Date post: | 11-Apr-2017 |
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Überdiagnostik und -therapie in der Versorgung:
Trends in der Überversorgung - nationale und
internationale Perspektiven
14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung | Berlin, 7. bis 9. Oktober 2015
Daria Langner, Dr. Frank Verheyen
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Agenda
1. Überdiagnostik und -therapie
• International
• Deutschland
2. Beispiel: Choosing Wisely Kampagne
3. Erste Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage bei GKV-Versicherten zum Thema Überversorgung
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Unterversorgung: "Die teilweise oder gänzliche Verweigerung einer Versorgung trotz individuellen, professionell, wissenschaftlich und gesellschaftlich anerkannten Bedarfs, obwohl an sich Leistungen mit hinreichend gesichertem Netto-Nutzen und - bei medizinisch gleichwertigen Leistungsalternativen - in effizienter Form, also i. e. S. 'wirtschaftlich', zur Verfügung stehen, ist eine 'Unterversorgung'."
Überversorgung: "Eine Versorgung über die Bedarfsdeckung hinaus ist 'Überversorgung', d. h. eine Versorgung mit nicht-indizierten Leistungen, oder mit Leistungen ohne hinreichend gesichertem Netto-Nutzen (medizinische Überversorgung) oder mit Leistungen mit nur geringem Nutzen, der die Kosten nicht mehr rechtfertigt, oder in ineffizienter, also 'unwirtschaftlicher' Form erbracht werden ('ökonomische Überversorgung')."
Fehlversorgung: "Fehlversorgung ist jede Versorgung, durch die ein vermeidbarer Schaden entsteht", z. B. bei• "Versorgung mit Leistungen, die an sich bedarfsgerecht sind, die aber durch ihre nicht
fachgerechte Erbringung einen vermeidbaren Schaden bewirken,• Versorgung mit nicht bedarfsgerechten Leistungen, die zu einem vermeidbaren
Schaden führen oder• unterlassene oder nicht rechtzeitige Durchführung an sich bedarfsgerechter, indizierter
Leistungen im Rahmen einer Behandlung."
Über- und Fehlversorgung - Begriffsbestimmung
Sachverständigenrat für die Konzentrierte Aktion im Gesundheitswesen (2002): Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit. Gutachten2000/2001. Bd. III: Über-, Unter- und Fehlversorgung. Baden-Baden.
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„Klassische“ Bereiche der Überversorgung
• Screening
• Operationen
• Diagnosen
• Bildgebende Verfahren
• Arzneimittel
• Disease Mongering (psychische Erkrankungen)
• Heil- und Hilfsmittel
Potenzielle Folgen von Über- und Fehlversorgung
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• Überdiagnosen und Übertherapien als Folge „unnötiger“ Früherkennungsuntersuchungen
• finanzielle Auswirkungen
• physische und psychische Belastungen der Patienten, die aus Doppeluntersuchungen hervorgehen
• unnötige invasive Eingriffe
• Operationsrisiken und weitere Behandlungsrisiken
• inadäquate Krankheitskonzepte
• Verunsicherung/ Ängste der Patienten
• nicht adäquate Behandlungen durch lange Diagnoseperioden
• unnötige Behandlungen von End-of-Life-Patienten
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Bisherige Aktivitäten im internationalen Raum
Kampagnen und Literatur (Beispiele):
• BMJ Too Much Medicine series 2013 (http://www.bmj.com/too-much-medicine)
• Choosing Wisely (http://www.choosingwisely.org/)
• Consumer Reports (http://www.consumerreports.org/cro/health/index.htm)
• Less is more (http://www.lessismoremedicine.com/)
• Black, W. Advances in radiology and the real versus apparent effects of earlydiagnosis. European Journal of Radiology 1998;27: 116–122
• Jørgensen K, Gøtzsche P. Overdiagnosis in publicly organised mammographyscreening programmes: systematic review of incidence trends BMJ 2009;339:b2587
• Moynihan R., Doust J, Henry D. Preventing Overdiagnosis, BMJ 2012;344:e3502
• Welch G, Black W. Overdiagnosis in Cancer. JNCI 2010;102:605-13
