S. Baudert vom

17.5. 1946, %RK-Archiv 42.0006; vgl. dazu auch Unterlagen in %RK-Archiv 303.028 u. Unter-lagen in WCC: Ecumenical Commission for the Chaplaincy Service to Prisoners of Wars:Sendining Lçsungen [sic], %RK-Archiv 303.009/2; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 308,UA Nachlass Uttendçrfer ; S. Baudert an F. P. Stocker, 19.5.1947, MAB 103HI, Baudert.

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Druckerzeugnisse einzuschr"nken. 1955 beschloss das Politb!ro, das „Spen-denpapier“ f!r die kirchliche Literatur d!rfe 305 Tonnen nicht !bersteigen, sodass kirchliche Verlage insgesamt nur 428 Tonnen zur Verf!gung h"tten (zumVergleich: Allein das Losungsbuch f!r die deutsche Auflage brauchte 100Tonnen).238 Nicht zuletzt wegen dieses k!nstlich erzeugtenMangels konnte dieAuflage der Losungen in Ostdeutschland nie wesentlich erhçht werden. Soschrieb etwa der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen inder DDR, Eberhard Natho, in den achtziger Jahren an die Herrnhuter Direk-tion: „Es ist auch f!r mich ein immer wieder schmerzliches Erlebnis, in dereigenen Gemeinde zu sehen, wie treue Besucher des Gottesdienstes nicht indie Lage gesetzt werden kçnnen, das erbetene Losungsb!chlein zu kaufen.“239

Als das Staatssekretariat f!r Kirchenfragen 1986 dar!ber nachdachte, dieUnit"t „st"rker in die kirchenpolitische Profilbildung in der DDR ein[zu]be-ziehen“, zog es in Erw"gung, die Auflage um 50 000 Exemplare zu erhçhen.240

Doch die Gemeine musste mit einer Aufstockung bis zur friedlichen Revo-lution warten. Nach der Wende pendelte sich die gesamtdeutsche Ausgabe beieiner Million ein.241 Heute liegt das Losungsbuch in einer Gesamtauflage vonrund 1,6 Millionen in !ber f!nfzig Sprachen vor, von Afrikaans !ber Miskitobis Zulu.242

Die Funktion der Losungen als internationales Band wurde w"hrend desKalten Krieges immer wichtiger. 1974 erkl"rte die Unit"tssynode: „It is im-portant that, in a time of growing polarization, we meet daily under the sametexts of the Bible. “243 Der Vorsitzende der Nord-Provinz in Amerika, Gro-enfeldt, meinte 1977 !ber seine Losungslekt!re: „I feel a deep sense of onenesswith the members of our Church and the many other users of the Daily Textsthroughout the world who are mediating on the meaning of these same verses[…]. I think of the theological professor in Poland and the Lutheran pastor inEast Germany who have told me they regularly use the Daily Texts.“244 Zu-nehmend r!ckte die Bedeutung als çkumenische, friedensstiftende Verbin-

238 Anlage 11 zum Protokoll des Politb!ros des ZKs der SED Nr. 1/55, 14.1. 1955, Punkt 13: Kir-chenfragen, SAPMO-BA J IV 2/2/398; vgl. auch Maser, S. 95.

239 E. Natho, ACK in der DDR, an Direktion Herrnhut, 13.1. 1987, BA DO 4/1712; vgl. zur be-schr"nkten Auflage Unterlagen BA DO 4 / 2053; Langhoff, EVA, an Direktion Herrnhut, 15. 12.1986, BA DO 4/1712; Ch. M!ller, Direktion Herrnhut, an H. Dohle, Staatssekretariat f!r Kir-chenfragen, 21.7. 1986, BA DO 4/4814.

240 Vermerk f!r den Staatssekret"r von H. Dohle, 4. 7. 1986, BA DO 4/1712.241 Vermerk von Behncke, Abteilungsleiter, Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, 27.11.1987, BADO

4/1712; Information zu ersten Ergebnissen der Pr!fung der Sachfragen der Br!der-Unit"t, o.D.,BA DO 4/4814; Besprechung zu den Losungen, 19.4. 1990, Herrnhut, UA DEBU 1446; UA DEBU1421.

242 Informationen zur Br!dergemeine, o.A., wohl 1951, LArch Berlin CRep 101/04, Nr. 68; G"rtner/Motel, Die Entstehung der Losungen, S, 138; Thoughts on The Daily Texts von J. S. Groenfeldt,1977, MAB 165HI, Daily Texts 1966–1977; Direktion der Evang. Br!der-Unit"t, LosungsMa-gazin; G"rtner u. Motel, Die Entstehung der Losungen, S, 139–141.

243 Minutes Unity Synod 1974, S. 48, MAB 173FI, 1974 Unity Synod.244 Thoughts on The Daily Texts von J. S. Groenfeldt, 1977, MAB 165HI, Daily Texts 1966–1977.

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dung ins Zentrum – im Kontrast zur k"mpferischen Ursprungsidee.245 W"h-rend der Zeit des Ost-West-Konfliktes blieb die Zahl der#bersetzungen relativstabil bei rund 25.246

Trotz der Probleme, mit denen die Br!dergemeine im Osten konfrontiertwar, kam es nicht in Frage, die Auslosung oder auch nur die Ausarbeitung desManuskripts nach Bad Boll zu transferieren. Zu viel hatte der Ost-Distriktverloren, niemand wagte an das Thema einer Verlegung zu r!hren.247 Dasrettete die Losungen in der DDR, denn als Lizenzausgabe einer westlichenPublikation w"re eine j"hrliche Auflage von 350 000 nicht mçglich gewesen.Die Zusammenarbeit mit anderen L"ndern organisierte jedoch Bad Boll.248

Einmal im Jahr trafen sich die zust"ndigen Verlage in Ostberlin: Wittig ausHamburg, Quell aus Stuttgart, Reinhardt aus Basel und die EvangelischeVerlagsanstalt aus Ostberlin (EVA), dem Zentralverlag f!r protestantischeSchriften in der DDR.VerschiedeneDruckereien inOst undWest !bernahmenden Druck, f!r die DDR bewerkstelligte die SED-eigene Druckerei „Vçlker-freundschaft“ in Dresden den grçßten Teil, w"hrend die DruckereiWinter nureinige Tausend !bernehmen konnte.249

Losungsbearbeiterin in der Nachkriegszeit bis Anfang der sechziger Jahrewar Lena K!cherer, damals eine der wenigen Frauen der Br!dergemeine mitEinfluss. Die Aufgaben der Losungsbearbeiterin, die zu dem „gelosten“ alt-testamentarischen Vers den neutestamentarischen Vers (den Lehrtext) undden dritten Text ausw"hlen musste, verlangten nicht nur breites biblisches,theologisches und hymnologisches Wissen, sondern auch exegetisches Fein-gef!hl. Denn Lehrtext und dritter Text waren eine Interpretation der Losung.Werner Burckhardt, der Lena K!cherer Anfang der sechziger Jahre ablçste,erkl"rte selbstironisch in seinem Lebenslauf, die Christenheit habe wohl we-nige &mter zu vergeben, „die weiter greifen als das Amt des Losungsbear-beiters.“250 DieWege der gelosten Verse aus Herrnhut zum Losungsbearbeiter,von dort zu den Korrektoren in Ost und West, der Abgleich mit den Zensur-stellen, die Beschaffung von Papier- und Druckkapazit"ten sowie die Wei-terleitung desManuskripts ins Ausland und ihre#bersetzung waren nicht nur

245 Vgl. Direktion der Evang. Br!der-Unit"t, LosungsMagazin, S. 4 u. 8 f.246 Informationen zur Br!dergemeine, o.A., wohl 1951, LArch Berlin C Rep 101/04, Nr. 68; Auszug

aus der Niederschrift !ber die Erweitere Referentenbesprechung am 13.12.1962 aus der Akte0335, EZA 104/390; G"rtner u. Motel, Die Entstehung der Losungen, S. 138; Thoughts on TheDaily Texts von J. S. Groenfeldt, 1977, MAB 165HI, Daily Texts 1966–1977; Meyer, Zinzendorfund die Herrnhuter Br!dergemeine, S. 127; Direktion der Evangelischen Br!der-Unit"t, Lo-sungsMagazin.

247 H. Motel an J. Vogt, 1. 9. 1955, UA DEBU 30.248 Gill, Das Losungsbuch, S. 4, Unterlagen Th. Gill, Herrnhut.249 Ch.M!ller, DirektionHerrnhut, anH. Dohle, Staatssekretariat f!r Kirchenfragen, 21.7.1986, BA

DO 4/4814; Reichel, Die Losungen, S. 113.250 Lebenslauf W. Burckhardt, S. 6.

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im Chaos der Nachkriegszeit ein Abenteuer.251 Die #bersetzungsarbeit warvon jeher ein Problem. W"hrend die dritten Texte, die Gebets- oder Gesang-buchverse, aus dem jeweiligen Kulturkreis stammten, waren die #berset-zungen der Lehrtexte aus dem Neuen Testament oft schwierig, weil sie inanderen Sprachen mitunter eine abweichende Bedeutung hatten. Bei denDritttexten bem!hte sich die Unit"t in Deutschland, ihrem bildungsb!rger-lichen Anspruch gerecht zu werden, nur anspruchsvolle Dichtung auszu-w"hlen,moderne Lyrik einzubeziehen und allzu br!derische und „pietistischeDichtung“ zu bannen.252 Herrnhut und Bad Boll erhielten unz"hlige kritischeZuschriften, die sie sehr ernst nahmen. Die Kritik, die meist den dritten Textbetraf, spiegelt gleichzeitig die Weite, um die sich die Br!dergemeine be-m!hte: Warum wurde ein katholisches Gebet aufgenommen, warum ein Versdes Selbstmçrders Jochen Klepper, warum so viel moderne Lyrik und liberaleTheologie, warum wurden neben Luther auch andere #bersetzungen ge-nutzt?253 Um die Dritttexte rankten sich mancherlei Eitelkeiten und Kr"n-kungen; eine Aufnahme ins Losungsbuch war der Ritterschlag f!r religiçseDichtung; zahlreiche Autoren hofften vergebens, auserw"hlt zu werden.254

Bis in die f!nfziger Jahre konnte es passieren, dass die Herrnhuter in derDDR erst am Jahresende die Erlaubnis f!r den Druck des Losungsbuchs oderdie Einfuhr des Papiers f!r das Folgejahr erhielt.255 Dann spielte sich dieZensur nach den !blichen DDR-Regelungen ein: Das Ministerium f!r Kulturließ zwei Jahre vor der Publikation das Buch durch einen sogenannten Gut-achter beurteilen.256 Diese Zensoren, seit 1963 der „Hauptverwaltung Verlageund Buchhandel“ im Ministerium f!r Kultur zugewiesen, hatten ein beacht-liches Stçrpotenzial, das sie nicht ungenutzt ließen. Da sie anonym blieben,legten sie ihrem Sarkasmus keine Z!gel an. Die „Gutachter“-Arbeiten warenbeliebt und gut bezahlt; bis zu 270 Mark erhielt ein Zensor f!r ein Losungs-buch-Gutachten – Geb!hren, die die Evangelische Verlagsanstalt (EVA) be-zahlen musste. Die Gutachter des Losungsbuches hatten meist eine theolo-gische Ausbildung. Ab Ende der sechziger Jahre war der wichtigste Zensor derEVA-Texte, auch f!r die Losungen, der DDR-Sekret"r der Christlichen Frie-

251 Unterlagen in MAB 101GII, Text Book 1954, MAB 101GI, 1950 Text Book; Unterlagen in UADEBU 1408; J. Vogt an P. Glos, 29.1. 1946, UA DEBU 514.

252 Vgl. etwa #bersetzungsprobleme ins Schwedische f!r 1957, UA DEBU 1431; H. Renkewitz anDirektion Ost, 6. 10.1949, UA DEBU 1408; Briefwechsel H. Renkewitz und J. Jeremias, 1953, UADEBU 1430; Unterlagen in MAB 165I, Daily Texts 1966–1977.

253 Vgl. etwa Unterlagen in UA DEBU 240, 1409, 1430, 1431; G"rtner u. Motel, Die Entstehung derLosungen, S, 133; Jahresbericht Distrikt Ost 1974, S. 27, UA EFUD 659.

254 Vgl. etwaW. Baudert anMotel, 26.6. 1952, UADEBU 30; Sitzungsbericht Direktion Herrnhut, 6.u. 7.6. 1973, UA DEBU 16.

255 H. Renkewitz an F. P. Stocker, 21. 9.1950, MAB 104FI, H. Renkewitz; Jahresbericht Herrnhut1954, S. 9, UA DEBU 804.

256 Vgl. zur Zensur in der DDR Lokatis, Der rote Faden; Barck u. Lokatis, Fenster zurWelt; Barck u.Lokatis, Zensurspiele; „Der heimliche Leser“, Tagungsbericht von Berthold Petzinna in: H-Soz-u-Kult, 14.11.2007.

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denkonferenz und %kumenik-Professor an der Humboldt-Universit"t, Ger-hard Bassarak. Das Ministerium leitete die Bedenken der Gutachter an dieVerlage weiter.257 Dann begann der Aushandlungsprozess. Bei Bedarf griff dasStaatssekretariat f!r Kirchenfragen ein; vielmals verhandelte der Rat desBezirkes mit den Herrnhutern !ber die Beanstandungen. Oft konnte dieBr!dergemeine eine Zensur verhindern, doch h"ufig musste sie den drittenText "ndern (meistens handelte es sich um Gebete), zuweilen auch denLehrtext, niemals jedoch die eigentliche Losung. #ber zehn &nderungen f!reine Ausgabe bedeuteten keine Ausnahme.258 Dabei l"sst sich – anders als imrestlichen Zensurbetrieb – keine Liberalisierung feststellen.259 Doch war dieZensur f!r DDR-Verh"ltnisse relativ mild. Das verdankte die Unit"t nicht nurder weltweiten Moravian Community, von der die Behçrden bei einer stren-geren Zensur internationales Aufsehen bef!rchteten. Als noch wichtiger f!rdie relative Großz!gigkeit erwies sich die „loyale“ Haltung der Br!derge-meine. Wie die seit Mitte der f!nfziger Jahre vorliegenden Zensur-Gutachtenzeigen, stand ein Publikationsverbot des Losungsbuches niemals zur Debatte.

Das erste erhaltene Gutachten zu den Losungen stammt von der Doyenneder DDR-Zensoren, vonCarola G"rtner-Scholle, einer altenKommunistin undeinstigen KZ-Insassin.260 G"rtner-Scholle schwankte zwischen Verachtung f!rdie „Pietisten“ mit ihrer „Zions-Atmosph"re“ und Sorge um deren destruk-tiven Einfluss. „Im Ganzen erscheint diese Sammlung tats"chlich lediglich,fromm’“, erkl"rte sie, um ihrem Verdikt eine lange Liste an Beanstandungenfolgen zu lassen.261 Die Zensur hatte etwas unfreiwillig Komisches. Meist ginges darum, mçgliche Parallelen zum real existierenden Sozialismus und damitmçgliche Kritik zu verhindern. So beanstandeten die Zensurstellen f!r dieLosungen 1973 die Begriffe „Wahrheit“ und „Freiheit“, die in Bezug auf dieDDR „zweideutig“ seien. Gill, der den Aushandlungsprozess f!hrte, ließ essich nicht nehmen, sein Erstaunen dar!ber zu bekunden und nachzufragen,wo denn das Problem bez!glich der DDR l"ge.262 F!r 1970 wurde das Gebet„Sende dein Licht und deine Wahrheit“ gestrichen.263 „Denn durch Dich sindwir frei in jedem Land.’ Das ist eine zugegebenermaßen missverst"ndliche

257 Br"uer u. Vollnhals, S. 16–31, 86 f.; vgl. zur Zensur des Losungsbuchs Richter, Losungen.258 H. Hickel an Staatssekret"r H. Seigewasser, 12.10.1976 u. H. Hickel anM. Stolpe, Sekretariat der

BEK, 26.10.1976, EZA 101/285; Aktennotiz von Th. Gill, 11.12.1973, UA DEBU 82; Petras, EVA,an Ministerium f!r Kultur, HV Verlage und Buchhandel, Frau Dr. Marquardt, 14. 3.1968 u.Werner Burckhardt, IM Auftrag der DEBU in Herrnhut, 7. 3.1968, BA DR 1 / 2529; EVA, Petras,anMinisterium f!r KulturHVVerlage undBuchhandel, FrauDr.Marquardt, 19.2. 1969, BADR1/ 2531.

