INTER FINITIMOS
JAHRBUCH ZUR DEUTSCH-POLNISCHEN
BEZIEHUNGSGESCHICHTE
8. 2010
Herausgeber:
Peter Fischer• Basil Kerski • Isabel Röskau-Rydel
Krzysztof Ruchniewicz • Sabine Stekel
Deutsch-Polnische Gesellschaft Bundesverband e.V.
fibre
166 Themenschwerpunkt: Regionen
in den polenweiten Umfragen, die vom Meinungsforschungsinstitut
durchgeführt werden, als auch in der vorliegenden Analyse das Bild
von Deutschland und den Deutschen stark von der Geschichte geprägt
wird, insbesondere vom Zweiten Weltkrieg. Jedoch sehen viele der Befragten, bedingt durch die zeitliche Distanz und die offenen Gren
zen, eine Verbesserung der beiderseitigen Beziehungen.
Das Bild von der deutsch-polnischen Nachbarschaft ist jedoch nicht
einheitlich. Ein großer Teil der Einwohner von Zgorzelec stehen den
deutsch-polnischen Themen passiv gegenüber - sie kennen die In
itiativen und Projekte nicht, sind an der deutsch-polnischen Zusam
menarbeit nicht interessiert, haben keine Meinung über die Annä
herung und sehen keine Vorteile aus der Kooperation für Stadt und
Einwohner. Die Ansichten der Befragten variieren und sind ge
schlechts- und altersbedingt: Frauen und Personen über 59 Jahre enga
gieren sich deutlich stärker für die deutsch-polnische Zusammenarbeit.
Angesichts der wirtschaftlichen, zivilisatorischen und gesellschaftli
chen Unterschiede zwischen beiden Ländern fällt es schwer, von einer
deutsch-polnischen Partnerschaft zu sprechen. Die Unterschiede
können sich als hemmender Faktor herausstellen und gegenseitige
Stereotype verfestigen. Deshalb ist die deutsch-polnische Zusammen
arbeit von solch zentraler Bedeutung. Dabei spielen der Wille und das
Engagement der Bürger für eine grenzüberschreitende Kooperation
eine wichtige Rolle. Doch eben daran mangelt es den Einwohnern von Zgorzelec.
Der Versuch der Vertreter von EU-Institutionen oder staatlichen
Machtorganen, das Bild eines „europäischen Bürgers" zu popularisie
ren, geht stark an der Realität vorbei. Die eigene nationale Identität
wird während des Kontakts zu einem Bürger eines anderen Landes am
sichtbarsten hervorgehoben. Nicht unrealistische Visionen, sondern
die territoriale Nähe sowie binationale Zusammenarbeit zwi-schen den
Bürgern sind entscheidend, um zu einem Gemeinschaftsgefühl zu
führen und negative Stereotype abzuschwächen. Deshalb bin ich der
Überzeugung, dass eine wirkliche Annäherung zwischen Deutschland
und Polen durch gegenseitige Bürgerkontakte auf inoffizieller Ebene
zustande kommen würde. Dafür muss zunächst ein Bewusstsein ge
schaffen werden. Die Kooperation auf offizieller Ebene - die gemein-
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samen Sitzungen der Stadträte oder feierliche Veranstaltungen - sollte
lediglich die Vervollständigung der „von unten" eingeleiteten Zu
sammenarbeit zwischen den Bürgern beider Länder sein.
Um die Meinung der Einwohner von Zgorzelec über die deutsch
polnische Nachbarschaft zu verbessern, sollten die Bürger selbst zum
Engagement und zur Zusammenarbeit motiviert werden. Es gestaltet
sich einfach~ thematische Veranstaltungen, Ausstellungen, Konzerte
oder Sprachkurse in einer Grenzstadt zu organisieren. Obwohl es an
deutsch-polnischen Initiativen nicht fehlt, scheinen diese für junge
Menschen und Männer nicht attraktiv genug zu sein, und es sind eben
die jungen Menschen und Männer, die sich am wenigsten für die Zu
sammenarbeit engagieren.
Aus dem Polnischen von Arkadiusz Szczepanski
ANNA KURPIEL
DIE WAHRNEHMUNG NIEDERSCHLESIENS DURCH
MAKEDONISCHE FLÜCHTLINGE DES
GRIECHISCHEN BÜRGERKRIEGES
Ziel des vorliegenden Essays wird sein, eine Antwort auf die Frage zu
finden, wie die Region Niederschlesien im Bewusstsein der makedo
nischen Flüchtlinge des griechischen Bürgerkrieges wahrgenommen
wurde, die in den Jahren 1948-1951 in den westlichen Gebieten Polens
zwangsangesiedelt wurden. Die Grundkategorie der Analyse stützt
sich auf das Konzept von Region und Regionalismus, verstanden als
emotionale und ideologische Verbundenheit mit einem Territorium.
Das Thema der makedonischen Flüchtlinge regt hierbei zu weiteren
Fragestellungen an: Hat der besondere Charakter Niederschlesiens
nach dem Krieg ein territoriales Zugehörigkeitsgefühl bei den Neu
ankömmlingen entstehen lassen können? Welchen Einfluss auf diesen
Prozess hatte die staatliche Propaganda? Wie verarbeiteten die Flücht
linge ihr Schicksal, eine nationale und ethnische Minderheit zu sein,
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deren Wurzeln an Orten liegen, zu denen es keine Rückkehr mehr
gab? Für die Analyse wird der Regionsbegriff differenziert betrachtet
- mit der Region kann man sich individuell oder ideologisch identifi
zieren. Im Falle der Makedonier wäre dies zum einen die Region Niederschlesien, zum anderen das verlorene Ägäis-Makedonien. Die
wichtigste Quelle für die Analyse stellen Interviews mit Makedoniern
dar, die ich in den Jahren 2008/09 in der Republik Makedonien sowie
2010 in Niederschlesien durchgeführt habe.
