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ŽUPANIČ, Jan, Der Adel und die moderne tschechische Gesellschaft – zwei unterschiedliche Welten,...

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HH – G G „ADLER“,

WZVR-Z : 059615931

28. B , H 5 Jä / Mä z 2016

ISSN 0001-8260

Z ü G H

H -G G „A "B

Universitätsstraße 6/9b, A-1095 WienÖfentlich zugänglich an jedem Mittwoch (werktags) 17 bis 19 Uhr

N (SD = Sonderdruck; Ms. = Manuskript; Rep = Reprint)

Annuario Pontiicio 1991, Città del Vati-cano 1991. R-198.1991

Fritz B (Hg.): Das Kriegstagebuch des Karl Damasus von Schintling sowie weitere Berichte aus der Familienge-

schichte derer von Schintling, Neuburg 2015. W-9876

Jano G : A magyarorszagi

fönemesseg XX. szazadi genealogiaja =

Genealogie des ungarischen Hochadels im 20. Jh.,

Kctet A-J. Budapest 1990.Kctet K-Ö. Budapest 1993Kctet P-S. Budapest 1998Kctet Sz-Zs. Budapest: 1998 W-8636.1-W8636.4

Siegfried H : Haus der Geschichte: die Bestände des Oberösterreichischen Landesarchiv Linz, Linz 1998. ISBN: 3-900313-64-4. W-9983

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Miklós K á : Zsidóságon innen és túl: zsidók vallásváltása Magyarorszá-

gon a reformkortól az első világháborúig, Budapest 2014. ISBN: 963-9627-85-2. W-9987

István K á : Honvédek, hírszerzők, légionisták: a szabadságharc lengyel résztvevőinek életrajzi lexikona 1848-1849, Budapest 2015. ISBN: 978-615-5465-31-4. W-9986

Mario M und Matthias Z -: Ahnenliste Syz-Hegetschwei-

ler: kommentierte Ahnenliste der Anna Borgarello, geb. Syz (1864 – 1951); eine bürgerliche „Wiener“ Karolinger-Ab-

stammung mit Quellenangaben, Kom-

mentaren und Namenindex; samt Vor-fahren der Familien Abegg, Buchmann, Eschmann .... (Ancestry list Syz-Hege-

tschweiler). Zhrich - Wien: Eigenverlag 2013 B-4533

Hanna S ä und Herbert S ä -: Gerichtsbarkeit und Gerichtssäulen

der ehemaligen Herrschaft Hagen bei Linz. Linz: Selbstverlag. 2013 B-4535

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tívy ; [zborník príspevkov z konferencie, ktorú v dòoch 5. - 6. septembra 2001 v Martine ...] = Genealogy, heraldry and related sciences ..., Martin 2003. ISBN: 80-968717-4-9. W-9985

Harry S : Oberösterreich - Die politische Führungsschicht von 1861 – 1918, Linz: 1983. W-9982

Friedrich S z : Beethovens Wiener Originalverleger. (Forschungen und Bei-träge zur Wiener Stadtgeschichte Bd. 17). Wien 1987. ISBN: 3-7005-4597-5 W-9935

Heinz W : Arbesser – Rast-burg: Die Geschichte einer österreichi-schen Großfamilie, Eigenverlag: Juden-burg 1997. B-4539.

225ADLER 5/16

Z ü G HH : H - G G „A “, W

28. Band Jä / Mä z 2016 Heft 5

Jan Ž u p a n i č

D A G - z W 1

Die moderne tschechische Gesellschaft bildete sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts heraus. Die Reformen Maria Theresias und Josefs II., die auch auperhalb der damaligen Eliten, d.h. auperhalb der Ständegesellschaft beind-lichen Personen, die Chance eines sozialen Aufstiegs ercfneten, ermcglichten ihre Entstehung. Voraussetzung fhr eine solche Karriere und den damit zusam-menhängenden gesellschaftlichen und berulichen Aufstieg war jedoch die Beherrschung der deutschen Sprache. Auf unserem Staatsgebiet stammte aller-dings die Mehrzahl solcher Personen aus dem tschechischsprachigen Umfeld der Provinzstädte, wo die Kenntnis des Deutschen nicht hblich war und die dortigen Eliten hber Generationen mit Tschechisch und Latein ausgekommen waren.2 Diese Personen, Beamten, Pfarrer und die weniger zahlreiche Intelligenz trugen schwer an der Tatsache, dass ihre Muttersprache fhr einen Aufstieg nicht ausreicht und die Beherrschung des Deutschen notwendig ist. Deshalb ist es nicht hberraschend, dass die Bemhhungen der ersten patriotischen Generationen auf den Erwerb der Sprache gerichtet waren, die allmählich zum Hauptmerkmal der nationalen Zugehcrigkeit wurde.

Auf der anderen Seite des gesellschaftlichen Spektrums in den bchmi-schen Ländern stand die Aristokratie, der prominente, hber Titel, Eigentum und Zugang zu Ämtern verfhgende Teil der Gesellschaft. Im Vergleich mit dem Adel in anderen Teilen Europas war der bchmische und mährische Adel zwar wenig zahlreich, aber dafhr sehr reich. Seine Stellung und sein Lebensstil stellten ihn häuig auf eine Ebene mit den Herrschaftsfamilien des zerteilten Heiligen 1 Diese Studie entstand im Rahmen der Projektfcrderung Prvouk P12.2 Die Gleichberechtigung der deutschen mit der der tschechischen Sprache waren in der Erneuerten Landesordnung verankert, (fhr Bchmen 1627 herausgegeben, fhr Mähren 1628), dem grundlegenden Landesgesetz, das de iure bis zum Ende der Donaumonarchie 1918 in Kraft blieb.

