Margot Brandstetter, Psychotherapeutin Abteilung Schule / Familie / Kinder Hirschgasse 44, 4020 Linz, +43 732 778936 Email: [email protected]: www.praevention.atInformation, Unterrichtsmaterialien, Online-shop
Workshop 5 Prävention von Essstörungen im schulischen Kontext
Christian Morgenstern
„Der Körper ist der Übersetzter der Seele ins Sichtbare”
Zeitungsartikel um 1910
Small talk im Ö3 Wecker
Ö3 16.04.08, 7.15Uhr
Jede 4. Person in Österreich ist mit der eigenen Figur unzufrieden! Jede 5. Frau würde eine Schönheitsoperation machen!
Ö3 27.05.08, 8.20Uhr Heute gibt’s wieder Bikini „Countdown“ Mister Oberschenkel gibt Tipps …
Ö3 Forum: Anfrage lautet „Notfall“
Frage: Ich habe in zwei Tagen eine wichtige Party. Leider sitzt mein Party-Outfit noch immer nicht richtig. Gibt es da einen Trick?
Antwort: Sehr viel trinken und auf jeden Fall 6 - 8 Mahlzeiten über den Tag verteilt zu sich nehmen, denn dadurch bleibt der Magen klein und der Bauch flach. Macht man noch ein paar Sit-Ups dazu, dann steht der Party nichts mehr im Weg.
Sozialisationsforschung
• Mädchen sind bis zum 10. Lebensjahr gesünder – dann kehrt sich das Verhältnis um
• Mädchen verlieren in Pubertät an Selbstbewusstsein
• Mädchen verarbeiten Spannungen, Stress eher im Inneren (psychosomatische Beschwerden)
• Mädchen sind häufiger unzufrieden mit sich
• Mädchen akzeptieren Doppelbelastung von vornherein
• Von Essstörungen sind primär Mädchen/Frauen betroffen Jeder 10. Patient ist ein Mann (lt. LKF OÖ Daten Tendenz steigend)
Ursachen und Prävention von Essstörungen
Ebene des Essens
Soziale UmfeldFamilie, Schule, Freunde
Individuelle Ebene
Ebene der Gesellschaft
Themen im Workshop
1. Interventionsziele, Herangehensweise und Grundhaltung
2. Inhalte und Methoden zur Umsetzung im Unterricht
3. Strategien und Möglichkeiten für den Umgang mitBetroffenen und Mitschüler/innen im Klassensetting
Interventionsziele
Herangehensweise
Grundhaltung
1
Interventionsziele (Verlaufsstudie )
nach „Früherkennung und Prävention von Essstörungen“ von Barbara Buddeberg-Fischer (1998)
• Schüler/innen sollen sensibilisiert und angeleitetwerden, sich selbst und andere besser und differenzierter wahrnehmen zu können.
• Schüler/innen sollen über altersentsprechendeProbleme informiert werden. Anhand von typischen Konfliktsituation können mit ihnen mögliche Lösungsstrategien diskutiert werden.
• Schüler/innen soll vermittelt werden, wann und wo sie im Fall von Problemen oder Symptombildungen eine Beratung- oder Therapie aufsuchen können.
Körperwahrnehmung, Identität / Frauen- und Männerrollen, Ernährung und Essgewohnheiten, Schönheit und Schönheitsideale
Zielgruppe Schüler/innen im Klassensetting:unabhängig von Problemstellungen…
Grundhaltung für das Präventionsprogramm
• das Symptom der Essstörung (z.B. Anorexie) nicht in den Vordergrund stellen.
• Symptome haben etwas Anziehendes und Spannendes. • Gibt es Betroffene in der Klasse, kann und soll dies thematisiert
werden.• Themen sollen langfristig, projektbezogen und fächerübergreifend
erarbeiten werden.
