+ All Categories
Home > Documents > punktum. März 2012 - Paare

punktum. März 2012 - Paare

Date post: 04-Dec-2023
Category:
Upload: independent
View: 0 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
36
punktum. SBAP . Schweizerischer Berufsverband für Angewandte Psychologie Association Professionnelle Suisse de Psychologie Appliquée Associazione Professionale Svizzera della Psicologia Applicata Paare Topsharing – Pas de deux auf Führungsstufe Die Interaktional-Kognitive Paartherapie Elodie smiles for her lover Abschiedsbriefe, Berlin-Tegel, 1944/45 Städtepartnerschaften: Luzern vernetzt sich März 2012
Transcript

punktum.

SBAP. Schweizerischer Berufsverband für Angewandte PsychologieAssociation Professionnelle Suisse de Psychologie Appliquée

Associazione Professionale Svizzera della Psicologia Applicata

PaareTopsharing – Pas de deux auf FührungsstufeDie Interaktional-Kognitive PaartherapieElodie smiles for her loverAbschiedsbriefe, Berlin-Tegel, 1944/45Städtepartnerschaften: Luzern vernetzt sich

März 2012

2 Editorial

Der Traum vom Traumpaar

Liebe Leserin, lieber Leser

Die Theorie verkündet: «Das Traum-paar des Jahres!» Von den Titelbildernder Magazine an den Kiosken lächelnMenschen schön. Und wir verbindendamit Erfolg, Reichtum, Glück, Zufrie-denheit, Sorglosigkeit. Ewige Liebehalt.Die Praxis fragt: «Mit wem geisch?Läbsch elei?» Alle sindmit der eigenenPartnerschaft beschäftigt, Tag für Tag.Und wer es gerade nicht ist, grübeltüber das Fehlen einer eigenen Part-nerschaft nach. Oder wir werden Zeu-gen von Paarproblemen, Trennungenund Scheidungen anderer.Paare sind auch ein volkswirtschaftli-cher Faktor. Die einen verdienen ihrGeld, indem sie die Paarbildung för-dern – all die Paarvermittlungen mitverlockenden Namen: Parship, Elite-Partner, Never2late. Andere verdie-nen ihr Geld nach der Paarbildung. Ichdenke an PaartherapeutInnen, Me-diatorInnen, JuristInnen. Selbst diePaarung bringt Verdienst, braucht esdoch die Dienste der Hebammen, Ärz-tInnen und später dann der Lehrper-sonen.Doch der vielleicht grösste Profiteurder Paarbildung ist in der Schweiz derStaat. Paare – die meisten Doppelver-diener – befinden sich in einer höhe-ren Steuerprogression. Und im Alter

sind sie günstiger, ist die AHV-Rentefür Paare doch geringer als die Sum-me zweier Einzelrenten. Dass sich inder reichen Schweiz alte Liebespaaretrennen, weil sie keinen anderen fi-nanziellen Ausweg mehr sehen, istsehr traurig. Aber eine Tatsache.Obwohl wir wissen, dass rund dieHälfte der verheirateten Paare wiederauseinandergeht oder sich scheidenlässt, bleibt das Paar als Form der Part-nerschaft attraktiv.Denn es ist der Wunsch der allermeis-ten Leute, nicht allein, sondern zuzweit durchs Leben zu gehen. Vielewerden nicht müde, sich immer wie-der aufs Abenteuer Beziehung einzu-lassen. Sie würden es nicht tun, wennsie in der Paarbildung keine Vorteilesähen. Wir sehnen uns nach Gebor-genheit und hoffen auf Verlässlichkeitder Partnerin oder des Partners auchin schwierigen Zeiten. Gemeinsam et-was zu unternehmen und zu erleben,ist ideal.Paare gelten gesellschaftlich mehr alsEinzelpersonen und werden beispiels-weise selbstverständlicher eingeladenals Singles. Und wollen wir für einmaldemWerben der Partnervermittlungs-institute Glauben schenken, ist ersteine Partnerin, ein Partner die Erfül-lung des «vollkommenenGlücks», der«absoluten Zufriedenheit». Es ist sta-tistisch erwiesen, dass Paare gesünderund länger leben.

Einander Sorge tragen, aufeinanderschauen, einander lieben ist eine In-teraktion, die freilich auch sozialeKontrolle beinhaltet. Wer gemeinsamstärker ist als allein, schaut genau da-rauf, dass dies so bleibt. Das gilt fürGeschäfts- wie für private Partner-schaften.Urte Scholz hat gemeinsam mit Kolle-gen der Universität Zürich herausge-funden, dass für den Effekt der sozia-len Kontrolle die Beziehungsqualitätentscheidend ist. Sie ermittelten beiPaaren die Kohäsion, also das Über-einstimmen in bestimmten Themen,wie viel Zeit sie miteinander verbrin-gen und wie sie diese Zeit bewerten.Ergebnis: Je höher der Konsens in ei-ner Beziehung ist und je mehr guteZeit die Partner miteinander verbrin-gen, desto eher können sie sozialeKontrolle jeglicher Art akzeptieren.Beispielsweise RaucherInnen, die soihren Zigarettenkonsum einschrän-ken. – Pssssssst, oder gehören Sieetwa zu denjenigen, die heimlich et-was tun? Damit verfolgen Sie mögli-cherweise das Ziel, den Konsens in derBeziehung nicht zu gefährden. DiesesVerhalten wird Sie jedoch nicht vomZigarettenkonsum befreien!In der vorliegenden Ausgabe despunktum. kommen einige staunens-werte Aspekte zum vielfältigen Thema«Paare» zur Sprache. Viel Spass beimLesen! Heidi Aeschlimann

Stephan Balkenhol: Tanzende Paare

3Kurzgeschichte

Noch ist es keine halbe Stunde her.Eben hat mich meine Vergangenheiteingeholt, machtvoll und bestürzend,eine längst vergessen geglaubte Epi-sode.Die Schwüle wich zögernd einer lau-en Nacht. Ich stand am Küchenfens-ter und rauchte eine Zigarette. Lang-sam kroch der Schatten unserer Häu-serzeile auf die andere Strassenseite.Kinder lärmten auf einem Hinterhof.In der Ferne rauschte die S12 vorbei.Da bemerkte ich, dass beim HausNummer 5 schräg gegenüber jemandsein Gerümpel auf den Gehsteig ge-stellt hatte.Ein Dreirad, einige Kartonkisten mitBüchern, eine Ständerlampe, zweiKorbsessel dümpelten in einer Pfützegelben Abendlichts. An der Hausmau-er lehnte ein Schild:

GRATIS! ZUM MITNEHMEN!

Bei Anbruch der Dunkelheit ging ichhinunter. Ich durchstöberte die Bü-cher. Biographien. Thrillers und Reise-berichte auf Englisch. Fotobände, dasmeiste Architektur. Kinderbücher.Da fiel mir eine verstaubte, mit Schnurumwickelte Schuhschachtel ins Auge.Ich kramte sie hervor. Ein Scheppern.Es hörte sich verheissungsvoll an. Ichklemmte die Schachtel unter den Armund ging wieder nach oben.In der Küche schnitt ich die Schnur aufund hob den Deckel. Es waren vierSchuber mit Diapositiven. Je ein Auf-kleber mit einem Datum. Frühe sieb-ziger Jahre.Eine fiebrige Neugier packte mich.Wahllos zupfte ich ein paar Bilder ausdem Kästchen 1971/1 und hielt sievor die Spotlampe.Südliche Landschaften, vermutlichProvence. Romanische Kirchenfassa-den. Viel Architektur, nichts, wasmeinInteresse weckte. Ich nahm mir denzweiten Schuber vor, 1971/2.Eine Brasserie mit gestreiften Marki-sen. Ein Mädchen, gelbe Bluse, einenKorb am Arm, vor einer Bäckerei.Mehr Architektur. Das Detail eines Re-liefs. Ein Haus, weiss getüncht, inmit-ten von Ginsterbüschen und Oliven-bäumen. Eine Frau neigte sich überdie Terrassenmauer. Mit einer Handdeutete sie ein Winken an.

Elodie smiles for her lover

Ich und sie und er

Etwas irritierte mich. Ich wurde von ei-ner seltsamen Unruhe erfasst.Ich holte den Diaprojektor, ein älteresLeica-Modell mit einer wackligen Au-tomatik, installierte ihn auf dem Kü-chentisch und schob den Schuber insLaufwerk.Das Bild auf der Wand war nicht vielgrösser als ein Taschentuch.Abermals die Brasserie, ich konntejetzt den Namen lesen, Chez Lucien.Mehr romanische Kirchen. Strassenmit sandsteinfarbenen Gebäuden. Diegleissende Helle schläfriger Mittags-hitze. Autos mit französischen Kenn-zeichen.Menschenwaren, abgesehenvon zufällig ins Bild geratenen Pas-santen, keine zu sehen.Dann ein unvermittelter Szenenwech-sel.Das weiss getünchte Haus in einigerEntfernung, tiefblaue lange Schatten.Die Frau auf der Terrasse. Zoom aufdie Fraumit verschränkten Armen. EinTisch unter einem Sonnenschirm, zweifrische Gedecke, die Frau von hinten,ein Strähnchen im Nacken. DieselbeFrau im Liegestuhl, eine Hand schir-mend über der Stirn, im HintergrundZypressen, ein türkisfarbener Strich,das Meer.Es gab keinen Zweifel.Elodie.Sie neigte sich nach vorn und lächeltevon unten in die Kamera, wem galtdas Lächeln, das nächste Dia bestätig-te meine plötzliche Ahnung.Elodie im Gegenlicht, nackt auf einerFensterbrüstung, die Arme um dieKnie geschlungen. Hinter ihr ein Ole-anderbusch, rosa Blüten. Ein hellerVorhang blähte sich ins Bild hinein. Siehatte das Gesicht dem Fotografen zu-gewandt, denMund halb geöffnet, alshauchte sie ihm ein Wort zu.Seinen Namen? Einen Liebesschwur?Ein Versprechen?Atemlos verfolgte ich die Bildsequenz,der Schuber bewegte sich ratterndnach vorn, ein Dia nach dem anderenflog über die Wand, Elodie mit unter-geschlagenen Beinen beim Lesen, Elo-die im Badeanzug am Strand, Elodie,immer nur Elodie. Neunzehn Mal.Dann war der Spuk zu Ende.Die übrigen Bilder brachten nichts Er-hellendes. Architektur bis zum Über-

druss. Eine Stadt in den USA, Bostonvielleicht.Ich schaltete den Apparat ab. Das Sur-ren des Ventilators verstummte. Mei-ne Hände zitterten, als ich mir eine Zi-garette anzündete.Plötzlich war alles wieder da.

***

Elodie, Studentin der Anglistik im vier-ten Semester, eben zurück von einemLondon-Aufenthalt, war im Herbst1970 in unsere WG eingezogen, hi,my name is Elodie, die Silben hingenzart wie Wölkchen im muffigen Flur.Schon nach drei Tagen hatte sie ihrenfesten Platz am Küchentisch unterdem Regal mit den schmierigen Ge-würzdosen. Dort sass sie, fuhr sich mitden Fingern durchs kurze Haar, zer-zupfte den Tabak, leckte mit flinkerZunge die Kante des Papierchens ab.

Anita Siegfried studierte Archäolo-gie und Kunstgeschichte an der UniZürich, Promotion 1976. LängereAuslandaufenthalte. Mitarbeit aneinem Nationalfonds-Projekt undbei Kantonsarchäologie Zürich. Seit1994 freischaffende Autorin. Sieschreibt für Kinder und Erwachse-ne und ist als Schreibcoach im Pro-jekt «Schulhausroman» engagiert.Sie lebt in Zürich, ist verheiratet undhat zwei erwachsene Töchter.www.anitasiegfried.ch

4 Kurzgeschichte

Bedächtig senkte sie die Spitze der Zi-garette in die Flamme der Kerze undblies den Rauch aus demMundwinkelschräg nach oben. Trank Wein, Rioja,dreineunzig die Flasche, den Ellbogenauf den Tisch gestützt.Mit ihrer Gegenwart wich die zele-brierte Lässigkeit unter uns vier Haus-genossen einer lauernden Unrast. Ichmerkte lange nicht, dass sie ein Augeauf mich geworfen hatte. Ausgerech-net auf mich, den Schüchternen.Der Anfang unserer Liebe hatte einDatum, es muss Ende Februar 1971gewesen sein, nach einer Vietnam-Kundgebung, die mit der Vorführungdes Dokumentarfilms Nur leichteKämpfe im Raum Da Nang im Volks-haus endete. Schauplatz war dasdeutsche Lazarettschiff Helgoland,das im Hafen der Stadt vor Anker lagund Verwundete aus der Zivilbevölke-rung aufnahm.Niemand war vorbereitet auf das, waswir zu sehen bekamen. Elodie sass ne-benmir, ihr Atem ging schnell, aber siegab keinen Laut von sich. In der Rei-he vor uns kotzte ein Mädchen in ihreKufiya. Viele verliessen während desFilms den Saal.Schweigend machten wir uns auf denNachhauseweg. Wir standen beideunter Schock. Ein filzig grauer Mondhing zwischen den Häuserzeilen. In ei-ner Nebenstrasse hakte sie sich un-vermittelt bei mir unter. Später kam siein mein Zimmer und schloss leise dieTür. Die Nacht verbrachten wir nebendem auskühlenden Kanonenöfchenund versuchten, die Bilder der Kindermit den weggeschmolzenen Gesich-tern in unseren Köpfen auszulöschen.Es sei, sagte sie später einmal, einfachder richtige Augenblick gewesen. DieTatsache, dass wir jetzt ein Paar wa-ren, wurde von unseren Mitbewoh-nern mit einem Schulterzucken zurKenntnis genommen. Eine Zweierkis-te, wie spiessig, aber Toleranz warProgramm.Meine verschlossene Art schien Elodienichts auszumachen. Blassblaue fieb-rige Tage an der «Riviera», die Näch-te rauchgeschwängert mit zerfranstenRändern, die Welt wurde radikal neuerfunden, ein kleiner täglicher Rausch.Die Klammer, die alles zusammenhielt,

4

Ich und sie und er

waren die Abscheu über diesen fernenKrieg und der Glaube an den kollekti-ven Aufbruch in eine utopische Zu-kunft. Die Zeit beschleunigte sich inatemberaubendem Tempo, und wirmitten in dem Strudel, zwei ineinan-der verzahnte Rädchen im Getriebeder Geschichte.Honey. Sweetheart. My darling.Sechs Monate lang. Manchmal rochsie nach Drucker-Alkohol, ihre Fingerwaren verfärbt vom Matrizenwachsfür die Flugblätter, die ihre Frauen-gruppe auf der Strasse verteilte.Sie war meine erste grosse Liebe. Ichwar süchtig nach ihr.Irgendwann sagte sie beiläufig, siewerde im August für eine Woche indie Provence fahren, ein paar Frauenhätten dort ein Haus gemietet. Siekam zurück, sonnenverbrannt und ab-gehoben heiter. Bald darauf zog sieohne Begründung aus unserer WGaus. Wir trafen uns noch einige Maleauf Veranstaltungen, wechselten einpaar unverbindliche Worte, sie wichmir aus. Ihr Platz am Tisch blieb leer,eine quälende Lücke, die niemand jewieder füllte.Über dreissig Jahre ist es her.

***

Die Provence. Neunzehn Mal Elodieund keine andere Frau weit und breit.Der Mistkerl.Ich lösche das Licht, trete ans Kü-chenfenster und schaue hinunter.Die beiden Korbsessel sind weg. Blauzuckende Kaskaden in einem Wohn-zimmer.Wer ist er? Gab es einen Studentender Kunstgeschichte, damals? Wo hater es sonst noch mit ihr getrieben?Hinter welchem Fenster verbirgt ersich?Vielleicht schaut er gerade jetzt hä-misch herüber. Hat mich schon langeim Visier, kennt meine Gewohnheiten.Vielleicht sind die Diapositive für michbestimmt gewesen, die ganze An-sammlung dort unten nichts als eineniederträchtige Inszenierung, in derenZentrum diese Schachtel stand.In meiner sich steigernden Empörungreisse ich das Kabel des Projektors ausdem Stecker. Es peitscht über die Flie-

sen, haut eine leere Weinflasche um.Im Schlafzimmer stelle ich den Appa-rat auf einen Stapel Bücher. Auf demBett liegend, betrachte ich die Bilderabermals, verliere mich lustvoll in ih-rer verstörenden Melancholie.Elodie riesig, beinahe wandfüllendjetzt. Der Tisch, zwei halbvolle Wein-gläser, die Relikte eines Gelages. Einvoller Aschenbecher.Auf einem Zigarettenstummel sinddeutliche Spuren von Lippenstift.Der Argwohn schärft schlagartig mei-nen Blick. Elodie im Liegestuhl, ihrelangen Beine, die Stirn von einer Handverschattet.Über der Armlehne hängt ein Bikini-oberteil. Auf einem anderen Dia ent-decke ich am Bildrand eine Sandalemit hohem Absatz.Elodie hat nie einen Bikini getragen.Hohe Absätze und Lippenstift fand sievulgär.Die Erkenntnis trifft mich jäh.So war das also gemeint. Grenzenausloten. Die Fesseln der bürgerlichenMoral sprengen. Brot und Rosen.Wie konnte ich nur so von Blindheitgeschlagen sein.Elodies schönes Lachen, die Augenvon einem blassen Grün, ich bekom-me nicht genug davon, Elodie smilesfor her lover, die späte Krönung mei-ner Schmach. Glasklar und schmerz-haft fügt sich jetzt in der Erinnerungeines zum anderen. Elodie lächelt auchnoch, als sich unter ihrer linken Schul-ter eine schwarz geränderteWolke insBild frisst, auf die Landschaft über-greift, die Zypressen beginnen zu lo-dern, Muren von Lava gleiten Rich-tung Meer, Elodies Gesicht blasig ge-schmolzen und der Geruch nach ver-branntem Zelluloid.

Anita Siegfried

5Fachwissen

Interaktional-Kognitive Paartherapie

Biologie, Kultur und Tiefenpsychologie der Beziehung

Viele Paare geraten in Beziehungsstö-rungen, weil unbewusst gesteuerteVorstellungen voneinander im sub-jektiven Bewusstsein beider Partnerals «realistische Erkenntnis» festge-schrieben werden. Deshalb muss diePaartherapie an den gegenseitigenIdeen ansetzen, mit dem Ziel, diese zukorrigieren. Der Erfolg der Behand-lung gründet auf der Wiederherstel-lung realistischer Vorstellungen von-einander.

War die Zweierbeziehung bis ins 19.Jahrhundert als eheliche Gemein-schaft vor allem eine Institution zurReproduktion und sittlichen Stabilisie-rung der Gesellschaft, so entwickeltesie sich im Zeitalter der Romantik all-mählich zum Hort des irdischenGlücks. Bis ins letzte Drittel des 20.Jahrhunderts bestanden aber nochsehr enge gesetzliche und sittlich-reli-giöse Schranken, welche die Ehe mit-tels Androhung von Sanktionen ge-gen die «Selbstverwirklichung» derPartner schützten. Die Beziehungenwaren durch Tradition und Gesetzweitgehend fremdbestimmt (Hetero-nomie).Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahr-hunderts wurden – zumindest in derwestlichen Kultur – die individuellenFreiheiten durch die Revision der ent-sprechenden Gesetze ins Zentrum ge-rückt. Das jahrhundertealte Bezie-hungsmodell mit seinen Rollenzu-schreibungen und Pflichten wurdedurch ein modernes, säkulares undautonomesModell ersetzt. Damit ver-fügen Partner heute erstmals über dieMöglichkeit, sich eine individuelle undmassgeschneiderte Form der Bezie-hung und Familie aufzubauen.

Die autonome BeziehungIm Bewusstsein der meisten Leute be-steht indessen auch einige Jahrzehntenach der stillschweigenden Einfüh-rung desmodernenModells nochwe-nig Klarheit über die Funktionsweiseeiner autonomen Beziehung. Nostal-gische Wunschbilder nach Sicherheitund Geborgenheit aus der heterono-men Vergangenheit verbinden sich,oft nach dem «Fünfer und Weggli»-Prinzip, mit den modernen Erwartun-

gen nach Beziehungsqualität, indivi-dueller Entfaltung und Freiheit.Auch herrscht – ebenfalls ein Erbstückaus der Vergangenheit – nach wie vordie Auffassung vor, das Glück einergelungenen Beziehungwerde sich au-tomatisch von selbst ergeben. Denwenigsten ist bewusst, dass man nochvor zwei Generationen das damaligeBeziehungsmodell, ohne es zu mer-ken, von Kindesbeinen an gründlichgelernt hatte. Und zudem hatte manerst noch in jeder Sonntagspredigt einUpdate hinsichtlich des «richtigen Le-bens» durch den Pfarrer erhalten.Im romantischen Modell wurden diein früheren Zeiten oft getrennten Di-mensionen Liebe, Sexualität und All-tagsbewältigung erstmals mit demZiel des umfassenden Beziehungs-glücks vereinigt, allerdings nicht vonungefähr in einem überaus strengenbürgerlich-sittlichen Rahmen. Heutewird dagegen eine so komplexe undteilweise widersprüchliche Verbin-dung von Gefühl und Institution, trotzverdoppelter Lebenserwartung undweitgehend abgebauten verbindli-chen Regeln, ohne besondere Struk-turierung als «selbstverständlich ge-lingend» vorausgesetzt. Es kann des-halb nicht erstaunen, dass viele derheutigen Paare auch von kleinerenSchwierigkeiten rasch einmal überfor-dert sind. Die weggefallenen gesell-schaftlichen Strukturen können realis-tischerweise nur durch eine neu er-worbene, psychologische bzw. bezie-hungsdynamische Kompetenz desPaares selbst ersetzt werden. Weranders als der Paartherapeut könnteeinem heute beibringen, wie eine Be-ziehung (wieder) funktioniert?In der modernen, geschichtlich wiegeografisch multikulturellen Gesell-schaft verwirklicht jedes Paar seine Be-ziehung an vielen Schnittstellen zwi-schen äusseren Voraussetzungen undindividuellen psychologischen Prägun-gen. Eine Paartherapie, welche sichnicht nur auf die Eindämmung eineraktuellen Krise oder «Störung» be-schränken will, muss deshalb einenentsprechend weit gefassten theoreti-schen Horizont wie auch über ein gros-ses und spezifisches Arsenal von thera-peutischen Werkzeugen verfügen.