DAS KONZEPT VON REGION UND REGIONALISMUS
Der Regionalismus, schreibt Dionizjusz Czubala, „ist ein breiter Be
griff, der heute vielerorts verwendet und in unterschiedlichen Wissen
schaftszweigen verschieden definiert wird. Er wird in politischen, öko
nomischen, soziologischen und allgemein kulturellen Kontexten ge
braucht, und Linguisten sowie Literaturwissenschaftler weisen ihm
eine eigentümliche Bedeutung zu"1• Heutzutage, wo nationalistische
Ideologien im Herderschen Sinne gewissermaßen negiert werden, wird
die Region zu einem neutralen und politisch korrekten Begriff. Laut
Andrzej Kwilecki wird der alten Losung „Europa der Nationen" heute
„Europa der Regionen" entgegengestellt.2 Dies erklärt die Entwicklung
- besonders in der Politologie und Wirtschaftswissenschaft - von
Untersuchungen über die Rolle und Funktion der Regicin, auch wenn
die Geschichte der regionalen Forschung im traditionellen histori
schen, ethnografischen und auf Bildung bezogenen Sinn bereits auf das
Ende des 19. Jahrhunderts zurückgeht.3
Piotr Tadeusz Kwiatkowski unterscheidet .bei der traditionell ver
standenen regionalen historischen Forschung drei Aspekte der Re-
1 DIONIZJUSZ CZUBALA, Slowo o regionalizrnie, in: Regionalizrn, folklor, wycho
wanie, hrsg. v. DIONIZJUSZ CZUBALA/ GRZEGORZ GRZYBEK, Bielsko-Baia 2004, S. 5. 2
ANDRZEJKWILECKI, Region, regionalizrn, regionalizacja (szkic problernatyki), in:
Regionalizrn jako folkloryzrn, ruch spoleczny i forrnula ideologiczno-polityczna, hrsg.
V . MAREKLATOSZEK, Gdansk 1993, S. 118. 3
PIOTR TADEUSZ KWIATKOWSKI, Tworzenie regionalnej tradycji. Studium przy
padku, in: Przeszlosc jako przedrniot przekazu, hrsg. v. ANDRZEJ SZPOCINSKI/PIOTR
TADEUSZKWIATKOWSKI, Warszawa 2006, S. 69-140.
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gionsmerkmale: Wertevorstellungen, bedeutende Ereignisse und Per
sönlichkeiten, die einen Bezugskanon bilden und zur Strukturierung
des kollektiven Gedächtnisses eines betreffenden Territoriums beitra-4 gen.
In dem vorliegenden Essay werde ich mich stärker aus der soziolo
gischen und anthropologischen Perspektive dem Thema Region und
Regionalismus nähern, beeinflusst durch das Konzept von Stanislaw
Ossowski, in dem die subjektive Selbstidentifikation und emotionale
Bindung zu einem Raum - nicht zwingend als wirtschaftliche oder
geografische Region zu verstehen - in den Mittelpunkt gestellt wird.
Ossowski schreibt:
„Die Region wird unterschiedlich definiert. Oftmals wird die Region als
geografische Einheit gesehen, die sich durch Geländeeigenschaften oder wirtschaftliche Kriterien auszeichnet. Unter dem Begriff Region, so wie
wir ihn für unsere Überlegungen benutzen, d. h. im soziologischen Sinne, wird darunter ein Korrelat der regionalen Gemeinschaft verstanden. Und eine regionale Gemeinschaft ist eine territoriale Gemeinschaft, die mehr oder weniger ihre Eigentümlichkeit betont, sich jedoch
nicht als Nation versteht [ ... ]. Solch eine Gemeinschaft bildet in der
Regel einen Bestandteil einer nationalen Gemeinschaft. Die Mitglieder
einer regionalen Gemeinschaft[ ... ] können sich gleichzeitig als Patrioten ihrer Region und ihres nationalen Heimatlandes fühlen. "5