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Rcmischen Reiches, und die Mehrzahl der tschechischen Adelsfamilien hielt sich auch an deren Prinzipien, z.B. das Prinzip der standesgemäpen Heirat. Im Unter-schied zu Polen oder Ungarn in den bchmischen Ländern fast fehlte der niedere Adel, der die nathrliche Zwischenstufe und den Übergang zu den bhrgerlichen Schichten gebildet hätte. Den ethnisch tschechischen, nichtadeligen Eliten fehlte wiederum das reiche Bhrgertum, das die gesellschaftliche Grenze zur anderen Seite aufgehoben hätte. So wurde die tschechische Gesellschaft von zwei Gegen-polen gebildet, zwischen denen eine tiefe Kluft bestand.

Die entstehenden gesellschaftlichen Eliten waren sich dieser Gefahr wohl bewusst. Der Adel war nach wie vor die fhhrende politische Schicht und der Repräsentant des Landes gegenhber dem Herrscher. Die Aristokratie auf ihre Seite zu bringen, whrde fhr die gesamte Nationalbewegung eine immense Stärkung bedeuten. Abgesehen davon, dass viele Zeitgenossen ein Volk ohne Adel nicht als richtiges Volk, sondern nur als rechtlose Masse betrachteten, darf nicht hbersehen werden, dass das patriotische Ideal in der Bildung eines Volkes mit vollständiger sozialer Struktur bestand.3 Die verstärkte Bemhhung um die Einbeziehung der Aristokratie in die entstehende patriotische Bewegung fand bei dieser besonders an der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts ein positives Echo. Der bchmische Adel, beunruhigt von dem joseinischen Bestreben um die Bhrokratisierung der Staatsverwaltung und die Zentralisierung, das ihn um sein bisheriges Machtmonopol brachte, berief sich auf die alten, ihm seine privile-gierte Stellung garantierenden Landesgesetze. Da die Verwendung des Tschechi-schen eines der Attribute der bchmischen Staatlichkeit war, boten sich hier relativ vielfältige Mcglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen der Aristokratie und den entstehenden bchmischen (resp. tschechischen) nationalen Eliten. Unter dem Patronat des Adels entstand so zu dieser Zeit eine Reihe bedeutender kultureller und wissenschaftlicher Institutionen, die in der Entwicklung des Volkes eine sehr wichtige Rolle spielten.

Die tschechischen Patrioten machten sich jedoch einen wichtigen Umstand nicht bewusst – oder weigerten sich, dies zuzugeben: Der Adel hatte vom Begrif „Volk“ eine andere Vorstellung als die Patrioten im 18. und 19. Jahrhundert. Nach den alten Ständetraditionen war fhr den Adel ein Volk die Einwohnerschaft eines Landes ungeachtet der Sprache (der so genannte Landespatriotismus). Die Bewohner des Kcnigreichs Bchmen waren fhr den Adel ohne Rhcksicht auf die Sprache „Bchmen“, während die nichtadeligen Nationalisten sehr scharf zwischen den „Tschechen“ und den „Deutschen oder Deutsch-Bchmen“ unter-schieden. Fhr die Aristokratie, die mehrheitlich eine kosmopolitische und durch Verwandtschaftsbeziehungen in der gesamten Habsburger Monarchie mitein-ander verlochtene Schicht bildete, war die Sprache lediglich ein Kommunika-tionsmittel, keinesfalls ein Mittel der nationalen Identiikation. Diese Haltung war fhr die tschechischen Patrioten unannehmbar; ihrem Verständnis zufolge waren die deutschsprachigen Adeligen Deutsche. Das Ignorieren der Sprache 3 R 2008, S. 27 – 28.

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als Mittel der nationalen Identiizierung durch den Adel wurde deshalb bereits zu Beginn des Prozesses der Nationalen Wiedergeburt von einigen Patrioten scharf angegrifen. Eine der schärfsten Kritiken aus der Feder Karel Ignác Thám (1763 – 1816) stammte dabei schon aus dem Jahre 1783.

Beim patriotischen Verständnis der Sprache als bestimmendem Merkmal der Nationalität wurde immer klarer, dass die bchmische Aristokratie – eben aufgrund ihres Kosmopolitismus – nach diesem Konzept nicht als nathrliche Anfhhrerin der Tschechen betrachtet werden konnte, und demzufolge die Hofnung auf ihre Positionierung an der Spitze der sich formierenden tsche-chischen Gesellschaft unerfhllt bleiben musste. Die Gemeinde der Nationalen Wiedergeburt fand zu dieser Zeit den wohl einzig mcglichen Ausweg: aus der Not machte sie eine Tugend und lehnte den Adel im Namen der „Volksthm-lichkeit“ ab. Sie erschuf eine Theorie, laut der die Kraft des tschechischen Volkes in der Sthtzung auf die Volksmassen besteht und dies deswegen besser ist als die Nachbarvclker (besonders die Ungarn und Polen), deren Basis von einer schmalen Adelsschicht gebildet wird.4