Von «Peanuts» zur EskalationDie Interaktional-Kognitive Paarthe-rapie (IKPT) entstand denn auch ausder praktischen und didaktischen Er-fahrung, dass die mannigfaltigen kul-turellen, strukturellen, psycho- undbeziehungsdynamischen Aspekte derZweierbeziehung in der Paartherapiein ihrem ganzen Umfang berücksich-tigt werden müssen. Mit der IKPTwurde eine Methodik geschaffen,welche eine Übersicht herstellt unddamit die verschiedenen Aspekte derBeziehung differenziert erfasst undgleichzeitig anwenderfreundliche undnavigierbare therapeutischeMittel zurVerfügung stellt.Beim Beginn der Therapie wird zuerstdieÄussere Struktur beurteilt. Die Ein-schätzung, ob das Paar ein heterono-mes, autonomes oder gemischtes Be-ziehungsmodell aufweist – und ob esdas angestrebte Modell in Wirklich-keit auch lebt –, bringt die erste wich-tige Klärung. Konkret wird hier zumBeispiel die Frage geklärt, ob sich dieEhefrau als Schwiegertochter den tra-ditionellen Regeln der Schwiegerfami-lie unterzuordnen hat oder ob derSohn seine Frau gegen die Ansprücheseiner eigenen Herkunftsfamilie ver-

Matthias Neuenschwander, Dr.med., Facharzt für Psychiatrie undPsychotherapie FMH und Paarthe-rapeut IKPT lebt und arbeitet inBern in eigener Praxis.http://www.ikpt.ch, E-Mail:[email protected]

6 Fachwissen

Interaktional-Kognitive Paartherapie

teidigt. Erst die gemeinsame Entschei-dung der Partner über dasModell undvor allem die Akzeptanz auch derGrenzen, die mit jedem Modell ver-bunden sind, ermöglichen die Arbeitam Innenleben der Beziehung, demnächsten Behandlungsschritt.In einer gewissen Analogie zur Pla-ton’schen Unterscheidung der ver-schiedenen Formen der Liebe (Eros,Philia, Agape) arbeitet die IKPT mitdem Konzept von drei gut unter-scheidbaren Bereichen der Beziehung,dem erotischen, dem partnerschaftli-chen und dem unbewussten. Diesebilden die Innere Struktur jeder voll-ständigen Liebesbeziehung. Die dreiBereiche müssen vom Paar in seinem«gemeinsamen Projekt» wie parallel

laufende «Programme» ständig ge-staltet und weiterentwickelt werden.Jeder dieser Bereiche hat eigene Zieleund Regeln, aber auch spezifischeKonflikte und Störungsmuster.Während der erotische («Biologie derBeziehung») und der partnerschaftli-che Bereich («Kultur der Beziehung»)weitgehend im Bewusstsein liegen,und ihre Störungen in der Regelmit spezifischen Beratungs- undCoaching-Techniken bearbeitet wer-den können, verlangt die Aufarbei-tung des unbewussten Bereichs («Tie-fenpsychologie der Beziehung») um-fassende psycho- und beziehungsdy-namische Kenntnisse und Methoden.Die meisten Paare, welche mit Klagenüber Kommunikationsstörungen in

die Therapie kommen, weisen inWirklichkeit eine Verstrickung gegen-seitiger Fehlannahmen im unbewuss-ten Bereich auf, eine typische Kompli-kation vieler Liebesbeziehungen. DieVerstrickung äussert sich als systema-tische Entzweiung in «chronisch ent-gegengesetzte Meinungen» auch beikleinen Anlässen. Dadurch entstehenimmer wieder energieraubendeAuseinandersetzungen über die be-rüchtigten «Peanuts», welche sichschliesslich als generalisierteMissstim-mung in alle Beziehungsbereiche aus-breiten. Durch die mit der Zeit erstar-rende Rollenfixierung der Partnerwächst eine zunehmende Polarisie-rungs- und Eskalationstendenz heran,welche schliesslich in die Krise mit ih-ren Symptomen (wie chronischesStreiten, Schweigen, Verweigern, Dis-tanzieren, Anklammern, Druckaus-übung, Aussenbeziehungen, Tätlich-keiten) führt. Auch viele vermeintlichindividuelle «psychiatrische» Angst-,Zwangs-, Sexual-, Somatisierungs-,Erschöpfungs- und depressive Störun-gen lassen sich inWirklichkeit auf einelatente Verstrickung in der Partner-schaft zurückführen.Die Ursache der Verstrickung, derenAuflösung in der IKPT-Paartherapieoftmals das Kerngeschäft bedeutet,liegt in den «von Natur aus» unver-meidlichen Enttäuschungen unbe-wusster idealisierender Erwartungender Partner aneinander. Da Idealisie-rungen in der archaischen Schicht derPsyche stattfinden, in welchen nurschwarz-weiss gewertet werden kann,lassen sich die meisten subjektiv gros-sen Enttäuschungen in ihrem Ur-sprung als eine Art harmlose Neben-wirkung der für die Beziehung wert-vollen und höchst erhaltenswertengegenseitigen Idealisierungen auflö-sen. Die dazu unerlässliche kognitiveReflexion der beiderseits unbewuss-ten zirkulären Suggestionen und dieBewusstmachung der damit verbun-denen Einengung der bewusstenWahrnehmung auf «paranoide» In-terpretationen wird in der IKPT mitHilfe nicht-verbaler Techniken unter-stützt.Die therapeutische Bearbeitung derunbewussten Interaktion, unter ande-

Das kleine Tier

Lieber Noah, nimm mich mit,bald kommt der grosse Regen.Lass mich bitte nicht zurück,auch ich möcht überleben.Du siehst doch, winzig klein bin ich,ich brauch fast keinen Platz.Ich ess nicht viel, ich trinke nicht,ach, bitte lass mich auf dein Schiff,und sollt ich einmal seekrank sein,mach ich schnell alles rein!

Und Noah sprach: «Du hast Glück»zu unserem kleinen Tier.«Die Bemeise kommt nicht mit,sie bleibt freiwillig hier.Sie mag nicht mit der Ameise die Schiffskajüte teilen.Du kannst jetzt ihren Schlafplatz haben,doch eines muss ich dir noch sagen,ich warne dich, schnarche nicht,sonst bleibst auf meiner Arche nicht!»

Am Himmel droht schon ein Regenbogen,die Sonne schleicht sich fort.Die ersten Tropfen fallen schon,die Tiere gehen an Bord.Unser kleiner Freund ist auch dabei,der beste Freund der Welt!Kein Tier ist so treu, so anhänglich,aber was an ihm das Schönste ist,wenn sich die Menschen einmal nicht mehr lieben,dann stirbt sie aus, unsere kleine Filzlaus.

Ludwig Hirsch (1946–2011)

rem mit Hilfe von Malen und Imagi-nationen, erfordert eine Erkundungder individuellen Herkunft beiderPartner hinsichtlich ihrer erworbenenBeziehungsmuster (Konflikte und Be-wältigung) wie auch ein Wiedererin-nern der ursprünglichen Phantasien inder Zeit der Partnerwahl. Das ge-meinsame Bewusstwerden der sub-jektiven Bedeutung von gegenseiti-gem Idealisieren und Enttäuschen unddie innere Logik der Partnerwahl mitdem Ziel, das «gemeinsame irdischeParadies» zu gewinnen, führenschliesslich zur nachhaltigen Wieder-herstellung der inneren gegenseitigen«positiven Konnotation» des Partners,der unabdingbaren Voraussetzung fürdie Liebe.

7Fachwissen

Interaktional-Kognitive Paartherapie

Individueller TherapieverlaufDie IKPT ist in ihrem Ablauf so struk-turiert, dass jederzeit eine Orientie-rung (Navigation) für den Therapeu-ten wie auch für das Paar möglich ist,was, wann, wie und wozu etwas be-arbeitet wird. Die zeitliche Abfolgeder grundlegenden therapeutischenSchritte ist in vier Phasen organisiert.Sowohl für jede Therapiephase alsauch für spezifische strukturelle As-pekte wie auch für inhaltliches Mate-rial aus allen Bereichen stehen spezifi-sche Konzepte und Werkzeuge zurVerfügung.Jeder individuelle Therapieverlauf hatdabei seinen eigenen Rhythmus undFahrplan. Der Therapeut passt den

Einsatz der IKPT-Werkzeuge, welcheden Charakter von Bausteinen haben,den jeweils aktuellen Bedürfnissen desPaares wie auch dem stillen «Main-stream» des therapeutischen Prozes-ses an. Er kann seine therapeutischeKreativität im Rahmen der IKPT-Grundstrukturen nach seinen eigenenMöglichkeiten und Erfahrungen ein-bringen.Zur Ausbildung undMitgliedschaft imIKPT Institut (www.ikpt.ch), demNetzwerk der IKPT-PaartherapeutIn-nen, sind nur ÄrztInnen und Psycho-logInnen mit Hochschul- oder Fach-hochschulabschluss und mindestensfortgeschrittener Ausbildung in Psy-chotherapie zugelassen.

Matthias Neuenschwander

Schicksalsanalytische Psychotherapie nach Leopold Szondi

Postgraduale Weiterbildung in psychoanalytischer und schicksalsanalytischer Therapie

TheologInnen, GermanistInnen usw. sind zum Studium zugelassen und n ihre Ausbildung um die psychotherapierelevanten

Dauer: 4 Jahre berufsbegleitend / Blockseminare

Kosten: Fr. 3’900.- / Jahr – Beginn April 2012 Weitere Informationen unter www.szondi.ch

konneFacher erganzen.

Stiftung Szondi-Institut, Krahbuhlstr. 30, 8044 Zurich, Telefon 044 252 46 55, Email: [email protected]

fur PsychologInnen mit (Fach-)Hochschulabschluss und MedizinerInnen. Andere Hochschul-AbsolventInnen wie

Szondi-Institut

8 Fachwissen in Bildern

Symmetrien

9Fachwissen in Bildern

Symmetrien

Die Fotografin Linda Pollari lebt und arbeitetin Zürich.

Sie hat an der Zürcher Hochschule der Künste(ZHdK) Fotografie studiert.

Für punktum. hat sie sich dem Thema «Paare»über Objekte und Gegenständeaus unserem Alltag genähert.

10 Fachwissen

Pas de deux auf Führungsstufe

Topsharing

Gemeinsam an der Spitze: Topsharingist Jobsharing in Führungspositionenmit einem definierten Anteil gemein-samer Verantwortung. Das Modelldes Topsharings dient als Planungsin-strument für die Einführung von Job-sharing in Führungspositionen undbei qualifizierten Arbeitsaufgaben.

Führung ist teilbar. Das beweisen nichtnur zahlreiche Studien, sondern auchFrauen undMänner, die sich eine Füh-rungsaufgabe teilen. Für ein solchesTopsharing-Paar kann immer wiederBeratungsbedarf entstehen. Denn inder Praxis zeigt sich: Damit man in ei-nem Jobsharing auf Führungsstufenicht ausbrennt, muss man sich gutorganisieren, abgrenzen und Klartextreden können.

*Der Anruf kommt von der Vorgesetz-ten: Sie habe an ihrem Hochschulin-stitut eine Professur im Jobsharingeingerichtet und möchte mit den bei-den Co-Professorinnen eine Zwi-schenbilanz ziehen. Sie selbst sei sehrzufrieden mit der Arbeit der beiden,habe jedoch den Eindruck, mindes-tens eine der beiden Frauen laufe amLimit. Wir vereinbaren ein Erstge-spräch zu viert: die Institutsleiterin,die beiden Co-Leiterinnen und ich alsBeraterin.

*Teilzeitarbeit ist in der Schweiz weitverbreitet: 58 Prozent der Frauen und14 Prozent der Männer arbeiten we-niger als 90 Prozent. Der Wunsch vonweiblichen und männlichen Füh-rungskräften nach Teilzeitarbeitnimmt laufend zu. Teilzeitarbeit undJobsharing auf Führungsstufe ist nochwenig verbreitet in Schweizer Unter-nehmen. Falls es überhaupt ermög-licht wird, gilt es in erster Linie als In-strument zur besseren Vereinbarkeitvon Beruf und Familie für Mütter undVäter. Doch ein Topsharing erleichtertauch Führungspersonen ohne Betreu-ungspflichten eine bessere Balancezwischen Arbeits- und Privatleben.Dies, so weiss man aus verschiedenenUntersuchungen, erhöht die Motiva-tion und die Produktivität der Arbeit-nehmenden und damit ihre Zufrie-

denheit mit dem Arbeitsplatz. EinTopsharing kann auch den Einstieg ineine Führungsposition erleichtern:Eine Nachwuchsführungskraft profi-tiert im Tandem mit einer erfahrenenFührungsperson von deren Know-how, kann selber Erfahrungen sam-meln und die eigene Führungskom-petenz entwickeln.

*Die beiden Co-Professorinnen hattenvor ihrem Einstieg ins Jobsharing kei-ne Führungserfahrung. Sie sind mitei-nander ins kalte Wasser gesprungen.Ihr Jobsharing nehmen sie fachlichund menschlich als grosse Bereiche-rung wahr. Dass das Ganze mehr istals die Summe seiner Einzelteile, be-stätigt auch ihre Vorgesetzte: «DieProfessur wäre mit einer Alleinpro-fessorin nicht dort, wo sie jetzt steht.»Die Co-Professorinnen schätzen, dasssie Entscheidungen im Austausch fäl-len können und «nicht alles allein tra-gen müssen». Dadurch lernen sievon- und miteinander. Die Kehrseiteder Medaille: Beide arbeiten zu viel,nehmen kaummehr Freitage und sindnach etwas mehr als einem Jahr derZusammenarbeit in diesem Modellerschöpft. Sie sehnen sich nach Ent-lastung. Wir kommen überein, dasswir ohne die Vorgesetzte weiterarbei-ten und als Erstes eine Bestandesauf-nahme vornehmen werden: Welchessind ihre Kernaufgaben? Wie verteiltsich gegenwärtig die Arbeitszeit derbeiden auf die einzelnen Aufgaben?Wo wollen sie Prioritäten setzen?Wie wollen sie ihre Arbeitszeit künf-tig verteilen?Eine Hochschulprofessur umfasst ne-ben der Lehr- und ForschungstätigkeitOrganisations- und Koordinations-aufgaben, Akquisition von For-schungsprojekten, Personalführung,Teamentwicklung, Gremienarbeit in-nerhalb der Hochschule sowie diestrategische Profilierung der Professurgegen aussen durch Publikationenund Auftritte an Tagungen. Ein um-fangreiches Aufgabenportfolio –selbst für zwei Personen. Für ein Job-sharing-Paar kommt noch die Ab-stimmung untereinander dazu. Dochdafür fehlt den beiden Frauen dieZeit. Sie stellen fest: «Wir wissen oft

nicht, was die andere tut und was siegerade beschäftigt. Die gegenseitigeInformation kommt zu kurz.»

*Das Modell Topsharing (siehe Abbil-dung) baut auf drei Eckpfeilern auf:Arbeitsinhalt (was tun wir? wer tutwas?), Arbeitsorganisation (wie undmit welchen Hilfsmitteln tun wir es?)und gemeinsame Verantwortung(welche Aufgabenwerden von beidenPersonen gemeinsam getragen?).Dreh- und Angelpunkt des Modellsbilden der dialogische Kern, der Aus-tausch und die Abstimmung desPaars: Gibt es Zeitfenster für die Kom-munikation und die Koordination?Verfügen beide über die für ihre Arbeitund die Zusammenarbeit notwendi-gen Informationen? Findet eine Re-flexion über das eigene Tun und diegemeinsamen Werte und Haltungenstatt? Der Dialog zwischen den betei-ligten Personenmit ihren unterschied-lichen Meinungen und Ansichten er-weitert das Blickfeld: Probleme wer-den von verschiedenen Seiten be-trachtet, und es entstehen neue –nicht selten: bessere – Lösungen. Da-mit ein Topsharing erfolgreich sein

Trix Angst ist dipl. Psychologin FHund SBAP.-Vorstandsmitglied. Siearbeitet als freiberufliche Arbeits-undOrganisationspsychologin undBeraterin in Zürich und Winterthur.Sie hat sich auf das Thema Frauenund Führung spezialisiert. WeitereSchwerpunkte sind Zusammenar-beit und Kommunikation.

11Fachwissen

kann, braucht das Paar eine offeneKommunikation, die Bereitschaft zurVeränderung und ein partnerschaftli-ches Führungsverständnis. Man mussKontrolle loslassen können und esaushalten, wenn der Partner oder diePartnerin etwas anders anpackt, alsman es selber tun würde.

*Die beiden Co-Professorinnen habenihre Aufgaben nach fachlichen Inhal-ten mit Verantwortungsschwerpunk-ten aufgeteilt, die Personalführungund Gremienarbeit in der Hochschu-le bestreiten sie gemeinsam. Es wirddeutlich: Sie leisten viel administrati-ve Arbeit, die sie eigentlich lieber de-legieren würden. Und sie haben nurwenige Besprechungen miteinander,weil ihre Terminkalender dicht zuge-bucht sind. Sie beschliessen, eineStelle für eine wissenschaftliche Mit-arbeiterin auszuschreiben (die Bewil-ligung hierfür liegt schon seit einiger

Topsharing

Zeit vor) und mehr Unterstützungdurch das Sekretariat in Anspruch zunehmen. Und sie bezeichnen eineReihe von Aufgaben, die sie an Do-zierende abgeben wollen. Damitschaffen sie sich freie Zeit. Freie Zeit,die sie für die Kommunikation unddie Koordination ihres Jobsharingssowie für die Führungsarbeit einset-zen wollen. Aber wie? Wie viel Zeitbrauchen sie dafür? Angesichts dergegenwärtigen Belastungssituationerscheint den beiden Frauen jedeStunde als Mehraufwand – erst nachlängerer Diskussion lassen sie sichüberzeugen, dass ihnen der vermeint-liche Mehraufwand Entlastung brin-gen wird.Sie fassen zwei Beschlüsse. Erstens: InZukunft wollen sie jede Woche einenhalben Tag gemeinsam im Büro sein.In dieser Zeit wollen sie eine fixe Be-sprechung ansetzen, sich aber auchZeit nehmen für Gespräche, Themen

oder Ideen, die sich spontan ergeben.Diesen wenig strukturierten Teil derArbeit empfinden beide als Bereiche-rung – sie hatten ihn in den zurück-liegenden Monaten allerdings ver-nachlässigt. Zweitens: Zweimal proJahr wollen sie sich zu einer zweitä-gigen Retraite zurückziehen. Die eineKlausur soll dem fachlichen Aus-tausch, dem Lernen voneinander unddamit der Weiterbildung gewidmetsein, die andere dem Rück- und Aus-blick: Bilanzieren des zu Ende gehen-den Jahres, Schwerpunkte, Aufgabenund Verteilung der Arbeitszeit für daskommende Jahr festlegen, Diskussionüber die strategische Ausrichtung unddie Visionen für ihre Professur. In ei-ner separaten Sitzung orientieren sieihre Vorgesetzte über die Neuerungenund vereinbaren mit ihr, wann siewieder gemeinsamBilanz ziehenwol-len.