Ossowski geht in seinen Überlegungen der Frage nach, wie sich die
Beziehung von Menschen, die von ihrem Heimatort getrennt wurden,
zu ihrer neuen territorialen Umgebung verändert. Dieser Ansatz ist
für die vorliegende Analyse hilfreich, denn die untersuchte Region
wird das bereits polnische Niederschlesien der Nachkriegszeit sein, die
untersuchte Gemeinschaft politische Flüchtlinge aus Ägäis-Makedo
nien, deren Status nicht eindeutig · definiert wurde. Sie wurden als
Asylanten, die von der polnischen Gesellschaft abgeschottet waren,
angesehen, galten als nationale oder ethnische Minderheit (bedingt
durch eine unpräzise Definition) oder - wie es heute der Fall ist -
4 Ebd. 5 STANISLAW OSSOWSKI, 0 ojczyfoie i narodzie, Warszawa 1984, S. 75 .
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haben sich gänzlich an die polnische Gesellschaft assimiliert. Ossowski unterteilt patriotische Einstellungen sowie den Begriff Heimat in die Kategorien individuell und ideologisch. Die individuelle Heimat ist ein Ort, zu dem eine Person einen direkten, emotionalen Bezug hat. Oftmals handelt es sich dabei um den Geburtsort oder den Ort des Heranwachsens. Die ideologische Heimat hat einen breiteren Bedeutungsradius und der Bezug zu ihr muss nicht auf eigenen Erfahrungen beruhen, sondern hängt vielmehr mit der Überzeugung zusammen, Teilhabe an einer größeren Gemeinschaft zu besitzen. Analog dazu kann die Beziehung zu einer Region oder regionalem Patriotismus in die Kategorien individuell und ideologisch unterteilt werden. Im Zusammenhang mit der Fragestellung dieses Beitrags ist es von Bedeutung herauszufinden, wie die individuelle oder ideologische Einstellung zu der Region des Geburtsortes auf die Region des neuen Wohnortes übertragen wird - der Fokus liegt dabei auf den Neuansiedlern Niederschlesiens nach dem Krieg im Allgemeinen sowie auf den makedonischen Flüchtlingen im Speziellen.
NIEDERSCHLESIEN NACH DEM KRIEG - EINE REGION OHNE REGIONALISMUS?
Bevor erörtert wird, wie und ob sich die makedonischen Flüchtlinge in Niederschlesien heimisch fühlen konnten, soll zuerst die Frage beantwortet werden, inwieweit Niederschlesien die Voraussetzung für ein regionales Zugehörigkeitsgefühl bieten konnte. Die Makedonier kamen in diese Region bereits nach der größten Ansiedlungswelle, d. h. nach 1948. Selbständig integrierten sie sich in die polnische Gesellschaft erst seit 1952, somit zu einer Zeit, in der sich theoretisch bereits gewisse regionale Gemeinschaften unter der neuen Bevölkerung Niederschlesiens gebildet hätten müssen. In Bezug auf die vorhin genannten, durch Kwiatkowski aufgestellten Regionsmerkrriale, die eine traditionelle und historisch bedingte Zugehörigkeit mit einer Region ausmachen, kann festgestellt werden, dass Niederschlesien keinerlei solcher Merkmale aufweisen konnte. Weder übertragene Wertevorstellungen früherer Generationen noch bedeutsame Ereignisse oder Persönlichkeiten aus der Geschichte der Region, die über
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Jahrhunderte deutsch war, konnten der neuen Bevölkerung identitätsstiftend dienen. Der propagandistische Versuch des Staates, auf den urpolnischen Charakter Niederschlesiens während der Piastenzeit zu verweisen, konnte nicht dazu beitragen, dass eine emotionale Verbindung mit der Region entstand, denn die Piastenzeit liegt zu weit zurück, gehört zur toten, nichtfunktionalen und antiquarischen Geschichte - um es mit Nietzsches Einteilung auszudrücken.
6 Somit
stellte die in Niederschlesien angekommene Bevölkerung nicht das Material dar, aus dem sich lokale Gemeinschaften bilden, bedingt durch ihre Vielfältigkeit, die vielmehr zu Antagonismen und gegenseitigen Stereotypen führte. Wiadyslaw Markiewicz beschreibt die Jahre der Neuansiedlung wie folgt:
„Die Bewohner der westlichen Gebiete stellten ein Mosaik dar. Im Zuge der Ansiedlung, die teilweise sehr dynamisch vollzogen wurde, entstand eine Durchmischung verschiedener Gruppen, die sich durch ihre regionale Herkunft, Tradition, gesellschaftliche Wertevorstellungen, Gebräuche, Bildung usw. voneinander unterschieden. Durchgeführte soziologische und ethnografische Untersuchungen in den westlichen Gebieten haben gezeigt, dass in kleinen Ortschaften, Dörfern und kleinen Städten - von großen ganz zu schweigen - sich Menschen aus zehn oder mehr verschiedenen regionalen Gruppen angesie-delt haben. "7
Hinzu kommt, dass jede dieser Gruppen ihre Erinnerung an die kleine private Heimat, die über · viele Jahre die Grundlage ihrer Gruppenzugehörigkeit war, mit nach Niederschlesien brachte. Als musterhaftes und am meisten erforschtes Beispiel wären die Bewohner der ehemals polnischen Ostgebiete zu nennen, für die ihre Heimat zu einem fortwährenden Bezugspunkt wurde, nach der sie sich stets sehnten, ihr nachtrauerten, die aber auch mythisiert wurde - nicht nur im Bewusstsein der dort geborenen Menschen, sondern auch allgemein durch die
6 ANDRZEJ SZPOCINSKI, Formy przeszioki a komunikacja spoleczna, in: Przesziosc jako przedmiot przekazu, hrsg. V. ANDRZEJSZPOCrNSKI/PIOTR TADEUSZKWIATKOWSKI, Warszawa 2006, S. 29.
7 WLADYSLA W MARKIEWICZ, Zasiedlanie i zagospodarowywanie ziem zachodnich (1945-1964), in: Przeghid Zachodni, 1964, Nr. 3, S. 242.