Zum ofenen Bruch zwischen dem Adel und den tschechischen Patrioten kam es im Frhhling des Revolutionsjahres 1848. Unter den Teilnehmern der Versammlung am 11. März war der Adel nicht vertreten und seine Vertreter waren auch weder in die bchmischen noch in die Reichsvertretungsorgane gewählt worden. Damit hatten sich die Wege des Adels und der Nationalisten endghltig getrennt. Die Abwesenheit des Adels in der Nationalbewegung wurde als Beweis des „angeborenen“ tschechischen Demokratismus verkhndet, während der Adel – orientierungslos und verbittert hber den Verlust seiner gesellschaftlichen Stellung nach dem Ende der Ständegesellschaft 1848 – sich immer weiter isolierte und in eine abgeschlossene und privilegierte «erste Gesellschaft» des Staates zurhckzog.5 Der Graben zwischen der nichtadeligen Mehrheit und der aristokra-tischen Minderheit der Gesellschaft wurde von beiden Seiten nur vergrcpert, die Widersprhche zwischen beiden erwiesen sich letztendlich als unhberwindbar.

4 R 2008, S.33.5 Z č 2006, S. 15 f. Diese Tatsache wurde von fast allen Gesellschaftsschichten ungeachtet der Nationalität kritisiert und bildete eine der Ursachen fhr die isolierte Position der csterreichischen Aristokratie.

Karel Ignác Thám (1763 – 1816)

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Zu Beginn wurden die Streitigkeiten noch durch den Neoabsolutismus der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts gedämpft, der beide Seiten ohne Unterschied betraf. Nach der Erneuerung der csterreichischen Verfassungsmäpigkeit brachen die Antagonismen jedoch erneut auf und der verbale Widerstand gegen den Adel wurde zu einem der Mapstäbe fhr die „Fortschrittlichkeit“ nationaler Politiker. Einige radikale Gruppen strebten die Abschafung der Adelstitel an, ihre Sprecher erklärten den Adel sogar von Zeit zu Zeit als nationalen Feind und Schädling. Genau diese aktive, gegen den Adel gerichtete Politik wurde zu einem Motto der Jungtschechischen Partei und zu einer Wafe, mit der sie gegen die alttschechi-schen Rivalen anging. „Die Jungtschechen nahmen einen radikalen plebejischen Standpunkt ein – der allerdings als demokratischer Standpunkt ausgegeben wurde – und bezichtigten ihre Gegner des Verrats an den nationalen Interessen, die sie den von der Nation abgefallenen adligen Gropgrundbesitzern „verkaufen“„.6

Das Fehlen nationaler Eliten wurde jedoch in Wirklichkeit als sehr bedrh-ckend empfunden, wovon auch die Apotheose des älteren bchmischen Adels aus der Epoche vor der Schlacht am Weipen Berg (besonders des nichtkatholischen) sowie die Verehrung der 1621 auf dem Altstädter Ring hingerichteten Märtyrer zeugt.7 Die tschechische Gesellschaft unterschied nämlich klar zwischen dem bchmischen Adel aus der Epoche vor und nach der Schlacht am Weipen Berg. Während der erstere „sein Herz widmete“, wurde der neuzeitlichere als undemo-kratisch, unsozial und nicht fortschrittlich verurteilt, dem es „während des 19.

Jahrhunderts nicht gelungen war, sich an die Spitze des staatsrechtlichen Kampfes des tschechischen Volkes in der Zeit des csterreichischen Zentra-lismus zu stellen.“8 Auch die Histo-riker waren von diesen Stimmungen nicht ausgenommen. August Sedláček

schrieb in der Einleitung zu seiner «Heraldik», zur Arbeit «treibe ihn die Bemhhung, die Wappen aller einhei-mischen Familien herauszuschreiben, damit dies ein gutes Hilfsmittel in der Forschung werde, wobei ich auch die zugezogenen Familien einbezog, denn nicht wenige von ihnen haben sich unserem Fhhlen und Denken angepasst und sind mit uns eins geworden, auper ihren Zunamen. Die brutalen Bredows, die Mcrder

6 Zitat laut R 1994, S. 76.7 vgl. Abschlusskapitel in P áň 2004. 8 Zitat laut B č ý 1948, S. 7.

August Sedláček (1843 – 1926)

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Buttlers und Gordons und andere lasse ich absichtlich weg, wer diese wissen will, indet sie in heraldischen Sammlungen.»9 Grund fhr die zurhckhaltende und khhle Haltung der tschechischen Fhhrer gegenhber dem Adel war auch dessen ostenta-tiver Katholizismus. Fhr die tschechische nationale Gesellschaft, deren Ideologie in gropem Mape aus den sogenannten hussitischen Traditionen erwachsen war, war eine solche Haltung unannehmbar.