*

!"#$%&'%()*+&,-*+%.%/%$"&$

!"#$%&'*-.0*#$(

1*(/)$%&+%2)3$%&4

5$"41$'*6&*-.0*#$

!-.&$%+-(045$"4

%()*+&+%2)$(4!-.0*#$(

7(&$"'2)%$5+%2)$

8$"*(&9:"&-(0'#$"$%2)$

;%*+:0%'2)$"

<$"(

!"#$%&'()*$+&,-.$,%&'/&0.$1+,2.&3

4.11%&25+,2.&6%&76

4..$72&+,2.&

8$%&7#+9,%&'

1$6$%('*6$

8$"*(&9:"&-(0

!"#$%&'=

:"0*(%'*&%:(

>(&'2)$%5-(0'?":/$''$@%$"*"2)%$'&-.$

<$"(*-.0*#$A$+#'&:"0*(%'%$"&$"

1$'&*+&-(0''?%$+"*-6

B(."*'&"-3&-"<:(.+%3&=

C$")*+&$(

D$%&+%2)$

4!-.&$%+-(04

5$"4!"#$%&

E:)('F'&$6A:/%*+$

A%2)$")$%&

A&$++C$"&"$&-(0

!"#$%&'C$"&"*0

,-*+%.%/%$"&$

!"#$%&'*-.0*#$(

-*+%.%/%$"&$

"#$%&'*-.0*#$(

1*(/)$%&+%2)3$%&4

5$"41$'*6&*-.0*#$

7

8

!-.&$%+-(045$"4

%()*+&+%2)$(4!-.0*#$(

7(&$"'2)%$5+%2)$

8$"*(&9:"&-(0'#$"$%2)$

#$(

!""#$%&'()*$+&,-.$,%&'

8$%&7#+9,%&'

.$1+,2.&3

11%&25+,2.&6%&76

.$72&+,2.&

>(&'2)$%5-(0'?":/$''$'2)$%5-(0'?":/$''$

:(.+%3&=

$")*+&$(

8$%&7#+9,%&'

0(-&$"&"$C++$&A

!"#$%&'C$"&"*0

@%$"*"2)%$'&-.$

$%&'C$"&"*0

B(."*'&"-3&-"

D$%&+%2)$

!-.&$%+-(04

5$"4!"#$%&

<$"(*-.0*#$"(*-.0*#$'&:"0*(%'%$"&$"

1$'&*+&-(0''?%$+"*-6

A:/%*+$

A%2)$")$%&

0

E:)('F'&$6

Modell Topsharing im Überblick (Kuark, 2003)

12 Fachwissen12

Topsharing

Ein Topsharing ist ein anspruchsvollesUnterfangen – für das betroffene Paar,für die ihnen Unterstellten und für dieVorgesetzten. Ein Topsharing willsorgfältig aufgegleist und eingeführtsein. Die Erfahrung in der Beratungvon Topsharing-Paaren zeigt, dass derArbeitsinhalt, die Aufgaben und dieVerantwortung in der Regel gut auf-geteilt und die An- und Abwesenhei-ten gut geplant werden. Alles Weite-re, so die implizite Annahme, wird sichvon selbst ergeben oder besprochen,falls sich ein Problem stellt. Im Ar-beitsalltag wird die Bedeutung desdialogischen Kerns (siehe Abbildung)gern unterschätzt. Es empfiehlt sichdeshalb, dass das Paar die Koordinati-on und die Kommunikation des Top-sharings als eine zentral wichtige Auf-gabe behandelt und bei der Planunggleichberechtigt neben inhaltlicheAufgaben und Führungsaufgabenstellt und entsprechend Zeit dafür ein-räumt. Ein Topsharing will auch ge-pflegt sein. Es braucht regelmässigeAuszeiten zur Reflexion der Zusam-

menarbeit, der Aufgabenerfüllung,der Zielerreichung, der strategischenAusrichtung etc.Eine wichtige und wiederkehrendeAufgabe ist auch die Kommunikationgegen aussen: Vorgesetzten, Mitar-beitenden sowie Kolleginnen und Kol-legen muss klar sein (und bleiben),dass das Topsharing-Paar für die Füh-rungsaufgaben gemeinsam nur so vie-le Ressourcen zur Verfügung hat wieandere Führungspersonen je einzeln.Dieser Umstand gerät gern in Verges-senheit, insbesondere bei Paaren, dieeinen grossen Output haben und auf-grund ihres «doppelten Vorhanden-seins» eine permanente Verfügbarkeitsuggerieren. Es darf nicht die Erwar-tung entstehen, dass das Topsharing-Duo je einzeln einen genauso grossenBeitrag leistet wie andere Führungs-personen.

*

In der Zwischenzeit haben die beidenProfessorinnen einen neuen Arbeits-rhythmus gefunden und halten regel-mässig ihre Besprechungen zu zweitab. Die neuen Strukturen haben zu ei-ner spürbaren Entlastung geführt.Auch eine erste Retraite hat stattge-funden. An einem schönen Ort, fern-ab der Hochschule. Kürzlich hat micheine E-Mail der beiden Professorin-nen erreicht. Sie schreiben, die Bera-tung habe ihnen in schwierigen Zei-ten geholfen, die Kurve zu finden –«so dass es uns immer noch gibt».

Trix Angst

LiteraturKuark, J.K. (2003). Das Modell Top-Sharing: Gemeinsam an die Spitze.Lenzburg: JKK Consulting(www.topsharing.ch).Baillod, J. (2001): Teilzeitarbeit undJob Sharing in Führungspositionen. In:Ulich, E. (Hrsg.). Beschäftigungswirk-same Arbeitszeitmodelle.Zürich: vdf Hochschulverlag.

Weiterbildung Systemische Therapie und Beratung

• Start Grundlagen im September 2012Infoabende siehe HP

• Start Vertiefung im November 2012Infoabende siehe HP

• Humor und provokative Herausforderungen bei Depressionen, Ängsten und Zwängen.Peter Hain. 9.-10. November 2012(Modul für PsychologInnen und ÄrztInnen mit systemischer Grundausbildung)

Weiterbildungen für alle interessierten Fachleute

• Die Kraft der Mehrgenerationenperspektive. Systemchoreografien und Skulpturen.Gunther Schmidt. 9.-10. März 2012

• 2. Hypnosystemische Tagung in Zürich 15.-17. Juni 2012Infos / Anmeldung www.hypnosystemische–tagung.ch

• Spuren des Erfolgs – Systemische Therapie trifft Neurobiologie.Rainer Schwing. 12.-13. September 2012

• ich schaff’s. Das lösungsorientierte Programm für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.Thomas Hegemann. 1.-2. Oktober 2012

Programme/Anmeldung/Informationsabende: www.ief-zh.ch, IEF Institut für systemische Entwicklung undFortbildung, Voltastrasse 27, 8044 Zürich, Tel. 044 362 84 84, [email protected]

von Tieren auf den Menschen. Manfand positive Effekte der Anwesenheitvon Hunden, welche die Konzentrati-onsfähigkeit von Kindern fördern (Gee,Church & Altobelli 2010) und Aggres-sion im Klassenzimmer reduzieren (Ol-brich & Schwarzkopf 2003). Hippothe-rapie wird vor allem erfolgreich einge-setzt bei Störungen der koordinativ-kognitiven Funktionen (Scheidhacker2003). Viele Tiere übertreffen Men-schen mit ihrer Sensibilität für dieWahrnehmung somatischer Prozesse –ein Hund hört den Herzschlag seinesHalters über etwa einen Meter Distanzhinweg, er riecht seinen Handschweiss,kann bei ihm Anzeichen von Hypogly-kämie wahrnehmen und vieles mehr(Olbrich & Beetz 2000).

gegenüber den Tieren mehr ein, son-dern war aus gemeinsamen Vorfahrenentstanden. Darwin wies auch als Ersterdarauf hin, dass das Fehlen von Sprachekeinen Beweis für einen grundlegendenUnterschied zwischen Mensch und Tierdarstelle: «Die Tiere empfinden wie derMensch Freude und Schmerz, Glückund Unglück» (Darwin 1906). Trotz dergrossen Empörung, die ihm entgegen-schlug, war die Ausbreitung von Dar-wins Theorien nicht mehr aufhaltbar.Dass Tiere Gefühle haben, wird abererst seit etwa 30 Jahren in der Wissen-schaft allgemein anerkannt. Inzwischenbeschäftigen sich Forscher aus der Etho-logie, Biologie, Neurologie und Psycho-logie mit den Gefühlen von Tieren.Unter dem Begriff «Heimtier» werdenallgemein Tiere verstanden, die derMensch ohne ökonomische Überle-gungen, als reines Vergnügen oder ausLiebhaberei in seinem Haus hält. In derSchweiz werden neben Vögeln undNagern vor allem Hunde (0,5 Millio-nen) und Katzen (1,5 Millionen) gehal-ten. Sie gehören zu denwenigen Heim-tieren, die nicht in Käfigen gehaltenwerden und trotzdem beim Menschenbleiben. Sabine Thor (2002) gibt fol-gende Erklärung, wieso Heimtiere heu-te so beliebt sind: Die Nähe zum Tier seigerade deswegen so reizvoll, weil wirzugleich eine Andersartigkeit undFremdheit spürten und weil wir ahnenkönnten, dass wir in ihm etwas von unsselbst wieder erkennen könnten.

«Bio-psycho-soziales Wirkgefüge»Als Folge der Erkenntnis, dass Tiereüber ein weites Spektrum von Gefüh-len verfügen, wurde auch immer mehrder positive Effekt der Mensch-Tier-Beziehung wissenschaftlich erforscht.Heute wird die Beziehung zwischenMensch und Tier oft als ein «bio-psy-cho-soziales Wirkgefüge» (Otterstedt2000) bezeichnet.Erst seit den achtziger Jahren des letz-ten Jahrhunderts werden (Heim-)Tiereauch therapeutisch eingesetzt, nach-dem Erika Friedmann herausgefundenhatte, dass die Haltung von Heimtierendie Überlebenschance von Patientennach einem Herzinfarkt erhöht (Fried-mann 2000). Seither stand im Fokusder Forschung vor allem die Wirkung

«Geliebt, verhätschelt, verstossen»heisst der Titel einer Heimtier-Ausstel-lung, die vom 3. März bis zum 10. Juniim NaturmuseumWinterthur zu sehenist. Sie beleuchtet die Sonnen- undSchattenseiten der Haustierhaltung.Die Beziehung des Menschen zu «sei-nen» Tieren war schon immer wandel-bar und widersprüchlich. – In den letz-ten Jahrzehnten wurden Tiere für denMenschen zum Sozialpartner. Und garzum Co-Therapeuten.

Während langer Phasen in der mensch-lichen Evolution waren Mensch undTier eng miteinander verbunden. In derVorstellung des Menschen gab es kei-ne Grenze zwischen «Tierischem» und«Menschlichem» (Greiffenhagen 1991).Tiere wurden in den von Animismus,Schamanismus und Totemismus ge-prägten frühen Jäger-Sammler-Gesellschaften als wesensverwandteGeschöpfe angesehen, kultisch verehrt,und es wurde ihnen grosser Respektentgegengebracht. Im antiken Romund Griechenland besassen nur nochGötter die schamanische Fähigkeit, sichin Tiere zu verwandeln, um ihre wahreErscheinung zu verbergen, und es folg-te eine Trennung zwischen der einst sotiefen Verbundenheit von Mensch undTier (Serpell 2000).

Darwins TheorienDieser Trennung folgte ein jahrhunder-telanger respektloser Umgang mit Tie-ren, die vor allem als Nahrungslieferantund Handelsware dienten.Im Mittelalter wurde eine zu enge Be-ziehung zu Tieren schnell als Verbin-dungmit dem Teuflischen gesehen undgnadenlos geahndet. Mit dem sich ver-breitenden Humanismus im 16. Jahr-hundert wurde das Tier von dem Philo-sophen Descartes als Maschine ohneMoral, Rationalität, Verstand, Seele,Bewusstsein und Geist angesehen.Selbst das Empfinden von Schmerzwurde ihm aberkannt. Dies bedeuteteeine noch tiefere Trennung zwischenMensch und Tier.1859 zeigte Charles Darwin mit derEvolutionstheorie, dass neue Artendurch natürliche Selektion aus schonbestehenden Arten entstehen. Damitnahm derMensch keine Sonderstellung

Ein langer Weg zur sozialen Partnerschaft

Mensch und Tier

Fachwissen 13

Barbara Fehlbaum, Dr. phil. I, Not-fallpsychologin und Tierpsycholo-gin I.E.T., studierte an der Universi-tät Zürich Ethnologie und Psycho-logie und spezialisierte sich auftranskulturelle Psychologie. Bei PDDr. Dennis C. Turner, dem weltweitbekannten Erforscher vonMensch-Tier-Beziehungen, schloss sie dasTierpsychologiestudium 2007 ab.Neben ihrer Tätigkeit im notfall-psychologischen Bereich ist sie Teil-zeitassistentin bei PD Dr. Dennis C.Turner und führt eine eigene Praxisfür Verhaltensberatung von Hun-den und Katzen. Sie ist Präsidentindes Vereines für TierpsychologIn-nen I.E.T. (V.I.E.T.A.).

Diese und viele weitere positive Effek-te vor allem von Hunden auf die Ge-sundheit und das Wohlbefinden vonMenschen wurden in den letzten 30Jahren zusammengetragen.Noch weitgehend unerforscht ist je-doch die andere Seite, die Wirkung desMenschen auf das Tier in all den er-wähnten Einsatzgebieten von Heimtie-ren. Einige Hinweise gibt es aus derMensch-Tier-Beziehung, wenn das Tiernur als Heimtier gehalten wird. Im Zen-trum steht dabei unter anderem das so-genannte «Wohlfühlhormon» Oxyto-cin, ein Gegenspieler des Stresshormo-nes Cortisol. Das Hormon wird bei bei-den Geschlechtern von der Hypophyseabgegeben. Bei der Frau ist es zum Bei-spiel für die Auslösung der Wehen undspäter des Milchflusses verantwortlich.Odendaal und Meintjes untersuchtenbereits 2003 die Rolle von Oxytocin inder Beziehung zwischen Mensch undHund. Bei 18 Freiwilligen und ihrenHunden massen sie die Oxytocinmen-ge im Blut vor und nach ihrer Interakti-on mit dem Hund, Blutdruck undStresshormone nahmen ab, Oxytocinnahm bei beiden Partnern zu. Also hat-te die Hund-Mensch-Interaktion fürbeide Partner eine beruhigende, stress-mindernde Wirkung. Eine spätere Stu-die bestätigte dies, fand aber, dassOxytocin nur bei Frauen anstieg, nichtaber bei Männern (Miller et al. 2010).

«Tiere als Partner»Problematisch aus Tierschutzsicht wer-den die Heimtierhaltung und der Ein-satz von Tieren in der therapeutischenArbeit dann, wenn die Bedürfnisse desTieres nicht erfüllt sind. Eine Folge vonHaltungsfehlern sind Verhaltensproble-me, die so vielfältig sein können wieAggression gegenüber dem Halter(oder anderen Tieren) bei Hund undKatze oder Markierverhalten und Un-sauberkeit bei der Katze. Ebenfalls häu-fig sind Angststörungen bei beidenTierarten.Solche Verhaltensprobleme sind häufigein Grund dafür, dass Heimtierhalter ihrTier im Tierheim abgeben. Der Schwei-zer Tierschutz (STS), der Dachverbandvon 70 regionalen und kantonalen Tier-schutzvereinen in der Schweiz undLiechtenstein, verzeichnete 2010 über

27 000 in Tierheimen abgegebene Tie-re, Tendenz steigend, mit jährlichen Zu-nahmen zwischen 10 und 15 Prozent.Bei 10,3 Prozent der Hunde und 18,1Prozent der Katzen geben die ehemali-gen Halter als Grund für die Abgabe an,das Tier habe Verhaltensprobleme(Miccichè 2003).Auch aus einer übertriebenen Mensch-Tier-Beziehung und Vermenschlichungvon Tieren kann in der momentanenEntwicklung eine neue «Missbrauchs-dimension» für das Tier entstehen.Im Therapiebereich verfügen zwar vie-le Organisationen wie der Verein The-rapiehunde Schweiz oder die Gesell-schaft für tiergestützte Therapie undAktivitäten (GTTA) über eine fundierteAusbildung für Therapiehunde und ihreHalter sowie über strenge Richtlinien,bei denen die Dauer und Anzahl derEinsätze der Tiere festgelegt sind, damitdie Therapiehunde nicht überfordertwerden. Es gibt jedoch keine systema-tischen wissenschaftlichen Untersu-chungen darüber, wie beispielsweiseandere Tiere im Therapieeinsatz gehal-ten und behandelt werden. Es ist daherunbekannt, ob und wie häufig Miss-brauch der Tiere in der therapeutischenSituation vorliegt.Die Tierärztin Rosmarie Poskocil (2012)hat 51 Pflegeheime in Österreich be-sucht und deren Katzenhaltung beur-teilt. Das Resultat war ernüchternd. Siestellte vielerorts entscheidende Hal-tungsfehler fest, es fehlte häufig sogaram Nötigsten für diese Katzen, die «fürdie Senioren» angeschafft wurden. Nurein einziges Pflegeheim hatte die Katzegezielt für ihren Einsatz als Therapietierausgesucht und speziell darauf geach-tet, dass es ein menschenfreundlichesund gelassenes Tier ist.In vielen Heimen konnte Poskocil beimGrossteil der Katzen (70,1 Prozent) Ver-haltensstörungen feststellen, teils littendiese unter massiven Angststörungenund starker Unsicherheit, was sich teil-weise auch in defensiver Aggressiongegenüber den Menschen äusserte,wenn man sie zu berühren versuchte.Diese Tiere verkrochen sich tagsübermehrheitlich und kamen nur nachtshervor. Ebenfalls ungenügend war dietierärztliche Versorgung, mancherortsfehlte es gar an genügend artgemäs-

sem Futter. Das Fazit ihrer Studie war,dass nur ganz wenige Senioren in denPflegeheimen überhaupt von der Kat-zenhaltung profitieren konnten, da dieKatzen kaum von sich aus Kontaktsuchten. Das Problem waren schlechteHaltung und fehlende Rückzugsmög-lichkeiten, aber auch, dass sich diemeisten Katzen nicht für einen thera-peutischen Einsatz eignen. Diese Studielässt sich nicht einfach auf die Schweizübertragen, zeigt jedoch auf, welchetierschutzrelevanten Situationen ent-stehen können, wenn die Bedürfnisseder Tiere auch im therapeutischen Um-feld nicht beachtet werden.Die grundlegende Erkenntnis von PDDr. Dennis C. Turner bringt es auf denPunkt, wie wir den Umgangmit Tieren,

Mensch und Tier

Fachwissen14

Eva Waiblinger, Dr. sc. nat., Ver-haltensbiologin, hat an der Univer-sität Zürich Zoologie studiert, überdie Mutter-Kind-Beziehung bei Ja-vaneraffen diplomiert und eineDoktorarbeit über die Ursachenvon Verhaltensstörungen bei Renn-mäusen in der Laborhaltung ver-fasst. Sie betreut die FachstelleHeimtiere des Schweizer Tierschut-zes STS, arbeitet als Teilzeitassis-tentin von PD Dr. Dennis C. Turnerund ist Vorstandsmitglied des Ver-eines für Tierpsychologinnen undTierpsychologen I.E.T. (V.I.E.T.A.).

egal ob im privaten oder therapeuti-schen Kontext, gestalten sollten: «Nurwenn wir in unserem Verhalten Tiereals Partner respektieren und ihnen art-und tiergerechte Haltung anbieten,dürfen wir erwarten, dass sie uns alssoziale Partner Wertvolles wiederge-ben.»

Barbara Fehlbaum, Eva Waiblinger

LiteraturDarwin, Ch. (1906): Darwins Weltan-schauung von ihm selbst dargestellt,Verlag E. Salzer.Friedmann, E. (2000): The Animal-Hu-man-Bond: Health and Wellness. In:Handbook on Animal-Assisted Thera-py. Theoretical Foundations and Gui-delines for Practice. Ed. Aubrey Fine.Academic Press.Gee, N.R., Church, M.T., & C.L. Alto-belli (2010): Preschoolers make fewererrors on an object catgorization task inthe presence of a dog. Anthrozoos 23(3).Greiffenhagen, S. (1991): Tier als The-rapie. Droemer Knaur.Miccichè, S. (2003): Détention deschiens et des chats dans les refuges etles pensions. Doktorarbeit. Veterinär-medizinische Fakultät, UniversitätBern.Miller, S.C., Kennedy, C., DeVoe, D.,Hickey, M., Nelson, T., & Kogan, L.(2009): An examination of changes inoxytocin levels in men and women be-fore and after interaction with a bon-ded dog. Anthrozoos 22 (1): 31-42Odendaal, J.S.J., & Meintjes, R.A.(2003): Neurophysiological correlatesof affiliative behaviour between Hu-mans and dogs. The veterinary Journal165.Olbrich, E., & Beetz, A. (2000): Tierge-stützte Therapie – Was wirkt? In: Tiereals therapeutische Begleiter. Ed. Beetz,A. & Ford, G. Tiere helfen Menschene.V., Eigendruck, Würzburg.Olbrich, E., & Schwarzkopf, A. (2003):Lernen mit Tieren. In: Menschen brau-chen Tiere. Grundlagen und Praxis dertiergestützten Pädagogik und Thera-pie. Ed. Olbrich, E., & Otterstedt, C.Franckh-Kosmos Verlags GmbH, Stutt-gart.Otterstedt, C. (2000): Die heilendeWirkung von Tieren auf Menschen. In:

Beetz, A., & Ford, G. (Hrsg.): Tiere alstherapeutische Begleiter. Tiere helfenMenschen e.V., Eigendruck,Würzburg.Poskocil, R. (2012): Lebensbedingun-gen von Katzen in Alters- und Pflege-heimen. Verhaltensstrategien, Effizienzfur die Bewohner, tierschutzrelevanteAspekte. Abschlussarbeit als tierpsy-chologische Beraterin I.E.T., unveröf-fentlicht.Scheidhacker,M. (2003): Psychothera-peutisches Reiten in der psychosoma-tischen Therapie. In: Menschen brau-chen Tiere. Grundlagen und Praxis der

Mensch und Tier

Fachwissen 15

tiergestützten Pädagogik und Thera-pie. Ed. Olbrich, E. & Otterstedt, C.Franckh-Kosmos Verlags GmbH, Stutt-gart.Serpell, J. (2000): Animal companionsand human well-being: An historicalexploration of the value of human-ani-mal relationships. In: Handbook onAnimal-Assisted Therapy. TheoreticalFoudnations and Guidelines for Practi-ce. Ed. Aubrey Fine. Academic Press.Thor, S.: Mensch-Tier-Beziehung. On-line: www.gesundheitsgespraech.de(31.07.2002).

MAS Kinder- & JugendpsychotherapieIm Zentrum der Ausbildung steht eine methodenübergreifende Ausrich-tung, die an Stärken und Ressourcen der Kinder, Jugendlichen und Familien anknüpft. Es werden verschiedene evidenzbasierte Ansätze sowie Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie integriert. Abschluss: Master of Advanced Studies ZFH in Kinder- & Jugend- psychotherapie.

Beginn: Herbst 2012

Infoveranstaltung: Montag, 14. Mai 2012, 18.15 Uhr, IAP, Merkurstrasse 43, Zürich

Info und Anmeldung: Telefon +41 58 934 83 30, [email protected], www.iap.zhaw.ch/mas-kjpt

MAS Systemische BeratungIn Kooperation mit dem ZSB Bern

Der MAS vermittelt Kenntnisse in systemischer, ressourcen- und lösungs-orientierter Beratung und deren Umsetzung in die Beratungspraxis.Abschluss: Master of Advanced Studies ZFH in Systemischer Beratung.