259 Barck u. Lokatis, Einleitung, S. 8.260 Vgl. zu G"rtner-Scholle Lokatis, Literarisches Quartett.261 Gutachten von C. G"rtner-Scholle !ber Losungen 1955, Kultureller Beirat f!r das Verlagswesen,

12.5. 1954, BA DR 1 / 2501a.262 Aktennotiz von Th. Gill, 11.12.1973, UA DEBU 82.263 EVA, Petras, an Ministerium f!r Kultur, HV Verlage u. Buchhandel, Marquardt, 19.2. 1969, BA

DR 1 / 2531.

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Aussage“, vermerkte 1971 Horst Dohle als Zensor.264 Heikel war auch „Ge-rechtigkeit“. Der (nicht geloste) Monatsspruch f!r Dezember 1952 „Siehe, eswird ein Kçnig regieren, Gerechtigkeit auszurichten“ (Jesaja 32,1) mussteausgetauscht werden.265 F!r die Losungen 1972 beanstandete GerhardBassarak an einer Liedstrophe: „Schon Vers 1 mit der Aufforderung, ,bei unsRecht und Treu’ zu mehren ist gen!gend missverst"ndlich. Vers 2 aber ideo-logisch noch problematischer : Freiheit, Frieden, Recht“.266 1977 erkl"rte derZensor in seinem Gutachten: „Die Losung ,F!hre mich aus dem Kerker…’kçnnte anz!glich wirken.“267 Das Thema „Neid“ erschien den DDR-Zensorenebenfalls gef"hrlich. Das Gebet „Du weißt, Herr, wie leicht wir anderenmissgçnnen, was sie uns voraus haben“, fiel der Zensur zum Opfer.268

Regelm"ßig stießen die Bibelstellen mit „Gottlosen“ auf Misstrauen. Da dieZensoren jedoch nicht den gelosten Vers verbietenmochten, versuchten sie abden sechziger Jahren, auf den Los-Pool an Bibelversen Einfluss zu nehmenundverlangten, die Losungen gr!ndlich durchzuforsten.269 Tats"chlich entferntendie Herrnhuter daraufhin die anstçßigen Spr!che.270 1980 erkl"rte Bassarak:„Es sieht so aus, als w"ren bestimmte Lieblingstexte, die allj"hrlich gezogen zuwerden pflegten (die Gottlosen-Texte), aus der Auswahl“ herausgenommen.271

Scharf wachten die Zensoren dar!ber, dass sich keine allzu westlichen oderdekadenten Tendenzen in ein DDR-Druckerzeugnis einschlichen. Ein Gebetaus „Bonn“ oder aus „Korea“ war ausgeschlossen.272 Fromme Klagen !ber dieWelt galten als besonders anr!chig. „Bange machen gilt nicht, sollte mandiesen Pietisten sagen“, verk!ndete G"rtner-Scholle in einemGutachten.273 Zueinem Dritttext f!r 1970 bemerkte Bassarak: „Gebet f!r die Heiden, diedunklen Orte der Welt (DDR?), Vertreibe die Nacht des Irrtums (des Mar-xismus?) und der Furcht (vor ihm?). – &ndern!“274 1969 hieß es in einemGutachten des %kumenik-Professors: „1. Juni: Gebet: Nein, was die Leute soalles sagen! Die bçsen Leute! Da muss man sie rasch beim lieben Gott de-

264 Gutachten von Dr. H. Dohle !ber Losungen 1973, 6.11.1971, BA DR 1 / 2540.265 Briefwechsel 1951, UA DEBU 1409.266 Gutachten von G. Bassarak !ber Losungen 1972, 12. 9.1970, BA DR 1 / 2537a.267 Gutachten von G. Bassarak !ber Losungen 1979, 9. 10.1977, BA DR 1 / 2554.268 EVA, Petras, an Ministerium f!r Kultur HV Verlage u. Buchhandel, Marquardt, 19.2.1969, BA

DR 1 / 2531.269 Gutachten von G. Bambowsky !ber Losungen 1967, 28. 3.1966, BA DR 1 / 2525; Gutachten von

Wilke !ber Losungen 1966, o.D., BA DR 1 / 2522a; Gutachten von G. Bassarak !ber Losungen1972, 12.9. 1970, BA DR 1 / 2537a; Gutachten von G. Bambowsky, 18.2. 1967, BA DR 1 / 2527;Gutachten von G. Bassarak !ber Losungen 1971, 2. 11.1969, BA DR 1 / 2534; Gutachten vonBassarak !ber Losungen 1975, 13.10.1973, BA DR 1 / 2546; Gutachten von Bassarak !berLosungen 1982, 31.8. 1980, BA DR 1 / 2560.

270 Interview mit Th. Gill, Bischof, Herrnhut, 8.2. 2006, Unterlagen H. Richter.271 Gutachten von G. Bassarak !ber Losungen 1983, 20. 9.1981, BA DR 1 / 2562.272 Gutachten von G. Bassarak !ber Losungen 1975, 13. 10.1973, BA DR 1 / 2546.273 Gutachten von C. G"rtner-Scholle !ber Losungen 1955, Kultureller Beirat f!r das Verlagswesen

vom 12.5.1954, BA DR 1 / 2501a.274 Gutachten von G. Bassarak !ber Losungen 1970, 27. 1.1969, BA DR 1 / 2531.

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nunzieren, der nat!rlich keineswegsm!de oder gar tot ist. – L"ppischer Text –auswechseln! (Was soll’s: ,Angst macht dumm’ – das merkt man an demVerfasser!)“275

Viel Raum f!r „Missverst"ndnisse“ boten Jahrestage. Die erste sozialisti-sche Zensur betraf den 1. Mai 1946. F!r diesen Tag verlangte der sowjetischeZensor, den vorgesehenen Lehrtext auszutauschen: „Welche haben durch denGlauben Kçnigreiche bezwungen, Gerechtigkeit ge!bt, Verheißungen erlangt,[…] sind stark geworden im Kampf und haben fremde Heere in die Fluchtgeschlagen“ (Hebr"er 11, 33 f.). Da es sich nicht um den gelosten Vers han-delte, waren die Herrnhuter einverstanden.276 F!r August 1978 beanstandetedie Zensur den Monatsspruch: „Hasset das Bçse und liebet das Gute, richtetdas Recht auf“ (Amos 5,15) mit der Begr!ndung: „Es besteht die Mçglichkeiteiner bçswilligen Auslegung dieses Textes im Blick auf den 13. August.“277

Dabei beschlichen die Zensoren zuweilen Zweifel, ob beim Herrnhuter Lostats"chlich nur der Zufall regiere. „[G]ewisse Zuf"lle geben zu denken“, soBassarak. Denn f!r den 13. August 1987 hatten die Herrnhuter aus ihrer sil-bernen Schale gezogen: „Machet die Toreweit und die T!ren in derWelt hoch“(Psalm 24,7); dazu der%kumeniker : „Assoziation: ,Macht das Tor auf!’“. DreiTage sp"ter lautete die Losung: „Mit meinem Gott kann ich !ber Mauernspringen“ (Psalm 18,23). Dazu Bassarak: „Auch !ber die Berliner?“278 1984hatte er schon den gleichen Vers beanstandet: „Hoffentlich wird das nicht alsAufforderung zur Republikflucht aufgefasst.“279 Im Hinblick auf den Tag derRepublik, den 7. Oktober, beanstandete die Zensur gar den Vers „Irret euchnicht! Gott l"sst sich nicht spotten. Denn was der Mensch s"t, das wird erernten“ (Galater 6,7).280 Die Zensur blieb bis zuletzt aktiv. F!r die Losungen1990musste ein Zitat des konservativen Theologen Thielicke durch einen VersMartin Luther Kings ersetzt werden.281

Doch auch die Zensur erlaubte es nicht immer, klare Herrschaftsgrenzen zuziehen. Die Zensur, so die Literaturwissenschaftlerin Simone Barck und derHistoriker Siegfried Lokatis, erweise sich „in den Akten in der Regel nicht alseindimensionaler diktatorischer Vorgang von oben nach unten, sondern alsein dynamisches Kr"ftespiel mit wechselnden Teilnehmern aus allen Berei-chen der Gesellschaft“.282 Die Zensur-Theologen selbst waren nicht eigentlich

275 Gutachten von G. Bassarak !ber Losungen 1970, 27.1. 1969, BADR 1 / 2531; vgl. auch Gutachtenvon G. Bassarak !ber Losungen 1977, 9. 9.1975, BA DR 1 / 2550.

276 Arbeitsbericht DirektionHerrnhut, 7.–13.2. 1946, UADEBU1; J. Vogt anW. Kretzschmar, 10. 12.1945, UADEBU 237; Uttendçrfers Lebenserinnerungen, S. 313 u. 330, UA Nachlass Uttendçrfer.

277 H. Hickel an Staatssekret"r H. Seigewasser, 12.10. 1976, EZA 101/285.278 Gutachten von G. Bassarak !ber Losungen 1987, 15. 8.1985, BA DR 1 / 2564.279 Gutachten von G. Bassarak !ber Losungen 1984, 11. 9.1982, BA DR 1 / 2564.280 H. Hickel an Staatssekret"r H. Seigewasser, 12.10. 1976, EZA 101/285.281 EVA Berlin, Lektorat, anMinisterium f!r Kultur, HVVerlage u. Buchhandel, 28.9. 1988, BADR 1

/ 2577a.282 Barck u. Lokatis, Einleitung, S. 8.

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Mitglieder desMachtapparates. Und dasMinisterium f!r Kultur wies zuweilenihre scharfen Anschuldigungen in den Gutachten zur!ck, w"hrend auf deranderen Seite immer die Selbstzensur lauerte. Die Herrnhuter waren sich derGefahr der Selbstzensur zwar bewusst, konnten sich dennoch nicht davorsch!tzen. Sie blieben selbstkritisch und fragten sich, ob sie nicht allzu schnellvon sich aus auf Themenwie Ideologie-KritikoderMission verzichteten.283 Als1970 Wolfgang Caffier das Amt des Losungsbearbeiters von der Unit"t zuge-teilt bekam, hatte die Gemeine diese wichtige Stelle einem Theologen !ber-tragen, der wie wenige Theologen in der DDR loyal auf der Seite der sozia-listischen Staatsmacht stand. Diese Personalentscheidung ist r"tselhaft genug,auch wenn es der Br!dergemeine an Mitarbeitern mangelte. Unter Caffiers&gide fand Lyrik der Christlichen Friedenskonferenz Eingang ins Losungs-buch.284 Caffiers Nachfolgerin imAmt des Losungsbearbeiters, ChristianeGill,die Schwester von Theodor Gill, wurde ihrerseits 1988 von Christian Weberabgelçst, der als Leiter des Fçrderungszentrums mit der Staatssicherheit zu-sammen gearbeitet hatte.

Eine entscheidende Vorzensur !bte, dank einschl"giger Erfahrung und um„Missverst"ndnisse“ im Vorfeld auszur"umen, der Verlag aus.285 Als 1973 derBestand der Losverse durchgesehen und zahlreiche Losungen entfernt wurden(auch aus theologischen Gr!nden), war quasi als Zensur-Spezialist ein Mit-arbeiter der EVA dabei.286 Auf einer Tagung 1979 in Bad Boll !ber das Los-ungsbuch erkl"rte der Vertreter der EVA, das Losungsbuchwerde durch keineZensur eingeengt. Niemand widersprach.287 Doch der LosungsbearbeiterWolfgang Caffier beklagte sich bitter gegen!ber Willi Barth vom ZK !ber dieVerlagsmitarbeiter : „Diese sehen auch mein Manuskript vorher durch undbeanstanden dann jeweils eine ganze Reihe von Texten, die nach ihrer Mei-nung […] keine Genehmigung findenw!rden. Diese Beanstandungen sind f!rmeine Begriffe sehr primitiv.“288 Wie die anderen Kirchen protestierte dieBr!dergemeine niemals grunds"tzlich gegen die Zensur, obwohl es de jure inderDDRPressefreiheit gab. 1976 erkl"rte der landeskirchliche BischofWernerKrusche gegen!ber westlichen Journalisten: „Es gibt keine Zensur, aber es gibtMaßnahmen, so dass bestimmte Themen nicht behandelt werden kçnnen. DieKirche hat nicht das Recht, die Publizistik einer Gesellschaft zu bestimmen.“289

Zensur war eine Komponente der allt"glichen #berwachung und Unfreiheit,die man als legitim empfand, ein Bestandteil der von der Macht produzierten

283 Protokoll der Beratungen des Losungsausschusses in Berlin, 21.9.–22.9. 1971, Unterlagen Th.Gill, Herrnhut.

284 Gutachten von Dr. H. Dohle !ber Losungen 1973, 6.11.1971, BA DR 1 / 2540.285 37. Sitzung der Direktion Herrnhut, 28.11.1961, UA DEBU 10; vgl. auch Briefwechsel Direktion

Bad Boll und Direktion Herrnhut, 7/8.1958, UA DEBU 1431.286 Sitzungsbericht Direktion Herrnhut, 24.2. 1973, UA DEBU 16.287 „Das Losungsbuch lebt seit 250 Jahren“, in: Stuttgarter Zeitung, 8.11.1979.288 W. Caffier an W. Barth, ZK der SED, 31.1. 1973, SAPMO-BA DY 30/IV B 2/14/30.289 5. Information !ber Pressekonferenz, 28. 9.1976, SAPMO-BA DY 30/IV 2/2.036/47.

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Wirklichkeit. Macht erwies sich dabei als dynamischer Prozess zwischen obenund unten. Hickel erkl"rte gar, die „Druckgenehmigungsstelle“ verhelfe mit-unter dazu, auf „neue theologische Erkenntnisse“ zu kommen.290

Die Entfernung unliebsamer Bibelspr!che, die zahlreichen &nderungender Gebete und Lehrtexte, der Gr!nder des staatsnahen Pfarrerbundes alsLosungsbearbeiter, die Selbstzensur, der vorauseilende Gehorsam des Verla-ges – alles das erscheint problematisch. Doch hatte sich die Kompromissf"-higkeit nicht wie im Fall der diakonischen Arbeit gelohnt? Das Losungsbuchwar nicht nur f!r hunderttausende Protestanten in der DDR ein fester Be-standteil ihrer Frçmmigkeitspraxis, sondern auch f!r zahlreiche Auslands-deutsche in Russland, den baltischen Sowjetrepubliken oder in Rum"nien. Ab1951 gab es eine Ausgabe in Blindenschrift.291 Alle empfanden das Buch alsgrenz!bergreifend verbindend. Schon allein deswegen hatte es immer aucheinen resistenten Charakter. Und brauchte die Br!dergemeine denGewinn ausden Losungen in der Nachkriegszeit noch f!r das schiere #berleben, nutztesie, sobald sie finanziellen Spielraum hatte, die Gelder f!r die diakonischeArbeit und Missions- bzw. Entwicklungsprojekte.292 Der „Dienst“ an der Ge-sellschaft – oder, wenn man so will : zivilgesellschaftliches Engagement – ließsich in der Diktatur nicht ohne eine gewisse Herrschaftsn"he ausf!hren. Wersich gesellschaftlich engagieren wollte, kam kaum umhin, fragw!rdige Kom-promisse einzugehen.

