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Universität BremenSeminar: Religionsfreiheit im KonfliktVeranstaltungsnummer: 09-54-4-M7/3Leitung: Prof. Dr. Gritt Maria KlinkhammerSommersemester 2011
Religionsfreiheit im historischen
und gegenwärtigen China
ein kontroverses Thema
Mario DenticeM.-nr.: 2191683Eßmannskamp 849356 DiepholzBachelor of ArtsHF: ReligionswissenschaftNF: Politikwissenschaft
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung..................................................................................................................................1
2. Probleme bei Religionsstudien in China................................................................................... 1
2.1. Wissenschaft...........................................................................................................................22.2. Öffentlichkeit......................................................................................................................... 32.3. Offizielle Statistiken...............................................................................................................32.4. Westliche Klischees................................................................................................................3
3. Die chinesische Religionsgeschichte mit Blick auf die Religionsfreiheit................................4
3.1. Dynastien............................................................................................................................... 43.2. Republik China...................................................................................................................... 83.3. Volksrepublik China...............................................................................................................93.4. Religionsfreiheit in der Geschichte Chinas............................................................................10
4. Religionspolitik in der gegenwärtigen Volksrepublik China.................................................... 12
4.1. Politische Rahmenbedingungen............................................................................................. 12
4.1.1. Das politische System der Volksrepublik China................................................................. 124.1.2. Rechtsstaat und Justiz......................................................................................................... 144.1.3. Partizipation........................................................................................................................ 154.1.4. Krisenmanagement..............................................................................................................16
4.2. Religionsfreiheit in China...................................................................................................... 17
4.2.1. Begriffliche Definition........................................................................................................ 184.2.2. Religionsfreiheit in der Theorie – Verfassung, Gesetze, Verordnungen.............................184.2.3. Religionsfreiheit in der Praxis.............................................................................................21
4.3. Kontinuität in der (Religions-) Politik................................................................................... 234.4. Menschenrechtsverständnis................................................................................................... 254.5. Persönliche Schlussfolgerung aus der gegenwärtigen Religionspolitik – Drei Möglichkeiten für einen geeigneteren Umgang mit Religionen....................................27
5. Ergebnisse................................................................................................................................. 30
6. Quellenverzeichnis....................................................................................................................31
6.1. Literaturverzeichnis............................................................................................................... 316.2. Internetquellen....................................................................................................................... 33
7. Anhang...................................................................................................................................... 34
7.1. Das politisch-administrative System der VR China...............................................................347.2. Partizipationsformen in China............................................................................................... 357.3. Drei im Autonomen Gebiet Xinjiang der Volksgruppe der Uighuren geltende Rechtserlasse........................................................................................................... 367.4. Verwaltungsmaßnahmen für die Reinkarnation lebender Buddhas des tibetischen Buddhismus................................................................................................... 377.5. Mao Kult................................................................................................................................ 37
1. Einleitung
Die Volksrepublik China gilt als aufstrebende Wirtschaftsmacht und immer bedeutenderer
Handelspartner auch für den europäischen Raum. Doch oft werden Berichte laut, in denen
von Menschenrechtsverletzungen in China die Rede ist.1 Insbesondere Organisationen wie
Human Rights Watch fordern auch internationale Reaktionen, um die Menschenrechtslage
in China zu verbessern.2 Die zum Teil sehr diffusen und unterschiedlichen Ansichten und
Meinungen haben mein fachliches Interesse als angehender Religionswissenschaftler
angeregt und mich dazu veranlasst, die dortige Situation der Religionsfreiheit genauer zu
analysieren. Es galt herauszufinden, wie die jetzige sowohl rechtliche als auch tatsächliche
Lage ist und ob sie politisch, kulturell und historisch begründbar ist. Dazu führe ich
zunächst generelle Probleme an, die eine – nicht nur – religionswissenschaftliche
Forschung in China erschweren könnten. Das zweite Kapitel stellt die Entwicklung der
Religionsfreiheit in ihrem geschichtlichen Zusammenhang dar, um im Anschluss daran die
aktuellen Bedingungen unter politischen Prämissen zu beleuchten. Weiter steht die Frage
nach einem spezifisch chinesischem Verständnis der Religionsfreiheit im Zentrum der
vorliegenden Arbeit, die ich anhand einer Analyse der Kontinuität in der Religionspolitik
und einer Untersuchung der Menschenrechtsfrage aus chinesischer Sicht zu beantworten
versuche. Den Abschluss dieser Abhandlung liefern ein theoretischer Diskurs, der als
persönliche Bewertung des momentanen Umgangs mit der Religionsfreiheit durch die
chinesische Regierung konzipiert wurde und schließlich die zusammenfassenden Ergeb-
nisse. Am Ende soll verständlicher sein, warum die Debatte über die Religionsfreiheit im
historischen und gegenwärtigen China so kontrovers ist.
2. Probleme bei Religionsstudien in China
Forschungen zeigen, dass ein großer Teil der Bevölkerung religiösen oder spirituellen
Praktiken nachgeht,3 dennoch können Probleme bei der Erfassung durch eine ungeeignete
Definition, die für die Lebenswelt in China nicht angemessen ist, ein Ergebnis von vorne-
herein determinieren. Es existieren Statistiken, die aussagen, dass etwa ein Fünftel aller
Chinesen einer der fünf offiziellen Religionen angehöre.4 Die Zahl der Menschen, die
volksreligiösen Praktiken nachgeht, dürfte sogar um einiges darüber liegen. Dass es
Religiosität in China gibt, ist nach Betrachtung einiger Studien fraglos, doch ihre Stellung
zu identifizieren ist nicht einfach. Abgesehen von den terminologischen und sprachlichen
1 Vgl. dazu z.B. http://www.stern.de/politik/ausland/china-reise-der-kanzlerin-merkel-will-sich-fuer-menschenrechte-einsetzen-1780603.html, Stand: 03.02.2012.
2 Fünf Pressemitteilungen zu Menschenrechtsverletzungen in China im Jahr 2011 allein auf der Homepage von Human Rights Watch. Vgl. dazu http://www.hrw.org/de/by-issue/news-filter/137, Stand: 03.02.2012.
3 Vgl. dazu Yuan, Victor: Contemporary Chinese Believes and Spiritual Pursuits. In: Lang, Graeme (Hrsg.) und Yang, Fenggang (Hrsg.): Social Scientific Studies of Religion in China – Methodology, Theories, and Findings. Koninklijke Brill NV, Leiden 2011.
4 Ebd., vgl. Abb. 5, S. 172.
Barrieren erschweren noch weitere Hindernisse die Forschung in diesem Bereich. Diese
Probleme möchte ich in den folgenden Kapiteln darlegen, um schon zu Beginn darauf
hinzuweisen, dass eine endgültige, klare Bewertung der Situation der Religionen in China
nur schwer zu sichern ist, da zum einen wenige, unabhängige Studien existieren, zum
anderen Informationen selten vorbehaltlos als wahr genommen werden können.
2.1. Wissenschaft
Die Anfänge der Religionswissenschaft in China liegen im beginnendem 20. Jahrhundert
und waren stark von westlichen Methoden beeinflusst. Außerdem lagen historische Studien
der Religionen im Fokus der WissenschaftlerInnen.5 Für die Erforschung der Religions-
freiheit bedarf es aber Interdisziplinarität. Empirische Studien über die soziale Relevanz
der Religion sind bedauerlicherweise noch immer selten und schwierig durchzuführen.
Dies hat verschiedene Gründe. Das Fundament für eine ausgedehnte Forschung besteht
selbstverständlich aus Forschungskräften, die auf diesem Gebiet schon deshalb selten sind,
da nur eine geringe Anzahl religionswissenschaftlicher Fakultäten existiert. Denn nur
wenige Universitäten haben die Erlaubnis, StudentInnen, die noch keinen Abschluss haben,
in religionswissenschaftliche Studiengänge aufzunehmen.
„This is the result of the persistently negative evaluation of religion by a small number of officials, who continue to confuse ,religious studiesʻ with ,religionʻ and consider religion from an excessively political standpoint, thus fearing the development and expansion of China's religious studies programs.“6
Die sowieso schon geringe Zahl an AbsolventInnen wird noch durch die Schwierigkeit
verringert, nach dem Abschluss eine Beschäftigung zu finden. Selbst das BRA (Büro für
religiöse Angelegenheiten) bevorzugt oft ehemalige Soldaten anstatt Religionswissen-
schaftlerInnen.7 Als letzter jegliche Forschung erschwerender Punkt ist die strenge
Überwachung aller Publikationen durch öffentliche Stellen zu nennen. Selbst wissenschaft-
liche Arbeiten durchlaufen einen Zensurprozess und viele möchten nicht das Risiko
eingehen, etwas zu schreiben, das den Verdacht erwecken könnte, Probleme zu bereiten.8
Deshalb ist das kritische Erarbeiten bestehender Themen nur in sehr engem Rahmen
möglich, besonders bei politisch sensiblen Feldern, wie das der Religionsfreiheit.
5 Guanghu, He: Thirty Years of Religious Studies in China. In: Lang und Yang (2011), a. a. O.6 Ebd., S. 43.7 Ebd.8 Ebd.
2.2. Öffentlichkeit
Wie im vorigen Kapitel festgestellt wurde, gibt es in China ein striktes Zensurvorgehen
gegen alle Veröffentlichungen. Presse- und Informationsfreiheit sind in China nicht
gegeben. Die KPCh (Kommunistische Partei Chinas) kontrolliert alle Medienprogramme
nach eigenen Maßstäben. Das Fernsehen hat sich zwar gewandelt, doch stehen nun
Unterhaltung und unpolitische Informationsvermittlung im Mittelpunkt, keineswegs
kritische Berichterstattung.9 Zensurbestimmungen gibt es für Rundfunk, Verlagswesen,
kurz gesagt, alle Kanäle, auf denen eine breite Kommunikation in der Öffentlichkeit
stattfinden kann. Selbst das Internet hat daran nicht viel geändert. Nur wenige haben
Zugang zum Internet und die meisten davon greifen nicht auf politische Webseiten zu.10 Es
gibt Anzeichen dafür, dass das Netz bei der Koordinierung der Falun Gong Bewegung
genutzt wurde, doch diese Erkenntnisse sind nicht gesichert. Dennoch möchte ich
anmerken, dass ein langsamer Liberalisierungsprozess in der Medienwelt stattfindet,
sowohl durch kommerziell operierende Medienkonzerne, die finanziell nicht länger vom
Staat abhängen, als auch durch die Abnahme direkter Regierungskontrollen.11
2.3. Offizielle Statistiken 12
Abgesehen von den zuvor genannten Schwierigkeiten komplizieren offizielle Quellen die
Forschung noch weiter. Wenngleich mehr Zugang zu Informationen gewährt wird als in der
Vergangenheit und dieser durch das Internet sogar erleichtert wurde, sollten Angaben
staatlicher Institutionen immer sehr kritisch betrachtet werden. Die Regierung nutzt
beschönigte Statistiken, um das Bild des Staates zu ihren Gunsten zu verändern.
Durchschnittswerte, die oft verwendet werden, zeigen nur eine statistische Realität und
verdecken die Sicht auf die tatsächlichen Unterschiede in der Gesellschaft.
Statistiken zu politisch sensiblen Themen werden schließlich unter Verschluss gehalten.
2.4. Westliche Klischees
Bei den Problemen von Religionsstudien in China ist letzten Endes auch eine mögliche
Voreingenommenheit nicht zu unterschätzen. Denn in der westlichen Öffentlichkeit
herrschen die Realität verzerrende Meinungen vor. Diese sind einerseits das Ergebnis
bewusster Manipulation durch die chinesische Regierung (→ Kap. 2.3.), stehen andererseits
unter dem Einfluss „moralischer Entrüstung, politischen Klischees und überzogenen
wirtschaftlichen Erwartungen“13.
9 Heilmann, Sebastian: Das politische System der Volksrepublik China. Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden 2002.10 Ebd.11 Heilmann (2002), a. a. O.12 Das folgende Kapitel bezieht sich auf Heilmann (2002), a. a. O.13 Ebd., S. 24.
3. Die chinesische Religionsgeschichte mit Blick auf die Religionsfreiheit
In seiner mehrtausendjährigen Geschichte hat China eine Reihe unterschiedlicher
Veränderungen durchlaufen. Während all dieser Zeit ist die Religion immer eine formende
Variable gewesen. Die Religionen im Reich der Mitte – genuin chinesische, als auch
importierte – haben nicht weniger einen Prozess der sukzessiven Entwicklung,
Synkretisierung und Indigenisierung durchlaufen als Religionen in anderen Teilen der Welt,
denn Religion ist stets in gesellschaftlichen Wirklichkeiten eingebettet. Um gegenwärtige
Umstände zu verstehen, ist es deshalb hilfreich, einen Überblick über die historische
Entwicklung Chinas besonders mit Blick auf die Religionen zu haben. Dabei kann ich
leider nicht näher auf die Lehren der verschiedenen Glaubensrichtungen eingehen, sondern
nur einzelne Aspekte behandeln, die für die Beantwortung meiner Leitfragen wichtig sind,
in diesem Kapitel speziell in ihrem sozial- und polithistorischen Kontext.
3.1. Dynastien
Für die frühe Geschichte, die etwa 2200 v. Chr. mit der Xia Dynastie beginnt, gibt es keine
direkten schriftlichen Zeugnisse und auch keine eindeutigen archäologischen Funde,
dennoch wird die erste Dynastie von der traditionellen Historiographie auf diese Zeit
datiert.14 In dieser Epoche begann sich eine erste komplexe Gesellschaft mit Technologien,
politischen und religiösen Institutionen, als auch der Erfindung einer ersten Form von
Schrift zu entwickeln. Auch wenn Aufzeichnungen des Hofschreibers Sima Qian (ca. 145 –
90 v. Chr.) eine Projektion des zu seiner Zeit existierenden Systems auf die legendäre Zeit
vor 2200 v. Chr. offenbaren, in der die Entdeckungen und kulturellen Entwicklungen den
drei Erhabenen und den ihnen folgenden fünf Kaisern zugeschrieben werden, mythische
Herrscher, deren Reich unmittelbar die Xia Dynastie gefolgt habe.15
Die folgende Shang Dynastie (ca. 1600 – 1045 v. Chr.) ist historisch gesicherter. In dieser
Zeit waren die Könige sowohl politische als auch religiöse Herrscher. Außerdem hat sich
die Gesellschaft weiter ausgegliedert. Unter anderem haben sich Berufsspezialisierungen
entwickelt, infolgedessen auch Experten für Religiöses; Rituale wurden institutionalisiert.