Das historisierende proadelige Sentiment schwächte sich jedoch mit der Zeit ab. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Stimmen laut, die dem Adel die Schuld an wohl allen Katastrophen der tschechischen Geschichte gab. Die sich formierende Aristokratie soll demzufolge den Fall des Gropmährischen Reiches bewirkt haben, ebenso hatten Sie Kcnig Ottokar II. verraten und sie sollen es auch gewesen sein, die unter Kcnig Georg von Podiebrad die Bildung einer national-tschechischen Dynastie unmcglich gemacht haben. Da in den älteren Epochen dem Adel nicht die Verwendung der deutschen Sprache vorgeworfen werden konnte, war der Hauptkritikpunkt der vom Adel repräsentierte „Geist des Feuda-lismus, der zur Zerstcrung der Demokratie aufputschte“. Während das einfache tsche-chische Volk laut dieser Interpretation Repräsentant demokratischer und fortschritt-licher Tendenzen war, stellte der Adel das reaktionäre und konservative Element der Gesellschaft dar, das ein starkes Hindernis fhr das Entstehen einer modernen Nation war. In Reinform gab der Schriftsteller und Publizist Josef Holeček (1853 – 1929) diesem Gedanken in seiner Schrift „Der tschechische Adel“ Ausdruck.10 Dabei beschränkt er sich nicht nur auf die Kritik der geschichtlichen Verfehlungen des Adels, sondern erschaft selbst das Bild des tschechischen Kavaliers und idealen Patrioten und legt die Prinzipien fest, die fhr die richtige Erziehung eines solchen unerlässlich sind. Holeček war mit seinen Ansichten keinesfalls allein, im Gegenteil. Es waren er sowie ähnlich denkende Journalisten, aber nicht Akademiker oder kosmopolitische Intellektuelle, die Haltung und Ansichten des tschechischen Ethnikums an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert formierten, und es waren sie, die das Modell einer idealen nationalen Erziehung schufen, das in vieler Hinsicht noch in der Ära der Ersten Republik Bestand hatte.

Grundlegendes Element fhr die gelungene Erziehung eines jungen Tschechen war laut Holeček die Person der Mutter. Die hatte unbedingt tschechischer Natio-9 S áč 1925, S.5.10 H č 1918.

Josef Holeček (1853 – 1929)

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nalität und „demokratischer Herkunft“ zu sein, ansonsten war der Erziehungs-efekt unsicher. Die leicht irrfhhrende Formulierung „demokratische Herkunft“ der Mutter hiep wohl nichts anderes, als dass sie keine Adelige sein durfte, denn der Adel als solcher wurde als nicht-patriotisch, undemokratisch und feudal betrachtet. Die Aristokratie, die wie keine andere Schicht auf ihre makellose Abstammung achtete, was die wichtigste Voraussetzung fhr eine Karriere bei Hofe darstellte, war de facto aus dem Kreis der tschechischen Eliten ausge-schlossen.11 Bis auf zwei Ausnahmen erfhllten fast alle tschechischen fhhrenden Perscnlichkeiten der zweiten Hälfte des 19. und des Beginns des 20. Jahrhunderts die Bedingung der plebejischen Herkunft. Diese beiden mussten jedoch dem tschechischen Volk die Treue schwcren, was praktisch bedeutete, den Bruch mit der Gesellschaftsschicht zu vollziehen, aus der sie stammten.

Der erste von ihnen war der aus dem Hochadel stammende Rudolf Prinz von Thurn und Taxis (1833 – 1904). Obwohl er bedeu-tendes Eigentum geerbt hatte, dessen Zentrum das Herrschaft Niměřice in Mittelbchmen sowie zwei Häuser in Prag mit einem Gesamtwertes von hber 800.000 Gulden waren, studierte er an der Prager juristischen Fakultät und kam so der tschechi-schen Nationalbewegung nahe. Im Unterschied zur Mehrheit seiner adeligen Zeitgenossen, die ihr Bchmentum im Landessinne begrifen und lange Zeit jenseits aller nationalistischen Streitigkeiten standen, stellte sich Thurn und Taxis auf die Seite der «Radikalen» und stand den bhrgerlichen Intel-lektuellen näher als den Personen seines Standes. Eine wichtige Rolle in der nationalen und politi-schen Orientierung des junge Prinzen spielte sein Erzieher Karel Schneider, ein begeisterter Befhr-

worter der tschechischen Nationalbewegung, der ihn angeblich während des Pingstaufstandes im Juni 1848 lehrte, aus dem Fenster auf kaiserliche Soldaten zu schiepen.12

Seit Anfang der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts gab Thurn-Taxis gemeinsam mit Karel Jaromir Erben und Jan Jeřábek die Zeitschrift «Jurist» heraus. Er schrieb auch Beiträge zu „Riegerův slovník naučný“ (Riegers wissenschaft-lichem Wcrterbuch) und arbeitet mit der Zeitung „Národní listy“ (Nationalblatt) zusammen. Gemeinsam mit František Palacký, František Ladislav Rieger, Jan Evangelista Purkyně und František Pstross wohnte er 1860 der Entstehung des

11 Grundlegende Bedingung fhr eine Karriere bei Hofe war die Erlangung des Titels eines Kämmerers. Dafhr musste man unbedingt die tadellose adelige Herkunft von sechzehn im Adelsstand geborenen Vorfahren nachweisen, acht väterlicherseits und acht (später nur vier) mhtterlicherseits. Z č 2006, S. 30.12 M š 1999, S. 287