290 Protokoll der Beratungen des Losungsausschusses in Berlin, 21.9.–22.9. 1971, Unterlagen Th.Gill, Herrnhut; vgl. auch den Protest der landeskirchlichen s"chsischen Jugendkammer: K.Oehlmann, Landesjugendpfarrer, Ev.-luth. Landeskirchenamt Sachsen an DUDHerrnhut, 9. 10.1951, UA DEBU 1409.

291 Sitzungsbericht EFUD, DUD und HMD in Neukçlln, 22.–24.1. 1959, UA DEBU 32; Gill, DasLosungsbuch, S. 6, Unterlagen Th. Gill, Herrnhut; Sitzung Direktion Herrnhut, 22.2. 1950, UADEBU 4.

292 S. Baudert an Herrnhut, 27.10.1948, UA DEBU 29.

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Zusammenfassung

Die Herrnhuter Br!dergemeine in der DDR formulierte ihre Tradition neu,brachte ihr kulturelles Ged"chtnis (Jan Assmann) in #bereinstimmung mitder sozialistischen Gesellschaft und passte damit ihr Selbstverst"ndnis wie sooft zuvor den Verh"ltnissen an. Durch die Tradition erhielten die Metamor-phosen der Gemeine Legitimit"t und damit unter den Gemeinmitgliedernbreite Unterst!tzung; das erst ermçglichte der Unit"t ihre Flexibilit"t. Dabeigab es durchaus Grenzen der Diktatur, auch eine „relative Autonomie dersozialen Dimension“ (Ralph Jessen). So konnten die Herrnhuter ein distinktesMilieu innerhalb des Staatssozialismus aufrecht erhalten, in dem die Ju-gendweihe die Ausnahme blieb, bildungsb!rgerliche Anspr!che gepflegtwurden und internationale Kontakte eine Selbstverst"ndlichkeit waren. Diesesoziokulturelle Distanz zur Mehrheitsgesellschaft bei gleichzeitiger Anpas-sung der Br!dergemeine an den Staatssozialismus war ein komplexer Prozess,f!r dessen Untersuchung die „Innenseite“ (Friedrich Wilhelm Graf) von Re-ligion in den Blick genommen werden musste. So best"tigt die Analyse derbr!derischen Theologie und Frçmmigkeitspraxis neben den politischen undsozialen Aspekten der Freikirche die in der Einleitung aufgestellte Hypothese:Die Unit"t verdankte Langlebigkeit und Erfolg ihrer F"higkeit zur Traditi-onskonstruktion. Das hat sich anhand dreier Felder herauskristallisiert: derInternationalit"t, der Beziehung zur Obrigkeit und des zivilgesellschaftlichenEngagements der Gemeine.

Zun"chst zur Internationalit"t. F!r die Evangelische Br!der-Unit"t war dieweltweite Vernetzung, die sich aus derMissionsarbeit ergeben hatte, integralerBestandteil ihres Selbstverst"ndnisses. Die Globalit"t diente lange als Dis-tinktionsmittel. Klein und global, provinzielle Abgrenzung der Ortsgemeinenbei gleichzeitiger Weltl"ufigkeit und Weltoffenheit: Das begr!ndete wesent-lich den elit"ren Charme der Br!dergemeine. Das Element der Exklusion, dasessentiell f!r das Auserw"hltheitsgef!hl der Unit"t und damit f!r ihr #ber-leben war, dr!ckte sich im ganzen Habitus aus: eine gewisse Distanz zu an-deren Kirchen; internationale Biographien; enge Verbindungen zu den un-terschiedlichen Herrschaftsschichten der L"nder, in denen die Unit"t agierte;bildungsb!rgerliche Anspr!che verkn!pft mit frommer Theologie; schließ-lich der pr"tentiçse und zugleich einfache Stil in Architektur, Liturgie undMusik, den die Herrnhuter gerne als „schlicht“ bezeichneten. Nach 1914 tratdie Internationalit"t nicht zuletzt aufgrund der Feindschaften, die der ErsteWeltkrieg aufgebaut und gesch!rt hatte, f!r die Basis der Gemeinmitglieder inden Hintergrund, ohne ganz zu verschwinden. Die globale Identit"t derHerrnhuter weltweit, die im 18. Jahrhundert noch gegolten hatte, war bereits

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w"hrend derHerausbildung derNationalstaaten von der jeweiligen nationalenIdentit"t !berlagert worden. Nie aber hatte sich die weltweite Verbundenheitals so schwach erwiesen wie nach dem Ersten Weltkrieg.

Umso erstaunlicher war die Wiederbelebung der Internationalit"t nachdem Zweiten Weltkrieg, wenn sie auch in den weltweiten Kontext einer all-gemeinen Belebung internationaler zivilgesellschaftlicher Beziehungen ge-hçrte. Dank dieser Neubelebung entstand ein umfangreiches Hilfsprogramm,das der ostdeutschen Br!dergemeine das #berleben sicherte. Doch die ma-terielle Seite war nur ein Teil der „frommen Internationalen“ (Hartmut Leh-mann) nach 1945. In ihrer zunehmenden Isolation, sowohl innerhalb Ost-deutschlands als auch international gesehen, wurde der weltweiteHorizont f!rdie Br!dergemeine in der DDR immer zentraler. In teils neu erfundenen, teilsalten Riten feierte die Br!der-Unit"t die wieder gewonnene weltweite Einheit :Losungsbuch, Gebetswacht, Missionsfeste, Unit"tsgebetstag. Der Mauerbau1961 war dann zwar ein schwerer Schlag f!r die gesamtdeutschen und inter-nationalen Handlungsmçglichkeiten der Br!dergemeine. Doch gewann dieInternationalit"t gerade in der Isolation immer mehr an Bedeutung und er-wies sich auf der symbolischen und rituellen Ebene als umso st"rker. Trotz desKalten Krieges gelang es der Br!der-Unit"t, die weltweite Kommunikation inForm von „Unity Newslettern“, Reisen, Austausch von „Gebetsgegenst"nden“oder gemeinsamenHilfsprojekten auf einem relativ hohenNiveau zu erhalten.

Doch diese Internationalit"t war in der sozialistischenDiktatur, in der jederRundbrief, jeder Geldtransfer und jede Reise genehmigt werden musste, nurmit Duldung des Regimes mçglich. Das erwies sich zun"chst als problema-tisch, denn die Internationalit"t der Gemeine stand im Verdacht der Spiona-get"tigkeit, und die Missionsarbeit galt als national-koloniales Relikt. F!r ihreAnn"herung an das Regime Ende der f!nfziger Jahre definierte die Freikirchedann ihre Tradition der weltweiten Verbundenheit neu: Neben den angebli-chen Wurzeln im „Bruderstaat“ der Tschechoslowakei boten sich daf!r dieBegriffe „Antirassismus“, „Antikolonialismus“ und „Frieden“ an. Die Unit"tbegann damit, ihr Missionsnarrativ sukzessive umzugestalten, zunehmendaus innerer #berzeugung. Im Gegensatz zu den historischen Tatsachen stili-sierte sie ihre missionarische Arbeit als Kampf gegen Sklaverei und Kolo-nialismus. Ihre seit dem 19. Jahrhundert gepflegten Affinit"ten zum Milit"rgerieten in Vergessenheit. Die Obrigkeit, die seit Mitte der f!nfziger Jahregroßes Interesse an der Loyalit"t der Br!dergemeine hatte, beteiligte sich aktivan der Neuinterpretation der Internationalit"t und bot in der Presse und inçffentlichen Ansprachen bei br!derischen Feierlichkeiten entsprechendeKonstrukte an. Die Herrnhuter wehrten sich keineswegs dagegen, sondernstimmten ihre Traditionserfindungen damit ab.

Wesentlich bei diesem Transformationsprozess des Konzeptes von Inter-nationalit"t war seit den sechziger Jahren die weltweite $kumene. Mit einemweiteren Pietismusbegriff, der auch pietistische Gruppen des 20. Jahrhundertsin den Blick nimmt, und mit transferhistorischen Ans"tzen lassen sich hier

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Konfliktfelder erkennen, die der Forschung bishermeist entgangen sind. Dankder $kumene galt die Internationalit"t der Br!dergemeine nicht mehr alsexklusives Distinktionsmittel, sondern als inklusive Vereinigung, in der sichdie Unit"t als eine von vielen Kirchen verstand, ohne dass sie je ihren elit"renAnspruch ganz h"tte aufgeben kçnnen. Zwar war die $kumene f!r alle Pro-vinzen der Unitas Fratrum bedeutend, doch in keiner anderen Unit"ts-Pro-vinz l"sst sich nach 1945 ein solcher Bedeutungsgewinn ausmachenwie in derostdeutschen Gemeine. Als Handlungsrahmen undMotor dieser Entwicklungbot sich der $kumenische Rat der Kirchen in Genf an. Die sozialistischenStaaten nutzten diesen ab 1961 f!r ihreAußenpolitik. Besonders begr!ßten siedas 1969 vom $RK initiierte Antirassismusprogramm. Die ostdeutschenHerrnhuter ließen sich darauf mit großer Arglosigkeit ein, obwohl das Pro-grammwegen seiner Unterst!tzung von Gewalt umstritten war und nicht nurvon den schwarzen s!dafrikanischen Moraven strikt abgelehnt wurde. Doches bot der ostdeutschen Br!dergemeine eine wichtige Komponente ihrer neudefinierten internationalen Tradition. Hinzu kam die çkumenische Frie-densarbeit, die von der Unit"t weltweit mit Friedensresolutionen unterst!tztwurde. „Frieden“ und „Antirassismus“ aber umreißen das Gehege, in dem derSED-Staat die ostdeutschen Kirchen auf dem internationalen Parkett einengenwollte und in das sich die Br!dergemeine bereitwillig begab.

Als aufschlussreich erwies sich dabei sowohl der deutsch-deutsche als auchder internationale Aspekt. Denn der Einfluss aus demWesten trug wesentlichzurAnpassung der Christen an das sozialistische Regime bei. Im$RKpflegtenwestliche Mitarbeiter oft marxistisch konnotierte und kapitalismuskritischeTheologien; das westlich-liberale Gesellschaftssystem wurde ab- und dasçstliche aufgewertet. In der westdeutschen Unit"tsleitung war man trotz derN"he zu den $RK-kritischen pietistischen Gruppierungen nicht bereit, dieseTendenzen etwa aufgrund der Menschenrechtslage im Ostblock zu hinter-fragen. Hinzu kamder Einfluss westeurop"ischer Theologen in der DDR, allenvoran Karl Barth, der – "hnlich wie in den ostdeutschen Landeskirchen – inder Br!dergemeine einer der meist rezipierten Theologen war. Barths Theo-logie gleichsam als Tranquilizer, indem er jeden Systemunterschied angesichtsdes sich offenbarenden Gottes f!r eine vernachl"ssigenswerte Grçße erkl"rte.So trugen sowohl die linksintellektuelle Diskurshoheit in der $kumene alsauch die vomWesten gepr"gte theologische Ausrichtung in der DDR dazu bei,dass die Unit"t undmit ihr der Großteil der ostdeutschen Christen nicht in derLage waren, sich kritisch mit dem Sozialismus auseinander zu setzen.

Trotz allem enthielt die Internationalit"t auch ein widerst"ndisches Mo-ment: Die Hilfe aus dem Ausland schuf Unabh"ngigkeiten und der weiteHorizont Freiheiten, die zumindest bei einzelnen Herrnhutern zu einem un-abh"ngigen, staatskritischen Standpunkt f!hren konnten.

Ein kritischer Umgang mit den Machthabern gehçrte aber in aller Regelnicht in den kulturellen Horizont der Br!dergemeine. Das betrifft den zweitenAspekt der Traditionserfindung, n"mlich das Verh"ltnis zur Obrigkeit. Diese

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war f!r die Unit"t, in evangelischer Tradition stehend, vonGott gegeben. Docherst nach Jahren harter Auseinandersetzungen ging das SED-Regime auf dieLoyalit"tsbekundungen der Br!dergemeine ein: Seit Mitte der f!nfziger Jahreversuchte das Regime mit einer „Differenzierungspolitik“, „loyale“ Kirchenund Kirchenmitglieder an das Regime zu binden. Die Staatsfunktion"re be-zogen die Br!dergemeine seit den Vorbereitungen f!r das Unit"ts-Jubil"um1957 in diese Politik ein. Dennoch blieb die ganze DDR-Zeit !ber f!r dieMachthaber Religion grunds"tzlich ein feindliches, anr!chiges Element. Dassollte niemals !bersehen werden. Auch loyale Religionsgemeinschaften wiedie Br!dergemeine blieben misstrauisch be"ugt und verachtet. Diese dem!-tigende Situation war f!r die einst so renommierten Herrnhuter ungewohnt,da sie seit der zweiten H"lfte des 18. Jahrhunderts bis 1945 meist in gutemEinvernehmen mit den jeweils M"chtigen gestanden hatten.

Nachdem das Regime um 1957 sein Entgegenkommen signalisiert hatte,adaptierten die Herrnhuter ein neues Geschichtsnarrativ, das – wieder imGegensatz zu den historischen Tatsachen – die Distanz zu bisherigen „kapi-talistischen“, „kolonialen“ und „faschistischen“Machthabern betonte. Zudemnahmen sie ein theologisches Konzept von Demut an, das die marginalisierteSituation der Urchristen im „vorkonstantinischen Zeitalter“ herausstrich. DieUnit"t entdeckte die Tradition der Zinzendorfschen „Pilgergemeine“ undnutzte deren neue Wertsch"tzung, um die Neustruktur ihrer Kirche akzep-tieren zu kçnnen; denn dieMehrheit derMitglieder lebte nach 1945 außerhalbder Ortsgemeine in der Diaspora. Staatsfunktion"re und staatsnahe Theolo-gen griffen diese Ideen auf, entwickelten sie weiter und gaben der Br!derge-meine eine kapitalismuskritische, antikoloniale und sozial engagierte Tradi-tion. Dadurch wurde das neue Bild der Unit"t nach außen pr"sentiert undverfestigt. Die Traditionserfindung, die von der Unit"t zun"chst taktisch ge-dacht war, zeigte schließlich eine eigene Dynamik; ab Ende der f!nfziger Jahrefinden sich zunehmend die neu formulierten Traditionen von kollektiverGesinnung, dem!tiger Gemeinschaft, sozialem Engagement, und – f!r dieinternationale Tradition – Frieden und Antirassismus auch intern in Predig-ten, Grundsatzpapieren und in der Jugendarbeit.

Aufgrund der neuen kollektivenGeisteshaltung nahm allm"hlich der elit"reHabitus in der ostdeutschen Unit"t ab. W"hrend im Westen weiterhin dasb!rgerliche Distinktionsgef!hl gepflegt wurde, war im Osten die Egalisie-rungstendenz wichtig, um im DDR-Gleichheitsstaat anzukommen. Auch diesoziokulturellen Verschiebungen trugen dazu bei: Einerseits fl!chteten aka-demisch gebildete junge Gemeinmitglieder bis 1961 !berproportional h"ufigin den Westen; andererseits waren die Herrnhuter angesichts ihrer schwieri-gen Situation eher bereit, Mitglieder aus unteren Schichten aufzunehmen. Sost"rkte die bedr"ngende Situation im Sozialismus das inklusive Element. Ander Spitze zeigte sich ebenfalls eine soziale Verschiebung: Neue Direktions-mitglieder hatten teilweise keine universit"re Bildung und kamen oft aus„einfachen“ br!derischen Familien oder gar aus Familien mit landeskirchli-

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chemHintergrund. Auchwas die Bildung derMitglieder betraf, passte sich dasbr!derische Milieu der Umgebung in der DDR an: Es gab weniger Akade-miker, und insgesamt pendelte sich das Ausbildungsniveau auf dem DDR-Durchschnitt ein.