Beginn: 12. März 2012

Info und Anmeldung: Tel. +41 58 934 83 72, [email protected], www.iap.zhaw.ch/wb-therapie

Verbrechen sind ein dankbarer Er-zählstoff: Sie entsetzen, üben aber zu-gleich eine schaurige Faszination aus.Dichter und Verbrecher zählen zu denklassischen Paaren in der abendländi-schen Geistesgeschichte – die einennützen ihre Phantasie zur Sprach-kunst, die andern zur Planung einesVerbrechens.

Seit der Antike gehört das Verbrechenzu den prominentestenMotiven in derLiteratur. «Das Namenregister derWeltliteratur kommt einer Verbrecher-kartei gleich», meinte der österrei-chische SprachwissenschaftlerWende-lin Schmidt-Dengler, «das gilt schonfür die Anfänge der abendländischenLiteratur: Das Alte Testament beginntmit einem Verbrechen, und auch dieGriechen, die allgemein als die Be-gründer des humanen Denkens undFühlens gelten, haben den Archetypenverschiedener Verbrechen in ihrenMythen die Konturen gegeben: Da istOrest, der Muttermörder, Ödipus, derVatermörder, Klytaimestra, die Gat-tenmörderin, Medea, die Kindermör-derin, Eteokles und Polyneikes, dieBrudermörder, die einander wechsel-seitig töteten. Im Wahn mordet dergrosse Held Herakles blindlings – erwird zum Amokläufer. […] Das Nibe-lungenlied besteht aus einer nicht ab-reissenden Folge von Verbrechen. DerMord an dem strahlenden HeldenSiegfried zieht eine umfassende Ra-cheaktion nach sich: Kriemhild verfolgtdie Mörder ihres Mannes, und amEnde steht das Fanal, das grosse Ver-brechen, die Vernichtung der Burgun-der am Hofe des Königs Etzel, ein Ge-nozid, der ein Menetekel für die nach-folgenden Generationen sein sollte.»Für die Präsenz des Verbrechens in dermittelhochdeutschen Literatur kannder Hochverrat im Rolandslied desKlerikers Konrad stehen, das etwa um1170 geschriebene Epos um Karl denGrossen und seinen Lieblings-Vasallenund Neffen Roland. Im Nibelungen-lied sodann geht es um eine Seriefürchterlicher Verbrechen: Betrug,Verrat, Mord und Totschlag. Jede Un-tat gebiert neue Untaten, die sich im-mer weiter steigern bis hin zum tota-len Untergang.

Wo immer Literatur Leben und Wirk-lichkeit in konzentrierter und organi-sierter Form darstellt, enthält sie Ver-brechen, in vielfältigster Gestalt. Es istein dankbarer Erzählstoff von hohemUnterhaltungswert und kann starkeEmpfindungen hervorrufen, Schre-cken, Wut und Entsetzen, aber auchLust und schaurige Faszination. Lite-ratur bringt uns die Verbrecher sonahe, dass wir subversiverweise mitihnen sympathisieren, ja uns identifi-zieren und hoffen, dass ihre Verhül-lung gelinge.

Dichter als LügnerViele Dichter haben sich selbst als Ver-brecher dargestellt. «Ich denke mirmanchmal, Dichter sind die gebore-nen Verbrecher, nur ohne die nötigeCourage», schrieb etwa ArthurSchnitzler. Spätestens seit FriedrichNietzsche werden Literatur und Ver-brechen häufig demselben Ursprungzugerechnet. Die Annahme, sie nähr-ten sich aus denselben Wurzeln, zähltsogar zu den zentralen Postulaten derKriminalpsychologie um 1900. Litera-tur und Verbrechen gelten als Mani-festationen einer inneren, von Phan-tasie bestimmten Disposition, die so-wohl zu Sprachkunst wie zur Planungeines Verbrechens führen kann.Unabhängig von der Tragweite derThese ihres gemeinsamen Ursprungsweisen Literatur und Verbrechen eineReihe grundlegender struktureller Ge-meinsamkeiten auf, etwa die Analogiedes poetischen und des Rechtsfalls inder Analyse. Verbrechenwerden, nichtimmer ohne eine gewisse ausserästhe-tische Frivolität, als Erzählungen auf-gefasst, Verbrecher als Erzähler.Als «Produzenten» hat den Verbre-cher auch der österreichische EssayistFranz Schuh dargestellt, als er zu er-gründen versuchte, weshalb auchgrausame Verbrecher in der Literaturdie Phantasie der Leserschaft erregen:«Der Verbrecher produziert auch dieLiteratur über das Verbrechen. Dieschöne Kunst des Schreibens nimmtsich des Verbrechens an und vermehrtdurch diese Annahme den eigenenReichtum.»Was die Literatur über dasVerbrechen «zu einer hervorragendenWare» mache, sei die Spannung. Sie

hänge «mit einer ungeheurenModer-nisierung, also mit einer Kommerziali-sierung dessen zusammen […], was inder griechischen Tragödie die Kathar-sis, die Läuterung des Zuschauers,auslösen sollte: Erregung von Furchtund Mitleid angesichts des Schreckli-chen!» Die Literatur sei «eine Institu-tion, die es ermöglicht, das Verbre-chen nicht moralisch beurteilen, ver-urteilen zu müssen. Die literarischePhantasie ermöglicht eine Spekulati-on, eine Selbstbespiegelung, in derdas mehr oder minder gutbürgerlicheSubjekt des Autors und seines Leserssich in Gedanken entgrenzt. Ist derMensch in der Zivilisation nicht dasblosse Objekt von Regeln, die auf ihmlasten und von deren Übertretungenzu träumen er ebenso gelernt hat, wieman ihm beibrachte zu gehorchen,also auf die Regeln zu hören? Entfes-selung ist eine Vision, und sie bedarfder symbolischen Ebene. Ach, was fürein Verbrecher wäre Goethe gewor-den, wäre er kein Dichter gewesen.»Der Dichter als potenzieller Verbrecher− eine schon im 19. Jahrhundert be-liebte Vorstellung. Prominent vorge-tragen wurde sie zuvor schon durchFriedrich Schiller, einen der eminen-

Dichter und Verbrecher

«Ach, was für ein Verbrecher wäre Goethe, wäre er kein Dichter»

Fachwissen16

Thomas Sprecher, geboren 1957,Dr. iur., PD Dr. phil., ist Jurist undGermanist. Er arbeitet als Rechts-anwalt in Zürich und ist Privatdo-zent für neuere deutsche Literaturan der Universität Fribourg.

17Fachwissen

Dichter und Verbrecher

testen Kriminalpsychologen. In denunruhigen Jahren vor dem Ausbruchder Französischen Revolution wurdeSchiller zum führenden Kriminal-schriftsteller Deutschlands, den diepsychologische «Leichenöffnung desLasters» faszinierte. Er begeisterte Kri-tiker und Lesepublikum mit der vomSturm und Drang gelösten NovelleVerbrecher aus Infamie, eine wahreGeschichte (1786), die dann unterdem Titel Der Verbrecher aus verlore-ner Ehre, eine wahre Geschichte(1792) veröffentlicht wurde. Sie istparadigmatisch für die analytischeAuseinandersetzung mit dem Verbre-chen und die täterorientierten Kon-struktionen von Kriminalität im späten18. Jahrhundert, denen aufklärerischeErkenntnisinteressen zugrunde lagen.Schiller stellt die Frage, ob nicht dieAnalyse der Psyche des Täters eine Er-klärung der Tat geben könne. Auchwies er auf die Formel «Anlage undUmwelt» hin, die später die Krimino-logie bestimmen sollte. Das psycholo-gische Interesse, mit dem er die krimi-nelle Persönlichkeit ausleuchtete, wargeeignet, die politisch angestrebteDifferenzierung zwischen kriminellemund nichtkriminellem Bürger zu unter-laufen und einzuebnen. Indem er sichin die kriminelle Biographie einzufüh-len versuchte, berücksichtigte er auchdas soziale, politische und biologischeMilieu für ihre kriminelle Genese, wo-durch er die Distanz des Lesers zumVerbrecher reduzierte, diesen gewis-sermassen resozialisierte und seinSchicksal dem Mitleid öffnete. BeiSchiller war der Verbrecher kein Frem-der. Für ihn lag die Bedeutung des Ver-brecherischen in der Möglichkeit derErkenntnis für das Allgemeinmensch-liche.Bei seinen Zeitgenossen konnte Schil-ler das Interesse am «erhabenen Ver-brechen» voraussetzen. Neben demedlen Verbrecher, demVerbrecher ausedlen Motiven des Räuberromans,galt die besondere Aufmerksamkeitder Zeit dem grossen Verbrecher.Schillers Figuren entsprechen oft die-sem Typus. Der Gedanke, dass sich imVerbrechen nicht selten eine grosseKraft offenbaren soll, die aufgrund ir-gendwelcher Hindernisse denWeg zu

einem sozialen Ziel nicht gefundenhat, wird sowohl in der Vorrede zu denRäubern als auch in der Einleitungzum Verbrecher aus verlorener Ehreausgeführt.Eine strukturelle Verwandtschaft vonDichter und Verbrecher stellt insbe-sondere auch die Behauptung her,Dichter lügten. Als ihr Prototyp gilteine Stelle aus Platons Politeia (um370 v. Chr.). An ihr haben sich die Li-teraturtheoretiker nunmehr überzweitausend Jahre lang abgemüht.Nach Hans Blumenberg besteht sogarüberhaupt die Geschichte der abend-ländischen Reflexion über Literatur imWesentlichen aus der Auseinander-setzung mit eben dem Vorwurf, dassdie Dichter lügten.

Verbrecher als Dichter:Pseudologia phantasticaEin Verbrechertypus, der zum Dichterdaher in besonderer Nähe steht, ist,als Berufslügner, der Hochstapler. An-ton Delbrück,Oberarzt an der Psychi-atrischen Universitätsklinik Burghölzli,hat 1891 erstmals das Bild der Pseu-dologia phantastica, des krankhaftenSchwindelns oder pathologischen Lü-gens, beschrieben, in seiner berühm-ten Schrift Die pathologische Lügeund die psychisch abnormenSchwindler. Er führte Goethes Berichtaus dessen Autobiographie Dichtungund Wahrheit an, dass er als Knabeeinmal die Gewohnheit gehabt habe,seinen Kameraden erfundene Mär-chen als eigene Erlebnisse zu erzählen.«Wenn ich nicht nach und nach, mei-nem Naturell gemäss, die Luftgestal-ten und Windbeuteleien zu kunst-mässigen Darstellungen hätte verar-beiten lernen, so wären solche auf-schneiderische Anfänge gewiss nichtohne schlimme Folgen für mich ge-blieben. − Betrachtet man diesen Triebrecht genau, so möchte man in ihmdiejenige Anmassung erkennen, wo-mit der Dichter selbst das Unwahr-scheinlichste gebieterisch aussprichtund von einem jeden fordert, er solledasjenige für wirklich erkennen, wasihm, dem Erfinder, auf irgendeineWeise als wahr erscheinen konnte.»Goethe, wie etwa auch Gottfried Kel-ler, meint Delbrück, hätten nicht zu-

fälligerweise die Pseudologia phantas-tica in ihren Kinderjahren an sich selbstbeobachtet. Umgekehrt war für denKriminalpsychologen Erich Wulffender Hochstapler gewöhnlich durcheine künstlerische Veranlagung ge-kennzeichnet, die, «durch irgendwel-che Umstände gehemmt, in unsozialeBahnen» abgeleitet wird.Delbrücks Studie folgte eine Flut vonAufsätzen, die von Hochstaplern inLeben und Literatur handelten, vonrhetorisch überdrehten Schwindlernund verbrecherischen Renommisten.Regelmässig wurde ausgeführt, es seieine geläufige Erscheinung, dass imLeben von Dichtern pseudologischeZüge nach aussen träten. Alle Auto-ren, die diese Erscheinung beschrie-ben haben, stimmten darin überein,dass pseudologische Züge, das Phä-nomen der Vermischung von Imagi-nation und Realität, sich neben demHochstapler auch beim Dichter, beimSchauspieler und beim Kind zeige, un-ter Hinweis auf Sigmund Freuds Aus-sage, «dass die Dichtung wie der Tag-traum Fortsetzung und Ersatz deseinstigen kindlichen Spielens ist».Dies führt zum Schluss, dass lügen zukönnen, ein kreatives Potenzial be-weist. Tatsächlich besitzen notorischeSchwindler meist ein überdurch-schnittliches Sprachvermögen, und sosteht unter allen Verbrechen die Pseu-dologie der Literatur vielleicht amnächsten.

Thomas Sprecher

LiteraturSprecher Th. (2011): Literatur undVerbrechen, Frankfurt am Main: Vit-torio Klostermann.Sprecher Th. (2011): Literatur undRecht, Eine Bibliographie für Leser,Frankfurt am Main: Vittorio Kloster-mann.

18 Fachwissen

«Mein Herzensjäm …»

Helmuth James und Freya von Moltke

ben von Helmuth. Das Paar schreibtsich täglich, bisweilen auch mehrmalstäglich. Die Briefe werden vom evan-gelischen Seelsorger des GefängnissesTegel, Harald Poelchau, unter Einsatzseines Lebens hinaus- und hineinge-schmuggelt.Freya versteckt die Briefe und bewahrtsie ihr ganzes Leben auf. Die über 180Briefe sind Anfang 2011 als Buch er-schienen, herausgegeben vom SohnHelmuth Caspar und der Schwieger-tochter Ulrike von Moltke. Die Briefeunterschiedlicher Länge legen Zeugnisvon einer grossen Liebesbeziehung ab,sie sind Zeitzeugnisse von unschätz-barem Wert sowie genuine Lehrstü-cke. Sie lehren, was höchste Achtung,tiefe Überzeugung, grösste Zunei-gung, bedingungslose Freundschaftund grenzenlose Teilnahme am Schick-sal des anderen bedeuten. Sie zeigen,welche Kraft Liebe, Glaube und Dank-barkeit entwickeln. Sie bieten Zugangzu abstrakten BegriffenwieMoral, Ge-rechtigkeit, Recht und Sinnhaftigkeitauf der Grundlage des erlebten Alltagsinmitten des Nazi-Irrsins.Im Brief vom 29. September 1944schreibt Freya: «Die 15 Jahre, das warunser Leben, mein Jäm; was jetztkommt, das wird ein Leben für dieSöhnchen, für andere Menschen, fürDinge, ich weiss noch nicht für was,aber mein, unser Leben, mein Her-zensjäm, das ist nun hier zu Ende. Duhast es mir immer gesagt, dass Dufrüh sterben würdest. 7 Jahre längerhast du mir versprochen, aber was tutschon Quantität. Es kommt auf dieQualität an. Wie gut, dass ich jedeMinute mit Dir bewusst als ein Ge-schenk empfunden habe, dass ichmich um jede gerissen habe …» ZweiTage später schreibt Helmuth: «Ichhabe keine Furcht vor dem Tod undglaube, Euch in irgendeiner Form zubehalten, und ich habe animalischeAngst vor dem Sterben, und esschmerzt mich, dass ich Dich und dieSöhnchen mit diesen meinen Augennicht wiedersehen werde. Ich fühle,dass ich in diesem Leben so Vieles ge-habt habe, dass ich keine Ansprüchemehr habe ... »Immerzu stehen die Grundfragen desLebens im Zentrum. Das Paar kämpft

entlang dieser Fragen gegen Ohn-macht, Willkür und Verachtung. Sieversuchen gemeinsam mit jedemWort, das sie niederschreiben, demÜbel jener Tage Haltung, Würde undWahrhaftigkeit entgegenzuhalten.

Im WiderstandKennen gelernt haben sich Freya undHelmuth im Jahr 1929. Beide stam-men aus wohlhabenden Familien, undbeide bilden sich zu Juristen aus. 1931heiraten sie, und ihr Lebensmittel-punkt wird bald ein Familiengut imschlesischen Kreisau. Helmuth arbeitetals Anwalt in Berlin, wodurch das Paaroft getrennt ist. So beginnt eine in-tensive Korrespondenz zwischen denbeiden. 1939 und 1941 kommen diezwei Söhne Helmuth Caspar und Kon-rad zur Welt.Helmuth und Freya widersetzen sichdem herrschenden Zeitgeist, anfäng-lich als Gegner des Naziregimes, spä-ter als aktive Widerstandskämpfer. InKreisau treffen sich bald Gleichgesinn-te: mutige Männer und Frauen, diesich Gedanken darüber anstellen, wie

Helmuth James und Freya vonMoltke: Abschiedsbriefe Gefäng-nis Tegel, September 1944–Januar1945. C.H. Beck, München 2011,608 Seiten, Fr. 43.50, ISBN 978-3-406-61375-3.

2010 wurde bekannt, dass der Brief-wechsel zwischen Helmuth Jamesvon Moltke, einem von den Naziszum Tode verurteilten Widerstands-kämpfer, und seiner Frau Freya vonMoltke aus den letzten Wochen vorseiner Hinrichtung komplett erhaltenist. Die Briefe sind Zeugnis einer gros-sen Liebe in Zeiten des Widerstandsgegen ein unmenschliches Regime.Sie liegen nun auch als Buch vor.

Wir schreiben den 23. Januar 1945.Europa ist müde und tief gezeichnetvom Krieg. In Berlin ist es frostig. Hel-muth James von Moltke sitzt im Ge-fängnis Tegel, im vierten Stock desHauses I, im sogenannten «Toten-haus». Seine Zelle ist klein, das Lichtbrennt Tag und Nacht. Die meiste Zeitist er an Händen und Füssen gefesselt.Er ist 37 Jahre alt, und dieser 23. Ja-nuar 1945 ist sein Todestag.In einem letzten Brief an seine FrauFreya von Moltke schreibt er: «Mirgeht es gut, mein Herz. Ich bin nichtunruhig oder friedlos. Nein, kein biss-chen. Ich bin ganz bereit und ent-schlossen ...»Wenig später wird der Widerstands-kämpfer von den Nazis hingerichtet.Seine Asche geben sie auf einenAcker. Freya von Moltke bleibt mitden zwei Söhnen noch zwei Jahre inBerlin, dann zieht sie über die Schweiznach Südafrika. 1956 kehrt sie wiedernach Berlin zurück, um vier Jahre spä-ter in die USA auszuwandern. Dortbleibt sie bis zu ihrem Tod. Sie stirbt imAlter von 98 Jahren am 1. Januar 2010– knapp 65 Jahre nach ihrem Ehe-mann. Der Gedenkstein auf demFriedhof von Norwich im US-Bundes-staat Vermont trägt die Namen vonFreya und von Helmuth James vonMoltke – die Namen eines ausserge-wöhnliches Paars und einer bemer-kenswerten Liebe.

Geschmuggelte BriefeZeugen dieser grossen Liebe sind un-ter anderem Briefe. Eine herausragen-de Stellung nimmt dabei der Brief-wechsel zwischen den zwei Eheleutenein, der vom 29. September 1944 biszum 23. Januar 1945 reicht. Es sind dieletzten Wochen und Monate im Le-

19Fachwissen

Helmuth James und Freya von Moltke

und Freya, das Paar, existieren. Sieschreiben an der gemeinsamen Erzäh-lung weiter; sie geben sich Kraft, Mut– und unendlich viel Liebe. Sie stützenund trösten sich, sie tragen sich ge-genseitig, sie schreiten voran zwi-schen Hoffen und Bangen, inmittenlebensverachtender Umstände.Als Paar sind sie physisch getrennt, alsPaar sind sie auf allen anderen Ebenenengmiteinander verbunden. Am 9. De-zember 1944 schreibt Freya, «... Ichmuss aufhören. Bald bin ich wiederda. Mein Herz bleibt hier und allemeine Gedanken ...», wenig später er-gänzt sie, «Ich bin da! Der Zug warausgefallen. Ich bin bei den Freun-den! ... Mein Jäm, ganz nah bin ichund voller Liebe. Freue mich des Ta-ges, den ich so mit Dir noch lebenkann ...».Das Menschsein mit all seiner Hellig-keit und Dunkelheit ist das grosseThema dieses Briefwechsels zwischen

Deutschland nach dem Ende des Re-gimes neu aufzubauen wäre.Im Januar 1944 wird Helmuth verhaf-tet und kommt ins Konzentrationsla-ger Ravensbrück. Am 28. September1944 wird er schliesslich ins Gefäng-nis Tegel übergeführt. Nur ganz seltenkönnen sich Freya und Helmuth se-hen. Es dauert lange, bis es zum Pro-zess kommt, stets bleibt ungewiss,was aus Helmuth James wird.Jeder einzelne Brief aus dieser Zeit istein Abschiedsbrief, denn jeder Tagkönnte Helmuths letzter sein. Am 8.Oktober 1944 schreibt Helmuth:«Morgen um diese Zeit bin ich viel-leicht schon tot. Man sollte sich daseigentlich immer sagen, aber man tutes eben nicht, wenn man nicht, wieich jetzt, dazu gezwungen ist. Lebwohl, mein Herz, Gott behüte DichundDeine Söhnchen und uns. J.»Undam 23. November 1944 beendet erseinen Brief mit: «Ich sehe gerade,dass ich so tue, als stürbe ich. Das tueich bei jedem Brief, denn er kann derletzte sein. Aber ich bin ganz stark imGlauben um mein Leben. Bleib’ auchstark, mein Herz. Wir wollen michdiesen Leuten gegenüber nicht fallenlassen, keine Sekündchen ...»