Freiherr von Troskow1894 (Frhher Prinz von Thurn und

Taxis), Autor-Michal Fiala

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Gesangsvereins «Hlahol» bei und war auch dessen erster Vorsitzender. Turn-Taxist radikale Ansichten sowie die Bemhhungen, einige Interessenvereine (z.B. den Sportverein Sokol) in die politische Basis tschechischer Fhhrungsperscn-lichkeiten umzuwandeln, fhhrten zu engem Kontakt nicht nur mit Angehcrigen der Nationalpartei (sog. Alttschechen), sondern auch mit deren Gegnern (sog. Jungtschechen), in erster Linie mit Julius Grégr. Den csterreichischen Behcrden war das Verhalten des Prinzen äuperst unangenehm und sie warteten lange auf eine Gelegenheit, ihm eine Lehre zu erteilen. Die ersehnte Gelegenheit ergab sich erst in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit fhr die Zeitschrift «Boleslavan», die der Prinz in den 60er Jahren inanzierte und bei der er half, ihre Popularität in der breiten Masse der Bevclkerung zu erhchen.13 Aus Bagatellgrhnden wurde er vor Gericht geladen und im Juli 1863 fhr einen Ausspruch, den er nie getan hatte, zu zwei Wochen Gefängnis und einer Strafe von 50 Gulden verurteilt. Die aus dieser Zeit stammende volksthmliche Bezeichnung Thurn-Taxist als „bäuer-licher“ oder „roter Fhrst“ blieb dem Fhrsten mit den bhrgerlichen Verhaltens-weisen auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik erhalten.14

Die zweite Ausnahme, die im tsche-chischen Bewusstsein jedoch deutlicher bestehen blieb, stellte Wenzel Graf von Kaunitz (1848 – 1913) aus der bchmischen

Linie des alten Adelsgeschlechts derer von Kaunitz dar. In seinem Falle war es seine Mutter, Eleonora Woracziczký von Pabienitz und Bissingen (1809 – 1898), die seine Neigung zum Nationalismus bewirkte. Sie wurde damals als grcpte adelige tschechische Patriotin ihrer Zeit bezeichnet. Kaunitz war in den Jahren 1885 – 1897 Reichsratsabgeordneter und seit 1883 auch Landesabgeordneter – ursprhnglich fhr die Kurie der Gropgrund-besitzer, später fhr die „zweite“ Kurie (Städte) als Anhänger der Jungtschechi-schen Partei. Er war beispielsweise Befhrworter des Acht-Stunden-Arbeitstages und einer Hochschulbildung fhr Frauen. Auperdem trat er als Mäzen auf; seine bedeutendste Tat in diesem Bereich war die Widmung des Kaunitz-Palastes in Brhnn fhr die Einrichtung von Studentenkollegs im Jahre 1908.15

13 S á 2002. 14 Zitat laut: S á 2002, S. 309 Zu den weiteren Schicksalen des Rudolf von Thurn-Taxis, der 1894 den Namen Freiherr von Troskow annahm, siehe Z č 2006, S. 147 – 148.15 zu Kaunitz: K 1993.

Wenzel Graf von Kaunitz (1848 – 1913)

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Obwohl Thurn-Taxis und Kaunitz aus adeligen Familien stammten, passten sie sich in ihrer Lebensweise schnell dem Stil ihrer tschechischen Mitstreiter an. Davon zeugen besonders ihre Heiraten, mit denen sie de facto aus der aristokra-tischen Gesellschaft ausschieden. So ehelichte Rudolf von Thurn-Taxis Jenny Ständler (1830 – 1940), die Tochter eines Oberlehrers aus Stropčice16 bei Přeštice. Wenzel Kaunitz war zweimal verheiratet. Seine erste Frau, Joseina Čermáková (1849 – 1895),17 Schauspielerin am Tschechischen Interimstheater stammte aus einer Prager Bhrgerfamilie, die sehr gropen Wert auf ihren Patriotismus und ihr Mäzenatentum legte. Seine zweite Frau, Joseina Horová (1881 – 1961) kam sogar aus noch einfacheren Verhältnissen, nämlich aus der Familie eines Zimmermanns aus Žinkovy bei Pilsen.

Sowohl fhr Thurn-Taxis als auch fhr Kaunitz war dieser Schritt eine unerläss-liche Voraussetzung zur Aufnahme in die tschechische Gesellschaft. Wie Josef Holeček, der Kaunitz grope Achtung entgegenbrachte, trefend bemerkte: er hatte sich „aus dem Umfeld, in das er geboren worden war, herausgerissen, um ein vollwertiges tschechisches Leben zu leben. Damit wurde er sicher zum ersten seiner Seele gerecht, man darf aber nicht unterschätzen, dass diese Absage ein gropes perscnliches Opfer bedeutete, dass er seinem Volk brachte. (...) Solch ein Opfer hat niemand aus dem bchmischen Adel gebracht. (...) Graf Wenzel Kaunitz heiratete zweimal, jedes Mal eine Tschechin demokratischer Herkunft. Eine Adelige konnte er nicht ehelichen, denn mit einer solchen hätte sich sein leidenschaftliches Tschechentum, von dem abzurhcken er auch um Haaresbreite nicht gewillt war, nicht erfhllen kcnnen. (...) Beide Ehen sind der klarste Beweis des nationalen und demokratischen Charakters Graf Wenzel Kaunitzt. Was folgt

16 Auch Tropčice. 17 Ihre Schwester Anna heiratete den Komponisten Antonin Dvorak, der so Kaunitz` Schwager wurde.

Wenzel Graf von Kaunitz (1848 – 1913) mit seiner Frau Joseina geb. Čermák (1849 – 1895). Text: Wenzel Graf von Kaunitz, Joseina Gräin von Kaunitz, Mäzene der

tschechischen Studenten in Brhnn.