Ein entscheidender Punkt bei der Anpassung der Br!dergemeine an diesozialistische Umgebung war der gesamtgesellschaftliche Prozess, die allge-meine Akzeptanz, die das Regime seit den sechziger Jahren in der Gesellschafterfuhr. Dieser Prozess wiederum wurde von internationalen Diskursen un-terst!tzt, von einem Wertewandel in der westlichen Welt in den sechzigerJahren, der nicht nur im $RK das westliche Modell hinterfragte und dasçstliche aufwertete. Das trug in der DDR zu einer schleichenden Internali-sierung der von der Macht vorgegebenen Normen und Wirklichkeiten bei.Diese „Wirklichkeitsproduktion“ (Michel Foucault) zeigte sich beispielhaft inder Kommunikation zwischen Staat und B!rgern, in der Manipulation durchPrivilegien und in der Implementierung von Herrschaftsmechanismen wieden Wahlen und der Zensur. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen waren dieHerrnhuter in diese Wirklichkeitsproduktion eingebunden: Sie nahmen anden Wahlen teil, und ein Direktionsvorsitzender hielt symptomatischerweisedie als „Gutachterarbeit“ umschriebene Zensur f!r theologisch wertvoll.

Zur neuen Wirklichkeit gehçrte auch die Akzeptanz der wuchernden Pri-vilegienwirtschaft in der DDR. Jede Reise- und Einreiseerlaubnis, jede Bau-genehmigung, jede Publikation, jede Einfuhr von Literatur, jedes grçßere Festwar ein Gnadenakt der Regierung. Das Regime nutzte diese „Privilegien“ f!rseine Aushandlungsprozesse. So verschacherten etwa Geistliche in „Wahlge-spr"chen“ regelrecht ihre Stimme f!r irgendein staatliches Entgegenkommen.Auch das Genehmigungsprozedere f!r Besuche und Westfahrten war einideales Mittel der Disziplinierung und Erpressung. Beispielhaft f!r einenAushandlungsprozess waren die Vorbereitungen f!r die Jubil"umsfeierlich-keiten von 1972. Hier wurden Einreiseerlaubnisse, Schulneubau, Grundst!-cke, Wohlverhalten, denkmalschutzgerechte Architektur, ein Behinderten-heim, der Erhalt br!derischer Betriebe oder eine gute Darstellung der DDRgegen!ber den internationalen br!derischen G"sten gegeneinander abgewo-gen und ausgehandelt. Dieses Prozedere der Aushandlung in einem nahezurechtsfreien Raum und die Selbstverst"ndlichkeit, mit der sich die Unit"ts-direktion daran beteiligte, zeigen, wie stark die Herrnhuter die vorgegebeneWirklichkeit als Normalit"t akzeptiert hatten.

Zur Wirklichkeit in der DDR gehçrte auch die Normalit"t einer umfas-senden #berwachung. Das Ministerium f!r Staatssicherheit spielte dabei f!rdie Herrnhuter Br!dergemeine eine relativ unbedeutende Rolle. Denn einer-seits blieb das Milieu in den Ortsgemeinen stets so isoliert, dass es schwierigwar, Spitzel anzuwerben oder einzuschleusen. Andererseits war das MfS of-fenbar nicht bereit, großeM!hen in die Infiltration einer relativ loyalen Kirchezu investieren. Die totale #berwachung funktionierte auch ohne die Stasi : obParteien, Betriebe oder Verwaltung – !berall und auf allen Ebenen, in der

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Kommune und imKreis, im Bezirk und in Berlinwurden Berichte geschriebenund nach obenweiter geleitet. So kam es, dass der Rat des Bezirkes dankder anihn gerichteten Kreis-, CDU- oder SED-Berichte wesentlich besser !ber dieBr!dergemeine informiert war als die Staatssicherheit. Diese Berichte – dieTeil der Kommunikation zwischen dem Staat und den B!rgernwaren – zeigen,wie sehr die #berwachung als Normalit"t empfunden wurde. Die Rapportewaren mçglich, weil sie im Gegensatz zur Arbeit des MfS als ein legitimer Teildes Verwaltungsapparates galten und auf die Denunziationsbereitschaft derB!rger bauen konnten. Die „Wirklichkeitsproduktion“ war auch hier nur alsInteraktion zwischen Herrschern und Beherrschten mçglich.

Doch die Herrnhuter waren keineswegs einfach Mitl"ufer. In den Ortsge-meinen blieb ein eigensinniges, abgeschottetes Milieu erhalten, zwar wenigerdistinguiert als fr!her, doch trotz aller Adaptionen deutlich unterschieden vonder sozialistischen Umgebung. An erster Stelle stand dabei der br!derischeGlaube, der sich unter allen politisch-sozialistisch korrekten Friedens-For-meln stets einen christologischen Kern bewahrte. Abgesehen von wenigenGemeinmitgliedern blieb die Br!dergemeine insgesamt auf Distanz zu einerstaatsnahen Theologie wie sie andere Freikirchen vertraten. Diese Aufrecht-erhaltung einer vitalen Religiosit"t trug mit dazu bei, dass der Mitgliederbe-stand anders als in fast allen ostdeutschen Religionsgemeinschaften in derBr!dergemeine nach 1961 nur leicht zur!ckging. Flankiert wurde der Glaubevon einer Frçmmigkeitspraxis, die zur Geschlossenheit des Milieus beitrug.Durch den ritualisierten Tagesablauf, den herrnhutischen Festkalender undden durch feste Riten gezeichneten Lebenslauf blieb der Einzelne in dieGlaubensgemeinschaft eingebunden. Angriffe des Staates auf ihre Frçmmig-keitspraxis konterte die Unit"t mit ungewçhnlich entschiedener Zur!ckwei-sung. Anders auch als in der NS-Zeit, als die Staatsideologie vom çffentlichenRaum Besitz ergriffen hatte, Hitler-Reden im Radio gemeinsam auf denStraßen gehçrt wurden und das Hakenkreuz !ber Herrnhut geweht hatte,pr"gten sozialistische Ph"nomene wie Staatsembleme, Umz!ge oder FDJ-Veranstaltungen in Herrnhut nicht das Erscheinungsbild.

Zum br!derischen Milieu trug auch die CDU-Regierung in der Ortsge-meine bei. In Herrnhut wurde der B!rgermeister bis 1968 von der Unit"tgestellt. Gemeinmitglieder dominierten die CDU in Herrnhut und saßenw"hrend der gesamten DDR-Zeit im Rat der Stadt. Erhalten blieb das Milieunicht zuletzt durch das çffentliche, zivilgesellschaftliche Engagement derHerrnhuter. Dort, in der Diakonie und den br!derischen Betrieben, gab esArbeitspl"tze in christlicher Umgebung, die dem staatlichen Zugriff entzogenblieben.

Schließlich war die intensive und breit gef"cherte Jugendarbeit f!r dasdistinkte Milieu und f!r den Erhalt des Mitgliederbestandes verantwortlich.Den Angriff auf die kirchliche Jugend in den f!nfziger Jahren erwiderte dieBr!dergemeine mit deutlicher Abgrenzung. Die sorgf"ltige Erziehung in derFamilie, in Konventikeln, in R!stzeiten, Konfirmationsunterricht und Chris-

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tenlehre st"rkte die br!derische Identit"t der Jugendlichen. Die Jugendarbeitwar intellektuell anspruchsvoll, und bildungsb!rgerliche Tugenden wurdennach wie vor hoch gehalten. Im Vergleich zur sozialistischen Gesellschafterhielt sich daher bis zur Wende noch relativ viel von dem bildungsb!rger-lichenHabitus. In denOrtsgemeinen blieb die Jugendweihe sogar unter Nicht-Mitgliedern anr!chig; in der Diaspora jedoch, wo es das br!derische Milieunicht gab, waren die Herrnhuter eher zu Kompromissen wie zur Jugendweihebereit. Damit wird deutlich, wie wichtig die soziokulturelle Verfassung desMilieus f!r resistentes Verhalten war.

Der dritte Aspekt, in dem die Traditionserfindung der Herrnhuter beson-ders deutlich wurde, ist das zivilgesellschaftliche Engagement. BischofTheodor Gill erkl"rte 1990: „In einem Brief aus Amerika las ich, dass einbekanntesMissionsseminar in denUSAdie Beurteilung f!r unsere Kirche hat:,Die Br!dergemeine hat immer gut gewusst, wie sie sich um ihre eigenenMitglieder k!mmern muss, aber wenig Einsicht und Energie f!r die Mçg-lichkeiten zu ihrer Ausweitung aufgebracht.’ Dies ist leider, mindestens f!runsere Generation, in Europa und Nordamerika, richtig.“1 Tats"chlich ging esder deutschen Br!dergemeine im 20. Jahrhundert prim"r um ihr #berleben,w"hrend dieMission – ihr urspr!ngliches Projekt, mit dem sie derMenschheitdienen wollte – in Ost und West stark an Bedeutung eingeb!ßt hatte. Da dieGemeine aber auf eine große Aufgabe angewiesenwar, die ihre Sonderexistenzals Freikirche rechtfertigte, suchte sie immer wieder neue Aufgabenfelder. Im19. Jahrhundert fand sie in Europa neben derMission die Erziehungsarbeit als„Dienst“, und in Internaten engagierte sie sich in der Elitenfçrderung. Dochbeides, sowohl die Mission als auch die P"dagogik, entfielen nach 1945 weit-gehend f!r die Gemeine in der DDR. Zwar erhielt sie den Anspruch aufrecht,eine missionarische Kirche zu sein, unterst!tzte mit ihren beschr"nktenMittelnMissionsprojekte imAusland und bewahrte sich nicht zuletzt dadurchihren internationalen Horizont. Dennoch musste die Br!dergemeine in derDDR nach einer neuen zivilgesellschaftlichen Aufgabe suchen – zivilgesell-schaftlich im pragmatischen und nicht normativen Sinn verwendet. DieHerrnhuter Br!dergemeine fand schließlich in der Diakonie einen neuen„Dienst“. Denn der finanziell klamme SED-Staat teilte die Behinderten- undAltenarbeit den Kirchen als ihr ureigenstes Aufgabenfeld zu. Von der elit"renErziehungsarbeit bis hin zur Behindertenarbeit aber war es ein weiter Weg.Dabei half wieder die Reformulierung der Tradition: Zusammen mit demtheologischen Konzept von Demut !bte die Unit"t sich nun in einer Haltungder Bescheidenheit. Sie sah sich als kleine, dem!tige Freikirche, die von derGesellschaft marginalisiert werde, dies freudig als Gottes Weg akzeptiere undsich der Hilfsbed!rftigsten in der Gesellschaft, der Alten und Behinderten,annehme – eine Aufgabe die f!r Christen besonders angemessen und ei-gentlich die einzig richtige sei.

1 Th. Gill an J. Halama, 19.2. 1990, UA DEBU 521; vgl. ganz "hnlich Musomba, S. 43.

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Das zweite große Bet"tigungsfeld der Unit"t blieben die Betriebe, derenGewinne der diakonischen Arbeit zugute kamen und in deren Werkst"ttenArbeitspl"tze f!r Behinderte eingerichtet wurden. Als weiteren wichtigen„Dienst“ sah die Br!dergemeine das Andachtsbuch der „Losungen“, dessenManuskript sie die ganze DDR-Zeit hindurch in Herrnhut herstellte und dassie auch in der DDR j"hrlich in hoher Auflage herausbrachte.

Alle zivilgesellschaftlichen Dienste der Unit"t in der DDR bargen Resis-tenzpotenzial : Sie schufen Freir"ume wie die Arbeitspl"tze in der Diakonieund in den Betrieben, sie schenkten einenweiten Horizont wie das anhaltendeInteresse an der Mission, und sie sorgten f!r ein unabh"ngigeresMilieu. Dochlagen auch hier Resistenz und Anpassung eng beisammen. Die Motivation derBr!dergemeine f!r ihr zivilgesellschaftliches Engagement war schon vor 1945keineswegs rein religiçs gewesen. In der DDR wollte sich die Gemeine alsloyale, der Gesellschaft n!tzliche Kirche pr"sentieren und damit ihre Existenzinnerhalb des Sozialismus rechtfertigen. Zivilgesellschaftlicher Einsatz ver-trug sich hier nicht nurmit den Anspr!chen der Diktatur, sondern kamdiesenweit entgegen. Zudem waren alle Aufgabenfelder das Resultat komplexerAushandlungsprozesse, in denen die Br!dergemeine zu zahlreichen Zuge-st"ndnissen bereit war, und die ohne grunds"tzliche Loyalit"t gegen!ber demSED-Staat kaum mçglich gewesen w"ren. Oft vermuten Herrnhuter, ihre In-ternationalit"t und der Druck, der durch diese auf das Regime ausge!btworden sei, habe sie vor der Schließung der Betriebe oder vor einer sch"rferenZensur des Losungsbuchs bewahrt. Doch das ist nur zum Teil richtig. Ihreobrigkeitstreue Haltung und ihre Vorbildfunktion in der Differenzierungs-politik des Staates spielten eine ungleich wichtigere Rolle.

In der Wendezeit blieb die Mehrheit der Herrnhuter in der DDR zur!ck-haltend, misstrauisch, in stiller Abwehr westlicher und freiheitlicher Werte.Doch als der Umbruch da war, nahm die Br!dergemeine die Chancen wahrund ergriff Verantwortung: im Aufbau neuer Schulen, in der Wirtschaft undauch in der Politik. Ihr zivilgesellschaftliches Engagement, das oft genug dazugedient hatte, problematische Regime zu st!tzen, konnte sich neu und andersentfalten.

Die Traditionserfindung, die im SED-Staat zun"chst bewusst taktisch einge-setzt wurde, bem"chtigte sich erst nach und nach der Akteure, bis bei vielenHerrnhutern aus den Lippenbekenntnissen innere #berzeugung wurde. DieMacht schuf eine Wirklichkeit, die schleichend von den Beherrschten ak-zeptiert und mitgestaltet wurde. Das erkl"rt, wie es zu einer relativ pro-blemlosen Ann"herung an solche unterschiedlichen Regime wie das des Na-tionalsozialismus oder des Staatssozialismus kommen konnte. Dieser Adap-tionsprozess l"sst sich also nicht als bloßen Opportunismus oder eine reineFolge staatlicher Repressionen bezeichnen. Vielmehr war die Adaption einbeziehungsreiches Zusammenspiel von oben und unten. Dabei zeigte sich fastimmer eine komplexe Ambivalenz: Einerseits f!hrte die Adaption dazu, dass

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die Br!dergemeine nicht zu einer grunds"tzlichen Kritik am SED-Regimef"hig war und sich wie schon vor 1945 mit ihrer zivilgesellschaftlichen Akti-vit"t in den Dienst der Machthaber stellte. Andererseits boten sowohl dieInternationalit"t als auch der gesellschaftliche „Dienst“ und damit das abge-schottete Milieu ein Resistenzpotential, das trotz allem f!r DDR-Verh"ltnisseaußergewçhnlich war. Gewiss gab es Glaubensgemeinschaften wie etwa dieZeugen Jehovas, die sich in den Diktaturen weniger kompromittiert hatten.Doch boten die Herrnhuter der Gesellschaft mit ihrem Engagement in derBehinderten- oder Altenarbeit nicht einenwertvollenDienst? Undwar es nichtwichtig, mit dem frommen br!derischen Milieu in der DDR çffentlichesChristentum und eine Gegenkultur zu demonstrieren?

Die Unit"t ist ein signifikantes Beispiel daf!r, wie Konstruktionen Ge-schichte schaffen. Die außerordentliche Aufmerksamkeit, die der Unit"t in derForschung bis heute zuteil wird, l"sst sich – so die zugespitzte These – nicht aufihre tats"chliche Bedeutung, sondern nur auf ihre stupende F"higkeit zurTraditionskonstruktion und Selbststilisierung zur!ckf!hren. Das begann mitder Konstruktion, Nachfolgerin eine der "ltesten evangelischen Kirchen derWelt zu sein, der Bçhmischen Unitas Fratrum, und setzte sich im 20. Jahr-hundert mit der Selbstdefinition einer besonders çkumenischen, besondersfriedliebenden, besonders antirassistischen Gemeinschaft fort – ein Kon-strukt, das schließlich um 1990 weltweit in der Unit"t gepflegt wurde.