Der Shang Pantheon war hierarchisch strukturiert – was sich in der Volksreligion bis heute
nicht geändert hat – und bildete eine Grundlage für die soziopolitische Legitimation im
Reich. Diese wurde dann in der Zhou Dynastie (1045 – 256 v. Chr.) um den Himmelskult
erweitert, eine religiös-politische Theorie, die besagt, dass die Herrschaft durch ein
himmlisches Mandat (tianming) legitimiert sei, die demjenigen zuteil wird, der moralisch
würdig sei.16 Weitere wichtige Faktoren, um die chinesischen Herrschaftsstrukturen
14 Poceski, Mario: Introducing Chinese Religion. Routledge, Oxon 2009.15 Vgl. dazu Clart, Philip: Die Religionen Chinas – Studium Religionen. Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2009, S. 17f.16 Poceski (2009), a. a. O.
verstehen zu können, sind die Lehren des Konfuzius (571 v. Chr. - 479 v. Chr.) 17, der in
jener Dynastie gelebt und gewirkt hat, wenngleich seine Lehre über die Jahrhunderte
unterschiedlich ausgelegt und weiterentwickelt wurde. Die Grundsätze dieser Philosophie
sind die zwei Tugenden li (vereinfacht: ritueller Anstand in einem Umfang, der im Laufe
der Zeit auf den gesamten Lebensbereich ausgedehnt wurde) und ren (Güte), aus denen die
fünf fundamentalen menschlichen Beziehungen abgeleitet werden, die in ihrer idealen
Weise eine harmonische Gesellschaft unter einem fürsorglichen Herrscher erzeugen sollen,
der über das Volk wacht und für dieses sorgt, wie ein Vater für seine Kinder, während auch
das Volk seinen Pflichten nachkommen muss.18 Diese sehr weltlichen auf eine soziale
Struktur ausgerichteten, idealtypischen Vorstellungsweisen, die Moral und Herrschaft
verbinden, haben die Mentalität der chinesischen Gesellschaft entscheidend mitgeformt.19
Es bleibt zu hinterfragen, inwieweit sie einen bestimmenden Einfluss auf gesamtgesell-
schaftliche Gefüge genommen haben, jedoch lassen sich meinem Urteil nach bedeutsame
Auswirkungen auf das Denken insbesondere der Eliten kaum in Frage stellen.20
Inzwischen war die Realität eher durch sowohl innere als auch äußere Konflikte und
Teilungen geprägt. Nach der Spaltung des damaligen Reiches in ein fremdbeherrschtes
westliches Gebiet und mehrere autonome Staaten gelang den Qin (221 – 206 v. Chr.) eine
Wiedervereinigung unter einem Kaiser, dessen Dynastie zwar nicht lange hielt, aber durch
eine starke, zentralisierte Regierung und der Etablierung einer gut organisierten Bürokratie
die Weichen für die künftige Entwicklung Chinas legte. Denn von der Idee einer zentralen
Regierung wurde auch im weiteren Verlauf der Geschichte nicht wesentlich abgewichen.
Sie wurde eher weiterentwickelt.
In der Han Dynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) etablierte sich der Konfuzianismus als
Staatskult. Außerdem richtete sich der Lehrplan für die Beamten nach Texten konfu-
zianischer Lehre, woran sich mit kleinen Einschränkungen bis ins 20. Jh. nichts geändert
hat. Mit der Zeit entwickelten sich neue religiöse Strömungen, im Reich selbst der Dao-
ismus und einige von außerhalb, wie der Islam, der während der Tang Zeit (618 – 907)
durch vorder- und zentralasiatische Kaufleute Verbreitung fand. Unter Letzteren ist des
Weiteren der Buddhismus zu nennen, da dieser in China den größten Einfluss gewonnen
hat. Eine indische Tradition, die von der chinesischen Elite zunächst kritisch beäugelt
wurde, da sie den Anschein machte, die soziale Ordnung stören zu können – z. B. durch
das Mönch- und Betteltum – und nicht mit dem chinesischen Weltbild konform ging. Dies
führte zum Ende der Tang Dynastie zu Enteignungen und Schließungen von buddhistischen 17 Die genauen Lebensdaten sind nicht unumstritten. Vgl. dazu Ess, Hans van: Der Konfuzianismus. Verlag C. H. Beck oHG, München 2003, S. 13
und S.19.18 Poceski (2009), a. a. O.19 „Der moderne chinesische Begriff für ,Revolutionʻ, geming, bedeutet wörtlich ,Änderung des Mandatsʻ.“ Aus: Clart (2009), a. a. O., S. 23.20 Berücksichtige etwa die Beamtenprüfungen, wie weiter unten beschrieben.
Klöstern, dessen Bewohner in den Laienstand versetzt wurden. Allerdings bleibt hier zu
erwähnen, dass die Klöster und die darin Lebenden durch Befreiung von Steuern und
Arbeitsdienst Reichtum anhäufen konnten. Auch private Grundherren stifteten Kloster, um
anschließend von den Begünstigungen durch den religiösen Status des Grundbesitzes
profitieren zu können, was wiederum zu Steuerverlusten im Reich führte.21 Die Gründe für
die Enteignungen der Sanghas waren potentiell also eher praktischer, als ideologischer
Natur. Trotz allem florierte der Buddhismus im Laufe der Jahrhunderte und entwickelte
sogar speziell chinesische Formen.
Erst in der Song Dynastie (960 – 1279) blühten traditionelle Lehren wieder auf – auch
durch Anregungen aus dem Buddhismus – und bildeten die Grundlage für den Neo-
konfuzianismus Zhu Xis (1130 – 1200)22, dessen Kanon nach seinem Tod letztgültig zum
Staatskult und somit orthodoxen Messlatte, als auch zur Grundlage des Inhalts der
Beamtenprüfung bis zum Jahre 1905 wurde. Während der Ming Dynastie (1368 – 1644)
kam es zum ersten Kontakt mit Europa und christliche Missionare traten somit auf die
historische Bühne Chinas. Zwar gab es schon vorher christliche Einflüsse, wie die nesto-
rianischen, aber die hatten keinen Bestand. Erst im 16. Jh. änderte sich dies durch die
Errichtung jesuitischer Missionen.
Die Ordensangehörigen wurden in der folgenden Qing Dynastie (1644 – 1911) zunächst
verfolgt, erhielten aber durch das Toleranzedikt Kangxis Bewegungsfreiheit und wurden
sogar als Berater am Hofe eingestellt, jedoch unter der Bedingung, die chinesischen
Ahnenriten nicht zu verletzen, eine Akkommodation, die die Ordensleitung in Rom nicht
zugestehen konnte, was zur Abspaltung der Jesuiten von eben dieser führte.23
Weiter ging der Übergang zur Qing Dynastie nicht zum ersten Mal mit einer Fremd-
herrschaft einher. Neben einigen Demütigungen für die chinesischen Untertanen wurden in
dieser Zeit Bedingungen für soziale und wirtschaftliche Stabilität geschaffen. Das
Beamtenprüfungswesen wurde weitestgehend beibehalten, obgleich die Herrscher selbst
andere Religionen für sich wählten. Dennoch gab es in der konfuzianischen Elite einige
Beamte, die das Trauma der politischen Fremdübernahme durch Kritik am Neokonfuzia-
nismus zu überwinden versuchten und begannen sich auf die ursprünglichen Texte zu
besinnen,24 was zeigt, wie sehr die politische Elite von dieser Lehre geprägt war und wie
sie die Zusammenhänge zwischen profaner Wirklichkeit und konfuzianischen Lehren
deutete.
Ein für die Geschichte der Religionsfreiheit weiterer, wichtiger Punkt betrifft die Edikte,
21 Clart (2009), a. a. O.22 Clart (2009), a. a. O.23 Dabringhaus, Sabine: Geschichte Chinas 1279 – 1949. Oldenburg Wissenschaftsverlag GmbH, München 2006.24 Clart (2009), a. a. O.
die von den Qing Kaisern erlassen wurden. Diese besagten, und zwar mit Gesetzeskraft,
dass häretische Lehren und Praktiken straffrei bleiben sollten, rebellische Ambitionen
jedoch nicht.25 Diese Edikte sind meiner Meinung nach kennzeichnend für den Umgang,
den die Kaiser über die Jahrhunderte hinweg mit den Religionen gepflegt haben. (→ Kap. 3.4.)
In der zweiten Hälfte der Qing Dynastie führten eine wachsende Bevölkerung, Naturkatas-
trophen und andere innere und äußere Konflikte zur Schwächung des Reiches. Imperia-
listen aus dem Westen und hinterher auch Japan zwangen die Chinesen nach militärischen
Siegen zu ungleichen Verträgen.26 So musste das Reich der Mitte den westlichen Bürgern z.
B. extraterritoriale Rechte und die Freizügigkeit für christliche Missionen einräumen. All
diese Umstände begünstigten das Aufkommen rebellischer Gruppierungen, darunter auch
welche mit religiöser Motivation. Als herausragendes Beispiel ist die Taiping Tianguo Be-
wegung (Himmlische Reich des großen Frieden)27 zu nennen, die christlich geprägt war,
ein Indiz für den Einfluss christlicher Missionare, die nun in diversen sozialen Ein-
richtungen tätig waren.
Die letzten chinesischen Kaiser, die inzwischen mehrmals Demütigungen über sich
ergehen lassen mussten, verloren zunehmend das Vertrauen der Bevölkerung, was letzt-
endlich zu Debatten um die Modernisierung Chinas führte, die in den von christlichen
Missionen betriebenen Kranken- und Waisenhäusern, Schulen und Universitäten
entstanden, wo direkte Einblicke in die westliche Welt möglich waren.28 Die Frage, mit der
sich die Diskutierenden befasste, war: „Wieviel von der eigenen kulturellen Substanz (ti)
musste man aufgeben, um in Ausübung (yong) von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und
Erziehung mit den westlichen Mächten gleichzuziehen?“29
Diverse Möglichkeiten für eine Modernisierung durch Reformen wurden diskutiert, die
teilweise sogar auf konfuzianische Lehren basierten, allerdings haben konservative Kreise
eine praktische Umsetzung verhindert. Im beginnenden 20. Jh. war die Qing Dynastie am
Ende. 1905 wurde die Beamtenprüfung durch ein modernes Erziehungssystem ersetzt, ein
Beispiel für eine Reformbemühung, die keine Früchte mehr getragen hat. So kam es 1911
zur Revolution und 1912 zur Ausrufung der Republik durch Sun Yat-sen.
25 Kühner, Hans: Weltanschauliche Toleranz oder staatliche Verfolgung von Heterodoxien? Ein Fall aus dem späten chineischen Kaiserreich. In: Meisig, Konrad (Hrsg.): Chinesische Religion und Philosophie – Konfuzianismus, Mohismus, Daoismus, Buddhismus, Grundlagen und Einblicke. Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden 2005. Erschienen in der Reihe: Ariizumi, Yasuo (Hrsg.) und Meisig, Konrad (Hrsg.): East Asia Intercultural Studies – Interkulturelle Ostasienstudien 1. Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden 2005.
26 Z. B. die Erlasse, die aus den Opiumkriegen folgten. Vgl. dazu Bastid-Bruguière: Opiumkriege. In: Staiger, Brunhild (Hrsg.); Schütte, Stefan Friedrich (Hrsg.) und Schütte, Hans-Wilm (Hrsg.): Das große China-Lexikon. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2008.
27 Diese Bewegung dauerte 14 Jahre an und kostete nahezu 20 Mio. Menschen den Tod. Solche religiös motivierten Bewegungen haben gewiss ihre Traumata hinterlassen, die sich bis in die Gegenwart auf die Beziehungen zwischen Staat und Religion auswirken.
28 Clart (2009), a. a. O.29 Ebd., S. 139.
3.2. Republik China
Mit der Wende zur Republik traten verschiedene Konfliktparteien auf die Bühne, die ihrer-
seits um die Macht konkurrierten: Die KMT (Kuomintang), eine nationalistische Partei
unter Revolutionsführer Sun Yat-sen; konservative Gruppen, wie der General Yuan Shikai,
der sich selbst zum neuen Kaiser ernennen wollte; etliche Warlords, die eine Zeit lang
weite Teile Chinas beherrschten; 1921 entstand die kommunistische Partei Chinas (KPCh);
außerdem wurden ausländische Mächte, die ihrerseits Vorteile aus der Situation zu
gewinnen suchten, in das Machtvakuum gerissen, welches das Ende der Kaiserzeit hinter-
lassen hatte. Besonderen Einfluss gewann Japan durch Eroberung von Territorien und der
Gründung eines Marionettenstaates30 innerhalb Chinas. Die Bedrohung durch Japan zwang
die KMT und die KPCh schließlich zu einer Zusammenarbeit, die durch gegenseitiges
Misstrauen gekennzeichnet war und auch nur bis zum Sieg gegen Japan 1945 dauerte.
Anschließend brach ein Bürgerkrieg aus, den die KPCh mithilfe großer Unterstützung aus
der unzufriedenen und insbesondere ländlichen Bevölkerung und guter Organisation für
sich entscheiden konnte, trotz militärischer Übermacht der KMT. 1949 rief Mao Zedong
die Volksrepublik China aus. Chiang Kai-shek zog sich auf Taiwan zurück und gründete als
Führer der KMT dort die Republik China.
In dieser konfliktreichen Zeit wurden die Religionen, insbesondere der Konfuzianismus,
von vielen Intellektuellen als Ursache für die Behinderung Chinas gesehen, ein moderner
Staat zu werden. Dies führte zur Übernahme eines westlichen Religionsbegriffes, der zwi-
schen in organisierten Institutionen agierenden Religionen (zongjiao) und Aberglaube
(mixin) unterschied,31 was sich in Gesetze ausdrückte, die nun z. B. die Umwandlung von
Tempeln in öffentliche Gebäude veranlassten. Als Reaktion darauf gründeten Daoisten und
Buddhisten Dachverbände, um sich vor solchen Enteignungen zu schützen. Bemühungen
aus konservativen Kreisen, den Konfuzianismus als Staatsreligion erklären zu lassen, wa-
ren hoffnungslos, wurde dieser doch als Mitursache für den Zerfall Chinas betrachtet.
Einen Dachverband zu gründen, gelang ebenfalls nicht, so blieb der Konfuzianismus in
Gelehrtenstuben und neuen religiösen Bewegungen erhalten. Letztere waren durch ihre
Vermischung mit diversen anderen Lehren charakterisiert, trugen aber maßgeblich zur
Verbreitung konfuzianischen Gedankenguts in der Bevölkerung bei. Zusammenfassend
kann die Zeit von 1912 bis 1949 wie folgt beschreiben werden:
„Die rasante und teilweise chaotische Entwicklung neuer Religionen und Organisationsformen alter Religionen in den Jahrzehnten nach der Revolution von 1911 ist symptomatisch für eine Umbruchsituation, in welcher die traditionelle Ordnung auseinandergebrochen ist, aber sich noch keine stabile Alternative etabliert hat.“32
30 Manzhouguo. Vgl. dazu Scherer, Anke: Manzhouguo. In: Staiger, Schütte und Schütte (2008), a. a. O.31 Clart (2009), a. a. O.32 Ebd., S. 144.
3.3. Volksrepublik China
Die KPCh unter Mao Zedong sah sich ab 1949 den Schwierigkeiten ausgesetzt, eine durch
jahrzehntelange Konflikte zermürbte Gesellschaft zu stabilisieren und neuen Wohlstand zu
schaffen. Dies sollte in Einklang mit der egalitären Ideologie durch baldige Reformen
passieren. Eine erste Phase des Erfolges brachte bessere Lebensbedingungen mit sich, doch
schon bald geriet das Land durch diverse Regierungskampagnen wieder in große Krisen.33
Auch immer stärker werdende Repression und politische Verfolgung in Intellektuellen-
kreisen kennzeichnen die Anfangszeit der Volksrepublik.34 Im Zenit dieser Politik lag die
Kulturrevolution. Vorgeblich war sie eine für ein halbes Jahr angesetzte Kampagne zur
Erneuerung der Partei, um Missstände in Staat und Gesellschaft zu beseitigen. Als solche
wurde sie zunächst begrüßt. Mao Zedong nutzte sie jedoch, um große Teile der KPCh zu
zerstören, die seinem Misstrauen zum Opfer gefallen waren. Weitere Ziele der Bewegung
waren Mitglieder aus kulturellen und bildungsinstitutionellen Kreisen, also jene Personen,
die im Verdacht standen, dem Regime ideologisch widersprechen zu können. Religiöse
Einrichtungen wurden zerstört oder zweckentfremdet und jegliche religiöse Aktivität völlig
aus dem öffentlichen Leben verbannt. Die Wirtschaft wurde aus der Kampagne heraus-
gehalten, um in diesem Bereich Stabilität gewährleisten zu können. War die gewaltsame
Phase der Kulturrevolution bereits 1969 beendet, so wurde die Kampagne doch bis zu
Maos Tod 1976 weitergeführt.35
Ab 1977 begann eine Zeit der Reform- und Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping. Die
Partei setzte sich nun das oberste Ziel, die Volksrepublik China wirtschaftlich zu stabili-
sieren.36 Um eine Marktwirtschaft einzuführen, die unter der ideologischen Grundhaltung37
zu rechtfertigen war und ist, wurde und wird der Begriff der sozialistischen Marktwirt-
schaft verwendet. Gleichwohl blieb der Liberalisierungsprozess nicht auf die Wirtschaft
beschränkt. Nach kurzer Zeit wurde versucht, die Verwüstungen, die von den roten Garden
während der Kulturrevolution verursacht wurden, wieder rückgängig zu machen und zu
einer Politik zurückzukehren, die alle legitimierten gesellschaftlichen Kräfte für ein
gemeinsames Ziel nutzt. Philip Clart schreibt dazu:
„Die nationalen Dachverbände wurden wiederbelebt und die religiöse Glaubensfreiheit wurde in die neue Verfassung der Volksrepublik China von 1982 aufgenommen. […] Allerorts wurden zweck-
33 Z. B. der große Sprung nach Vorn: eine von 1958 bis 1961 dauernde Initiative, die eigentlich bis 1963 angesetzt war, aber durch ihr Scheitern vorzeitig abgebrochen wurde. Sie war grundlegende Mitursache – neben Dürren und Überschwemmungen – für die zu jener Zeit herrschende Hungersnot, die je nach Schätzung zwanzig bis vierzig Millionen Menschen das Leben kostete.