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polnische Gesellschaft. 8 Ein weiterer Faktor, der die Verbundenheit der zuströmenden Bevölkerung zu Niederschlesien unterband, war das allgemeine, in den Anfangsjahren empfundene Gefühl eines „vorläufigen Zustands". Dieses Gefühl wurde größtenteils durch Gerüchte gespeist, Niederschlesien würde erneut an Deutschland angeschlossen. Dies bewirkte, dass sich die Neuansiedler passiv und apathisch verhielten, keinen Willen zeigten, sich in dem neuen Gebiet heimisch fühlen zu wollen. Gleichzeitig wurde die Entwicklung eines Zugehörigkeitsgefühls mit der neuen Region unterbunden. Es konnte sich somit kein Regionalismus als „von unten entstandene Bewegung, spontan, auf Grundlage einer Selbstorganisation der Menschen im Namen eines Ziels oder einer Idee, die als sinnstiftend angesehen würden"9 entwickeln - denn ein Ziel oder gemeinsame Wertvorstellungen waren nicht vorhanden. All dies wurde noch durch die damalige Propaganda der Volksrepublik Polen verstärkt, die eine absolute Unifizierung der sog. wiedergewonnenen Gebiete mit ganz Polen verkündete. „Es handelte sich nämlich um eine [Staats-]Politik, die von Anfang an darauf eingestellt war, diese Gebiete mit den Kernländern zu verbinden."10 Diese Politik hat während der Zeit der Volksrepublik nicht nur die Prozesse der Regionalisierung in den westlichen Gebieten Polens verhindert, sondern auch die Regionalforschung an sich.11
Ein Faktor, der wiederum ein Gemeinschaftsgefühl unter den Neuansiedlern in Niederschlesien hätte auslösen können, war das gemeinsame tragische Schicksal sowie der Wiederaufbau der kriegsbedingt zerstörten Gebiete. Jedoch - wie es sich in der Praxis herausstellte - hatte dieser Faktor keinen entscheidenden Einfluss:
8 MALGORZATA GLOWACKA-GRAJPER, Identyfikacje kresowe we wsp6lczesnej Polsee. Od malych ojczyzn do regionalizmu sentymentalno-ideologicznego, in: Kulturowa odmiennosc w dzialaniu. Kultury i narody bez panstwa, hrsg. v. Ew AN OWICKARUSEK, Krakow 2009, S.123-143. 9 MAREK LATOSZEK, Regionalizm w procesie przemian - wprowadzenie do zagadnienia, in: Regionalizm jako folkloryzm, ruch spoleczny i formula ideologicznopolityczna, hrsg. V. MAREK LATOSZEK, Gdansk 1993, S. 17. 10 MARKIEWICZ, Zasiedlanie i zagospodarowywanie ziem zachodnich (wie Anm. 7), S. 246. 11
LATOSZEK, Regionalizm (wie Anm. 9), S. 243.
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„Das Zusammenleben dieser Gruppen verlief anfangs nicht sehr harmonisch, auch wenn ein gemeinsames Schicksal und die Erfüllung einer wichtigen patriotischen Mission - insbesondere während der Pionierzeit - diese Menschen verbanden." 12
Das Fehlen einer festen und eindeutigen Identifizierung mit der Region bei den Nachkriegsansiedlern hat nicht zur Herausbildung einer klassischen regionalen Verbundenheit geführt. Es besteht jedoch ein für Niederschlesien charakteristischer Regionalismus, der gerade auf der Negation einer uralten Verbundenheit beruht. Das Ergebnis ist heute in der Promotion der Woiwodschaft sichtbar, mit Breslau/ Wrodaw als „Ort der Begegnungen" an der Spitze. Der weltoffene, zur Vielfalt strebende Charakter der Region ist zu seiner Visitenkarte geworden, die anderen, eher konservativen Gebieten Polens entgegengehalten wird.
DER PROZESS DER ZW ANGSANSIEDLUNG DER MAKEDONIER IN NIEDERSCHLESIEN - SUBJEKTIVE BESCHREIBUNG UND FAKTEN
Makedonier und Griechen kamen während und nach Beendigung des griechischen Bürgerkrieges (1946-1949) zusammen als Flüchtlinge nach Polen. Sie stammten hauptsächlich aus dem nordgriechischen Gebiet - Ägäis-Makedonien, das vor 1913 gemeinsam mit einem Teil Vardar- und Pirin-Makedoniens (heute zu Bulgarien gehörend) sowie der heutigen Republik Makedonien eine große historische und geografische Region, genannt Makedonien, bildete, bewohnt größtenteils von einer slawischen Bevölkerung. Zunächst wurden Kinder aus ihren Heimatorten auf Anweisung der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) ausgesiedelt, später - bereits nach Kriegsende - folgten Partisanen, die auf Seite der Kommunistischen Armee Griechenlands kämpften, sowie deren Familien. Die Emigranten kamen nach Polen, ohne zu wissen, was sie erwarten würde, und konnten sich ihr Zielland nicht auswählen. Besonders beanspruchte dies die Kinder, die keinerlei Mitspracherecht besaßen, von den Ereignissen benommen