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Anhang

Glossar

Bad Boll Direktionssitz des West-Distrikts (Baden-W!rttemberg bei Gçppingen)

br!derisch Adjektiv f!r Br!dergemeine

Diaspora Gegenden, in denen br!derische Prediger Mitglieder der evangelischen Lan-deskirchen betreuten; nach 1945 wurden teilweise auch Gemeinmitglieder zur D.gez"hlt, die außerhalb der Ortsgemeinen wohnten

Distrikt Distrikt Ost, seit 1961 Distrikt Herrnhut, stand f!r die Br!dergemeine in derDDR; Distrikt West, seit 1961 Distrikt Bad Boll, stand f!r die Br!dergemeine imWesten.

Gemeine Br!dergemeine

Gemeinbereich Die ostdeutsche Br!dergemeine teilte die DDR in Gemeinbereiche ein; jedesMitglied, das außerhalb der Ortsgemeine wohnte, wurde einem Gemeinbereichzugeordnet; teilweise auch als Diaspora bezeichnet.

Gemeinmitglied Mitglied der Br!dergemeine

Kirchensaal Kirchenbau der Br!dergemeine

Losungen Herrnhuter Losungsbuch; j"hrlich erscheinendes Andachtsbuch, in dem f!rjeden Tag ein „gelostes“ Bibelwort, ein weiterer Bibelvers und ein Gebet oderLiedvers stehen.

MoravianChurch

Name der Br!der-Unit"t in englischsprachigen L"ndern

Ortsgemeine Herrnhutische Siedlung

Gemeinhelfer Pfarrer in der Br!dergemeine

Gemeindiener kirchlicher Mitarbeiter in der Br!dergemeine

R!stzeit Freizeit mit christlicher Programmgestaltung

Unitas Fratrum Herrnhuter Br!dergemeine; Evangelische Br!der-Unit"t

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Unit"tssynode bis 1957 Generalsynode genannt: Oberstes exekutives Gremium der weltweitenBr!der-Unit"t, das in unregelm"ßigen Abst"nden von mehreren Jahren zusam-mentritt (vgl. Organigramm 1).

Abk!rzungsverzeichnis

ACDP Archiv f!r Christlich-Demokratische PolitikACK Arbeitsgemeinschaft Christlicher KirchenAIM Aktenablage von IM beim MfSAKG Auswertungs- und Kontrollgruppe (MfS)AP Allgemeine Personenablage (MfS)BA BundesarchivBEK Bund Evangelischer Kirchen in der DDRBL BezirksleitungBStU Die Bundesbeauftragte f!r die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen

DDRBU Br!der-Unit"tBV Bezirksverband (der Parteien); Bezirksverwaltung (MfS)CFK Prager Christliche FriedenskonferenzDBU Deutsche Br!der-Unit"tDUD Deutsche Unit"ts-DirektionDVP Deutsche VolkspolizeiEBU Evangelische Br!der-Unit"tEKD auch EKiD; Evangelische Kirche DeutschlandsEVA Evangelische Verlagsanstalt, BerlinHA HauptabteilungHD HauptdirektionHh HerrnhutHStA HauptstaatsarchivHV HauptverwaltungIM Inoffizieller Mitarbeiter des MfSIMC International Missionary CouncilITD Internationaler Theologischer Dialog in der Br!der-Unit"t (Zeitschrift der Unitas Fra-

trum)KKL Konferenz der KirchenleitungenKL KreisleitungKP Kontaktperson (MfS)KV KreisverbandKZ Kirchliche Zeitgeschichte. Internationale Halbjahresschrift f!r Theologie und Ge-

schichtswissenschaftMAB Moravian Archives BethlehemMfS Ministerium f!r StaatssicherheitNCC National Council of Churches; US-amerikanisches çkumenisches GremiumNSW Nicht-Sozialistisches WirtschaftsgebietMfS Ministerium f!r Staatssicherheito.A. ohne Angaben in den Quelleno.D. ohne Daten in den QuellenOPK Operative Personenkontrolle (MfS)#RK #kumenischer Rat der Kirchen = WCC

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OV 1. Operativer Vorgang, Terminus des Ministeriums f!r Staatssicherheit; 2. OrtsvorstandPEC Provincial Elders’ Conference, Leitungsgremium einer ProvinzPK PredigerkonferenzRdB Rat des BezirkesRdK Rat des KreisesRdS Rat der StadtSAPMO Stiftung Archiv der Parteien- und MassenorganisationenSBZ Sowjetische BesatzungszoneSMAD Sowjetische Milit"radministrationSPO SchulparteiorganisationStA StaatsarchivUA Unit"tsarchivVP VolkspolizeiVPKA VolkspolizeikreisamtWCC World Council of Churches = #RKZK Zentralkomitee (der SED)

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Quellen – und Literaturverzeichnis

1. Archivalien

Archivum Unitatis Fratrum / Unit"tsarchiv, Herrnhut (UA)

Bestand DEBU: Direktion der Europ"ischen Br!der-Unit"t in Herrnhut(Distrikt Ost / Distrikt Herrnhut) 1, 2, 4, 9 f. , 14, 16, 27–34, 36 f. , 47, 49–55,58–60, 65, 72–79, 81–84, 86 f. , 90, 93–95, 100–103, 117, 119, 145 f. , 150, 165,173, 191, 193, 195–198, 200, 213, 215, 220, 228, 232, 237, 240 f., 244 f. , 249,255–257, 265, 278, 289–291, 297, 302–307, 310a, 319 f. , 435, 437, 442, 458,463 f., 478, 494c, 513–518, 512–526, 537, 559–561, 568, 570, 577–583, 586,588–600, 605 f. , 610 f. , 614, 616, 623, 627, 631, 641, 651–653, 656–665, 670,672 f., 682, 689, 693, 703, 714, 803–806, 831, 836, 842 f. , 863–865, 868, 870,973, 976, 981, 985 f. , 988 f. , 992, 1011, 1020, 1022 f. , 1028, 1053 f., 1078, 1130,1133, 1050–1054, 1170, 1351, 1353 f. , 1358, 1362, 1367–1371, 1373, 1380, 1384,1407–1409, 1418, 1421, 1430 f. , 1446, 1448, 1450 f. , 1454, 1458, 1458a, 1458 f-i,1459b, 1459e, 1459 g, 1461, 1468–1472

Bestand EFUD: Europ"isch-Festl"ndische Unit"ts-Direktion (Distrikt West /Distrikt Bad Boll) 42, 365, 369, 414 f. , 626, 647, 655–660, 687–693, 695, 697,746, 887, 913 f. , 938, 973 f. , 976, 931 f. , 1120 f. , 1205

Bestand DUD: Deutsche Unit"ts-Direktion 47, 279, 302 f.

Bestand S: Unit"ts-Synoden S 420

Bestand SynHt: Synode Distrikt Herrnhut 1, 4–6, 12, 18–21, 25, 28–30, 41–46, 51 f., 60–64, 68, 77, 84 f. , 90, 99, 140 f. , 164

Bestand N (Nachl"sse): NB.IX.165 (Rundschreiben), NGO (Nachlass OttoGemuseus), NKL (Nachlass Lena K!cherer), NRH (Nachlass Heinz Renke-witz), NUO (Nachlass Otto Uttendçrfer)

Lebensl"ufe: Alle in der Arbeit angegebenen Lenbesl"ufe befinden sich, sofernnicht anders angegeben, im Unit"tsarchiv Herrnhut.

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Moravian Archives Bethlehem (MAB), PA, USA

Die Best"nde der Northern Province of the Moravian Church in America ab1945 sind noch nicht verzeichnet; die vorl"ufigen Aktennummern geben dieKennzeichen der Kartons an, in denen sich die Unterlagen befinden 99FI,99FII, 99G1, 99GII, 99HI, 99HII, 100FI, 100FII, 100GI, 100GII, 100H, 101F,101GI, 101GII, 101H, 103CI, 103CII, 103HI, 104EI, 104FI, 104FII, 104GI,104HI, 104HII, 106FII, 106HI, 106HII, 107C, 108FI, 108FII, 108GI, 108HII,109HII, 110AI, 110AII, 110BI, 110BII, 111AI, 111AII, 111BI, 111CII, 111DI,111DII, 112AI, 112BI, 112BII, 112CI, 113EI, 113EII, 113FI, 113GII, 113HII,114DI, 114DII, 114EII, 114FI, 114FII, 114GI, 115DI, 115DII, 116AI, 117GI,128GII, 163HI, 164HI, 165HI, 166HI, 168GI, 170HI, 171HII, 173FI, 173FII,173GII, 173HI, 173HII, 295EI

Privatunterlagen und Nachl"sse: Ralph G. Schwarz, Vernon Nelson, Arthur J.Freeman

Moravian Archives Winston-Salem (MAWS), NC, USA

Best"nde der Provincial Elders’ Conference und Unity Elders’ Conference:2100B, 2100C, 1600 III.A 1 e, 1600 III.A 1 d, 1600 III.A 1 c, 1600 III.A 1 b, 1600III.A 1 a, 1606 III B 3 a

Sonstige Best"nde: MC 116 Davis (John Richard Davis Collection), 6207:V.D 6b (European Continental Herrnhut)

Gemeinarchiv Berlin II

Best"nde des $ltestenrats und der Gemeinhelfer : 6.1, 6.2, 23a, 23b, 222, 241,242, 243, 521a, 521b, 521c, 521d, 521e, $R 52, $R 123, $R 751, $R 752, $R 755

Sonstige Best"nde: Ordner zur Gemeinde; Sammlung der Rundbriefe;Sammlung der Lebensl"ufe

Gemeinarchiv Berlin Neukçlln

Best"nde des$ltestenrats und der Gemeinhelfer : B Ib8, B IIe3, B IIa5, B IId8, BIIa3, B Ig1, B Ia20, B IIa4, B Ig2, C3 I a1, C3 I f3, C3 I b1, C3 Ik, C3 Ig1, C3 IId1,C3 Ik2, D VII

Sonstige Best"nde: Unverzeichnete Unterlagen zur Geschichte der GemeineBerlin, zur Gemeine in Ost-Berlin, Ost-West-Begegnungen; Rundbriefe;Sammlung der Lebensl"ufe

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Gemeinarchiv Ebersdorf

Best"nde des$ltestenrates ab 1945 bis 1990:$R IR 2;$R I R 2,3a;$R I R 2,3b-g;$R I R 2,4;$R I R 2,4a;$R I R 3,1;$R I R 3, 2a;$R I R 3,3a-b;$R I R 4,3;$RI R 9;$R I R 11;$R I R 13;$R I R 14;$R I R 18 u. 20;$R I R 19b;$R IR 20;$RI R 1 I B; B 1.12

Sonstige Best"nde: Korrespondenzen; Synodalunterlagen; Sammlung derLebensl"ufe

Bundesarchiv Berlin (BA)

Bestand DR 1: Ministerium f!r Kultur 2140a, 2501, 2503, 2506a, 2508, 2510,2513, 2517, 2519, 2522a, 2525, 2527, 2529, 2531, 2534, 2537a, 2539, 2540, 2543,2546, 2548, 2550, 2554, 2556, 25582560, 2562, 2564, 2568, 2570, 2572a, 2573a,2574–2576, 2577a, 2580, 2581, 2428, 2432, 2504

Bestand DO 4: Staatssekret"r f!r Kirchenfragen 47, 48b, 246, 266, 272, 305(83686),333a, 338, 342, 345, 373–377 (83702), 382, 385 (83704), 401, 402, 418,429, 430, 448, 450, 487, 488, 491, 494 (83727), 554–556, 572, 582a, 593, 602, 656,740, 967, 1020, 1070, 1071, 1110, 1122, 1123, 1130, 1407, 1505, 1508, 1520, 1600,1712, 1713, 1953, 1963 (83913), 1968 (83913), 2000, 2002, 2028, 2029, 2053,2289, 2363 (83961), 2409, 2437–2438 (83968), 2444 (83969), 2459, 2479, 2517,2568, 2647, 2683, 2792, 2794, 2800, 2802, 2863, 2965, 2890, 2967–2969, 2979,4732 (85774), 4739, 4746, 4814, 4857, 4900, 6148, 6269, 6311, 6374, 6316, 6338,6359, 83710

Bestand N 2509: Nachlass Seigewasser 83, 202

Bestand DL 203: Zollverwaltung der DDR – Hauptverwaltung 04-07-05 (294),05-02-00 (305), 05-02-02 (308), 05-02-05 (308), 05-03-01 (308), 05-03-05 (309),00-06-03 (62)

Bestand DO 1: Ministerium des Innern 11.0 / 864

Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDRim Bundesarchiv Berlin (SAPMO-BA)

Bestand DY 30/ IV 2/2/: Protokolle des Politb!ros des ZK der SED (1949–52)74, 80, 86, 95, 105, 197, 216, 252

Bestand DY 30/ J IV 2/2/: Protokolle des Politb!ros des ZK der SED (1953–1960) 270, 280, 338, 353, 398, 587

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Bestand DY 30/ IV 2/2.1: Protokolle Zentralsekretariat der SED Pub.-FB 59 / 78

Bestand DY 30 IV 2/14: ZK der SED, Arbeitsgruppe Kirchenfragen (1945–62)1, 2, 3, 11, 12, 16–18, 21, 41, 50, 51, 64, 93, 94, 124, 187, 195–197, 208, 247

Bestand DY 30 / IVA 2/14: ZK der SED, Arbeitsgruppe Kirchenfragen (1963–1971) 2, 4, 5, 10, 11, 14, 15, 34, 40

Bestand DY 30/IV B 2/14: ZK der SED, Arbeitsgruppe Kirchenfragen (1972–89) 11, 12, 22, 30, 44, 45, 60, 61, 64, 70, 71, 79–81, 90, 98, 101, 142, 143, 146, 155,168, 169, 171, 173, 181, 193–196

Bestand DY 30 / IV 2/2.036: B!ro Paul Verner FB 127 / 34, FB 127 /37, FB 127 /39, FB 127 / 41, FB 127 / 47

Bestand DY 30: ZK der SED 6554

Hauptstaatsarchiv Dresden (HStA Drd.)