34 Wenngleich Mao Zedong zunächst selbst davon überzeugt war, dass ein gewaltsames Vorgehen gegen jegliche Ideologie oder Religion nicht nötig sein werde, da der ideologische Wettkampf zweifellos vom Kommunismus gewonnen werden würde und somit alle anderen Religionen und Ideologien von selbst zerfallen würden. Vgl. dazu MacInnis, Donald E.: Religionspolitik im kommunistischen China – Theorie und Praxis in Dokumenten. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1974. Übersetzung aus dem Amerikanischen von Elisabeth Langerbeck. Originaltitel: Religious Policy and Practice in Communist China – A Documentary History. Donald E. MacInnis 1972.
35 Für nähere Informationen vgl. Schoenhals, Michael: Kulturrevolution. In: Staiger, Schütte und Schütte (2008), a. a. O.36 Z. B. durch die sogenannten Vier Modernisierungen, ein von Premierminister Zhou Enlai entwickeltes Reformprogramm zur Verbesserung von
Industrie, Landwirtschaft, Verteidigung, Wissenschaft/ Technik.37 Marxismus-Leninismus, die Mao Zedong-Ideen, die Deng-Xiaoping-Theorie und die wichtigen Ideen des „Dreifachen Vertretens“. Aus:
http://german.china.org.cn/german/50831.htm, Stand 22.01.2012.
entfremdete Klöster, Tempel und Kirchen ihren Glaubensgemeinschaften zurückgegeben und renoviert; neue Ausbildungsstätten für den Klerus der fünf anerkannten Religionen38 wurden geschaffen; berühmte Heiligtümer wurden mit öffentlichen Geldern restauriert, wobei die Hoffnung auf Einnahmen aus dem Pilgertourismus für lokale Behörden eine wichtige Motivation bildete.“39
Weiter sieht Clart als Grund für die Wiederbelebung der Religion in der Gesellschaft das
„Sinn- und Orientierungsvakuum“, welches durch das Problem der KPCh entsteht, den
Widerspruch zwischen kommunistischer Herrschaft und kapitalistischer Marktwirtschaft zu
lösen.40 Die Volksreligionen, welche den potentiell größten Teil der Volksgläubigkeit aus-
machen, wurden als kulturelles Erbe geduldet. Eine vergleichsweise weite Religionsfreiheit
wurde nun mit Einschränkungen seit den achtziger Jahren geschützt.
3.4. Religionsfreiheit in der Geschichte Chinas
Die Meinungen zur Religionsfreiheit in der Geschichte Chinas gehen weit auseinander. Es
wird bisweilen von hoher Liberalität bei der Religionswahl gesprochen oder von Gleich-
gültigkeit durch die Eliten.41 Sogar der als Staatskult etablierte Neokonfuzianismus weist
synkretistische Charakteristiken auf. (→ Kap. 3.1.) Gestützt werden diese diversen Thesen
beispielsweise dadurch, dass es zwischenzeitlich Herrscher gab, die den chinesischen
Buddhismus bevorzugen, eine im Ursprung nicht chinesische Tradition oder wiederum
andere, die sich intensiv mit dem Daoismus beschäftigten, während gleichzeitig der Kon-
fuzianismus als Grundlage für die Ausbildung staatlich Angestellter diente. Andererseits
gibt es wiederum Gelehrtenstimmen, die von Verfolgung und Verbot heterodoxer Lehren
sprechen. Diese sind der Ansicht, das Reich der Mitte habe die Religionsfreiheit in der
Geschichte nicht gewährt, und machen deutlich, dass während der gesamten Zeit von der
herrschenden Klasse versucht wurde, eine privilegierte Lehre durch Erziehung, Indoktri-
nation oder auch Gewalt durchzusetzen.42 Dass es so widersprüchliche Meinungen gibt,
verwundert nicht, wenn allein ein Blick auf offizielle Dokumente geworfen wird. So droht
der Qing Kodex mit strengen Strafen für geringste Tätigkeiten mit häretischen Bezügen,
während Edikte von Qing Kaisern wiederum mit Gesetzeskraft festlegen, dass häretische
Lehren und Praktiken straffrei bleiben sollten, wenn sie keine rebellischen Tendenzen
beinhalteten.43 Nach Betrachtung einiger Beispiele für gewaltsame Verfolgungen von reli-
giösen Gruppen verfechte ich die These, dass es sehr wohl Kaiser gegeben hat, die großen
religiösen Freiraum gewährt haben, andere wiederum, die stärker zu unterdrücken ver-
suchten, aber seltener aus ideologischen als aus politischen oder ökonomischen Gründen.
Durch die Größe des Reiches war es einer zentralistischen Regierung kaum möglich,
38 Daoismus, Buddhismus, Islam, Katholizismus, Protestantismus; Anmerkung des Autors, Fußzeile nicht im Originaltext. 39 Clart (2009), a. a. O., S. 147.40 Ebd.41 Kühner (2005), a. a. O.42 Kühner (2005), a. a. O.43 Ebd.
überall durchzugreifen. Dies ist ein möglicher Grund dafür, dass ein Konzept, welches eine
friedliche Gesellschaft durch eine Uniformität im Denken und Kooptierung unterschied-
licher Lehren vorsieht, die Geschichte am ehesten geprägt hat. Weiter wurde die Religion
in China nicht selten sehr profan ausgelegt, denn sie hatte oft eher den Anspruch, politische
und soziale Einheit oder moralische Selbstverwirklichung zu schaffen, sowie Belohnungen
im gegenwärtigen Leben zu erbringen, als Fragen der Transzendenz oder Metaphysik zu
beantworten.44 Dadurch kann vielleicht eine gewisse Tendenz abgeleitet werden, keiner
Religion einen Exklusivismus zugeschrieben zu haben und die Lehren privilegiert zu
haben, die am meisten Vorteile erbrachten,45 ohne dass die Obrigkeit darauf aus sein
musste, Glaubens- oder Weltanschauungen zu verfolgen, die den ihrigen nicht entsprachen,
solange diese keine Gefährdung darstellten. Selbstverständlich war dies immer eine Frage
der Auslegung, wobei das Monopol dabei den Herrschern zustand, was einer vollständigen
Religionsfreiheit aus heutiger, westlicher Sicht selbstverständlich nicht entspricht. (→ Kap.
4.2.1.) Daher bediene ich mich des Ausdrucks der Religionstoleranz und füge das Attribut
pragmatisch hinzu, um die Haupttendenz der Praxis in der Geschichte zu beschreiben. Ich
wähle den Begriff der pragmatischen Religionstoleranz, da dieser zum einen die Religion
als Legitimation für die Herrschaft und die Bevorzugung bestimmter Lehren, die von
Nutzen waren, beinhaltet, zum anderen die Toleranz gegenüber anderen Religionen, so-
lange diese nicht das Reich gefährdeten. Die Schwankungen in der Duldung verschiedener
Glaubensansichten konnte zu Zerstörung von Tempeln durch lokale Behörden führen, öfter
wurde jedoch eine Kooptierung versucht. Außerdem wurden regionale Gottheiten, die
durch lokale Eliten Schutz genossen, nicht selten offiziell kanonisiert, um einer Ausein-
andersetzung zu entgehen.46
Nun bleibt die Frage, ob sich das Reich mit einer Lehre identifiziert hat oder nicht. Die
Theorie einer respektvollen Nicht-Identifikation nach Heiner Bielefeldt47 ist in der chinesi-
schen Geschichte jedoch nicht anwendbar, da das Religionsverständnis in China ein ganz
anderes als das im Westen ist.48 Während der Konfuzianismus als Staatskult verstanden
werden kann, wäre es vermessen von einer Identifikation des Reiches mit dieser Lehre zu
sprechen,49 da sie eher als Leitfaden für eine harmonische Ordnung verstanden wurde. Eine
44 Vgl. dazu beispielsweise Auszüge aus den Lun-yü (Gespräche des Konfuzius). In: van Ess (2003), a. a. O., S. 20. 45 Keineswegs soll hier eine ausschließlich profane oder nutzenorientierte Religionsausübung unterstellt werden, denn exklusivistische
Charakteristiken oder das Primat metaphysischer Deutungsmuster für das Individuen sind Ideen, die einem westlichen Religionsbegriff entsprechen und für China nicht unbedingt geeignet sind. Für weiterführende Literatur empfehle ich Zhuo, Xinping: Theorien über Religion im heutigen China und ihre Bezugnahme zu Religionstheorien des Westens. Verlag Peter Lang GmbH, Frankfurt am Main 1988. Oder Beyer, Peter: Defining Religion in Cross-National Perspective – Identity and Difference in Official Conceptions. In: Bromley, David G. (Hrsg.) und Greil, Arthur L. (Hrsg.): Defining Religion – Investigating the Boundaries between the Sacred and Secular. Elsevier Science Ltd, Oxford 2003. Oder Spickard, James V.: Cultural Context and the Definition of Religion: Seeing with Confucian Eyes. In: Bromley und Greil (2003), a. a. O.
46 Clart (2009), a. a. O.47 Bielefeldt, Heiner: Muslime im säkularen Rechtsstaat – Integrationschancen durch Religionsfreiheit. transcript Verlag, Bielefeld 2003.48 Für Literatur zu Unterschieden in westlichem und chinesischem Religionsverständnis vgl. die Literaturangaben in Fußnote 45 auf S. 11.49 Die Religion hier deduktiv von der Tatsache her zu definieren, dass sie Staatskult war, wäre tautologisch und deswegen unangebracht.
Orientierung am li (→ Kap. 3.1.) und der Glaube an das Mandat des Himmels können eine
Deutung von einer Identifikation des Staates erlauben, doch sind diese Vorstellungen nicht
ausschließlich auf eine Religion bezogen, insofern kann auch hier nicht von einer
Identifikation mit einer Lehre gesprochen werden. Werden diese Grundsätze ausschließlich
konfuzianisch gedeutet und dem Konfuzianismus ein Wert an sich gegeben, ohne eine rein
praktische Bedeutung beizumessen (nicht nur als Moral- oder Sozialphilosophie), so kann
auch phasenweise von einer Identifikation des Reiches mit dieser Lehre gesprochen wer-
den, allerdings weitestgehend von einer sehr schwachen Identifikation hauptsächlich des
Systems, da wie bereits erwähnt z. B. unterschiedliche Kaiser auch unterschiedlichen Kul-
ten nachgingen. Ob es solch ein Verständnis des Konfuzianismus gegeben hat, müsste
schließlich näher untersucht werden. Andererseits hat eine tatsächliche bewusste und res-
pektvolle Nicht-Identifikation auch nicht stattgefunden, da die Werte und Normen immer
von einem religiös-rituellen Hintergrund her bestimmt wurden und nie nach überpositiven
Recht. Das chinesische Reich war also weder säkularisiert, noch mit einer bestimmten
Religion identifizierbar. Daher zeigt sich, dass selbst bei einem sehr weit ausgelegten
Religionsbegriff das Konzept der respektvollen Nicht-Identifikation für die Geschichte
Chinas nicht zu verwenden ist.
4. Religionspolitik in der gegenwärtigen Volksrepublik China
4.1. Politische Rahmenbedingungen
Nicht nur um die faszinierende ökonomische Entwicklung in einem sozialistischem System
zu verstehen bedarf es eines näheren Blickes auf den politischen Rahmen der Volks-
republik. Auch um sich mit der Situation der Religionen kritisch auseinandersetzen zu
können, muss eine Beschäftigung mit dem System, seinen Möglichkeiten und Einschrän-
kungen stattfinden. Die VR China ist ein zentralistischer Einheitsstaat mit einem kommu-
nistischem Regime50. Somit bleibt trotz jeglicher formeller und informeller Partizipations-
möglichkeiten die letztgültige Entscheidung in allen rechtlichen und öffentlichen Belangen
der hierarchischen Ordnung der Partei untergeordnet. Daher finde ich es sinnvoll eine
holzschnittartige Darstellung der Entscheidungsstrukturen in der Gesellschaft mit der
Regierung an oberster Stelle zu präsentieren.
4.1.1. Das politische System der Volksrepublik China51
Die Volksrepublik China wird von einem autoritären, sozialistischem Regime geführt, die
Vorstellung von einem statischen System ist dabei jedoch unangebracht. Wird der Libera-
lisierungsprozess berücksichtigt, kann auch die Bezeichnung „liberaler Marktleninismus“ 50 Nicht pejorativ, sondern politikwissenschaftlich.51 Vgl. Anhang 1 auf S. 34.
gebraucht werden, wie Thomas Heberer es tut.52 In der Verfassung wird von einem „sozia-
listischem Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes“53 gesprochen, wobei die
Volkskongresse die Organe seien, durch die das Volk seine Macht ausübe.54 Das Politbüro
der KPCh ist das tatsächliche Machtorgan, in welchem die Inhaber der wichtigsten Positio-
nen im Staat zusammengefasst sind. Der Vorsitzende des ständigen Ausschusses des Polit-
büros ist zugleich Paramount Leader, gegenwärtig (2011) Hu Jintao. Der Nationale Volks-
kongress (NVK) stellt formal die oberste Ebene der Regierung dar. Laut Verfassung
werden die Abgeordneten „von den Provinzen, den autonomen Gebieten, den regierungs-
unmittelbaren Städten, den Sonderverwaltungsregionen und den Armee-Einheiten gewählt.
Alle nationalen Minderheiten sind berechtigt, angemessen vertreten zu sein.“55
Die Kongresse der nächsttieferen Verwaltungsebenen wählen jeweils den nächsthöheren.
Auf der niedrigsten Ebene wählen wahlberechtigte Bürger die Volkskongresse auf Gemein-
de- oder Kreisebene, was bisweilen als de facto undemokratisch deklariert wird, da die
Kandidaten von der Partei festgelegt werden. Die Kongresse insgesamt werden zum Teil
als dekorative und entbehrliche Institutionen betrachtet, da sie in der Praxis „den
Weisungen und der Kontrolle durch Leitungsgremien der KPC [sic!]“56 unterliegen. Eine
etwas abweichendere Deutung zeigt sich bei Heberer. Er sieht den Wahlen einen diskur-
siven Prozess zugrunde liegen. Außerdem berücksichtigt er bei seiner Reflexion über
Anzeichen einer Transition auch die Dorfverwaltungskomitees, die autonom von der
Regierung agieren sollen. Allerdings müssen die Wahlen für diese Komiteemitglieder von
der Partei genehmigt werden. Dennoch „wäre es falsch, in diesen Wahlen lediglich ein
Instrument zur Legitimierung autoritärer Strukturen oder der Kontrolle zu sehen. […]
Räumen sie der Dorfbevölkerung doch ein gewisses Maß an Partizipation ein“.57
Insgesamt stellt sich ein geordnetes Netzwerk von Parteikomitees, Staatsorganen und
Kongressen auf verschiedenen Verwaltungsebenen dar, das so strukturiert ist, dass die
Partei in alle Bereiche eingreifen kann, aber nicht muss. Wichtigste Grundmuster der
gegenwärtigen Ordnung sind nach Gottwald und Kirchberger der Fortbestand der Kontrolle
unter der KPCh, das Fehlen einer Opposition, und der allmähliche Wandel des Führungs-
systems in Richtung auf einen nach wie vor autoritären, aber deutlich konsultativeren
Entscheidungsprozess,58 der mit der Machtübernahme Jiang Zemins stattfand, da seitdem
52 Heberer, Thomas: Das politische System der VR China im Prozess des Wandels. In: Derichs, Claudia und Heberer, Thomas (Hrsg.): Einführung in die politischen Systeme Ostasiens – VR China, Hongkong, Japan, Nordkorea, Südkorea, Taiwan. Leske + Budrich, Opladen 2003. S. 30.