12 MARKIEWICZ, Zasiedlanie i zagospodarowywanie ziem zachodnich (wie Anm. 7), s. 243.
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waren, die Ursachen nicht wahrnehmen konnten und sich des Ziels und der Länge der Reise nicht bewusst waren. Ebenso verhielt es sich mit den Partisanen und deren Familien, die 1949 massenhaft Griechenland über die albanische Grenze verließen. Die Schiffe, welche die albanischen Häfen verließen, fuhren sie zu unbekannten, von der Partei vorherbestimmten Orten. Eine scheinbare Freiheit genossen jene Emigranten, die freiwillig in die vorherbestimmten Länder im Rahmen der sog. Familienzusammenführung kamen, die das Rote Kreuz leitete. Doch auch sie mussten sich dem geplanten Verlauf der Geschehnisse unterordnen: Sie konnten zu dem Aufenthaltsort ihrer Kinder fahren oder diese zu ihnen. „Über [ ... ] unser Schicksal entschied jemand anders. Es entschieden die Funktionäre der KKE, wir waren deren Geiseln", schreibt einer von ihnen, der damals noch ein Kind gewesen ist. 13 Nach der Ankunft in Polen wurden die Kinder in pädagogischen Zentren untergebracht, u. a. in Bad Landeck/Lidek Zdr6j, Bad Reinerz/Duszniki, Wölfelsgrund/Mi~dzyg6rze, Löwenberg/Plakowice. 1950 wurde entschieden, alle Makedonier und Griechen in Görlitz/Zgorzelec zu versammeln, wo Kinderheime, Schulen und Arbeitsgenossenschaften geschaffen wurden; den Emigranten wurden ganze Straßen zugeteilt. Später hat man die Flüchtlinge in anderen Städten - vorwiegend in Niederschlesien - angesiedelt, hauptsächlich aufgrund von Wohnungs- und Arbeitsplatzmangel.
In den 1950er Jahren wurden über 13.000 Flüchtlinge aus Griechenland in Polen angesiedelt. Die Emigranten aus Griechenland, sowohl Kinder als auch Erwachsene, wurden nach Ankunft in Polen in Gebieten untergebracht, wo es keine große Konzentration der polnischen Bevölkerung gab. Dies war anfänglich durch Verordnungen der KKE bedingt, die den Glauben hegte, es würde eine zügige Rückkehr in die Heimat zwecks Fortführung der Kampfhandlungen erfolgen. In den ersten Jahren des Aufenthaltes in Polen waren die Flüchtlinge überzeugt, dass sie in ihre verlorene Heimat zurückkehren würden. Die Flüchtlinge bewahrten die Wohnungsschlüssel ihrer verlassenen W ohnungen auf, was u. a. in der „Notiz über die Aufnahme von 2.000 Flüchtlingen aus Griechenland durch Polen" vermerkt ist:
13 SPIRO GAGACZOWSKI, Pozegnanie z ojczyzrni, Lubin 2007, S. 85 .
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„Es ist bezeichnend, dass nahezu alle sorgfältig die Schlüssel zu ihren hinterlassenen Häusern in Griechenland aufbewahren und diese krampfhaft beim Ausziehen der Bekleidung festhalten, damit sie nicht verloren gehen."14
Obwohl nach 1952 die Hoffnung auf eine Rückkehr zunehmend verblasste, standen die Flüchtlinge unter starkem Einfluss der KKE, die Wohnungen und Arbeitsplätze in vorherbestimmten Orten zuwies, ohne dass diese von den Flüchtlingen selbst ausgewählt werden konnten. Davon zeugt die folgende Aussage eines Makedoniers, der über seinen in Zgorzelec zwangsangesiedelten Vater berichtet:
„Er kam in Zgorzelec an und später, aufgrund disziplinarischer Maßnahmen, musste er nach Legnica. So machten sie es. Sie nahmen einen - hier sollst du hin, und Schluss. Und ohne unsere Erlaubnis darfst du dich von diesem Ort nicht entfernen.[ ... ] Er musste sich Arbeit suchen. Selbstverständlich fand er eine. Hier ist er gestorben und begraben[ ... ]. Er durfte Legnica nicht verlassen, konnte nicht beispielsweise in Szczecin wohnen. Und wir, die ganze Familie, waren dort - alle in Szczecin! Wenn er nur dort hätte wohnen können! Er durfte nicht! [ .. . ] Ein erwachsener Mann, aber er musste in Legnica bleiben, weil die Partei ihn diesem Ort zugewiesen hat. Er sollte dort sein und die Kinder woanders. "15
Auf ein ähnliches Schicksal verweist ein Fragment aus der Biografie einer Makedonierin, die als Kind in Polen ankam:
„Risa, als sie bereits das Abitur bestanden hatte, wurde nach Wrodaw geschickt, wo sie einen sechsmonatigen Kurs der makedonischen Sprache leiten sollte [ ... ]. Als dieser beendet war, versuchte sie in Legnica Arbeit zu finden, wo sie ganz in der Nähe der Eltern gewesen wäre, doch die politischen Machthaber der Emigranten verordneten sie nach Piensk."16
14 Macedonscy uchodicy w Polsee. Dokumenty 1948-1975, hrsg. v. PETRE NA
KOVSKI, Bd.l, Skopje 2008, S. 148. 15 Interview Nr. 1. 16 J ÖZEF WYSPIANSKI, Kokardy z powojennych tasiemek, Lu bin 2004, S. 70.