Nähe durch SchreibenDas Schreiben ist für das Paar vielmehr als das Festhalten von Gedan-ken undÜberlegungen oder das Schil-dern von Begebenheiten ihres sehrunterschiedlichen Alltags. Durch dasSchreiben stellen sie vor allem ande-ren Nähe her. In jedem Brief legen sieeinen weiteren Baustein an für die tie-fe Innigkeit, die sie aneinander-schmiedet. Jeder Brief ist Entste-hungsort, Aufbewahrungsort undAuslöseort von Nähe.Zwischen dem Schreiben und Lesenbehält diese Nähe im Brief ihre Kraft –eine Urkraft, die sich im zeitverscho-benen Akt des Schreibens und Lesensstets aufs Neue revitalisiert und die aufsie einwirkt. Diese Nähe bedeutet Ge-borgenheit, Hinwendung und Reich-tum. Die Nähe trägt sie als Paar undals Individuen. Der getrennte Lebens-alltag verschmilzt im Brief zu etwasGemeinsamem, zu einer ganz eigenenRealität, in welcher nur sie, Helmuth

einer Frau und einemMann.Was zweiMenschen als Paar verbindet, ist hierauf jeder Zeile wahrnehmbar – undnicht nur zwischen den Zeilen. Diedeutsche Briefliteratur ist mit den«Abschiedsbriefen Gefängnis Tegel»um einen grossen Schatz reicher. Zuverdanken ist dies gerade auch demMut von Harald Poelchau, dem Seel-sorger vom Gefängnis Tegel. Ihm istdieses Buch gewidmet. Dieser Brief-wechsel zwischen Freya und Helmuthverdeutlicht trotz der abgrundtiefenTragik der Umstände, was einst RainerMaria Rilke niederschrieb: «Ich gehö-re zu den Menschen, den altmodi-schen, die den Brief noch für ein Mit-tel des Umgangs halten, der schöns-ten und ergiebigsten eines.» Für Freyaund Helmuth war der Brief das einzigmögliche Mittel des Umgangs. Zwi-schen sich als Paar, zwischen sich alszwei sich liebenden Menschen.

Claudio Moro

Vertiefen Sie Ihre Therapie mit Trance!Machen Sie die Zusatzausbildungin Hypnosetherapie.

Nächste Grundkurse I und II der Zusatzausbildung ghypsam 30.-31. März und 11.-12. Mai 2012 in MeilenDozentinnen: Dr.med. Corinne Marti, lic.phil. Jacqueline Blumenthal

Weitere Grundkurse I und II der Zusatzausbildung ghypsam 14.-15. September und 5.-6. Oktober 2012 in ZürichDozent: Dr.phil. Peter Hain

2. Hypnosystemische Tagung vom 15.-17.06.2012 in ZürichVom Wissen der Symptome zur Würde der VeränderungExpertInnen aus Medizin und Psychotherapie zeigen, wie einhypnosystemischer Ansatz in den wichtigsten Anwendungsgebietengenutzt werden kann.Weitere Seminare der GHypS in diesem Jahr:

Wirksam auf die Selbstwirksamkeit einwirken15.-16.11.2012 in Basel, Dozentin: lic.phil. Susy Signer

Integrationsmöglichkeiten mit anderen Therapieformenund spezielle Anwendungen19.-20.11.2012 in Zürich, Dozent: Dipl.-Psych. Ortwin Meiss

Anmeldung und alle weiteren Veranstaltungen unter:www.hypnos.ch

Partnerschaft in der Tanzkunst?

Vom Werk zur Aufführung

Wie geht das vor sich, wenn Tanz-schaffende ein bestehendes Werkaufführen? Die Redaktion von punkt-um. kam bei der Planung der Partner-schaftsnummer auf den Gedanken,dass in der Situation einer solchen Pro-duktion doch so etwas wie eine Part-nerschaft zwischen Werk und Inter-preten stattfindet. Zwar denkt manbei «Partnerschaft» im Allgemeinenzuerst an etwas, was Menschen ver-bindet. Aber seit Urzeiten – und in Ur-zeiten besonders – wurden auch Phä-nomene, die nach unserer Vorstellungleblos sind, als lebendiges Gegenübererlebt, so dass sie sehr wohl als Part-ner gesehen werden können. Darüberhinaus: Notierte künstlerische Ver-laufsformen sind in sich eine ganz spe-zielle Art von «Ding»: Sie sind vonMenschen für Menschen geschaffen.Wer sich also mit einem solchen«Ding», mit einem solchen Werk be-schäftigt, beschäftigt sich sehr wohlmit einemMenschen, beschäftigt sichdochmit demMenschen hinter – oderbesser – in diesem Werk, mit dessenIntentionen und Bildern. Das Erarbei-ten einer Aufführung der Traditionkann durchaus zu einer Form vonPartnerschaft werden.In diesem Sinne wurde ein Gesprächmit Tanzschaffenden gesucht: «Wieist das, wenn Sie ein bestehendesWerk einstudieren?» Ein Austauschkam nicht zustande. Nicht weil keineBereitschaft zur Kommunikation vor-handen gewesen wäre. Aber weil dieSituation der Wiedergabe von beste-henden Werken nun beim Tanz gera-de ganz eigen und ungewohnt ist.Denn im Gegensatz zu Sprache undMusik hat der Tanz seine Werke nichtaufgezeichnet. Entsprechend wenigzugänglich, und auch heikel, ist dasThema ihrer Wiedergabe.Dem Tanz steht kein direkt zugängli-cher Schatz von Werken zur Verfü-gung, wie das bei der Musik der Fallist. Formal gesehen ist dem so, weil erkeine auch nur annähernd der Musikvergleichbare Notations-Tradition hat.Die abendländische Musik hat vormehr als tausend Jahren begonnen,ein allgemein anerkanntes System vonNotation zu entwickeln, das immerneue Wiedergaben des gleichen Stü-

ckes ermöglicht; woran die Kirche be-sonders interessiert war. Dieses Sys-tem wurde bis heute ungemein diffe-renziert ausgebaut. So entstandenFundamente, auf denen echte Part-nerschaft zwischen Werk und Inter-pretation möglich werden kann.Dadurch ist in der Musik die Interpre-tation von Werken als partnerschaftli-che Auseinandersetzung so selbstver-ständlich, dass sie als solche gar nichtmehr wahrgenommen wird. Eine Pia-nistin wird als grosse Beethoven-Inter-pretin gefeiert. Im Vordergrund derWahrnehmung steht also, dass es umden Komponisten geht. Denn es könn-ten ja alle Noten ganz genau der No-tation entsprechend gespielt sein unddoch der Eindruck entstehen: Nein,das ist doch nicht Beethoven. Dannwäre die Partnerschaft nicht zustandegekommen. (Anm. 1: Bleibt die kom-plex schwierige Frage, welches die Kri-terien für ein solches Urteil sind.)Im Tanz nun fehlt ein solches Funda-ment gesicherter Notation fast ganz.Seit der Mitte des 15. Jahrhundertssind zwar über fünfzig Versuche zurEntwicklung einer brauchbaren Nota-tion von Bewegung bekannt. Aber sieblieben ein Bemühen ihrer Schöpferundwurden kaum je vom Tanz als sol-chemwahrgenommen und weiter ge-führt. Und wenn, dann nur von einemzeitlich und räumlich eng begrenztenKreis. So fehlt beim Tanz weitgehenddie notwendige Grundlage für Part-nerschaften vonWerk und Interpreta-tion.Das könnte «tragisches» Schicksalsein; viele Menschen ohne Partner-schaft erleben ihr Alleinsein als etwas,das ihnen unabhängig von ihnen sel-ber, gleichsam von aussen passiert.Und das kann durchaus so sein. Aber«es» kann auch mit dem eigenenWe-sen, mit den persönlichen Strukturenzu tun haben. Und bei der Tanzkunstnun ist das eindeutig der Fall. Nichtnur, dass alle Ansätze zu allgemeinbrauchbarer Notation so konsequentdurch die Jahrhunderte hindurch nichtaufgenommen und weiter entwickeltwurden; nein, als in der ersten Hälftedes 20. Jahrhunderts dann geradezwei äusserst effiziente Notationssys-teme für Bewegungsabläufe erfunden

wurden (Laban und Benesh), hat sichdie Tanzkunst als Ganzes in keinerWeise auf diese wichtigen Neuerun-gen gestürzt. Aber sich auch nicht da-gegen gestellt; nein, sie einfach aufder Seite gelassen; «man» hat sie ei-nem archivarisch interessierten Spe-zialistentum überlassen. Praktisch alleTanzschaffenden, in welcher Sparteauch immer, benützen keine dieserNotationen, ja sie kennen sie nichteinmal.Und so «hat» der Tanz keine der Mu-sik vergleichbare Werke. Aber … aberes gibt doch zum Beispiel «Schwa-nensee», den – wie vor allem Men-schen ohne Zugang zur Ballettklassikgelangweilt finden – ewig gleichen«Schwanensee». Ja, wenn es den nurgäbe, seufzen dagegen die Men-schen, welche diese Kunst schätzenund sogar lieben. Das nämlich ist eingrosses Rätsel, woher im Reden überTanz die weit verbreitete Vorstellungvon einem immer gleichen «Schwa-nensee» kommt. Wie denn soll einWerk «immer gleich bleiben», wennes nicht festgehalten ist? Selbst wenn

20 Fachwissen

Richard Merz, Dr. phil., Psycho-analytiker, Krisenberater am dama-ligen Institut für Angewandte Psy-chologie in Zürich, eigene Praxis inZürich, ehemaliger Theater- undTanzkritiker der «NZZ»,MitarbeiterInternational Encyclopedia ofDance (New York) und Pipers En-zyklopädie des Musiktheaters.

21Fachwissen

Partnerschaft in der Tanzkunst?

se heutige Tänzerin, ein grosser heu-tiger Dirigent. Sie sagt:Wennmir eineChoreographie nichts sagt, dann än-dere ich sie. Er sagt: Ich kannmir nichtvorstellen, dass ich auch nur eineNote in einer von mir dirigierten Par-titur ändern würde. Der KomponistRichard Strauss hat Werke von Wag-ner partiturgenau einstudiert und auf-geführt; dagegen will kein Choreo-graph, und schon gar nicht einer vonRang, einen Tanz-Klassiker möglichstwerkgenau einstudieren. Ich mussdoch meinen eigenen «Schwanen-see» machen. Keine Partnerschaft.Und das ist im Tanz nun nicht haltheute so. Im Tanz hat das mit demHeute wenig zu tun. Der Tanz hat seitJahrhunderten seine Werke verloren.Weil sie nicht oder nur total verändertweitergegeben wurden. Der französi-sche Dichter Stendhal schwärmte vorkaum zweihundert Jahren davon, dassihn Ballette nach Stoffen von Shake-speare mehr bewegt haben als Schau-spielaufführungen in England. Aufwelch hohes tänzerisches Kunstgelin-gen weist das hin! Doch nichts, garnichts davon hat der Tanz überliefertund bewahrt. Werk als Partner gehörtnicht in die Welt des Kunsttanzes.Und gegenseitig verpflichtende Part-nerschaft ist ja auch nicht die einzigeMöglichkeit für gelingende Lebensge-staltung. Und schon gar nicht in derKunst. Und zum Tanz gehört sie nun

ein Ballettschaffender einen Klassikerzum Werk-Partner machen möchte,kann er diesen Partner nicht so einfachfinden. Das «Original» gibt es nicht;eine Ur-Form von «Schwanensee», sowie Petipa und Iwanow ihn 1895 inPetersburg geschaffen haben, ist alsGanzes detailliert nicht greifbar. (Anm.2: Ballette des überragenden Petipasind zwar zum Teil als Bewegungspar-tituren nach dem System von Stepa-now nachträglich aufgezeichnet wor-den. Doch befinden sie sich, schwerzugänglich, in der Harvard TheatreCollection. Und könnten selbst von in-teressierten Tanzschaffenden nichtentziffert werden.) Gewisse Teile sindzwarmündlich im grossen und ganzengesichert überliefert bekannt. Aberauch sie werden praktisch nie zumPartner, sie werden zum Material, freibis sehr frei verwendet, umgeändert,in der Abfolge umgestellt. Sie werden– auch in Aufführungen, die sich tra-ditionell nennen – weniger im Sinneder Autoren als für die Ideen und Ab-sichten des aktuell Produzierendenbenützt. Wobei oft ausdrücklich ganzandere Intentionen als die ursprüngli-chen realisiert werden. Auch wennunverändert immer «Schwanensee»angekündigt wird.Die Musik will ihre Werke bewahrenund neben und mit ihnen Neues fin-den. Der Tanz aber will das Neue, umdas Alte zu «überwinden». Ein Wort-führer der Tanzerneuerung nach 1900hat als grosse Hoffnung den Wunschverkündet, dass die klassische Tanz-kunst doch ja hoffentlich bald ganzvergessen sei. Wohl kein Musiker hatje gehofft, dass die Klassik möglichstbald untergehe.Der Kunsttanz erlebt die Werke nichtals Schatz, er erlebt sie als Behinde-rung. Er fühlt sich geradezu in seinemEigensten bedroht, wenn er Vorgege-benes nachtanzen soll, wenn diesesalso zum verbindlichen Partner wer-den soll. Musiker haben nicht das Ge-fühl, sie könnten nicht ihr Eigenes ge-ben, wenn sie bestehende Werke in-terpretieren. Tanzende aber sehrwohl; sie betonen, dass sie dann dochnicht echt «ich» seien. Da stehen sichzwei grundsätzlich unterschiedlicheWelten gegenüber. Beispiel: Eine gros-

offenkundig nicht, diese Art von Part-nerschaft. Sie entspricht, so scheint es,nicht seinem Wesen. Er kennt sienicht, er braucht sie offenbar nicht.Und kann doch grosse, echte Kunstsein.Doch da ist noch ein anderer Aspektvon Partnerschaft im Zusammenhangmit den Werken. Und da wird dasFehlen zum Problem. Das Publikum.Für das Publikum sindWerke ein ganzwesentlicher Teil, wenn nicht gar derwichtigste, in der Begegnung mit Po-diums-Kunst. Begeisterung für einenInterpreten ist Begeisterung für seineArt, ein Werk zu interpretieren. Ein al-len als gleiches bekanntesWerk zu in-terpretieren. Dies bekannte Werk istder Wert, ist der Masstab für dieWahrnehmung.Das gibt es nicht beim Tanz. Das Pu-blikum kann sich nicht mit dem«Schwanensee» identifizieren, höchs-tens mit einer gerade aktuellen Pro-duktion. So gibt es nur momentaneBegegnungen, von Produktion zuProduktion, von Spielzeit zu Spielzeit;fundamentlos wechselnde Beziehun-gen, allein und ausschliesslich durchdie jeweiligen Tanzschaffenden be-stimmt. Die Welt des Kunsttanzes be-klagt sich sehr darüber, dass sie kein sogrosses, so verlässliches Publikum hat,nicht so allgemein beliebt ist wie dieOper. Das aber könnte «damit» zu tunhaben. Richard Merz

NEUE TITEL AUS IHREM INTERESSENGEBIET

Bestellen ist ganz einfach: Rufen Sie uns an: 0848 482 482 (Normaltarif)oder schreiben Sie uns eine E-Mail: [email protected]

Bodenmann, G. / C. F. Brändli: Was Paare stark machtDas Geheimnis glücklicher Beziehungen3. Aufl. 2011. 223 S., kart., ca. CHF 38.– (Beobachter) 978-3-85569-458-7

Borst, U.: Wenn die Liebe überschattet wirdLeben mit einem depressiven Partner2011. 160 S., kart., ca. CHF 21.90 (Patmos) 978-3-84360088-0

Ulrike Borst klärt über die Krankheit Depression auf, stelltBehandlungsmethoden vor und gibt Angehörigen von depressivenMenschen Hinweise, wie sie es schaffen, selbst gesund zu bleiben und diePartnerin oder den Partner bei der Heilung optimal zu unterstützen.

Fachwissen22

Luzern vernetzt sich

Partnerstädte

Was haben Paarbeziehungen undStädtepartnerschaften gemeinsam?Werte wie Verbundenheit, Respekt,Unterstützung, Achtung, aber auchTreue sind wichtig. Städtepartner-schaften können zwar aufgelöst wer-den – dies wird jedoch nur unter gros-sem Druck gemacht. Welche Unter-schiede bestehen? Paarbeziehungensind in der Regel monogam, Städte-partnerschaften sind polygam (Luzernhat sechs Partnerstädte).

Das Instrument der Städtepartner-schaften gibt es schon seit vielen Jahr-zehnten. Städtepartnerschaften för-dern das Verständnis füreinander, weilsie die Möglichkeit bieten, ein Gegen-über während einer längeren Zeit ken-nen und verstehen zu lernen. Die Part-nerschaften sind denn auch querdurch alle Gesellschaftsschichten einBindeglied für den kulturellen Aus-tausch. Es sind Menschen unter-schiedlichen Alters involviert, meistwirken Verwaltung und Zivilgesell-schaft mit, politische und religiöse Ein-stellungen der Einzelnen oder derenEthnie spielen praktisch keine Rolle.Die fortschreitende friedliche interna-tionale Zusammenarbeit sollte nichtdarüber hinwegtäuschen, dass esnach wie vor eine grosse Herausfor-derung ist, Mentalitäten zu verstehen,Vorurteile abzubauen und interkultu-relle Kompetenz zu entwickeln.Für die Stadt Luzern sind dauerhafte,internationale Städtepartnerschaftenintegrierter Bestandteil der Aussenbe-ziehungen. Die älteste besteht seitüber dreissig Jahren, die jüngste seitzehn. Mit den sechs Städtepartner-schaften hat Luzern ein internationa-les Netzwerk aufgebaut. Innerhalbdieses Netzwerkes werden meist bila-terale Projekte durchgeführt, in selte-

nen Fällen multilaterale mit mehr alseiner Luzerner Partnerstadt oder unterEinbezug von Partnern von Partnern.

Geschichteder kommunalen PartnerschaftenNach dem Zweiten Weltkrieg ent-stand eine eigentliche Städtepartner-schaftsbewegung mit dem Ziel, dassEuropa nie wieder durch einen Kriegauseinandergerissen werden dürfe.Der Kontinent sollte von der Basis herfriedlich aufgebaut werden. In dieseZeit fällt auch die Gründung des Ra-tes der Gemeinden und RegionenEuropas, dem heuteMitglieder aus 39Ländern weit über die EU hinaus(zum Beispiel Balkanstaaten, Israel,Norwegen, Island) angehören.Neuen Schwung erhielt die Städte-partnerschaftsbewegung nach derÖffnung Osteuropas ab 1989mit denZielsetzungen, wirtschaftliche und po-litische Aufbauhilfe zu leisten sowieden geteilten Kontinent zu einen. Indieser Konstellation begegnen sich diePartner selbstredend nicht gleichwer-tig. Heute sind vor allem Städte undRegionen aus Südostasien und ausSchwellenländern an neuen Partner-schaften interessiert.Neben den klassischen Städtepartner-schaften bildeten sich in den letztenJahren auf kommunaler Ebene mehrund mehr themenorientierte interna-tionale Netzwerke heraus. Die StadtLuzern ist, im Vergleich zu anderenSchweizer Städten, in diesen Netz-werken nur lose beteiligt. Themenori-entierte Netzwerke führen Fachleuterasch tief in die spezifische Materie,sind dadurch aber eher eindimensio-nal. Zwischen der Stadt Luzern undihren sechs Partnerstädten bestehenbreitere Beziehungsnetze. Diese Brei-te ist eine Stärke, weil sich dadurch

Netzwerke nicht bloss transnational,sondern auch innerhalb der Städte er-geben. In der Projektarbeit gelingt esdadurch verhältnismässig leicht, ver-schiedene Bereiche wie Wirtschaft,Kultur, Sicherheit, Umwelt, Bildungmiteinander in Kontakt zu bringen.Der vertiefte fachliche Austausch wirddadurch nicht verhindert, sondern be-reichert.

EU setzt auf Städtepartnerschaftenund themenorientierte NetzwerkeDie Europäische Kommission hält aufihrer Homepage fest: «Städtepartner-schaften gehören zu den öffentlich-

Claudia Willi, lic. phil. I, hat an derUniversität Zürich Germanistik,Staatsrecht und Politikwissenschaf-ten studiert. Seit 2001 werden diePartnerstädte Luzerns von einerzentralen Stelle betreut. ClaudiaWilli koordiniert die Aktivitäten,fungiert als Anlaufstelle für die Lu-zerner Bevölkerung, ist aber auchAnsprechpartnerin für die Verwal-tungsstellen der Partnerstädte. Sievertritt die Stadt in den Vorständender Städtepartnerschaftsvereine.Luzern hat sechs Partnerstädte:Murbach und Guebwiller (F),Bournemouth (GB), Olomouc (CZ),Cieszyn (PL), Chicago (USA), Pots-dam (D).www.staedtepartnerschaften.stadtluzern.ch

Klosterkirche MurbachPotsdam

23Fachwissen

Partnerstädte

keitswirksamsten und langfristigenMethoden, um Menschen aus ver-schiedenen Ländern unter dem euro-päischen Banner zusammenzufüh-ren.» Im EU-Programm «Europa derBürgerinnen und Bürger» spielen sieeine grosse Rolle, weil sie helfen, dieStrukturen der EU zu festigen. Sie wer-den entsprechend gefördert. Um andie Fördermittel zu gelangen, wirdvon städtepartnerschaftlichen Projek-ten verlangt, die Einwohnerinnen undEinwohner direkt in die Aktivitäteneinzubeziehen.Der Einbezug der Bevölkerung istauch in Luzern wesentlicher Bestand-teil der städtepartnerschaftlichen Kon-zeption. Bei vier von sechs Partner-städten wurden private Vereine ge-gründet, welche die Partnerschaft inder Bevölkerung verankern. Langjäh-rige Mitgliedschaften von Privatper-sonen und Institutionen in den Verei-nen begründen die Treue gegenüberden Partnerstädten, dauerhafte Bezie-hungen sind die Regel.Luzern und die Schweiz stehen aus-serhalb der EU, sind aber auf die Ko-operation mit der EU beziehungswei-se den EU-Ländern angewiesen.Während in der EU Tausende Städte-partnerschaftsabkommen den Aufbaueiner immer engeren Union stützen,versucht Luzern mittels Städtepart-nerschaften ihre Sichtbarkeit in die-sem Raum zu erhalten. Die Dauerhaf-tigkeit des Austausches ermöglicht es,politische Strukturen, die zum Teil sehrunterschiedlich sind, kennen und ver-stehen zu lernen.