53 Präambel der Verfassung der Volksrepublik China. Entnommen aus: http://www.verfassungen.net/rc/verf82-i.htm, Stand: 25.01.2012.54 Art. 2 der Verf. der VR China, ebd.55 Art. 59 der Verf. der VR China, ebd.56 Ebd., S. 129.57 Heberer (2003), a. a. O., S. 95.58 Gottwald, Jörn-Carsten und Kirchberger, Sarah: Modernisierung unter Vorbehalt – Zur inneren Entwicklung der Volksrepublik China. China
Analysis No. 6. Center for East Asian and Pacific Studies Trier University, Trier 2001. Entnommen aus: http://www.chinapolitik.de/studien/index.htm#china_analysis, Stand: 25.01.2012.
Fragen unter verschiedenen Beteiligten (Fachleute, Berater, innerstaatliche Akteure usw.)
diskutiert werden, falls keine kritische Situation eine schnelle Lösung erfordert. (→ Kap. 4.1.4.)
4.1.2. Rechtsstaat und Justiz
Besonders wichtig für den Blick auf die Religionsfreiheit ist die Frage, ob China ein
Rechtsstaat ist, denn verfassungsmäßige Religionsfreiheit hängt auch davon ab, inwiefern
sie durchgesetzt werden kann. In Rechtsstaaten ist das „Handeln der staatlichen Organe 1)
gesetztem Recht (i.d.R. Verfassungen […]) untergeordnet, damit den Individuen bestimmte
unverbrüchliche Grundrechte zustehen und staatlichem Handeln bestimmte Grenzen ge-
setzt sind und 2) alles staatliche Handeln dem (Verfassungs-) Recht und der Verwirklich-
ung von Gerechtigkeit dient und zumeist […] der richterlichen Kontrolle unterliegt.“59
Schon im vorigem Kapitel wurde deutlich, dass solch eine Form von Rechtsstaatlichkeit in
China schwerlich gegeben sein kann, da eine notwendige Bedingung, um in der Praxis ver-
fassungsmäßiges Recht gewährleisten zu können, eine unabhängige Judikative ist, ideal-
typisch in Form einer Verteilung der drei Gewalten. Eine gegenseitige Kontrolle sollte
dabei für die Einhaltung verfassungsrechtlich konstituierter Rechte und Pflichten sorgen. In
der Volksrepublik China gibt es zwar eine funktionelle Trennung in den Staatsorganen,60
doch unterstehen letztendlich alle Organe der Partei, wodurch eine unabhängige Ausübung
staatlicher Macht auf Grundlage einer Verfassung realiter nicht gegeben sind. Selbst wenn
sich die leitenden Organe an die Verfassung halten, so ist diese 1) nicht überpositiv be-
dingt, 2) der Willkür der Partei unterlegen, da sie jederzeit durch diese verändert werden
kann und 3) nicht durch eine unabhängige Kontrollinstanz (Gerichte) geschützt.
Schon traditionell war das Recht als Mittel zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der
Gesellschaft gedacht (→ Kap. 4.3.) und dient auch heute noch in erster Linie nicht der
Verteidigung individueller Rechte gegen den Staat. Die Ernennung und Abberufung von
Richtern wird de facto von Parteiorganen überwacht, wobei letztere in politisch sensiblen
Fällen sogar direkt in die Rechtsprechung eingreifen.61 Wie bei den Gerichten sind bei den
Staatsanwaltschaften ähnliche Defizite bzgl. der Rechtsstaatlichkeit vorzufinden. Zu
berücksichtigen bleibt, dass einige Reformen für eine langsame Entwicklung des
Justizwesens seit einigen Jahren eingeleitet werden, um bestehende Probleme, wie Unter-
qualifizierung, Korruption und die Abhängigkeit der Organe untereinander zu lösen. Indi-
zien für einen Prozess in Richtung vom Staat unabhängiger Organe sind dabei wenige zu
finden. Volkskongresse hätten sich dem Politikwissenschaftler Ming Xia zufolge
Netzwerke mit machtvollen Einrichtungen geschaffen, die sie nutzten, um im Rahmen ihrer
59 http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=WAQBNT , Stand: 25.01.2012.60 Gesetze ausarbeiten durch den NVK, Anwendung der Gesetze durch die Regierung, Kontrolle durch die Gerichte.61 Heilmann (2002), a. a. O.
institutionellen Möglichkeiten autonomer zu werden.62 Inzwischen hat die Partei ihnen
auch einige Kompetenzen überschrieben und die Kongresse machen ihre Autonomie
geltend, wenn sie z. B. mehr Berechenbarkeit von der Partei fordern, Kandidatenvor-
schläge und Rechenschaftsberichte der Partei ablehnen und ihr Kontrollrecht nutzen.63 Dies
könnte ein erster Schritt in Richtung Trennung von Staat und Partei sein. Auch ein
Bekenntnis zur Gesetzesherrschaft und zum „sozialistischen Rechtsstaat“64, welches 1999
in die chinesische Verfassung aufgenommen wurde, dient wohl eher einer „Herrschaft
mittels des Rechts [als einer] Herrschaft des Rechts“.65 Sebastian Heilmann sieht eine seit
1988 legalisierte, „rasch fortschreitende Privatisierung des Anwaltsstandes“66 als eine
Möglichkeit zu mehr Rechtsstaatlichkeit überzugehen. Zusammenfassend kann ohne Be-
denken konstatiert werden, dass die VR China nach der hier gegebenen Definition kein
Rechtsstaat ist. Auch unter einigen Wissenschaftlern, die eine kritische Meinung gegenüber
der Ansicht vertreten, die Demokratie nach westlichen Vorbild sollte auf alle Staaten über-
gestülpt werden, ist die Bedingung der Gesetzesherrschaft unverzichtbar, um den Moderni-
sierungsprozess erfolgreich voranzutreiben.67 Die derzeitige Entwicklung sollte letztendlich
weiter beobachtet werden, eine eindeutige Prognose zu wagen, in welche Richtung sich die
Volksrepublik bewegt, erscheint verfrüht.
4.1.3. Partizipation
Ein sehr diffuses Thema in der gesellschaftlichen Struktur Chinas ist das der Möglichkeiten
der Bevölkerung, auf Entscheidungsprozesse einwirken zu können. Auch wenn ich hier nur
oberflächlich einige Punkte aufzeigen kann, bleibt dieses Kapitel doch wichtig, da die
Erlangung von bestimmten Privilegien und Zugeständnissen gerade in einem autoritären
System stark von informellen Einflussmöglichkeiten abhängen kann. Inwieweit religiöse
Gemeinschaften diese Mittel nutzen, könnte Untersuchungsgegenstand zukünftiger For-
schung werden. Nichtsdestoweniger scheint es mir wichtig zu zeigen, dass es diese
„Hintertüren“ gibt. Zunächst ist ein auf die Thematik eher indirekt wirkender Effekt zu
nennen: Die Privatisierung des Wirtschaftssektors. Diese führt zu mehr Eigenverantwor-
tung in diversen Bereichen und zur Etablierung wirtschaftlicher Eliten, die informell, aber
auch formell, wenn sie selbst der Partei angehören, Druck auf die Politik ausüben können,
um ihre Interessen durchzusetzen.68 Dass erfolgreiche Unternehmer gleichzeitig Förderer
bestimmter Religionsgemeinschaften sein können, liegt meines Erachtens durchaus im 62 Vgl. dazu Heberer (2003), a. a. O.63 Ebd.64 Art. 5 der Verf. der VR China. Insbesondere der 13. Verfassungszusatz vom 15. März 1999, a. a. O.65 Heilmann (2002), a. a. O., S. 148.66 Ebd., S. 148.67 Vgl. z. B. Ling, George Fusun: China Developing – Cultural Identity of Emerging Societies. World Scientific Publishing Co. Pte. Ltd., Singapore
2008.68 Heberer (2003), a. a. O.
Bereich des Möglichen. Auch in der Partei finden sich zum Teil Gläubige, wenngleich die
Partei von ihren Mitgliedern offiziell fordert, atheistisch zu sein.69
Weiter gibt es u. a. das Recht auf Meinungs-, Demonstrations- und Vereinigungsfreiheit,70
was es ermöglicht, bei Genehmigung gegen bestimmte Umstände zu demonstrieren oder
sich im Rahmen legaler (meist dem Staat unterstellter) Institutionen zu organisieren, wie z.
B. in Gewerkschaften oder in einer der fünf anerkannten, religiösen Dachverbände. In Zu-
sammenarbeit mit der Partei gewährt die Regierung dem Volk dabei immer mehr Spiel-
raum in Ausübung von Kritik, sofern diese sich nicht konkret gegen das System richtet. 71
Eines der größten Probleme, die das Reich der Mitte zu bewältigen hat, ist die Korruption.
Abgesehen von den vielen negativen Aspekten dieser Thematik, kann die Bestechungsme-
thode allerdings in einem sehr bürokratisch organisiertem Staat durchaus eine Möglichkeit
der Partizipation und Beeinflussung darstellen. Auch die Herstellung sozialer Beziehungen
(Guanxi) ist in China eine fest verankerte Methode, durch Gefälligkeiten Einfluss zu ge-
winnen.72 Neben diesen legalen und semi-legalen Handlungen, gibt es auch konkrete illega-
le Formen – z. B. Protestbewegungen und illegale Vereinigungen – die durchaus genutzt
werden, um Einfluss zu nehmen.73 Jedoch wurde auf diesem Wege eher Aufsehen im
Ausland erregt, als an der innerstaatlichen Situation etwas zu ändern. Des Weiteren geht
die chinesische Justiz sehr streng gegen solche Vergehen vor. (→ Kap. 4.2.3.)
Thomas Heberer fasst die Partizipationsformen in China in einer Tabelle74 zusammen,
durch die noch einmal deutlich wird, dass durchaus Chancen der Mitwirkung in der Volks-
republik China bestehen. Es erscheint mir schlussendlich nachvollziehbar, dass Religions-
gemeinschaften gerade die in Grauzonen befindlichen Möglichkeiten nutzen, bestimmte
Vorhaben, wie z. B. die Errichtung von Tempeln oder das Abhalten von religiösen Fest-
lichkeiten, genehmigt zu bekommen.
4.1.4. Krisenmanagement
Immer wieder kommt es in der Volksrepublik zu Aufständen oder anderen Krisensituatio-
nen, in denen aus Sicht der Regierung ein schnelles Handeln gefordert ist, um die Stabilität
im Staat zu sichern. Währenddessen kommt es auch zu informellen Verfahren in der Praxis,
die offiziellen Regeln widersprechen. Andererseits wird China oft als reformwilliges Land
gesehen, das sich durch moderate Führung und langsam zunehmende Liberalisierung aus-
zeichnet. Um diesen scheinbaren Widerspruch aufzulösen unterscheidet Sebastian Heil-69 Evers, Georg: Zur Lage der Menschenrechte in der VR China – Religionsfreiheit. Internationales Katholisches Missionswerk e.V.. Missio 1 2001.
Entnommen aus: http://www.missio-hilft.de/media/thema/menschenrechte/studie/01-china-de.pdf. Stand: 25.01.2012.70 Art. 35 der Verf. der VR China, a. a. O.71 So hat z. B. der Premierminister die Bevölkerung dazu aufgerufen, ihm Meinungen per E-Mail zu senden und dafür sogar im Ministeramt eine
eigene Behörde eingerichtet, die sich mit dem Bearbeiten dieser Nachrichten beschäftigt. Vgl. dazu Ling (2008), a. a. O.72 Heberer (2003), a. a. O.73 Z. B. die nicht autorisierte Demonstration der Falun Gong Bewegung.74 Vgl. Anhang 2 auf S. 35.
mann zwischen einem Normalmodus und einem Krisenmodus der Entscheidungsfindung.75
Dabei sind seit dem Wechsel auf der Führungsebene von Revolutionsveteranen zu Techno-
kraten die Regierungsprozesse im Normalmodus von Konsultation und Verteilung von Ad-
ministrationsaufgaben geprägt. (→ Kap. 4.1.1.) Treten jedoch Krisen ein, wechselt der Modus zu
einer zentralisierten, von einer Führungsperson abhängigen Entscheidungsweise, die ideo-
logisch geladen ist.76 Einige Beispiele für solch einen Wechsel im Modus Operandi sind
Deng Xiaopings „Südreise“ 1992 oder das Vorgehen gegen die Falun Gong Bewegung.
4.2. Religionsfreiheit in China
Der Wandel, den die Volksrepublik China durchmacht, begrenzt sich, wie bereits gezeigt
wurde, nicht nur auf ökonomische Sphären, wenngleich dieser Bereich als Katalysator für
die gesamte Entwicklung betrachtet werden kann. Auch die Religionen haben einen sehr
positiven Bewertungswechsel erlebt, sind dadurch sehr schnell wieder in Erscheinung
getreten und finden immer weitere Verbreitung. Auch wenn das Rechtssystem in China den
Religionen nicht den Schutz gewährt wie viele postmoderne Staaten es tun, sondern immer
noch eher einer Verwaltung und Kontrolle eben jener dient, ist die Stellung, die der Glaube
heutzutage einnimmt, doch beträchtlich besser als noch vor der Reformphase, in der sich
alles Handeln der Obrigkeit nach Parteidokumenten richtete und der Eingrenzung, bzw.
Ausrottung der Religionen diente. Die Volksrepublik ist ein laizistischer Staat,77 in dem
heutzutage jeder in der Verfassung gesetztes Recht besitzt, an eine Religion zu glauben und
keiner deswegen benachteiligt werden darf. Die offiziell anerkannten Glaubensgemein-
schaften müssen sich einem von fünf Dachverbänden unterordnen, wobei diese jeweils
Konglomerate von sich selbst organisierenden Gemeinden sind. Des Weiteren gibt es Reli-
gionen, die nicht unter einem Dachverband subsumiert sind. Diese bewegen sich in einem
sehr schwammigen Rechtsraum. Sitten und Gebräuche von Angehörigen einer der 55
ethnischen Minderheiten werden durch Art. 4 der Verfassung geschützt. Dadurch werden
ihre Religionen toleriert. Daneben gibt es auch zahlreiche illegale Gruppierungen, die vom
Staat oft als „Böse Kulte“ bezeichnet werden, wobei von Seiten der Regierung der gefähr-
liche Charakter betont wird. Fenggang Yang kategorisiert die Religionen in China nach
roten (legalen), grauen (semi-legalen) und schwarzen (illegalen) Gruppen.78 Insgesamt
macht ein Parteidokument von 1979 die Ambivalenz der Anerkennung von Religionen
deutlich: Darin heißt es, dass Religionsfreiheit in erster Linie den Weltreligionen zusteht.
75 Heilmann (2002), a. a. O.76 Ebd.77 Die vier Grundprinzipien bilden eine ideologische Grundlage, dennoch ist China laizistisch. Eine Trennung von Staat und Kirche liegt de jure vor.
Wenngleich der Staat die fünf anerkannten Religionen de facto bevorzugt und teilweise fördert, außerdem in viele Bereiche der Religionen eingreifen kann und dies auch tut, bleibt es dabei bei einer einseitigen Einmischung. Religionen haben keinerlei offiziellen Einfluss auf die Regierung oder die Gesellschaft, sondern sind auf den religionsimmanenten Raum begrenzt.
78 Vgl. dazu Eileen Barker: Religion in China – Some Introductory Notes for the Intrepid Western Scholar. In: Lang und Yang (2011), a. a. O.