Präventionsebenen
Persönlichkeitsfördernde Maßnahmen• pädagogische Haltung hat einen hohen Stellenwert• Wissensvermittlung und Reflexion zu speziellen Themen • Förderung der Lebenskompetenzen • Hilfestellung bei Problemen
Gesundheitsfördernden Maßnahmen• Werbefläche:
unterstützt Rollenklischees• Essen und Trinken:
Limonaden und Snacks (fett-zuckerhältig)☺Wasserspender, gesunde Jause…• Bewegungsmöglichkeit• Präventionsfortbildung für Pädagogen/Innen• Schule:Strategien für Handlungs-möglichkeiten bei Problemen
Personale Prävention Strukturelle Prävention
Was Sie dazu brauchen!Was ist hilfreich?
• Zeit (Planung von Unterrichtseinheiten)
• Ressourcen (fachliche Profession)
• Partner/innen (fächerübergreifend)
• Inhaltliches Konzept (Projektleitfaden)
• Material und Methoden
I n v e s t i t i o n E f f e k t =
Personale und strukturelle Rahmenbedingungen
2
Inhalte und Methoden zur Umsetzung im Unterricht
Allgemeines zur Durchführung von Übungen
Schüler/innen• Übung sollte freiwillig sein• Recht auf Rückzug,
Zurückhaltung• Ev. Beobachterrolle anbieten
Lehrer/innen• Ziel und Absicht der ÜB erklären• Zeitangabe• Auf Gruppenprozesse und
Gruppenbildung achtenGesprächsregeln
• Zuhören, nachfragen, ausreden lassen, klar und deutlich, keiner/keine wird ausgelacht
Rollenspiele• Situation wird in einen
spielerischen Rahmen gesetzt• Verhaltensweisen ausprobieren
bzw. trainieren• Alternativen entwickeln• Aus der Rollen entlassen
EntspannungsübungenSind Übungen um die innere Welt - Körperwahrnehmung, Atem und Gefühle -zu erkennen um dadurch Kraft und Selbstvertrauen zu gewinnen.
• Einführung…• Machen Sie nur Übungen, die
Ihnen selber gefallen• Stimme ruhig und gleichmäßig• Konkrete Instruktionen• Zeitlicher Abstand• Geeigneter Raum, ev. abdunkeln • Rückführung…• Übungen ritualisieren
Sage es mir, und ich werde es vergessen.
Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten.
Lass es mich tun, und ich werde es können
Konfuzius 551-479 v. Chr.
Schönheit im Wandel der Zeit
Um den vorherrschenden Schönheitsvorstellungen zu entsprechen, setzen Jugendliche unterschiedliche Mittel ein. Von der Kleidung, die von der Modeindustrie diktiert wird, bis zur direkten Veränderung (z.B. strenges Diäthalten).
Der Druck dem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen erleben Mädchen/Frauen häufig als sehr groß. Schön und schlank sein, bedeutet nicht automatisch „erfolgreich und begehrt“ sein
Schönheitsideale sind relativ und kulturabhängig.
Ziel:Medien und deren Wirkung, Schönheitsideale, Selbst- und FremdwahrnehmungÜbung: Frauen und Männerbilder in der Werbung
Schönheit- Schönheitsideale
Die Schüler/innen sollen die Verbindung von Gefühlen und Körperreaktion -erleben (Unsicherheiten, Scham…) verstehen lernen, richtig interpretieren lernen und daraus Möglichkeiten für ihr Handeln entwickeln.
Die Entwicklung einer positiven/bejahenden Einstellung zum eigenen Körper kann jungen Mädchen dabei helfen, kritische Bemerkungen gegenüber Figur und Aussehen nicht als Verletzung gegenüber ihrem „Selbst“ zu deuten.
Ziel: Selbstbild, Fremdbild, Entspannung-Anspannung, Gefühle und KörperreaktionÜbung: Körperbrief
Körperwahrnehmung- und Körpererleben
Neben der Vermittlung von ernährungsbezogenem Wissen, sollen den Schüler/innen speziell die negativen Effekte von Blitzdiäten (Jojo Effekt) vermittelt werden. Essen ist nicht nur ein Grundbedürfnis, sondern kann auch „funktionalisiert“ werden.