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Obwohl die Kinder nach Beendigung der Grundschule in den pädagogischen Zentren ihre Bildung an verschiedenen Orten Polens fortsetzen durften, gingen sie nach dem Schulabschluss nach Niederschlesien, wo sie ihren Eltern und den Kreisen der Emigration näher waren. Infolgedessen wurden die Makedonier, anfänglich durch Zwang und die Verordnungen der Machtorgane der KKE, an Niederschlesien gebunden. Die Reaktion der Flüchtlinge zeichnete sich durch Passivität und fehlenden Widerstand aus, hauptsächlich bedingt durch mangelndes Wissen über das neue Aufenthaltsland sowie fehlende Sprachkenntnisse. Die in den staatlichen pädagogischen Zentren versammelten Kinder konnten und mussten die polnische Sprache erlernen; die Erwachsenen hatten solch eine Möglichkeit nicht. Die Emigranten aus Griechenland waren größtenteils Analphabeten, ihr ganzes Leben war vom Krieg geprägt, sie hatten keine Schulen abgeschlossen, und somit fehlte es ihnen an elementarem Wissen über andere Orte - sie kannten lediglich ihre heimatliche Region. Dies führte dazu, dass sie Angst vor der neuen, fremden Gesellschaft hatten, eine Angst, die zur Akzeptanz der parteilichen Anordnungen führte, statt durch Eigeninitiative mit der polnischen Bevölkerung in Kontakt zu treten, die sich selbst erst vor kurzer Zeit in Niederschlesien angesiegelt hatte. Ähnlich äußert sich einer der Befragten über seinen Vater:
„Er war an die fünfzig Jahre alt, als er nach Polen kam. Die Sprache kannte er überhaupt nicht. Es muss sicherlich schwer für ihn gewesen sein, hier einen Platz für sich zu finden, eine Wohnung und Arbeit zu suchen - es fällt eben kein Manna vom Himmel, man muss irgendwie leben.'<17
Die Makedonier, die vor den Repressionen der Nachkriegszeit flohen und in Polen Zuflucht fanden, betrachteten den neuen Wohnort als vorübergehend. Am deutlichsten ist dieses Beispiel an den Erwachsenen ersichtlich, deren Sehnsucht nach der Heimat oder zumindest dem eigenen Volk dazu führte, dass sie nach einer raschen Möglichkeit suchten, um Polen zu verlassen und nach Jugoslawien oder Bulgarien
17 Interview Nr. 2.
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auszureisen. Die Kinder und Jugendlichen passten sich viel schneller an die Verhältnisse in Polen an und sahen in diesem Land größere Entfaltungs- und Bildungschancen sowie die Möglichkeit einer T eilhabe an der gehobenen Kultur, zu der sie in den ländlichen, von Bergen umschlossenen Dörfern Ägäis-Makedoniens keinen Zugang hatten.
DER PROZESS EINER HERAUSBILDUNG REGIONALER VERBUNDENHEIT MIT NIEDERSCHLESIEN UND DER DOPPEL TE REGIONALISMUS -ERINNERUNGSORTE, ORGANISATIONEN, VERSAMMLUNGEN
Wie auch für andere Siedler, die nach Niederschlesien kamen (freiwillig oder zwangsweise), war die Entwicklung einer regionalen Verbundenheit durch einige Faktoren gehemmt. Dazu gehören insbesondere die vorherrschende Meinung, die Emigration sei vorläufig, der Glaube an eine baldige Rückkehr in die Heimat sowie das „Stigma der Vertreibung" - ein Unrechtsgefühl, verursacht durch die Notwendigkeit, die eigene Umgebung verlassen zu müssen und sich in einem weit entfernten, fremden Land niederzulassen. Im Falle der Makedonier war der hemmende Faktor, der ein heimisches Gefühl und die Herausbildung einer Identifizierung mit der Region unterband - zumindest in den ersten zehn Jahren - vor allem deren Opposition zu den Flüchtlingen griechischer Nationalität, die in Polen stellvertretend für alle Flüchtlinge aus Griechenland angesehen wurden.
Die Makedonier waren bereits in ihrer Region - Ägäis-Makedonien, das 1913 griechisches Territorium wurde - eine Minderheit im Verhältnis zu den Griechen. Die Griechen hatten die Macht inne, erteilten Befehle, betrieben eine hellenistische Politik gegenüber der slawischen Bevölkerung. Ähnlich verlief es später in Polen. Die Griechen dominierten im Bewusstsein der Einwohner Niederschlesiens, ihnen „gehörten" Zgorzelec und später andere Städte dieser Region. „Zgorzelec wurde zum Zentrum der griechischen Emigranten in Polen, bekannt als ,Griechische Republik'. "
18
18 MIECZYSLAW WOJECKI, Uchodicy Polityczni z Grecji w Polsee (1948-1975), Jelenia G6ra 1989, S. 45.
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Das Thema der nationalen Eigentümlichkeit der Makedonier wurde selten aufgegriffen und war der breiten Öffentlichkeit in Polen schon gar nicht bekannt. Walter Zelazny weist darauf hin, dass sich eine nationale oder ethnische Minderheit stets der Mehrheit unterordnen muss, deren Geschichte öffentlich erzählt und als objektiv anerkannt wird. Die Minderheit kann ihre eigene Geschichte „inoffiziell", zu Hause oder innerhalb der Familie pflegen. Alle Erinnerungsorte der Flüchtlinge in Niederschlesien sind deshalb „griechisch". In Zgorzelec erhielt ein Boulevard in Erinnerung an die ehemaligen Immigranten den Namen „Griechischer Boulevard". An einer Wand des städtischen Rathauses wurde eine Gedenktafel mit polnischer und griechischer Inschrift enthüllt, die an die Zeiten erinnern soll, in denen Zgorzelec eine „Griechische Republik" war. Auf dem Friedhof gibt es eine Gedenktafel für Griechen, die in Polen gestorben sind. Die Makedonier werden überhaupt nicht erwähnt. Das Fehlen makedonischer Erinnerungsorte wirkt sich negativ auf den Identifikationsprozess und die regionale Verbundenheit der Makedonier mit Niederschlesien aus. Die Makedonier, welche zur negativen Haltung gegenüber den Griechen, den strengen Besatzern ihrer Heimat, erzogen worden sind, konnten sich weder mit dem 1953 gegründeten Verband griechischer politischer Flüchtlinge (Namenspatron: Nikos Belojannis) noch mit der von ihm herausgegebenen Zeitung „Dimokratis" identifizieren. Trotz des Bestehens zahlreicher Vereine für die Flüchtlinge aus Griechenland in nahezu jeder niederschlesischen Stadt wurden diese kaum von Makedoniern besucht; insbesondere nicht von denen, die bereits als Kinder in Polen ankamen.