„They have scriptures, creeds, religious ceremonies, organization and so on (...).“79
Außerdem wird zugestanden, dass es im Volk durchaus Aktivitäten wie Ahnenverehrung
usw. gibt, Formen von Aberglauben (mixin), welche nicht verboten werden, solange sie
keine Auswirkungen auf kollektive politische oder ökonomische Aktivitäten haben.80
Im Folgenden wird die Situation der Religionsfreiheit in China explizit betrachtet. Dazu
wird zunächst eine begriffliche Definition vorgenommen, um eine eindeutige Erarbeitung
des Aspektes gewährleisten zu können. Anschließend soll eine Darstellung der theore-
tischen und tatsächlichen Situation der Religionsfreiheit in China vorgelegt werden und
untersucht werden, ob ein Bruch in der Religionspolitik stattgefunden hat. Ferner möchte
ich den Versuch wagen, das Verständnis der Menschenrechte aus chinesischer Perspektive
nachzuvollziehen, um das Kapitel anschließend mit einem theoretischen Diskurs über die
Lage und einer persönlichen Bewertung der Situation zu beenden.
4.2.1. Begriffliche Definition
Die Religionsfreiheit ist ein Grund- oder Menschenrecht, das gegenüber dem Staat die
Freiheit gewährleistet, den Glauben (oft auch auf nicht religiöse sowie atheistische
Weltanschauungen bezogen) ohne Benachteiligung zu bekennen. Außerdem beinhaltet die
Religionsfreiheit auch die negative Freiheit, sich zu keiner Religion bekennen zu müssen.
Das heißt, Beschränkungen jeglicher Rechte aus religiösen Gründen sind ausgeschlossen.
Die Religionsfreiheit kann sich auf das Individuum beziehen, aber auch auf die kollektive
Ausübung eines Bekenntnisses. Dazu gehört z. B. das Recht, Gottesdienste zu veranstalten.
Idealerweise kann die Religionsfreiheit nur in Rechtsstaaten gewährleistet werden, da in
solchen staatliches Handeln auch tatsächlich gesetztem Recht untersteht.
4.2.2. Religionsfreiheit in der Theorie – Verfassung, Gesetze, Verordnungen 81
Die Verfassung der VR China ist am 4.12.1982 in Kraft getreten und wurden seit dato vier
mal geändert. Dabei wurden 31 Zusätze hinzugefügt. Handlungsweisend und -einschrän-
kend für die Religionen sind zudem Gesetze und Verwaltungsvorschriften diverser Abteil-
ungen. Zunächst sollte erwähnt werden, dass in der Verfassung vier Grundprinzipien
verankert sind, die über alle anderen Artikel stehen. Es handelt sich dabei um das
Festhalten an 1) der Führung der KPCh, 2) den vier Grundideen,82 3) der demokratischen 79 Zitiert aus Kupfer, Kristin: „Geheimgesellschaften“ in der VR China: Christlich inspirierte, spirituell-religiöse Gruppierungen seit 1978. China
Analysis No. 8. Center for East Asian and Pacific Studies Trier University, Trier 2001. Entnommen aus: http://www.chinapolitik.de/studien/index.htm#china_analysis, Stand: 25.01.2012. S. 25.
80 Ebd.81 Harro von Senger führt „im Sinne der Vorgehensweise ,pars pro totoʻ drei derzeit im Autonomen Gebiet Xinjiang der Volksgruppe der Uighuren
geltende Rechtserlasse“ (Senger, 2008, S. 133) auf. Diese Artikel zeigen die jetzige Situation der Religionsfreiheit sehr deutlich, daher ist in Anhang 3, S. 36, ein längerer Absatz aus Senger, Harro von: Religion in der Volksrepublik China. Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Entnommen aus: http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/6927/pdf/Senger_Religion_in_der_VR_China.pdf, Stand: 25.01.2012. Originalbeitrag erschienen in: Schlehe, Judith (Hrsg.): Religion und die Modernität von Traditionen in Asien – Neukonfigurationen von Götter-, Geister- und Menschenwelten. LIT Verlag, Berlin 2008, S. 115-145.
82 Siehe Fußnote 37 auf S. 9.
Diktatur des Volkes, 4) einem sozialistischen Weg.83
In Artikel 36 der Verfassung – der seither unverändert blieb – geht es dann speziell um die
Religionsfreiheit.84 Durch diesen Artikel werden sich zu einer Religion Bekennende vor
Benachteiligung, die positive und negative Glaubensfreiheit und normale religiöse Aktivi-
täten geschützt. Einschränkungen gelten bei Handlungen, die die öffentliche Ordnung
stören, körperliche Gesundheit von Bürgern gefährden oder das Erziehungssystem des
Staates beeinträchtigen. Abschließend dürfen die religiösen Organisationen von keiner aus-
ländischen Kraft beherrscht werden. In Bezug auf die Gesundheit und die Abhängigkeit
von ausländischen Kräften ist das Verständnis vergleichsweise klar, doch wann die öffent-
liche Ordnung gestört oder ins Erziehungssystem eingegriffen wird, muss, wenn nicht
anderswo in der Verfassung getan, letztendlich die Partei definieren, da sie das Interpreta-
tionsmonopol besitzt.85 Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit dem Dalai Lama. Dieser
würde für die Regierung Chinas kein Problem darstellen, wenn er sich lediglich als religiö-
ser Führer geben würde.86 Als religiöser und politischer Führer verstößt er allerdings gegen
die in der Verfassung festgelegte Trennung von Religion und Politik. Weiter könnte sein
Bemühen um mehr Unabhängigkeit Tibets als separatistisches Anliegen gesehen werden.
Als zweites Beispiel gilt bzgl. der Erziehung Art. 24, der festlegt, dass Erziehung in erha-
benen Idealen, moralischen Prinzipien usw. verstärkt wird. Eine religiöse Aktivität, die
diesen Vorstellungen widerspricht, genießt somit verfassungsgemäß keinen Schutz. Doch
auch hier gilt: Festsetzung von Idealen und Prinzipien liegt allein bei der Partei.
Noch fragwürdiger erscheint schließlich die Formulierung „normale religiöse Tätigkeiten“,
die in den Schutzraum des Staates fallen. Was sind „normale“ Tätigkeiten?87 Wie auch
schon bzgl. der öffentlichen Ordnung entscheidet die Partei, was normal ist und hat sich so
die Möglichkeit eingeräumt, Religion zu definieren. Dadurch kann die Regierung entgegen
dem Selbstverständnis einer Gemeinschaft entscheiden und somit in ihren religiö-sen
Raum eingreifen. Eine rechtsstaatliche Säkularisierung ist daher nicht gegeben, denn diese
würde die Neutralität des Staates in Form von 1) Gleichbehandlung aller Religions-
gemeinschaften, 2) Nähe zu den Religionen – i. e. Zusammenarbeit beim Aufbau von einer
83 Senger (2008), a. a. O.84 Diese wird offiziell nur den fünf Hauptreligionen gewährt. Dieser Standpunkt wurde 1991 nochmals durch ein Dokument untermauert. Das
Religionsverständnis, das dieser Auslegung zu Grunde liegt, sieht Kenneth Dean im Marxismus begründet. Siehe Dean, Kenneth: Local Ritual Traditions of Southeast China: A Challenge to Definitions of Religion and Theories of Ritual. In: Lang und Yang (2011), a. a. O. Die Modernisierungsdebatten um 1900 herum könnten aber ebenfalls dazu beigetragen haben.
85 Diese uneindeutige Einschränkung ist jedoch keine Ausnahme, sondern findet sich z. B. auch in Art. 18 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 16.12.1966. In Abs. 3 wird die in Abs. 1 gewährte Religionsfreiheit unter gesetzliche Schranken gestellt, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind, ohne näher zu erläutern, was unter diese Kategorien fällt. Vgl. dazu Senger (2008), a. a. O., S. 127, Fußnote 31.
86 Vgl. dazu http://www.faz.net/aktuell/politik/unruheprovinz-tibet-den-dalai-lama-als-gewaltlos-zu-bezeichnen-ist-ein-witz-11621953.html, Stand: 27.01.2012.
87 In den „Einstweiligen Bestimmungen des Autonomen Gebiets Xinjiang der Volksgruppe der Uighuren betreffend die Kontrolle über religiöse Betätigung“ vom 23.8.1990 ist der Terminus „normale religiöse Betätigungen“ näher definiert als Schriftlesungen, Predigten, Gottesdienste, Abstinenz hinsichtlich Fleisch als religiöse Übung, Beten, Abbrennen von Weihrauch, Anbetung Buddhas, das Abhalten von Messen und das Feiern religiöser Feste. Siehe Senger (2008), a. a. O. Diese Definition gilt allerdings nur für diesen Erlass und ist keineswegs gültig für den in der Verfassung gebrauchten Begriff. Die Definition dient lediglich als Beispiel für die Möglichkeit einer individuellen Auslegung.
Staatsmoral – oder 3) Trennung von Staat und Religionen implizieren.88 Der erste Punkt ist
allein durch Privilegierung der fünf anerkannten Religionen nicht gegeben, bzw. der engen
Betrachtungsweise, was als Religion gelten darf. (→ Kap. 4.2.) Die strikte Trennung von Staat-
lichem und Religiösem in China fordert eine Begrenzung religiöser Aktivitäten auf den
binnenreligiösen Raum, also findet auch das Modell von Nähe zwischen Staat und Religion
keine Anwendung. Am ehesten könnte von einer gegenseitigen Nichteinmischung ausge-
gangen werden. Der Staat gewährt auch tatsächlich weite Freiheiten in religiösen Belan-
gen, individuelle Religionsfreiheit und den fünf anerkannten Religionen auch viele kollek-
tive Rechte. Doch sobald eine vermutete Gefährdung besteht, greift der Staat selbst in
religiöse Belange ein. Des Weiteren kommt die Kontrolle durch das BRA als Gegen-
argument auch zu diesem Modell hinzu. In China kann also von Säkularisierung und Lai-
zismus gesprochen werden, aber nicht in rechtsstaatlicher Form, sondern unter Beibe-
haltung staatlicher Verwaltungs- und Kontrollaufgaben.
In der Verfassung findet sich dann ein weiterer Punkt, der historisch mit der Religions-
freiheit verknüpft ist. In Artikel 24 wird gesagt, dass feudalistisches Gedankengut be-
kämpft werde. Anders als zu Beginn der VR China gelten die volksreligiösen Stätten und
Aktivitäten heute zum großen Teil als kulturelles Erbe, nicht mehr als feudalistische Kräfte
und werden durch Artikel 22 geschützt.89
Soweit konnte festgestellt werden, dass die Religionsfreiheit in der Verfassung zwar von
einigen Seiten her angreifbar ist, aber doch formal existiert. Beide Aspekte schlagen sich in
Gesetzen und Verordnungen nieder. So erwähnt das Gesetz über die Autonomie von Volks-
gruppengebieten die Freiheit der Bürger aller Volksgruppen, an eine Religion zu glauben.
Weitere Gesetze enthalten Bestimmungen, die sich gegen eine Diskriminierung aufgrund
einer Religion richten. Im Strafgesetz wird die positive Religionsfreiheit deutlich.90 Der
Laizismus wird in einer Bestimmung beispielhaft, die es Organisationen und auch
Individuen untersagt, religiöse Betätigungen in einer Schule zu entfalten.
Zusammenfassend gibt es auf nationaler Ebene fünf Rechtserlasse, die Religionsausübung
näher reglementieren.91 Durch diese Erlasse soll durch Kontrolle und Verbot dem Zerfall
des Staates, der Störung der öffentlichen Ordnung und der Einmischung aus dem Ausland
88 Unterscheidung rechtsstaatlicher Säkularisierung nach Brugger, Winfried: Trennung, Gleichheit, Nähe – Drei Staat-Kirche-Modelle, in: Kippenberg, Hans G. (Hrsg.) und Reuter, Astrid (Hrsg.): Religionskonflikte im Verfassungsstaat. Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2010.
89 Mao Zedong hielt die Volksreligion für eine von vier beherrschenden Gewalten, die zusammen die feudal-patriarchalische Ideologie verkörpern. Vgl. dazu MacInnis (1974), a. a. O., S. 28.
90 Art. 251 droht allen Mitarbeitern staatlicher Behörden mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren, wenn diese einem Bürger der Freiheit, an eine Religion zu glauben, berauben. Sogar Werbung, die Religionen diskriminiert, ist gemäß Artikel 7 des Gesetzes betreffend die Werbung nicht erlaubt. Siehe Senger (2008), a. a. O.
91 1. Die Vorschriften über religiöse Belange (48 Artikel; 2004) 2. Die Bestimmungen betreffend die Kontrolle der religiösen Betätigungen von Ausländern innerhalb des Staatsgebiets der VR China (13 Artikel; 1994) 3. Die Maßregeln betreffend die Überprüfung und Genehmigung sowie Registrierung der Errichtung von Stätten religiöser Betätigungen (15 Artikel; 2005) 4. Die Maßregeln betreffend die jährliche Überprüfung der Stätten religiöser Betätigungen (21 Artikel; 1996) 5. Der Beschluss des Ständigen Ausschusses des NVK betreffend das Verbot von Sektenorganisationen sowie zu Vorsorge gegen und Bestrafung von Sektenaktivitäten (4 Punkte; 1999). Ebd.
vorgebeugt werden. Die Regierung verbietet die Zusammenarbeit mit dem Ausland, zwingt
religiöse Verbände sich registrieren zu lassen und kontrolliert religiöse Publikationen. His-
torische Traumata, wie vermehrte Konflikte mit religiösen Gesellschaften zum Ende einer
Regierungsperiode und die negativen Erfahrungen mit imperialistischen Mächten im kol-
lektiven Gedächtnis verstärken die Angst vor einem Zusammenbruch und vor Infiltrierung,
woraus die repressive Religionspolitik resultiert.92
Abschließend möchte ich noch auf die vom Nationalen BRA erlassenen Verwaltungsmaß-
nahmen für die Reinkarnation lebender Buddhas des tibetischen Buddhismus hinweisen.
Diese gelten seit 2007 und zeigen deutlich, welche Möglichkeiten der Staat besitzt, tief in
religiöse Angelegenheiten einzugreifen. Im Anhang sind sie zusammengefasst.93
An den hier gelisteten Verordnungen, Erlassen und durch die Beschäftigung mit der
Verfassung wird deutlich, dass ein Ausleben von Religion durchaus möglich ist und auch
ein Austausch mit dem Ausland stattfinden kann, solange sich die Aktivitäten unabhängig
vom Ausland entfalten und ausschließlich auf den religiösen Bereich begrenzt bleiben,
wodurch der Einfluss auf die Gesellschaft minimiert wird.94 Eine Religionsfreiheit, wie sie
in der Verfassung verankert ist, kann als gegeben betrachtet werden, eine Religionsfreiheit
nach westlichem Verständnis jedoch nicht,95 denn der Staat behält sich eine durchgreifende
Kontrolle und Verwaltung durch die verschiedenen Dokumente vor, als auch die Entschei-
dung über den Grad der Einmischung und Begrenzung. Außerdem bleibt letzten Endes
jegliche, rechtlich erlassene Freiheit dem Willen der Partei ausgesetzt, da diese über alles
wacht, selbst über Verfassung und Justiz. (→ Kap. 4.1.2.)