Städtepartnerschaftliche AktivitätenDie erste offizielle Städtepartner-schaft, die Luzern eingegangen ist, hateinen historischen Hintergrund. 1978,bei der 800-Jahr-Feier der Stadt Lu-zern, wurden auch Gäste aus Mur-bach und Guebwiller (F) aus dem El-sass nach Luzern eingeladen. Dies,weil 800 Jahre zuvor der damalige Abtvon Murbach die Stadt Luzern ge-gründet hatte. Aus dieser anfänglichlosen Freundschaft wurde ein paarJahre später eine offizielle Städtepart-nerschaft. Damals schon mit dabeiwar die Gemeinde Littau, die heutemit der Stadt Luzern fusioniert ist. Die

Verbundenheit mit den Elsässer Ge-meinden basiert auf vielen jahrelan-gen freundschaftlichen Beziehungen.Die persönlichen Freundschaften derPersonen stehen im Vordergrund.Bournemouth (GB) wurde aufgrundeines persönlichen Besuchs des dama-ligen Stadtpräsidenten von Luzern1982 eine Partnerstadt. Jahrelangprägte ein jährlich durchgeführtesYouth Camp die Städtepartnerschaft.Mittlerweile stehen Sprachkurse undgesellschaftlich-kulturelle Anlässe imZentrum der Aktivitäten.Die StädteOlomouc (CZ) und Cieszyn(PL) wurden im Rahmen der eidge-nössischen Aufbauprojekte in den frü-hen neunziger Jahren Partnerstädtevon Luzern. Waren anfänglich Projek-te im Bereich Städtebau, Umwelt-schutz, Tiefbau die prägendsten, ste-hen heute eher energiepolitische Fra-gen und Projekte im Bereich Kultur-austausch im Zentrum.Chicago (USA) wurde 1999 Partner-stadt von Luzern. Die sehr unter-schiedliche Grösse der beiden Städtehat anfänglich Irritationen ausgelöst –suchen sich doch in der Regel Städte,die gewisse Ähnlichkeiten haben. Mitder Eröffnung des Künstlerateliers inChicago, das der Städtepartner-schaftsverein mit finanzieller Unter-stützung der Stadt und des KantonsLuzern betreibt, wurde die Partner-schaft zu einem ganz zentralen Teil derlokalen Kulturförderung.Potsdam (D) schliesslich wurde 2002Partnerstadt von Luzern. Der Stadtratvon Luzern hat ganz gezielt eine Stadtim deutschen Sprachraum gesucht,um als sechste Partnerstadt das halbeDutzend voll zu machen. Die sprach-liche, räumliche und kulturelle Näheder beiden Städte wird sehr positivaufgenommen. Projekte im Bereich

Sport (Potsdam hat als ehemaligeDDR-Stadt eine riesige Sportinfra-struktur), Bildungsaustausch und Kul-tur prägen Luzerns jüngste Partner-schaft.

Wirtschaftlicher NutzenStädtepartnerschaften vermögennicht direkt wirtschaftliche Koopera-tionen zu erwirken. Dennoch habenStädtepartnerschaften immer auchwirtschaftlich bedeutsame Kompo-nenten. Allein die Tatsache, dass in-ternationale Kontakte und Koopera-tionen bestehen, spricht für Offenheitund «Internationalität» einer Kommu-ne. Insbesondere in Luzern, wo derTourismus eine der tragenden volks-wirtschaftlichen Säulen darstellt, wirddies als positiver Standortfaktor wahr-genommen.Die Städte beschränken sich in der Re-gel auf die Begleitung von Wirt-schaftsbeziehungen, sie stellen nichtselbst Wirtschaftsbeziehungen her.Die langjährigen städtepartnerschaft-lichen Beziehungen schaffen Netz-werke, die wie ein Nährboden für po-tenzielle Verbindungen auf wirt-schaftlicher Ebene wirken. Die Städte-partnerschaften vermögen einzig dieGrundlagen für Kontakte zu schaffen– die Kontakte selbst laufen häufignicht über offizielle Kanäle innerhalbder Verwaltungen oder der Partner-schaftsvereine. Deshalb werden wirt-schaftliche Verbindungen vielfach ein-gegangen, ohne dass die Kommunal-politik dabei eine aktive Rolle spieltoder überhaupt davon Kenntnis er-hält. Städtepartnerschaftsbeziehun-gen dienen demzufolge zu einemgrossen Teil dem allgemeinen Stand-ortmarketing.

Claudia Willi

Bournemouth Olomouc

24 Inserat

WORKSHOPS FRÜHLING/SOMMER 2012Kursdaten Titel DozentIn13./14.04.12 Die kleinste Einheit des Helfens: lös.-orient. Gespräche K. Hankovszky

18./19.04.12 Ich scha�`s! Lösungsorientiert Arbeiten mit Kindern Christiane Bauer

23.-25.04.12 Hypnosyst. Selbstmanagement & imaginative Verfahren Klaus Mücke

06.05.2012 Intuitives Bogenschiessen - Deep mind in Aktion NEU! Rolf Krizian

11./12.05.12 TAGUNG: LöA, Salutogenese, Pos. Psychologie, Resilienz G. Schmidt, L. Isebaert, ...

01./02.06.12 Positive Psychologie & Humor NEU! Dr. Willibald Ruch

14.-16.06.12 Burnout als Wachstumskrise NEU! Klaus Mücke

22.06.12 Marte Meo Einführungstag Dr. Therese Niklaus-Loosli

06.1222./26.06.1222./26.06.12 Fragen – eine Fragen – eine Fragen – eine Kunst des Zuhörens Jürgen Hargens

30./31.08.1230./31.08.12 LL sösungsorientiertes ösungsorientiertes Coaching & Kriseninterventionen Dr. Therese Niklaus-Loosli

06.-08.09.1206.-08.09.12 RRe�ecting-Team e�ecting-Team NEU Haja Molter

CC

GG

JJ

Programm(Auszug) 2012

WEITERBILDUNGWEITERBILDUNGENEN SSTT FART FART FTTART FTT RÜHLING 2012KursdatenKursdaten TitelTitel DozentIn

1.03.121.03.12 rganisationsberaterIn BSOEinführungstag Coach / OrEinführungstag Coach / Or Ursula Fuchs & D. P�ster

ab 05.03.12ab 05.03.12 erte Therapie & BeratungSystemisch-lösungsorientierSystemisch-lösungsorientier Dr. Gunther Schmidt

ab 02.04.12ab 02.04.12 erte Therapie & Beratung für Systemisch-lösungsorientier Systemisch-lösungsorientier FSP, SBEinzelne, Paare, Familien (FSPEinzelne, Paare, Familien (FSP AP, FMH anerk.)

Schmidt, Estermann, Mentha, Isebaert, Schlippe

ab 23.04.12ab 23.04.12 ertes Coaching I (BSO anerk.)Systemisch-lösungsorientierSystemisch-lösungsorientier K. Hankovszky & Team

ab 10.05.12ab 10.05.12 & Organisationen (BSO anerk.)Empowerment für Teams & OrEmpowerment für Teams & Or Dr. Gunther Schmidt

ab 21.05.12ab 21.05.12 tiertes Coaching II (BSO anerk.)Systemisch-lösungsorientierSystemisch-lösungsorientier Michael Dahm & Team

ab 04.06.12ab 04.06.12 ntierte Supervision (BSO anerk.) Systemisch-lösungsorientier Systemisch-lösungsorientier Jürgen JJ Hargens & Team

ab 08.09.12 ab 08.09.12 iessen - TrainerausbildungIntuitives Bogenschiessen - Intuitives Bogenschiessen - Rolf Krizian

b 25.10.12ab 25.10.12ab 25.10.12 Weiterbildung zur Lösungsorientierten BeraterinW iW i Dr. Theres Steiner, U. Fuchs

w i l o b A G Hendschikerstr. 5 CH- 5600 LenburgTel.: 062 892 90 79 Fax: 062 892 90 78 E-Mail: [email protected] Internet: www.wilob.ch

25SBAP. aktuell

Umfrage: Was A+O-Mitglieder wollen

Der Hauptfokus des SBAP. lag in denvergangenen Jahren im klinischen Be-reich. Dass das Psychologieberufege-setz (PsyG) zustande kam und darinfestgeschrieben wurde, dass Psycholo-gInnenmit einem FH-Abschluss denje-nigen mit einem universitären Ab-schluss gleichgestellt sind, ist ein Mei-lenstein in der Berufspolitik des SBAP..Der Titelschutz kommt den Psycholo-gInnen aller Fachrichtungen zugute.Im SBAP. sind über 160Mitglieder ausder Arbeits- und Organisationspsy-chologie organisiert. Was erwarten sievom SBAP.? Welches sind ihre aktuel-len Bedürfnisse? Eine kurze Umfrageunter den A+O-Mitgliedern im Herbst2011 zeigt, dass der Einsatz des SBAP.für das PsyG und andere berufspoliti-sche Anliegen sehr geschätzt wird unddass die Standards wie die SBAP.-Be-rufsordnung und die Richtlinien zurFortbildung als wichtige Instrumentezur Qualitätssicherung im Berufsalltagwahrgenommen werden. MehrereAntwortende unterstreichen, dass sie«einem seriösen Berufsverband» an-gehörenwollen und dieMitgliedschaftbeim SBAP. und der Fachtitel SBAP. inArbeits- und Organisationspsycholo-gie vertrauenerweckend auf ihre Kun-dInnen wirkten.Die A+O-Leute äussern das Bedürfnisnach stärkerer Vernetzung unterei-nander, aber auch nach einer Vernet-zung mit der Schweizerischen Gesell-schaft für Arbeits- undOrganisations-psychologie (SGAOP). Sie vermissenA+O-Themen in der Verbandszeit-schrift punktum. sowie fachlicheWei-ter- und Fortbildung, die vom SBAP.oder in Kooperation mit anderen Be-rufsverbänden angeboten wird. DieStelleninserate, welche die Geschäfts-stelle an die Mitglieder weiterleitet,werden als wichtiges Plus bezeichnet.Praktisch alle Antwortenden wün-schen sich jedoch mehr Angebote ausdem Bereich A+O. Und schliesslichverweisen mehrere Mitglieder auf dieKonkurrenz von Nicht-PsychologIn-nen: Sie wünschen sich ein Lobbyingin der Wirtschaft für die Vorteile vonA+O-PsychologInnen gegenüberLeuten mit betriebsökonomischemoder HR-Hintergrund und entspre-chenden Weiterbildungen.

Als neues Vorstandsmitglied und Res-sortleiterin Arbeits- und Organisati-onspsychologie ist es mir ein grossesAnliegen, dass sich A+O-Mitgliedergenauso vom SBAP. vertreten und imSBAP. zu Hause fühlen wieMitgliederanderer Fachrichtungen. Bereits ist ei-niges in die Wege geleitet: Im punkt-um. wird in Zukunft jedes Mal min-destens ein Artikel aus dem BereichA+O erscheinen. Dafür habe ich dieZusammenarbeit mit den beidenFachhochschulen ZHAW und FHNWintensiviert. Mitglieder, die publizierenmöchten, können sich direkt bei miroder auf der Geschäftsstelle melden.Die Themen der Hefte werden jeweilslange im Voraus im punktum. veröf-fentlicht.An Vernetzungsanlässen stehen unse-ren Mitgliedern das Forum 13 (zwei-mal pro Jahr), die GV, die Betriebsbe-sichtigung und das Ethik-Forum zurVerfügung. Bereits das nächste Forum13 ist einem A+O-Thema gewidmet:Brigitte Liebig, Professorin am Institutfür Kooperationsforschung und -ent-wicklung der FHNW, wird am 13. No-

vember 2012 das Thema «Organisa-tionskultur und Geschlechtergleich-stellung in Unternehmen» behandeln.Weitere Ideen bestehen, ich nehmegern auch Anregungen und konkreteVorschläge der Mitglieder auf. Diesgilt insbesondere auch für fachlicheFortbildungen.Schliesslich ist mir auch die Berufs-und Arbeitsmarktfähigkeit von A+O-PsychologInnen ein Anliegen. Seit derUmstellung auf das Bologna-Systemsind drei «Kategorien» von A+O-Leu-ten auf dem Markt: Diplomierte, Ba-chelor und Master. Wie gut sind dieUnternehmen und Institutionen überdie unterschiedlichen Profile infor-miert? Welches sind die BedürfnissedesMarkts? Um in diesen Fragenwei-terzukommen, habe ich in einem ers-ten Schritt Kontakt mit den A+O-Ver-antwortlichen an den beiden Fach-hochschulen ZHAW und FHNW auf-genommen und erste Ideen entwi-ckelt. Ich hoffe, in einer der nächstenAusgaben von punktum. mehr darü-ber berichten zu können.

Trix Angst

NEUE TITEL AUS IHREM INTERESSENGEBIET

Bestellen ist ganz einfach: Rufen Sie uns an: 0848 482 482 (Normaltarif)oder schreiben Sie uns eine E-Mail: [email protected]

Hagehülsmann, U. / H. Hagehülsmann:Entschieden für dichFreiheit und Abhängigkeit in der Liebe2011. 1790 S., Abb., kart., ca. CHF 21.90 (Herder / Kreuz)978-3-451-61016-5

Selbstbestimmt wollen wir sein, flexibel und unabhängig bleiben. DieAutoren zeigen: Eine stabile und beglückende Beziehung braucht beides,Autonomie und Abhängigkeit.

Jellouschek, H.:Achtsamkeit in der PartnerschaftWas dem Zusammenleben Tiefe gibt2011. 159 S., geb., ca. CHF 24.60 (Herder / Kreuz) 978-3-451-61004-2

Wirklich bei mir sein und beim Anderen: Dieses Wechselspiel hält einePartnerschaft lebendig und gibt ihr auf die Dauer Tiefe. Achtsamkeit inder Partnerschaft zu üben und zu pflegen bedeutet herauszufinden, wasdem Anderen und mir selbst wichtig ist, ohne es gleich zu bewerten.

Vom SBAP. ausgezeichnete Masterarbeit

Die Rolle von Schuldgefühlen in der Entwicklung prosozialen Verhaltens

Das gesellschaftliche Zusammenle-ben bedingt gegenseitige Unterstüt-zung, die Sorge um weniger Privile-gierte und das Unterlassen von Schä-digungen anderer. Prosoziale Verhal-tensweisen sind die Basis jeder De-mokratie. Sozio-moralische Kompe-tenzen sollen Kinder und Jugendlichebefähigen, individuelle Interessenmitgesellschaftlichen Aufgaben und derÜbernahme von sozialer Verantwor-tung auszubalancieren.

Auf der Ebene des Individuums sindgesellschaftlicheWerte zusammenmitpersönlichen moralischen Überzeu-gungen im Gewissen repräsentiertund Teil der moralischen Identität.Wiekommt eine solche moralische Identi-tät zustande? Es ist allgemein aner-kannt, dass sowohl soziales Umfeld,Persönlichkeit des Kindes und wohlauch biologische Faktoren einen Ein-fluss auf die moralische Entwicklungausüben. Gegenwärtig bildet eine in-tegrative Sichtweise, die sozial-kogni-tive und sozial-emotionale Perspekti-ven vereinigt, die Grundlage der For-schungsbemühungen.In meiner Masterarbeit konnte ich dieRolle von Schuldgefühlen in der Entwick-lung prosozialen Verhaltens im mittlerenKindesalter untersuchen. Im Zentrumstand die Frage, ob das Ausmass anSchuldgefühlen die Ausprägung proso-zialen Verhaltens erklären kann.Schuld ist einerseits eine moralischeEmotion, andererseits basiert sie aufden kognitiven Fertigkeiten derSelbstreflexion und Selbstbewertung.Das Empfinden von Schuldgefühlenzeigt auf, dass das Individuum eineninternalisierten moralischen Standardbesitzt und seine eigene Handlung imLicht dieses Standards als falsch wahr-

nimmt. Zusätzlich gilt auch die Fähig-keit, sich in andere einfühlen zu kön-nen (also Mitgefühl), als wichtige Vo-raussetzung für das Empfinden vonSchuldgefühlen. Denn erst Mitgefühlerlaubt es, die Situation des anderennicht nur kognitiv aus einer morali-schen Perspektive zu betrachten, son-dern sie auch emotional nachzuemp-finden. Schuldgefühle können als einZusammenspiel von Emotion und Ko-gnition aufgefasst werden.Aufgrund der Komplexität dieserEmotion ist es wahrscheinlich, dassSchuld im mittleren Kindesalter eineandere Qualität besitzt als im Erwach-senenalter, da zentrale kognitive Kon-zepte (beispielsweise Kausalität, Ver-antwortung) noch nicht vollständigverstanden werden. Es wird davonausgegangen, dass Kinder nach einerÜbertretung nur unter der Bedingungeines rudimentären Selbsterkennens(Selbst-andere-Differenzierung) undeinem ersten RegelverständnisSchuldgefühle empfinden. Dazu kanndas soziale Umfeld Schuldgefühle in-duzieren, indem das fehlbare Verhal-ten aufgezeigt und die Verantwort-lichkeit hervorgehoben wird. Proso-ziales Verhalten wird bei Kindern abdem zweiten Lebensjahr beobachtet.Auch beim prosozialen Verhalten wirddavon ausgegangen, dass sowohlemotionale als auch kognitive Fakto-ren von Bedeutung sind. Kinder, dieteilen, trösten oder helfen, müssensich zumindest ansatzweise in die Po-sition des anderen versetzen, damit sieein Verhalten zeigen können, welchesder anderen Person gerecht wird (Per-spektivenübernahme).Hohes Mitgefühl kann in Bezug auffürsorgliches Handeln (noch) fehlendesozialkognitive Fähigkeiten kompen-

sieren. Im Verlauf der Entwicklungwird prosoziales Verhalten zuneh-mend differenziert und der Situationund Person angepasst. Schuldgefühlebeeinflussen moralisches prosozialesVerhalten zweifach: einerseits als an-tizipierte Emotion, wenn eine Hand-lung erwogen wird, und andererseitsals resultierende Emotion nach erfolg-tem Verhalten. Dann haben Schuld-gefühle oftmals wiedergutmachendesVerhalten zur Folge. Aus diesemGrund darf erwartet werden, dassSchuldgefühle prosoziales Verhaltenvoraussagen können.

Selbstattribution von SchuldgefühlenDie Fragestellung wurde mit Hilfe derDaten der Intensivstudie «Kompetenzund Kontext (COCON)» des JacobsCenter der Universität Zürich bearbei-tet. Es zeigte sich, dass sich die signi-fikanteMehrheit der Kinder in den hy-pothetischen moralischen Konflikten(Übertretung eines Verbots respektiveUnterlassung einer Hilfeleistung) ne-

26 SBAP. aktuell

Margareta Meyer, Dr. sc. nat., pro-movierte 1998 an der ETH Zürich,wo sie bis 2000 als Postdoktoran-din am Institut für Mikrobiologiearbeitete. Danach war sie fünf Jah-re als IKRK-Delegierte in Afrika undAsien tätig. Ihr Zweitstudium (MScZFH in Angewandter Psychologie)an der ZHAW schloss sie 2011 abund ist seither als Psychologin tätig.

Im Rahmen der Diplomierung 2011 zeichnete der SBAP. bereits zum zweitenMal drei PreisträgerInnen für innovative angewandt-psychologische Mas-terarbeiten aus. Die Preise umfassen neben 500 Franken in bar und einemJahr Mitgliedschaft im SBAP. die Möglichkeit, die Arbeit im punktum. vorzu-stellen.Den Anfang der kleinen Reihe machte im letzten Heft der Arbeits- und Or-ganisationspsychologe Hannes Raschle. Diesmal folgt die Arbeit vonMarga-reta Meyer, Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie: «Die Rolle vonSchuldgefühlen in der Entwicklung prosozialen Verhaltens – Eine Längs-schnittuntersuchung in der mittleren Kindheit».

27SBAP. aktuell

Vom SBAP. ausgezeichnete Masterarbeit

gative oder gemischte Gefühle – alsopositive und negative Gefühle – zu-schreibt. Diese Selbstattribution vonSchuldgefühlen durch Mädchen undJungen wies keine signifikanten Un-terschiede auf. Beides steht in Ein-klang mit Befunden von anderenAutoren (vgl. Übersichtsartikel vonKrettenauer et al., 2008). Siebenjähri-ge attribuieren signifikant wenigerSchuldgefühle beim Verweigern einerprosozialen Pflicht als bei einer Ver-botsübertretung. Tendenziell ist diesauch im Alter von sechs Jahren schonzu konstatieren. Dieses Ergebnis stellteine Bestätigung bisheriger Ergebnis-se dar (Malti et al., 2009) und ist zu-dem gut vereinbar mit der Feststel-lung, dass die Übertretung eines Ver-bots als verwerflicher eingeschätztwird als eine unterlassene Hilfeleis-tung (Nunner-Winkler, 1999; zit. nachMalti et al., 2009).Es könnte sein, dass Siebenjährige,aufgrund einer weiter fortgeschritte-nen kognitiven Entwicklung, eher inder Lage sind, Schuldgefühle abzu-wehren und zu vermeiden. Die be-deutend geringere Anzahl Kinder, diesich im Alter von sieben Jahren (66Prozent) im Vergleich zu einem Jahrfrüher (79 Prozent) im Kontext einerVerbotsübertretung Schuldgefühle at-tribuiert und dies gleichzeitig auch imKontext einer unterlassenen Hilfeleis-tung tut, unterstützt diese Vermu-tung. Eine analoge Entwicklung ist beiMitgefühl beobachtet worden, wokognitive Bewertungen, insbesondereAttributionenwie Schuldzuweisungenoder die Zugehörigkeit des Opfers zubestimmten sozialen Gruppen,Mitge-fühl stark reduzieren können (Hoff-man, 2000).Das Geschlecht hat einen signifikan-ten Einfluss auf die Einschätzung desprosozialen Verhaltens durch die Lehr-person, wobei das Verhalten derMäd-chen als prosozialer eingeschätzt wur-de als dasjenige der Jungen. Bei denHauptbezugspersonen liess sich einsolcher Geschlechtsunterschied nur alsnicht-signifikante Tendenz beobach-ten. Dieser Befund bestätigt frühereStudien (Eisenberg et al., 2006; Maltiet al., 2009), welche geschlechtsspe-zifische Unterschiede in der prosozia-

len Entwicklung postulieren. Es lässtsich nicht abschliessend beurteilen, obdie hier beobachteten unterschiedli-chen Fremdeinschätzungen durchStereotype und Rollenerwartungenmitverursacht werden.Insgesamt schätzen Hauptbezugsper-sonen und Lehrpersonen das proso-ziale Verhalten der Kinder «eherhoch» bis «hoch» ein. Es ist keine sig-nifikante Zu- oder Abnahme des pro-sozialen Verhaltens der Kinder zwi-schen dem Alter von sechs und siebenJahren festzustellen.