Ein Ziel kann sein, die Lust und den Spaß am Essen - ohne Schuldgefühle zu haben - zu entdecken.
Ziel: Motive, Rituale, Wissen und KulturAlternativen zur Funktionalisierung des Essens Übung: Motive zu Essen/nicht zu Essen
Ernährung und Essverhalten/Motive
Die Vorstellung von „Weiblichkeit und Männlichkeit“ unterliegt dem sozialen Wandel. Frauen und Mädchen werden häufig über Merkmale wie Körper, Aussehen, Fähigkeiten, Verhalten und Bedürfnisse definiert. In ihrer Selbsteinschätzung sind sie oft stark vom Urteil ihres Umfeldes abhängig.
Durch vielfältige, zum Teil gegensätzliche Anforderung und Zuschreibungen kann es zu einer Rollendiffusion kommen.
Ziel:Rollenzuschreibung, Rollenbilder von Frauen und Männer, individuelle weibliche Identität Übung: glaubst du das auch?
Identität / Frauen- und Männerrollen
…das emotionale Klima positiv beeinflussen…für das soziale Wohl der späteren Familie zuständig sein…schulisch und beruflich erfolgreich sein…Selbstbewusst und emanzipatorisch sein …sich den jeweiligen Ereignissen anpassen und allen
Anforderungen gerecht werden…sollen perfekt sein …Rücksichtnahme und Fürsorglichkeit entwickeln
Eine Sensibilisierung für unterschiedliche Rollenmuster und -verhaltensweisen soll durch Diskussion und Rollenspiele erreicht werden. Unterschiedliche weibliche Lebensentwürfe sichtbar machen, unterstützen und zulassen…
Weibliche Identität. Mädchen/Frauen sollen…
Information über geschlechtsspezifische Unterschiede in der biologischen Reifung.
Männer entwickeln sich in der Pubertät entsprechend dem heute gängigen Schönheitsideal: Breite Schultern, Zunahme des Brustumfanges und größere Muskelmasse.
Frauen geraten durch die körperlichen Veränderungen der Geschlechtsreife in Konflikt mit dem Schönheitsideal: die weiblichen Geschlechtshormone fördern die Verbreiterung des Beckens und dieAnlage von Fettdepots im Hüft- und Oberschenkelbereich.
Ziel:Geschlechterspezifischer Unterricht zur biologischen Reifung (nach Alter und Situation eventuell getrennt unterrichten)
Geschlechtsunterschiede in der körperlichen Entwicklung
Prävention von Adipositas(Dr. Josef Laimbach, Kinderspital St. Gallen, Schweiz)
• Weniger fetthaltige Nahrung• Milchprodukte mit weniger Fett• Mehr Früchte, Obst, Gemüse• Weniger Softdrinks• Weniger Essen während TV• Kleinere Portionen• weniger Werbung für
Nahrungsmittel
• Weniger sitzen – mehr Bewegung• Aktiver Lebensstil• Bewegungsaktivität in der Schule • Aktive Freizeitgestaltung• Gehen (statt Straßenbahn, Lift…)• Spielplätze nutzen• Aktivitäten in der Familie
Verminderte Energiezufuhr Vermehrter Energieverbrauch
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Strategien und Möglichkeiten für den Umgang mit
Betroffenen und Mitschüler/innen im Klassensetting
Beobachtung zusammenführen „der Gesamteindruck ergibt ein Bild“
Schönheit
SelbstbildSelbstwahrnehmung
physischepsychischeVerfassungsoziale
emotionaleKompetenzen
Interaktion
Umfeld: Familie, Schule,
Freunde…
ErnährungEssverhalten
PERSON
Früh erkennen und handeln
1. Beobachtung
2. Protokoll
3. Austausch mit Kollegen/innen
4. keine Diagnose stellen
5. Gespräch mit der/dem Schülerin/Schüler
6. keine Diagnose stellen
7. Schularzt/Schulärztin informieren
8. Elterngespräch (Vereinbarung, wer daran teilnimmt)
9. Information über Hilfsangebote
10.Weitere Schritte vereinbaren
11. Ist keine Beschulbarkeit möglich: Schulleitung melden, Schulleitung führt Elterngespräch
Schulinternes Handlungsmodell für Probleme entwickeln und Zuständigkeiten klären!