• L.M. Schwartz and S. Woloshin, “Changing Disease Definitions: Implications forDisease Prevalence: Analysis of the Third National Health and Nutrition ExaminationSurvey, 1988–1994,” Effective Clinical Practice 2, no. 2 (1999): 76–85
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Bisherige Aktivitäten im internationalen Raum
Konferenzen (Beispiele):
• Preventing Overdiagnosis Conference (http://www.preventingoverdiagnosis.net/)
Ø First Preventing Overdiagnosis Conference, Dartmouth, USA, 10.-12. September 2013
Ø Second Preventing Overdiagnosis Conference, Oxford, UK, 15.-17. September 2014
Ø Third Preventing Overdiagnosis Conference, Bethesda, Maryland, USA, 1.-3. September 2015
Ø Announced: Fourth Preventing Overdiagnosis Conference, Barcelona, Spain in 2016
• Avoiding Avoidable Care (http://avoidablecare.org/)
• Selling Sickness (http://sellingsickness.com/)
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Bisherige Aktivitäten in Deutschland
• Herbst Symposium 2012 des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): "Kann weniger mehr sein?“
• Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V. (DNEbM): Expertenworkshops Anfang 2013
• Thema Überversorgung wird auf verschiedenen Kongressen und in der Fach-sowie Laienliteratur aufgegriffen
• Verschiedene Fachgesellschaften greifen mittlerweile das Thema auf (z. B. DEGAM, DGIM zum Thema Choosing Wisely)
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Bisherige Aktivitäten in Deutschland
http://www.awmf.org
http://dgim2015.de
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Beispiele für deutsche „Initiativen“, die Über- und Fehlversorgung adressieren
Ø AWMF: Leitlinien der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
Ø ÄZQ: Programm für Nationale Versorgungsleitlinien von BÄK, KBV, AWMF
Ø Bundesärztekammer - AG Priorisierung: Zwischenbericht für den deutschen Ärztetag
Ø Faktencheck-Gesundheit (Bertelsmann-Stiftung)
Ø GVG: Gesundheitsziele
Ø IQWIG (versch. Projekte)
Ø MDS: IGeL-Monitor
Ø ZI: Versorgungsatlas
Ø …
www.ebm-netzwerk.de
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Choosing Wisely - ein Ansatzpunkt, das Thema Überversorgung anzugehen
Ø Kern der Choosing Wisely Initiative sind sogenannte Top-5 Listen aus jeder klinischen Fachdisziplin
Ø Top-5 Listen enthalten fünf medizinische Maßnahmen, bei der gegenwärtig eine Überversorgung festzustellen ist und deshalb ein verstärkter Bedarf an Information und "Shared Decision Making" besteht
Ø Die Listen werden in enger Kooperation mit Patienten- und Verbraucherschutzorganisationen und mit Unterstützung öffentlicher Medien verbreitet
http://www.choosingwisely.org/
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Was kann “Choosing Wisely” über die Praxis der bisherigen Leitlinienentwicklung hinaus beisteuern? • Das Ausweisen von Toplisten adressiert einen wichtigen Aspekt, der bei der
Leitlinienentwicklung derzeit eher vernachlässigt wird:
Ø Leitlinien informieren die Öffentlichkeit zumeist nicht, von welchen ‘‘Do’’ oder ‘‘Don’t Do’’ Empfehlungen im Versorgungsalltag oft abgewichen wird.
Ø Routinemäßiges Erarbeiten laien- bzw. patientenverständlicher Informationen.
(Bisherige) Kritikpunkte an der Choosing Wisely Initiative:
• Evidenzbasierung?
• keine einheitlichen methodischen Anforderungen?
• Übertragbarkeit auf das deutsche Gesundheitssystem?
• versteckte Rationierung?
Nothacker M: „Leitlinien und ‚Choosing Wisely‘: Ansatzpunkte für eine Initiative der Fachgesellschaften in der AWMF. Vortrag auf der 25.Leitlinienkonferenz der AWMF. Frankfurt, 28.11.2014.
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Choosing Wisely - Stand international
Levinson W, Kallewaard M, Bhatia RS, et al. (2015): ‚Choosing Wisely‘: a growing international campaign. BMJ Qual Saf. 2015;24:167-174.
14Levinson W, Kallewaard M, Bhatia RS, et al. (2015): ‚Choosing Wisely‘: a growing international campaign. BMJ Qual Saf. 2015;24:167-174.