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aus dem Fall Graf Wenzel Kaunitzt? Dass ein bchmischer Adeliger unserer Zeit, will er tatsächlich auf tschechische Weise leben, die Gesellschaft seines Standes verlassen muss, wo es eben kein tschechisches Leben gibt. Das tschechische Herz indet in der Gesellschaft der bchmischen Aristokratie keine Erfhllung. Das muss man im Gedächtnis behalten.“18

Ein weiterer prinzipieller Aspekt der Erziehung eines tschechischen Gentleman dieser Zeit war ein ostentativer tschechischer Nationalismus. Im Geist dieser Zeit wurde das tschechische Volk als demokratisches bezeichnet (bzw. demokrati-scher als das deutsche, mit dem es sich damals verglich). Den entscheidenden Gegensatz zu dem von ihm repräsentierten modernen slawischen Demokratismus sollte der angebliche deutsche despotische Feudalismus bilden, der sich im Zuge der Eingliederung der bchmischen Länder in den von Deutschen kontrollierten mitteleuropäischen Raum auch bei uns ausbreitete. Dieser von František Palacký formulierte Gedanke war zur Zeit der Herausbildung des modernen tschechi-schen Volkes sehr populär.19 Da mit diesem Prozess auch die Christianisierung untrennbar verbunden war, und da vorwiegend aus dem Reich von der katholischen Kirche und vom Papst Kreuzzhge gegen das gefeierte tschechische Hussiten- tum gesendet worden waren, hberrascht es nicht, dass auch der Antiklerikalismus Teil einer richtigen tschechischen Erziehung sein sollte.

Den Grundgedanken bildete hierbei die Überlegenheit des tschechischen Volkes, das fhhrendes Element in den bchmischen Ländern werden sollte. Die Anwesenheit anderer Vclker (besonders der Deutschbchmen) wurde nicht ausge-schlossen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass diese Vclker eben jene Überlegenheit der Tschechen als „Erbherren“ dieser Länder anerkennen und sich wie Gäste verhalten sollten. Streitgegenstand war besonders die Frage der Sprachen, bei der die Tschechen die absolute Gleichberechtigung des Tschechi-schen und des Deutschen (die in der Ära Österreich-Ungarns nie realisiert worden war) als conditio sine qua non betrachteten.

Nach der Vorstellung einer Reihe radikaler Politiker war das tschechische Volk einzigartig und exklusiv, und „die tschechische nationale Herkunft allein ist schon eine Art aristokratische bzw. superior“.20 Die tschechische Nationalbe-wegung hbernahm so in gewissem Sinne Prinzipien des Sozialdarwinismus. Das tschechische Volk wurde als das beste betrachtet und die Zugehcrigkeit zu ihm als privilegiert. Die Voraussetzungen fhr eine Mitgliedschaft in dieser elitären Gesellschaft waren im Voraus bekannt (Patriotismus, Antiklerikalismus, und der sogenannte Demokratismus, unter dem man besonders eine negative Haltung zum Adel verstand). Mit der Annahme dieser Zugehcrigkeit schloss sich der Einzelne jedoch aus anderen, ähnlich oder nur leicht unterschiedlich strukturierten, jedoch ähnlich egozentrischen Gesellschaften (Gropdeutschtum u.a.) aus. In dieser Situation war es nicht mcglich, die Österreichisch-Ungarische Monarchie in 18 Zitat nach H č 1918, S. 47 – 48.19 P ý 1930, S. 53 f. 20 Zitat nach H č 1918, S. 164.

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einen modernen multiethnischen Staat mit einem einheitlichen Staatsgedanken zu transformieren. Jede der genannten nationalen Gesellschaften hatte nämlich ihre eigenen Ideen, die nicht selten in scharfem Gegensatz zu denen der anderen standen. Obgleich die Donaumonarchie ein wirtschaftlich gut funktionierendes Ganzes bildete, dessen Stellung in der Welt Respekt erfuhr, wandelte sie sich besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ein Konglomerat egozen-trisch auf sich selbst konzentrierter nationaler Einheiten. Deren Ziel war nicht die Zusammenarbeit, sondern die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen – und dies häuig auf Kosten der nächsten Nachbarn.

Dies wurde nach dem Zerfall Österreich Ungarns sehr deutlich. Die neuen Staaten entstanden nicht auf der Basis eines Konsens` der einzelnen Vclker, sondern durch Beschlhsse der Siegerparteien. Der Ruf nach der Entstehung von Nationalstaaten, wie es insbesondere der amerikanische Präsident Woodrow Wilson durchsetzen wollte und deren Grenzen den Linien der ethnischen Besiedelung folgen sollten, blieb unbeantwortet, einerseits weil die nationalen Verhältnisse in Mitteleuropa wirklich sehr verlochten waren, andererseits, weil die Folgestaaten, die auf der Siegerseite standen (Tschechoslowakei, Polen, Rumänien, Kcnigreich der Serben, Kroaten und Slowenen sowie Italien) an einer solchen Lcsung kein Interesse hatten. Alle Folgestaaten begrhndeten ihre staat-liche Idee auf dem Nationalgedanken, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass die Stellung der kosmopolitischen Aristokratie nicht gerade einfach war.