Bestand 11377: Landesregierung Sachsen / Ministerium des Innern 236, 237,416, 773, 823, 1641, 2114, 2869

Bestand 11378: Landesbehçrden der Deutschen Volkspolizei 294

Bestand 11394: Landesregierung Sachsen, Ministerium f!r Land- und Forst-wirtschaft 546, 693, 1615

Bestand 11420: Kreistag/Kreisrat Lçbau (1945–52) 4, 12, 19, 26, 30, 37, 41, 53–55, 57, 67, 83, 93, 126, 135, 139, 140, 158, 159, 199, 210, 220, 328, 345, 411, 439,472, 500, 601, 1012, 1054

Bestand 11430: Bezirkstag / Rat des Bezirkes Dresden (u. a. Referat f!r Kir-chenfragen) 366, 382, 385, 431, 444, 445, 448, 449, 451, 454, 671, 855, 856, 902,903, 1328, 1329, 6039, 6279–6286, 6338, 6339, 6421, 6445, 33094/1, 10763,10769, 10765, 10766, 10775, 10787, 10788, 10791, 10792, 10798, 10799, 10801–10803, 10807, 10809, 10815, 10817, 10818, 10821, 10822, 10828, 10829, 10831,10840, 10844, 10849, 10860, 10866, 10868, 10870–10873, 10884, 10894, 10896,10907, 10901, 10909, 10926, 10936, 10941, 10948, 10994, 11009, 11026, 11028–11030, 11084, 11091, 11100, 11149, 11057, 11152, 11155

Bestand 11423: Kreis Niesky 527

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Bestand 11857: SED-Bezirksleitung Dresden IV/2/12/009, IV/2/13/022, IV/2.14.003, IV/2.3.025, IV/A/2.9.02/437, IV/A/2.14.586, IV/B.2.14.633, IV/B.2.14.634, IV/B.2.14.636, IVC-2/14/ 675, IVC-2/14/ 676, IVC-2/14/ 678, IVC-2/14/ 681, IV C-2/14/ 682

Bestand 11864: SED-Kreisleitung Lçbau IV/4/09.085- IV/4/09.087, IV/4/09.156, IV/4/09.169, IV/4/09.177, IV/A.4.09.050, IV/B.4.09.091, IV/B.4.09.100,IV/C.4.09.191, IV/C.4.09.141, IV/C.4.09.184, IV/D.4.09.144

Landesarchiv Berlin

Bestand C Rep 101/04: Magistrat von Berlin, Beirat f!r kirchliche Angele-genheiten / Amt f!r Kirchenfragen (1945–1964) 17, 68, 81, 91, 95, 107, 108

Bestand C Rep104: Magistrat von Berlin, Bereich Inneres (1955–1990) 66, 95,282, 328, 393, 540, 570

Th!ringisches Staatsarchiv Rudolstadt

Bestand Bezirkstag und RdB Gera, Inneres: 275, 280, 289, 292, 314, J 253, J 258

Bestand Volkspolizeikreisamt Lobenstein: 47, 50

Bestand Deutsche Post, Bezirksdirektion Gera: 161, 2162

Bestand Bezirksleitung der SEDGera: IV / A-2 / 14 / 696, IV / 2 / 14 / 1201, IV / 2/ 14 / 1197, IV / 2 / 14 / 1196, A 8024

Staatsfilialarchiv Bautzen

Bestand Amtsgericht Herrnhut: 2318, 2321, 2348, 2298, 2388, 3513, 3533,

Kreisarchiv Zittau-Lçbau

Bestand Rat des Kreises Lçbau (von dem die meisten Akten nicht mehr auf-findbar waren): 88/1280, 216, 218, 230, 300, 480, 533, 536, 542, 607, 636, 756,726

Stadtarchiv Herrnhut

Die Best"nde des Stadtarchivs sind noch nicht verzeichnet. Folgende Unter-lagen wurden in der Arbeit benutzt: Materialien zum Rat der Stadt, zur Br!-der-Unit"t, Jugend, Ansteckende Krankheiten

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Die Bundesbeauftragte f!r die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes derehemaligen DDR, Berlin (BStU)

Bestand MfS HA XX/4: Sicherung der Kirchen 439, 778, 926, 1106, 1539, 2951,3081, 3298, 3470, 3473, 5013

Bestand AKG: Auswertungs- und Kontrollgruppe PI A 5/87, PI 71/83, PI 76/81,PI 86/86, PI XIV/81, 5393, HA XX AKG 5906

Bestand MfS AP: Allgemeine Personenablage 11730/92, 1194/57, 13722/92,14398/92, 20293/92, 20710/92, 4449/92

Bestand BVDrd.: BezirksverwaltungDresden AGI 1198/52, AIM 1100/85, AIM1732/91, AOP 2163/62, Bdl / Dok. 1163

Bestand BV Drd. KD Lçbau: 8066, 18067, 18204

Archiv des "kumenischen Rates der Kirchen in Genf (Archiv #RK), Schweiz

Bestand 213: World Student Christian Federation 11.01/1+2+4, 11.02.7,13.159/4, 13.155, 15.25/18

Bestand 26: International Missionary Council (IMC) 22, 4.020, 11.18, 11.20,31.28

Bestand 31: WCC Assembly Amsterdam (1948) 5, 019/1, 027/08

Bestand 32: WCC Assembly Evanston (1954) 009/02+03+04

Bestand 33: WCC Assembly New Delhi (1961) 5, 25, 31/3

Bestand 34: WCC Assembly Uppsala (1968) 8/05.4, 8/05.5, 15

Bestand 35: WCC Assembly Nairobi (1975) 8/1–4, 9/4+5–6, 24/4.7, 24/5

Bestand 42: General Secretariat / WCC General Secretary 3.39, 6, 57, 68, 4.001/3, 4.028, 4.029, 4.051/4, 4.076/6, 4.101, 4.112

Bestand 301: World War II era records 1.10, 437.1

Bestand 303: Ecumenical Commission for the Chaplaincy Service to Prisonersof Wars 9/2, 28

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Bestand 425: Commission of Interchurch Aid, Refugee and World ServiceReconstruction 1.23, 1.28, 1.91, 3.47, 3.60

Bestand 4213: Programme on Theological Education 2.3.02/12, 2.3.03, 3.2.03

Bestand 4223: Programme to Combat Racism 2.02, 3.03, 3.04–3.06, 3.73/27,5.01, 13.11, 13.12, 13.40, 16.4/1

Bestand 475: Vischer, Lukas (Reformed Churches: a Documentation) 2.016

Bestand 994: WCC General Secretaries 1.01, 1.05, 3.50.6, 3.50.8

Evangelisches Zentralarchiv (EZA)

Bestand 2: Kirchenamt der EKD (1929–86) 153, 2135, 5268

Bestand 4: Kirchenkanzlei der EKD f!r die Gliedkirchen in der DDR (1952–1969) 347, 420, 519, 737

Bestand 89: Christliche Friedenskonferenz in der DDR 3, 41, 44–46, 48, 51, 54,80, 117

Bestand 101: Sekretariat des BEK in der DDR (1970–1991) 91, 271, 280, 285,286, 1137, 1153, 1510–1512, 1873, 3240, 5590–5593, 5729, 5763

Bestand 102: Gesch"ftsstelle der Konferenz der Evang. Kirchenleitungen inder DDR (1962–70) 95, 318, 417

Bestand 104: Kirchenkanzlei der EKD f!r die Gliedkirchen in der DDR (1952–69) 390, 463, 661, 666, 722

Bestand 107: EKU – Nebenstelle Ost 336

Bestand 147: Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in derDDR (1970–98)

Archiv f!r Christlich-Demokratische Politik, St. Augustin (ACDP)

Bestand II-270: Informationsberichte des KV Lçbau AA, BB

Bestand II-209: Kreisverband Lobenstein 027/5, 028/5, 046/3, 018/5, 004/6,030/1, 018/3, 045/9, 011/3, 032/4, 015/2, 001/2, 005/6, 005/1, 032/1, 013/3, 028/4,021/5, 006/9, 045/1, 015/5, 017/6, 044/9, 044/10

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Bestand III-040: Bezirksverband Dresden 109/2, 110/1, 125/1, 125/2, 087/1,087/2, 088/1, 092/1, 090/1, 090/2, 095/1, 097/2

Bestand III-045: Bezirksverband Gera 193/5, 087/1, 125/3, 149/1, 173/1, 167/1

Bestand III-050: Bezirksverband Berlin 002/1, 016/3, 017/2, 031/9

Bestand VII-011: Sekretariat des Hauptvorstandes 1556

Bestand VII-012: Parteiarbeit 0498

Bestand VII-013: Sachthemen 0177, 1784, 1808, 2168, 2529, 3056, 3057, 2122,2128, 4020

2. Periodika

Herrnhut, Herrnhut, 1933–1941Br!derbote, Bad Boll, 1947–1990Civitas Praesens, Bad Boll, einzelne Jahrg"ngeHarmony, Herrnhut, einzelne Jahrg"ngeThe North American Moravian / The Moravian, Bethlehem, PA/Winston-Salem, NC, 1945–1989

3. Datenmaterial

3.1 Interviews

Die 28 Interviews mit 36 Gespr"chspartnern, die von 2005 bis 2007 inDeutschland, den USA und in der Schweiz gef!hrt wurden, sind in proble-matischen F"llen anonymisiert. Die relevanten Angaben zu den Interview-partnern stehen jeweils in der Fußnotenangabe.

3.2 Sample

Das Br!dergemein-Sample besteht aus 198 Personendatens"tzen, die aus denLebensl"ufen von Gemeinmitgliedern gewonnen wurden. Erfasst wurdendaf!r in den Gemeinarchiven Berlin II und Ebersdorf sowie im Unit"tsarchivHerrnhut die Lebensl"ufe von Gemeinmitgliedern, deren Nachnamenmit denBuchstaben B, C, F, G, P, R und W beginnen. W"hrend das Sample f!r die"lteren Kohorten repr"sentativ ist, ist die Aussagekraft f!r die j!ngeren Ko-horten eingeschr"nkt, da f!r diese weniger Lebensl"ufe in den Gemeinar-

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chiven vorliegen. In der Regel werden die Lebensl"ufe der Gemeinmitgliedererst nach dem Tod archiviert.

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Autorenregister

Adler, Elisabeth 191, 242Asmussen, Hans 235, 370Assmann, Jan 13–15, 68, 110, 165, 168,

268, 298, 349, 370

Barck, Simone 345Barmer Theologische Erkl!rung 55f.,

235, 370, 373Barth, Karl 15, 75, 78, 121, 222,

233–239, 243, 248, 321, 351, 370f. ,373, 378, 380, 386

Barth, Willi 101, 123, 142, 194, 202f. ,346

Bassarak, Gerhard 161, 242, 343–345Baudert, Samuel 45, 58f. , 64f. , 67, 82,

86f. , 90, 92, 105, 133, 311Baudert, Walther 57, 59, 65Bellack, Erika 106f., 153Berlin 9Besier, Gerhard 42, 115, 138f. , 141,

171, 240f., 243, 246, 248, 329, 371f.Beyreuther, Erich 28, 33, 337, 372Biedenkopf, Kurt 336Biedermann, Klaus 108, 159, 169,

273f. , 294, 314, 322f. , 326Bintz, Helmut 372Bismarck, Otto von 38, 337Blake, Eugene C. 250f. , 254, 256Blaufuß, Dietrich 31, 217f. , 372Bonhoeffer, Dietrich 233, 248, 337, 394Brandt, Willy 162f.Britton, L. J. 152, 166Br"sewitz, Oskar 177, 195, 280–282,

383Burckhardt, Werner 40, 341, 343Burke, Peter 14, 16, 373

Busch, Eberhard 15, 75, 234–236, 238,297, 373

Caffier, Wolfgang 141, 161, 203f., 217,321, 346, 373

Carstens, Benigna 175, 294f. , 317, 327Casanova, Jos# 16, 97, 373Class, Helmut 278Clemens, Gottfried 42, 82, 125–127,

147, 175, 178, 206, 309Clemens, Guntram 223Clemens, Martin 206, 263, 309, 373Comenius, Johann Amos 27, 31, 185,

217–219, 237, 265, 313

D!hn, Horst 18, 190, 195, 373, 387, 391,398

D!nemark 35, 73, 86f., 94, 150, 228David, Christian 337Diakonie 12, 64, 99, 196–198, 209, 213,

228, 274, 276, 297, 300f. , 309, 316,324, 335, 356

Dibelius, Otto 81, 144, 147f. , 217, 236,238, 241f., 336, 374

Doering-Manteuffel, Anselm 19, 78,166, 233, 236, 371, 374

Dohle, Horst 157, 160, 162f., 169, 172,192, 194f., 211, 218, 228f. , 237, 239,241, 250, 259–261, 263, 265–267,270f. , 282, 290, 297f. , 306f. , 312, 315,320, 323, 326, 340f., 344, 346, 374

Dubcek, Alexander 242Dulles, Eleanor 90Dulles, John Foster 234

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D"rninger, Abraham 36, 50, 55f. , 61,63f. , 100, 117, 142, 301, 303f. , 307,310, 384, 398f.

Dutschke, Rudi 249, 254

Eggerath, Werner 141, 144, 225Ehlers, Hermann 241Eisenhower, Dwight D. 149Engels, Friedrich 269Eppelmann, Rainer 327, 374f.Erbe, Hans-Walter 38, 53, 80, 82, 84, 89,

375Erbe, Hellmut 185, 238Evangelische Kirchen in Deutschland

(EKD) 13, 18, 67, 78, 122, 148, 231,237, 246, 249f. , 303

Fabricius, Paul 86, 276Falcke, Heino 238, 255, 375Fischer, Kurt 129Fischer, Rainer 309, 335Fçrster, Erwin 45, 53, 59, 67, 81f., 89,

101, 110, 125–127, 133–135, 150f. ,155, 159f., 162, 166f. , 169, 172–174,183, 191, 197f. , 200f. , 204–206,209–211, 216, 220, 223, 228–230, 244,253f. , 260, 265, 289, 312, 314, 316,320, 325, 339

Foucault, Michel 17, 163, 283, 353, 376Francke, August Hermann 266Fr!nkel, Hans-Joachim 88, 193, 204,

261Freeman, Arthur J. 57, 153, 184,

214–216, 219, 224, 228, 237, 244, 252,268, 318, 363, 376

Freud, Siegmund 254Frevert, Ute 17, 376Friedrich II. (Preußen) 35Frielinghaus, Dieter 269Fulbrook, Mary 16, 157, 376

G!rtner, Friedrich 52, 55, 82, 87f., 132G!rtner-Scholle, Carola 343f.Garve, Christian 329

Gauck, Joachim 231, 334Gerstenmeier, Eugen 168, 339Giddens, Anthony 15, 111, 377, 399Gill, Christiane 346Gill, David 326, 334Gill, Theodor 32, 35, 37, 58f. , 102,

108–110, 113, 145, 147, 154–158, 162,166f. , 171f. , 174, 179, 182f. , 186f. ,195–199, 203, 205–207, 209f. , 212,216f. , 220–222, 224–226, 230,237–239, 242, 253, 255–257, 265, 269,272–274, 276f. , 279f. , 282, 286, 312,314, 316, 320, 325f., 328f. , 333–336,339, 341, 343f. , 346f. , 355, 377

Goethe, Johann Wolfgang 33, 185, 392Gollwitzer, Helmut 236, 378Gorbatschow, Michail 329f.Gçtting, Gerald 159, 222, 237, 258, 261,

265, 268f., 300, 305, 314, 319, 378Graf, Friedrich Wilhelm 16, 19, 68, 78,

88, 109, 116f. , 129, 139, 150, 165,208f. , 233, 246, 349, 378, 391

Graham, Billy 321Greschat, Martin 19, 41f. , 51, 56, 77,

166, 240–243, 248, 378f. , 382Groenfeldt, John 103, 123, 210, 215f. ,

219f. , 222, 224, 240, 245–249, 251f.,312, 340f.

Großbçlting, Thomas 300, 310, 379,382, 394

G"nther, Walther 254Gysi, Klaus 159, 323f.

Halama, Jindrich 57, 219, 237, 355Hamilton, Kenneth G. 98, 123, 221, 321Hasting, Friedemann 334Hasting, G"nther 162, 205f. , 248, 269,

276, 279f., 293f., 326, 334Hauffe, Werner 150f. , 203, 313, 316Haupert, Raymond 147, 219Haupt, Emil 286Heinemann, Gustav 217, 241Herbert, Ulrich 380Herbert, Urlich 103

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Herzog, Roman 336Hickel, Helmut 32, 42, 47, 50, 54, 58, 64,

73, 82, 100, 104, 108, 110, 134–136,140, 142, 144, 148, 152, 159, 161, 163,169–174, 176, 180f. , 183–185, 188,198, 200–202, 204–206, 211f. , 224,228, 242, 245, 252f., 259–265, 267,270, 272–275, 278–280, 292, 297f. ,301, 303f., 307, 316, 321, 325, 335,337, 343, 345, 347, 373, 380f.