Die Untersuchung der Fragestellungmittels Regressionsanalysen zeigte,dass Schuldgefühle, erfasst als Selbst-attribution in hypothetischen morali-schen Konflikten, das Ausmass proso-zialen Verhaltens, erfasst als Fremd-einschätzung von Hauptbezugs- undLehrperson, nicht in direkter Weisevorherzusagen vermögen. Das be-deutet jedoch nicht, dass ein Zusam-menhang von prosozialem Verhaltenund Schuldgefühlen per se ausge-schlossen werden muss. Einerseits ausmethodisch-experimentellen Grün-

Master of Advanced Studies

MAS Alter und GesellschaftDer demografische Wandel betrifft uns alle. Stellen Sie die richtigen Fragen und entwickeln Sie Antworten zusammen mit Fachpersonen aus Politik, Wirtschaft und gesellschaftlichen Institutionen. Innovativ, interdisziplinär, individuell.

Besuchen Sie das gesamte MAS-Programm oder absolvieren Sie eines der dazu gehörenden CAS-Programme CAS Planung und Alter, CAS Märkte und Alter oder CAS Soziale Systeme und Alter.

Start: November 2012Anmeldeschluss: 31. August 2012

Weitere Informationen unter www.hslu.ch/m140 und bei Ute Andree, T +41 41 367 48 64, [email protected]

Immer aktuell informiert: www.hslu.ch/newsletter-sozialearbeit

28 SBAP. aktuell

Vom SBAP. ausgezeichnete Masterarbeit

den: Andere Erhebungsmethoden fürprosoziales Verhalten und für Schuld-gefühle können beispielsweise zu ab-weichenden Resultaten führen.In der Tat wurde in früheren Studienein direkter Zusammenhang vonSchuld und prosozialem Verhaltennachgewiesen, wenn das prosozialeVerhalten konkret beobachtet wordenwar (Malti et al., 2009).

Kindliche MoralentwicklungAndererseits ist auch dokumentiertworden, dass Schuldgefühle in Inter-aktionmit anderen Variablen, wie bei-spielsweise moralischen Kognitionen(etwa dem Verständnis von morali-schen Regeln), einen Einfluss auf pro-soziales Verhalten ausüben. Dies istfür die Kombination von selbstattribu-ierten Emotionen und entsprechendenBegründungen bereits nachgewiesenworden (Malti et al., 2007, 2009).Eine hohemoralischeMotivation (wasals Mass für die Übernahme morali-scher Verantwortung respektive alsVorstufe des moralischen Selbst ver-standen werden kann) geht mit ho-hem prosozialem Verhalten einher,während bei tiefer moralischer Moti-vation prosoziales Verhalten nur mitzunehmendem Mitgefühl zunimmt.Diese Resultate könnten darauf hin-weisen, dass Mitgefühl im Hinblickauf prosoziales Verhalten fehlendemoralische Motivation kompensierenkann, und indizieren gleichzeitig eineVerbundenheit von moralischer Emo-tion und moralischem Urteil.Um Interventionen zur Förderungprosozialen Verhaltens effizient zu ge-stalten, müssen die determinierendenkognitiven und affektiven Prozessezumindest in ihren Grundzügen ver-standen werden. Die Erforschung derkindlichen Moralentwicklung, insbe-sondere der Vorläufer des moralischenSelbstverständnisses, könnte dazu ei-nen bedeutungsvollen Beitrag leisten.Es besteht die Möglichkeit, dass sichdie gewonnenen Erkenntnisse auchauf andere Entwicklungsprozesse vonsozialen, kognitiven und emotionalenKompetenzen übertragen lassen unddem Verständnis von kindlichen Ent-wicklungsprozessenwertvolle Impulseverleihen. Margareta Meyer

LiteraturKontext und Kompetenz. Kinder- undJugend-Survey Schweiz. Online avai-lable: http://www.cocon.uzh.ch/de/design.html [2010, 15.11.2010].Eisenberg, N., Spinrad, T.L., & Sadov-sky, A. (2006): Empathy-related res-ponding in children. In M. Killen & J.Smetana (Hrsg.), Handbook of moraldevelopment (S. 517–549). Mahwah,NJ: Erlbaum.Hoffman, M.L. (2000): Empathy andmoral development. Implications forcaring and justice. New York: Cam-bridge University Press.Krettenauer, T., Malti, T., & Sokol, B.(2008): The development of moralemotion expectancies and the happyvictimizer phenomenon: A critical re-view of theory and application. Euro-pean Journal of Developmental Sci-ence, 2 (3), 221–235.Malti, T., Gummerum, M., & Buch-mann, M. (2007): Contemporaneous

and one-year longitudinal predictionof children’s prosocial behaviour fromsympathy andmoral motivation. Jour-nal of Genetic Psychology, 168 (3),277–299.Malti, T., Gummerum, M., Keller, M.,& Buchmann, M. (2009): Children’smoral motivation, sympathy, and pro-social behavior. Child Development,80, 442–460.Malti, T., & Perren, S. (2008): Einfüh-rung. In T. Malti & S. Perren (Hrsg.),Soziale Kompetenz bei Kindern undJugendlichen. Entwicklungsprozesseund Förderungsmöglichkeiten (S. 9–12). Stuttgart: Kohlhammer.Nunner-Winkler, G. (1999):Develop-ment of moral unterstanding and mo-ral motivation. In F.E. Weinert & W.Schneider (Hrsg.), Individual deve-lopment from 3 to 12: Findings fromthe Munich longitudinal study (S.253–290). New York: Cambridge Uni-versity Press.

Fortbildung in Psychotherapie mit systemischem Schwerpunkt

15.02.2012 Anwendung von Hypnose-Techniken in der systemischen Therapie Carla Kronig-Zurbriggen, lic. Erz.wissenschaften

Kursort: ZSB Bern26./27.04.2012 Dann komm ich halt, sag aber nichts -(1 1/2 Tage) Motivierung Jugendlicher in Therapie u. Beratung

Dr. med. Jürg Liechti Kursort: ZSB Bern04.05. / 01.06. / 06.07.12 Eigentlich haben sie gar nicht so viel gemacht

Komplex erfassen, einfach handeln - Workshop zum Buch*lic. phil. Martin Rufer *ab 05.04.12 im Buchhandeleinzelne Tage können nicht gebucht werdenKursort: ZSB Bern

08.06.2012 Die sportliche Praxis in der Psychotherapie: Bewegung effizient eingesetzt Markus Grindat, dipl. Soz. Kursort: ZSB Bern

20.06.2012 Alexithymie - eine Störung der Affektregulation Theorie und Praxis Gastreferent PD Dr. med. Michael Rufer Kursort: ZSB Bern

28./29.06.2012 Impulse aus der Bindungstheorie - Relevanz für die(1 1/2 Tage) Systemtherapie bei Jugendlichen mit Entwicklungsproblemen

Dr. med. Jürg LiechtiKursort: ZSB Bern

23.11.2012 Stationäre Systemtherapie (inkl. Jugendhilfe) und hilfreicheKomplexitätsreduktion in Netzwerken

Markus Grindat, dipl. Soz.Kursort: ZSB Bern

Anmeldung/Informationen: Sekretariat ZSB Bern, Villettemattsgtrasse 15, 3007 BernTel. 031 381 92 82, Fax 031 381 93 11 , www.zsb-bern.ch oder [email protected]

ZSB

29SBAP. aktuell

Berufspolitische NewsVorstandsnews

60 Jahre SBAP.Der Vorstand hat beschlossen, dassdas 60-Jahr-Jubiläum gefeiert wird!Die 61. Mitgliederversammlung vom23. März 2011 soll eine denkwürdigeVersammlung werden. Dazu werdenspezielle Gäste eingeladen – alle ha-ben natürlich mit dem SBAP. und sei-ner Entwicklung zu tun! Das Play-back-Theater wird für überraschende,emotionale, nachdenkliche Augenbli-cke sorgen. Also nicht verpassen undgleich anmelden!Und wir planen im August eine punkt-um.-Jubiläumsausgabe.

Berufs- und LaufbahnberatungUnser Vorstandsmitglied Peter Gug-ger tritt wie angekündigt auf die GV2012 zurück. Wir werden ihn im Vor-stand vermissen. Ein herzliches Dan-keschön an dieser Stelle für sein gros-ses Engagement. Wir wünschen ihmalles Gute und viel Spass auf seinenReisen!

Wir freuen uns, dass Barbara Leu(Foto) neu bereit ist, die Nachfolgevon Peter Gugger anzutreten. Sie hatuns das folgende Porträt zugesandt:

«Handle stets so, dass die Anzahl derWahlmöglichkeiten grösser wird!»(Heinz von Foerster)Menschen zu unterstützen auf ihremWeg – bei Um- und Irrwegen, aberauch bei schönen Entwicklungen –und gemeinsam Wahlmöglichkeitenzu entwickeln, ist mein Anliegen inmeinem täglichen Tun als Berufs- undLaufbahnberaterin sowie Psychothe-rapeutin.Dass ich im Vorstand des SBAP. fürdas Ressort Laufbahn- und Rehabili-tationspsychologie mitarbeiten kann,freut mich in mehrfacher Hinsicht:Berufspolitische Arbeit: Im Kommis-sionen und Arbeitsgruppen möchteich mich vertieft mit Weiterentwick-lungen in der Berufs- und Laufbahn-beratung auseinandersetzen und soan der Front, aber auch konzeptuellmitarbeiten.Netzwerke: Ich bin überzeugt, dassaktive Berufspolitik im Sinne desSBAP. am besten im Dialog mit ver-schiedenen Menschen geschieht. In

diesen Dialog möchte ich mit Engage-ment eintreten.Dienstleistungen: Für Mitgliedermöchte ich mich einsetzen, dass siezielgerichtet zu Informationen im Be-reich Berufs- und Laufbahnberatungkommen; ebenso werde ich für diePrüfung der Fachtitel im Ressort zu-ständig sein.Last but not least: Ich freue mich auchauf den persönlichen Austausch imVorstand: Freude und Lust an der Ar-beit generieren sich für mich aus demzwischenmenschlichen Dialog.Der Vorstand heisst Barbara Leu herz-lich willkommen und freut sich aufeine erspriessliche Zusammenarbeit.

Umwandlung der altrechtlichen Titeldipl. Psych. FH in MSc-TitelWir erwarten in diesem Jahr mit Span-nung den Entscheid des Bundesver-waltungsgerichts.

Nichtärztliche Psychotherapieals Leistung der GrundversicherungFrau Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber (Grüne) hatte in der Herbstses-sion 2011 eine Anfrage an den Bun-desrat gestartet.«Nach geltender KVG-Regelung wer-den Psychotherapien von der Grund-versicherung nur übernommen, wennsie durch (ärztliche) PsychiaterInnenerbracht werden. Demgegenüberkönnen (nichtärztliche) psychologi-sche PsychotherapeutInnen ihre Leis-tungen nicht selbständig über dieGrundversicherung abrechnen. EineVerrechnung ist nur möglich, wenn sieihre psychotherapeutischen Leistun-gen in einem Anstellungsverhältnisund unter Aufsicht und Verantwor-tung von ÄrztInnen in deren Praxis er-bringen (sog. delegierte Psychothera-pie). Ihre Leistungen gelten dann alsärztliche Leistungen.Dieses Delegationsprinzip benachtei-ligt die PatientInnen in verschiedenerHinsicht: Der Zugang zu Psychothera-pien wird massiv erschwert, weil ent-weder über eine/n ÄrztIn um eine de-legierte Psychotherapie nachgesuchtoder ein/e PsychiaterIn aufgesucht

Wussten Sie schon …

…dass Ihnen Ihre SBAP.-Mitgliedschaft Zugang zu zahlreichen Vergüns-tigungen im Bereich der Medien ermöglicht?Im Folgenden finden Sie einige Angebote. Profitieren Sie davon – es lohntsich!

10% RabattOrell Füssli bei Bestellungen von Büchern und anderen Medien.15% Rabatt Carl Auer Verlag bei Bestellungen von Büchern.20% Rabatt (Studenten 50%) Jahresabonnement «Tages-Anzeiger».Sie sparen Fr. 79.60, Studenten sogar Fr. 199.–.

Auch im Versicherungsbereich stehen Ihnen mit der SBAP.-Mitgliedschaftalle Türen zu Vorzugskonditionen offen. Die Kollektiv-Berufshaftpflicht-versicherung können Sie jährlich für Fr. 160.– abschliessen und dabei min-destens Fr. 100.– sparen.

Mehr zu den Vorzügen Ihrer SBAP. -Mitgliedschaft erfahren Sie unter:www.sbap.ch/dienstleistungn oder www.fhschweiz.ch/leistungsuebersicht

30 SBAP. aktuell

Berufspolitische News

werden muss, was für viele Menschenauch heute noch eine grosse Hürde ist.Psychotherapien bei selbständigen Psy-chotherapeutInnen aber müssen selbstbezahlt werden, sofern nicht eine Zu-satzversicherung einen Beitrag über-nimmt – und das bei einer bestehendenUnterversorgung im Bereich der psy-chischen Krankheiten.Bereits 1992/93 hat die damalige Bun-desrätin Ruth Dreifuss im Rahmen derKVG-Beratungen zugesichert, die psy-chologischen PsychotherapeutInnenals selbständige Leistungserbringer indie Grundversicherung aufzunehmen,sobald deren Aus- und Weiterbildunggeklärt sei. Mit dem positiven Entscheidzum Psychologieberufegesetz (PsyG)ist diese Frage nun klar beantwortet.Das PsyG verlangt für den Psychothe-rapieberuf eine Grundausbildung inPsychologie (Hochschulabschluss aufMasterstufe) und einen eidgenössi-schen Weiterbildungstitel, der in einermehrjährigen Fachausbildung in einemvom Bund akkreditierten Weiterbil-dungsgang erworben werden muss.Angesichts dieser klaren Ausgangslagebitte ich den Bundesrat, mir folgendeFragen zu beantworten:Wie gedenkt der Bundesrat vorzuge-hen, um die Leistungen der nichtärztli-chen PsychotherapeutInnen angemes-sen in der Grundversicherung zu ver-ankern?Wie gedenkt er die selbständige Ab-rechnung von Leistungen der nicht-

ärztlichen PsychotherapeutInnen zu re-geln?Bis wann und in welcher Form will erdiese Schritte unternehmen?»

Die Antwort des Bundesrates lässt hof-fen! Das zuständige Departement stehtnun unter der Leitung von BundesratAlain Berset, und dieser dürfte sichwohl eher in Richtung des Kurses derehemaligen Bundesrätin Ruth Dreifussbewegen.Hier die Antwort des Bundesrates:«1. Dem Bundesrat ist bekannt, dassdie nichtärztlichen Psychotherapeutin-nen und -therapeuten einen wesentli-chen Beitrag zur Sicherstellung der am-bulanten psychotherapeutischen Ver-sorgung der Bevölkerung leisten. So-fern die nichtärztlichen Psychothera-peutinnen und -therapeuten von einemArzt oder einer Ärztin angestellt sindund die Behandlungen unter derenAufsicht und Verantwortlichkeit in derArztpraxis vornehmen (sog. delegiertePsychotherapie), werden die Leistun-gen von der obligatorischen Kranken-pflegeversicherung vergütet. In diesemFall gelten diese Leistungen als ärztlicheLeistungen und sind unter den Voraus-setzungen der Artikel 2–3b in der Ver-ordnung des EDI über Leistungen in derobligatorischen Krankenpflegeversi-cherung (KLV; SR 832.112.31) von derKrankenversicherung zu vergüten. Mitdem voraussichtlich auf den 1. Januar2013 in Kraft tretenden Bundesgesetz

über die Psychologieberufe (PsyG)wer-den die Voraussetzungen für die Prü-fung einer Neuregelung der Leistungs-abrechnung im Rahmen des Kranken-versicherungsgesetzes (KVG) geschaf-fen: Mit dem PsyG wird die Aus- undWeiterbildung der psychologischenPsychotherapeutinnen und -therapeu-ten schweizweit harmonisiert und aufhohem Niveau festgelegt. Der Bundes-rat wird daher verschiedene Modelleder Zulassung der psychologischenPsychotherapeutinnen und -therapeu-ten zur Leistungsabrechnung und kon-krete Vorschläge für die Ablösung desderzeitigen Modells der delegiertenPsychotherapie prüfen.2. Im Zentrum der Überlegungen dürf-te die Prüfung einer Anpassung derVerordnung über die Krankenversiche-rung (KVV; SR 832.102) stehen: Die Er-gänzung der Liste der Leistungserbrin-ger, die auf ärztliche Anordnung hinLeistungen zu Lasten der obligatori-schen Krankenpflegeversicherung er-bringen können, liegt in der Kompe-tenz des Bundesrates. Die KVV müssteauch die Zulassungsvoraussetzungenpräzisieren, welche die psychologi-schen Psychotherapeutinnen und -the-rapeuten erfüllen müssten. Die konkre-ten Bedingungen zur Kostenübernah-me von deren Leistungen (z.B. Art,Umfang,Modalitäten der Überprüfungder Leistungspflicht) wären im Detail inder KLV zu regeln.3. Die Prüfung der Grundlagen für eineallfällige Anpassung von KVV und KLVwird im Verlauf des nächsten Jahres andie Hand genommen. Die interessier-ten Kreise werden Gelegenheit haben,im Rahmen einer Anhörung zu allfälli-gen Vorschlägen Stellung zu nehmen.Konkrete Anpassungen wären frühes-tens auf den Zeitpunkt des Inkrafttre-tens des PsyG möglich.»Quelle:http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20111068Der SBAP. ist überzeugt, dass die psy-chologische Psychotherapie im Ge-sundheitswesen Kosten spart!Es bestehen Versorgungsdefizite: DreiProzent der Bevölkerung leiden an ei-ner behandlungsbedürftigen Depressi-on!

Neue MitgliederGeering Maggie, ZürichHall-Bieri Janine, SissachHandschin Ricardo, StäfaLensing Hilde M., ZürichPeterhans-Heri Léonie, FislisbachTresch Widmer Verena, OltenWitzig Telma, Alchenflüh

Neue StudentenmitgliederAndermatt Sandra, SurseeMoser Regine, ZürichWichser Andrea, Näfels

Herzlich willkommen!

PsychologInnen SBAP.Geering Maggie, ZürichHandschin Ricardo, StäfaLensing Hilde M., ZürichWitzig Telma, Alchenflüh

PsychotherapeutInnen SBAP.Eyholzer Hämmerli Brigitte,Othmarsingen

Geering Maggie, ZürichMarti-Salzmann Gabrielle, ZürichScheidegger-Schmidmeister Daniela,Zürich

Schlosser Astrid, ZürichTresch Widmer Verena, Olten

Der SBAP. gratuliert!

31SBAP. aktuell

Berufspolitische News

Weshalb lohnt es sich, dem SBAP. beizutretenoder ihm weiterhin die Treue zu halten?

– Der SBAP. freut sich seit seiner Gründung 1952, HochschulpsychologInnenin seinen Reihen herzlich willkommen zu heissen.

– Der SBAP. ist der kostengünstigste Verband mit dem grössten Dienstleis-tungsangebot.

– Der SBAP. hat die grösste Erfahrung in der Vertretung der Anliegen der FH-Psychologie.

– Nur im SBAP. sind BSc-PsychologInnen Vollmitglieder.

– Nur im SBAP. profitieren Studierende von allen Vorteilen der Mitgliedschaft

SBAP. nützt!Der SBAP. hat das Erziehungsdepar-tement des Kantons Basel-Stadt imRahmen eines Stelleninserates auf dieGleichwertigkeit der Abschlüsse vonFachhochschulen und Universitäthingewiesen. Prompt erhielten wirdie Antwort, dass die Gleichwertig-keit der Abschlüsse unbestritten seiund sich InhaberInnen eines Fach-hochschulabschlusses in Angewand-ter Psychologie unbenommen be-werben könnten.

Bildungsdirektion des Kantons ZürichUnser RA Beat Messerli hat Frau Re-gierungsrätin Regine Aeppli auf dieTarifgestaltung für Leistungen derPsychotherapeutischen Praxisstelleam Psychotherapeutischen Zentrumder Universität Zürich hingewiesen.Der SBAP. hält die Tarife nicht fürmarktkonform, sondern findet, dassdiese Stelle die frei praktizierendenPsychotherapeutInnen konkurren-ziert. Frau RR Aeppli argumentiert,dass die erbrachten psychotherapeu-tischen Leistungen im Interesse vonForschung und Lehre stünden unddeshalb «bei der Tarifgestaltung eineOrientierung anmarktkonformen undkostendeckenden Preisen nicht zwin-gend ist», und fährt fort: «… die FSPwürde keine entsprechenden Tarifeveröffentlichen.» Nun, die Wettbe-werbskommission hätte gar keineFreude daran, wenn die Berufsver-bände Tarifempfehlungen erlassenwürden!