Auch in der Tschechoslowakei war das nicht anders. Es ist sicher kein Zufall, dass das Vorgehen gegen den Adel von Anfang an das strengste war – und zwar sowohl unter dem Aspekt des Eigentums als auch symbolisch. Die erste Angelegenheit war die Bodenreform, die die Ausdehnung der gropen Lände-reien deutlich verringerte. Sie war zwar nicht oiziell gegen den Adel als solchen gerichtet, logischerweise betraf sie jedoch hauptsächlich die grcpten Grundbe-sitzer: die Aristokratie und die katholische Kirche.21 Die erste Angelegenheit behandelte bereits eines der ersten tschechoslowakischen Gesetze (Nr. 61/1918, angenommen am 10. Dezember 1918), knapp zwei Monate nach der Entstehung der Republik. Adeligen wurde es verboten, „ihren Familiennamen mit Prädikat oder einem den Adel bezeichnenden Zusatz zu verwenden“, der Adel als solcher wurde abgeschaft sowie auch seine Orden, „sowie auch sämtliche sich daraus ergebenden Rechte.“

Der Staat, der als mittelständisches Land, das sich auf die Mittelschicht sthtzt, betrachtet wurde, verfolgte oder ächtete den Adel zwar nicht, fhr dessen Angehcrige war es jedoch sehr schwierig, eine Stelle in der staatlichen Verwaltung zu inden. Im Unterschied zu anderen Folgestaaten (Österreich, Ungarn) fanden diese Personen auch keinen Platz in der Auslandsvertretung, die hber Genera-tionen ihre Domäne gewesen war. Die Behcrden des neuen Staates betrachteten sie nämlich als prohabsburgisch und zu csterreichisch und hatten kein Vertrauen

21 zu dieser Frage siehe G 2005.

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zu ihnen. Bis auf wenige Ausnahmen war in den Jahren 1918 – 1939 kein Aristokrat im Staatsdienst tätig.22

Dennoch bedeuteten die Jahre der ersten Republik fhr die Entwicklung des bchmischen Adels eine Wende. Im Gegensatz zu den Jahren davor begann er sich national in einen mehrheitlichen deutschen und einen minderheitlichen tschechischen Flhgel zu spalten. Entscheidend war dabei nicht die Herkunft des Geschlechts, sondern (wenn auch nicht immer) die Tatsache, wo seine Ghter lagen. Bei der protschechischen Aristokratie handelte es sich besonders um die junge Generation (geboren nach 1900, hauptsächlich nach 1910). Diese Personen engagierten sich im politischen Leben nicht besonders, ihre Denkweise kcnnte man als konservativ-katholisch oder christlich-sozial bezeichnen. Einige von ihnen sympathisierten in den Jahren zwischen den Weltkriegen mit national-rechten Organisationen, wie z.B. der „Fahne“ oder der „Aktion der Nationalen Wiedergeburt“23, jedoch nie direkt mit dem Nazismus. Ihre Sympathie gehcrte dem christlich-sozialen Österreich, weniger oft dem Italien Mussolinis. Einem Hang dieser Personen zum Hitlerregime begegnet man wirklich nur in Ausnah-mefällen.24 Dies zeigte sich in den Jahren 1938 und 1939, als die Vertreter der bchmischen Adelsfamilien zwei Erklärungen abgaben, in denen sie die deutschen Ambitionen entschieden ablehnten und sich auf die Seite des tschechischen Volkes stellten.25

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich die Position des Adels nach Entstehung des Protektorats verbesserte. In Anknhpfung an die oben erwähnte loyale Haltung wuchs sein Kredit in der tschechischen Gesellschaft, sogar Protek-toratspolitiker drhckten Vertretern des Adels ihr Vertrauen aus. Regierungsver-ordnung Nr. 220/1939 vom 18. September 1939 beendete die Ghltigkeit des Gesetzes hber das Verbot, einen Adelstitel zu fhhren, aus dem Jahre 1918, einigen bot die Protektoratsregierung General Alois Eliášs die Teilnahme am (nathrlich sehr beschränkten) politischen Leben des Landes an.

Es zog jedoch eine neue Gefahr herauf: die nazistische Bodenpolitik.26 Ihr Ziel war die Bildung eines Korridors, der (in der ersten Phase) die deutschen Sprach-inseln in Mähren und Schlesien mit dem Gau Niederdonau verbinden und in seiner Folge die Germanisierung des gesamten Protektorats ermcglichen sollte. Anfangs wurde vorwiegend jhdischer Grund und Eigentum von sogenannten Staatsfeinden enteignet, ab 1940 (hauptsächlich nach Antritt des SS-Obergrup-

22 Z č/H č č /K á á 2009; H 2015.23 z.B. Karl VI. Fhrst von Schwarzenberg (Linie Orlik) oder Johannes Prinz von Lobkowicz.24 Das war der Fall bei Heinrich Graf von Thun-Hohenstein, Siehe P č 2011, S. 171 – 176.25 Erklärung der Mitglieder der alten Familien im Hinblick auf die Unberhhrbarkeit des Territoriums des tschechischen Staates (1938) Erklärung des bchmischen und mährischen Adels im September 1939 Viz http://ivocerman.blog.idnes.cz/c/317081/Vlastenecke-deklarace-ceske-slechty-z-let-1938-39-Plne-zneni.html (Zit. 31. 7. 2015).26 H ř š 2011.

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penfhhrers Reinhard Heydrich in der Funktion des stellvertretenden Reichspro-tektors im September 1941) wurde jedoch ein efektiveres Verfahren gewählt, das verbunden war mit der Verhängung einer Zwangsverwaltung oder direkt mit der Koniszierung der Gropghter der Kirche, des Staates und besonders des Adels.