Hindenburg, Paul von 116Hitler, Adolf 47–51, 56, 59f. , 78, 130,

284f. , 354Hobsbawm, Eric 16, 381Hçfner, Ernst 307f.Hçlscher, Lucian 41, 43, 381Honecker, Erich 193, 196, 271, 280,

282, 305, 322, 377Hornig, Ernst 148Hrom$dka, Josef 161, 234, 241f.Hus, Jan 27, 185, 216–218, 268, 373

Inglehart, Ronald 243, 381Iriye, Akira 21, 91f., 243, 381

Jablonsky, Daniel Ernst 31Jansen-de Graaf, Beatrice 21, 241, 243,

245f. , 381Jessen, Ralph 9, 16, 18, 75, 125, 127,

131, 157, 188, 286, 349, 372, 376, 379,381f. , 385

Kaelble, Hartmut 376, 378, 382f. , 386,391, 394

Kalfus, Radim 95, 148, 152, 214f.,219f. , 222, 242, 314

Katharina II. (Russland) 35King, Martin Luther 345Klepper, Jochen 342Kleßmann, Christoph 19, 72, 75, 300,

381, 383, 393Konstantin I, rçmischer Kaiser 237,

352Kr"ger, Herman Anders 274, 399

Krusche, G"nter 384Krusche, Werner 227, 255, 271, 346,

384K"cherer, Lena 111, 147f. , 168, 200,

341, 362, 370K"chler, Heidrun 384K"chler, Heinz 332Kunter, Katharina 18, 240, 243, 246,

384

Lehmann, Hartmut 11, 19–21, 31, 38,41–43, 47f., 51, 56, 90, 103, 116, 165,350, 379, 384f. , 391, 397

Lenin, Wladimir Iljitsch 269Lepp, Claudia 18, 78, 142, 186, 212, 225,

234, 236, 384f. , 391Lindenberger, Thomas 9, 16f. , 285, 385Lçffler, Kurt 331f.Lokatis, Siegfried 342f., 345, 370, 386,

392f.Lotz, Gerhard 249L"dtke, Alf 12, 17, 157, 382, 386Luther, Martin 25, 139, 342

Marx, Karl 185, 254, 269, 298Marx, Kurt 59, 64Marx, Theodor 42, 45, 55, 60, 82, 111,

126Maser, Peter 128, 173, 176, 197, 199,

204, 229, 243, 248, 280, 340, 386Mecklinger, Ludwig 265Merian, Wilfried 45, 47, 73, 82, 93f. ,

119–121, 129–132, 154, 162, 191, 211,214, 275f., 301–303

Mettele, Gisela 21, 31, 33, 35–39, 112,135, 167, 180, 338, 387

Meuschel, Sigrid 16, 41, 387Meyer, Dietrich 9, 28–31, 33, 35–38,

40–43, 45, 55f. , 63f., 67f. , 90, 104,106, 238, 241, 260, 301, 321, 334, 338,341, 372, 387

Meyer, Heinrich 95, 97, 101f. , 105–108,111f. , 121–123, 153, 311, 321

Mielke, Erich 329

403

123456789

1011121314151617181920212223242526272829303132333435363738394041424344

Mittag, G"nter 307Mitzenheim, Moritz 81, 142, 249Modrow, Hans 22, 224, 335f. , 387Moltke, Helmuth Graf von 73Morgenstern, Beate 25, 30, 38, 57, 75,

104, 111, 168, 180, 182, 184f. , 192,222, 317, 388

Morgenstern, Werner 187, 222, 325Motel, Hans-Beat 388Motel, Heinz 152M"ller, Christian 162, 195, 205, 273f.,

276, 309, 323, 325, 328, 331, 333M"ller, Ludolf 285Mwaitebele, Jona 143f.

Naimark, Norman M. 61, 86, 116, 388Natho, Eberhard 337, 340Neubert, Ehrhart 172, 237, 327, 375,

388, 391Niemçller, Martin 56, 78, 241Noth, Gottfried 204, 290Nowak, Kurt 19, 78, 80, 83, 103, 128,

136, 139, 243, 372, 374, 378, 384f. ,389, 391

Nuschke, Otto 124–126, 131, 141f. ,145f. , 158f. , 167, 173, 191, 201, 303f. ,314, 393

Ordnung, Carl 161, 187, 242, 267, 275,293, 306, 315, 389

Paulmann, Johannes 21, 390Peucker, Paul 9, 11, 21, 30, 47, 52f. , 57,

81, 86, 152, 166, 277, 319, 326, 373,379, 387, 390, 392

Pieck, Wilhelm 179Pollack, Detlef 13, 16–18, 21, 68, 70, 76,

78f. , 117, 138f. , 141f. , 161, 173,175–177, 188, 190, 192f. , 195f. , 200,202, 226, 234–237, 246f. , 258, 261,270f. , 280f. , 286f. , 300, 318, 321,326f. , 329, 333, 387, 391

Potter, Philip 163, 245f. , 253, 281, 324Prein, Philipp 13, 29, 39, 392

Ranson, Charles W. 149Rau, Johannes 336Reichel, Karel 216Reimann, Brigitte 138, 392Renkewitz, Heinz 28, 54f. , 67, 81f., 95,

98–100, 103, 106, 111, 120, 132, 134,172, 178, 199, 214f., 220, 239, 241,336, 338f., 342, 362, 372

Ribbach,Margarete 63, 121f. , 137, 166,199f. , 388

Ritter, Gerhard 241Rockefeller, John D. Jr. 241Rohner, Gerhard 129, 131f.

Sabrow, Martin 16, 79, 393, 399Salzmann, Christian Gotthilf 37Schiewe, Dietrich 213, 221f. , 229Schiewe, Helmut 176, 251, 282, 319,

333f. , 394Schleiermacher, Friedrich 37Schmidt, Theodor 43, 55, 398Schçnherr, Albrecht 204, 227, 236–238,

246, 261, 269, 298, 321, 394Schottst!dt, Bruno 186Schrader, Hans-J"rgen 34f.Schumann, Erich 121–123, 137, 321Schweitzer, Albert 149Seigewasser, Hans 197, 199, 219, 235f. ,

261, 265, 268f. , 274, 343, 345, 364Sensbach, John F. 21, 30Sensbach, Johnf. 395Shawe, Clarence H. 42f. , 51–53, 57, 63,

76f. , 85–87, 91–94, 98, 105, 112f. , 121,129, 131, 133, 152, 168, 219, 311f. ,319, 339

Siebçrger, Hugo 76, 314Silomon, Anke 18, 258, 328, 395Spaugh, R. Gordon 101, 149, 152f. ,

210, 319f.Spener, Philipp Jakob 20, 28, 244Steinberg, Hermann Georg 58, 60f. ,

65, 81, 99, 113, 117, 127, 152, 166Steinlein, Reinhard 235, 396

404

123456789

1011121314151617181920212223242526272829303132333435363738394041424344

Stocker, Frederick P. 67f. , 90f., 93,96–101, 103, 108, 113, 119, 121, 123,125, 147, 149, 152f., 166, 172, 198,209, 214–216, 218–220, 241, 286f. ,304, 338f., 342

Stoph, Willi 163, 307Str!ter, Udo 29, 384f. , 396

Tasche, Andreas 194, 326, 329, 335Thadden, Reinhold von 41, 47f. , 56,

147, 241, 396Thielicke, Helmut 78, 235, 345, 376,

396

Ulbricht, Walter 116f., 123, 146, 204f. ,235, 280, 286, 312f., 377, 382, 386

Ulrich, Adolf 95, 148Uttendçrfer, Otto 13, 40, 45, 52f. , 55,

57–61, 65, 80, 82, 84, 94, 104f. , 111,116–118, 124, 126f. , 143, 166, 180,190, 209, 284f., 314, 339, 345, 362, 387

Vancura, V$clav 218Verbeek, Andreas 263Verbeek, Harry 59, 285, 303Vischer, Lukas 214, 234, 245f. , 251,

255, 279, 281, 318, 368, 397Visser ’t Hooft, Willem Adolf 28, 241,

245f. , 336Vogt, Johannes 11, 55, 57, 59f. , 64f. , 67,

81–83, 85f., 91, 94f., 97–100,103–105, 108f. , 116f. , 119–121, 123,125–127, 135–137, 144, 147f. , 150,153, 164, 166–168, 171f. , 179f. , 182,186, 198–200, 205f. , 214, 216f. , 219,230f. , 239, 242, 272, 276f. , 284, 286f. ,

291, 303f. , 311f. , 314, 316f., 336–338,341f. , 345

Vogt, Peter 9, 83, 182, 336, 397Vollnhals, Clemens 80, 96, 115, 138f. ,

343, 372f., 378, 389, 397, 399

Wallmann, Johannes 11, 20, 27, 135,337, 398

Walter, Francis E. 150Weber, Christian 228, 265, 273, 331,

346Weber, Hermann 398Weber, Max 11, 17, 283, 398f.Weise, Hans 141f., 144, 225, 230, 249,

294, 312Weizs!cker, Richard von 336Welskopp, Thomas 17, 399Wentker, Hermann 16, 118, 128, 330,

395, 399Wilhelm I. (Preußen) 116Wilhelm II. (Preußen) 40Winter, Gerhard 223Winter, Gustav 47, 119, 125, 127, 292,

294Winter, Hellmut 119f.Wirth, G"nther 116, 140, 161, 217, 229,

274, 399Woronowicz, Ulrich 237Wunder, Richard 154f. , 272, 274Wurm, Theophil 64, 78f. , 241

Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von15, 25–36, 40, 45, 52, 65, 111f. , 123,136, 145, 151, 167, 181, 218, 221, 238,244f. , 266, 268, 301, 306, 326, 337,372f. , 376, 379, 387, 392, 397, 399

405

123456789

1011121314151617181920212223242526272829303132333435363738394041424344

123456789

1011121314151617181920212223242526272829303132333435363738394041424344

Sachregister

Alaska 41, 150, 317Amnesty International 243Antirassismusprogramm 245,

248–253, 256, 267–269, 298, 313, 320,351; s. auch!kumene und Rassismus

Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kir-chen 240, 340, 360, 368

Arbeitsgruppe Christliche Kreise 288Architektur 11, 25f., 40, 263f. , 277,

349, 353Aufkl"rung 29, 35Außenpolitik der DDR 226, 250, 270f. ,

297, 305f., 312f., 315, 351, 393Aushandlungsprozesse 162, 164, 225,

258–260, 291, 300, 343, 353, 356

Bad Boll 31, 45, 64f., 67f. , 76f., 82, 86,88f. , 92, 95, 98, 100, 104f. , 107, 111,116, 119f., 122, 155, 166–168, 171,177, 198–201, 208, 211, 213–215, 217,219, 223, 227, 231, 244f. , 247, 253f. ,260, 262–266, 304, 310, 320, 333,335f. , 338f. , 341f. , 346, 362, 369, 375,380, 388

Baltikum 36Baptisten 272, 339Barmer Theologische Erkl"rung 55f.,

235, 370, 373Basel 93, 172, 175f., 238, 341Befreiungstheologie 245, 248Bekennende Kirche 41, 55f. , 78, 204,

235Bereichsgemeine 13, 183, 212Berichtswesen der DDR 11, 52, 119,

121, 131, 140, 144–146, 157–163, 166,168–170, 173–175, 177, 179, 189, 193,195, 204, 210f. , 213, 217, 226, 229,

245, 256, 258, 270, 273, 275, 282,285–293, 303, 306, 314, 318, 323f. ,330f. , 354, 368, 397; s. auch Ministe-rium f#r Staatssicherheit

Berlin 13, 23, 40, 50, 55, 59, 64, 68, 79,81, 85, 93, 95, 97–101, 105–108, 111,116, 119–123, 125, 128, 131, 136f. ,144–146, 153f. , 158f. , 161, 166–168,172, 174, 179, 182, 185–187, 192,194f. , 197, 199, 201–203, 205,207–209, 212f. , 222, 227–229, 231,252f. , 263, 270f. , 276, 281, 286f. , 290,292, 294, 297, 305, 317, 320f. , 324f. ,327, 330–334, 340f. , 345–347, 354,360, 363f., 366f., 369–375, 377–397,399

Bethlehem 9, 23, 31, 33, 38, 63, 75f., 87,90, 97, 99, 104, 136, 138, 149–152,167f. , 181, 185, 197, 200, 209, 215f. ,219, 224, 228, 245, 248, 264, 286, 303,313, 321, 326, 332f., 360, 363, 369,376f. , 390

Betriebe, br#derische 12, 22, 35f. , 55,61, 63f. , 108, 119, 128–131, 137, 196,198f. , 239, 259, 261, 300–306,308–310, 335, 353, 356

”Bild-Zeitung” 234Bçhmen und M"hren 28, 40, 111, 146,

168, 218, 270”Br#derbote” 111, 147f. , 184f. , 187f. ,

195, 207, 212–214, 216, 218, 238, 254,263, 278, 309, 314, 320, 330–334

”Br#derbote” 207, 216, 369Bund Evangelischer Kirchen in der

DDR 13, 68, 88, 188, 192f. , 195, 212,229, 237, 244, 246, 249, 255, 268, 272,278, 281, 311, 343, 360, 368, 370, 375

407

123456789

1011121314151617181920212223242526272829303132333435363738394041424344

Charismatische Bewegung 187, 222,325

Chçre 33f., 113, 166–168, 170, 180,182, 191, 201

Christiansfeld 35, 86Christlich Sozialer Volksdienst

(CSVD) 48

D"nemark 35, 73, 86f., 94, 150, 228Diakonie 14, 33, 41, 54, 64, 72, 88, 99,

102, 108, 130, 134f., 137, 152, 182,208, 221, 226, 237, 259f. , 264–269,271, 273, 277, 280, 297f. , 300f. , 308,316, 321, 323, 335, 337, 347, 354–357,380, 382

Diaspora 13, 35–37, 41, 63, 70, 75, 103,106–110, 112, 183, 212f. , 271, 295,316, 322, 352, 355, 384, 398

Differenzierungspolitik 141f., 148f.,156, 189, 225, 259, 271, 280, 304, 321,323, 352, 356

Dresden 13, 23, 58, 64, 118, 121, 124f. ,128f. , 131f. , 140, 144–147, 155–158,161–163, 170, 173, 175, 178, 180, 183,188f. , 191, 194, 203, 210f. , 228f. , 245,247, 253, 258f. , 265, 271, 273f. ,280–282, 287–290, 292–295, 302f.,305–307, 313, 322, 326–328, 330, 332,336, 341, 365–367, 369

Druckerei Winter 26, 294, 305, 341D#rninger & Co. 26, 36, 40, 47, 55, 60,

63f. , 81, 83, 100, 116f. , 162, 260f. ,264, 301–309, 328, 331, 335

Ebersdorf 9, 13, 48–50, 55, 58, 64, 76,89f. , 104, 108, 117f. , 120, 122, 124,127, 133f., 143, 145, 166, 168–170,172f. , 176, 178, 181, 183f. , 186, 192f. ,197–201, 208f. , 211, 224, 239, 260,274–276, 293f. , 301, 313, 316, 322,325, 327f., 330, 333f. , 369

Eisenh#ttenstadt 210Erster Weltkrieg 22, 42f., 55, 57f., 91,

205, 311, 338, 349f., 398

Erweckungsbewegung 41, 375, 385Erziehungsarbeit, br#derische 17f.,

37f. , 40, 42, 70, 115, 128, 133f., 137,171f. , 179–182, 185, 252, 298, 311,317f. , 335, 355; s. auch Jugendarbeitund Kindheit und Jugend

Evangelische Kirche in Deutschland(EKD) 208, 212, 249, 260, 360, 368,372, 380, 382

EvangelischeVerlagsanstalt (EVA) 122,252, 274, 278, 340–346, 373

Fischer, Kurt 129Fl#chtlinge und Vertriebene 58, 60,

63–65, 85f., 90, 101, 103–108,110–113, 133, 136, 167, 200, 286, 345,394f.