FHNWAm 9. Januar 2012 trafen sich Vertre-ter der Schule APS der FHNW, desSBAP. unter der Leitung von Prof.Iwan Rickenbacher zum Gesprächund Austausch. Im Vordergrund standdie Weiterentwicklung des Kontakteszwischen FHNW und dem SBAP. DerSBAP. unterstrich die vielfältigenMöglichkeiten, die der SBAP. sowohlden Studierenden, BSc-AbsolventIn-nen als auch den MSc-AbsolventIn-nen als FH-erprobter Berufsverbandzu bieten hat. Es wird deutlich, dassdie Verstetigung der Kontakte zwi-schen FHNWund dem SBAP. von bei-derseitigem Interesse ist.

Vereinbart wird, dass der SBAP. einKonzept erarbeitet, um an der FHNWden Berufsverband und die berufspo-litisch relevanten Themen vorstellenzu können.Die Hochschulleitung wird zu einemjährlichen Treffen einladen.

Heidi Aeschlimann

Alumni-Ball 2011Am 12. November 2011 fand der ers-te Alumni-Ball im stilvollen Ambientedes Belvoirparks in Zürich statt.Der Abend begeisterte die Gäste nichtnur aus kulinarischen Gründen, son-dern auch durch die gute Stimmung,welche insbesondere durch das durch-mischte Publikum zustande kam. So-wohl Alumni der ersten Stunde alsauch neue Studienabgänger sowieVertreter von Studienausbildung undBerufsverband waren da und kamenin festlicher Stimmungmiteinander insGespräch. Ein besonderes Highlightwar der virtuose Pianist André De-

sponds, welcher mit seinem breitenRepertoire alle begeistern und zu spä-terer Stunde auch so einige Tanzbeinehervorlocken konnte. Es gab wunder-schöne Roben zu bestaunen.Nach dem gelungenen Auftakt in eineneue Tradition kann die Planung einerFortsetzung beginnen!

Franziska Meier, SBAP.-Alumni

Zur Diskografie von André Desponds,unserem Pianisten am Alumni-Ball:Gershwin Piano Quartet «be.four»1 CD + 1 Bonus-DVD –zhdk records 22/10Stravinsky, Wirth, Ravel, Porter,GershwinAuch erhältlich auf iTunesDie CD kann bestellt werden unter:[email protected]

SBAP. aktuell32

Berufspolitische News

SGPO-ArbeitsgruppeDie Arbeitsgruppe (AG) Gesundheits-politische Aspekte der Schweizeri-schen Gesellschaft für Psycho-Onko-logie (SGPO), in der Heloisa MartinoEinsitz hat, traf sich nach knapp ein-jähriger Schaffenspause am 5. No-vember 2011 wieder. Im Zentrum derSitzung standen der Bericht «Natio-nales Krebsprogramm für die Schweiz(NKP) 2011–2015» sowie die darinenthaltenen Massnahmen in den Be-reichen Psychosoziale Versorgung undPsychoonkologie. Die «Oncosuisse»lancierte das NKP im April 2011 mitdem Ziel, die Massnahmen undMittelfür die Bekämpfung von Krebs in derSchweiz zu koordinieren. Für die AGgilt es nun, konkrete Vorschläge fürdie Umsetzung der im NKP formulier-ten Ziele in den genannten Bereichenzu entwickeln. Zudem hat der Vor-stand von Krebsliga Schweiz dieSGPO und die OnkologiepflegeSchweiz damit beauftragt, Vorschlägefür die Finanzierung der psychosozia-len Dienstleistungen zu erarbeiten.Das weitere Vorgehen sieht unter an-derem vor, die für den Bereich Pallia-

tive Care Verantwortliche im Bundes-amt für Gesundheit (BAG), Dr. Cathe-rine Gasser, für ein Gespräch zu denvom BAG erlassenen «NationalenLeitlinien Palliative Care» anzufragen.Der Bericht «Nationales Krebspro-gramm für die Schweiz (NKP) 2011–2015» kann auf der Website von On-cosuisse (http://www2.oncosuisse.ch/index.html) heruntergeladen werden.Weitere Infos:[email protected]

Fachgruppe Mental Health:«Von der Reflexion zur Aktion»Die Fachgruppe Mental Health vonPublic Health Schweiz hat sich am 25.Oktober 2011 zur Plenarsitzung ge-troffen. Die Anwesenden beschlossen,unter dem Motto «Von der Reflexionzur Aktion» aktiver zu werden: DieFachgruppenmitglieder möchten ihrExpertenwissen der Öffentlichkeit zu-gänglich machen und sich stärker po-litisch engagieren.Das Arbeitspapier zur Stigmatisierung,das von Heloisa Martino mitverfasstwurde, wird voraussichtlich EndeMärz 2012 publiziert. Weitere Infos:

[email protected]

Stigmatisierungpsychischer Krankheiten:Spezialausgabe von MediaplanetIn der Spezialausgabe «Depressionund Burnout» des Verlags Mediapla-net, die am 27. Dezember 2011 alsBeilage zum «Tages-Anzeiger» er-schienen ist, hat Heloisa Martino ei-nen Beitrag zur Stigmatisierung psy-chischer Krankheiten mitverfasst. DerArtikel wurde gemeinsam mit demPast-Präsidenten der SGPP, Dr. med.Hans Kurt, verfasst. Im Beitrag erläu-tern beide das Phänomen der Stigma-tisierung von Menschen mit psy-chischen Erkrankungen und machenaufmerksam auf deren Auswirkungenfür Betroffene und Gesellschaft. DerArtikel kann auf der SBAP.-Websiteunter «News» heruntergeladen wer-den. Weitere Infos:

[email protected]

IAAP: Neueste ZeitschriftenausgabeDie neueste Ausgabe der IAAP-Fach-zeitschrift «Applied Psychology – AnInternational Review» (Vol. 61, Issue1) von Januar 2012 liegt in der Ge-schäftsstelle vor. Bei Interesse könnendie SBAP.-Mitglieder auf diese Zeit-schrift und die Publikation «AppliedPsychology: Health & Well-Being»online zugreifen. Die Angaben für denZugriff können Sie per Mail an [email protected] anfordern.

Heloisa Martino

Schweizerische Graphologische Gesellschaft SGG

www.sgg-graphologie.ch Société Suisse de Graphologie SSG

Fachausbildung zum Schriftpsychologen/Graphologen in Zusammenarbeit mit ZHAW, Dpt Angewandte Psychologie

- Grundausbildung im Rahmen des Psychologiestudiums - Fachausbildung: CAS in Schriftpsychologie (12 ECTS Punkte) Bei erfolgreichem Abschluss des CAS in Schriftpsychologie kann die Mitgliedschaft SGG und/oder der Fachtitel SBAP. In Schriftpsychologie beantragt werden.

Nächster Start des CAS: September 2012 Information:

www.sgg-graphologie.ch

sowie http://www.zhaw.ch/nc/de/zhaw/weiterbildung/programme-nach-abschluss/programme-nach-abschluss.html?i=P6156&gu=52367

33Inserat

Leadership, Coaching & Change ManagementMAS / DAS / CAS Leadership & Management bis 4 Semester MAS Supervision & Coaching in Organisationen 5 SemesterMAS Coaching & Organisationsberatung ca. 8 SemesterCAS Change Management, Organisationberatung & -entwicklung 17 TageCAS Beratung in der Praxis (Grundmodul) 8 TageCAS Beratung in der Praxis (Aufbaumodul) 9 TageCAS Coaching Advanced 18 TageFührung in der Praxis 2 Tage + 7 × 3 Std.Führung als Herausforderung 5 TageUnternehmenskultur 2 TageKonfliktmanagement 4 TageMediation in der Berufspraxis 2 Tage Verhandlungstraining 2 Tage Die Führungskraft als «Coach»? 2 Tage Mit Führung den demografischen Wandel gestalten 2 Tage

Human Resources, Development & AssessmentMAS Human Resources Management 4 SemesterCAS Personalentwicklung & -diagnostik 18 TageCAS Teams erfolgreich steuern & begleiten 14 TageMAS Ausbildungsmanagement 5 SemesterCAS Ausbilder/in in Organisationen 2 SemesterCAS Didaktik-Methodik 14 TageCAS Beratung in der Praxis (Aufbaumodul), Vertiefung HR-Praxisfeld 9 TageLernprozesse von Gruppen begleiten 4 ½ TageInterviewtechnik für die Personalselektion 2 Tage Supervision für Ausbilder/innen 5 × ½ Tag

Berufs-, Studien- &LaufbahnberatungMAS Berufs-, Studien- & Laufbahnberatung 4 Semester

Persönlichkeit, Kommunikation & SportCAS Psychologisches & mentales Training im Sport 3 SemesterEmotionale Intelligenz I 2 TageEmotionale Intelligenz II 2 TagePersönlichkeit und Führung 3 Tage + 6 × 2 ½ Std.Wirkungsvolle Moderation 2 TageBewusster kommunizieren 5 × 3¼ Std.

Klinische Psychologie & PsychotherapieMAS Systemische Psychotherapie (in Kooperation mit dem ZSB Bern) 6-8 SemesterMAS Systemische Beratung (in Kooperation mit dem ZSB Bern) 6 SemesterMAS Kinder- & Jugendpsychotherapie 8 SemesterPsychodrama mit Kindergruppen, Soziodrama mit Jugendlichen 2 TageUmgang mit Risiken und Chancen digitaler Medien, Schwerpunkt Kinder und Jugendliche 1 TagDepressionen im Kindes- und Jugendalter ½ TagAutismus und Asperger-Syndrom im Kindes- und Jugendalter 2 TagePosttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bei Kindern 1 Tag Erziehungsberatung für Eltern mit Kindern bis 7 Jahre 2 TageProjektive Testverfahren 1 TagKognitive Verhaltenstherapie bei Angststörungen 1½ TageBurnout ½ TagMindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) – eine Einführung 1 TagDer imaginative Zugang zum Klienten 2 TageADHS Diagnostik 1 TagADHS im Erwachsenenalter 1 TagDepression im Alter: Erkennen, Verstehen, Helfen 1 TagPsychotherapie im Alter: Möglichkeit und Grenzen 1 Tag

Info und Anmeldung: Telefon +41 58 934 83 33, [email protected], www.iap.zhaw.ch/weiterbildung

IAP Institut für Angewandte Psychologie, Merkurstrasse 43, Zürich

Das aktuelle Kursangebot 2012

Weiterbildung

34 Gelesen

G.H. Seidler, H. J. Freyberger (Hg.): Handbuch der Psychotraumatologie

Mosaik der Traumaforschung

Das «Handbuch der Psychotraumato-logie» ist Ulrich Venzlaff, dem Nestorund Wegbereiter der Psychotrauma-tologie in Deutschland, gewidmet.Dies ist nicht nur ein Zeichen derWertschätzung, sondern auch ein Ver-weis auf ein der Psychotraumatologieimmanenter Fakt: Wo ein Trauma ist,gibt es einen Dritten, der die Wirkungdes Ereignisses in Frage stellt. Venzlaffhatte sich 1952 als junger Gutachtervor Gericht gegen einen namhaftendeutschen Professor durchgesetzt, derdie «unbegrenzte Ausgleichsfähigkeitdes Organismus bei schweren psy-chischen Traumen» postulierte. DieHaltung des Professors ist bis heute inunserer täglichen Praxis zu beobach-ten.Das Buch ist Einsteigern zu empfeh-len. Es ist aber auch wertvoll für sol-che, die schon lange auf dem Gebiettätig sind und sich über neuere Ent-wicklungen orientieren oder bestimm-te Fragen nachschlagen wollen.

Die vielen Beiträge setzen sich zu ei-nemMosaik zusammen, das nicht nurdie psychischen Manifestationen derTraumafolgestörungen zeigt, sondernden biologischen, sozialen und gesell-schaftlichen Dimensionen den not-wendigen Platz einräumt.Die posttraumatische Belastungsstö-rung ist nach wie vor wichtig. Sie al-leine macht aber nicht die Psycho-traumatologie aus. Die komplexenStörungen mit Konsequenzen für diePersönlichkeit, die dissoziativen Stö-rungen, die komplizierte Trauer, dieRolle der Traumatisierung bei der Aus-bildung und Manifestation von Psy-chosen, Suchterkrankungen und De-pressionen, die Kombination vonTrauma und Demenz sowie das weiteFeld der Komorbiditäten finden sich ineinem eigenen grossen Kapitel.Die Vielfältigkeit spiegelt sich auch inden zahlreich besprochenen Therapie-formen. Neben der kognitiven Verhal-tenstherapie, dem EMDR, werden un-

G.H. Seidler, H. J. Freyberger (Hg.):Handbuch der Psychotraumatolo-gie. Klett-Cotta, Stuttgart 2011,776 Seiten, Fr. 119.–,ISBN 978-3-608-94665-9.

psychotherapieausbildung.ch

-systemische Therapie

Weiterbildung in Psychotherapie mit systemischem Schwerpunkt

Von der FSP, SBAP und der SGPP anerkanntes Curriculum Beginn: 28. August 2013

Nächste Einführungskurse: 23. 24.3.2012 / 02. 03.11.2012 / 08. 09.03.2013

Weiterbildung in systemischer Paartherapie

7 Module und Supervision Beginn: 20. September 2012

Fortbildungskurse

07. 08.03.2012: Verhaltenstherapie und Systemtherapie:

Unterschiede wechselseitige Bereicherungen

02. 03.04.2012: Gemeinsames Wachsen in der Liebesbeziehung (für Paare)

01. 02.06.2012: Schuld, Schuldgefühle und schlechtes Gewissen

ogisch-systemische Therapie: Dr. med. H. Bruchhaus Steinert, Dr. phil. R. Frei, Lic. phil. B. Limacher Klosbachstrasse 123, CH- +41 (0)44 252 32 42 [email protected], www.psychotherapieausbildung.ch

ter anderem auch psychodynamischeVerfahren, gesprächspsychotherapeu-tische, systemische, psychopharmako-logische und spirituelle Ansätze, dieTherapie im Gruppensetting undneuere Verfahren wie die Internet-Therapie vorgestellt.Mit dem letzten Kapitel schliesst sichder Kreis zu Ulrich Venzlaff. Die Psy-chotraumatologie steht in einemSpannungsfeld zwischen Opfern, Tä-tern, Kostenträgern und Rechtsnor-men. In diesem Feld kommt der sach-verständigen Beurteilung und Begut-achtung eine enorm wichtige Bedeu-tung zu. Das Kapitel beleuchtet diedeutschen Verhältnisse, gibt aberauch für Interessierte aus anderenLändern wichtige Hinweise.

Dr. med. Jürg Haefliger,Psychiatrie & Psychotherapie FMH,

Institut für PsychotraumatologieZürich

35Gelesen

Karl Kälin: Hans Biäsch (1901–1975)

Angewandte Psychologie in der Schweiz

Im Berner Hans Huber Verlag erschien1959 ein Buch mit dem Titel «Ange-wandte Psychologie in der Schweiz»,verfasst von Mitgliedern der Schwei-zerischen Stiftung für AngewandtePsychologie wie Iwan Bally und HansBiäsch, allesamt der sogenannten Zür-cher Schule zugehörig. Der uneinge-löste Anspruch der Monographie aufRepräsentativität für die Schweiz riefdie international renommierte Psy-chotechnikerin Franziska Baumgarten(1883–1970), Universität Bern, aufden Plan. In ihrer Streitschrift «Zur Ge-schichte der angewandten Psycholo-gie in der Schweiz» (1961) gibt sie ei-nen gut belegten Überblick über dieEntwicklung angewandter Psycholo-gie in der Schweiz und kann zeigen:Die Pioniere in wissenschaftlicher, ex-perimenteller sowie organisatorischerHinsicht – beginnend mit der Grün-dung des berühmten Instituts Jean-Jacques Rousseau 1912 in Genf – wa-ren stets die Westschweizer, allen vo-ran der Genfer PsychologieprofessorEdouard Claparède (1873–1940).Kürzlich hat der Psychologe und Un-ternehmensberater Karl Kälin ein Buchüber einen der Wegbereiter der ange-wandten Psychologie in Zürich vorge-legt, über Hans Biäsch (1901–1975),seinen damaligen Lehrer und Vorge-setzten. Im Geleitwort wird ein dop-pelter Anspruch erhoben, nämlich«ein Bild der vielen Facetten» vonHans Biäsch sowie eines «der Ge-schichte der Angewandten Psycholo-gie in der Schweiz» zu zeichnen.Das erste Kapitel, «Von Davos nachZürich», gibt ein lebendiges Bild derländlich-bäuerlichen Lebensumständeund der persönlichen Entwicklung desstotternden Knaben zu einem For-scher mit breiten wissenschaftlichenInteressen. Danach wird der biogra-phische Anspruch weitgehend aufge-geben. An dessen Stelle tritt eine chro-nologische Aufzählung und Anhäu-fung von Biäschs Karrierestationen,von Fakten und verwickelten Detailsaus seinem beruflichen Werdegang.Biäsch studierte Naturwissenschaftenund als Zweitstudium die Fächer Phi-losophie und Psychologie an der Uni-versität Zürich. 1937 gründete er dasSeminar für Angewandte Psychologie,

wo praktische, das heisst nicht-uni-versitäre Psychologen für berufliche,erzieherische und charakterologischeBeratungen ausgebildet wurden.1952 gründete er den ersten schwei-zerischen psychologischen Berufsver-band, den SBAP., der dieses Jahr sein60-Jahr-Jubiläum feiert. 1953 wurdeBiäsch Dozent und 1966 Ordinariusan der ETH für Sozial-, Arbeits- undBetriebspsychologie sowie 1958 Ex-traordinarius für praktische Psycholo-gie an der Universität Zürich.Leider lässt die Anhäufung von Datenund Details eine reflektierende Ord-nung und Gewichtung für den Leservermissen. Es wäre gewiss interessantgewesen, einigen Fragen auch inhalt-lich nachzugehen, etwa Biäschs Bezie-hung zu C.G. Jung. Und was magwohl in seinem Artikel «Hitler alsSymbol unserer Zeit» (1936) gestan-den haben? Da hätte man doch ger-ne mehr gewusst, eingedenk derNähe einiger Protagonisten der Zür-cher Schule zu den deutschen Natio-nalsozialisten. Offenbar hat Kälinzahlreiche Interviews mit Zeitzeugengemacht – leider erfährt man darausnur wenig.Was den Umgang mit der Geschichteder angewandten Psychologie in derSchweiz anbelangt, so tut sich erneutder vor 53 Jahren von Baumgarten ge-

Karl Kälin: Hans Biäsch (1901–1975). Ein Pionier der Angewand-ten Psychologie. Chronos Verlag,Zürich 2011, 237 Seiten, Fr. 38.–,ISBN 978-3-0340-1088-7.

schilderte Röschtigraben auf: Der Au-tor reklamiert die Prioritäten für dieZürcher – was auch durch dieWieder-holung nicht wahrer wird.

Sabine Richebächer, Dr. phil.,Psychoanalytikerin

und freie Autorin in Zürich

36

Redaktionskommission:Heidi AeschlimannGülbin ErogulHeloisa MartinoClaudio MoroSabine Richebächer

MitarbeiterInnen dieser Ausgabe:

Heidi AeschlimannTrix AngstBarbara FehlbaumJürg HäfligerHeloisa MartinoRichard MerzFranziska MeierMargareta MeyerClaudio MoroMatthias NeuenschwanderLinda PolllariSabine RichenbächerAnita SiegfriedThomas SprecherEva WaiblingerClaudia Willi

Koordination /Inserate und Beilagen:SBAP. Geschäftsstelle

Auflage:1300 Exemplare

RedaktionsschlussNr. 2/2012: 13. April 2012

Layout:Helmut EstermannDruck und Ausrüsten:Druckerei Peter & Co., Zürich

Lektorat:Thomas Basler, Winterthur

Konzept und Gestaltung:greutmann bolzern zürich

Adresse:SBAP. GeschäftsstelleVogelsangstrasse 158006 ZürichTel. 043 268 04 05Fax 043 268 04 [email protected]

ISSN 1662-1778

SBAP.-Agenda

23.03.2012 61. Mitgliederversammlung in der Linde Oberstrass, 8006 ZürichAb 18 Uhr Apéro; 19.30 Uhr Mitgliederversammlung

03.04.2012 SBAP. Ethik-Forum: 19 –21 Uhr. Leitung: Dr. Peter A. Schmid.

12.05.2012 Fortbildung Notfallpsychologie mit Dr. med. J. Häfliger, Zürich9 –13 Uhr ZHAW Dep. P, Linde Oberstrass, Universitätstrasse 91, 8006 Zürich

08.06.2012 Betriebsbesichtigung: Briefzentrum Zürich-Mülligen.Anmeldung bis 31.05.2012 an die Geschäftsstelle SBAP. Treffpunkt: 15.15 Uhr in Zürich-Mülligen

11.09. 2012 SBAP.-Preis-Verleihung: Ab 17.00 Uhr im Vortragssaal des Kunsthauses Zürich

13.11.2012 Forum 13: «Organisationskultur und Geschlechtergleichstellung in Unternehmen»Prof. Dr. Brigitte Liebig, Institut für Kooperationsforschung und -entwicklung, HAP der FHNW

05.12.2012 SBAP. Ethik-Forum: 19–21 Uhr. Leitung: Dr. Peter A. Schmid, zhaw Dep. P, Merkurstr. 43, 8032 Zürich


Recommended