4.2.3. Religionsfreiheit in der Praxis
Nachdem der theoretische Rahmen gezogen wurde, in dem sich die Religionen bewegen,
lohnt es sich nun, einen Blick auf die Praxis zu werfen. In der Volksrepublik gibt es fünf
anerkannte Religionen.96 Offiziell gelten die kollektiven Rechte nur für diese.97 Daraus
folgt, dass alle Gemeinschaften, die sich den Dachverbänden anschließen, ihren Glauben
auch tatsächlich weitestgehend frei ausüben können, solange sie sich nicht in gesellschaft-
liche Bereiche einmischen (Soziales, Erziehung, Missionsarbeit), die über den religiösen
Raum hinausgehen. Die offiziellen Religionsgemeinschaften werden sogar gefördert.98
Auf lokaler Ebene kann es überdies zur Zusammenarbeit zwischen Religionsgemeinschaf-
92 Kupfer (2001), a. a. O.93 Vgl. Anhang 4 auf S. 37.94 Selbst die Durchführung von Spendensammlungen wird erschwert und wenn doch welche stattfinden, wird in den Medien nicht erwähnt, dass sie
von einer Religionsgemeinschaft organisiert wurde, wodurch eine Anerkennung ausbleibt. Vgl. dazu Peng, Liu: On the Problem of Developing a Mechanism for the Participation of Religion in the Social Services Sector. In: Lang und Yang (2011), a. a. O.
95 Durch Trennung, Gleichheit oder Nähe nach Brugger (2010), a. a. O. 96 Vgl. Fußnote 38 auf S. 10.97 Vgl. Fußnote 84 auf S. 19.98 Der Konfuzianismus ebenfalls.
ten und Regierungsabteilungen kommen. Dabei stellen entgegen mancher Verordnungen
religiöse Organisationen auch Erziehungs- oder Wohlfahrtseinrichtungen. Neben den offi-
ziellen Lehren gibt es auch eine Akzeptanz von Religionen mit einem verschwommenem
Rechtsstatus. Mancherorts können selbst diese Gemeinschaften Kooperationen erwirken.99
Trotz dieser gewährten Form von Religionsfreiheit, die eine Glaubensausübung im legalen
Rahmen ungehindert gewährt, müssen für weitergehende Vorhaben sehr komplexe bürokra-
tische Abläufen in Kauf genommen werden. Es gibt für die unterschiedlichsten Handlun-
gen Verordnungen.100 Teilweise hängt eine Unternehmung stark von den Zugeständnissen
regionaler Funktionäre ab und davon, ob eine Patronage durch lokale Eliten für einen
bestimmten Glauben herrscht. (→ Kap. 4.1.3.) Ich möchte ein Beispiel anführen: Eine Dorfge-
meinschaft hat es geschafft, einen Tempel zu errichten, welcher der Volksreligiosität zuge-
ordnet werden kann. Die Religion hatte keinen offiziellen Status und hätte so auch keine
Genehmigung für den Bau erhalten. Das Problem haben die Leute gelöst, indem sie den
Tempel als Museum konzipiert haben, der einen Teil der chinesischen Kultur zeige. Durch
diese Umgehung des Statusproblems haben sie ihr Ziel des Tempelbaus erreicht.101 Eine
weitere Hürde, die einen angebrachten Umgang mit Glaubensgemeinschaften erschwert,
liegt in der Eignung der Mitarbeiter des BRA. Diese sind nämlich oft Militärveteranen und
keineswegs Experten für Religiöses. (→ Kap. 2.1.) Ihre Entscheidungskriterien haben sie
dementsprechend nicht selten durch schlechte Erfahrungen in den Zeiten der Kampagnen
und durch ideologische Indoktrination etabliert und nicht durch eine wissenschaftliche
Beschäftigung mit den Religionen.
Es wird deutlich, dass die Realität der Religionsfreiheit Einschränkungen, aber auch
Möglichkeiten bietet, wenn informelle Vorgehensweisen berücksichtigt werden. (→ Kap. 2.1.)
Doch gibt es auch einen weitaus kontroverseren Aspekt des religiösen Lebens in China.
Dieser betrifft alle religiösen Bewegungen, die nicht zu den offiziellen oder geduldeten
Gemeinschaften gehören und somit in den illegalen Bereich fallen. Darunter gibt es unter
anderem christliche, islamische oder auch Qi Gong Bewegungen, wie der bekannte Fall der
Falun Gong. Der chinesische Staat behält es sich vor, abweichende Lehren als illegal zu de-
klarieren. In Artikel 1 der „Interpretation von Artikel 300 des chinesischen Strafgesetzes“ 102
wird über den Begriff xiejiao ausgesagt, dass es sich dabei um eine illegale Organisation
handelt, die sich der Religion, Qi Gong-Methoden oder anderem bedient, um ihre kri-
minellen Machenschaften zu tarnen. Der chinesischen Regierung wird dabei von westlicher
Seite oft vorgeworfen, dass sie gegen Menschenrechte verstoße. Chinas Führung verteidigt 99 Barker (2011), a. a. O.100 Z. B. die Verordnung über die Reinkarnation eines lebendigen Buddhas. Vgl. Anhang 4 auf S. 37.101 Vgl. dazu Bingzhong, Gao und Qiang, Ma: From Grassroots Association to Civil Society Organization – A Case Study of the Hebei Province
Dragon Tablet Fair. In: Lang und Yang (2011), a. a. O.102 Eigene Übersetzung aus dem Englischen zitiert nach Barker (2011), a. a. O., S. 125.
sich wiederum und bekräftigt, dass sie gemäß chinesischem Recht handele und Fälle von
Repression und Verfolgung eher die Ausnahme darstellten. Insgesamt kann gesagt werden,
dass aufgrund der Justizproblematik gesetztes Recht doch umstritten ist, aber Religionen
nicht verfolgt werden, solange sie sich dem System anpassen und Meinungen, die sie
öffentlich kundtun, Parteikonform formulieren. Falun Gong wiederum hat es geschafft,
etwa zehntausend Protestanten bei einer Demonstration zu organisieren. Die Regierung, die
lange Zeit als sehr offen galt, ist schlagartig in den Krisenmodus gewechselt, (→ Kap. 4.1.4.) da
sie von der Bewegung und ihrem Rekrutierungspotenzial eine große Gefährdung ausgehen
sah. Der Protest wurde niedergeschlagen, die Bewegung verboten und Mitglieder sind
seitdem starken Repressalien ausgesetzt.
Dieses Kapitel zeigt die Ambivalenz im religiösen Lebensraum der Volksrepublik Chinas,
die gewiss Religionsfreiheit gewährt, mit der Zeit auch immer aufgeschlossener wurde,
aber durch mangelnde Rechtsstaatlichkeit, Defizite im Rechtssystem, der sehr indivi-
duellen Auslegung verschiedener Situationen nach keinen festen Kriterien und dem harten
Vorgehen gegen Gesetzesabweichler, immer wieder in Kritik gerät.
4.3. Kontinuität in der (Religions-) Politik
Wenngleich ein innerer Anspruch bestand, ein „neues“ China zu gründen,103 lassen doch
einige Merkmale auf eine gewisse Kontinuität in Gesellschaft und Politik schließen, gerade
auch im Umgang mit Religionen. Die Republik war zwar von Beginn an ein laizistischer
Staat, doch gibt es nicht anders als zur Kaiserzeit auch in der kommunistischen VR China
eine dominierende Lehre, nämlich den Marxismus-Leninismus.104 Eine Zeit lang war auch
eine Verehrung Mao Zedongs verbreitet.105 Die Stellungen Mao Zedongs oder Deng
Xiaopings ähneln in gewisser Weise strukturell denen der chinesischen Kaiser zu Zeiten
der Dynastien. In der gesamten chinesischen Geschichte nahmen gewisse Führungspersön-
lichkeiten die Position eines fürsorglichen Alleinherrschers ein, der eine Harmonie im
Staat, bzw. im Reich gewährleisten sollten. Die Menschen hatten dabei eine Form von
Freiheit, die nicht dem westlichem Denken entspricht. Sie waren frei zwischen Gut und
Böse im konfuzianischem Sinne zu wählen.106 Diese paternalistische Sicht zwischen Herr-
scher und Beherrschten ist ein weiteres Charakteristikum, welches die Gemeinsamkeiten in
Kaiserzeit und Republik darstellen, wenngleich die Führung heute konsultativer ist. Hu
Jintao hat nicht denselben Status wie etwa Mao Zedong, doch bleibt immer noch unter Lei-
tung des Politbüros – vergleichbar einem Alleinherrscher – die Führungsschicht erhalten,
103 Clart (2009), a. a. O., S. 145.104 Zusammen mit dieser gelten auch die drei anderen Lehren insgesamt als vier Grundprinzipien. Vgl. Fußnote 37 auf S. 9.105 Mao-Kult. Vgl. Anhang 5 auf S. 37.106 Müller, Sven-Uwe: Konzeptionen der Menschenrechte im China des 20. Jahrhunderts. Institut für Asienkunde, Hamburg 1997.
die aus Parteifunktionären besteht, äquivalent dazu war im Kaiserreich die Beamtenkaste.
Um diese sozialen Verhältnisse gewährleisten zu können wurde zu Zeiten der Dynastien,
wie heute auch, eine starke Kontrolle betrieben. Dies spiegelt sich in Geschichte und
Gegenwart auch in der Religionspolitik wieder, wo ein ähnliches Prozedere bei vermuteter
Gefährdung betrieben wird. Organisationen, die sich nicht den Idealen des Staates
unterordnen und sich nicht integrieren lassen, werden mehr oder weniger als gefährlich
konstatiert und ihnen wird je nach Gefährdung auch ein illegaler Status zugewiesen, was
fraglos zur Anwendung von Repressalien führen kann. Eine ähnliche Betrachtungs- und
Vorgehensweise führte gleichsam zu Verfolgung von Religionsgemeinschaften im Kaiser-
reich. Der Umgang mit den Religionen ist also nach wie vor ein sehr pragmatischer, in dem
Sinne, dass sie nutzbar gemacht werden, um z. B. Stabilität zu gewährleisten, als Kom-
munikationsplattform zwischen Herrschern und Beherrschten zu dienen oder Profit einzu-
bringen. Ist dies nicht möglich, werden sie geduldet, solange keine Gefahr von ihnen aus-
geht. Hier ist eine Kontinuität der Beziehung zwischen Staat und Religion zu erkennen.
Auch die Rechtsauffassung hat sich nicht wesentlich verändert. So nahm und nimmt die
Vermittlung bei sozialen Konflikten eine höhere Stellung ein als vergleichsweise ein aus-
gearbeitetes Rechtssystem. Außerdem sollte die Gesellschaft schon immer durch Erziehung
zu gutem Handeln geleitet werden. Wenn Gesetze (fa) gebraucht werden, um Recht und
Ordnung zu gewährleisten, dann ist eine nötige Schlussfolgerung in der konfuzianischen
Philosophie, dass die Moral (li) abgenommen haben muss.107 Gesetze sind also Anzeichen
für einen Zerfall der Harmonie. „As the Chinese say, it is when yi (justice) declines that li
(ritual) arises.“108 Auch heute noch übernehmen Schlichtungsausschüsse mit neun Millio-
nen Mitarbeitern Klagen von nicht so großen Belangen und entlasten damit die Gerichte.109
Eine Ausnahme dieser Mentalität bildet die philosophische Schule des Legalismus. Das
Menschenbild ist hier ein sehr negatives und die Konsequenz daraus ist, dass Androhung
und wenn nötig Ausführung von Strafen nötig seien, um die menschliche Natur zu
bändigen.110 Jedoch wurde diese Lehre nur in der Qing Dynastie angewandt.111
Nach dieser Darstellung könnte nun oberflächlich geschlossen werden, dass eine Kon-
tinuität tatsächlich stattgefunden hat und der „chinesische Sozialismus […] lediglich ein
Konfuzianismus [sei], der sich seines Namens schäme.“112 Doch würde eine solche Annah-
me einen sehr reduzierten Blick verraten. Werden einige Aspekte etwa mit anderen kom-
munistischen Regimen verglichen, so sind dort ebenfalls Ähnlichkeiten, bzw. Überein-
107 Müller (1997), a. a. O.108 Panikkar, Raimundo: Is the Notion of Human Rights a Western Concept?. In: Sharma, Arvind (Hrsg.): The World's Religions after September 11
– Religion and Human Rights. 2. Auflage. Praeger Perspectives, Westport 2009. S. 86.109 Heilmann (2002), a. a. O.110 Clart (2009), a. a. O.111 Vandermeersch, Léon: Legismus. In: Staiger, Schütte und Schütte (2008), a. a. O.112 Heberer (2003), a. a. O., S. 112.
stimmungen zu finden. Diese Betrachtung der Kontinuität erlaubt mir nichtsdestotrotz ein
Resümee zu ziehen. Die Umstände, die in der Geschichte bereits gegeben waren – i. e. die
Rechtsauffassung; besonders auch der Umgang mit Religion, der durch die Bewahrung der
Harmonie gerechtfertigt wurde; die Zentralregierung; die Bürokratie; die ethische anstelle
der politischen Freiheit, aus der auch die Pflichten der Bürgen resultieren – stellen einen
Nährboden dar, den die Führung auch heute noch nutzen kann, dass ihr System mehr
Akzeptanz finde. Diese Ansicht kann vertreten werden, solange nicht außer Acht gelassen
wird, dass viele andere Faktoren Einfluss auf die heutige Regierung nehmen.113
4.4. Menschenrechtsverständnis
Um das Menschenrechtsverständnis aus chinesischer Sicht analysieren zu können, müssen
wie im vorigen Kapitel die historischen und ideengeschichtlichen Bedingungen zergliedert
werden und zu ihrem besseren Verständnis möchte ich die Unterschiede zu der euro-
päischen Entwicklung aufzeigen. In der europäischen Tradition ist die Ethik in drei Wert-
sphären geteilt. Das Recht bezieht sich auf den legalen Rahmen, der idealtypisch aus der
Sittlichkeit – also in einer Gesellschaft intersubjektiv anerkannter Normen – und der Moral
– der jedem Menschen eigenen Fähigkeit nach Gewissen zwischen Gut und Böse zu
unterscheiden, sei diese nun Gott gegeben oder vernunftbedingt – gezogen wird. Aus
letzterem ergibt sich ein universaler Anspruch auf individuelle Würde, da jeder Mensch auf
Grund seiner naturgegeben Begabung autonom wird. Die überpositiven Menschenrechte
müssen diesen – allen Menschen innewohnenden Wert – schützen und dürfen nicht mit in
allen Gesellschaften angenommenen sittlichen Normen konfligieren.114
In der chinesischen Tradition bildet das li eine übergeordnete Verhaltensnorm der Gesell-
schaft, welches profane und sakrale Momente vereinigt und alle Beziehungen und sozialen
Rollen regelt, sogar über moralische Entscheidungen steht. Die menschliche Natur (ren-
xing) im chinesischen Menschenbild bildet auch keine autonome Konstante, sondern ist in
einem von der Sozialisation abhängigen, dynamischen Prozess gedacht.115 Somit besteht
hier keine Basis, die eine Denktradition in Richtung universal geltender Rechtsansprüche
gefördert haben könnte. Ebenso sieht die marxistische Philosophie, die für das heutige
China nicht minder von Bedeutung ist, die Menschenrechte eher als staatliche Gewährun-
gen denn als unveräußerliche Rechte, da auch Marx Naturrechtsvorstellungen ablehnte.116
Bedenken wir nun zudem den Status des Rechts (→ Kap. 4.3.) im chinesischen Weltbild, so
verwundert es nicht, dass die Menschenrechte in europäischer Auslegung nicht kritiklos
113 Berücksichtige dabei verschiedene politikwissenschaftliche Theorien, die ihren Schwerpunkt jeweils auf verschiedene Aspekte legen. 114 Müller (1997), a. a. O. 115 Ebd.116 Ebd.
von China akzeptiert werden. Im Gegenteil werden sie von chinesischer Seite nicht selten
als Vorwand des Westens gesehen, sich in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen.117
Häufig vorkommende Doppelstandards westlicher Nationen begünstigen etwaige Vermu-
tungen. Daher pocht die chinesische Regierung oft auf ihre staatliche Souveränität und das
Recht einen eigenen Entwicklungsweg zu gehen. Zu bedenken bleibt, dass auch im Westen
ein sehr langer und zäher Prozess nötig war, Menschenrechte durchzusetzen, der bei
Weitem noch nicht abgeschlossen ist.