Choosing Wisely - Stand international
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Beispiel:Smarter Medicine(Schweiz)
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Erste Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zum Thema Überversorgung
• Zielgruppe: repräsentative Stichprobe GKV-Versicherter
• insgesamt 1.001 Befragte ab 18 Jahren, GKV versichert, deutschlandweit
repräsentativ
• Zufallsauswahl, anschließende Gewichtung nach Region, Alter und
Geschlecht
• Untersuchungszeitraum: 22. Juni bis 9. Juli 2015
• CATI-Befragung (FORSA), d. h. telefonische computer-unterstützte
Interviews
• Fragebogeninhalte: Subjektive Einstellung zu Qualität in Gesundheitswesen,
Bewertung von Aspekten der Überversorgung, Allgemeine Selbstwirksamkeit
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Erste Ergebnisse
37,2
37,0
17,5
6,71,6
ja, auf jeden Fall eher ja
eher nein nein, auf keinen Fall
w.n./k.A.N=1.001
Sie haben als gesetzlich Versicherter die Möglichkeit, eine sogenannte Zweitmeinung durch einen anderen Arzt einzuholen, z. B. zur Überprüfung einer Diagnose oder Therapieempfehlung. Stellen Sie sich vor, Ihr Arzt schlägt Ihnen eine Krankenhausbehandlung vor.
Würden Sie sich in diesem Fall eine zweite Meinung von einem anderen Arzt einholen?
Angaben in Prozent
37,2
37,0
17,5
6,71,6
ja, auf jeden Fall eher ja
eher nein nein, auf keinen Fall
w.n./k.A.
fast drei Viertel würden eine
Zweitmeinung einholen
18
Erste Ergebnisse
12,7
32,0
37,6
15,0
2,9
ja, auf jeden Fall eher ja
eher nein nein, auf keinen Fall
w.n./k.A.
Wenn Sie einen Arzt aufsuchen, so kann es passieren, dass Sie dort Behandlungen oder Untersuchungen angeboten bekommen, die von einer gesetzlichen Krankenkasse nicht übernommen werden - und die Sie beim Arzt direkt bezahlen müssen.
Sind solche Zusatzleistungen Ihrer Meinung nach nützlich?
N=1.001
Angaben in Prozent
19
35%
54%
73%
83%
85%
Ich bin der Meinung, dass es ein"zu viel" an medizinischer Behandlung
nicht gibt.
Wenn mein Arzt mir eine Früherkennung […]
empfiehlt, informiere ich mich zunächst woanders, ob ich sie wirklich benötige.
Um eine sichere Diagnose zu stellen,sollte ein Arzt so viele Untersuchungen
wie möglich einsetzen.
Zu viel medizinische Behandlungkann sich auch negativ auf die
Gesundheit auswirken.
Es wäre hilfreich, mehr über dienegativen Auswirkungen von "zu viel
Behandlung" zu erfahren.
Erste Ergebnisse
N=1.001
(TOP2BOX)
20
häufig (4%)
manchmal (23%)selten (34%)
nie (39%)
N=270; von denen sich 33% (N=89) trotz Bedenkenbehandelnließen
Hatten Sie in Ihrem Leben schon einmal den Eindruck, dass Ihnen ein Arzt eine unnötige Untersuchung oder Behandlung
empfiehlt?
Erste Ergebnisse
21
Erste Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage
12%
3%
7%
7%
17%
27%
32%
weiß nicht /keine Angabe
sonstiges
aus Zeitdruck/ fühltemich überrumpelt
Zweitmeinung (Arzt/privates Umfeld/ Infos)
eingeholt
aus Angst vor falscherEntscheidung/Unsicherheit
eine Behandlung/Untersuchung
mehr kann nicht schaden
Vertrauen in ärztlicheKompetenz/ Arzt ist
Experte
Ausschlaggebenden Gründe dafür, dass Behandlung/ Untersuchung trotz Bedenken in Anspruch genommen wurde (N=89)
Zusammenfassung
• Über- und Fehlversorgung wichtiges Thema der letzten Jahre auf internationaler Ebene
• mittlerweile gewinnt das Thema auch in Deutschland an Aufmerksamkeit und Bedeutung
(Diskussionen möglicher Überdiagnostik bei Früherkennungsmaßnahmen;
Patientensicherheit; Leitlinienentwicklung etc.)
• Erste Ergebnisse eine Repräsentativ-Umfrage unter GKV-Versicherten: Versicherte haben
ein Bewusstsein für die Problematik der Überversorgung und wollen mehr darüber
erfahren (Ergebnisband erscheint Ende 2015)
• Über- und Fehlversorgung sind demnach auch ein wichtiges Thema für die GKV mit
zahlreichen Berührungspunkte zu bisherigen TK-Aktivitäten, z. B. Patientensicherheit,
Informierte Entscheidung, Zweitmeinung etc.
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Daria Langner | www.wineg.de | [email protected]
Dr. Frank Verheyen | www.wineg.de | [email protected]