Fçrderungszentrum Johann AmosComenius, Behindertenheim imehemaligen Herrschaftshaus 14, 26,58, 259f. , 264f. , 272–275, 277, 280,291, 297f., 306, 346, 353

Forst 13, 64Franckesche Stiftungen, Halle 28, 159Frankreich 31, 36, 43, 339Franzçsische Revolution 31Frauen in der Br#dergemeine 28, 30,

33, 35, 70, 89, 104, 151, 180, 182f. ,196–198, 276, 341Schwesterntracht 34, 168, 201

Freie Deutsche Jugend (FDJ) 47, 171,191, 194, 278f. , 333, 354

Freikirchen 12f. , 68, 142, 212, 225, 227,257f. , 272, 295, 298, 322, 354, 383, 396

Friedensdekaden 328, 395Friedensrat 206, 288Friedliche Revolution 14, 24, 196, 224,

273, 276, 307, 309, 331–335, 340, 356

Gebetswacht 152, 207, 209, 218, 252,257, 350

Glasnost 329Gnadau 13, 35, 64, 108, 121, 133f. , 166,

190, 192, 197, 205, 222, 279, 301, 332

408

123456789

1011121314151617181920212223242526272829303132333435363738394041424344

Gnadauer Verband 56Gnadenberg 35, 63, 77Gnadenfeld 35, 63, 107, 112, 302Gnadenfrei 35, 49f. , 55, 63, 76, 89, 113Gçrlitz 88, 148, 174f., 191–193, 227,

261, 301, 394Goßner Mission 186, 321Gottesacker 15, 25f. , 61, 63, 89, 129,

168, 277Großbritannien 13, 32, 42, 65, 73, 85,

92, 94f. , 97f., 121, 133, 148, 150, 152,218, 220, 242, 251, 325, 332, 339, 388,390

Halle a.d. Saale 28f., 159, 370, 392f.Helsinki, KSZE-Schlussakte 1975 226,

229, 271, 384Herrnhaag 38, 375Hitler, Adolf 57Hohenzollern 35, 38, 40f.Holocaust 82f. , 87Humboldt-Universit"t 343

Indonesien 278Israel 185

Jamaika 220, 255, 269, 325Jena 59, 394Jubil"um 1957 14, 138, 141, 145f.,

149f. , 217, 225, 266–268, 352Jubil"um 1972 14, 258, 260f. , 263f. ,

266–268, 270, 275, 279, 289, 291,304–306, 315, 346

Juden 28, 50–53, 82f., 87, 89, 110, 165,185, 203, 311, 335, 382, 397

Jugendarbeit 34, 54, 68, 117, 137, 145,166f. , 171f. , 174, 178f., 181–184,186–188, 190, 252, 278, 317, 324f. ,352, 354f., 383, 394, 396; s. auch Er-ziehungsarbeit, br#derische undKindheit und Jugend

Jugendweihe 17, 142, 160, 165, 170,173–177, 188–191, 194–196, 204,278f. , 349, 355, 373

Junge Pioniere 144, 171, 194

Kanada 90, 98, 325Kapstadt 251Kinderg"rten, br#derische 64, 70, 134,

171, 180, 297Kinderheime, br#derische 64, 134,

171, 180, 260Kindheit und Jugend 26, 34, 70, 166,

171f. , 175f. , 179, 181–183, 185, 188,354; s. auch Erziehungsarbeit, br#-derische und JugendarbeitDiskriminierung der Jugendlichenim Bildungsbereich 70, 116, 137,172f. , 189–197, 201, 204, 214, 223,263, 271, 276, 279–282, 289f. , 294, 326

Kirchliche Hochschulen 197, 199, 205Kleinwelka 13, 47–49, 51, 64, 82, 120Konfirmation 174–177, 190f., 193, 195,

317, 354, 373Kçnigsfeld 35, 50, 52, 54, 134, 147, 175,

227, 294f., 317, 327Konziliarer Prozess 327, 329Kulturbund 126, 272, 274

Lebensl"ufe 15, 22f., 25f. , 40, 42, 45,47, 50, 53, 55, 57, 59, 68, 73, 82, 94,105, 109, 111, 117, 120f. , 135, 137,147f. , 151, 154, 159, 166–168, 191,198–200, 208, 229f. , 317, 337f. , 341,354, 362–364, 369f. , 376, 384, 387

Liebesmahl 26f. , 41, 57, 113, 148, 167,184

Liturgie 15, 34, 36, 40, 110, 184, 207,316, 337, 349

Lçbau 23, 47f. , 72f., 81, 84, 104–106,118–121, 124–129, 140, 144, 154,157f. , 160f. , 169–172, 174–177, 179f. ,182, 184, 188–193, 195, 204, 206, 211,223f. , 228f. , 231, 258f. , 261–263, 265,267f. , 270, 273–275, 278f. , 282,

409

123456789

1011121314151617181920212223242526272829303132333435363738394041424344

285–295, 298, 302f. , 312, 315, 317f.,323, 327–331, 365–368

Losungsbuch 26, 32, 38, 42, 50, 58, 85,90, 93, 100, 102, 113, 203, 207, 210,254, 257, 278, 316, 336–343, 346f. ,350, 356, 377

Mauerbau 14, 68, 94f. , 101, 138, 166f. ,173, 192, 198, 200–202, 205, 207,209f. , 225, 229, 236, 290, 330, 345,350, 389

McCarthyismus 97Menschenrechte 88, 97, 122, 229, 234,

245–248, 251, 265, 320, 331, 351, 380,384, 394

Methodisten 75, 224, 244, 246, 250f. ,267, 272, 315

Ministerium f#r Staatssicherheit 11,16, 23, 73, 84, 94, 97, 118–121,124–126, 128f. , 131f. , 140, 143f.,154–156, 158, 161f. , 170f. , 174, 177,179f. , 189, 192, 195f. , 204f. , 211,228–230, 243, 262, 265–268, 270,272–274, 278–280, 282, 285, 291–295,298, 302f., 305, 312, 314–319,321–331, 334, 346, 353f. , 360f. , 367,371, 378, 386, 388, 397; s. auch Be-richtswesen der DDR

Mission 20, 25f. , 28–31, 33, 36f. ,39–43, 57, 59, 73, 81, 88, 94, 99, 101f. ,111, 123, 128, 132, 134, 143, 150, 153,166, 180, 187, 198f., 201, 207, 221,229, 241, 244, 250, 252f. , 256,258–260, 266f. , 269, 277f., 297f. , 300,308, 310–322, 337, 346, 349f., 355f.,371, 388, 392f. , 397Transformation derMissionsfelder ineigenst"ndige Kirchen 151, 220,255, 319f.

Montmirail 53, 57, 82, 87, 91, 94, 106Moravial 324f.Moravian College, Bethlehem 218f. ,

228

Musik 26f., 34, 49, 148f., 168, 170, 256,268, 278, 289, 316, 349, 375

Nationalsozialismus 24, 47–57, 59,76–85, 87–89, 91, 95, 100, 103, 111,117f. , 120, 122, 124f. , 127, 129, 139,151, 154, 165, 167–169, 201, 203, 214,216f. , 269, 284f. , 292, 302f. , 314, 318,330, 334, 338, 354, 356, 371–374, 377,380, 383f., 392f., 395–399

Neu-Gnadenfeld 112f.Neudietendorf 13, 48, 58, 64, 89, 93,

201, 317„Neue Zeit“ 250„Neue Z#rcher Zeitung“ 248”Neues Deutschland” 195, 253, 281,

323f.Neusalz 35, 63Neuwied 42Nicaragua 150, 314, 318, 335Niederlande 36, 53, 57, 86f. , 94, 148,

150, 168, 183, 186, 206, 224, 238, 311,319, 325, 371, 375, 381, 384

Niesky 13, 35, 37, 48, 50, 52, 59, 64, 99,121, 123, 133f. , 153, 162, 175, 183,191f. , 197, 199, 205, 230, 251, 258,273f. , 276, 282, 290f. , 301, 314, 326,329, 332, 334, 365, 374, 383

!kumene 13, 18, 28, 36f., 43, 67, 78, 91,96, 110, 141, 151, 162, 167, 207, 209f. ,217, 221, 226, 229, 233f. , 238, 240f. ,243–246, 248, 252–255, 267f. , 271,285, 290, 315, 319f., 324, 338–340,343, 350f., 357, 376f. , 380, 383f. ,394–396, 398; s. auch Antirassis-musprogramm!kumenischer Rat der Kirchen inGenf (!RK) 9, 13, 23, 28, 43, 67f. ,88, 91, 93f. , 98, 103, 108, 113, 163, 166,172, 191, 193, 210, 214, 216, 220, 223,229, 234, 240–256, 268, 272, 278f. ,281, 284, 286, 311, 313, 320f. , 324,

410

123456789

1011121314151617181920212223242526272829303132333435363738394041424344

327, 336–339, 351, 353, 361, 367,371f. , 380, 382

Orthodoxe Kirchen 240, 243, 245, 247

P"dagogium 28, 37f. , 42f. , 54, 383Parteien 159, 285, 382

Christlich Demokratische Union(CDU) 23, 116, 120f., 124–129, 138,140f. , 143, 145–147, 159–161, 169,173, 175, 177f. , 187, 195, 204, 211,217, 222f., 228, 230, 249, 258, 261,265, 267f., 274f., 282, 284–286, 289,291, 293, 305, 313–315, 323f., 330,354, 382Liberal-Demokratische ParteiDeutschlands 198Partei des Demokratischen Sozialis-mus (PDS) 336Sozialistische Einheitspartei (SED)14, 17, 23, 88, 100, 106, 117f. , 120, 124,126–131, 138, 140f. , 159f. , 168, 176,183, 188, 190f. , 195, 197f. , 203–206,216, 237, 249, 253, 259, 262, 271, 278,281, 285, 287f. , 300, 302, 307, 309,312, 322, 331, 336, 364–366, 374,377f. , 386f. , 397

Perestroika 329Pfarrerbund 203, 288, 347Pietismus 11, 15, 18–20, 27–31, 33, 35,

38f. , 41, 43, 47f. , 51f. , 56, 64, 83, 85,88, 109–111, 116, 127, 134–136, 139,157, 177, 184f. , 188, 218, 222, 239,244, 253f., 272, 278, 297f. , 310, 314,337, 342–344, 350f. , 372f. , 375–377,382, 384f., 387, 389, 392f. , 396–398

Polen 31, 35, 63f. , 75f. , 103, 108, 183,278, 283, 371, 394

Potstejn, Tschechoslowakei 152, 198f. ,208, 212, 220–222, 239, 312, 316f. ,320, 377

Prager Christliche Friedenskonferenz(CFK) 215, 217, 241f. , 313, 343, 346,360

Presbyterianer 250, 339Princeton 250

Qu"ker 272Quell Verlag 341

Rachtsstaatlichkeit 124Rassismus 40, 48, 50, 57, 249f. , 252,

256, 267–269, 312f. , 315f. , 324, 335,350–352, 376, 382, 398; s. auch Anti-rassismusprogramm

Rechsstaatlichkeit 258Rechtsstaatlichkeit 16, 83, 118, 130f. ,

153, 156f. , 161–164, 193f., 202, 225f. ,228–230, 248, 259f. , 284, 289, 294f.,300, 302–304, 306–308, 334–336, 344,346, 353, 393

Reisen, insbes. Westreisen 67, 94, 116,120, 136, 144, 148, 150, 156, 159, 178,207f. , 217, 224–231, 238, 245, 261,264, 266, 274f. , 279, 282, 290f. , 294,315, 317, 319, 350, 353, 388

Rum"nien 347Russland 35f. , 347R#stzeiten 107, 110, 117, 125, 166, 178,

181–186, 188, 280, 316f. , 354Silvesterr#ste 186f. , 207, 242, 252,331

”S"chsische Zeitung” 286Sarepta 35Schlesien 35, 38, 49, 58, 63, 73, 108, 112,

171, 302, 388, 390Schweden 87, 94f., 98, 113, 339Schweiz 9, 24, 36, 65, 73, 75, 82, 87,

92–95, 121, 131, 150, 162, 178, 183,186, 191, 201, 211, 224, 233, 236, 238,246, 318, 325f. , 339, 367, 369

Singstunde 34, 148, 167, 184Solidarnosc 283Sorben 226Sowjetunion 13, 59–61, 63, 65, 80, 83f. ,

86f. , 96, 104f. , 117f. , 120, 126–130,133, 160, 170–172, 205, 210, 216, 240,

411

123456789

1011121314151617181920212223242526272829303132333435363738394041424344

242, 246–248, 284, 300, 302f., 310,324, 328, 335, 345, 347, 361, 373, 379,382, 385, 394, 396

Staatssekretariat f#r Kirchenfragen 23,119, 121, 141f. , 144, 146f. , 150,159–163, 189, 194f. , 197, 199, 203f.,217, 225–228, 230, 235, 241–243, 249,252f. , 260f. , 265, 268, 270f. , 274, 289,294f. , 298, 302, 304–308, 312–316,320f. , 323f. , 331f. , 340f. , 343, 345,364

Sternelei 58, 285, 301, 303f. , 308Studentenbewegung 210, 243Stuttgarter Schuldbekenntnis 78f. , 85S#dafrika 31, 57, 59, 150, 206, 229, 247,

249–254, 256, 281, 313, 317, 319, 351,394, 396, 398

Surinam 30, 59, 73, 102, 148, 185f., 201,220, 224, 228, 319, 325

Tansania 41, 102, 143, 150, 185, 224,269, 315, 320, 335

Theologisches Seminar, Herrnhut 37,45, 50, 55, 59, 83, 171

Tibet 41, 153”Time Magazine” 241”Time Magazine” 122, 241Traditionserfindung 11f. , 16, 27, 31f. ,

35, 48–50, 85, 96, 103, 112, 129, 142,144–146, 170, 213, 218, 233, 244, 259,265–269, 300, 302, 304, 306, 310,312–316, 318f. , 341, 349–352,355–357

Tschechoslowakei 40, 57, 63, 65, 87,94f. , 97, 138, 146, 148–150, 152, 161,183, 186, 212, 214–220, 222f., 225,234, 237, 241, 252, 256, 265, 267, 313,325, 335, 350, 392, 395

Ungarn 36, 162Union-Verlag 140Unit"tsarchiv 22, 27, 274, 332, 361f. ,

369Unit"tsgebetstag 220, 350

Unit"tsopfer 102, 221Unit"tssynoden / Generalsynoden 13,

38f. , 42f. , 136, 138, 149–152, 193, 195,198f. , 208, 212, 214, 219–223, 239f.,244, 253, 255, 257, 274, 298, 312,316–318, 320f. , 323f. , 340, 377Bethlehem, USA 1957 14, 138,149–153Herrnhut 1818 38Herrnhut 1981 274, 320Kingston 1974 255–257Potstejn, Tschechoslowakei 1967220–223, 256

United Nations Organization (UNO)91, 328

USA, Moravian Church 13, 22–24,31f. , 34, 37f. , 43, 51, 67, 80, 85–87,90–102, 107, 112, 119, 121–123, 133,135f. , 147, 149f. , 152f. , 171, 184, 186,209f. , 215f. , 218f. , 222, 224f., 228,245–248, 251f. , 264, 278, 301, 303f.,308, 313f., 317, 325, 332, 339, 355,363, 369–372, 377f. , 380f.

Wahlen, politische 47f. , 51, 127f. ,146f. , 157, 159f., 192, 199, 204,283–295, 327, 331, 334f. , 353, 376

Waldenser 237Warthe- und Netzebruch 36, 63, 106f. ,

213Weißenseer Arbeitskreis 203, 236Westflucht 68, 101, 107f. , 145, 193, 198,

200–202, 207, 286, 292, 325, 330, 345,352, 374

Wiedervereinigung 284, 308, 333–336,381

Winston-Salem 9, 23, 31, 41, 63, 76, 90,97, 210, 252, 301, 363, 369

Wittig Verlag 341

Zeist 53, 57, 81, 86, 183, 206, 249, 315,333

„Zeit“ 235

412

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1011121314151617181920212223242526272829303132333435363738394041424344

Zensur 18, 35, 102, 119, 156, 163, 191,209, 246, 253, 267, 271, 274, 303, 323,328, 337, 339, 341–347, 353, 356, 370,373, 386, 392f.

Zivilgesellschaft 12, 18, 20, 29, 33, 128,133, 177, 210, 241, 262f. , 285, 297f. ,

300, 309–311, 322, 327, 347, 349f. ,354–357

ZweiterWeltkrieg 14, 22, 47, 52f. , 56f. ,64, 76, 80f., 86, 90f., 99, 166, 180, 199,229, 292, 338, 350, 390, 394f.

Zwickau 13, 64, 118f.

413

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1011121314151617181920212223242526272829303132333435363738394041424344


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