Besonders wichtig erscheint die Forderung Chinas, die Akzeptanz der Vorrangigkeit
kollektiver Rechte,118 wie z. B. dem eines Existenzminimums, anzuerkennen. Ist die materi-
elle Basis durch unverbrüchliche individuelle Rechte gefährdet, erscheint es kritisch, allen
politischen Rechten Priorität zu geben.119 Als Beispiel dafür könnte die Kontroverse um die
Ein-Kind-Politik Chinas gelten, die das Wohl der Gesellschaft über das Recht der Frau,
über ihren Körper zu bestimmen, stellt. Wird die enorme Wachstumsrate der Bevölkerung
jedoch nicht begrenzt, ist eine Versorgung praktisch nicht mehr zuzusichern.120 Des Wei-
teren sind Rechte und Pflichten nicht voneinander zu trennen. Das Problem dabei ist, wer
diese Pflichten einfordern kann. In der gegenwärtigen allgemeinen Erklärung der Men-
schenrechte (AEMR) wird keine Lösung dafür geboten und selbst bei staatlichen Pflichten
mangelt es häufig an genauen Formulierungen.121 Der chinesische Staat und auch die chine-
sische Kultur fordern aber von allen Beteiligten ihren Teil an der Harmonie in der Gesell-
schaft beizutragen. Das wiederum verstärkt die größere Wertschätzung kollektiver Rechte,
da so individuelle Rechte, wenn nötig, den Einschränkungen unterliegen, die für das Ge-
meinwohl unabdingbar sind. Dass daraus nicht unbedingt eine polyarchische Herrschafts-
form resultieren muss, ist in China deutlich, wo die Pluralität in der Gesellschaft – die
ethnischen Minderheiten machen weniger als zehn Prozent der Bevölkerung aus – mit
Einschränkungen geschützt wird.122
Um den Aspekt dieser Arbeit nicht aus den Augen zu verlieren, möchte ich noch einen
Kritikpunkt an der AEMR bzgl. der Religionen anführen. Darin wird zwar Religionsfrei-
heit gefordert, wesentliche Punkte werden dabei aber offen gelassen. Dadurch erhalten
Staaten einen großen Freiraum bei der Handhabung.123 Daher antwortet die chinesische
Führung auf Kritik gegenüber ihrer Religionspolitik oft mit dem Argument, dass sie
durchaus Religionsfreiheit im Rahmen ihrer Gesetzgebung konsequent gewährleiste, ein
117 Vgl. beispielsweise http://english.people.com.cn/90883/7708036.html, Stand 26.01.2012.118 Vgl. beispielsweise http://english.people.com.cn/90780/7604922.html, Stand 26.01.2012.119 Entwicklungsländer fordern Recht auf Entwicklung und auf eine neue Weltwirtschaftsordnung (Heberer, 2003, a. a. O.). Außerdem bleibt es
fraglich, ob die proklamierte Gleichstellung aller Rechte in der AEMR tatsächlich gegeben ist. Vgl. dazu Lepard, Brian D.: Divine Rights – Toward a New Synthesis of Human Rights and World Religions. In: Sharma (2009), a. a. O.
120 Ling (2008), a. a. O.121 Lepard (2009), a. a. O.122 Ling (2008), a. a. O.123 Lepard (2009), a. a. O.
Rahmen, der bzgl. der AEMR durch die nicht klare Formulierung sogar legitim sein kann.
Insgesamt haben wir gesehen, inwiefern chinesische und westliche Sichtweisen sich unter-
scheiden und das Übernehmen der individuellen Menschenrechte von chinesischer Seite
her erschweren. Auch neuere theoretische Ansätze chinesischer Gelehrter erscheinen nicht
ausgereift und solange sie von der marxistisch gedachten Interessengleichheit von
Regierung und Regierten ausgehen, tragen sie nicht wesentlich zur Übernahme einer
Konzeption vorstaatlicher Rechte bei.124
Dennoch hat die chinesische Regierung einige Menschenrechtskonventionen der UNO
ratifiziert und 2004 einen Zusatz in die Verfassung aufgenommen, der besagt, dass der
Staat Menschenrechte gewährleiste und schütze.125 Doch sind alle Rechte einer grund-
sätzlichen Einschränkung unterlegen, i. e. der Einheit und Stabilität des Staates. Die Pflicht
aller ist es somit auf dieses Ziel hinzuarbeiten und individuelle, private Rechte hintenanzu-
stellen. Erst wenn wirtschaftliche und soziale Mindeststandards erreicht sind, könnten poli-
tische Rechte ausgeweitet werden. Dies gelte auch für die Religionsfreiheit und soweit be-
stimmte Bewegungen als Gefährdung für diese Ziele gedeutet werden, fallen sie in keinen
Schutzraum. Nochmals, da in der AEMR nicht spezifiziert ist, inwiefern die Religionsfrei-
heit definiert ist, überlässt sie den Staaten somit auch gewisse Auslegungen. Die Führung
der Volksrepublik China weist immer wieder darauf hin, dass sie die Menschenrechte nach
ihrer Auffassung und die in ihrer Verfassung verankerten Rechte respektiere.
4.5. Persönliche Schlussfolgerung aus der gegenwärtigen Religionspolitik –
Drei Möglichkeiten für einen geeigneteren Umgang mit Religionen
Nach der teilweise sehr deskriptiven Darstellung verschiedener Aspekte die Religions-
freiheit betreffend möchte ich mich nun theoretisch mit der Situation auseinandersetzen
und eine persönliche Bewertung versuchen.
Die Situation der Religionsfreiheit in China scheint aus historischer und politikwissen-
schaftlicher Sicht nachvollziehbar. Die Frage bleibt jedoch, inwieweit sich der Prozess nun
fortgestaltet. Aus religionswissenschaftlicher Sicht bleibt der Religionsbegriff, den sich die
chinesische Regierung zu nutzen macht (zongjiao im Gegensatz zu xiejiao und mixin), sehr
beschränkend. Die diversen Gründe, einigen Kulten Rechte zu gewähren und anderen
nicht, wurden dargelegt. Es scheint sogar verständlich, eine gewisse Stabilität im Staat er-
halten zu wollen. Ich vertrete nicht die Ansicht, dass eine vollständige Demokratisierung
nach westlichem Vorbild126 die Lösung aller Probleme sei. Doch wenn ich die Situation
genauer abwäge, komme ich zu dem Schluss, dass gewisse Veränderungen die Modernisie-
124 Müller (1997), a. a. O.125 Art. 33, Abs. 3, der Verf. der VR China, a. a. O.126 Selbst westliche Demokratien können sich bisweilen sehr unterscheiden.
rung Chinas positiv beeinflussen könnten. Politisch scheint zunächst ein rechtsstaatliches
System oberste Bedingung. Die Verfassung sollte von einer unabhängigen Justiz kontrol-
liert werden. Dies würde die Rechtsunsicherheit im Lande und auch für ausländische In-
vestoren mindern, außerdem die Korruption und den Machtmissbrauch eindämmen
können. Vor allem könnte die Regierung mehr Zutrauen gewinnen, da ihr Handeln nicht
mehr unbedingt wäre. Bisher scheinen Prozesse gegen Parteifunktionäre noch immer auf
Leute mit wenig Einfluss begrenzt zu sein.127 Diese dienen potentiell als Sündenböcke,
gegen die vorgegangen wird, um der Bevölkerung Zugeständnisse zu machen. Insgesamt
kann behauptet werden, dass Gesetze ohne nötige Rechtsstaatlichkeit immer nur sehr
bedingt Sicherheit gewährleisten. Daher muss eine Gesetzesherrschaft gegeben sein, um
dauerhafte, stabile Veränderungen machen zu können. Nun komme ich zum Hauptaspekt
meiner Arbeit, respektive die Religionsfreiheit. Diese diagnostiziere ich als nicht minder
defizitär insbesondere in Hinblick auf drei Aspekte, die dem Staat und dem Volk aus
meiner Sicht gegenwärtig Nachteile einbringen. Zum einen ist da die bereits genannte
Unterscheidung in Anerkennung einiger Religionen und Verbot wiederum anderer. Der
Staat befürchtet eine Unterwanderung seines Systems durch die Religionen, riskiert jedoch
die Entfremdung etlicher BürgerInnen. Werden ihre Religionen toleriert und in zivilgesell-
schaftlicher Form in den Staat eingegliedert, senkt sich die Gefahr von Forderungen nach
einem Umsturz bestehender Regierungsformen. Es existieren etliche Vereinigungen, ganz
gleich ob sie nun legalisiert wurden oder nicht. Sie alle zu verbieten scheint unvernünftig.
Daher fände ich es angebracht als ersten Schritt zu mehr Religionsfreiheit, den Verbot auf
solche Gemeinschaften zu begrenzen, bei denen eine tatsächliche Verletzung klar definier-
ter Gesetze evident geworden ist. Wenn z. B. Frauen zu Geschlechtsverkehr genötigt wer-
den. Dies unter dem Mantel der Religionsfreiheit zu tolerieren, widerspräche nicht nur dem
chinesischem Weltbild und ein Vorschlag zur vollständigen, uneingeschränkten Religions-
freiheit scheint mir daher auch nicht sinnvoll. Wenn die Religionsfreiheit, wie sie in der
Verfassung verankert ist, auf alle Gemeinschaften128 ausgeweitet werden würde, wäre der
wichtigste Schritt getan. Um noch einen Schritt weiterzugehen, könnte die Religions-
freiheit gesetzlichen Schranken unterlegt werden, die klarer und in einem liberaleren Sinne
definiert werden, nicht jedoch aus der Angst heraus, die Macht verlieren zu können. Eine
Verfassungsänderung ist also nötig.
Der zweite Aspekt, der mir eminent anmutet, ist der bzgl. dem bürokratischem Vorgehen
bei der Verwaltung der Religionen. Ebenso wie bei dem zuvor dargestellten Punkt scheint
diese Handhabung in der Angst vor einem Zerbrechen der staatlichen Ordnung begründet.
127 Heilmann (2002), a. a. O.128 Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.
Durch die Durchdringung verschiedener Ebenen in der Gesellschaft versucht die Partei
ihren Einfluss geltend zu machen und ihre Kontrolle zu bewahren. Was das für einen
Aufwand bedeutet, bedarf meines Erachtens keiner näheren Erklärung, wenn allein die
Größe des Territoriums bedacht wird. Die Überbelastung, die natürliche Folge eines sol-
chen Kontrollapparates ist, führt notwendigerweise zu großer Anfälligkeit für weitere Pro-
bleme. So bietet ein so weit ausgedehntes System kaum Möglichkeiten zur Selbstkontrolle,
was wiederum zu Korruption oder Machtmissbrauch führen kann. Außerdem können die
nötigen Positionen schwerlich durch Fachleute besetzt werden, was beim BRA (→ Kap. 2.1.)
deutlich wird.129 Letztlich kann das Eingreifen ins Selbstverständnis der Religionsgemein-
schaften leicht zu Unmut führen, welcher in Protest umschlagen kann.
Bleibt ein letzter Punkt zu nennen. In Deutschland wäre ein Sozialsystem ohne zivilgesell-
schaftliche Kräfte, die z. B. den Staat bei der medizinischen Versorgung der Bevölkerung
unterstützen, sicher nicht so effektiv. Zumindest bedeutete es für den Staat höhere Kosten
und größeren Aufwand. Jegliche Ambitionen einer Religionsgemeinschaft in sozialen Be-
reichen, bzw. in allen nicht religiösen Bereichen, ist in China jedoch untersagt. Nichtsdes-
totrotz lassen strukturelle Herausforderungen und das Auseinanderklaffen der Gesellschaft
z. B. zwischen Gewinnern und Verlierern der Modernisierung130 Kritik an der Erfüllung des
Ideals von Harmonie und Gemeinschaft durch die Führung verlauten. Religiöse Gemein-
schaften könnten diese Wünsche im Rahmen erfüllen. Werden sie vom Staat als treibende
Kraft integriert, könnte ein harmonischer Pluralismus entstehen, in dem mehrere Organisa-
tionen dazu beitragen, die Gesellschaft wieder stärker zu einen. Außerdem ergäbe sich eine
große Entlastung für den Staat in sozialen Belangen.
Aus den drei Aspekten folgere ich, dass der Staat das Aufkommen autonomer Gruppen ris-
kieren sollte, da dies zu verhindern sehr schwierig ist und die Vorteile bei einer Legalisie-
rung überwiegen. Die Gefahr der Entfremdung durch eine destruktive und restriktive Vor-
gehensweise kann potentiell sogar eher zur Entstehung gefährlicher Gruppierungen führen,
als das Zulassen und Tolerieren zumeist friedlicher Gruppen, die oft ohne politische Ambi-
tionen sind, und selbst wenn doch löste ein Verbot sie nicht auf, sondern drängte sie nur in
den Untergrund. Insofern scheint die gegenwärtige Religionspolitik anachronistisch. Die
Notwendigkeit von Reformen selbst aus pragmatischen Gründen erscheint dagegen nahe-
liegend. Meine These zu Ursachen, die dieser Entwicklung gegenüber stehen könnten,
beinhaltet zum einen die noch immer sehr verbreite Nachrangigkeit der Religion hinter
anderen Entitäten,131 zum anderen die nicht sehr verbreitete organisierte, institutionalisierte
129 „Nur etwa sechs Prozent aller Richter haben ein Jurastudium absolviert.“ (Heilmann, 2002, a. a. O., S. 143.).130 Die Küstenbereiche im Osten sind im Zuge der Reformpolitik sehr reich geworden, während ländliche Gebiete in Zentral- und Westchina
teilweise noch stark verarmt sind. 131 Yuan (2011), a. a. O.
Form von Religiosität. Ersteres führt zu wenig Bewusstsein über bestehende Probleme in
der Öffentlichkeit, was durch Medienüberwachung und Zensur noch verstärkt wird. Der
vergleichsweise kleine Anteil an Beteiligten und Experten erschwert zudem einen kri-
tischen Dialog in einem Umfeld, in dem Kritik ausüben sowieso schon schwierig ist. Auch
in akademischen Kreisen ist keine starke Beschäftigung mit dem Thema zu erwarten, da
religionssoziologische Studien noch sehr jung sind. Insofern nehme ich an, dass Ansätze zu
Veränderungen in die vorgeschlagene Richtung eher selten sind und die Politik von sich
aus dieses Thema nicht unbedingt in ihre Agenda aufnehmen wird, außer als Antwort auf
Kritik aus dem Westen oder in Situationen größerer Bedrohung. Dann kommt es aber wohl
kaum zu einer Bewegung in Richtung mehr Religionsfreiheit.
5. Ergebnisse
Es wurde gezeigt, dass die bisweilen bestrittene Religionsfreiheit in China unterschiedliche
Gründe hat. Um diese zu verstehen, war es nötig, sich mit der Geschichte und der Politik
auseinanderzusetzen, ohne dabei die Kultur aus dem Auge zu verlieren. Einseitige Ausle-
gungen haben dabei genauso wenig geholfen, wie voreingenommene Urteile.
Die Religionsfreiheit wird im Rahmen der politischen Bedingungen gewährt. Diese be-
gründen sich wiederum in den Erfahrungen der Geschichte und fanden Akzeptanz durch
die kulturellen Prämissen, die eine gewisse Kontinuität in der politischen Gestaltung er-
laubt haben. Dass der Umgang mit den Religionen durch Kontrolle und Verwaltung, wenn
(aus staatlicher Sicht) nötig durch Repression, geprägt ist, liegt in der Angst begründet, die
Harmonie in der Gesellschaft durch Gewährung von zu viel Autonomie zu gefährden. Ein
liberalerer Rechtsrahmen könnte jedoch dem Staat und der Bevölkerung, also der Gesell-
schaft insgesamt Vorteile bringen. Ein solcher Prozess widerspräche auch nicht einer
angenommenen chinesischen Kultur. Letzten Endes beginnt sich eine Entwicklung zu mehr
Freiheit abzuzeichnen und der kritische Diskurs nimmt in immer breiter werdenden Frei-
räumen zu. Ob dieser Verlauf auch die Zukunft bestimmt, bleibt abzuwarten. Die teilweise
gewährte kritische Auseinandersetzung ist dafür mit Sicherheit förderlich.