„Es gab diesen Verein [in Jelenia G6ra/Hirschberg]. Man kann sagen, dass sie sich dort zu verschiedenen Tanzabenden versammelten, irgendwelche Feiertage begingen. Ich hatte woanders meinen Spaß. Nicht mit diesen Alten! Außerdem waren dort nur Griechen, kommunistische Griechen. Makedonier gab es dort nicht." 19
Zu dieser Tatsache trug ebenfalls das Profil der griechischen Vereine bei, die sich hauptsächlich mit der Verbreitung von Losungen be-
19 Interview Nr. 2.
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schäftigten, die mit nationalistischen und kommunistischen Ideologien beladen waren. Über lokale und regionale Themen berichteten die Vereine nicht, informierten nicht einmal über Geschehnisse, die das Leben der Flüchtlinge betrafen. Diese Haltung wurde durch polnische Organisationen kritisiert, u. a. durch einen Ausschuss des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei. In einem Tagungsbericht vom 20. Dezember 1957 heißt es:
„Der Mangel an gesellschaftlicher, politischer und kultureller Tätigkeit ist auf das Unverständnis zurückzuführen, was einen Verband ausmachen soll. Man wollte in dem Verband lediglich das Parteileben entfalten. Dies erklärt die verschwindend geringe Teilnahme der Parteilosen in den Machtorganen des Verbandes, den Mangel an parteilosen Aktivisten, das Fehlen von Frauen in den Machtorganen des Verban-d "20 es.
Einen Fehler begingen auch die Makedonier selbst, die eigene Organisationen gründeten und auf konspirative, antigriechische politische Tätigkeit ausgerichtet waren und sich nicht kulturell engagierten. In den 1960er Jahren entstanden zwei geheime makedonische Organisationen - „Ägäische Morgenröte [Zora]", im Dezember 1960 von einer Gruppe makedonischer Jugendlicher in Legnica gegründet, sowie „Makedonische Gemeinschaft [Zaednica]", von einer Gruppe makedonischer Lehrer in Police/Pölitz im September 1961 gegründet. Beide Organisationen waren lediglich bis 1962 tätig. Von deren Charakter kann ein Aufruf der „Ägäischen Morgenröte" zeugen, deren abschlie-ßende Worte lauten:
„Makedonier! Makedonische Jugend! Kämpft um eure Rechte und ihr werdet sie bekommen. Käillpft hartnäckig und mit Ausdauer. Die Wahrheit liegt auf unserer Seite!"21
Der konspirative Charakter beider Organisationen schloss von vornherein eine allgemeine Mobilisierung der in Polen oder Niederschle-
20 Macedonscy uchodicy w Polsee. Dokumenty 1948-1975, hrsg. v. PETRE NAKOVSKI, Bd. 2, Skopje 2008, S. 240.
21 Macedonscy uchodzcy, Bd. 2 (wie Anm. 20), S. 336.
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sien lebenden Makedonier aus. Beide konzentrierten sich nur auf die Verbreitung nationalistischer, politisch kämpferischer Inhalte.
Anfang der 1960er Jahre versammelten sich die Makedonier während der jährlich organisierten Treffen. Dies war der einzige Ausdruck einer Verbundenheit, die den Flüchtlingen nicht nur das Gefühl von Einheit gab, sondern auch eine gewisse Identifizierung mit dem gemeinsam bewohnten Gebiet vermittelte.
„Ich glaube, 1961 haben die Flüchtlinge aus Griechisch-Makedonien ihr erstes Picknick veranstaltet. Es fand an einem Sonntag im Mai statt, in einem Park in Szczawno Zdr6j [Bad Salzbrunn], in der Nähe von blühenden Magnolienbäumen. Dass dieser Ort ausgewählt wurde, war kein Zufall, denn in seinen Kurhäusern hatten die Kinder der Flüchtlinge zum ersten Mal Kontakt mit Polen gehabt [„.]. Bekannte trafen sich, tauschten Informationen über ihre Familien und Arbeitsplätze aus und übermittelten sich Nachrichten aus ihrer Heimat. [„.] Es wurden neue Bekanntschaften geknüpft, künftige Ehepartner lernten sich dort kennen. Ähnliche Treffen fanden auch in Zag6rze Sl<tskie [Kynau], Chojn6w [Haynau], Wrodaw und anderen Orten statt. Manchmal organisierten diese Gruppen auch wesentlich kleinere Versammlungen. ,m
Doch diese Treffen sind, wie einer der Befragten feststellt, „eines natürlichen Todes gestorben". Das war einerseits durch die schwindende Zahl der Makedonier in Niederschlesien bedingt, die - hauptsächlich in die jugoslawische Teilrepublik Makedonien - auswanderten, andererseits durch die sich intensivierende Integration mit der polnischen Gesellschaft.