Beobachtungsprotokoll Zeitraum : 1 – 2 Monate
Unterricht:• Verhüllende Kleidung• Blaue Hände/Lippen• Starke Gewichtsschwankungen• Häufiges Aufsuchen von Toilette• Hamsterbacken /obwohl sehr dünnTurnunterricht:• Ständig in Bewegung• Verausgaben bis zur Erschöpfung• Abfällige Bemerkung über eigene Figur• Schwächeanfälle• Friert häufigSchulveranstaltungen:• Mahlzeiten auslassen, verlässt früher den Tisch• Vermeidet gemeinsame Mahlezeiten• Verliert Kontrolle beim Essen (Menge)• Geht nach dem Essen unmittelbar aufs Klo (säuerlicher Geruch – erbrechen)• Stimmungsschwankungen
Allgemeine Warnzeichen:• Zahnprobleme• Stiehlt/hortet Nahrungsmittel• Steigt häufig auf die Waage• Nahrungsmittel werden in
erlaubte und verbotene eingeteilt• Verdauungsprobleme• Definiert Selbstwert über Figur• Zwanghafte Diäten• Schlafstörungen• Bissspuren und/oder Rötungen
an der führenden Hand (erbrechen)
Empfehlung für das Gespräch mit der Schülerin / dem Schüler
• Eine gute Vertrauensbasis für das Gespräch ist notwendig. • Das Protokoll der Beobachtung dient zur Orientierung.• Wählen Sie einen günstigen Zeitpunkt und einen geeigneten
Raum/Rahmen.• Ich-Botschaften sind Türöffner für ein gutes Gespräch:
Ich mache mir Sorgen… ich beobachte in letzter Zeit … mir fällt auf… .• Sprechen Sie das beobachtbare Verhalten (Rückzug, Unkonzentriertheit,
Traurigkeit…) an. Fragen Sie nach Problemen die dahinter liegen können. • Beziehen Sie sich im Gespräch nicht nur auf Essen, Gewicht und Figur.
Es geht um die Person in ihrer „Ganzheit“. • Signalisieren Sie Klarheit und Konsequenz. Unternehmen Sie nichts hinter
dem Rücken der Schülerin/des Schülers. Treffen Sie verbindliche Vereinbarungen. Z.B. „ich muss den Schularzt/Schulärztin verständigen, ich werde deine Eltern zu einem Gespräch einladen“…
Empfehlung LSR OÖ
Wenn Pädagogin/innen den Verdacht haben, dass bei einer/einem Schülerin/Schüler eine Essstörung vorliegt, muss Sie diese dem Schularzt / der Schulärztin mitteilen. Wenn nötig kann (muss) dieser weitere Schritte veranlassen. SchulärzteInnen können Kontakt zu den Eltern aufnehmen.
Wenn ein Kind körperlich und kognitiv nicht in der Lage ist überhaupt dem Unterricht zu folgen, so hat der/die Lehrer/in denSchulleiter / die Schulleiterin zu verständigen.
Begutachtung Schularzt… Eltern verständigen…
Tipps im Anlassfall (Klassenintervention)
• Die „Krankheit“ (der/die „Schüler/in“) steht nicht Mittelpunkt Ihrer Intervention. Eine Diagnose eine Person betreffend, darf anderen Personen (MitschülerInnen) nicht mitgeteilt werden.
• Eine einmalige/selektive Beschäftigung ist aus präventiver Sichtkontraproduktiv.
• Die Thematik allgemein und kontinuierlich diskutieren:Ernährung, Schönheit, Körperwahrnehmung, Entwicklungsaspekte, Rollenklischees, kritische Lebensphasen und typische Probleme im Jugendalter
Danke für Ihre Aufmerksamkeit