6. Quellenverzeichnis
6.1. Literaturverzeichnis
• Bielefeldt, Heiner: Muslime im säkularen Rechtsstaat – Integrationschancen durch
Religionsfreiheit. transcript Verlag, Bielefeld 2003.
• Bromley, David G. (Hrsg.) und Greil, Arthur L. (Hrsg.): Defining Religion – Investigating
the Boundaries between the Sacred and Secular. Elsevier Science Ltd, Oxford 2003.
• Brugger, Winfried: Trennung, Gleichheit, Nähe – Drei Staat-Kirche-Modelle. In:
Kippenberg, Hans G. (Hrsg.) und Reuter, Astrid (Hrsg.): Religionskonflikte im
Verfassungsstaat. Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2010.
• Clart, Philip: Die Religionen Chinas – Studium Religionen. Vandenhoeck & Ruprecht
GmbH & Co. KG, Göttingen 2009.
• Dabringhaus, Sabine: Geschichte Chinas 1279 – 1949. Oldenburg Wissenschaftsverlag
GmbH, München 2006.
• Derichs, Claudia und Heberer, Thomas (Hrsg.): Einführung in die politischen Systeme
Ostasiens – VR China, Hongkong, Japan, Nordkorea, Südkorea, Taiwan. Leske + Budrich,
Opladen 2003.
• Ess, Hans van: Der Konfuzianismus. Verlag C. H. Beck oHG, München 2003.
• Evers, Georg: Zur Lage der Menschenrechte in der VR China – Religionsfreiheit.
Internationales Katholisches Missionswerk e.V.. Missio 1 2001. Entnommen aus:
http://www.missio-hilft.de/media/thema/menschenrechte/studie/01-china-de.pdf, Stand:
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• Gottwald, Jörn-Carsten und Kirchberger, Sarah: Modernisierung unter Vorbehalt – Zur
inneren Entwicklung der Volksrepublik China. China Analysis No. 6. Center for East Asian
and Pacific Studies Trier University, Trier 2001. Entnommen aus:
http://www.chinapolitik.de/studien/index.htm#china_analysis, Stand: 25.01.2012.
• Heilmann, Sebastian: Das politische System der Volksrepublik China. Westdeutscher Verlag
GmbH, Wiesbaden 2002.
• Heilmann, Sebastian: Die Menschenrechtsfrage und die Perspektiven eines Rechtsstaates in
China. Entnommen aus: http://www.chinapolitik.de/studien/index.htm#china_analysis,
Stand: 25.01.2012. Die Erstfassung dieser Analyse erschien unter dem Titel „Die
Menschenrechtslage und die Perspektiven eines Rechtsstaates in China“. In: China aktuell,
Juni 1999, S. 587-590.
• Heilmann, Sebastian; Schulte-Kulkmann, Nicole und Shih, Lea: Gesetzgebung in der VR
China 1998 bis 2003: Einführung und Übersicht über ausgewählte Rechtsnormen. China
Analysis No. 29, Trier 2004. Entnommen aus:
http://www.chinapolitik.de/studien/index.htm#china_analysis, Stand: 25.01.2012.
• König, Matthias: Menschenrechte. Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2005.
• Kupfer, Kristin: „Geheimgesellschaften“ in der VR China: Christlich inspirierte, spirituell-
religiöse Gruppierungen seit 1978. China Analysis No. 8. Center for East Asian and Pacific
Studies Trier University, Trier 2001. Entnommen aus:
http://www.chinapolitik.de/studien/index.htm#china_analysis, Stand: 25.01.2012.
• Lang, Graeme (Hrsg.) und Yang, Fenggang (Hrsg.): Social Scientific Studies of Religion in
China – Methodology, Theories, and Findings. Koninklijke Brill NV, Leiden 2011.
• Ling, George Fusun: China Developing – Cultural Identity of Emerging Societies. World
Scientific Publishing Co. Pte. Ltd., Singapore 2008.
• MacInnis, Donald E.: Religionspolitik im kommunistischen China – Theorie und Praxis in
Dokumenten. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1974. Übersetzung aus dem
Amerikanischen von Elisabeth Langerbeck. Originaltitel: Religious Policy and Practice in
Communist China – A Documentary History. Donald E. MacInnis 1972.
• Meisig, Konrad (Hrsg.): Chinesische Religion und Philosophie – Konfuzianismus,
Mohismus, Daoismus, Buddhismus, Grundlagen und Einblicke. Otto Harrassowitz GmbH &
Co. KG, Wiesbaden 2005. Erschienen in der Reihe: Ariizumi, Yasuo (Hrsg.) und Meisig,
Konrad (Hrsg.): East Asia Intercultural Studies – Interkulturelle Ostasienstudien 1. Otto
Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden 2005.
• Müller, Sven-Uwe: Konzeptionen der Menschenrechte im China des 20. Jahrhunderts.
Institut für Asienkunde, Hamburg 1997.
• Poceski, Mario: Introducing Chinese Religion. Routledge, Oxon 2009.
• Quanxi, Gao: Das dualistische Modell im gegenwärtigen Umgang mit Religionen in China:
Regelung (guanli 管理) und Rechtssystem (fazhi 法制). Aktuelle China-Nachrichten. China
InfoStelle, China Study Project. Entnommen aus: http://www.emw-d.de/fix/files/acn-97-2-
09.pdf, Stand: 25.01.2012.
• Senger, Harro von: Religion in der Volksrepublik China. Sonderdrucke aus der Albert-
Ludwigs-Universität Freiburg. Entnommen aus: http://www.freidok.uni-
freiburg.de/volltexte/6927/pdf/Senger_Religion_in_der_VR_China.pdf, Stand: 25.01.2012.
Originalbeitrag erschienen in: Schlehe, Judith (Hrsg.): Religion und die Modernität von
Traditionen in Asien – Neukonfigurationen von Götter-, Geister- und Menschenwelten. LIT
Verlag, Berlin 2008, S. 115-145.
• Sharma, Arvind (Hrsg.): The World's Religions after September 11 – Religion and Human
Rights. 2. Auflage. Praeger Perspectives, Westport 2009.
• Staiger, Brunhild (Hrsg.); Schütte, Stefan Friedrich (Hrsg.) und Schütte, Hans-Wilm (Hrsg.):
Das große China-Lexikon. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2008.
• Thompson, Laurence G.: Chinese Religion – An Introduction. Wadsworth Publishing
Company, Belmont 1996.
• Verwaltungsmaßnahmen für die Reinkartnation lebender Buddahs des tibetischen
Buddhismus. In: China Heute XXVI, Nr. 6 (154) 2007. Entnommen aus: http://www.china-
zentrum.de/fileadmin/redaktion/220-221.pdf, Stand: 25.01.2012. Übersetzung des auf der
Webseite des BRA (www.sara.gov.cn) veröffentlichten Textes von Wenzel-Teuber,
Katharina.
• Zhuo, Xinping: Theorien über Religion im heutigen China und ihre Bezugnahme zu
Religionstheorien des Westens. Verlag Peter Lang GmbH, Frankfurt am Main 1988.
6.2. Internetquellen
• Nachrichten:
◦ Frankfurter Allgemeine: http://www.faz.net/aktuell/politik/unruheprovinz-tibet-den-
dalai-lama-als-gewaltlos-zu-bezeichnen-ist-ein-witz-11621953.html, Stand: 27.01.2012
◦ People's Daily Online: http://english.people.com.cn/90780/7604922.html, Stand:
25.01.2012
◦ Stern: http://www.stern.de/politik/ausland/china-reise-der-kanzlerin-merkel-will-sich-
fuer-menschenrechte-einsetzen-1780603.html, Stand: 03.02.2012
• Non-Governmental Organization:
◦ Human Rights Watch: http://www.hrw.org/de/by-issue/news-filter/137, Stand:
03.02.2012
• Politik
◦ Statut der kommunistischen Partei Chinas:
http://german.china.org.cn/german/50831.htm, Stand 22.01.2012
◦ Verfassung der Volksrepublik China:
http://www.verfassungen.net/rc/verf82-i.htm, Stand: 25.01.2012
◦ Definition eines Rechtsstaates vom Bund für politische Bildung:
http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=WAQBNT, Stand: 25.01.2012
7. Anhang
Anhang 1: Das politisch-administrative System der VR China 132
132 Keine eigene Darstellung, sondern nachgestellt aus Heilmann (2002), a. a. O., S. 89.
Anhang 2: Partizipationsformen in China 133
(1) Staatsbürgerrolle (Status: legal/konventionell)
-Wählen (eingeschränkt; Direktwahlen erfolgen weitgehend nur auf den unteren staatlichen
Ebenen, wie Dörfer und Gemeinden; Kandidaten/innenvorschläge werden meist von
Parteiinstitutionen vorgenommen und müssen von übergeordneten Parteiinstanzen genehmigt
werden)
(2) Institutionenorientierte Partizipation (legal/konventionell)
-Tätigkeit in KP oder anderen Parteien
-Arbeit in Volkskongressen, Politischen Konsultativkonferenzen, Massenorganisationen
-Tätigkeit in (offiziell registrierten) Interessenorganisationen (z.B. Unternehmer-, Fach-,
Berufsvereinigungen)
-Inklusion, d.h. Mitwirkungsmöglichkeiten an politischer Gestaltung im Rahmen der
Parteikonzeptionen
(3) Problemspezifische Partizipation (legal)
-Leser/innenbriefe an Zeitungen
-Briefe/Besuche bei offiziellen Beschwerdeinstitutionen
-genehmigte Demonstrationen
Verhandlungen hinter den Kulissen
(4) Guanxi-Partizipation (Grauzone)
-Herstellung oder Nutzung enger persönlicher oder sozialer Beziehungen (Guanxi)
-über Clanverbände
-Nepotismus
-Netzwerke
-Seilschaften
-Patronage
-Bestechung u. a. Formen der Korruption
-Nutzen ökonomischer oder pretialer Macht
(5) Ziviler Ungehorsam (illegal/gewaltlos)
-verbotene Demonstrationen
-Streiks
-Steuerverweigerung
-Schlendrian, Verweigerungshaltung usw.
-Bildung illegaler Interessenorganisationen (illegale Gewerkschaften und Interessenvereinigungen,
Geheimgesellschaften, Landsmannschaften)
133 Ebenfalls keine eigene Darstellung, sondern nachgestellt aus Heberer (2003), a. a. O., S. 68.
-geografisch-administrativ: Regionalismus/Kommunalismus
(6) Politische Gewalt (illegal/ gewaltsam)
-Gewalt gegen Sachen oder Personen
Anhang 3: Drei im Autonomen Gebiet Xinjiang
der Volksgruppe der Uighuren geltende Rechtserlasse
„Es wird verboten, die Religion zu benutzen zur Zerstörung der staatlichen Einheit und der
Eintracht unter den Volksgruppen. Alle religiösen Amtsträger müssen die Führung der KPCh und
das sozialistische System unterstützen (Art. 5). Es wird verboten, die Religion für Eingriffe in die
staatliche Verwaltung, Justiz, Bildung und Erziehung, Ehe, Geburtenplanung und
Gesundheitswesen u benutzen (Art. 7). Fengshui und andere abergläubische Praktiken sind verboten
(Art. 10). Die freie Missionstätigkeit ist verboten (Art. 9, 11). Überregionale religiöse Betätigungen
sind ohne vorgängige staatliche Genehmigung nicht gestattet. Den Volksbräuchen entsprechende
Wallfahrten unterliegen staatlicher Kontrolle (Art. 8). Ausländer dürfen an ,normalen̒ religiösen
Betätigungen in Stätten religiöser Betätigung, die für Ausländer geöffnet sind, teilnehmen, aber
nicht eine Zeremonie leiten oder predigen (Art. 18, Satz 1). Ausländischen religiösen
Organisationen ist es verboten, nach Xinjiang zu kommen und dort zu missionieren oder religiöses
Propagandamaterial zu verbreiten (Art. 18, Satz 2). An Stätten religiöser Betätigung dürfen keine
Lautsprecher installiert werden (Art. 9, letzter Satz). Die Lehrkräfte religiöser Kurse müssen die
Führung der KPCh und das sozialistische System unterstützen (Art. 13). Die Geschichte des Jihad
darf nicht verbreitet werden. Es ist verboten, ausländische reaktionäre religiöse Sendungen sowie
ausländische reaktionäre religiöse Schriften und anderes Propagandamaterial entgegenzunehmen
und zu verbreiten (Art. 14). Die Einstweiligen Regeln des Autonomen Gebiets der Volksgruppe der
Uighuren betreffend die Kontrolle über die Stätten religiöser Betätigung schreiben u. a. vor, dass
religiöses Personal im Allgemeinen nicht außerhalb seines Amtsbereichs eingesetzt werden darf
(Art. 8). Private dürfen nicht selbstherrlich religiöse Schulen gründen oder religiöse Kurse betreiben
(Art. 9). Ohne vorherige Genehmigung dürfen Stätten religiöser Betätigung bestimmte Mengen von
zuvor seitens staatlicher Behörden genehmigten religiösen Schriften, Gebrauchsgegenständen und
Kunstwerken vertrieben werden (Art. 14).“134
134 Senger (2008, a. a. O., S. 134f).
Anhang 4: Verwaltungsmaßnahmen für die Reinkarnation lebender Buddhas
des tibetischen Buddhismus 135
Artikel 1 der Verordnung sagt, dass diese Maßnahmen betrieben werden, um die „Angelegenheiten
zu standardisieren“, wodurch die Freiheit des religiösen Glaubens der Bürger gewährleistet und die
Form der Nachfolge Lebender Buddhas respektiert werden soll. In Artikel 2 wird dann deutlich,
dass die Wahrung der Ordnung auch hier im Mittelpunkt steht und bereits verbotene Rituale nicht
wiederbelebt werden dürfen. Die Verordnung garantiert außerdem die Kontrolle durch anerkannte
Verwaltungsgremien und durch Begrenzung der Aktivität auf registrierte Stätten. Sogar das Recht,
eine Reinkarnation durch Regierungen ab der Stadtebene zu untersagen, behält sich der Staat vor.
Weitere Artikel legen das bürokratische Vorgehen fest und ordnen die Verwaltungsmaßnahmen
jeweils hierarchisch höherstehenden Behörden zu, je größer der Einfluss der Reinkarnation ist.
Selbstverständlich wird letztendlich noch festgelegt, dass Zuwiderhandlung strafrechtliche
Maßnahmen nach sich ziehen.
Anhang 5: Mao Kult
Trotz des von Mao propagierten Atheismus, nahm dieser Kult teilweise religiöse Züge an. Durch
systematische Indoktrination mystifizierten ihn seine treuesten Anhänger ähnlich einer Gottheit.
Das Lesen des „kleinen roten Buches“, auch als „Mao-Bibel“ bekannt, hat teilweise rituelle Züge
angenommen. In den achtziger und neunziger Jahren wurde er im Zuge eines wiederkehrenden
Interesses an seiner Person in manchen Kreisen in den Pantheon der Schutzgötter der Volksreligion
aufgenommen. So hängen beispielsweise Mao Talismane an Rückspiegeln in Taxis, um vor
Verkehrsunfällen zu schützen. Er wurde also ironischerweise in einen Aberglauben integriert, den er
als eine von vier Gewalten136 verstand, die in ihrer Gesamtheit ein feudal-patriarchalisches System
erzeugen, das die chinesische (bäuerliche) Bevölkerung fessele und beseitigt werden müsse.
135 Vgl. dazu die Verwaltungsmaßnahmen für die Reinkarnation lebender Buddhas des tibetischen Buddhismus. In: China Heute XXVI, Nr. 6 (154) 2007. Entnommen aus: http://www.china-zentrum.de/fileadmin/redaktion/220-221.pdf, Stand: 25.01.2012. Übersetzung des auf der Webseite des BRA (www.sara.gov.cn) veröffentlichten Textes von Wenzel-Teuber, Katharina.
136 Politische, religiöse, Sippen- und Gattengewalt. Vgl. dazu MacInnis (1974), a. a. O., S. 28.