ZWEI REGIONEN DER IDENTIFIZIERUNG
Die Makedonier, die in Niederschlesien zwangsangesiedelt wurden -ähnlich wie andere Ansiedler in der Nachkriegszeit-, hielten die Erinnerungen an ihre Heimat Ägäis-Makedonien aufrecht. Es ist interessant der Frage nachzugehen, wie eine ideologische oder gar private Verbundenheit mit der neuen Heimat und neuen Region, d. h. Nieder-
22 WYSPIANSKI, Kokardy (wie Anm. 16), S. 70.
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A. Kurpiel: Die Wahrnehmung Niederschlesiens 181
schlesien, entstehen konnte. Für die Makedonier, die gegenwärtig in der Republik Makedonien leben, wurde Polen zu einer idealisierten „zweiten Heimat", einer eher persönlichen Heimat.
Das betrifft meistens jene Makedonier, die als Kinder Ägäis-Makedonien verlassen mussten und somit ihre Kindheit und Jugend in Polen verbracht haben. Die Sehnsucht nach den Häusern in Griechenland ist stärker politisch und ideologisch geprägt und steht im Kontext des makedonischen Konflikts mit Griechenland. Sie zeichnet sich nicht durch eindeutige persönliche Erfahrungen aus, wahrscheinlich aufgrund der kaum vorhandenen Erinnerungen aus der frühesten Kindheit. Zu Polen haben sie jedoch eine starke emotionale Einstellung. An die verbrachten Jahre in Niederschlesien denken sie als an die Zeit des Wohlstands, der Unterhaltung, der Jugend und kehren gerne zu diesen Erinnerungen zurück. Die Befragten drücken ihre Sehnsucht nach Polen aus, das ihre Heimat sei: „Für mich ist Polen meine Heimat. Dort wo wir aufgewachsen sind. Wir sind dort nur nicht geboren worden"23
; „Ich habe alle polnischen Städte und das Land viel besser kennengelernt als Makedonien!"24
• Sie sehnen sich auch nach einzelnen Städten Niederschlesiens: „Wrodaw, die wichtigste Stadt. Meine Lieblingsstadt. Als noch die Trümmer beseitigt wurden, weil die Stadt sehr zerstört war. Und es ließen sich nur Ausgesiedelte nieder."25
Anders verhält es sich mit den Makedoniern, die in Niederschlesien geblieben sind. In ihrem Fall hat sich das Verhältnis zu dem Gebiet, in dem sie leben, verändert - vom Gebiet der Zwangsansiedlung zu einem ideologisierten Ort, hauptsächlich durch Gewohnheiten und den langen Aufenthalt bedingt. Die Beweggründe, welche einen Teil der Makedonier zum Bleiben veranlassten - insbesondere wirtschaftliche und gesellschaftliche, wie z. B. Arbeit, Wohnung oder der/die polnische Ehemann/ die Ehefrau - wurden zur Gewohnheit und lösten später das Gefühl aus, in Polen verankert zu sein. Davon können die folgenden Aussagen zeugen: „ Und außerdem - hier hatte man eine Wohnung, es gab Arbeit. Somit fühlte man sich hier sicherer, das
23 Interview Nr .4. 24 Interview Nr. 5. 25 Interview Nr. 6.
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Leben schien sicherer. Wir fühlten uns hier bereits verankert"26; „Und so ist es geschehen. Und hier [in Legnica] haben wir Wurzeln geschlagen"27; „Ich hatte Arbeit, Freunde. Man gewöhnte sich schnell an alles"28.
Die Sehnsucht der in Polen lebenden Makedonier nach ihrer verlorenen „kleinen Heimat" Ägäis-Makedonien ist intensiver als bei den Rückwanderern, die gegenwärtig in der Republik Makedonien leben. Erstere erinnern sich an ihren Heimatort und vergleichen diesen mit ihrem jetzigen Wohnsitz. Sie unterstreichen hauptsächlich die makedonische Freundlichkeit, deren Verbundenheit mit der Familie, die schöne Natur und das gute Essen, das sie aus ihrer Kindheit kennen. Nur wenige denken so wie einer der Befragten, der auf einem Friedhof in Lubin/Lüben eine Grabstelle gekauft hat: „Ich kaufe eine Grabstelle, warum soll ich mich dann für das heutige Makedonien interessieren?"29
Paradoxerweise sind es gerade die Gräber, welche die einzigen Erinnerungsorte der Makedonier in Niederschlesien darstellen - sowohl derer, die geblieben als auch jener, die nach Jugoslawien ausgewandert sind. Obwohl sie private, intime Erinnerungsorte sind, bewirken sie jedoch, dass Polen nicht verlassen und vergessen werden darf, dass Polens gedacht und es besucht werden soll. Gräber waren unvermeidbar, denn viele Makedonier erkrankten und starben nach dem Krieg. Sie befinden sich in Zgorzelec, Legnica, Lu bin, J elenia G6ra, also in Niederschlesien. Denn nur dort durften sich die nach Polen gekommenen makedonischen Flüchtlinge niederlassen.
26 Interview Nr. 2. 27 Interview Nr. 1. 28 Interview Nr. 3. 29 Interview Nr. 7.
Aus dem Polnischen von A rkadiusz Szcze-panski
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