Eine Wiedergutmachung der Verhältnisse brachte leider auch das Ende des Zweiten Weltkrieges nicht, im Gegenteil. Die Deutschen, Ungarn sowie Personen, die als Kollaborateure bezeichnet wurden, wurden ersatzlos enteignet; auch die protschechisch orientierten Adeligen (einschlieplich einiger Teilnehmer des Widerstandskampfes) waren mit gropen Problemen konfrontiert. Einer der Grhnde hierfhr war der wachsende Einluss der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, die auf Anweisung aus Moskau handelte. Unter ihre Kontrolle gerieten u.a. zwei wichtige Ressorts – das Innen- und das Landwirtschaftsmi-nisterium. Dafhr gab es einige Grhnde. Erstens hbernahmen die Kommunisten mehr oder weniger die ältere jungtschechische, radikal gegen den Adel gerichtete Rhetorik, die sie nathrlich entsprechend ihres Klassenstandpunktes veränderten. In dieses Konzept der tschechischen Geschichte passte eine positive Sicht auf den bchmischen Adel nicht hinein, zumal der bchmische Adel gleichzeitig zu den bedeutenden Kapitalisten gehcrte und hber gropen Besitz verfhgte.

Die cfentliche Meinung wurde von den Medien beeinlusst, hauptsächlich von der kommunistischen Presse. Die Mehrzahl der feindseligen Artikel hatten mit der Wahrheit nichts zu tun, sie gossen jedoch Öl ins Feuer des Hasses der Nachkriegszeit und trugen dazu bei, dass die Mehrzahl der Restitutions- und Rehabilitationsprozesse des von den Nazis geschädigten bchmischen Adels bis zum kommunistischen Umsturz 1948 nicht beendet war.27 Die Jahre 1945 – 1948 waren dann der Schwanengesang der bchmischen Aristokratie. Obwohl einigen Familien nach 1989 Eigentum zurhckgegeben wurde, hat die adlige Gesellschaft mit ihrer Kultur, die das mitteleuropäische Milieu hber Jahrhunderte bedeutend geformt hatte, aufgehcrt zu existieren.

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G 2005Eagle G : Noble nationalistst. The Transformation of the Bohemian Nobility, Cambridge/Mass. 2005.

27 Z č 2011.

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K 1993Oldřich K : Václav hrabě Kounic. Šlechtic nejen rodem = Wenzel Graf von Kaunitz, ein Adliger nicht nur durch Geburt, Brno 1993.

M š 1999Petr M š : Modrá krev. Historie a současnost 445 šlechtických rodů v českých zemích = Blaues Blut. Geschichte und Gegenwart von 445 Adelsfa-

milien in den böhmischen Ländern, Prag 1999.P ý 1930

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P č 2011Ivo P č : Jindřich Thun-Hohenstein = Heinrich Thun-Hohenstein, in: H , Zdeněk/H č č , Václav/Ž č, Jan (ed.), Šlechta střední Evropy v konfrontaci s totalitními režimy dvacátého stoleti = Der Adel Mitteleuropas in Konfrontation mit den totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts, Prag 2011, S. 171 – 176.

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S á 2002Jiří S á : Časopis Boleslavan 1860 – 1867. Proměna zábavného venkovského listu v politický orgán radikálně demokratické opozice = Zeitschrift Boleslavan. Die Wandlung des Provinzunterhaltungsblattes in das politische Organ der radikalen demokratischen Opposition, in: Český časopis historický = Tschechische historische Zeitschrift, 100/2002, Nr. 2, S. 293 – 334.

Ž č 2006Jan Ž č: Nová šlechta Rakouského císařství = Der neue Adel des Öster-reichischen Kaiserreichs, Prag 2006.

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Ž č/H č č /K á á 2009Jan Ž č/Václav H č č /Hana K á á: Na rozcestí. Rakousko-uherská zahraniční služba v posledních letech existence monarchie = Am Kreuzweg. Der österreichisch-ungarische Auslandsdienst in den letzten Jahren der Existenz der Monarchie, Prag 2009.

E Pvon unserem Vorstandsmitglied Michael Gcbl

Michael Gö : Wappenkunde des Habsburger-reiches.

Schleinbach:W-H Edition Winkler-Herma-den. 2013. 17 x 24 cm, 208 Seiten mit 255 Farbabbil-dungen ISBN: 978-3-9503378-0-8. Nach Herausgabe seiner viel beachteten Werke „Neuer Kronen-Atlas“ und „Öster-reichisch-Ungarische Wappenrolle“ legt Michael Gcbl nach jahrelangen Forschun-gen ein Werk vor, das ein neues Standard-werk der Wappenkunde werden kann. Die Auswahl der einzelnen Wappen erfolgte nach ihrem Vorkommen auf Siegeln oder Bauwerken, in Titulaturen und Wappenbh-chern, welche die Habsburger als Kcnige und Kaiser des Heiligen Rcmischen Reiches Deutscher Nation, als Kcnige von Ungarn und Bchmen oder als Erz-herzcge der csterreichischen Erbländer fhhrten, gestalten oder oiziell errichten ließen. Der Band ist um € 24.95 im Buchhandel erhältlich.

HH – G G „ADLER“,

WZVR-Z : 059615931

28. B , H 5 Jä / Mä z 2016

ISSN 0001-8260

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